Wir in der Schule von BAG-Selbsthilfe Deutschland
Chronische Erkrankungen und Behinderungen im Schulalltag Informationen aus der Selbsthilfe zu Verfügung gestellt von B.A.G Selbsthilfe Deutschland für Rare Disease Salzburg.
Chronische Erkrankungen und Behinderungen im Schulalltag Informationen aus der Selbsthilfe zu Verfügung gestellt von B.A.G Selbsthilfe Deutschland für Rare Disease Salzburg.
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Chronische Erkrankungen<br />
und Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen im Schulalltag<br />
Chronische Erkrankungen<br />
und Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen im Schulalltag<br />
Informationen aus <strong>der</strong> <strong>Selbsthilfe</strong>
Impressum<br />
<strong>Wir</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>:<br />
Chronische Erkrankungen und Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen im Schulalltag –<br />
Informationen aus <strong>der</strong> <strong>Selbsthilfe</strong><br />
Herausgeber:<br />
Bundesarbeitsgeme<strong>in</strong>schaft <strong>Selbsthilfe</strong><br />
<strong>von</strong> Menschen mit Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung und chronischer Erkrankung<br />
und ihren Angehörigen e. V.<br />
(<strong>BAG</strong> SELBSTHILFE)<br />
Kirchfeldstraße 149<br />
40215 Düsseldorf<br />
Telefon: +49 211 31006-0<br />
Telefax: +49 211 31006-48<br />
E-Mail: <strong>in</strong>fo@bag-selbsthilfe.de<br />
Internet: www.bag-selbsthilfe.de<br />
Text:<br />
Prof. Dr. Elisabeth Sticker (Universität Siegen, Universität zu Köln) und<br />
Marius Grosser (<strong>BAG</strong> SELBSTHILFE)<br />
auf <strong>der</strong> Basis <strong>von</strong> Textentwürfen (siehe Danksagung, S. 10)<br />
und unter Mitwirkung <strong>der</strong> <strong>in</strong> den jeweiligen Beschreibungen<br />
aufgeführten <strong>Selbsthilfe</strong>-/Patientenorganisationen<br />
Gestaltung:<br />
T<strong>in</strong>a Ennen, media services, Köln<br />
© 2016
Chronische Erkrankungen<br />
und Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen im Schulalltag<br />
Informationen aus <strong>der</strong> <strong>Selbsthilfe</strong>
4<br />
<strong>Wir</strong> danken <strong>der</strong> AOK NordWest und <strong>der</strong> AOK Rhe<strong>in</strong>land/Hamburg, die mit ihrer Unterstützung und För<strong>der</strong>ung<br />
die Entstehung dieser Broschüre ermöglicht haben.
Inhaltsverzeichnis<br />
Chronische Erkrankungen und <strong>Selbsthilfe</strong><br />
Vorwort <strong>von</strong> Dr. Mart<strong>in</strong> Danner<br />
(Geschäftsführer <strong>BAG</strong> SELBSTHILFE) 7<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit e<strong>in</strong>er chronischen Erkrankung<br />
<strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Klasse – wie gehe ich damit um?<br />
Vorwort <strong>von</strong> Prof. Dr. Elisabeth Sticker<br />
(Universität Siegen, Universität zu Köln) 8<br />
Danksagung 10<br />
Nachteilsausgleiche für Schüler<strong>in</strong>nen<br />
und Schüler mit chronischen Erkrankungen<br />
und Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen 11<br />
Krankheitsbeschreibungen<br />
Achondroplasie 15<br />
Adipositas 17<br />
ADHS – Aufmerksamkeitsdefizit-<br />
Hyperaktivitäts-Syndrom 19<br />
Alb<strong>in</strong>ismus 21<br />
Anaphylaxie (schwere allergische Reaktion) 23<br />
Angeborene Herzfehler 28<br />
Anorexie (Magersucht)/Bulimie (Ess-Brech-Sucht) 30<br />
Asthma 33<br />
Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom,<br />
siehe ADHS<br />
Autismus 36<br />
Bluterkrankheit, siehe Hämophilie<br />
Bulimie, siehe Anorexie/Bulimie<br />
CHARGE-Syndrom 39<br />
Colitis ulcerosa, siehe Morbus Crohn/Colitis ulcerosa<br />
Clusterkopfschmerz 42<br />
Cystische Fibrose, siehe Mukoviszidose<br />
Deletionssyndrom 22q11 45<br />
Depressionen 47<br />
Diabetes mellitus 51<br />
Down-Syndrom (Trisomie 21) 55<br />
Ehlers-Danlos-Syndrom 57<br />
Endometriose 59<br />
Enterostoma (künstlicher Darmausgang) 62<br />
Epilepsie 64<br />
Ess-Brech-Sucht, siehe Anorexie/Bulimie<br />
Glasknochenkrankheit (Osteogenesis imperfecta) 67<br />
Glutensensitive Enteropathie, siehe Zöliakie<br />
Hausstaubmilbenallergie 69<br />
Hämophilie (Bluterkrankheit) 71<br />
Hepatitis C 73<br />
Hirn<strong>in</strong>farkt, siehe Schlaganfall<br />
Hirntumoren 75<br />
Hydrocephalus, siehe Sp<strong>in</strong>a bifida/Hydrocephalus<br />
Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion) 77<br />
Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion) 79<br />
Ichthyose 81<br />
Juvenile idiopathische Arthritis,<br />
siehe Rheuma/Juvenile idiopathische Arthritis<br />
Kle<strong>in</strong>wuchs 83<br />
Kl<strong>in</strong>efelter-Syndrom 85<br />
Laktose<strong>in</strong>toleranz (Milchzuckerunverträglichkeit) 87<br />
künstlicher Darmausgang, siehe Enterostoma<br />
Leukämie 89<br />
Lippen-Kiefer-Gaumenspalte 91<br />
Magersucht, siehe Anorexie/Bulimie<br />
Marfan-Syndrom 93<br />
Migräne 95<br />
Milchzuckerunverträglichkeit,<br />
siehe Laktose<strong>in</strong>toleranz<br />
Morbus Crohn/Colitis ulcerosa 97<br />
Mukoviszidose (Cystische Fibrose) 99<br />
Multiple Sklerose 101<br />
Muskeldystrophie 103<br />
Mutismus 105<br />
Neuro<strong>der</strong>mitis 107<br />
Nierenerkrankungen,<br />
v. a. chronische Nieren<strong>in</strong>suffizienz 110<br />
offener Rücken, siehe Sp<strong>in</strong>a bifida/Hydrocephalus<br />
Osteogenesis imperfecta, siehe Glasknochenkrankheit<br />
Phenylketonurie 114<br />
Poland-Syndrom 117<br />
Psoriasis (Schuppenflechte) 119<br />
Rett-Syndrom 123<br />
Rheuma/Juvenile idiopathische Arthritis 126<br />
Schilddrüsenunterfunktion, siehe Hypothyreose<br />
Schilddrüsenüberfunktion, siehe Hyperthyreose<br />
Schizophrenie 129<br />
Schlaganfall (Hirn<strong>in</strong>farkt) 133<br />
Schuppenflechte, siehe Psoriasis<br />
Skoliose 136<br />
Sp<strong>in</strong>a bifida (offener Rücken)/Hydrocephalus 139<br />
Stottern 141<br />
T<strong>in</strong>nitus 144<br />
Tourette-Syndrom 146<br />
Trisomie 21, siehe Down-Syndrom<br />
Turner-Syndrom 148<br />
Williams-Beuren-Syndrom 150<br />
Wiskott-Aldrich-Syndrom 152<br />
Zerebralparese 154<br />
Zöliakie (Glutensensitive Enteropathie) 156<br />
5
Vorwort<br />
Chronische Erkrankungen und <strong>Selbsthilfe</strong><br />
Die Situation chronisch kranker und beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ter K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> ist e<strong>in</strong> wichtiges<br />
Thema <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Selbsthilfe</strong>. Oftmals suchen betroffene Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler sowie<br />
<strong>der</strong>en Eltern Rat bei Gleichbetroffenen, wenn es um die Bewältigung des Schulalltags<br />
geht. Immer wie<strong>der</strong> gilt es, beson<strong>der</strong>e Situationen zu meistern, seien es e<strong>in</strong> Ausflug,<br />
e<strong>in</strong>e Klassenfahrt, die Anfor<strong>der</strong>ungen des Sportunterrichts o<strong>der</strong> aber beispielsweise e<strong>in</strong>e<br />
erkrankungskonforme Ernährung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>.<br />
Da vielfach auch die Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer Neuland betreten, wenn es darum geht,<br />
chronisch kranken und beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>in</strong> <strong>der</strong> Klasse gerecht zu werden, ist es <strong>von</strong><br />
großer Bedeutung, dass sich die Beteiligten <strong>in</strong>tensiv mit den vorhandenen Problemstellungen,<br />
aber auch mit e<strong>in</strong>fach umsetzbaren Lösungsansätzen ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen.<br />
Dies ist <strong>der</strong> Ausgangspunkt des Projekts „<strong>Wir</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>“.<br />
Die Ursprungsversionen <strong>der</strong> 58 Krankheitsbeschreibungen wurden <strong>von</strong> <strong>in</strong>sgesamt<br />
30 Studierenden <strong>der</strong> Universität Siegen <strong>in</strong> verschiedenen Lehrveranstaltungen zu chronischen<br />
Erkrankungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> erstellt. Dazu wurde e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>heitliches, auf den<br />
Informationsbedarf <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> abgestelltes Strukturierungsraster zugrunde gelegt.<br />
Da <strong>der</strong> Umfang nur grob vorgegeben war, variieren die Beschreibungen – unabhängig<br />
<strong>von</strong> dem Bekanntheitsgrad <strong>der</strong> Krankheitsbil<strong>der</strong> – etwas <strong>in</strong> ihrer Ausführlichkeit. Die<br />
Qualität <strong>der</strong> Ausführungen wurde zunächst abgesichert durch:<br />
· acht Ärzt<strong>in</strong>nen und Ärzte bzgl. <strong>der</strong> mediz<strong>in</strong>ischen Korrektheit,<br />
· 68 angehende und vier erfahrene Lehrkräfte bzgl. des Nutzens für den<br />
Schulalltag,<br />
· fünf weitere Personen bzgl. e<strong>in</strong>zelner klärungsbedürftiger Aspekte.<br />
Somit waren bereits 115 Personen an <strong>der</strong> Entstehung <strong>der</strong> Broschüre beteiligt, bevor die<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>verbände ihre Reflexionen zum Thema e<strong>in</strong>gebracht haben, e<strong>in</strong> Beispiel für<br />
gute <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Zusammenarbeit.<br />
Die nachfolgenden Informationen spiegeln somit die Erkenntnisse wi<strong>der</strong>, die <strong>in</strong> den<br />
verschiedenen <strong>Selbsthilfe</strong>organisationen chronisch kranker und beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ter Menschen<br />
zum Thema „<strong>Wir</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>“ zusammengestellt wurden.<br />
Die Krankheitsbeschreibungen sollen e<strong>in</strong>en wichtigen Beitrag dazu leisten, die Informationslage<br />
<strong>von</strong> Eltern und Lehrkräften zu verbessern, aber auch die Kooperation zwischen<br />
<strong>Schule</strong>n und <strong>Selbsthilfe</strong>organisationen zu stärken.<br />
Dr. Mart<strong>in</strong> Danner<br />
(Geschäftsführer <strong>BAG</strong> SELBSTHILFE)<br />
7
Vorwort<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit e<strong>in</strong>er chronischen Erkrankung <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Klasse –<br />
wie gehe ich damit um?<br />
Chronische Erkrankungen und <strong>Schule</strong><br />
Stellen Sie sich folgende Situation vor:<br />
Sie übernehmen e<strong>in</strong>e neue Klasse <strong>von</strong> 25 K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und schauen bei Ihrer Vorbereitung<br />
<strong>in</strong> die Schülerakten. Sie f<strong>in</strong>den für mehrere K<strong>in</strong><strong>der</strong> H<strong>in</strong>weise auf e<strong>in</strong>e chronische Erkrankung:<br />
· Jessica hat schweres allergisches Asthma,<br />
· Achmed hat die sog. Bluterkrankheit (Hämophilie),<br />
· Lew<strong>in</strong> hat e<strong>in</strong>e Erkrankung, <strong>der</strong>en Name Sie kaum aussprechen können:<br />
Osteogenesis imperfecta,<br />
· Paula und Roland haben e<strong>in</strong> Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom<br />
(ADHS).<br />
Die Zahl <strong>von</strong> fünf betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Klasse ist durchaus realistisch. In Studien<br />
ermittelte Anteile <strong>von</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen mit chronischen Erkrankungen reichen<br />
je nach E<strong>in</strong>schlusskriterien <strong>von</strong> zehn bis h<strong>in</strong> zu 40 Prozent (Seiffge-Krenke, 2006, S. 74).<br />
Am häufigsten wird e<strong>in</strong> Vorkommen <strong>von</strong> 10–15 Prozent genannt (Hoß & Maier, 2013,<br />
S. 5).<br />
Nun fällt Ihnen vielleicht auf, dass Sie we<strong>der</strong> im Studium noch bei anschließenden Fortbildungen<br />
auf diese Situation vorbereitet wurden, und Sie überlegen, wie Sie sich auf<br />
die Beson<strong>der</strong>heiten dieser K<strong>in</strong><strong>der</strong> e<strong>in</strong>stellen können. Dabei sollen Ihnen die folgenden<br />
alphabetisch geordneten Krankheitsbeschreibungen helfen. Die allgeme<strong>in</strong>e Devise im<br />
Umgang mit Betroffenen sollte se<strong>in</strong>: „So viel Normalität wie möglich, aber auch so viel<br />
Rücksichtnahme wie nötig.“ Um diese Devise umzusetzen, muss aber herausgefunden<br />
werden, welcher <strong>in</strong>dividuelle Unterstützungsbedarf besteht (z. B. Nachteilsausgleiche,<br />
Schulbegleitung).<br />
Betroffene K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche s<strong>in</strong>d nicht nur durch ihre chronische Erkrankung<br />
belastet, son<strong>der</strong>n sie weisen auch e<strong>in</strong> zwei- bis dreifach erhöhtes Risiko auf, <strong>in</strong>folge<br />
erkrankungsbed<strong>in</strong>gter psychosozialer Belastungen psychische Störungen zu entwickeln,<br />
wie z. B. Aufmerksamkeitsprobleme, sozialer Rückzug und Ängstlichkeit/Depressivität<br />
(P<strong>in</strong>quart, 2013, S. 55).<br />
E<strong>in</strong>e Analyse <strong>von</strong> knapp 1.200 Studien ergab, dass chronisch kranke K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche<br />
teils deutlich schlechtere Schulnoten erhalten als ihre „gesunden“ Mitschüler<strong>in</strong>nen<br />
und Mitschüler. Dies machte je nach Krankheitsbild e<strong>in</strong>en Unterschied <strong>von</strong> bis<br />
zu e<strong>in</strong>er Notenstufe aus (z. B. bei Zerebralparese und offenem Rücken, P<strong>in</strong>quart & Teubner,<br />
2011). Dabei nimmt die Mehrheit <strong>der</strong> chronisch kranken K<strong>in</strong><strong>der</strong> völlig unauffällig<br />
am Schulalltag e<strong>in</strong>er Regelschule teil. Nur relativ wenige chronisch kranke K<strong>in</strong><strong>der</strong> s<strong>in</strong>d<br />
so stark betroffen, dass ihre Teilhabe <strong>in</strong> <strong>Schule</strong>, Freizeit und Gesellschaft e<strong>in</strong>geschränkt<br />
ist. E<strong>in</strong>ige betroffene K<strong>in</strong><strong>der</strong> weisen bzgl. <strong>Schule</strong> subtile, oftmals nicht sofort bemerkte<br />
Probleme <strong>in</strong> <strong>der</strong> kognitiven, aufmerksamkeitsbezogenen und/o<strong>der</strong> sozial-emotionalen<br />
Entwicklung auf.<br />
8
Diese Probleme begründen zwar nicht unmittelbar e<strong>in</strong>en son<strong>der</strong>pädagogischen För<strong>der</strong>bedarf,<br />
erschweren aber das Zurechtkommen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Regelklasse. Dem Inklusionsansatz<br />
zufolge müssen aber auch diese betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong> die Möglichkeit bekommen,<br />
optimal geför<strong>der</strong>t zu werden, damit sie nicht <strong>in</strong> das „Niemandsland“ zwischen Regelschul-<br />
und För<strong>der</strong>schulsystem fallen (Speckemeier 2014) und damit zu „Inklusionsverlierern“<br />
werden (Schmid, 2014).<br />
E<strong>in</strong>e Befragung <strong>von</strong> Lehrkräften (Schreiber, 2014) zu hilfreichen Materialien ergab: E<strong>in</strong>e<br />
entsprechende Handreichung für Lehrkräfte sollte möglichst kurz, handlich und übersichtlich<br />
gestaltet se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>e Auflistung <strong>der</strong> chronischen Erkrankungen und Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen<br />
enthalten sowie <strong>der</strong>en Krankheitsbil<strong>der</strong> und Symptome beschreiben. Diesem<br />
Anliegen haben wir bei <strong>der</strong> Erarbeitung <strong>der</strong> 58 Krankheitsbeschreibungen versucht zu<br />
entsprechen. Für e<strong>in</strong>gehen<strong>der</strong>e Informationen können Sie sich dann an die <strong>Selbsthilfe</strong>organisationen<br />
wenden und z. B. die beiden folgenden Webseiten besuchen; sie enthalten<br />
neben <strong>der</strong> Beschreibung <strong>von</strong> Krankheitsbil<strong>der</strong>n auch Informationen zum Schulrecht<br />
und zum Nachteilsausgleich:<br />
· www.kl<strong>in</strong>ikschule-freiburg.de/files/chronischkrank<br />
Projekt <strong>der</strong> Robert-Bosch-Stiftung <strong>in</strong> Baden-Württemberg<br />
· www.schuleundkrankheit.de<br />
Projekt <strong>der</strong> Universität Potsdam<br />
Falls Sie e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d mit e<strong>in</strong>er seltenen Erkrankung (Vorkommen höchstens 1 <strong>von</strong> 2.000)<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Klasse haben, ist die Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen e. V. (ACHSE) e<strong>in</strong><br />
geeigneter Ansprechpartner: www.achse-onl<strong>in</strong>e.de<br />
Prof. Dr. Elisabeth Sticker<br />
(Universität Siegen, Universität zu Köln)<br />
Literatur<br />
Hoß, K. & Maier, R. (2013). Mediz<strong>in</strong>ische Grundlagen. In M. P<strong>in</strong>quart (Hrsg.) (2013). Wenn K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche<br />
körperlich chronisch krank s<strong>in</strong>d (S.1–16). Berl<strong>in</strong>: Spr<strong>in</strong>ger.<br />
P<strong>in</strong>quart, M. (2013). Auswirkungen chronischer Erkrankungen auf die psychische Gesundheit <strong>von</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
und Jugendlichen. In M. P<strong>in</strong>quart (Hrsg.) (2013). Wenn K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche körperlich chronisch krank<br />
s<strong>in</strong>d (S. 49–65). Berl<strong>in</strong>: Spr<strong>in</strong>ger.<br />
P<strong>in</strong>quart, M. & Teubert, D. (2012). Academic, Physical and Social Function<strong>in</strong>g of Children and Adolescents<br />
with Chronic Physical Illness: A Meta-Analysis. Journal of Pediatric Psychology, Jg. 37, S. 376–389.<br />
Schmid, R. (2012). Bei den Inklusionsverlierern geht die große Angst um. K<strong>in</strong><strong>der</strong>-Spezial, Nr. 49, S. 2–3.<br />
Schreiber, I. (2014). Auswertung e<strong>in</strong>es Fragebogens und zweier Lehrerhandreichungen. Ausarbeitung<br />
zur Lehrveranstaltung „Chronisch kranke K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Trauerbegleitung im Kontext <strong>Schule</strong>“ im W<strong>in</strong>tersemester<br />
2013/14 an <strong>der</strong> Universität Siegen.<br />
Seiffge-Krenke, I. (2006). Chronisch krank und auch noch psychisch bee<strong>in</strong>trächtigt? Die Ergebnisse e<strong>in</strong>er neuen<br />
Literaturrecherche. Praxis <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>psychologie und K<strong>in</strong><strong>der</strong>psychiatrie, Jg. 55, S. 73–90.<br />
Speckemeier, Ch. (2014). Entwicklung e<strong>in</strong>es Fragebogens zur Erfassung des Bedarfs an Überwachung, Unterstützung<br />
und Betreuung <strong>von</strong> chronisch kranken K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>in</strong> Regelschulen. Masterthesis im Studiengang<br />
Gesundheitsökonomie. Universität zu Köln.<br />
9
Danksagung<br />
Unser herzlicher Dank für die engagierte Mitarbeit an dieser Broschüre gilt neben<br />
den Verantwortlichen <strong>der</strong> beteiligten <strong>Selbsthilfe</strong>-/Patientenorganisationen 115 weiteren<br />
Personen:<br />
· 30 Studierenden mehrerer an <strong>der</strong> Universität Siegen durchgeführter Lehrveranstaltungen<br />
zum Thema „Chronisch kranke K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>“, die<br />
die ersten Entwürfe <strong>der</strong> Krankheitsbeschreibungen erstellt haben,<br />
· acht Ärzt<strong>in</strong>nen und Ärzten, die die Krankheitsbeschreibungen h<strong>in</strong>sichtlich<br />
ihrer mediz<strong>in</strong>ischen Korrektheit überprüft haben,<br />
· 68 Grundschul-Lehramtsanwärter<strong>in</strong>nen und -anwärtern sowie vier erfahrenen<br />
Lehrer<strong>in</strong>nen, die die Texte h<strong>in</strong>sichtlich ihres praktischen Nutzens für den Schulalltag<br />
optimiert haben, sowie<br />
· fünf weiteren Personen aus <strong>der</strong> <strong>Selbsthilfe</strong> und <strong>von</strong> <strong>der</strong> Deutschen Sporthochschule<br />
Köln, die mit ihrer Expertise bei klärungsbedürftigen Aspekten zusätzlich zurate gezogen<br />
wurden.<br />
10
Nachteilsausgleiche für Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler<br />
mit chronischen Erkrankungen und Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen<br />
Sowohl das Grundgesetz <strong>der</strong> Bundesrepublik <strong>Deutschland</strong><br />
(Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG) als auch die Verfassungen<br />
<strong>der</strong> Bundeslän<strong>der</strong> verbieten e<strong>in</strong>e Benachteiligung<br />
aufgrund e<strong>in</strong>er Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung. Rechtlich besteht e<strong>in</strong> Gebot<br />
<strong>der</strong> Chancengleichheit. Mit Ratifizierung <strong>der</strong> UN-<br />
Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>tenrechtskonvention durch die Bundesrepublik<br />
<strong>Deutschland</strong> s<strong>in</strong>d darüber h<strong>in</strong>aus alle Träger <strong>der</strong> öffentlichen<br />
Gewalt verpflichtet worden, die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />
für e<strong>in</strong> <strong>in</strong>klusives Bildungswesen zu schaffen.<br />
In § 126 SGB IX (Neuntes Buch „Rehabilitation und Teilhabe<br />
beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ter Menschen“ des Sozialgesetzbuchs)<br />
wird zum Nachteilsausgleich Folgendes bestimmt: „Die<br />
Vorschriften über Hilfen für beh<strong>in</strong><strong>der</strong>te Menschen zum<br />
Ausgleich beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gter Nachteile o<strong>der</strong> Mehraufwendungen<br />
(Nachteilsausgleich) werden so gestaltet,<br />
dass sie unabhängig <strong>von</strong> <strong>der</strong> Ursache <strong>der</strong> Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />
Art o<strong>der</strong> Schwere <strong>der</strong> Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung Rechnung tragen.“<br />
Dieser Gedanke liegt auch § 35a SGB VIII („K<strong>in</strong><strong>der</strong>und<br />
Jugendhilfe“) sowie § 53 und § 54 SGB XII („Sozialhilfe“)<br />
zugrunde.<br />
Im Übrigen gelten die Regelungen <strong>der</strong> Schulgesetze <strong>der</strong><br />
e<strong>in</strong>zelnen Bundeslän<strong>der</strong> und <strong>der</strong>en Ausführungsbestimmungen.<br />
Bezogen auf den schulischen Kontext ist die<br />
Gewährung e<strong>in</strong>es Nachteilsausgleichs e<strong>in</strong> überwiegend<br />
pädagogischer Prozess und kann nur <strong>in</strong> ger<strong>in</strong>gem Maße<br />
juristisch e<strong>in</strong>gefor<strong>der</strong>t werden.<br />
H<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Beschulung <strong>von</strong> Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern<br />
