De:Bug 181
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14 — <strong>181</strong> — MANIFEST TEXT ALEXANDRA DROENER<br />
Hype<br />
macht<br />
Hate /<br />
Die<br />
kleinen<br />
ekstatischen<br />
Britzel<br />
Alexandra Dröner schrieb seit<br />
Ausgabe 93 regelmäßig für <strong>De</strong>:<strong>Bug</strong>,<br />
2013 war sie ein sehr gutes Jahr lang<br />
Redakteurin und Hype-Expertin. Für sie<br />
sind ES die Nuancen der Wellen- und<br />
Weltbewegungen, die an Bedeutung<br />
gewinnen und die großen revolutionären<br />
Ideen ersetzen. Hyper, hyper.<br />
Wenn nur der schale Nachgeschmack<br />
verpasster Zukunft nicht wäre.<br />
»Taptaptaptatap<br />
oder Taptaptaptatap?«<br />
Felix <strong>De</strong>nk<br />
September 2001<br />
<strong>De</strong>:<strong>Bug</strong> 51<br />
Wenn der Hype in Form eines mittelalten Hipster-<br />
Playboys den Supermarktgang hinuntertänzelt oder<br />
entschieden zu niedliche Fremde beim ersten Kuss<br />
beglotzt, wissen wir natürlich sofort was los ist:<br />
Da will uns jemand mit unserer eigenen Coolness<br />
ködern, unsere Ahs und Ohs antriggern und unsere<br />
Finger auf den Teilen-Button zwingen. Wir werden zu<br />
braven, billigen Hypesoldaten im Auftrag gewiefter<br />
Marketingstrategen. Die drängelige Hysterie der<br />
Hypemaschinisten quillt aus allen Ecken, jedes<br />
Katzenvideo will dir mindestens den Verstand<br />
wegsprengen, jede Meldung die beste deines<br />
Lebens sein, während ein Hologramm von Kanye<br />
West an deiner Haustür klingelt, um dir ganz<br />
persönlich seine neue CD mit den Brüsten seiner<br />
Kindesmutter in die Hand zu drücken. Soviel Hype<br />
war nie. Da wäre der Rückzug in einen katatonisch<br />
verkrampften Kulturpessimismus verständlich, wenn<br />
nicht sogar angeraten, würden wir nicht immer noch<br />
und immer wieder diesen kleinen, ekstatischen<br />
Britzel verspüren, wenn uns in all dem Summen und<br />
Rauschen doch etwas unterkommt, das wir genau<br />
so noch nicht gesehen oder gehört haben. Unsere<br />
Antennen ragen steil nach oben, wenn uns plötzlich<br />
von irgendwoher dieses seltsam photogeshopt<br />
wirkende Alien-Gesicht von FKA twigs ansingt, oder<br />
alle Welt nach dem beatlosen Track eines, wie man<br />
hört, minderjährigen Typen namens Sophie tanzen<br />
will. Wir schmelzen dahin und haben das untrügliche<br />
Gefühl: Es geht weiter!<br />
<strong>De</strong>nn das ist es, was wir wollen - wir wollen Zukunft.<br />
Auch, und gerade weil wir genau wissen, dass wir<br />
uns schon seit den ausgehenden 199ern in einer<br />
zweifelhaften Zeitschleife befinden, in der Neu immer<br />
nur als eine Neuformulierung von allem was war und<br />
ist zusammengepuzzelt wird, sind es die Nuancen der<br />
Wellenbewegungen, die an Bedeutung gewinnen und<br />
die großen revolutionären Ideen ersetzen.<br />
Enttäuschung<br />
Das Ritual des Hype ist uns eingeschrieben. Als<br />
Public Enemy Ende der 198er Jahre den Kampfesruf<br />
"Don’t Believe The Hype" in unsere vom Punk noch<br />
anarchisch gestimmten Genome meißelten, war es<br />
längst zu spät. Wir hatten dem Hype bereits geglaubt<br />
und waren belohnt worden: mit den Beatles, mit den<br />
Sex Pistols, mit Public Enemy. Lebensverändernde<br />
Musikrevolten mit immensem Distinktionspotential<br />
für ihre Anhänger. <strong>De</strong>r Hype als eingelöstes<br />
Versprechen mit jeder Menge positiven Learnings,<br />
für die Presse, die Plattenfirmen und die Fans.<br />
Diese inzwischen anachronistische, aber immer<br />
präsente Hoffnung auf das große Neue führt in<br />
der gegenwärtigen, stakkatohaften Gleichzeitigkeit<br />
von Mikrohypes aber auch dazu, dass wir immer<br />
schneller und eindringlicher enttäuscht werden. <strong>De</strong>r<br />
Hater tritt auf den Plan. Wir, die wir gerade noch<br />
elektrisiert waren vom aufregenden Jetzt, werden<br />
von der Leere der Überdosis Hype übermannt wie<br />
Phantasien vom Nichts. Die Erde hat nicht gebebt,<br />
der Beat hat keinen neuen Takt und wir wenden uns<br />
von der vermeintlichen Sensation genauso schnell<br />
wieder ab, wie wir ihr gerade noch auf Soundcloud<br />
gefolgt sind.<br />
Hass<br />
Natürlich, der Hass ist kein neues Symptom. <strong>De</strong>r<br />
Leserbrief an die Bravo, wie doof Modern Talking<br />
sind oder wie scheiße man das dritte Soft-Cell-<br />
Album findet, wird nun übereffektiv ersetzt von<br />
unseren ständig funkenden sozialen Kanälen,<br />
über die wir unsere Erhabenheit über dieses oder<br />
jenes hippe Phänomen weithin sichtbar machen<br />
können. Gerne übrigens auch direkt beim Künstler<br />
selbst, was dann, wie gerade im Fall von Sky<br />
Ferreira und ihrer flammenden Rede gegen die ihr<br />
zugeschriebene Internettrolle geschehen, gleich<br />
wieder den Hype füttert. Hype und Hate folgen ganz<br />
ähnlichen menschlichen Bedürfnissen: Abgrenzung,<br />
der Herauskehrung vom überlegenen Spezial- und<br />
Geheimwissen oder Gruppenbildung - der Mob<br />
glücklich vereint in seinem Hass gegen Skrillex<br />
zum Beispiel (wobei es im Übrigen, wie uns eines der<br />
vielen Hype-Medien versichert, inzwischen wieder<br />
"out" sei, ihn zu hassen, pünktlich zum Release-Date<br />
seines neuen Albums). Egal wie hohl, gekauft und<br />
leer sich die allermeisten Hypes auch herausstellen,<br />
wir machen weiter mit unserer Suche nach dem<br />
nächsten Trend, der nächsten Jugendbewegung,<br />
dem heißen Scheiß. In einer Popkultur ohne<br />
Leitmotiv, einem Underground ohne verbindlichem<br />
Feindbild, sind es die vielen kleinen Regungen, die<br />
uns die Welt und das was kommt verständlicher<br />
machen. Unsere eigene Roadmap, auf der wir die<br />
Punkte zwischen Seapunk, gestohlenen R&B-<br />
Schnipseln, der Glorifizierung des Normalen und<br />
einer plündernden Fashion-Meute bei einer Chanel-<br />
Show verbinden können und plötzlich wissen, was<br />
wir morgen gerne zu Mittag essen wollen.