mit chronischen Erkrankungen und Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen<br />
gilt zum e<strong>in</strong>en, dass die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen im Unterricht<br />
und bei <strong>der</strong> Erbr<strong>in</strong>gung <strong>von</strong> Leistungsnachweisen so<br />
auszugestalten s<strong>in</strong>d, dass körperliche o<strong>der</strong> kognitive E<strong>in</strong>schränkungen<br />
nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Teilhabe an<br />
Bildung umschlagen. Zum an<strong>der</strong>en sollte <strong>der</strong> Leitspruch<br />
gelten: „So viel Normalität wie möglich, so viel Unterstützung<br />
wie nötig.“<br />
Vor diesem H<strong>in</strong>tergrund ist auch die Erstellung <strong>von</strong> Maßnahmen<br />
des Nachteilsausgleichs für betroffene Schüler<strong>in</strong>nen<br />
und Schüler zu sehen. Es kommt dabei stets auf e<strong>in</strong>e<br />
vertrauensvolle Zusammenarbeit <strong>von</strong> Schulleitungen,<br />
Lehrerkollegien, Erziehungsberechtigten sowie betroffenen<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern an.<br />
Zielsetzung <strong>von</strong> Nachteilsausgleichen ist es, dass den betroffenen<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern aufgrund ihrer Bee<strong>in</strong>trächtigungen<br />
ke<strong>in</strong>e Nachteile gegenüber den übrigen<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern entstehen. O<strong>der</strong>, um näher<br />
am Begriff zu bleiben: Nachteilsausgleiche sollen die<br />
aus gesundheitlichen Bee<strong>in</strong>trächtigungen erwachsenen<br />
‚Nachteile ausgleichen‘. Welche konkreten Maßnahmen<br />
zu diesem Zweck ergriffen werden, hängt letztlich <strong>von</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen Situation bzw. den jeweiligen <strong>in</strong>dividuellen<br />
E<strong>in</strong>schränkungen <strong>der</strong> Betroffenen ab. Neben technischen<br />
(z. B. Bereitstellung spezieller Arbeits-/Hilfsmittel),<br />
personellen und organisatorischen (z. B. Verlängerung<br />
<strong>der</strong> Bearbeitungszeit, Gewährung zusätzlicher Pausen)<br />
kommen h<strong>in</strong>sichtlich des <strong>in</strong>dividuellen Entwicklungsstands<br />
durchaus auch sachstrukturelle (z. B. alternative<br />
Präsentation <strong>von</strong> Aufgabenstellungen und Ergebnissen)<br />
Unterstützungsmaßnahmen <strong>in</strong>frage. Grundsätzlich s<strong>in</strong>d<br />
bei <strong>der</strong> Erstellung <strong>von</strong> Ausgleichsmaßnahmen dem Ideenreichtum<br />
ke<strong>in</strong>e Grenzen gesetzt – solange die Maßnahmen<br />
geeignet s<strong>in</strong>d, Chancengleichheit herzustellen.<br />
Ausgleichsmaßnahmen dürfen selbstverständlich nicht<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Bevorteilung <strong>der</strong> betroffenen Schüler<strong>in</strong>nen und<br />
Schüler umschlagen, son<strong>der</strong>n müssen ihren Bee<strong>in</strong>trächtigungen<br />
angemessen Rechnung tragen und daraus resultierende<br />
Nachteile ausgleichen, ohne jedoch bei <strong>der</strong> Leistungsermittlung<br />
die fachlichen Anfor<strong>der</strong>ungen ger<strong>in</strong>ger<br />
zu bemessen. Die Lern- und Leistungsanfor<strong>der</strong>ungen des<br />
jeweiligen Bildungsgangs s<strong>in</strong>d natürlich e<strong>in</strong>zuhalten.<br />
Nachteilsausgleiche können <strong>in</strong> allen Schulformen gewährt<br />
werden. Sie s<strong>in</strong>d nicht nur auf das Vorliegen chronischer<br />
Erkrankungen und Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen beschränkt,<br />
son<strong>der</strong>n können auch bei vorübergehenden gesundheitlichen<br />
Bee<strong>in</strong>trächtigungen (z. B. bei e<strong>in</strong>em Armbruch)<br />
erwogen werden. Ausschlaggebend für e<strong>in</strong>en Anspruch<br />
auf Nachteilsausgleich ist weniger das (bloße) Vorliegen<br />
e<strong>in</strong>er gesundheitlichen Bee<strong>in</strong>trächtigung, chronischen<br />
Erkrankung o<strong>der</strong> Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung; e<strong>in</strong> Anspruch ergibt sich<br />
vielmehr aus den damit e<strong>in</strong>hergehenden Auswirkungen<br />
auf die <strong>in</strong>dividuellen Entwicklungs- und Lernprozesse.<br />
Dementsprechend ist die Gewährung e<strong>in</strong>es Nachteilsausgleichs<br />
auch nicht an das Vorliegen e<strong>in</strong>es Schwerbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>tenausweises<br />
o<strong>der</strong> an die Feststellung e<strong>in</strong>es son<strong>der</strong>pädagogischen<br />
För<strong>der</strong>bedarfs gebunden.<br />
11
Nachteilsausgleiche für Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler mit chronischen Erkrankungen und Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen<br />
In den meisten Bundeslän<strong>der</strong>n erfolgt die Gewährung<br />
e<strong>in</strong>es Nachteilsausgleichs auf (formlosen) schriftlichen<br />
Antrag <strong>der</strong> Erziehungsberechtigten o<strong>der</strong> <strong>der</strong> unterrichtenden<br />
Lehrkräfte bei den Schulleitungen. Der Antragsbegründung<br />
sollten Nachweise über e<strong>in</strong>e entsprechende<br />
mediz<strong>in</strong>ische Diagnose o<strong>der</strong> über e<strong>in</strong>en son<strong>der</strong>pädagogischen<br />
För<strong>der</strong>bedarf beigefügt werden. Auch empfiehlt<br />
es sich, bereits bei <strong>der</strong> Antragstellung die Auswirkungen<br />
<strong>der</strong> vorübergehenden Bee<strong>in</strong>trächtigung, chronischen Erkrankung<br />
o<strong>der</strong> Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung auf das schulische Leistungsvermögen<br />
des betroffenen K<strong>in</strong>des darzulegen. Über die<br />
Gewährung sowie über Art und Umfang e<strong>in</strong>es Nachteilsausgleichs<br />
entscheiden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel die Schulleitungen<br />
<strong>in</strong> Absprache mit den unterrichtenden Lehrkräften. Bei<br />
Prüfungen – <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e bei zentralen Abschlussprüfungen<br />
– gelten meist geson<strong>der</strong>te Regelungen.<br />
H<strong>in</strong>weise zum je nach Bundesland unterschiedlichen Vorgehen<br />
f<strong>in</strong>den sich unter:<br />
www.schuleundkrankheit.de/Nachteilsausgleich<br />
Da vielen Erziehungsberechtigten die Möglichkeit <strong>der</strong><br />
Gewährung e<strong>in</strong>es Nachteilsausgleichs nicht bekannt ist,<br />
sollten Lehrkräfte ggf. auf diese Option aufmerksam<br />
machen.<br />
12
Chronische Erkrankungen<br />
und Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen <strong>von</strong> A bis Z<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Behandlung<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisationen<br />
Weitere Internetadressen<br />
13
14
Achondroplasie<br />
Achondroplasie ist die häufigste <strong>der</strong> rund 650 Formen des Kle<strong>in</strong>wuchses.<br />
Sie ist e<strong>in</strong>e genetisch bed<strong>in</strong>gte Entwicklungsstörung des Knorpel- und<br />
Knochengewebes. Achondroplasie ist e<strong>in</strong>e Skelettdysplasie (Entwicklungsstörung<br />
des Skeletts) und betrifft ca. e<strong>in</strong>e <strong>von</strong> 20.000 Geburten.<br />
Mit weltweit über 250.000 betroffenen Menschen ist sie e<strong>in</strong>e seltene<br />
Erkrankung.<br />
In <strong>Deutschland</strong> werden jedes Jahr 40–45 K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit Achondroplasie geboren.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Äußerliche Symptome <strong>der</strong> Achondroplasie s<strong>in</strong>d kurze<br />
Oberarme und Oberschenkel, kle<strong>in</strong>e, oft breitere Hände<br />
und Füße und <strong>in</strong> Relation dazu e<strong>in</strong> langer Rumpf. Hüftund<br />
Ellenbogengelenke können nicht ganz gestreckt,<br />
F<strong>in</strong>ger-, Knie- und Fußgelenke h<strong>in</strong>gegen überstreckt<br />
werden. Aufgrund des verkle<strong>in</strong>erten Brustkorbs kommt<br />
es häufig zu Atembee<strong>in</strong>trächtigungen. Die Enge im<br />
Nasen-Rachen-Raum verursacht häufig Infekte, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />
<strong>der</strong> oberen Atemwege. Auch Mittelohrentzündungen<br />
können auftreten. Die Gehirnflüssigkeit (Liquor)<br />
fließt aufgrund <strong>der</strong> Enge des <strong>Wir</strong>belkanals schlecht<br />
bzw. kaum ab. Bereits <strong>in</strong> frühester K<strong>in</strong>dheit sollte auf<br />
Hörstörungen geachtet werden, da diese die Sprachentwicklung<br />
bee<strong>in</strong>trächtigen können. Aufgrund des<br />
engen <strong>Wir</strong>belkanals treten gehäuft Rückenbeschwerden<br />
sowie e<strong>in</strong>e verzögerte und langsamere körperliche<br />
Entwicklung (z. B. verzögertes Lernen <strong>von</strong> Sitzen<br />
und Gehen) auf. Die kürzeren Arme und die ger<strong>in</strong>gere<br />
Streckbarkeit <strong>der</strong> Ellenbogen bed<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong>en wesentlich<br />
ger<strong>in</strong>geren Greifradius. Auch können die K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
schneller ermüden. Da<strong>von</strong> abgesehen entwickeln sie sich<br />
jedoch völlig normal, auch die Intelligenz ist nicht bee<strong>in</strong>trächtigt.<br />
Es treten unterschiedlich stark ausgeprägte<br />
Be<strong>in</strong>achsenverän<strong>der</strong>ungen auf (z. B. O- o<strong>der</strong> X-Be<strong>in</strong>e). Die<br />
Verbiegung <strong>der</strong> <strong>Wir</strong>belsäule führt bei e<strong>in</strong>igen Menschen<br />
zu e<strong>in</strong>er Wölbung <strong>der</strong> <strong>Wir</strong>belsäule nach außen (Kyphose)<br />
und gleichzeitig zu e<strong>in</strong>em Hohlkreuz (Hyperlordose). Das<br />
Wachstum endet <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel bei ca. 120–140 cm.<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Schon früh wurde vermutet, dass Achondroplasie auf <strong>der</strong><br />
Mutation e<strong>in</strong>es Gens beruht. Seit 1996 ist die Ursache<br />
bekannt: Der Achondroplasie liegt <strong>in</strong> über 95 Prozent<br />
<strong>der</strong> Fälle die identische Mutation <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erbanlage des<br />
Fibroblastenwachstumsfaktor-Rezeptors Nr. 3 (FGFR 3)<br />
zugrunde. Bei e<strong>in</strong>er normalen Knorpelzelle sitzt an <strong>der</strong> Zell-<br />
oberfläche e<strong>in</strong>e Art Rezeptor. Dieser fängt das Wachstumssignal<br />
e<strong>in</strong> und leitet es <strong>in</strong> das Zell<strong>in</strong>nere weiter. Auch bei <strong>der</strong><br />
Achondroplasie sitzt <strong>der</strong> Rezeptor an <strong>der</strong> Zelloberfläche,<br />
ist jedoch durch den Austausch <strong>von</strong> Glyc<strong>in</strong> gegen Arg<strong>in</strong><strong>in</strong><br />
(Am<strong>in</strong>osäuren) so verän<strong>der</strong>t, dass er das „Wachstumssignal”<br />
nicht <strong>in</strong> die Zelle weiterleiten kann. Dies führt zu e<strong>in</strong>er<br />
unzureichenden Teilung <strong>der</strong> Knorpelzellen. Da die restlichen,<br />
für die Herstellung verschiedener Rezeptoren verantwortlichen<br />
Gene nicht betroffen s<strong>in</strong>d, entwickeln sich<br />
an<strong>der</strong>e Gewebe und Organe wie Gehirn, Lunge, Herz<br />
und Leber völlig normal. Achondroplasie wird autosomaldom<strong>in</strong>ant<br />
vererbt.<br />
Die Diagnose <strong>der</strong> Achondroplasie beruht zum e<strong>in</strong>en auf<br />
dem typischen kl<strong>in</strong>ischen Ersche<strong>in</strong>ungsbild und wird<br />
zum an<strong>der</strong>en per DNA-Analyse abgesichert. In manchen<br />
Fällen kann vor <strong>der</strong> Geburt per Ultraschall e<strong>in</strong>e Verdachtsdiagnose<br />
gestellt werden.<br />
Menschen mit Achondroplasie haben e<strong>in</strong>e normale Lebenserwartung.<br />
Allerd<strong>in</strong>gs wird das Leben mit fortschreitendem<br />
Alter beschwerlicher, da die typischen Merkmale<br />
und E<strong>in</strong>schränkungen zunehmen.<br />
Behandlung<br />
Eltern sollten ihr K<strong>in</strong>d schon sehr früh psychisch stärken<br />
und dabei unterstützen, e<strong>in</strong>e stabile „<strong>in</strong>nere Größe“ aufzubauen.<br />
Dazu gehört, die Eigen<strong>in</strong>itiative und Selbstständigkeit<br />
<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> gezielt zu för<strong>der</strong>n. So sollten die K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Familie, im K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten, <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> und <strong>von</strong> Ärzt<strong>in</strong>nen<br />
und Ärzten nicht ihrer Größe, son<strong>der</strong>n ihrem Alter<br />
entsprechend behandelt werden. E<strong>in</strong>e Heilung im S<strong>in</strong>ne<br />
des Erreichens e<strong>in</strong>er durchschnittlichen Körpergröße gibt<br />
es bei Achondroplasie nicht, da die Körperproportionen<br />
nicht denen <strong>der</strong> „Normalwüchsigen” angeglichen werden<br />
können. Die betroffenen Menschen zeigen unterschiedliche<br />
Symptome <strong>in</strong> den verschiedenen Lebensabschnitten<br />
und Auswirkungen des Krankheitsbildes. Daraus ergibt<br />
sich e<strong>in</strong> unterschiedlicher Therapiebedarf, <strong>der</strong> im Säugl<strong>in</strong>gsalter<br />
am größten ist.<br />
15
Achondroplasie<br />
Neben den Therapieformen Vojta, Bobath und Osteopathie<br />
können auch an<strong>der</strong>e Therapieformen, wie z. B. therapeutisches<br />
Reiten o<strong>der</strong> Psychomotorik, <strong>von</strong> größter Bedeutung<br />
se<strong>in</strong>.<br />
Bewegung und regelmäßiger Sport (Radfahren/Schwimmen)<br />
bieten sich sowohl für K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche als auch<br />
für Erwachsene zur Stärkung <strong>der</strong> Gesamtmuskulatur an.<br />
Schulungsprogramm:<br />
Der Bundesverband Kle<strong>in</strong>wüchsige Menschen und ihre<br />
Familien e. V. (BKMF) schult Eltern und Betroffene und<br />
klärt Therapeut<strong>in</strong>nen und Therapeuten, Lehrkräfte sowie<br />
Erzieher<strong>in</strong>nen und Erzieher auf. Für die umfangreiche Beratung<br />
und Information zum Thema steht dem BKMF e<strong>in</strong><br />
Wissenschaftlicher Beirat zur Verfügung.<br />
eMaterialien für Lehrkräfte<br />
Spezifisches Informationsmaterial für Lehrkräfte gibt es<br />
bei <strong>der</strong> <strong>Selbsthilfe</strong>. Gespräche mit den Eltern s<strong>in</strong>d hilfreich,<br />
da diese <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel die meisten Informationen<br />
zu dem Krankheitsbild haben und bei Problemlösungen<br />
schnell helfen können.<br />
Umfangreiches Informationsmaterial kann bei <strong>der</strong> <strong>Selbsthilfe</strong>,<br />
z. B. beim Bundesverband Kle<strong>in</strong>wüchsige Menschen<br />
und ihre Familien e. V. (BKMF) und beim Bundesselbsthilfe-<br />
Verband Kle<strong>in</strong>wüchsiger Menschen e. V. (VKM), bezogen<br />
werden.<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisationen<br />
Bundesverband Kle<strong>in</strong>wüchsige Menschen<br />
und ihre Familien e. V. (BKMF)<br />
www.bkmf.de<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
E<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge Körpergröße hat nichts mit verm<strong>in</strong><strong>der</strong>ter<br />
Intelligenz zu tun. E<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>wüchsiges K<strong>in</strong>d soll<br />
nicht aufgrund se<strong>in</strong>er Körpergröße zurückgestuft<br />
werden. Die Schulfähigkeit muss an <strong>der</strong> kognitiven<br />
Reife gemessen werden.<br />
Kle<strong>in</strong>wüchsige K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche brauchen,<br />
sofern sie ke<strong>in</strong>e Rollstuhlfahrer s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel<br />
wenige Hilfsmittel <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>. Es reichen e<strong>in</strong>ige<br />
Umbauten im sanitären Bereich, e<strong>in</strong> geeigneter Stuhl<br />
(um bspw. die Tafel und an<strong>der</strong>e schwer zugängliche<br />
Gegenstände zu erreichen bzw. zu gebrauchen) und<br />
klare Regelungen. Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> benötigen Verständnis,<br />
aber ke<strong>in</strong> Mitleid. Hilfsbereite Mitschüler<strong>in</strong>nen und<br />
Mitschüler sowie Lehrkräfte können die Weichen<br />
für e<strong>in</strong> späteres selbstbewusstes Leben stellen. Den<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und ihren Familien muss durch Vermittlung<br />
sozialer Hilfen und den H<strong>in</strong>weis auf nützliche Informationen<br />
geholfen werden. Es sollten stets die <strong>in</strong>dividuellen<br />
Bedürfnisse bei <strong>der</strong> o<strong>der</strong> dem Betroffenen<br />
erfragt und berücksichtigt werden.<br />
Mit <strong>der</strong> Bereitstellung e<strong>in</strong>es zweiten Schulbuchsatzes<br />
für den Gebrauch zu Hause kann den Betroffenen<br />
<strong>der</strong> Schulalltag erheblich erleichtert werden, da das<br />
Tragen zu schwerer Schultaschen e<strong>in</strong>e starke Belastung<br />
darstellen kann.<br />
Die meisten kle<strong>in</strong>wüchsigen K<strong>in</strong><strong>der</strong> haben viel Freude<br />
an Bewegung. Sie können bei fast allen Sportarten<br />
aktiv mitmachen – bei <strong>der</strong> Leistungsbewertung sollte<br />
allerd<strong>in</strong>gs ihre ger<strong>in</strong>gere Körpergröße berücksichtigt<br />
werden.<br />
Die an<strong>der</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong> sollten <strong>von</strong> den betroffenen<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern (und ggf. <strong>von</strong> <strong>der</strong>en<br />
Eltern) über mögliche E<strong>in</strong>schränkungen aufgeklärt<br />
werden und dementsprechend vorsichtig im<br />
Umgang mit den Betroffenen se<strong>in</strong>. Stets sollte darauf<br />
geachtet werden, die betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
und Jugendlichen ihrem Alter entsprechend zu behandeln.<br />
BundesselbsthilfeVerband<br />
Kle<strong>in</strong>wüchsiger Menschen e. V. (VKM)<br />
www.kle<strong>in</strong>wuchs.de<br />
Kontaktgruppe Eltern kle<strong>in</strong>wüchsiger K<strong>in</strong><strong>der</strong>:<br />
www.kle<strong>in</strong>wuchs-elterngruppe.de<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.eurordis.org/de/content/achondroplasie-e<strong>in</strong>erwelt-mit-grossen-leben<br />
Die Kontaktgruppe Eltern kle<strong>in</strong>wüchsiger K<strong>in</strong><strong>der</strong> benutzt vorwiegend<br />
das Informationsmaterial des Bundesverbands Kle<strong>in</strong>wüchsige Menschen<br />
und ihre Familien e. V. (BKMF), da viele Mitglie<strong>der</strong> aus dieser Gruppe<br />
gleichzeitig dort Mitglied s<strong>in</strong>d. Bei Informationsbedarf ist es deshalb zu<br />
empfehlen, die Materialien direkt beim BKMF zu bestellen, da sie dort<br />
auch ständig aktualisiert werden.<br />
16
Adipositas<br />
Unter Adipositas wird e<strong>in</strong> extremes Übergewicht verstanden. Es tritt meistens<br />
<strong>in</strong> <strong>in</strong>dustrialisierten Län<strong>der</strong>n auf, <strong>in</strong> denen nur noch wenige Menschen<br />
harte körperliche Arbeit verrichten und Nahrung im Überfluss vorhanden<br />
ist. Ob Übergewicht o<strong>der</strong> Adipositas vorliegt, lässt sich mithilfe des Körper-<br />
Massen-Index (BMI = Körpergewicht <strong>in</strong> kg/Körpergröße <strong>in</strong> m²) feststellen.<br />
Er liegt für Übergewicht bei 25 bis 29,9, für Adipositas bei m<strong>in</strong>destens 30.<br />
Laut Ernährungsbericht 2013 <strong>der</strong> Deutschen Gesellschaft für Ernährung<br />
(DGE) e. V. waren im Zeitraum <strong>von</strong> 2008 bis 2011 67 Prozent <strong>der</strong> Männer<br />
und 53 Prozent <strong>der</strong> Frauen <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> übergewichtig. Knapp e<strong>in</strong> Viertel<br />
<strong>der</strong> Frauen und Männer war adipös. Die „Studie zur Gesundheit <strong>von</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
und Jugendlichen <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong>“ (KiGGS, 2003–2006) zeigt, dass 15 Prozent<br />
übergewichtig s<strong>in</strong>d (da<strong>von</strong> e<strong>in</strong> Drittel adipös), d. h., jedes sechste bis siebte<br />
K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> ist betroffen.<br />
Bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen wird <strong>der</strong> BMI altersspezifisch beurteilt. Man<br />
spricht <strong>von</strong> Übergewicht, wenn das jeweilige Gewicht <strong>in</strong> Wachstumskurven<br />
e<strong>in</strong>er repräsentativen Stichprobe oberhalb <strong>der</strong> 90. Perzentile liegt, also<br />
maximal zehn Prozent <strong>der</strong> Gleichaltrigen umfasst. Der entsprechende Grenzwert<br />
für Adipositas liegt bei <strong>der</strong> 97. Perzentile, umfasst also drei Prozent.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Adipositas ist gekennzeichnet durch e<strong>in</strong>e über das normale<br />
Maß h<strong>in</strong>ausgehende Vermehrung des Körperfettgehalts<br />
mit krankhaften Auswirkungen. Häufig ist das<br />
Körperbild gestört und das Selbstwertgefühl verm<strong>in</strong><strong>der</strong>t.<br />
Aufgrund <strong>der</strong> Sichtbarkeit des Krankheitsbilds und des<br />
damit e<strong>in</strong>hergehenden Diskrim<strong>in</strong>ierungsrisikos kann es zu<br />
sozialer Isolation und Depressionen kommen.<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Ursachen<br />
Für die Entstehung <strong>von</strong> Adipositas ist e<strong>in</strong> Zusammenspiel<br />
mehrerer Faktoren verantwortlich, wobei die verschiedenen<br />
Faktoren unterschiedlich stark ausgeprägt se<strong>in</strong> können:<br />
· Genetische Veranlagung im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Disposition<br />
· Grun<strong>der</strong>krankungen, z. B. Schilddrüsenunterfunktion,<br />
Diabetes<br />
· Lebensbed<strong>in</strong>gungen, z. B. familiärer Stress, zu wenig<br />
Kenntnisse/Interessen bzgl. Gesundheitsfragen<br />
· Aktuelles Verhalten bzgl. Ernährung und Bewegung,<br />
Medienkonsum<br />
Diagnose<br />
Zu Abklärung möglicher Grund- o<strong>der</strong> Begleiterkrankungen<br />
empfiehlt sich e<strong>in</strong>e mediz<strong>in</strong>ische Untersuchung. Um e<strong>in</strong>e<br />
exakte ärztliche Diagnose stellen zu können, werden<br />
neben den körperlichen Grunddaten die Ernährungsgewohnheiten,<br />
die Krankengeschichte und <strong>der</strong> psychische<br />
Allgeme<strong>in</strong>zustand erfragt.<br />
Prognose<br />
Adipositas erhöht das Risiko für e<strong>in</strong>e Reihe an<strong>der</strong>er Krankheiten<br />
wie zum Beispiel koronare Herzkrankheit, Bluthochdruck,<br />
Schlaganfall, Arterienverkalkung, Diabetes<br />
Typ 2, erhöhte Blutfette, Gicht, Thrombose etc. Tritt die<br />
Adipositas <strong>in</strong> Komb<strong>in</strong>ation mit m<strong>in</strong>destens zwei <strong>der</strong> oben<br />
genannten Erkrankungen auf, wird <strong>von</strong> dem metabolischen<br />
Syndrom gesprochen.<br />
Behandlung<br />
Das Körpergewicht muss gesenkt werden, um das Risiko<br />
für Folgeerkrankungen zu m<strong>in</strong>imieren. Nach e<strong>in</strong>er Expertenempfehlung<br />
<strong>der</strong> Deutschen Adipositas-Gesellschaft<br />
sollte bei Adipositas e<strong>in</strong>e Therapie erfolgen. Besteht<br />
„lediglich“ Übergewicht, ist dies dann behandlungsbedürftig,<br />
wenn gleichzeitig übergewichtsbed<strong>in</strong>gte Erkrankungen<br />
wie Diabetes mellitus Typ 2 o<strong>der</strong> Bluthochdruck<br />
vorliegen. Die systematische Behandlung <strong>von</strong> Übergewicht<br />
bzw. Adipositas beruht im Wesentlichen auf den<br />
drei Säulen Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie.<br />
Wichtig ist es, die Ernährung und den Lebensstil<br />
17
Adipositas<br />
langfristig zu än<strong>der</strong>n. Nur <strong>in</strong> beson<strong>der</strong>en Fällen kommen<br />
zusätzlich medikamentöse o<strong>der</strong> chirurgische Maßnahmen<br />
zur Anwendung.<br />
Therapieziele sollten realistisch und dem jeweiligen E<strong>in</strong>zelfall<br />
angemessen se<strong>in</strong>.<br />
Nach e<strong>in</strong>er erfolgreichen Gewichtsreduktion ist es meist<br />
schwierig, das Gewicht zu halten. Häufig kommt es zu e<strong>in</strong>er<br />
noch stärkeren Gewichtszunahme. Nach <strong>der</strong> Gewichtsreduktion<br />
ist e<strong>in</strong>e lebenslange, ausgewogene Ernährung<br />
<strong>in</strong> Komb<strong>in</strong>ation mit Sport anzuraten. Etwa e<strong>in</strong> Drittel <strong>der</strong><br />
Adipösen schafft mit Motivation und konsequenter Behandlung<br />
e<strong>in</strong>e langfristige Gewichtsverm<strong>in</strong><strong>der</strong>ung.<br />
Die Krankenkassen bieten Schulungsprogramme an. Bei<br />
adipösen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n ist auch die Elternschulung wichtig.<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Manche adipösen K<strong>in</strong><strong>der</strong> gehen nur ungern zur <strong>Schule</strong>,<br />
nicht zuletzt, weil sie Hänseleien aus <strong>der</strong> Mitschülerschaft<br />
fürchten. Dies wie<strong>der</strong>um kann – ebenso wie<br />
Unter- o<strong>der</strong> Überfor<strong>der</strong>ung, die es <strong>in</strong> diesem Zusammenhang<br />
beson<strong>der</strong>s zu vermeiden gilt – zu „Frustessen“<br />
führen und die Problematik verstärken. Bei<br />
<strong>der</strong> sozialen und psychischen Stabilisierung adipöser<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlicher hat die <strong>Schule</strong> daher e<strong>in</strong>e<br />
große Bedeutung.<br />
Adipöse K<strong>in</strong><strong>der</strong> möchten – wie alle an<strong>der</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
auch – sich so angenommen fühlen, wie sie s<strong>in</strong>d, und<br />
nicht „auf ihr Körpergewicht reduziert“ und dadurch<br />
diskrim<strong>in</strong>iert werden.<br />
Demzufolge ersche<strong>in</strong>t es gerade für diese K<strong>in</strong><strong>der</strong> beson<strong>der</strong>s<br />
wichtig, dass Lehrkräfte<br />
· für e<strong>in</strong> gutes Klassenklima sorgen. Dazu tragen<br />
Reflexionse<strong>in</strong>heiten mit Übungen zu Perspektivenübernahme<br />
und Empathie bei;<br />
· sich um e<strong>in</strong> gutes Verhältnis zu den betroffenen<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>n bemühen. Dazu tragen persönliche<br />
Gespräche <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er vertraulichen Atmosphäre bei,<br />
die nicht auf die Adipositas fokussiert se<strong>in</strong> sollten,<br />
es sei denn, das K<strong>in</strong>d br<strong>in</strong>gt das Thema selbst zur<br />
Sprache.<br />
Hilfreich kann es auch se<strong>in</strong>, auf konkrete Hilfsangebote<br />
<strong>in</strong> Wohnortnähe h<strong>in</strong>zuweisen (z. B. Schulpsychologischer<br />
Dienst, Familienberatungsstelle, <strong>Selbsthilfe</strong>gruppen).<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisationen<br />
Es wird empfohlen, sich nach regionalen <strong>Selbsthilfe</strong>gruppen<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> nächstgelegenen größeren Stadt zu erkundigen,<br />
um Eltern und K<strong>in</strong><strong>der</strong> ggf. dorth<strong>in</strong> zu verweisen.<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
· Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung<br />
(BZgA) bietet Informationen/Materialien für Lehr- und<br />
Mittlerkräfte an:<br />
www.bzga-essstoerungen.de<br />
· Informationen, Unterstützung und Unterrichtsmaterialien<br />
zu Essstörungen:<br />
www.hungrig-onl<strong>in</strong>e.de/category/lehrer<br />
· Petermann, F., Warschburger, P. (2007). Ratgeber<br />
Übergewicht. Informationen für Betroffene, Eltern,<br />
Lehrer und Erzieher. Gött<strong>in</strong>gen: Hogrefe. 66 S.<br />
· Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung<br />
(BZgA) bietet Informationen/Materialien für Lehrkräfte<br />
an: www.bzga-k<strong>in</strong><strong>der</strong>uebergewicht.de<br />
· Handbuch „Schwere Zeiten... neue Wege... Geme<strong>in</strong>sam<br />
aktiv für die Prävention <strong>von</strong> Übergewicht und<br />
Adipositas <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>“, direkt abrufbar unter:<br />
www.k<strong>in</strong><strong>der</strong>umweltgesundheit.de/<strong>in</strong>dex2/pdf/themen/<br />
Adipositas/Schwere_Zeiten.pdf<br />
· Wabitsch, M., Kunze, D. (fe<strong>der</strong>führend für die AGA).<br />
Konsensbasierte (S2) Leitl<strong>in</strong>ie zur Diagnostik, Therapie<br />
und Prävention <strong>von</strong><br />
Übergewicht und Adipositas im K<strong>in</strong>des- und Jugendalter.<br />
Version 21.11.2014; www.a-g-a.de <strong>der</strong> Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft<br />
Adipositas im K<strong>in</strong>des- und Jugendalter<br />
(AGA), Kapitel 8. Prävention <strong>der</strong> Adipositas im K<strong>in</strong>desund<br />
Jugendalter, S. 94 ff., direkt abrufbar unter:<br />
www.aga.adipositas-gesellschaft.de/fileadm<strong>in</strong>/PDF/<br />
Leitl<strong>in</strong>ien/AGA_S2_Leitl<strong>in</strong>ie.pdf<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.bzga-essstoerungen.de (auch Beratungstelefon)<br />
· www.hungrig-onl<strong>in</strong>e.de<br />
· www.adipositas-onl<strong>in</strong>e.<strong>in</strong>fo<br />
· www.abas-stuttgart.de<br />
· Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft Adipositas im K<strong>in</strong>des- und<br />
Jugendalter (AGA): www.a-g-a.de<br />
· Deutsche Adipositas-Gesellschaft e. V. (DAG):<br />
www.adipositas-gesellschaft.de<br />
· www.k<strong>in</strong><strong>der</strong>aerzte-im-netz.de/krankheiten/uebergewicht-fettsuchtadipositas/was-ist-uebergewicht<br />
· www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitor<strong>in</strong>g/<br />
Gesundheitsberichterstattung/GesundAZ/Content/A/<br />
Adipositas/Adipositas_NAME<br />
18
ADHS – Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom<br />
In <strong>Deutschland</strong> geht die Fachwelt je nach Diagnose- bzw. Klassifikationssystem<br />
<strong>von</strong> ca. fünf Prozent ADHS-Betroffenen aus (Staats<strong>in</strong>stitut für Schulpädagogik<br />
2000).<br />
In je<strong>der</strong> Schulklasse gibt es demnach wahrsche<strong>in</strong>lich e<strong>in</strong> bzw. mehrere<br />
<strong>von</strong> ADHS betroffene K<strong>in</strong><strong>der</strong>.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es Syndroms setzt sich ADHS aus e<strong>in</strong>em Bündel<br />
<strong>von</strong> Verhaltenssymptomen unterschiedlicher Ausprägung<br />
zusammen.<br />
ADHS-betroffene K<strong>in</strong><strong>der</strong> zeigen im Vergleich zu ihren<br />
Altersgenossen folgende Symptome:<br />
· anhaltende, <strong>in</strong>tensive und umfassende Aufmerksamkeits-<br />
und Konzentrationsprobleme; sie s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> hohem<br />
Maße ablenkbar und können ihre Aufmerksamkeit<br />
kaum selbstgesteuert auf für sie un<strong>in</strong>teressante Gegenstände<br />
lenken und aufrechterhalten;<br />
· e<strong>in</strong>e ausgeprägte Impulsivität mit sich rasch aufbauen<strong>der</strong><br />
Erregung, bisweilen hoher Aggressionsbereitschaft<br />
und e<strong>in</strong>geschränkter Fähigkeit zur<br />
Verhaltenskontrolle;<br />
· im Fall <strong>der</strong> hyperaktiven Ausprägung des Störungsbilds<br />
e<strong>in</strong>e für das Alter untypische motorische Unruhe und<br />
Getriebenheit.<br />
Damit e<strong>in</strong>e Diagnose gestellt werden kann, müssen die<br />
Symptome vor dem siebten Lebensjahr für e<strong>in</strong>en Zeitraum<br />
<strong>von</strong> m<strong>in</strong>destens sechs Monaten <strong>in</strong> mehreren sozialen<br />
Kontexten (Familie, <strong>Schule</strong>, Freizeit) auftreten.<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen auf <strong>der</strong><br />
ganzen Welt und <strong>in</strong> den unterschiedlichsten Kulturen<br />
legen nahe, dass es sich bei ADHS um e<strong>in</strong>e neuro-physiologische<br />
Störung <strong>der</strong> Verhaltenssteuerung handelt.<br />
Sie wird größtenteils genetisch vermittelt, z. T. aber auch<br />
durch aktuelle E<strong>in</strong>wirkungen zu Lebzeiten <strong>der</strong> o<strong>der</strong> des<br />
Betroffenen, sei es vor, während o<strong>der</strong> nach <strong>der</strong> Geburt<br />
sowie <strong>in</strong> den ersten Lebensjahren. In <strong>der</strong> Krankheitsklassifikation<br />
ICD-10 <strong>der</strong> Weltgesundheitsorganisation (WHO)<br />
zählt ADHS zu den Störungen mit Beg<strong>in</strong>n <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit.<br />
Die Diagnosestellung erfolgt <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> durch Fachärzt<strong>in</strong>nen<br />
und -ärzte für K<strong>in</strong><strong>der</strong>- und Jugendpsychiatrie,<br />
qualifizierte K<strong>in</strong><strong>der</strong>ärzt<strong>in</strong>nen und K<strong>in</strong><strong>der</strong>ärzte sowie sozial-<br />
pädiatrische Zentren. Die Untersuchung orientiert sich<br />
dabei an den Kriterien <strong>der</strong> WHO sowie darauf aufbauenden<br />
Leitl<strong>in</strong>ien <strong>der</strong> mediz<strong>in</strong>ischen Fachgesellschaften<br />
für K<strong>in</strong><strong>der</strong>mediz<strong>in</strong> und Psychiatrie. Während <strong>der</strong> Untersuchung<br />
kommen Fragebögen, standardisierte psychologische<br />
Testverfahren und Methoden zur systematischen<br />
Verhaltensbeobachtung zur Anwendung. H<strong>in</strong>zu kommt<br />
e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>gehende körperliche Untersuchung, um an<strong>der</strong>e<br />
Ursachen <strong>der</strong> Symptomatik auszuschließen. Die regelhafte<br />
Feststellung des allgeme<strong>in</strong>en Entwicklungsstands<br />
sowie <strong>der</strong> <strong>in</strong>tellektuellen Begabung ist notwendig, um<br />
ADHS <strong>von</strong> umschriebenen Entwicklungsstörungen abzugrenzen.<br />
Je früher mit <strong>der</strong> oft langwierigen Therapie des ADHS<br />
begonnen wird, die mediz<strong>in</strong>ische, psychotherapeutische<br />
und pädagogische Maßnahmen komb<strong>in</strong>ieren sollte, desto<br />
besser ist die Prognose für die betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong>. Wichtig<br />
ist, dass sich negative Erfahrungen <strong>der</strong> Betroffenen <strong>in</strong><br />
Familie, <strong>Schule</strong> und Freizeit nicht zu dysfunktionalen Verhaltensmustern<br />
verhärten. Langzeitstudien zeigen, dass<br />
e<strong>in</strong>e Komb<strong>in</strong>ation aus medikamentöser und verhaltenstherapeutischer<br />
Behandlung am effektivsten ist.<br />
Medikamentöse Behandlung Behandlung:<br />
In <strong>der</strong> medikamentösen Therapie des ADHS ist die Behandlung<br />
mit Stimulanzien (zumeist Methylphenidat,<br />
Handelsname „Rital<strong>in</strong>“, sowie zahlreiche an<strong>der</strong>e Präparate)<br />
e<strong>in</strong> seit Jahrzehnten bewährter Standard. Bisweilen<br />
ermöglicht erst e<strong>in</strong>e medikamentöse Behandlung des<br />
ADHS e<strong>in</strong>e psychologische Intervention, da stark betroffene<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche an<strong>der</strong>nfalls Gesprächen und<br />
Gruppentherapien nicht zugänglich s<strong>in</strong>d. In solchen Fällen<br />
sollte e<strong>in</strong>e medikamentöse Behandlung trotz teils berechtigter<br />
Kritik (Gefahr vorschneller Verschreibung und<br />
Nebenwirkungen) nicht <strong>von</strong> vornhere<strong>in</strong> abgelehnt werden.<br />
19
ADHS – Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom<br />
Pädagogisch-psychologische Behandlungsformen:<br />
In zahlreichen Studien hat sich die kognitive Verhaltenstherapie<br />
als effektivste psychotherapeutische Behandlungsform<br />
für K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit ADHS erwiesen. Das Ziel dieser<br />
am konkreten Lebensalltag <strong>der</strong> Betroffenen orientierten<br />
Therapie ist e<strong>in</strong>e durch das K<strong>in</strong>d selbst bestimmte aktive<br />
Verhaltensän<strong>der</strong>ung auf <strong>der</strong> Grundlage e<strong>in</strong>es besseren<br />
Verständnisses <strong>der</strong> Umwelt sowie des eigenen Verhaltens.<br />
S<strong>in</strong>nvoll ist dabei e<strong>in</strong>e begleitende Elternschulung<br />
o<strong>der</strong> Familientherapie, um e<strong>in</strong>en stabilen Familienalltag<br />
zu schaffen, <strong>der</strong> den Bedürfnissen aller Familienmitglie<strong>der</strong><br />
gerecht wird. Häufige Verfahren <strong>der</strong> Verhaltenstherapie<br />
s<strong>in</strong>d bei jüngeren K<strong>in</strong><strong>der</strong>n sogenannte Verstärkerpläne<br />
(Tokenprogramme), die erwünschte Verhaltensweisen<br />
systematisch belohnen. S<strong>in</strong>nvoll ist darüber h<strong>in</strong>aus die Kooperation<br />
aller Personen im Lebensumfeld des K<strong>in</strong>des,<br />
damit dieses <strong>in</strong> Familie, <strong>Schule</strong> und Freizeit vergleichbaren<br />
Regeln unterworfen ist und se<strong>in</strong> Verhalten auf diese<br />
Weise systematisch angeleitet wird.<br />
Schulungsprogramme:<br />
Inzwischen bietet v. a. die ADHS-<strong>Selbsthilfe</strong> zunehmend<br />
Fortbildungen und Schulungsprogramme zum günstigen<br />
Umgang mit <strong>von</strong> ADHS betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />
an. Wünschenswert ist e<strong>in</strong>e Aufnahme <strong>von</strong> Schulungen<br />
zu ADHS <strong>in</strong> die Ausbildung <strong>der</strong> Fachkräfte <strong>in</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>tagesstätten,<br />
<strong>Schule</strong>n und Freizeite<strong>in</strong>richtungen.<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
· Infobroschüre 4 „ADHS und <strong>Schule</strong>“ des ADHS<br />
<strong>Deutschland</strong> e. V., erhältlich unter:<br />
www.adhs-deutschland.de/Home/Unser-Angebot/<br />
Infobroschuere.aspx<br />
· Materialien des ADHS <strong>Deutschland</strong> e. V., erhältlich unter:<br />
www.adhs-deutschland.de/Home/ADHS/<strong>Schule</strong>.aspx<br />
· Broschüre „adhs aufmerksamkeitsdefizit/hyperaktivitätsstörung<br />
… was bedeutet das?“ <strong>der</strong> Bundeszentrale<br />
für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), erhältlich<br />
unter:<br />
www.bzga.de/<strong>in</strong>fomaterialien/k<strong>in</strong><strong>der</strong>-und-jugendgesundheit/hyperaktivitaetssyndrom-was-bedeutet-das<br />
· Handreichung „Chronische Erkrankungen als Problem<br />
und Thema <strong>in</strong> <strong>Schule</strong> und Unterricht. Handreichung<br />
für Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer <strong>der</strong> Klassen 1 bis 10“ <strong>der</strong><br />
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA),<br />
erhältlich unter:<br />
www.bzga.de/<strong>in</strong>fomaterialien/unterrichtsmaterialien/<br />
nach-themen/?idx=625<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Wie alle K<strong>in</strong><strong>der</strong> for<strong>der</strong>n auch ADHS-betroffene K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
die Geduld <strong>der</strong> sie betreuenden Erwachsenen<br />
e<strong>in</strong>, allerd<strong>in</strong>gs weit über das übliche Maß h<strong>in</strong>aus.<br />
Lehrkräfte sollten sich dessen im Alltag bewusst se<strong>in</strong><br />
und ihre Arbeit so planen, dass h<strong>in</strong>reichend Zeit und<br />
Ressourcen zum Kümmern um die spezifischen Probleme<br />
<strong>der</strong> ADHS-betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong> bleiben.<br />
Beispielsweise kann für jeden Unterrichtsblock e<strong>in</strong><br />
strukturiertes und angeleitetes Bewegungsprogramm<br />
e<strong>in</strong>geplant werden, um dem natürlichen Bewegungsdrang<br />
<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> gerecht zu werden. Hilfreich<br />
ist auch e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>facher und regelmäßiger Unterrichtsablauf,<br />
<strong>der</strong> es z. B. <strong>in</strong> Zeiten <strong>der</strong> Freiarbeit erlaubt,<br />
sich gezielt mit dem verhaltensauffälligen K<strong>in</strong>d<br />
zu befassen. Im Mittelpunkt sollte die Beziehung zu<br />
den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n stehen. Für Personen, die sie mögen,<br />
werden sich ADHS-betroffene K<strong>in</strong><strong>der</strong> – wie alle an<strong>der</strong>en<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> auch – stets mehr bemühen als <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Geme<strong>in</strong>schaft <strong>von</strong> Menschen, die sie ablehnen. Die<br />
Lebensfreude und Energie vieler ADHS-betroffener<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> kann für die Klasse genutzt werden, wenn<br />
den Betroffenen die Chance gegeben wird, ihren<br />
Platz <strong>in</strong> <strong>der</strong> Klassengeme<strong>in</strong>schaft zu f<strong>in</strong>den.<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
ADHS <strong>Deutschland</strong> e. V. –<br />
<strong>Selbsthilfe</strong> für Menschen mit ADHS<br />
www.adhs-deutschland.de<br />
· Broschüre „Chronische Erkrankungen im K<strong>in</strong>desalter.<br />
E<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Thema <strong>von</strong> Elternhaus, K<strong>in</strong><strong>der</strong>tagesstätte<br />
und <strong>Schule</strong>“ <strong>der</strong> Bundeszentrale für gesundheitliche<br />
Aufklärung (BZgA), erhältlich unter:<br />
www.bzga.de/<strong>in</strong>fomaterialien/k<strong>in</strong><strong>der</strong>-und-jugendgesundheit/chronische-erkrankungen-im-k<strong>in</strong>desalter<br />
20
Alb<strong>in</strong>ismus<br />
Alb<strong>in</strong>ismus ist e<strong>in</strong>e Sammelbezeichnung für e<strong>in</strong>e Gruppe angeborener Stoffwechselerkrankungen,<br />
die zu e<strong>in</strong>er Störung <strong>der</strong> Melan<strong>in</strong>bildung führen.<br />
Das Pigment Melan<strong>in</strong> ist für die Färbung <strong>von</strong> A<strong>der</strong>haut, Haaren und Haut<br />
verantwortlich. Außerdem schützt es den Körper, <strong>in</strong>dem es die Sonnenstrahlen<br />
absorbiert. Durch UV-Strahlung wird <strong>in</strong> <strong>der</strong> Haut Melan<strong>in</strong> gebildet – dies<br />
führt zu dunkler Haut. Bei Menschen mit Alb<strong>in</strong>ismus bleibt die Haut aufgrund<br />
<strong>der</strong> Pigmentstörung hell und reagiert auf UV-Strahlen sehr empf<strong>in</strong>dlich.<br />
Sichtbar ist außerdem e<strong>in</strong> Pigmentmangel <strong>in</strong> Haaren und Augen.<br />
Alb<strong>in</strong>ismus folgt e<strong>in</strong>em rezessiven Erbgang und kommt weltweit mit e<strong>in</strong>er<br />
Häufigkeit <strong>von</strong> 1:35.000 bis 1:60.000 vor. Häufungen f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />
<strong>in</strong> Afrika mit e<strong>in</strong>er Inzidenz <strong>von</strong> 1:10.000 und höher. In <strong>Deutschland</strong> weisen<br />
etwa 5.000 Menschen e<strong>in</strong>e Form <strong>von</strong> Alb<strong>in</strong>ismus auf.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Der Alb<strong>in</strong>ismus umfasst e<strong>in</strong>e heterogene Gruppe verschiedener<br />
genetischer Defekte. Die äußerlich sichtbaren<br />
Merkmale <strong>der</strong> Betroffenen können <strong>in</strong> ihrer Ausprägung<br />
stark variieren.<br />
Aufgrund des Fehlens <strong>der</strong> Pigmentschicht am Auge besteht<br />
bei Menschen mit Alb<strong>in</strong>ismus e<strong>in</strong>e verstärkte Blendempf<strong>in</strong>dlichkeit.<br />
Auch <strong>der</strong> Verlauf <strong>der</strong> Sehnerven ist gestört<br />
und dies führt häufig zum Schielen und zur Bee<strong>in</strong>trächtigung<br />
des räumlichen Sehvermögens. Um die durch<br />
den Alb<strong>in</strong>ismus hervorgerufene Sehschwäche zu korrigieren,<br />
s<strong>in</strong>d beson<strong>der</strong>e Sehhilfen, wie z. B. Vergrößerungsgläser,<br />
nötig.<br />
Auch die Fovea, <strong>der</strong> Fleck des schärfsten Sehens, ist nicht<br />
normal ausgeprägt, da ihre Entwicklung ebenfalls durch<br />
Melan<strong>in</strong> bee<strong>in</strong>flusst wird. Menschen mit Alb<strong>in</strong>ismus s<strong>in</strong>d<br />
oft unfähig, das Auge korrekt scharf e<strong>in</strong>zustellen. Viele<br />
s<strong>in</strong>d kurz- o<strong>der</strong> weitsichtig. Die Sehstärke bei vollständig<br />
alb<strong>in</strong>otischen Menschen liegt bei etwa zehn Prozent.<br />
Fahrradfahren bei übersichtlicher Verkehrslage ist noch<br />
möglich, Autofahren h<strong>in</strong>gegen nicht. Gesichter können<br />
nicht erkannt werden, und um lesen zu können, muss<br />
<strong>der</strong> Text meist deutlich vergrößert werden. Da auch die<br />
Iris <strong>von</strong> Menschen mit Alb<strong>in</strong>ismus nur sehr wenig pigmentiert<br />
ist, entsteht durch Lichtreflexion an <strong>der</strong> rötlichen<br />
Netzhaut oft <strong>der</strong> E<strong>in</strong>druck <strong>von</strong> roten Augen. Tatsächlich<br />
s<strong>in</strong>d diese jedoch meist blau o<strong>der</strong> grau gefärbt.<br />
Derzeit unterscheidet man je nach kl<strong>in</strong>ischem Ersche<strong>in</strong>ungsbild<br />
drei Hauptgruppen des okulokutanen Alb<strong>in</strong>ismus<br />
(OCA 1 bis OCA 3, Erkrankungswahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />
1:39.000):<br />
1. Menschen mit Alb<strong>in</strong>ismus vom Typ OCA 1 bilden entwe<strong>der</strong><br />
ke<strong>in</strong> o<strong>der</strong> nur sehr wenig Melan<strong>in</strong>. Ihre Haare<br />
s<strong>in</strong>d weiß und die Haut ist sehr hell.<br />
2. Beim Alb<strong>in</strong>ismus vom Typ OCA 2 ist häufig e<strong>in</strong>e Pigmentierung<br />
im Laufe des Lebens nachweisbar, auch<br />
wenn sie nur ger<strong>in</strong>g ist.<br />
3. Der Typ OCA 3 (auch roter Alb<strong>in</strong>ismus genannt) zeichnet<br />
sich durch e<strong>in</strong>e Restpigmentierung aus.<br />
Diese drei OCA-Alb<strong>in</strong>ismusformen weisen e<strong>in</strong>e große<br />
Bandbreite im Ersche<strong>in</strong>ungsbild auf:<br />
Beim sog. okulären Alb<strong>in</strong>ismus (OA, e<strong>in</strong>geteilt <strong>in</strong> elf<br />
Hauptgruppen, Erkrankungswahrsche<strong>in</strong>lichkeit 1:68.000)<br />
wirkt sich die Melan<strong>in</strong>störung lediglich auf die Augen<br />
aus. Im Gegensatz zum okulokutanen Alb<strong>in</strong>ismus (OCA)<br />
unterscheiden sich Haut und Haare <strong>der</strong> Betroffenen nicht<br />
<strong>von</strong> denen normal pigmentierter Menschen. An dieser<br />
Form leidet rund e<strong>in</strong> Drittel <strong>der</strong> an Alb<strong>in</strong>ismus Erkrankten.<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Es gibt zahlreiche Genmutationen, die die Krankheit hervorrufen.<br />
Alb<strong>in</strong>ismus wird durch das Erbgut <strong>der</strong> Eltern auf<br />
ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong> übertragen. Bei allen okulokutanen Formen<br />
(OCA) müssen beide Elternteile Träger <strong>der</strong> gleichen Alb<strong>in</strong>ismusform<br />
se<strong>in</strong>, um diese zu vererben. Wenn beide Elternteile<br />
Träger <strong>der</strong> Erb<strong>in</strong>formation s<strong>in</strong>d, beträgt die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />
<strong>der</strong> Vererbung bei je<strong>der</strong> Schwangerschaft 1:4.<br />
Okulärer Alb<strong>in</strong>ismus (OA) wird X-chromosomal gebunden<br />
vererbt. Dieser X-chromosomale Alb<strong>in</strong>ismus tritt hauptsächlich<br />
bei Männern auf. Je<strong>der</strong> männliche Nachkomme<br />
e<strong>in</strong>er Genträger<strong>in</strong> ist mit e<strong>in</strong>er Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit <strong>von</strong> 1:2<br />
vom OA betroffen. Die weiblichen Nachkommen s<strong>in</strong>d mit<br />
e<strong>in</strong>er Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit <strong>von</strong> 1:2 Träger des Gens.<br />
Da Alb<strong>in</strong>ismus vererbt wird, fällt er <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel bereits im<br />
K<strong>in</strong>desalter auf, sodass die Diagnose meist vom K<strong>in</strong><strong>der</strong>arzt<br />
21
Alb<strong>in</strong>ismus<br />
gestellt wird. Um sie zu sichern, werden die Eltern nach<br />
Vorbelastungen befragt. Durch e<strong>in</strong>e Stammbaumanalyse<br />
kann <strong>der</strong> Verdacht auf Alb<strong>in</strong>ismus erhärtet werden.<br />
Zusätzlich können zell- und molekulargenetische Untersuchungen,<br />
biochemische Analysen und e<strong>in</strong>e DNA-Diagnostik<br />
angewandt werden. Da das Erbgut die gesamte genetische<br />
Information des Menschen enthält, können mit speziellen<br />
Methoden auch Gendefekte nachgewiesen werden.<br />
Zusätzlich können auch Haut (Hautbiopsie) und Ur<strong>in</strong> untersucht<br />
werden. Die okuläre Form des Alb<strong>in</strong>ismus wird im<br />
Rahmen e<strong>in</strong>er augenärztlichen Untersuchung festgestellt.<br />
Wenn häufig blaue Flecken vorkommen, e<strong>in</strong>e Colitis<br />
besteht und/o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Operation mit Blutungsrisiko ansteht,<br />
sollte abgeklärt werden, ob e<strong>in</strong> Hermansky-Pudlak-<br />
Syndrom vorliegt, um die Blutungsgefahr zu m<strong>in</strong>imieren<br />
(www.alb<strong>in</strong>ismus.<strong>in</strong>fo/grafikversion unter „Alb<strong>in</strong>ismustypen,<br />
Vererbung“>„Okulokutaner Alb<strong>in</strong>ismus“> „Son<strong>der</strong>formen“).<br />
Für nähere Informationen wenden Sie sich<br />
bitte an die NOAH Alb<strong>in</strong>ismus <strong>Selbsthilfe</strong>gruppe e. V.<br />
(www.alb<strong>in</strong>ismus.de).<br />
Da es sich beim Alb<strong>in</strong>ismus um e<strong>in</strong>e Erbkrankheit handelt,<br />
ist er nicht heilbar. Die Erkrankung hat ke<strong>in</strong>erlei E<strong>in</strong>flüsse<br />
auf Organe, Intelligenz o<strong>der</strong> die Lebenserwartung. Wichtig<br />
s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e frühzeitige Diagnosestellung und augenärztliche<br />
Behandlung, da e<strong>in</strong>getretene Sehschäden nicht reversibel<br />
s<strong>in</strong>d. Bei <strong>in</strong>konsequentem bzw. unzureichendem<br />
Schutz <strong>der</strong> Haut vor Sonnene<strong>in</strong>strahlung besteht zudem<br />
meist auch e<strong>in</strong> erhöhtes Hautkrebsrisiko.<br />
· Handreichung „Chronische Erkrankungen als Problem<br />
und Thema <strong>in</strong> <strong>Schule</strong> und Unterricht. Handreichung<br />
für Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer <strong>der</strong> Klassen 1 bis 10“ <strong>der</strong><br />
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA),<br />
erhältlich unter: www.bzga.de/<strong>in</strong>fomaterialien/unterrichtsmaterialien/nach-themen/?idx=625<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Es sollte darauf geachtet werden, dass die betroffenen<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> nicht <strong>in</strong> Richtung e<strong>in</strong>es hellen Fensters<br />
schauen, damit e<strong>in</strong>e Blendung durch den Lichte<strong>in</strong>fall<br />
vermieden wird. Auch sollte die Möglichkeit gegeben<br />
se<strong>in</strong>, an die Tafel zu gehen, falls die Schüler<strong>in</strong> bzw.<br />
<strong>der</strong> Schüler <strong>von</strong> se<strong>in</strong>em Sitzplatz aus nicht lesen kann.<br />
Sofern umsetzbar bzw. praktikabel, sollten Lehrkräfte<br />
das Geschriebene laut mitsprechen, um e<strong>in</strong> direktes<br />
Mitschreiben zu ermöglichen. Bei Arbeitsblättern<br />
sollte unterstützend mit e<strong>in</strong>er vergrößerten, kontrastreichen<br />
Schrift gearbeitet werden. An Tagen mit starker<br />
Sonnene<strong>in</strong>strahlung sollten die Lehrkräfte darauf<br />
achten, dass die betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong> ihre Augen z. B.<br />
mit Sonnenbrillen vor <strong>der</strong> Blendung und ihre Haut<br />
mit entsprechendem Sonnenschutz schützen. Wegen<br />
ihrer vorhandenen Sehbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung sollten Betroffene<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Pause unter beson<strong>der</strong>er Beobachtung stehen.<br />
Gleiches gilt auch für Klassenfahrten und Ausflugssituationen.<br />
Behandlung<br />
(Technische) Hilfsmittel, wie Sehhilfen, getönte Kontaktl<strong>in</strong>sen<br />
und ausreichen<strong>der</strong> Hautschutz, sowie e<strong>in</strong>e geeignete<br />
För<strong>der</strong>ung ermöglichen den Betroffenen, e<strong>in</strong> weitgehend<br />
normales Leben zu führen.<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
Zum Thema Alb<strong>in</strong>ismus f<strong>in</strong>den sich nur sehr wenige<br />
Handreichungen für Lehrkräfte. Die Bundeszentrale für<br />
gesundheitliche Aufklärung (BzgA) bietet jedoch e<strong>in</strong>e<br />
Broschüre und e<strong>in</strong>e Handreichung mit allgeme<strong>in</strong>en Informationen<br />
zu chronischen Erkrankungen im Schulkontext<br />
an.<br />
· Broschüre „Chronische Erkrankungen im K<strong>in</strong>desalter.<br />
E<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Thema <strong>von</strong> Elternhaus, K<strong>in</strong><strong>der</strong>tagesstätte<br />
und <strong>Schule</strong>“ <strong>der</strong> Bundeszentrale für gesundheitliche<br />
Aufklärung (BZgA), erhältlich unter:<br />
www.bzga.de/<strong>in</strong>fomaterialien/k<strong>in</strong><strong>der</strong>-und-jugendgesundheit/chronische-erkrankungen-im-k<strong>in</strong>desalter<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisationen<br />
NOAH Alb<strong>in</strong>ismus<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>gruppe e. V.<br />
www.alb<strong>in</strong>ismus.de<br />
Auf <strong>der</strong> Internetseite www.alb<strong>in</strong>ismus.<strong>in</strong>fo f<strong>in</strong>den sich<br />
umfassende Informationen zu den mediz<strong>in</strong>ischen Aspekten<br />
des Alb<strong>in</strong>ismus <strong>von</strong> Frau Prof. Dr. Barbara Käsmann-<br />
Kellner, <strong>der</strong> beratenden Augenärzt<strong>in</strong> <strong>der</strong> NOAH Alb<strong>in</strong>ismus<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>gruppe e. V.<br />
Bund zur För<strong>der</strong>ung Sehbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ter e. V. (BFS)<br />
www.bfs-ev.de<br />
Bund zur För<strong>der</strong>ung<br />
Sehbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ter e.V.<br />
Info- und Kontaktseite zur Integration sehbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ter/<br />
bl<strong>in</strong><strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>: www.<strong>in</strong>tegrationsk<strong>in</strong><strong>der</strong>.org<br />
22
Anaphylaxie (schwere allergische Reaktion)<br />
E<strong>in</strong>e Anaphylaxie ist die schwerste Form e<strong>in</strong>er allergischen Reaktion.<br />
Bei dieser akuten Reaktion können Symptome <strong>in</strong>nerhalb kurzer Zeit nach<br />
Aufnahme/Kontakt mit dem Allergieauslöser auftreten und den gesamten<br />
Organismus betreffen. Sie können lebensbedrohlich verlaufen und s<strong>in</strong>d daher<br />
als Notfall e<strong>in</strong>zustufen. Häufigste Auslöser anaphylaktischer Reaktionen<br />
s<strong>in</strong>d Lebensmittel. Die Zahl <strong>der</strong> Lebensmittelallergien im K<strong>in</strong>desalter nimmt<br />
zu. Auch bei <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong> Notfallversorgungen <strong>von</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n mit nahrungsmittelbed<strong>in</strong>gten<br />
Anaphylaxien ist <strong>in</strong> den letzten zehn Jahren e<strong>in</strong> Anstieg um<br />
das Siebenfache zu verzeichnen.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Bei e<strong>in</strong>er Allergie reagiert das Immunsystem auf normalerweise<br />
harmlose Substanzen aus <strong>der</strong> Umwelt wie z. B.<br />
Nahrungsmittel. Diese werden im <strong>in</strong>dividuellen Fall als<br />
krankmachende Stoffe (Allergene) e<strong>in</strong>gestuft und durch<br />
die Bildung <strong>von</strong> spezifischen Antikörpern <strong>in</strong> überschießen<strong>der</strong><br />
Weise „bekämpft“, was zu den allergischen Beschwerden<br />
führt. Oft reicht bereits e<strong>in</strong>e sehr kle<strong>in</strong>e Menge<br />
des Allergens aus, um e<strong>in</strong>e Reaktion auszulösen.<br />
Allergische Symptome können an den unterschiedlichsten<br />
Organsystemen wie Haut, Augen, Magen-Darm-<br />
Trakt, obere und untere Atemwege, Herz-Kreislauf-<br />
System auftreten.<br />
Von e<strong>in</strong>er systemischen allergischen Reaktion (= Anaphylaxie)<br />
spricht man, wenn nicht nur an <strong>der</strong> Kontaktstelle<br />
mit dem Allergen Symptome auftreten, son<strong>der</strong>n auch<br />
an entfernten Körperteilen (z. B. Atemnot nach Verzehr<br />
<strong>von</strong> allergieauslösenden Lebensmitteln, Kreislaufbeschwerden<br />
nach Insektenstich), d. h., wenn <strong>der</strong> ganze Organismus/das<br />
ganze „System“ betroffen ist. Individuell<br />
können bei e<strong>in</strong>er Anaphylaxie demnach mehrere Organsysteme<br />
(Haut, Magen-Darm-Trakt, Atemwege, Herz-<br />
Kreislauf-System) nache<strong>in</strong>an<strong>der</strong> o<strong>der</strong> gleichzeitig betroffen<br />
se<strong>in</strong>. Im schlimmsten Fall kann e<strong>in</strong>e anaphylaktische<br />
Reaktion zum Tod durch Atem- o<strong>der</strong> Herz-Kreislauf-Stillstand<br />
führen (Anaphylaktischer Schock).<br />
Die ersten Symptome bei e<strong>in</strong>er allergischen Reaktion<br />
können bereits wenige M<strong>in</strong>uten nach Kontakt o<strong>der</strong><br />
Aufnahme des Allergieauslösers auftreten. Erste Anzeichen<br />
s<strong>in</strong>d oft Juckreiz o<strong>der</strong> Kribbeln an Handflächen<br />
und Fußsohlen o<strong>der</strong> im Mund-Rachen-Bereich. Bei<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>n s<strong>in</strong>d auch Än<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gemütslage zu beobachten,<br />
z. B. Zurückziehen, Stillwerden.<br />
Je nach Menge des aufgenommenen Allergens und<br />
„Tagesform“ (siehe unten) können Reaktionen rasch<br />
schlimmer werden. An <strong>der</strong> Haut kann sich dies zunächst<br />
mit e<strong>in</strong>em lokalen o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>em systemischen<br />
(den ganzen Körper betreffenden) Hautausschlag (Quaddeln,<br />
Rötung) – häufig verbunden mit Juckreiz o<strong>der</strong> Gesichtsschwellungen<br />
(Qu<strong>in</strong>cke-Ödem) – zeigen. Außerdem<br />
können im Gesicht Reaktionen an den Schleimhäuten<br />
<strong>von</strong> Augen (B<strong>in</strong>dehautentzündung), Nase (Fließschnupfen,<br />
Niesen) o<strong>der</strong> Mund auftreten. Übelkeit, Erbrechen,<br />
Durchfall und Krämpfe s<strong>in</strong>d die typischen<br />
Symptome, die auftreten, wenn <strong>der</strong> Magen-Darm-Trakt<br />
betroffen ist.<br />
Während all diese Beschwerden zu den eher leichten<br />
anaphylaktischen Reaktionen zählen, werden Symptome<br />
an den Atemwegen (Husten, pfeifende Atmung, Atemnot)<br />
o<strong>der</strong> dem Herz-Kreislauf-System (Schw<strong>in</strong>del, Ohnmacht)<br />
den schweren anaphylaktischen Reaktionen zugerechnet,<br />
da diese potenziell lebensbedrohlich se<strong>in</strong> können.<br />
Welche <strong>der</strong> o. g. Symptome auftreten, ist <strong>in</strong>dividuell unterschiedlich.<br />
Es müssen nicht zw<strong>in</strong>gend alle Beschwerden<br />
vorkommen. In 80 Prozent <strong>der</strong> Fälle ist e<strong>in</strong>e anaphylaktische<br />
Reaktion <strong>von</strong> Hautersche<strong>in</strong>ungen begleitet.<br />
Je<strong>der</strong> fünfte Betroffene zeigt diese häufigen Warnzeichen<br />
jedoch nicht.<br />
Anaphylaktische Reaktionen können sich langsam über<br />
e<strong>in</strong>en Zeitraum <strong>von</strong> Stunden aufbauen und verschlimmern<br />
– sie können allerd<strong>in</strong>gs auch <strong>in</strong>nerhalb kürzester<br />
Zeit lebensbedrohlich werden.<br />
Der Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>er Reaktion steht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel unmittelbar<br />
mit <strong>der</strong> Allergenaufnahme im Zusammenhang. In E<strong>in</strong>zelfällen<br />
kann e<strong>in</strong>e Anaphylaxie jedoch auch noch bis zu vier<br />
Stunden nach dem Kontakt mit dem Allergen auftreten.<br />
In vielen Fällen s<strong>in</strong>d anaphylaktische Reaktionen „selbst<br />
limitierend“, d. h., sie kl<strong>in</strong>gen <strong>von</strong> alle<strong>in</strong> wie<strong>der</strong> ab. Da<br />
jedoch am Anfang e<strong>in</strong>er Reaktion nicht e<strong>in</strong>geschätzt werden<br />
kann, wie heftig sie ausfällt, und da e<strong>in</strong>e medikamentöse<br />
Intervention umso besser wirkt, je eher sie vorgenommen<br />
wird, ist das Notfallmanagement immer auf<br />
das „Worst-Case-Szenario“ ausgerichtet.<br />
Daher ist jede anaphylaktische Reaktion als Notfall e<strong>in</strong>zustufen.<br />
23
Anaphylaxie (schwere allergische Reaktion)<br />
Bei rund 20 Prozent <strong>der</strong> Betroffenen kommt es nach<br />
Abkl<strong>in</strong>gen <strong>der</strong> ersten Symptome nach e<strong>in</strong>igen Stunden<br />
erneut zu Beschwerden. Daher ist es immer notwendig,<br />
nicht nur den Notarzt zu rufen, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e Patient<strong>in</strong>/<br />
e<strong>in</strong>en Patienten auch für e<strong>in</strong>en gewissen Zeitraum unter<br />
stationärer Beobachtung zu halten.<br />
Organbezogene Symptome e<strong>in</strong>er<br />
anaphylaktischen Reaktion<br />
Organ<br />
Symptom<br />
Haut<br />
Urtikaria (Nesselausschlag),<br />
Angioödem (Schwellung),<br />
Qu<strong>in</strong>cke-Ödem (Gesichtsschwellung),<br />
Rötung, Juckreiz<br />
Schleimhäute im Augen: B<strong>in</strong>dehautentzündung<br />
Kopfbereich Nase: Fließschnupfen, Niesen,<br />
Verstopfung<br />
Mund: Kribbeln, Jucken, Kratzen,<br />
Schwellung <strong>in</strong> Mund und Rachen<br />
Verdauungstrakt Erbrechen, Durchfall, Bauchkrämpfe,<br />
Stuhldrang bis zur Darmentleerung<br />
untere Atemwege Räuspern, Husten, pfeifende<br />
Atmung, Asthmaanfall, Atemstillstand<br />
Herz-Kreislauf-<br />
System<br />
Schw<strong>in</strong>del, Bewusstse<strong>in</strong>se<strong>in</strong>trübung,<br />
Ohnmacht, Herzstillstand<br />
Auslöser anaphylaktischer Reaktionen können se<strong>in</strong>:<br />
· Nahrungsmittel wie beispielsweise Nüsse<br />
(z. B. Haselnüsse, Walnüsse, Cashewkerne, Pistazien),<br />
Erdnüsse, Sesam, Milch, Eier, Fisch, Krebs- o<strong>der</strong><br />
Weichtiere<br />
· Insektengifte <strong>von</strong> Bienen, Wespen, Hornissen<br />
· Medikamente wie beispielsweise Schmerzmittel,<br />
Antibiotika, Rheumamittel, Narkotika o<strong>der</strong> Röntgen-<br />
Kontrastmittel<br />
Im K<strong>in</strong>des- und Jugendalter s<strong>in</strong>d Nahrungsmittel am häufigsten<br />
für anaphylaktische Reaktionen verantwortlich.<br />
Neben den o. g. Lebensmitteln können im <strong>in</strong>dividuellen<br />
Fall auch an<strong>der</strong>e e<strong>in</strong>e anaphylaktische Reaktion auslösen.<br />
In <strong>der</strong> Regel wird e<strong>in</strong>e Anaphylaxie dabei nach Verzehr des<br />
Lebensmittels, nicht jedoch durch alle<strong>in</strong>igen Hautkontakt<br />
o<strong>der</strong> Inhalation ausgelöst. Ausnahmen bzgl. <strong>der</strong> <strong>in</strong>halativen<br />
Reaktionen kann es bei e<strong>in</strong>er Fischallergie geben, da<br />
das Allergen (allergieauslösen<strong>der</strong> Bestandteil des Lebensmittels)<br />
sehr kle<strong>in</strong> ist und über die Kochdämpfe aufgenommen<br />
werden kann. Jede Allergie (und ihr Schweregrad)<br />
sollte durch e<strong>in</strong>e ärztliche Diagnose bestätigt<br />
se<strong>in</strong>.<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Nach e<strong>in</strong>er anaphylaktischen Reaktion muss e<strong>in</strong>(e) allergologisch<br />
geschulte(r) K<strong>in</strong><strong>der</strong>- und Jugendärzt<strong>in</strong>/-arzt<br />
umgehend die Ursache feststellen. Oft gibt die Vorgeschichte<br />
bereits H<strong>in</strong>weise, z. B. e<strong>in</strong> Insektenstich o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Verzehr e<strong>in</strong>es bestimmten Nahrungsmittels. Zur Bestätigung<br />
e<strong>in</strong>er Sensibilisierung (= Bereitschaft des Körpers,<br />
allergisch zu reagieren) kann e<strong>in</strong> Hauttest herangezogen<br />
o<strong>der</strong> es können spezifische Antikörper (IgE) im Blut nachgewiesen<br />
werden.<br />
Anaphylaxieähnliche Symptome können allerd<strong>in</strong>gs auch<br />
auf nichtallergischem Weg ohne Bildung <strong>von</strong> IgE-Antikörpern<br />
ausgelöst werden (anaphylaktoide Reaktion).<br />
Dies erschwert die Diagnostik.<br />
In e<strong>in</strong>em solchen Fall sowie bei Verdacht auf e<strong>in</strong>e vorliegende<br />
Lebensmittelallergie aufgrund e<strong>in</strong>es positiven<br />
Bluttests ohne vorherige anaphylaktische Reaktion<br />
o<strong>der</strong> bei unklarem Allergieauslöser ist es empfehlenswert,<br />
e<strong>in</strong>e (orale) Provokationstestung stationär <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
Kl<strong>in</strong>ik durchzuführen.<br />
Kompliziert wird die Ursachensuche auch, wenn e<strong>in</strong>e<br />
Anaphylaxie nur <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit e<strong>in</strong>em zusätzlichen<br />
Faktor (Kofaktor) auftritt. E<strong>in</strong> Beispiel: Es zeigt sich e<strong>in</strong>e<br />
anaphylaktische Reaktion auf Weizen, wenn kurz nach<br />
dem Verzehr e<strong>in</strong>es Brötchens Sport mit starker körperlicher<br />
Anstrengung betrieben wird. Der alle<strong>in</strong>ige Verzehr<br />
des Brötchens ruft ke<strong>in</strong>e Symptome hervor. Auch<br />
<strong>der</strong> Sport ohne vorherige Weizenaufnahme verläuft beschwerdefrei.<br />
Erst die Komb<strong>in</strong>ation <strong>von</strong> Anstrengung und<br />
Allergenaufnahme löst e<strong>in</strong>e Reaktion aus.<br />
Wenn e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e anaphylaktische Reaktion aufgetreten<br />
ist, kann die o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Betroffene bei erneutem Kontakt<br />
mit dem Allergieauslöser immer wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> dieser Art reagieren.<br />
Ob dies tatsächlich <strong>der</strong> Fall ist, hängt neben <strong>der</strong> aufgenommenen<br />
Allergenmenge auch <strong>von</strong> <strong>der</strong> „Tagesform“<br />
ab. So können beispielsweise Infekte, körperliche Anstrengung,<br />
Stress, Hormone (Menstruation) o<strong>der</strong> zusätzliche<br />
an<strong>der</strong>weitige Allergenbelastungen (z. B. Pollenflug)<br />
e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss darauf haben, wie schwer e<strong>in</strong>e<br />
Reaktion ausfällt. Auch Begleiterkrankungen, wie z. B.<br />
Asthma, spielen dabei e<strong>in</strong>e Rolle. E<strong>in</strong> schlecht e<strong>in</strong>gestelltes<br />
Asthma ist e<strong>in</strong> wesentlicher Risikofaktor für e<strong>in</strong>e<br />
schwer verlaufende anaphylaktische Reaktion.<br />
Bis auf e<strong>in</strong>e Anaphylaxie aufgrund <strong>von</strong> Kuhmilch o<strong>der</strong><br />
Ei im Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d-/K<strong>in</strong>desalter, für die e<strong>in</strong>e hohe Chance<br />
(80 Prozent) besteht, dass sich die Allergie bis zum Schulalter<br />
zurückentwickelt, ist die Prognose e<strong>in</strong>er schweren<br />
Allergie eher schlecht.<br />
Bei an<strong>der</strong>en Lebensmittelallergien und bei Insektengifto<strong>der</strong><br />
Medikamentenallergien handelt es sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel<br />
um lebenslang bestehende Allergien. Außer für Insektengiftallergien<br />
(siehe unten) gibt es zurzeit ke<strong>in</strong>e ursächliche<br />
Therapie, d. h., es gibt ke<strong>in</strong>e Heilungsmöglichkeit.<br />
24
Behandlung<br />
Die Behandlung <strong>der</strong> Anaphylaxie stützt sich im Wesentlichen<br />
auf zwei Säulen:<br />
· Prävention:<br />
– Spezifische Immuntherapie bei Insektengiften<br />
– Vermeiden des Kontakts zum Allergieauslöser bei<br />
Lebensmittel- und Medikamentenallergien<br />
· Akuttherapie:<br />
Notfallmanagement im Fall des Allergenkontakts<br />
Prävention:<br />
Bei Insektengiftallergien kann durch e<strong>in</strong>e Spezifische<br />
Immuntherapie (SIT/Hyposensibilisierung) e<strong>in</strong> Schutz für<br />
betroffene Allergiker<strong>in</strong>nen und Allergiker erreicht werden.<br />
Dabei wird durch das kontrollierte schrittweise<br />
Zuführen des Allergens (meist unter stationären Bed<strong>in</strong>gungen)<br />
erreicht, dass das Immunsystem sich an e<strong>in</strong>e<br />
gewisse Allergenmenge „gewöhnt“ und e<strong>in</strong>e allergische<br />
Reaktion bei erneutem Allergenkontakt unterbleibt.<br />
Für alle an<strong>der</strong>en Allergieauslöser ist die Allergenkarenz<br />
die Therapie <strong>der</strong> Wahl, d. h., es muss darauf geachtet<br />
werden, dass die betreffenden Lebensmittel o<strong>der</strong> Medikamente<br />
nicht aufgenommen werden.<br />
Insbeson<strong>der</strong>e bei Lebensmitteln ist darauf zu achten, dass<br />
<strong>der</strong> Anaphylaxieauslöser nicht nur <strong>in</strong> sichtbarer Form (z. B.<br />
Tr<strong>in</strong>kmilch, Erdnussflips) gemieden wird, son<strong>der</strong>n auch<br />
<strong>in</strong> „versteckter“ Form, d. h. <strong>in</strong> verarbeiteten Produkten,<br />
denen man nicht direkt „ansieht“, dass das Allergen <strong>in</strong><br />
ihnen enthalten ist (z. B. Milch <strong>in</strong> Kuchen o<strong>der</strong> Kartoffelpüree,<br />
Ei <strong>in</strong> Keksen o<strong>der</strong> Mayonnaise, Erdnüsse <strong>in</strong> Schokolade<br />
o<strong>der</strong> Pesto).<br />
Zutatenverzeichnisse und Warnh<strong>in</strong>weise verpackter Lebensmittel<br />
richtig zu lesen ist ebenso <strong>von</strong> Bedeutung<br />
wie die Berücksichtigung <strong>von</strong> sogenannter „loser Ware“<br />
(Brötchen vom Bäcker, Eis aus <strong>der</strong> Eisdiele, Speisen vom<br />
Caterer).<br />
Akuttherapie:<br />
Kommt es trotz präventiver Maßnahmen zur allergischen/<br />
anaphylaktischen Reaktion, s<strong>in</strong>d folgende Aspekte des<br />
Notfallmanagements zu beachten:<br />
1. Symptome erkennen<br />
2. Schnell handeln<br />
3. Hilfe holen<br />
Zu 1. Symptome erkennen<br />
Erster Schritt bei <strong>der</strong> Akuttherapie ist es, Warnzeichen<br />
und erste Symptome zu erkennen und diese ernst zu<br />
nehmen (siehe „Ersche<strong>in</strong>ungsformen“). Hilfreich und<br />
s<strong>in</strong>nvoll ist es, zu erfragen, ob es zu e<strong>in</strong>em Insektenstich<br />
gekommen ist o<strong>der</strong> ob und ggf. was das K<strong>in</strong>d gegessen<br />
hat.<br />
Zu 2. Schnell handeln<br />
Besteht die Möglichkeit, dass es sich bei den Beschwerden<br />
um e<strong>in</strong>e anaphylaktische Reaktion handelt, sollten<br />
die <strong>von</strong> <strong>der</strong> Ärzt<strong>in</strong>/dem Arzt verschriebenen Medikamente<br />
zur Soforthilfe (Notfallset) entsprechend den auftretenden<br />
Symptomen verabreicht und das K<strong>in</strong>d sollte entsprechend<br />
gelagert werden (siehe unten).<br />
Medikamente zur Soforthilfe (Notfallset)<br />
Patient<strong>in</strong>nen/Patienten mit Anaphylaxierisiko sollten <strong>von</strong><br />
<strong>der</strong> Ärzt<strong>in</strong>/dem Arzt Medikamente zur Behandlung e<strong>in</strong>er<br />
möglichen (erneuten) Anaphylaxie erhalten.<br />
Das Notfallset zur Soforthilfe besteht aus drei bis vier verschiedenen<br />
Medikamenten:<br />
1. Adrenal<strong>in</strong> (<strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es Auto<strong>in</strong>jektors)<br />
2. H1-Antihistam<strong>in</strong>ikum (Saft, Tropfen o<strong>der</strong> Tabletten)<br />
3. Glukokortikoid (Saft o<strong>der</strong> Tabletten)<br />
4. Betasympathomimetikum<br />
(bronchienerweiterndes Spray)<br />
Adrenal<strong>in</strong> ist das Notfallmedikament <strong>der</strong> Wahl. Es wirkt<br />
wenige M<strong>in</strong>uten, nachdem es <strong>in</strong>tramuskulär <strong>in</strong> den<br />
Oberschenkel appliziert wurde, <strong>in</strong>dem es den Kreislauf<br />
stabilisiert sowie die Bronchial- und Darmmuskulatur<br />
entspannt. Damit wirkt es an allen betroffenen Organsystemen<br />
und bekämpft sowohl Atemnot und an<strong>der</strong>e Atemwegsbeschwerden<br />
als auch Magen-Darm-Beschwerden.<br />
Früh genug verabreicht, beugt es zudem Bewusstlosigkeit<br />
und Herz-Kreislauf-Stillstand vor. Applikationsform ist<br />
e<strong>in</strong> Auto<strong>in</strong>jektor, d. h., es handelt sich um e<strong>in</strong>e Injektion<br />
mit Anwendung/Handhabung durch mediz<strong>in</strong>ische Laien.<br />
Jedes Gerät enthält e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige Dosis, sodass die Dosierung<br />
<strong>von</strong> <strong>der</strong> Ärzt<strong>in</strong>/dem Arzt mit <strong>der</strong> Verschreibung vorgenommen<br />
wird.<br />
Antihistam<strong>in</strong>ikum ist e<strong>in</strong> antiallergisches Medikament zur<br />
Bekämpfung <strong>von</strong> Hautreaktionen und Juckreiz, das oral<br />
<strong>in</strong> Form <strong>von</strong> Saft, Tropfen o<strong>der</strong> Tabletten verabreicht wird.<br />
Die <strong>Wir</strong>kung tritt nach ca. e<strong>in</strong>er halben Stunde e<strong>in</strong>. Es ist<br />
ke<strong>in</strong> Notfallmedikament, das Atemnot o<strong>der</strong> Kreislaufbeschwerden<br />
bekämpft.<br />
Glukokortikoid ist e<strong>in</strong> entzündungshemmendes Medikament,<br />
das Spätreaktionen <strong>der</strong> anaphylaktischen Reaktion<br />
entgegenwirkt und oral <strong>in</strong> Form <strong>von</strong> Saft o<strong>der</strong> Tabletten<br />
angewendet wird. Die <strong>Wir</strong>kung tritt nach ca. e<strong>in</strong>er Stunde<br />
e<strong>in</strong>. Daher ist es nicht zur Bekämpfung des akuten<br />
Notfalls geeignet.<br />
Betasympathomimetikum (Asthma-Notfallspray) ist e<strong>in</strong><br />
per Inhalation appliziertes Medikament, das <strong>in</strong>nerhalb<br />
weniger M<strong>in</strong>uten bronchienerweiternd wirkt und daher<br />
bei Atemnot zusätzlich angewendet werden kann.<br />
Es wirkt jedoch nicht auf an<strong>der</strong>e Organsysteme (Haut,<br />
25
Anaphylaxie (schwere allergische Reaktion)<br />
Magen-Darm-Trakt, Kreislauf) und ist daher als alle<strong>in</strong>iges<br />
Medikament im Fall e<strong>in</strong>er Anaphylaxie nicht geeignet.<br />
Die Medikamente müssen entsprechend <strong>der</strong> Anweisung<br />
<strong>der</strong> Ärzt<strong>in</strong>/des Arztes e<strong>in</strong>genommen werden.<br />
Bei beg<strong>in</strong>nen<strong>der</strong> Symptomatik, wenn nur e<strong>in</strong> Organsystem<br />
betroffen ist (Haut- o<strong>der</strong> Magen-Darm), werden Antihistam<strong>in</strong>ikum<br />
und Kortison <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Ärzt<strong>in</strong>/dem<br />
Arzt vorgeschriebenen Dosierung gegeben. Es wird die<br />
Ärzt<strong>in</strong>/<strong>der</strong> Arzt <strong>in</strong>formiert und <strong>der</strong> Adrenal<strong>in</strong>-Auto<strong>in</strong>jektor<br />
bereitgehalten. Das K<strong>in</strong>d sollte <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Fall alle<strong>in</strong> gelassen<br />
werden.<br />
Bei schwerer Symptomatik, wenn zwei o<strong>der</strong> mehr Organsysteme<br />
betroffen s<strong>in</strong>d (Haut und Magen-Darm o<strong>der</strong><br />
Haut und Atemwege), o<strong>der</strong> bei beg<strong>in</strong>nen<strong>der</strong> Symptomatik,<br />
wenn e<strong>in</strong> sicherer Kontakt zum Allergen stattgefunden<br />
hat, wird <strong>der</strong> Adrenal<strong>in</strong>-Auto<strong>in</strong>jektor verabreicht. Danach<br />
sollte <strong>der</strong> Notarzt gerufen (siehe unten) und das K<strong>in</strong>d bis<br />
zu dessen E<strong>in</strong>treffen symptomgerecht gelagert werden,<br />
d. h.<br />
· bei Kreislaufbeschwerden: liegend, Be<strong>in</strong>e hoch<br />
(Schocklagerung),<br />
· bei Atemwegsbeschwerden: sitzend,<br />
· bei Bewusstlosigkeit: stabile Seitenlage.<br />
Als Letztes werden Antihistam<strong>in</strong>ikum und Glukokortikoid<br />
gegeben.<br />
E<strong>in</strong>e entsprechende Anleitung zum symptombezogenen<br />
Verhalten im Notfall liefert <strong>der</strong> Anaphylaxie-Notfallplan<br />
(siehe unten), <strong>der</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Ärzt<strong>in</strong> o<strong>der</strong> dem Arzt ausgefüllt<br />
wird und gleichzeitig als Attest für die Allergie und<br />
als Handlungsanweisung zur Medikamentengabe dient.<br />
Zu 3. Hilfe holen<br />
Jede anaphylaktische Reaktion ist als Notfall e<strong>in</strong>zustufen.<br />
Daher sollte <strong>der</strong> Rettungsdienst über die Notrufnummer<br />
112 <strong>in</strong>formiert und e<strong>in</strong> Notarzt angefor<strong>der</strong>t werden. Das<br />
betroffene K<strong>in</strong>d sollte nicht alle<strong>in</strong> gelassen werden. Die<br />
Eltern s<strong>in</strong>d ebenfalls zu <strong>in</strong>formieren, jedoch im akuten<br />
Notfall immer erst nach dem Absetzen des Notrufs.<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Für Lehrkräfte ist es wichtig, über die Erkrankung <strong>der</strong><br />
betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong>formiert zu se<strong>in</strong>.<br />
Prävention<br />
Hilfreich s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e altersgemäße Unterstützung e<strong>in</strong>es<br />
anaphylaxiegefährdeten K<strong>in</strong>des und das Schaffen <strong>von</strong><br />
Rahmenbed<strong>in</strong>gungen, damit das K<strong>in</strong>d nicht mit se<strong>in</strong>em<br />
Allergieauslöser <strong>in</strong> Kontakt kommt.<br />
Insbeson<strong>der</strong>e bei Lebensmittelallergien ist es daher notwendig,<br />
dass Lehrkräfte sowie Mitschüler<strong>in</strong>nen und<br />
Mitschüler darüber <strong>in</strong>formiert s<strong>in</strong>d, welche Lebensmittel<br />
nicht vertragen werden und wo diese (ggf. <strong>in</strong> Produkten<br />
<strong>in</strong> versteckter Form) vorkommen können. Es<br />
sollte darauf geachtet werden, dass <strong>der</strong> jeweilige Allergieauslöser<br />
nicht Gegenstand des Unterrichts ist, z. B.<br />
beim Basteln mit Nüssen, beim Kochen o<strong>der</strong> Backen<br />
mit Milch, Ei, Weizen, Nüssen etc. sowie bei „Versuchen“<br />
im Biologieunterricht mit Fisch.<br />
Auch auf Klassenfeiern, Klassenfahrten, Schulfesten<br />
etc. s<strong>in</strong>d ggf. präventive Maßnahmen notwendig wie<br />
die Information an<strong>der</strong>er Eltern, die Auswahl bei <strong>der</strong><br />
Buffetgestaltung (z. B. bei Erdnussallergie: geeignete<br />
Kartoffelchips anstelle <strong>von</strong> Erdnussflips) o<strong>der</strong> ggf.<br />
die entsprechende Kennzeichnung (Kuchenbuffet bei<br />
Schulfest: „Enthält Haselnüsse“), die Absprache mit<br />
dem Caterer <strong>der</strong> Jugendherberge.<br />
Notfallbehandlung<br />
Kommt das K<strong>in</strong>d dennoch mit se<strong>in</strong>em Allergieauslöser<br />
<strong>in</strong> Kontakt (Insektenstich, versehentlicher Verzehr e<strong>in</strong>es<br />
allergenhaltigen Lebensmittels), sollte e<strong>in</strong> entsprechendes<br />
Notfallmanagement bekannt se<strong>in</strong> und angewandt<br />
werden. Dazu gehören folgende Aspekte:<br />
· Mitschüler<strong>in</strong>nen und Mitschüler, Lehrkräfte, Kollegium<br />
<strong>der</strong> <strong>Schule</strong> darüber <strong>in</strong>formieren, wie sich e<strong>in</strong>e<br />
Allergie/Anaphylaxie äußert, d. h. wie Symptome<br />
und Warnzeichen erkannt werden<br />
· Wissen, wo die Medikamente zur Soforthilfe<br />
zu f<strong>in</strong>den s<strong>in</strong>d<br />
· Medikamente zur Soforthilfe (Notfallset) richtig anwenden<br />
(siehe oben und Anaphylaxie-Notfallplan)<br />
· symptomgerechte Lagerung des betroffenen K<strong>in</strong>des<br />
· Notarzt alarmieren<br />
Die Gabe <strong>der</strong> Notfallmedikamente fällt unter die Erste-<br />
Hilfe-Leistung (Broschüre „Medikamentengabe <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>Schule</strong>“, s. u.).<br />
Drei Aspekte sollten im Vorfeld geklärt se<strong>in</strong>:<br />
· Vorliegen e<strong>in</strong>es ärztlichen Attests über die Erkrankung<br />
und e<strong>in</strong>e Anweisung zur Verabreichung <strong>der</strong><br />
Medikamente (= Anaphylaxie-Notfallplan, s. u.)<br />
· Ermächtigung <strong>der</strong> Eltern, dass Lehrkräfte die<br />
Medikamente verabreichen dürfen (= Ermächtigungsbesche<strong>in</strong>igung,<br />
s. u.)<br />
· Schulung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anwendung <strong>der</strong> Medikamente<br />
(AGATE-Schulungsprogramme und DAAB-<br />
Anaphylaxie-Web<strong>in</strong>are, s. u.)<br />
26
Schulungsprogramme<br />
Seit e<strong>in</strong>igen Jahren gibt es e<strong>in</strong>e strukturierte standardisierte<br />
Schulung für betroffene Erwachsene o<strong>der</strong> Eltern<br />
<strong>von</strong> anaphylaxiegefährdeten K<strong>in</strong><strong>der</strong>n:<br />
· AGATE-Anaphylaxieschulungsprogramm:<br />
Voraussetzung für die Teilnahme ist die ärztliche Verordnung<br />
e<strong>in</strong>es Adrenal<strong>in</strong>-Auto<strong>in</strong>jektors. E<strong>in</strong>e Evaluationsstudie<br />
zur <strong>Wir</strong>ksamkeit wurde durchgeführt.<br />
E<strong>in</strong>e Kostenübernahme durch die Krankenkassen<br />
erfolgt nach E<strong>in</strong>zelfallentscheidung. Zudem bieten<br />
e<strong>in</strong>ige <strong>der</strong> AGATE-Zentren/-Praxen auch Anaphylaxieschulungskurse<br />
für Lehrer<strong>in</strong>nen/Lehrer und Erzieher<strong>in</strong>nen/Erzieher<br />
an.<br />
Nähere Informationen s<strong>in</strong>d unter www.anaphylaxieschulung.de<br />
o<strong>der</strong> über den Deutschen Allergie- und<br />
Asthmabund e. V. (DAAB) (<strong>in</strong>fo@daab.de) erhältlich.<br />
Der Deutsche Allergie- und Asthmabund e. V. (DAAB)<br />
bietet zudem Anaphylaxie-Web<strong>in</strong>are an. Dies s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>stündige<br />
Sem<strong>in</strong>are, die per Internetzugang vom eigenen<br />
PC aus besucht werden können. Informationen zu<br />
Themen und Term<strong>in</strong>en s<strong>in</strong>d über die DAAB-Homepage<br />
(www.daab.de) o<strong>der</strong> per E-Mail (<strong>in</strong>fo@daab.de) erhältlich.<br />
· Tipps für Erzieher<strong>in</strong>nen/Erzieher und Lehrer<strong>in</strong>nen/<br />
Lehrer zum Umgang mit anaphylaxiegefährdeten K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
und Jugendlichen<br />
· Broschüre „Chronische Erkrankungen im K<strong>in</strong>desalter.<br />
E<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Thema <strong>von</strong> Elternhaus, K<strong>in</strong><strong>der</strong>tagesstätte<br />
und <strong>Schule</strong>“ <strong>der</strong> Bundeszentrale für gesundheitliche<br />
Aufklärung (BZgA), erhältlich unter:<br />
www.bzga.de/<strong>in</strong>fomaterialien/k<strong>in</strong><strong>der</strong>-und-jugendgesundheit/chronische-erkrankungen-im-k<strong>in</strong>desalter<br />
· Handreichung „Chronische Erkrankungen als Problem<br />
und Thema <strong>in</strong> <strong>Schule</strong> und Unterricht. Handreichung<br />
für Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer <strong>der</strong> Klassen 1 bis 10“ <strong>der</strong><br />
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA),<br />
erhältlich unter: www.bzga.de/<strong>in</strong>fomaterialien/<br />
unterrichtsmaterialien/nach-themen/?idx=625<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Deutscher Allergie- und Asthmabund e. V. (DAAB)<br />
www.daab.de<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
Der Deutsche Allergie- und Asthmabund e. V. (DAAB) bietet<br />
kostenlose Informationen und e<strong>in</strong>e Beratungshotl<strong>in</strong>e an:<br />
02166 64788 88 (Mo–Do <strong>von</strong> 9:00 bis 12:00 Uhr)<br />
www.daab.de<br />
· Zum Download:<br />
Broschüre <strong>der</strong> Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung<br />
(DGUV) „Medikamentengabe <strong>in</strong> <strong>Schule</strong>n“<br />
unter dem Internetl<strong>in</strong>k: publikationen.dguv.de/dguv/<br />
udt_dguv_ma<strong>in</strong>.aspx?FDOCUID=25924<br />
· Über Adrenal<strong>in</strong>-Auto<strong>in</strong>jektor-Hersteller, Ärzt<strong>in</strong>nen/Ärzte<br />
o<strong>der</strong> den Deutschen Allergie- und Asthmabund e. V.<br />
(DAAB) zu beziehen:<br />
Auto<strong>in</strong>jektor-Tra<strong>in</strong>er – ohne Nadel und Medikament zu<br />
Übungszwecken<br />
· Kostenfrei über den Deutschen Allergie- und Asthmabund<br />
e. V. (DAAB) (www.daab.de) zu bestellen:<br />
· Anaphylaxie-Notfallplan (Formular mit Maßnahmen<br />
für das Verhalten im Notfall, dient – sofern <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />
Ärzt<strong>in</strong>/dem Arzt ausgefüllt – zudem als Attest und als<br />
ärztliche Anweisung zur Verabreichung <strong>der</strong> Medikamente)<br />
· Ermächtigungsbesche<strong>in</strong>igung zur Medikamentengabe<br />
(Formular zur Ermächtigung <strong>der</strong> Lehrkräfte durch<br />
die Eltern, Medikamente verabreichen zu dürfen)<br />
27
Angeborene Herzfehler<br />
Ungefähr e<strong>in</strong> Prozent aller Neugeborenen kommt mit e<strong>in</strong>em Herzfehler<br />
zur Welt. Da<strong>von</strong> weist mehr als e<strong>in</strong> Drittel e<strong>in</strong>en schweren, d. h. lebensbedrohlichen<br />
Herzfehler auf. Die angeborenen Herzfehler werden nach<br />
Löchern (Septumdefekten), Verengungen (Stenosen) und Fehlanschlüssen<br />
sowie Komb<strong>in</strong>ationen bzw. komplexen Fehlbildungen klassifiziert.<br />
Es s<strong>in</strong>d 2.000 verschiedene Formen <strong>von</strong> Herzfehlern bekannt, die e<strong>in</strong>zeln<br />
o<strong>der</strong> komb<strong>in</strong>iert auftreten können.<br />
Die mit Abstand häufigsten Fehlbildungen (bezogen auf alle angeborenen<br />
Herzfehler) s<strong>in</strong>d Löcher zwischen den beiden Hauptkammern (Ventrikelseptumdefekte,<br />
~49 Prozent) und Löcher zwischen den beiden Vorhöfen<br />
(Vorhofseptumdefekte, ~17 Prozent). Animierte Darstellungen <strong>der</strong> häufigsten<br />
Herzfehler f<strong>in</strong>den sich unter www.herzklick.de.<br />
Ca. zehn Prozent aller Herzfehler s<strong>in</strong>d zyanotisch, d. h., es gelangt sauerstoffarmes<br />
Blut <strong>in</strong> den Körperkreislauf, was zu e<strong>in</strong>em bläulichen Aussehen<br />
vor allem <strong>der</strong> Lippen führen kann.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Angeborene Herzfehler gehen mit e<strong>in</strong>er Fehlbildung des<br />
Herzens und <strong>der</strong> großen Gefäße e<strong>in</strong>her. Sie stehen zu ca.<br />
zehn Prozent <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Zusammenhang mit Chromosomenbeson<strong>der</strong>heiten<br />
wie Trisomie 21 (Down-Syndrom),<br />
Trisomie 13 (Pätau-Syndrom), Trisomie 18 (Edwards-Syndrom),<br />
Marfan-Syndrom, Noonan-Syndrom, Williams-<br />
Beuren-Syndrom, Di-George-Syndrom (Deletionssyndrom<br />
22q11) u. a. Informationen dazu f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Broschüre<br />
„Syndrome, die mit angeborenen Herzfehlern e<strong>in</strong>hergehen“<br />
des Bundesverbandes Herzkranke K<strong>in</strong><strong>der</strong> e. V.<br />
(BVHK) unter www.bvhk.de.<br />
Die Auswirkungen <strong>von</strong> angeborenen Herzfehlern s<strong>in</strong>d<br />
sehr unterschiedlich. Sie reichen <strong>von</strong> m<strong>in</strong>imalen bis zu<br />
schweren körperlichen Bee<strong>in</strong>trächtigungen.<br />
Krankheitsmerkmale aus dem Herz-Gefäß-Bereich s<strong>in</strong>d:<br />
· Tachykardie (= Herzrasen)<br />
· Bradykardie (= krankhafte Verlangsamung<br />
des Herzschlags)<br />
· Hepatomegalie (= Lebervergrößerung)<br />
· Zyanose (= Blausucht)<br />
· Herzgeräusche<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Die Ursachen <strong>von</strong> angeborenen Herzfehlern s<strong>in</strong>d mehrheitlich<br />
(noch) nicht geklärt. Meist s<strong>in</strong>d mehrere Faktoren<br />
beteiligt, oft s<strong>in</strong>d sie auch „nur“ e<strong>in</strong>e „Laune <strong>der</strong> Natur“.<br />
E<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong> Herzfehler tritt nach Infektionen (z. B. Röteln),<br />
Giftstoffexposition (Noxen), Gebrauch <strong>von</strong> Medikamenten<br />
und Alkoholgenuss während <strong>der</strong> Schwangerschaft<br />
auf.<br />
Die Diagnose kann folgen<strong>der</strong>maßen gesichert werden:<br />
· Vor <strong>der</strong> Geburt: Ultraschalluntersuchungen<br />
(betrifft <strong>in</strong>sgesamt zwölf Prozent, bei schweren<br />
Herzfehlern 41 Prozent)<br />
· Nach <strong>der</strong> Geburt: Mehrheitlich bereits bei den<br />
Vorsorgeuntersuchungen U1 und U2, d. h. bis zum<br />
10. Lebenstag und/o<strong>der</strong> mittels Pulsoximetrie (nicht<strong>in</strong>vasive<br />
Messung des Sauerstoffgehalts im Blut)<br />
aufgrund folgen<strong>der</strong> Symptome:<br />
· Gedeihstörungen mit Erbrechen und Tr<strong>in</strong>kschwäche<br />
als erste H<strong>in</strong>weise auf e<strong>in</strong>e vorliegende<br />
Herzgefäßfehlbildung<br />
· Häufig auch Schwitzen, beson<strong>der</strong>s am Kopf<br />
Es besteht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schwangerschaft zwar die Möglichkeit,<br />
e<strong>in</strong> vorgeburtliches Screen<strong>in</strong>g für Organfehlbildungen<br />
durchzuführen, angeborene Herzfehler werden dabei jedoch<br />
häufig nicht erkannt.<br />
Die Fortschritte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mediz<strong>in</strong> haben zu e<strong>in</strong>er Zunahme<br />
<strong>der</strong> Lebenserwartung <strong>der</strong> Betroffenen geführt. 85 bis<br />
90 Prozent <strong>der</strong> heute geborenen K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit Herzfehler<br />
erreichen das Erwachsenenalter. Die Prognose ist weniger<br />
vom Herzfehler selbst abhängig als da<strong>von</strong>, wie gut die<br />
Behandlung gelungen ist (postoperativer Restbefund).<br />
28
Behandlung<br />
Die Behandlung besteht aus folgenden je nach Situation<br />
anzuwendenden Maßnahmen:<br />
· Medikamente: z. B. Diuretika (Entwässerungsmittel),<br />
Marcumar (Ger<strong>in</strong>nungshemmer)<br />
· Katheter<strong>in</strong>terventionen: Inzwischen können Löcher<br />
zwischen den Vorhöfen o<strong>der</strong> den Hauptkammern<br />
manchmal im Rahmen e<strong>in</strong>er Herzkatheter<strong>in</strong>tervention<br />
mit e<strong>in</strong>em sog. Schirmchen verschlossen werden.<br />
· Herzoperationen: S<strong>in</strong>d bei über <strong>der</strong> Hälfte <strong>der</strong> betroffenen<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> notwendig; viele K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit angeborenem<br />
Herzfehler müssen mehrfach am offenen Herzen<br />
operiert werden.<br />
· Herzschrittmacher: Falls Herzrhythmusstörungen<br />
sich nicht durch Medikamente behandeln lassen.<br />
Um die Bewältigung <strong>der</strong> Situation zu verbessern, gibt es<br />
Sportangebote (Segeln, Reiten, Klettern) sowie verschiedene<br />
Schulungsprogramme für Eltern, K<strong>in</strong><strong>der</strong>, Jugendliche<br />
und Geschwister, z. B. angeboten durch den Bundesverband<br />
Herzkranke K<strong>in</strong><strong>der</strong> (siehe unten).<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Betroffene K<strong>in</strong><strong>der</strong> können <strong>in</strong> ihrer körperlichen Belastungsfähigkeit<br />
e<strong>in</strong>geschränkt se<strong>in</strong>. Es kann hilfreich<br />
se<strong>in</strong>, ihnen e<strong>in</strong>en zweiten Satz Schulbücher zur<br />
Verfügung zu stellen, damit die Schultasche nicht<br />
zu schwer wird. H<strong>in</strong>weise zu weiteren Nachteilsausgleichsmaßnahmen<br />
gibt e<strong>in</strong>e sozialrechtliche Hotl<strong>in</strong>e<br />
des Bundesverbandes Herzkranke K<strong>in</strong><strong>der</strong> e. V. (0241<br />
55946979).<br />
Bei <strong>der</strong> Behandlung mit Diuretika s<strong>in</strong>d häufige Toilettengänge<br />
möglich. Die E<strong>in</strong>nahme <strong>von</strong> Betablockern<br />
geht häufig mit Konzentrationsstörungen e<strong>in</strong>her.<br />
Marcumar (nach manchen E<strong>in</strong>griffen wie z. B. E<strong>in</strong>setzen<br />
künstlicher Herzklappen nötig zur Blutverdünnung)<br />
för<strong>der</strong>t die Blutungsneigung; Lehrkräfte sollten<br />
darauf achten, Verletzungsgefahren zu reduzieren.<br />
Beim Tragen <strong>von</strong> Herzschrittmachern besteht die Gefahr<br />
<strong>von</strong> Beschädigungen, daher sollten starke Dehnungen<br />
des Rumpfes vermieden werden. Dennoch<br />
sollte den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n die Teilnahme am Sportunterricht<br />
ermöglicht werden. Dazu sollten Lehrkräfte <strong>von</strong> den<br />
Eltern e<strong>in</strong> differenziertes Sportattest <strong>der</strong> bzw. des behandelnden<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>kardiolog<strong>in</strong> bzw. K<strong>in</strong><strong>der</strong>kardiologen<br />
erbitten.<br />
Es besteht e<strong>in</strong>e Überempf<strong>in</strong>dlichkeit gegenüber Kälte<br />
und Hitze. Dies sollte zum Beispiel bei Schwimmbadbesuchen<br />
und bei <strong>der</strong> Planung <strong>von</strong> Sportfesten, Klassenfahrten<br />
und Ausflügen beachtet werden.<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
· Bundesverband Herzkranke K<strong>in</strong><strong>der</strong> e. V. (BVHK) (Hrsg.)<br />
(2. Aufl., 2014): Herzkranke K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>:<br />
Infobroschüre für Lehrer, Eltern und K<strong>in</strong><strong>der</strong>,<br />
www.bvhk.de<br />
· Broschüre „Chronische Erkrankungen im K<strong>in</strong>desalter.<br />
E<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Thema <strong>von</strong> Elternhaus, K<strong>in</strong><strong>der</strong>tagesstätte<br />
und <strong>Schule</strong>“ <strong>der</strong> Bundeszentrale für gesundheitliche<br />
Aufklärung (BZgA), erhältlich unter:<br />
www.bzga.de/<strong>in</strong>fomaterialien/k<strong>in</strong><strong>der</strong>-und-jugendgesundheit/chronische-erkrankungen-im-k<strong>in</strong>desalter<br />
· Handreichung „Chronische Erkrankungen als Problem<br />
und Thema <strong>in</strong> <strong>Schule</strong> und Unterricht. Handreichung<br />
für Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer <strong>der</strong> Klassen 1 bis 10“<br />
<strong>der</strong> Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung<br />
(BZgA), erhältlich unter: www.bzga.de/<strong>in</strong>fomaterialien/<br />
unterrichtsmaterialien/nach-themen/?idx=625<br />
· Sticker, E. J.; Leurs, S.; Bjarnason-Wehrens, B.;<br />
Dordel, S. & Schickendantz, S. (2013): Sport macht<br />
stark. Herzkranke K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche im Sportunterricht.<br />
Broschüre des Bundesverbandes Herzkranke<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> e. V. (BVHK), www.bvhk.de<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Bundesverband Herzkranke K<strong>in</strong><strong>der</strong> e. V. (BVHK)<br />
www.bvhk.de<br />
www.herzklick.de<br />
www.facebook.com/herzkranke.k<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.corience.org/de/leben-mit-e<strong>in</strong>em-herzfehler/eltern/alltag-mit-e<strong>in</strong>em-herzkranken-k<strong>in</strong>d<br />
29
Anorexie (Magersucht)/Bulimie (Ess-Brech-Sucht)<br />
lat. Anorexia nervosa/Bulimia nervosa<br />
Essstörungen kommen überwiegend <strong>in</strong> Regionen vor, <strong>in</strong> denen Nahrung<br />
ausreichend o<strong>der</strong> im Überfluss vorhanden ist. 90 Prozent <strong>der</strong> Betroffenen s<strong>in</strong>d<br />
Frauen, überwiegend zwischen dem 15. und 35. Lebensjahr.<br />
Jugendliche erkranken am häufigsten an Essstörungen (zwischen dem 13.<br />
und 16. Lebensjahr).<br />
Zurzeit leiden <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> fünf Prozent <strong>der</strong> Frauen an Anorexie (Magersucht)<br />
o<strong>der</strong> an Bulimie (Ess-Brech-Sucht). Die Bulimie tritt zwei- bis viermal<br />
häufiger auf als die Anorexie. Das Alter bei Erkrankungsbeg<strong>in</strong>n bei <strong>der</strong> Bulimie<br />
liegt meist etwas höher als bei <strong>der</strong> Anorexie. Bulimie kann auch <strong>in</strong>folge<br />
o<strong>der</strong> <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit e<strong>in</strong>er Anorexie auftreten.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Bei e<strong>in</strong>er Magersucht nehmen die Betroffenen sehr wenig<br />
o<strong>der</strong> fast ke<strong>in</strong>e Nahrung zu sich. Die Gedanken <strong>der</strong><br />
betroffenen Personen kreisen fast ausschließlich um das<br />
Essen bzw. den Nahrungsverzicht. Dies führt zu starkem<br />
Untergewicht, d. h. zu e<strong>in</strong>em niedrigen Body-Mass-Index<br />
(BMI) unter 17,5 [berechnet durch (Körpergewicht <strong>in</strong> kg)/<br />
(Körpergröße <strong>in</strong> m)²]. Die Betroffenen können e<strong>in</strong>en Abführmittelmissbrauch<br />
betreiben, fallen durch übertriebene<br />
körperliche Aktivität auf, führen Erbrechen herbei<br />
o<strong>der</strong> verweigern die Nahrungsaufnahme.<br />
Personen, die an Bulimie leiden, haben im Gegensatz zu<br />
Magersüchtigen meist e<strong>in</strong> normales Gewicht bei starken<br />
Heißhungerattacken und daraufh<strong>in</strong> selbst<strong>in</strong>duziertem Erbrechen.<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Mehrere Faktoren sprechen für e<strong>in</strong>e Sicherung <strong>der</strong> Diagnose<br />
Anorexia nervosa:<br />
1. Körperschemastörung (Patient<strong>in</strong>nen und Patienten<br />
empf<strong>in</strong>den sich trotz niedrigen Gewichts als zu dick,<br />
haben e<strong>in</strong> gestörtes Selbstbild und Selbstwertgefühl)<br />
2. Körpergewicht m<strong>in</strong>destens 15 Prozent unterhalb<br />
des Normal- bzw. des <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wachstumsphase zu<br />
erwartenden Gewichts (z. B. 42,5 kg bei e<strong>in</strong>er Größe<br />
<strong>von</strong> 170 cm); BMI bei o<strong>der</strong> unter 17,5<br />
3. selbst herbeigeführte Gewichtsreduktion<br />
(e<strong>in</strong>geschränkte und extrem kontrollierte Nahrungsaufnahme<br />
· Vermeidung hochkalorischer Speisen<br />
· übertriebene körperliche Aktivität (Hyperaktivität)<br />
· selbst <strong>in</strong>duziertes Erbrechen o<strong>der</strong> Missbrauch<br />
<strong>von</strong> Abführmitteln<br />
4. hormonelle Störung (z. B. Ausbleiben <strong>der</strong> Regelblutung<br />
bei Mädchen, Libidoverlust)<br />
Bei Bulimie sollten folgende Punkte für die Diagnose erfüllt<br />
se<strong>in</strong>:<br />
1. krankhafte Angst vor dem Dickwerden<br />
2. Körperschemastörung<br />
3. normales bis erhöhtes Körpergewicht mit e<strong>in</strong>em BMI<br />
bei o<strong>der</strong> über 17,5<br />
4. selbst <strong>in</strong>duziertes Erbrechen nach Essattacken,<br />
bei denen große Mengen Nahrung <strong>in</strong> sehr kurzer Zeit<br />
konsumiert werden<br />
Die Betroffenen versuchen, dem dick machenden Effekt<br />
<strong>der</strong> Nahrung durch verschiedene Verhaltensweisen entgegenzuwirken:<br />
· selbst <strong>in</strong>duziertes Erbrechen<br />
· Missbrauch <strong>von</strong> Abführmitteln<br />
· zeitweilige Hungerperioden<br />
· Gebrauch <strong>von</strong> Appetitzüglern<br />
Bei Magersucht besteht e<strong>in</strong>e hohe Chronifizierungsrate.<br />
Die Erkrankung kann e<strong>in</strong>en äußerst dramatischen Verlauf<br />
nehmen und schlimmstenfalls zum Tode führen. Nach e<strong>in</strong>er<br />
Behandlung zeigt sich bei etwa 30 Prozent <strong>der</strong> Patient<strong>in</strong>nen<br />
und Patienten e<strong>in</strong>e vollständige Besserung, d. h., sie<br />
erreichen zum<strong>in</strong>dest annähernd das Normalgewicht und<br />
weibliche Betroffene haben regelmäßig ihre Menstruation.<br />
Bei 35 Prozent lässt sich zwar e<strong>in</strong>e Gewichtszunahme<br />
feststellen, e<strong>in</strong> Normalgewicht wird allerd<strong>in</strong>gs nicht erreicht.<br />
Das Krankheitsbild bleibt bei ca. 25 Prozent <strong>der</strong><br />
Betroffenen chronisch bestehen.<br />
30
Von den behandelten Bulimie-Erkrankten wird ungefähr<br />
die Hälfte wie<strong>der</strong> gesund. Bei e<strong>in</strong>em weiteren Drittel bessert<br />
sich die Essstörung. Jede bzw. je<strong>der</strong> fünfte Betroffene<br />
kann sich jedoch nicht aus <strong>der</strong> Sucht befreien. Auch unter<br />
den zunächst erfolgreich Therapierten kann die Ess-<br />
Brech-Sucht wie<strong>der</strong> auftreten. Die Rückfallquote liegt bei<br />
m<strong>in</strong>destens 30 Prozent.<br />
Behandlung<br />
E<strong>in</strong>e fachlich gut fundierte Behandlung <strong>der</strong> Anorexie ist<br />
sehr wichtig. Die Todesrate unbehandelter Anorexie beträgt<br />
nach heutigem Wissensstand im Langzeitverlauf<br />
fünf bis zwanzig Prozent. Bewährt haben sich spezialisierte<br />
Psychotherapie, körperliche Abklärung sowie – je nach<br />
Schweregrad – engmaschige körperliche Kontrollen, Normalisieren<br />
des Essverhaltens und des Körpergewichts.<br />
Bei sehr kritischem Untergewicht (BMI unter 13) ist e<strong>in</strong>e<br />
stationäre Behandlung mit e<strong>in</strong>er parenteralen (<strong>in</strong>travenösen,<br />
den Darm umgehenden) Ernährung notwendig. Es<br />
ist wichtig, mit betroffenen Patient<strong>in</strong>nen und Patienten<br />
e<strong>in</strong>en Behandlungsvertrag abzuschließen und erreichbare<br />
Ziele zu setzen. E<strong>in</strong>e zu schnelle Erhöhung <strong>der</strong> Nahrungsmittelzufuhr<br />
kann zu gefährlichen Stoffwechselentgleisungen<br />
führen.<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
· Der Bundesverband <strong>der</strong> Angehörigen psychisch Kranker<br />
e. V. (BApK) bietet e<strong>in</strong>en Flyer für pädagogische<br />
Fachkräfte an: www.psychiatrie.de/bapk/k<strong>in</strong><strong>der</strong>/flyer<br />
· Zur Weiterreichung an Eltern/Angehörige betroffener<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>/Jugendlicher bietet sich die BApK-Broschüre<br />
„Wahns<strong>in</strong>nsk<strong>in</strong><strong>der</strong>?“an: www.psychiatrie.de/bapk/<br />
k<strong>in</strong><strong>der</strong>/broschuere-eltern<br />
· Zur Weiterreichung an Geschwister, Freund<strong>in</strong>nen und<br />
Freunde und alle, die mit e<strong>in</strong>em psychisch kranken<br />
Menschen zusammenleben, bietet sich die BApK-Broschüre<br />
„Was ist denn nur mit Philip los?“ an:<br />
www.psychiatrie.de/bapk/k<strong>in</strong><strong>der</strong>/broschuere-geschwister<br />
· Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung<br />
(BZgA) bietet Informationen/Materialien für Lehr- und<br />
Mittlerkräfte an: www.bzga-essstoerungen.de<br />
· Informationen, Unterstützung und Unterrichtsmaterialien<br />
zu Essstörungen: www.hungrig-onl<strong>in</strong>e.de/category/lehrer<br />
· Ausstellungsprojekt mit Schulungen und Begleitmaterial<br />
„Klang me<strong>in</strong>es Körpers“: www.klang-me<strong>in</strong>eskoerpers.de<br />
· Schulprojekt „Verrückt? Na und? – Seelisch fit <strong>in</strong> <strong>Schule</strong><br />
und Ausbildung“: www.verrueckt-na-und.de<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Lehrkräfte sollten sich mit <strong>der</strong> Krankheit ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen,<br />
um erste Anzeichen zu erkennen, und ihre Beobachtungen<br />
<strong>in</strong>nerhalb des Kollegiums austauschen,<br />
damit e<strong>in</strong> aussagekräftigeres Bild entstehen kann. In<br />
e<strong>in</strong>em persönlichen Gespräch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er vertraulichen<br />
Atmosphäre sollten sie die Betroffenen wissen lassen,<br />
dass sie die Verhaltensän<strong>der</strong>ung bemerkt haben und<br />
e<strong>in</strong>e Essstörung vermuten. In e<strong>in</strong>em solchen Gespräch<br />
sollte nicht nur die Gewichtsverän<strong>der</strong>ung thematisiert<br />
werden, son<strong>der</strong>n auch die Sorge um das beobachtete<br />
verschlechterte allgeme<strong>in</strong>e Wohlbef<strong>in</strong>den. Die o<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> Betroffene reduziert sich selbst auf e<strong>in</strong> Gewichtsproblem,<br />
e<strong>in</strong>e Sichtweise, die nicht unterstützt werden<br />
sollte. Auch wenn die o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Jugendliche zunächst<br />
ablehnend reagiert, kann e<strong>in</strong> solches Gespräch das entscheidende<br />
Signal se<strong>in</strong>, Hilfe zu suchen.<br />
Verwiesen werden sollte unbed<strong>in</strong>gt auf konkrete Hilfsangebote<br />
<strong>in</strong> Wohnortnähe. Zudem s<strong>in</strong>d folgende Maßnahmen<br />
s<strong>in</strong>nvoll:<br />
· Strategieplan bzgl. möglicher Hilfemaßnahmen erstellen;<br />
mit den Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen austauschen<br />
· Kontakt zu den Eltern/Erziehungsberechtigten aufbauen<br />
· ke<strong>in</strong>e Diagnose stellen<br />
· Unterstützung anbieten<br />
· die Schüler<strong>in</strong> bzw. den Schüler ansprechen<br />
· Vorbild se<strong>in</strong><br />
· Kontakt halten<br />
· Essstörungen ggf. zum Unterrichtsthema machen;<br />
dies muss sensibel auf den E<strong>in</strong>zelfall abgestimmt<br />
werden und bedarf unbed<strong>in</strong>gt <strong>der</strong> Zustimmung <strong>der</strong><br />
Betroffenen und ihrer Eltern/Erziehungsberechtigten.<br />
31
Anorexie (Magersucht)/Bulimie (Ess-Brech-Sucht)<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Bundesverband <strong>der</strong> Angehörigen psychisch Kranker e. V.<br />
(BApK)<br />
www.bapk.de<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.psychiatrie.de/bapk/k<strong>in</strong><strong>der</strong>/krankheitsbil<strong>der</strong>/<br />
anorexie<br />
· www.psychiatrie.de/bapk/k<strong>in</strong><strong>der</strong>/krankheitsbil<strong>der</strong>/<br />
bulimie<br />
· www.bzga-essstoerungen.de (auch Beratungstelefon)<br />
· www.hungrig-onl<strong>in</strong>e.de<br />
· www.magersucht-onl<strong>in</strong>e.de<br />
· www.bulimie-onl<strong>in</strong>e.de<br />
· www.abas-stuttgart.de<br />
32
Asthma<br />
Asthma bronchiale kommt bei rund fünf Prozent <strong>der</strong> Erwachsenen und<br />
zehn Prozent <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> vor und ist im K<strong>in</strong>desalter die häufigste<br />
chronische Erkrankung dieses Lebensabschnitts. Nach den Ergebnissen des<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>- und Jugendgesundheitssurveys (KIGGS) haben Jungen häufiger Asthma<br />
bronchiale als Mädchen. Dieses Verhältnis soll sich aber ab dem Zeitpunkt<br />
<strong>der</strong> Pubertät umkehren. Die Umkehr wird zum Teil mit den bei Mädchen und<br />
Männern größeren Bronchienquerschnitten, aber auch mit hormonellen<br />
Ursachen begründet.<br />
Allgeme<strong>in</strong> kann man sagen, dass die Häufigkeit <strong>von</strong> Asthmaerkrankungen zugenommen<br />
hat und daher weiter anzusteigen sche<strong>in</strong>t.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Asthma bronchiale ist gekennzeichnet durch e<strong>in</strong>e Entzündung<br />
und Überempf<strong>in</strong>dlichkeit sowie e<strong>in</strong>e variable<br />
Verengung <strong>der</strong> Atemwege. Dabei können unterschiedliche<br />
Asthmaformen vorliegen. Beim allergischen Asthma,<br />
das beson<strong>der</strong>s häufig im K<strong>in</strong>desalter vorkommt, aber auch<br />
bei Erwachsenen häufiger auftritt, können Allergien zu<br />
e<strong>in</strong>er Asthmaerkrankung führen. Beim nichtallergischen<br />
Asthma werden Verschlechterungen meist durch Infekte<br />
ausgelöst. Es gibt aber auch Mischformen aus beiden<br />
Ausprägungen. Bei Säugl<strong>in</strong>gen und Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong><strong>der</strong>n s<strong>in</strong>d die<br />
Atemwege noch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Entwicklung begriffen und können<br />
sich dadurch verengen. Dies kann Beschwerden hervorrufen,<br />
wenn Infekte auftreten.<br />
Asthmatische Beschwerden können unterschiedlich stark<br />
ausgeprägt se<strong>in</strong>. Asthmaerkrankungen weisen dementsprechend<br />
verschiedene Schweregrade auf, <strong>von</strong> ger<strong>in</strong>ggradigen<br />
bis h<strong>in</strong> zu sehr schweren Ausprägungen mit<br />
starker anfallsartiger Atemnot.<br />
Typische asthmatische Symptome:<br />
· Engegefühl <strong>in</strong> <strong>der</strong> Brust („Gefühl <strong>der</strong> eisernen Faust“<br />
o<strong>der</strong> des „Knotens <strong>in</strong> <strong>der</strong> Luftröhre“) und/o<strong>der</strong><br />
· Kurzatmigkeit bis zu anfallsartig auftreten<strong>der</strong><br />
schwerer Luftnot (oftmals <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nacht)<br />
· Husten mit und ohne Auswurf<br />
· pfeifende o<strong>der</strong> brummende Atemgeräusche<br />
(Giemen)<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Auslöser (Trigger) für Asthmaanfälle:<br />
· Allergieauslöser wie Pollen, Hausstaubmilben,<br />
felltragende Tiere, Nahrungsmittel o<strong>der</strong> auch<br />
Schimmelpilze<br />
· Reizung <strong>der</strong> Atemwege durch Stäube, Rauch, kalte<br />
Luft, Gerüche, Düfte, chemische Reize<br />
· Infekte<br />
· körperliche Belastung bei Formen mit Belastungsasthma<br />
· psychosoziale Faktoren<br />
Die Diagnose <strong>der</strong> Atemwegserkrankung stützt sich auf<br />
folgende Grundpfeiler:<br />
· ausführliches Patientengespräch mit Fragen<br />
zu allergischen Erkrankungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Familie<br />
· körperliche Untersuchung und Allergietestung<br />
· Lungenfunktionsmessung: Mithilfe verschiedener<br />
Messungen können das Lungenvolumen, die Luftflüsse<br />
durch die Atemwege, die Blutgase und <strong>der</strong> Gasaustausch<br />
gemessen werden. Diese Messungen können<br />
im Ruhe- und im Belastungszustand erfolgen.<br />
· Provokationstests: Überprüfung <strong>der</strong> Reaktion und Reizbarkeit<br />
<strong>der</strong> Atemwege<br />
· Differenzialdiagnosen wie z. B. Adipositas, Entwicklungsstörungen<br />
<strong>der</strong> Atemwege, Reflux u. a. müssen<br />
ebenfalls berücksichtigt werden.<br />
Bei e<strong>in</strong>em großen Teil <strong>der</strong> erkrankten K<strong>in</strong><strong>der</strong> heilt das<br />
Asthma mit <strong>der</strong> Pubertät aus. E<strong>in</strong>e Empf<strong>in</strong>dlichkeit <strong>der</strong><br />
Atemwege kann aber weiter bestehen und das Asthma<br />
kann eventuell <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er späteren Lebensphase wie<strong>der</strong> auftreten.<br />
E<strong>in</strong>e rechtzeitige Erkennung und e<strong>in</strong>e adäquate<br />
Behandlung des Asthmas wirken sich günstig auf die Prognose<br />
aus. E<strong>in</strong>e konsequente, längerfristige Therapie mit<br />
<strong>in</strong>halativen Glukokortikoiden (= Medikamente zur Hemmung<br />
<strong>der</strong> Entzündungsreaktion) kann die Prognose entscheidend<br />
verbessern.<br />
33
Asthma<br />
Behandlung<br />
Mit <strong>der</strong> richtigen Therapie kann die überwiegende Zahl<br />
<strong>der</strong> Asthmatiker sehr gut behandelt werden. Bei allergischem<br />
Asthma muss geklärt werden, welche Allergieauslöser<br />
vorliegen und ob diese weitgehend vermeidbar s<strong>in</strong>d.<br />
Ist dies <strong>der</strong> Fall, können zusätzlich zu medikamentösen<br />
Maßnahmen auch solche zur Vermeidung <strong>der</strong> Allergene<br />
(= allergieauslösende Stoffe) angewendet werden (z. B.<br />
allergendichter Matratzenüberzug bei Hausstaubmilbenallergie).<br />
Gegebenenfalls kann <strong>der</strong> Körper bei mo<strong>der</strong>atem<br />
und gut kontrolliertem Asthma langsam an den Allergieauslöser<br />
gewöhnt werden (sog. Hyposensibilisierung).<br />
Asthmatiker sollen lernen, ihr Asthma zu akzeptieren.<br />
Dabei hilft die Asthmaschulung, <strong>in</strong> <strong>der</strong> u. a. die richtige<br />
Inhalationstechnik, Entspannungstechniken, Kontrolltechniken<br />
mit dem Peak-Flow-Meter sowie das Erkennen<br />
<strong>von</strong> Warnsignalen für Verschlechterungen und Strategien<br />
im Umgang mit dem Asthma vermittelt werden.<br />
Die medikamentöse Behandlung stützt sich vornehmlich<br />
auf zwei Medikamentengruppen, die h<strong>in</strong>sichtlich ihrer<br />
<strong>Wir</strong>kung unterschieden werden: Zum e<strong>in</strong>en die „antientzündlichen“<br />
Medikamente, die sich gegen die Entzündung<br />
<strong>der</strong> Atemwege richten, und zum an<strong>der</strong>en die<br />
atemwegserweiternden (= antiobstruktiven) Präparate.<br />
Die <strong>Wir</strong>kstoffe werden <strong>in</strong> den meisten Fällen <strong>in</strong>haliert.<br />
Bei <strong>der</strong> Asthmatherapie wird die Dosierung <strong>der</strong> Medikamente<br />
durch den jeweiligen Schweregrad <strong>der</strong> Erkrankung<br />
bestimmt. Zu den wichtigsten entzündungshemmenden<br />
Medikamenten zählen <strong>in</strong>halative Kortisonpräparate, die<br />
jedoch nur bei regelmäßiger E<strong>in</strong>nahme e<strong>in</strong>e gute Kontrolle<br />
des Asthmas erzielen. Dabei gilt: So viel wie nötig, so<br />
wenig wie möglich. Im weiteren Krankheitsverlauf prüft<br />
<strong>der</strong> Arzt regelmäßig, ob das Asthma durch die medikamentöse<br />
Behandlung gut kontrolliert ist o<strong>der</strong> ob e<strong>in</strong>e Anpassung<br />
<strong>der</strong> Dosierung erfolgen sollte.<br />
Schulungsprogramme:<br />
Asthmaschulung: www.asthmaschulung.de<br />
Neben <strong>der</strong> Asthmaschulung für Patienten und Eltern <strong>von</strong><br />
Betroffenen hat die Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft Asthmaschulung<br />
im K<strong>in</strong>des- und Jugendalter e. V. auch e<strong>in</strong>heitliche<br />
Standards für die Ausbildung zum Asthmatra<strong>in</strong>er entwickelt.<br />
Auf <strong>der</strong> Internetseite kann nach Asthmaschulungen<br />
gesucht werden.<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Die Akzeptanz <strong>der</strong> <strong>von</strong> Asthma betroffenen Schüler<strong>in</strong>nen<br />
und Schüler durch die Klassengeme<strong>in</strong>schaft ist<br />
<strong>von</strong> beson<strong>der</strong>er Bedeutung. Bei Ausflügen und Klassenprojekten<br />
sollten mögliche Triggerfaktoren berücksichtigt,<br />
e<strong>in</strong>e übertriebene Fürsorge sollte aber vermieden<br />
werden, damit die betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong> ke<strong>in</strong>e<br />
Außenseiterrolle e<strong>in</strong>nehmen. Lehrkräfte sowie Mitschüler<strong>in</strong>nen<br />
und Mitschüler sollten gut über die Erkrankung<br />
und auch über mögliche Auslöser für e<strong>in</strong>en<br />
Asthmaanfall <strong>in</strong>formiert se<strong>in</strong> und wissen, welche<br />
Maßnahmen im Notfall zu ergreifen s<strong>in</strong>d (Ärztlichen<br />
Asthma-Notfallplan beachten).<br />
Asthma und Sport schließen sich nicht aus. Im Gegenteil,<br />
gerade die sportliche Betätigung ist e<strong>in</strong>e<br />
wichtige Unterstützung im Krankheitsmanagement.<br />
Sportliche Aktivitäten sollten grundsätzlich immer<br />
mit e<strong>in</strong>er langsamen Aufwärmphase beg<strong>in</strong>nen und<br />
auch langsam „auskl<strong>in</strong>gen“. Ausdauersportarten<br />
s<strong>in</strong>d für Betroffene beson<strong>der</strong>s geeignet. Schüler<strong>in</strong>nen<br />
und Schüler mit Asthma sollten im Sportunterricht<br />
auf jeden Fall ihr Notfallmedikament mitführen.<br />
Folgende Maßnahmen sollten bei e<strong>in</strong>em Asthmaanfall<br />
ergriffen werden:<br />
Es ist wünschenswert, wenn für die jeweiligen Schüler<strong>in</strong>nen<br />
und Schüler e<strong>in</strong> Ärztlicher Asthma-Notfallplan<br />
zur Verfügung steht, <strong>der</strong> Handlungsanweisungen<br />
für den Notfall und Telefonnummern <strong>der</strong> Eltern enthält.<br />
Beim Asthma-Notfall immer ärztliche Hilfe anfor<strong>der</strong>n:<br />
Unter <strong>der</strong> Telefonnummer 112 ist je<strong>der</strong>zeit <strong>der</strong> mediz<strong>in</strong>ische<br />
Rettungsdienst erreichbar.<br />
· Besonnen bleiben und das K<strong>in</strong>d beruhigen.<br />
· Das K<strong>in</strong>d dabei unterstützen, zwei bis vier Sprühstöße<br />
se<strong>in</strong>es Notfallmedikaments zu <strong>in</strong>halieren.<br />
· Das K<strong>in</strong>d sollte an Atemtechniken er<strong>in</strong>nert werden,<br />
die ihm Entlastung br<strong>in</strong>gen können (Inhalt<br />
e<strong>in</strong>er Asthmaschulung). Dazu gehören z. B. die<br />
„Lippen-bremse“ (Ausatmen gegen die geschlossenen<br />
Lippen) und <strong>der</strong> „Kutschersitz“ (atemerleichternde<br />
Körperhaltung).<br />
· Wenn diese Maßnahmen nach zehn M<strong>in</strong>uten nicht<br />
zu e<strong>in</strong>er Besserung führen, sollte die Behandlung<br />
mit dem Notfallmedikament wie<strong>der</strong>holt werden<br />
und ggf. das weitere Vorgehen nach dem Notfallplan<br />
erfolgen.<br />
· Sofern erfor<strong>der</strong>lich, sollte e<strong>in</strong> Transport im Sitzen<br />
erfolgen.<br />
34
Materialien für Lehrkräfte<br />
Der Deutsche Allergie- und Asthmabund e. V. (DAAB) bietet<br />
kostenlose Informationen und e<strong>in</strong>e Beratungshotl<strong>in</strong>e<br />
an: 02166 64788 88 (Mo–Do <strong>von</strong> 9:00 bis 12:00 Uhr)<br />
www.daab.de<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.daab.de/atemwege<br />
· PINA e. V. (Präventions- und Informationsnetzwerk<br />
Allergie/Asthma): www.p<strong>in</strong>a-<strong>in</strong>fol<strong>in</strong>e.de<br />
· Broschüre „Chronische Erkrankungen im K<strong>in</strong>desalter.<br />
E<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Thema <strong>von</strong> Elternhaus, K<strong>in</strong><strong>der</strong>tagesstätte<br />
und <strong>Schule</strong>“ <strong>der</strong> Bundeszentrale für gesundheitliche<br />
Aufklärung (BZgA), erhältlich unter:<br />
www.bzga.de/<strong>in</strong>fomaterialien/k<strong>in</strong><strong>der</strong>-und-jugendgesundheit/chronische-erkrankungen-im-k<strong>in</strong>desalter<br />
· Handreichung „Chronische Erkrankungen als Problem<br />
und Thema <strong>in</strong> <strong>Schule</strong> und Unterricht. Handreichung<br />
für Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer <strong>der</strong> Klassen 1 bis 10“ <strong>der</strong><br />
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA),<br />
erhältlich unter: www.bzga.de/<strong>in</strong>fomaterialien/<br />
unterrichtsmaterialien/nach-themen/?idx=625<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Deutscher Allergie- und Asthmabund e. V. (DAAB)<br />
www.daab.de<br />
35
Autismus<br />
Autismus zählt zu den tiefgreifenden Entwicklungsstörungen, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> ICD-10<br />
unter F84 als mediz<strong>in</strong>ische Diagnosen def<strong>in</strong>iert s<strong>in</strong>d. In den noch aktuellen<br />
Diagnosekriterien werden autistische Störungen hauptsächlich <strong>in</strong> „frühk<strong>in</strong>dlichen<br />
Autismus“ (F84.0) und „Asperger-Syndrom“ (F84.5) unterschieden.<br />
E<strong>in</strong>e diagnostische Abgrenzung bei<strong>der</strong> Störungen fällt immer schwerer, da<br />
zunehmend leichtere Formen des frühk<strong>in</strong>dlichen Autismus als „hochfunktionaler“<br />
Typ diagnostiziert werden. Daher wird zur E<strong>in</strong>ordnung <strong>der</strong> verschiedenen<br />
Schweregrade, Ausprägungen und Symptome <strong>von</strong> Autismus <strong>der</strong> Begriff<br />
<strong>der</strong> „Autismus-Spektrum-Störung“ als Oberbegriff für das gesamte Spektrum<br />
autistischer Störungen verwendet. Er wird die aktuelle kategoriale E<strong>in</strong>teilung <strong>in</strong><br />
den diagnostischen Kriterien voraussichtlich <strong>in</strong> Zukunft ersetzen.<br />
H<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Häufigkeit des Auftretens <strong>von</strong> Autismus-Spektrum-Störungen<br />
geht man landläufig <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Anteil <strong>von</strong> rund e<strong>in</strong>em Prozent Betroffener<br />
an <strong>der</strong> Gesamtbevölkerung aus. Auch <strong>in</strong> neueren Review-Studien f<strong>in</strong>den sich<br />
die Prävalenzangaben <strong>von</strong> m<strong>in</strong>destens 0,6–0,7 Prozent belegt.<br />
Die Zahl <strong>der</strong> Menschen mit e<strong>in</strong>er tiefgreifenden Entwicklungsstörung <strong>in</strong> Form<br />
<strong>von</strong> frühk<strong>in</strong>dlichem Autismus wird auf 22:10.000 geschätzt, die des Asperger-<br />
Syndroms auf 11:10.000 und die des Atypischen Autismus (= alle Autismus-<br />
Störungen, die nicht an<strong>der</strong>s spezifiziert werden können) auf 30:10.000.<br />
den Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Autismus-Spektrum-Störungen zeigen sich <strong>in</strong> folgenden<br />
Bee<strong>in</strong>trächtigungen:<br />
1. soziale Interaktion: fehlendes Verständnis sozialer und<br />
emotionaler Signale<br />
2. Kommunikation: monotone Sprache, e<strong>in</strong>geschränkte<br />
Begleitgestik im sozialen Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />
3. e<strong>in</strong>geschränktes, stereotypes, sich wie<strong>der</strong>holendes<br />
Repertoire an Verhaltensmustern, Aktivitäten und<br />
Interessen<br />
eUrsache/Diagnose/Prognose<br />
Die Ursachen <strong>von</strong> Autismus-Spektrum-Störungen s<strong>in</strong>d<br />
noch nicht e<strong>in</strong>deutig geklärt. Weitgehende E<strong>in</strong>igkeit besteht<br />
aber dar<strong>in</strong>, dass biologische und genetische Faktoren<br />
e<strong>in</strong>e wesentliche Rolle spielen.<br />
Autismus kann ausschließlich durch Beobachtung und Beschreibung<br />
des Verhaltens diagnostiziert werden. Die beobachteten<br />
Verhaltensweisen müssen <strong>in</strong> allen drei o. g.Kernbereichen<br />
vorkommen und sich entsprechend zuordnen<br />
lassen, damit e<strong>in</strong>e Autismus-Diagnose überhaupt <strong>in</strong> Betracht<br />
kommen kann. Die fachärztliche Diagnose ist Voraussetzung<br />
für weitergehende Hilfen.<br />
Autismus bleibt e<strong>in</strong> Leben lang bestehen. Gezielte För<strong>der</strong>und<br />
Therapiemaßnahmen können zu e<strong>in</strong>er Verbesserung<br />
<strong>der</strong> Symptomatik führen und die Lebensqualität für den<br />
betroffenen Menschen sowie se<strong>in</strong> Lebensumfeld (Eltern,<br />
an<strong>der</strong>e Bezugspersonen, Mitschüler<strong>in</strong>nen und Mitschüler<br />
etc.) erhöhen. Personen mit frühk<strong>in</strong>dlichem Autismus fällt<br />
es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel deutlich schwerer, sich auf neue Situationen<br />
e<strong>in</strong>zustellen und gewohnte Strukturen zu verlassen (z. B.<br />
beim Übergang vom Elternhaus <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Wohngruppe,<br />
<strong>von</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> <strong>in</strong> die Ausbildung) als Menschen mit<br />
Asperger-Syndrom. Letztere können bei entsprechen<strong>der</strong><br />
För<strong>der</strong>ung eher lernen, mit ihren „Eigenarten“ umzugehen<br />
und autismusbed<strong>in</strong>gte Bee<strong>in</strong>träch-tigungen zu kompensieren.<br />
Behandlung<br />
Die therapeutische För<strong>der</strong>ung muss immer an den <strong>in</strong>dividuellen<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen und Symptomen des Autismus<br />
orientiert bleiben. För<strong>der</strong>ung und Therapie s<strong>in</strong>d zunächst<br />
im Wesentlichen darauf ausgerichtet, betroffene<br />
Menschen entsprechend ihren <strong>in</strong>dividuellen Möglichkeiten<br />
<strong>in</strong> ihrer Beziehungs- und Kommunikationsfähigkeit zu<br />
unterstützen. Des Weiteren werden lebensbegleitende<br />
Therapie- und För<strong>der</strong>angebote empfohlen, die helfen,<br />
36
sich besser <strong>in</strong> <strong>der</strong> Umwelt zurechtzuf<strong>in</strong>den und flexibler<br />
auf Situationen und Personen reagieren zu können. Neben<br />
e<strong>in</strong>er autismusspezifischen Therapie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Autismus-<br />
Therapie-Zentrum können Ergotherapie, Logopädie bzw.<br />
Sprachför<strong>der</strong>ung zur Entwicklungsför<strong>der</strong>ung beitragen.<br />
Darüber h<strong>in</strong>aus s<strong>in</strong>d unterstützende Maßnahmen wie<br />
<strong>in</strong>klusive Ferienfahrten/Freizeitgestaltung, Musik- und<br />
Kunsttherapie etc. hilfreich.<br />
Ergänzend bieten sich psychotherapeutische Hilfen wie<br />
bspw. e<strong>in</strong>e Familientherapie zur Unterstützung <strong>der</strong> Familie<br />
im Umgang mit <strong>der</strong> Entwicklungsstörung und bei <strong>der</strong><br />
För<strong>der</strong>ung des betroffenen K<strong>in</strong>des an.<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Das Wissen über Autismus und das Verständnis für<br />
die Beson<strong>der</strong>heiten <strong>von</strong> Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern<br />
mit Autismus-Spektrum-Störung, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e h<strong>in</strong>sichtlich<br />
Interaktion und Verhalten, s<strong>in</strong>d unbed<strong>in</strong>gte<br />
Voraussetzungen für den adäquaten Umgang mit<br />
den betroffenen Menschen. Es ist daher s<strong>in</strong>nvoll, sich<br />
mit dem Störungsbild, etwa im Rahmen <strong>von</strong> Fortbildungen,<br />
ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>zusetzen. Im Internet f<strong>in</strong>den<br />
sich dazu zahlreiche Informationen u. a. auch auf<br />
Seiten und Foren <strong>von</strong> <strong>Selbsthilfe</strong>gruppen.<br />
Innerhalb <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> auftretende Symptome können<br />
sehr vielfältig se<strong>in</strong> und sowohl die Klassengeme<strong>in</strong>schaft<br />
als auch das Lehrpersonal belasten. Sofern<br />
dies möglich ersche<strong>in</strong>t, sollte offen über den Autismus<br />
des K<strong>in</strong>des und die damit e<strong>in</strong>hergehenden Beson<strong>der</strong>heiten<br />
gesprochen werden. K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit dem<br />
Asperger-Syndrom s<strong>in</strong>d unter bestimmten Bed<strong>in</strong>gungen<br />
durchaus <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage, e<strong>in</strong>e Regelschule erfolgreich<br />
zu durchlaufen, da ihre kognitive Entwicklung<br />
nicht e<strong>in</strong>geschränkt ist. Lehrkräfte sollten eng mit <strong>der</strong><br />
Familie und den Therapeut<strong>in</strong>nen bzw. Therapeuten<br />
des K<strong>in</strong>des zusammenarbeiten, um hilfreiche Lernbed<strong>in</strong>gungen<br />
für das betroffene K<strong>in</strong>d zu schaffen,<br />
sofern diese als notwendig erachtet werden. Hilfreich<br />
kann z. B. auch die E<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>es beson<strong>der</strong>s<br />
reizarmen und an die Bedürfnisse des betroffenen<br />
K<strong>in</strong>des angepassten Rückzugsorts se<strong>in</strong>.<br />
Das betroffene K<strong>in</strong>d ist <strong>von</strong> selbst kaum <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage,<br />
Kontakte bzw. e<strong>in</strong>e Beziehung zu an<strong>der</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
und Lehrkräften aufzubauen. Es kann diesbezüglich<br />
notwendig se<strong>in</strong>, entsprechende Unterstützung zu<br />
geben, da Sprache nur begrenzt zur Kommunikation<br />
benutzt und/o<strong>der</strong> kaum über Gestik und Mimik kommuniziert<br />
werden kann. Ebenso besteht die Schwierigkeit,<br />
Blickkontakt aufzunehmen, zu halten und<br />
damit verbundene Signale zu verstehen.<br />
Soziale Interaktion kann deshalb nur stark bee<strong>in</strong>trächtigt<br />
bzw. möglicherweise unangemessen erfolgen.<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
Literatur zum Thema „Autismus und <strong>Schule</strong>“:<br />
· autismus <strong>Deutschland</strong> e. V. (2012): Asperger-Syndrom<br />
– Strategien und Tipps für den Unterricht. E<strong>in</strong>e Handreichung<br />
für Lehrer. Dt. Übersetzung e<strong>in</strong>er Empfehlung<br />
<strong>der</strong> National Autistic Society (England 1998),<br />
11. unverän<strong>der</strong>te Auflage, Hamburg.<br />
· autismus <strong>Deutschland</strong> e. V. (2012): Schulbegleitung<br />
für Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler mit Asperger-Syndrom,<br />
6. geän<strong>der</strong>te Auflage, Hamburg.<br />
· Über die Internetseite des Bundesverbands autismus<br />
<strong>Deutschland</strong> e. V. können zahlreiche Publikationen für<br />
Lehrkräfte bezogen werden: www.autismus.de<br />
· Sautter, Hartmut; Schwarz, Katja; Trost, Ra<strong>in</strong>er (Hrsg.)<br />
(2012): K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche mit Autismus-Spektrum-Störung.<br />
Neue Wege durch die <strong>Schule</strong>, Stuttgart.<br />
· Schirmer, Brita (2010): Schulratgeber Autismus-<br />
Spektrum-Störungen. E<strong>in</strong> Leitfaden für LehrerInnen,<br />
München.<br />
· Nicole Schuster (2011): Schüler mit Autismus-<br />
Spektrum-Störungen, 2. aktuelle Auflage, Stuttgart.<br />
· Tuckermann, Antje; Häußler, Anne; Lausmann, Eva<br />
(2012): Herausfor<strong>der</strong>ung Regelschule. Unterstützungsmöglichkeiten<br />
für Schüler mit Autismus-Spektrum-<br />
Störungen im lernzielgleichen Unterricht, Dortmund.<br />
Materialien im Internet:<br />
· „Leitl<strong>in</strong>ien zur <strong>in</strong>klusiven Beschulung <strong>von</strong> Schülern<br />
mit Autismus“ des Bundesverbands autismus<br />
<strong>Deutschland</strong> e. V.:<br />
www.autismus.de/fileadm<strong>in</strong>/user_upload/Leitl<strong>in</strong>ien_<br />
des_Bundesverbandes_autismus_<strong>Deutschland</strong>_e.V._<br />
zur_<strong>in</strong>klusiven_Beschulung_Feb13.pdf<br />
· „Autisten <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>. Mehr Wissen für e<strong>in</strong>en<br />
erfolgreichen Schulbesuch.“ <strong>der</strong> Autismus-Forschungs-<br />
Kooperation (AFK):<br />
www.autismus-forschungs-kooperation.de/<br />
<strong>in</strong>fomaterial<br />
Auch müssen sich die Lehrkräfte und die Klasse auf<br />
e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es Lernverhalten (Lerntempo, Zwänge <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Arbeitsweise, übergroßes Interesse für beson<strong>der</strong>e<br />
Themen usw.) e<strong>in</strong>stellen.<br />
37
Autismus<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisationen<br />
Autismus <strong>Deutschland</strong> e. V.<br />
www.autismus.de<br />
autismus<br />
<strong>Deutschland</strong> e.V.<br />
Bundesverband zur För<strong>der</strong>ung<br />
<strong>von</strong> Menschen mit Autismus<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.autismus-hochbegabung.de<br />
· www.asperger-wahrnehmung.de<br />
· www.<strong>in</strong>klunet.de<br />
· www.bildungsserver.de<br />
· www.verband-son<strong>der</strong>paedagogik.de<br />
· www.son<strong>der</strong>paed-onl<strong>in</strong>e.de<br />
Aspies e. V. – Menschen im Autismusspektrum<br />
www.aspies.de<br />
38
CHARGE-Syndrom<br />
Als CHARGE-Syndrom wird das Auftreten e<strong>in</strong>er Komb<strong>in</strong>ation <strong>von</strong><br />
verschiedenen angeborenen Fehlentwicklungen bezeichnet, die auf e<strong>in</strong>er<br />
genetischen Mutation auf Chromosom 8 beruhen. In den 1980er Jahren<br />
wurde es als Hall-Hittner-Syndrom bezeichnet.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen/Beschwerden<br />
CHARGE ist das englische Akronym für die ehemals häufigsten<br />
Symptome:<br />
Coloboma:<br />
Heart Defects:<br />
Atresia of the<br />
Choanae:<br />
Retarded Growth<br />
and Development:<br />
Genital Anomalies:<br />
Ear Anomalies:<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Spaltbildungen im Auge,<br />
die verschiedene Sehstörungen<br />
verursachen können<br />
(Kolobom des Auges)<br />
Herzfehler<br />
Verengung bzw. Blockade<br />
<strong>der</strong> Nasengänge, die zu Atemproblemen<br />
führen kann<br />
(Atresie <strong>der</strong> Choanen)<br />
retardiertes Längenwachstum und<br />
Entwicklungsverzögerung<br />
Entwicklungsstörungen<br />
(Anomalien) <strong>der</strong> Geschlechtsorgane<br />
Fehlbildungen des Ohrs<br />
Das CHARGE-Syndrom wird autosomal dom<strong>in</strong>ant vererbt,<br />
tritt allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> den meisten Fällen sporadisch (als<br />
E<strong>in</strong>zelereignis <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Familie = Spontanmutation) mit e<strong>in</strong>er<br />
Häufigkeit <strong>von</strong> 1:10.000 auf. In <strong>Deutschland</strong> werden<br />
jährlich etwa 60–65 erkrankte K<strong>in</strong><strong>der</strong> geboren. Seit 2004<br />
ist <strong>der</strong> genetische Nachweis möglich und dieser kann die<br />
Diagnose bzw. den Verdacht auf das CHARGE-Syndrom<br />
<strong>in</strong> rund zwei Dritteln <strong>der</strong> Fälle bestätigen.<br />
Nach <strong>der</strong> Erstbeschreibung im Jahr 1981 wurde CHAR-<br />
GE als Assoziation bezeichnet, obwohl damals schon alle<br />
Kriterien e<strong>in</strong>es Syndroms erfüllt waren. Mit den mediz<strong>in</strong>ischen<br />
Fortschritten und wachsenden Erkenntnissen<br />
über dieses Syndrom wurden die Diagnosekriterien im<br />
Jahr 1998 und zuletzt im Jahr 2007 angepasst. Derzeit<br />
werden vier Hauptmerkmale (die vier „C“s) und mehrere<br />
Nebenkriterien klassifiziert.<br />
Hauptmerkmale:<br />
· K(C)olobome des Auges<br />
· Choanalatresie<br />
· Charakteristisches CHARGE-Ohr<br />
· Missbildungen <strong>der</strong> Gesichtsnerven<br />
Nebenmerkmale:<br />
· Entwicklungsstörungen <strong>der</strong> Geschlechtsorgane<br />
· Entwicklungsverzögerungen<br />
· Herzfehler<br />
· Spaltbildung im Gesichtsbereich<br />
· Fehlbildungen an Luft- und Speiseröhre<br />
· charakteristisches CHARGE-Gesicht (Asymmetrien)<br />
Bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n, die mit CHARGE geboren werden, s<strong>in</strong>d<br />
häufig Operationen und lange Krankenhausaufenthalte,<br />
gefolgt <strong>von</strong> ständiger mediz<strong>in</strong>ischer Überwachung durch<br />
große Teams <strong>von</strong> Spezialisten, erfor<strong>der</strong>lich. Die Datenlage<br />
zum CHARGE-Syndrom spricht für e<strong>in</strong>e erhöhte per<strong>in</strong>atale<br />
Sterblichkeit, es ist jedoch nicht lebensverkürzend.<br />
Behandlung<br />
In den ersten Lebensjahren werden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel zahlreiche<br />
Operationen und Korrekture<strong>in</strong>griffe vorgenommen,<br />
um organische Probleme zu beheben und/o<strong>der</strong> Symptome<br />
zu m<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Durch fortlaufende mediz<strong>in</strong>ische Überwachung,<br />
pädagogische Begleitung <strong>der</strong> Eltern sowie e<strong>in</strong>e<br />
adäquate, frühzeitige und vielseitige För<strong>der</strong>ung kann <strong>der</strong><br />
allgeme<strong>in</strong>e (Gesundheits-)Zustand <strong>der</strong> Betroffenen verbessert<br />
und ihnen ihr Alltag erleichtert werden.<br />
Schulungsprogramme / Informationsveranstaltungen:<br />
Jedes Jahr f<strong>in</strong>den unterschiedliche Schulungs- und Informationsveranstaltungen<br />
statt. E<strong>in</strong>mal jährlich f<strong>in</strong>det im<br />
Juni/Juli e<strong>in</strong>e deutschsprachige CHARGE-Konferenz mit<br />
CHARGE-relevanten Themen statt. Alle zwei Jahre f<strong>in</strong>det<br />
e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ternationale Konferenz <strong>in</strong> den USA statt.<br />
Die Daten und Orte <strong>der</strong> Veranstaltungen f<strong>in</strong>den Sie<br />
auf <strong>der</strong> Homepage<br />
www.charge-syndrom.de<br />
im Unterpunkt „Term<strong>in</strong>e“.<br />
39
CHARGE-Syndrom<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Mit dem CHARGE-Syndrom gehen sehr viele Bee<strong>in</strong>trächtigungen<br />
gesundheitlicher und s<strong>in</strong>nesspezifischer<br />
Art e<strong>in</strong>her. Das birgt die Gefahr, diese <strong>in</strong><br />
den Mittelpunkt zu stellen. Daher sollten Lehrkräfte<br />
zunächst die Persönlichkeit des betroffenen K<strong>in</strong>des<br />
kennenlernen: Was mag es, was mag es nicht,<br />
und was hat es bisher alles erlebt? Erst dann sollte<br />
<strong>in</strong>s Blickfeld gelangen, dass dieses K<strong>in</strong>d mit dieser<br />
Persönlichkeit auch das CHARGE-Syndrom hat und<br />
welche krankheitsspezifischen Aspekte im pädagogischen<br />
Kontext relevant s<strong>in</strong>d.<br />
Aus pädagogischer Sicht spielt beim CHARGE-Syndrom<br />
die mehrfache S<strong>in</strong>nesbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung e<strong>in</strong>e entscheidende<br />
Rolle. Von den Bee<strong>in</strong>trächtigungen <strong>der</strong><br />
e<strong>in</strong>zelnen S<strong>in</strong>ne und den damit verbundenen Auswirkungen,<br />
vor allem aber <strong>von</strong> dem funktionalen<br />
S<strong>in</strong>nesvermögen des betroffenen K<strong>in</strong>des und dessen<br />
E<strong>in</strong>fluss auf se<strong>in</strong> Verhalten, se<strong>in</strong>e Kommunikation<br />
und se<strong>in</strong>e Bildung zu wissen ist sehr bedeutsam. E<strong>in</strong>e<br />
gute Diagnostik und e<strong>in</strong>e gute Kenntnis des S<strong>in</strong>nesvermögens<br />
des K<strong>in</strong>des s<strong>in</strong>d also e<strong>in</strong>e Grundvoraussetzung<br />
für e<strong>in</strong>e gute pädagogische Arbeit. Neben<br />
dem Hör- und dem Sehs<strong>in</strong>n können auch die Eigenwahrnehmung,<br />
das Gleichgewicht, <strong>der</strong> Tasts<strong>in</strong>n und<br />
die Temperaturwahrnehmung bee<strong>in</strong>trächtigt se<strong>in</strong>.<br />
Hilfen im schulischen Kontext sollten <strong>in</strong>dividuell<br />
am spezifischen Bedarf <strong>der</strong> Betroffenen ausgerichtet<br />
se<strong>in</strong>. Pauschal kann festgehalten werden, dass<br />
aufgrund <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nesbee<strong>in</strong>trächtigungen meist e<strong>in</strong><br />
Mehrbedarf an Zeit und Wie<strong>der</strong>holung besteht.<br />
Auch sollte den Betroffenen die Möglichkeit e<strong>in</strong>er<br />
<strong>in</strong>dividuellen Auszeit e<strong>in</strong>geräumt werden, da die Bewältigung<br />
e<strong>in</strong>es Tags den Betroffenen sehr viel Energie<br />
abverlangt. Ferner ist anzumerken, dass die kognitiven<br />
Fähigkeiten <strong>der</strong> Betroffenen aufgrund <strong>der</strong><br />
S<strong>in</strong>nesbee<strong>in</strong>trächtigungen und aufgrund <strong>der</strong> häufig<br />
vorliegenden Entwicklungsverzögerungen – die<br />
zum e<strong>in</strong>en mediz<strong>in</strong>isch und zum an<strong>der</strong>en durch die<br />
komb<strong>in</strong>ierten S<strong>in</strong>nesbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen bed<strong>in</strong>gt s<strong>in</strong>d –<br />
oftmals deutlich unterschätzt werden.<br />
Viele vom CHARGE-Syndrom betroffene Menschen<br />
s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> ihren kognitiven Fähigkeiten nicht<br />
e<strong>in</strong>geschränkt. Ergänzend sei angemerkt, dass das<br />
Konzentrationsvermögen eng mit <strong>der</strong> körperlichen<br />
Positionierung, mit den S<strong>in</strong>nese<strong>in</strong>drücken des Tags<br />
und/o<strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Übergangsgestaltung (bspw. <strong>von</strong><br />
<strong>der</strong> Pause <strong>in</strong> den Unterricht) zusammenhängt. Der<br />
E<strong>in</strong>satz stabiler Systeme – Bildsymbole (sofern die<br />
Sehfähigkeit ausreicht) o<strong>der</strong> Tastsymbole – hat sich<br />
bislang als ausgesprochen erfolgreich erwiesen.<br />
Für die Arbeit mit den Eltern betroffener K<strong>in</strong><strong>der</strong> kann<br />
es für Lehrkräfte zudem überaus hilfreich se<strong>in</strong>, sich<br />
über die vielfältigen Widrigkeiten zu <strong>in</strong>formieren, mit<br />
denen die Familie konfrontiert ist (viele Stationen im<br />
mediz<strong>in</strong>ischen Versorgungssystem, Kampf um Anerkennung<br />
<strong>der</strong> Bildungsfähigkeit des K<strong>in</strong>des, F<strong>in</strong>den<br />
e<strong>in</strong>es geeigneten Lernorts etc.). Auch kennen oftmals<br />
nur die Eltern die Komplexität <strong>der</strong> Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung des<br />
K<strong>in</strong>des und den damit verbundenen spezifischen Bedarf.<br />
Dies erfor<strong>der</strong>t <strong>in</strong> Elterngesprächen e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e<br />
Sensibilität.<br />
Da häufig zahlreiche (Fach-)Kräfte verschiedener Diszipl<strong>in</strong>en<br />
mit den betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n arbeiten, ist<br />
e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Herangehensweise erfor<strong>der</strong>lich,<br />
d. h., Eltern, Ärzt<strong>in</strong>nen/Ärzte und verschiedene Therapeut<strong>in</strong>nen/Therapeuten<br />
(z. B. Heilpädagog<strong>in</strong>nen/Heilpädagogen<br />
und Ergotherapeut<strong>in</strong>nen/Ergotherapeuten)<br />
sollten eng zusammenarbeiten und sich regelmäßig<br />
austauschen. So können e<strong>in</strong>e möglichst ganzheitliche<br />
För<strong>der</strong>ung und e<strong>in</strong>e angemessene Versorgung<br />
garantiert sowie alle wichtigen Informationen<br />
berücksichtigt werden. Dies gilt <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e auch vor<br />
Ausflügen o<strong>der</strong> Klassenfahrten.<br />
40
Materialien für Lehrkräfte<br />
Hilfreiche Kontakte für Lehrkräfte<br />
· Deutsches Taubbl<strong>in</strong>denwerk Hannover<br />
· stiftung st. franziskus heiligenbronn<br />
· Bl<strong>in</strong>den<strong>in</strong>stitutsstiftung Würzburg<br />
· Oberl<strong>in</strong>haus Potsdam<br />
Literatur zum CHARGE-Syndrom<br />
· Wanka, Andrea; Junghans, Claudia (2014):<br />
Jugendliche und Erwachsene mit CHARGE-Syndrom.<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> werden zu Jugendlichen, Jugendliche werden<br />
zu Erwachsenen: E<strong>in</strong> Buch rund ums Erwachsen- und<br />
Selbstständigwerden mit CHARGE, Median Verlag.<br />
Weitere Internetadressen<br />
· INTENSIVk<strong>in</strong><strong>der</strong> zuhause e. V.<br />
www.<strong>in</strong>tensivk<strong>in</strong><strong>der</strong>.de<br />
· K<strong>in</strong><strong>der</strong>netzwerk e. V.<br />
www.k<strong>in</strong><strong>der</strong>netzwerk.de<br />
· Bundeselternverband gehörloser K<strong>in</strong><strong>der</strong> e. V.<br />
www.gehoerlosek<strong>in</strong><strong>der</strong>.de<br />
· Horsch, Ursula; Wanka, Andrea (Hrsg.) (2012):<br />
Inklusive Bildungsmomente bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n mit<br />
CHARGE-Syndrom. E<strong>in</strong> Fachbuch für Pädagogen,<br />
Therapeuten, Pädiater, Betroffene und <strong>der</strong>en Umfeld,<br />
Median Verlag.<br />
· Horsch, Ursula; Scheele, Andrea (Hrsg.) (2009):<br />
Das CHARGE-Syndrom. E<strong>in</strong> Handbuch für Mediz<strong>in</strong>er,<br />
Pädagogen, Therapeuten und Eltern, Median Verlag.<br />
· Ward, Carry; Patterson, Marie (2013): Why I am me/<br />
Warum ich so b<strong>in</strong>. Alles über das CHARGE-Syndrom.<br />
E<strong>in</strong> Bil<strong>der</strong>buch, Median Verlag.<br />
nisationen <strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisationen<br />
CHARGE Syndrom e. V.<br />
www.charge-syndrom.de<br />
CHARGE Syndrom Foundation (USA)<br />
www.chargesyndrome.org<br />
41
Clusterkopfschmerz<br />
und an<strong>der</strong>e trigem<strong>in</strong>o-autonome Kopfschmerzerkrankungen (TAK)<br />
Der Clusterkopfschmerz (CK) o<strong>der</strong> das Clusterkopfschmerz-Syndrom (CKS)<br />
und die an<strong>der</strong>en trigem<strong>in</strong>o-autonomen Kopfschmerzerkrankungen –<br />
dazu gehören die paroxysmalen Hemikranien (PH) und das SUNCT-Syndrom<br />
(Short-last<strong>in</strong>g Unilateral Neuralgiform headache attacks with Conjunctival<br />
<strong>in</strong>jection and Tear<strong>in</strong>g; lei<strong>der</strong> existiert ke<strong>in</strong>e eigene deutschsprachige<br />
Bezeichnung) – s<strong>in</strong>d gekennzeichnet durch schwerste Schmerzattacken,<br />
die immer im Augen-/Schläfenbereich auftreten.<br />
Das typische Alter, <strong>in</strong> dem die Erkrankung auftritt, liegt um das 30. Lebensjahr.<br />
Jedoch s<strong>in</strong>d auch schon K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche sowie alte Menschen<br />
betroffen. Männer s<strong>in</strong>d etwa drei- bis viermal häufiger betroffen als Frauen.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Unterscheidung <strong>der</strong> trigem<strong>in</strong>o-autonomen Kopfschmerzerkrankungen (TAK):<br />
Kopfschmerz<br />
Attackenhäufigkeit<br />
Attackendauer<br />
Häufigkeit<br />
Clusterkopfschmerz<br />
Zwischen e<strong>in</strong>er Attacke<br />
jeden 2. Tag und<br />
8 Attacken am Tag<br />
15–180 M<strong>in</strong>uten<br />
ca. 100.000 Betroffene<br />
Paroxysmale Hemikranie<br />
Mehr als 5 Attacken am<br />
Tag über m<strong>in</strong>destens die<br />
Hälfte <strong>der</strong> Zeit h<strong>in</strong>weg,<br />
auch wenn Perioden mit<br />
e<strong>in</strong>er niedrigeren Frequenz<br />
vorkommen können<br />
2–30 M<strong>in</strong>uten<br />
ca. 10.000 Betroffene<br />
SUNCT-Syndrom<br />
3–200 Attacken am Tag<br />
1–600 Sekunden<br />
ca. 1.000 Betroffene<br />
Die Schmerzattacken werden <strong>von</strong> typischen vegetativen<br />
Symptomen begleitet. Dies können se<strong>in</strong>: tränendes und/<br />
o<strong>der</strong> gerötetes Auge, herabhängendes und/o<strong>der</strong> geschwollenes<br />
Augenlid, Tränenfluss, verstopfte o<strong>der</strong> laufende<br />
Nase. Ebenso können Gesichtsrötung o<strong>der</strong> Schwitzen<br />
auftreten. Alle diese Symptome ersche<strong>in</strong>en lediglich<br />
auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en, <strong>der</strong> schmerzenden Seite. Zusätzlich überfällt<br />
den Patienten e<strong>in</strong>e unbändige Unruhe: Er muss herumlaufen<br />
o<strong>der</strong> mit dem Oberkörper schaukeln. Vielfach<br />
treten die Attacken nachts aus dem Schlaf heraus auf.<br />
In <strong>der</strong> häufigeren „episodischen“ Form treten solche<br />
Schmerzattacken <strong>in</strong> Zeiträumen <strong>von</strong> wenigen Tagen bis<br />
h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>em Jahr auf und verschw<strong>in</strong>den dann wie<strong>der</strong>.<br />
Wenn die Anfälle länger als e<strong>in</strong> Jahr auftreten, ohne dass<br />
Pausen <strong>von</strong> wenigstens e<strong>in</strong>em Monat Dauer e<strong>in</strong>geschoben<br />
s<strong>in</strong>d, spricht man <strong>von</strong> <strong>der</strong> „chronischen“ Form.<br />
Auch nach dem Abkl<strong>in</strong>gen <strong>der</strong> Schmerzen ebenso wie<br />
nach dem Ende <strong>der</strong> Episoden berichten die Betroffenen<br />
<strong>von</strong> weiterh<strong>in</strong> bestehenden E<strong>in</strong>schränkungen wie Konzentrationsstörungen,<br />
Wortf<strong>in</strong>dungsstörungen, Nie<strong>der</strong>geschlagenheit<br />
(bis h<strong>in</strong> zur Depression), Erschöpfungszuständen<br />
usw.<br />
42
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Die genaue Ursache ist nicht bekannt. E<strong>in</strong>e Entzündung<br />
e<strong>in</strong>er anatomischen Struktur h<strong>in</strong>ter dem Auge gilt als<br />
Auslöser <strong>der</strong> Erkrankung, doch woher diese Entzündung<br />
kommt, was sie auslöst, was sie aufflammen und wie<strong>der</strong><br />
abkl<strong>in</strong>gen lässt, war bislang nicht zu ermitteln.<br />
Für die Diagnose benötigt <strong>der</strong> Neurologe e<strong>in</strong>e genaue<br />
Beschreibung <strong>der</strong> Schmerzen, <strong>der</strong> Lokalisation, <strong>der</strong><br />
Dauer und des Auftretensmusters. Hilfreich ist dabei<br />
e<strong>in</strong> Schmerztagebuch, <strong>in</strong> dem <strong>der</strong> Patient die Uhrzeit<br />
des Beg<strong>in</strong>ns e<strong>in</strong>er Attacke, ihre Dauer und Stärke festhält.<br />
Lei<strong>der</strong> s<strong>in</strong>d nicht alle Mediz<strong>in</strong>er (nicht e<strong>in</strong>mal alle<br />
Neurologen) imstande, diese Erkrankung ad hoc zu<br />
diagnostizieren – vor allem dann nicht, wenn z. B. e<strong>in</strong> atypisches<br />
Auftretensalter vorliegt.<br />
Die Erkrankung ist unheilbar und <strong>der</strong> Betroffene muss bis<br />
<strong>in</strong>s hohe Lebensalter mit den Schmerzattacken rechnen.<br />
Behandlung<br />
Zur Behandlung werden zwei Vorgehensweisen parallel<br />
verfolgt: Zum e<strong>in</strong>en gilt es, die akute Attacke<br />
schnellstmöglich zu beenden, zum an<strong>der</strong>en werden<br />
prophylaktisch Medikamente verabreicht, die Dauer,<br />
Stärke und Häufigkeit <strong>der</strong> Attacken m<strong>in</strong>imieren sollen.<br />
Bei <strong>der</strong> Akuttherapie ist die erste Wahl die Inhalation<br />
<strong>von</strong> re<strong>in</strong>em Sauerstoff über e<strong>in</strong>e dichtsitzende, Mund<br />
und Nase umschließende Gesichtsmaske. Dazu ist e<strong>in</strong>e<br />
Druckgasflasche mit mediz<strong>in</strong>isch re<strong>in</strong>em Sauerstoff erfor<strong>der</strong>lich.<br />
Über e<strong>in</strong>en Regler muss e<strong>in</strong> Durchfluss <strong>von</strong><br />
12–15 Litern pro M<strong>in</strong>ute e<strong>in</strong>gestellt werden. Nach e<strong>in</strong>er<br />
Inhalationsdauer <strong>von</strong> etwa 10–15 M<strong>in</strong>uten s<strong>in</strong>d etwa<br />
70 Prozent <strong>der</strong> Attacken befriedigend behandelt, d. h.,<br />
<strong>der</strong> Schmerzanfall ist beendet. Bei <strong>der</strong> Anwendung <strong>von</strong><br />
Sauerstoff mittels e<strong>in</strong>er Druckgasflasche s<strong>in</strong>d beson<strong>der</strong>e<br />
Sicherheitsh<strong>in</strong>weise zu beachten!<br />
In den Fällen, <strong>in</strong> denen <strong>der</strong> Sauerstoff nicht hilft, ist e<strong>in</strong><br />
spezielles Medikament (e<strong>in</strong> sog. „Triptan“) entwe<strong>der</strong> per<br />
Injektion o<strong>der</strong> mittels e<strong>in</strong>es Nasensprays zu verabreichen.<br />
E<strong>in</strong>e Gabe <strong>von</strong> Tabletten ist unwirksam, da die <strong>Wir</strong>kung<br />
über den Magen-Darm-Trakt meist erst nach dem Abkl<strong>in</strong>gen<br />
<strong>der</strong> akuten Attacke e<strong>in</strong>setzt.<br />
In <strong>der</strong> prophylaktischen Therapie kommen Medikamente<br />
zum E<strong>in</strong>satz, die allesamt nicht explizit für die Kopfschmerztherapie<br />
entwickelt wurden und nur „zufällig“<br />
e<strong>in</strong>en positiven E<strong>in</strong>fluss auf die Attacken nehmen.<br />
Es handelt sich dabei um<br />
· e<strong>in</strong> Herz-Kreislauf Medikament<br />
(<strong>Wir</strong>kstoff: Verapamil),<br />
· e<strong>in</strong> Antidepressivum (Lithium),<br />
· e<strong>in</strong> Antiepileptikum (Topiramat),<br />
· Kortison als Übergangstherapie, bis die vorgenannten<br />
Medikamente (die langsam aufdosiert werden müssen)<br />
<strong>Wir</strong>kung zeigen.<br />
Schulungs<strong>in</strong>formation:<br />
Beim Bundesverband <strong>der</strong> Clusterkopfschmerz-<strong>Selbsthilfe</strong>-<br />
Gruppen e. V. (CSG) kann e<strong>in</strong>e Video-DVD bestellt werden,<br />
auf <strong>der</strong> die korrekte Handhabung des Sauerstoffs,<br />
<strong>der</strong> Injektoren und <strong>der</strong> Nasensprays dargestellt wird.<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Das Wohlbef<strong>in</strong>den <strong>der</strong> Betroffenen und die adäquate<br />
Behandlung <strong>der</strong> Attacken haben äußerste Priorität.<br />
Lehrkräfte sollten über die typischen Symptome (s. o.)<br />
bzw. die <strong>in</strong>dividuelle Problematik des K<strong>in</strong>des mit CKS<br />
genau Bescheid wissen. Spezielle Fragen zur Betreuung<br />
des K<strong>in</strong>des sollten mit den Erziehungsberechtigten<br />
abgeklärt se<strong>in</strong> und es sollte e<strong>in</strong>e entsprechende<br />
schriftliche Vere<strong>in</strong>barung vorliegen.<br />
Der Klassenverband sollte mit E<strong>in</strong>verständnis <strong>der</strong> Betroffenen<br />
und ihrer Erziehungsberechtigten über die<br />
Krankheit <strong>in</strong>formiert werden, um Symptome e<strong>in</strong>er<br />
Attacke richtig zuordnen und Hilfe leisten zu können.<br />
Die Mitschüler<strong>in</strong>nen und Mitschüler sollten auch<br />
darüber aufgeklärt werden, wie sich die Schmerzattacken<br />
auf das tägliche Leben <strong>der</strong> Erkrankten auswirken,<br />
um sie möglichst effektiv unterstützen zu<br />
können.<br />
Mit <strong>der</strong> Erkrankung sollte so offen wie möglich umgegangen<br />
werden, ggf. könnte sie auch im Biologieunterricht<br />
thematisiert werden. Wichtig ist es, Mitschüler<strong>in</strong>nen<br />
und Mitschüler genau zu <strong>in</strong>formieren<br />
und (unbegründete) Ängste (z. B. vor Ansteckung),<br />
vor allem aber auch den Verdacht <strong>der</strong> „Drückebergerei“<br />
auszuräumen, um e<strong>in</strong> angstfreies und harmonisches<br />
Verhältnis zu ermöglichen und auch um<br />
das soziale Umfeld nicht zu zerstören (Gefahr <strong>der</strong><br />
Vere<strong>in</strong>samung).<br />
E<strong>in</strong>e Übermüdung nach nächtlichen Attacken sollte<br />
respektiert werden und nicht zu Benachteiligungen<br />
bei <strong>der</strong> Leistungsbewertung führen (Nachteilsausgleich).<br />
Lehrkräfte sollten sich über ihre Rechte und Pflichten<br />
Klarheit verschaffen, um eventuell auftretende<br />
Konflikte zu vermeiden. Dies erleichtert den Umgang<br />
und gibt Sicherheit für die verantwortungsvolle Aufgabe,<br />
e<strong>in</strong> betroffenes K<strong>in</strong>d zu beaufsichtigen.<br />
43
Clusterkopfschmerz<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
Zur vertiefenden Information stellt die Geschäftsstelle des<br />
Bundesverbandes <strong>der</strong> Clusterkopfschmerz-<strong>Selbsthilfe</strong>-<br />
Gruppen e. V. (CSG) gerne weitere Informationsmaterialien<br />
zur Verfügung. Diese reichen <strong>von</strong> e<strong>in</strong>schlägiger Fachliteratur<br />
über Erfahrungsberichte an<strong>der</strong>er Betroffener bis<br />
h<strong>in</strong> zu <strong>in</strong>dividueller Beratung, wie mit den betroffenen<br />
Personen leidensgerecht umgegangen werden kann.<br />
Weitere Internetadressen<br />
Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e. V.<br />
(DMKG): www.dmkg.de<br />
tionen <strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Clusterkopfschmerz-<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>-Gruppen e. V. (CSG) –<br />
Bundesverband<br />
www.clusterkopf.de<br />
44
Deletionssyndrom 22q11<br />
Das Deletionssyndrom 22q11 (Deletion = Verlust <strong>von</strong> genetischem Material)<br />
tritt bei ca. jedem 4.000. Neugeborenen auf.<br />
Es ist auch bekannt als Di-George-Syndrom, VCFS o<strong>der</strong> CATCH-22-Syndrom<br />
(Cardiac anomalies = Herzfehler; Anomalous face = auffällige Gesichtszüge;<br />
Thymusaplasie/Hypoplasie = Fehlen o<strong>der</strong> zu kle<strong>in</strong>e Anlage des Thymus;<br />
Cleft palate = Gaumenspalte; Hypocalcemia = Verm<strong>in</strong><strong>der</strong>ung des Kalziumgehalts<br />
im Blut).<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Es bestehen zumeist schwere Herzfehler und Gefäßfehlbildungen.<br />
Ebenso s<strong>in</strong>d Skoliosen und e<strong>in</strong>e erhöhte<br />
Muskelschlaffheit bekannte Symptome. E<strong>in</strong>e erhöhte Anfälligkeit<br />
für Infekte und Krampfanfälle kann im frühen<br />
K<strong>in</strong>desalter auftreten. Sprachentwicklungsstörungen und<br />
Entwicklungsverzögerungen führen <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit<br />
Lernstörungen zu e<strong>in</strong>em för<strong>der</strong>bedürftigen Schülerprofil.<br />
Intelligenzm<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen können ebenso vorkommen.<br />
Aufmerksamkeitsstörungen und Konzentrationsschwäche<br />
treten vermehrt auf. Psychische Verän<strong>der</strong>ungen und<br />
Verhaltensauffälligkeiten lassen sich häufiger im Pubertätsalter<br />
feststellen.<br />
Es treten i. d. R. nicht alle, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>es o<strong>der</strong> mehrere<br />
Symptome auf. Dabei s<strong>in</strong>d sie meist unterschiedlich stark<br />
ausgeprägt.<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Das Deletionssyndrom 22q11 ist nach dem Down-<br />
Syndrom <strong>der</strong> zweithäufigste Gendefekt.<br />
E<strong>in</strong> Verdacht kann bei komb<strong>in</strong>iertem Auftreten typischer<br />
Fehlbildungen entstehen. E<strong>in</strong>en ersten H<strong>in</strong>weis gibt e<strong>in</strong>e<br />
angeborene Fehlbildung am Herzen o<strong>der</strong> auch e<strong>in</strong>e umfassende<br />
Sprachartikulationsstörung. Die Bestätigung erfolgt<br />
durch e<strong>in</strong>e molekularzytogenetische Diagnostik<br />
(FISH) und den Nachweis <strong>der</strong> 22q11-Deletion. In <strong>der</strong><br />
überwiegenden Mehrzahl entsteht diese Deletion zufällig<br />
völlig neu. Nur <strong>in</strong> wenigen Ausnahmefällen kann die Erkrankung<br />
familiär bed<strong>in</strong>gt se<strong>in</strong>.<br />
In sehr seltenen Fällen sterben die erkrankten K<strong>in</strong><strong>der</strong>, vor<br />
allem diejenigen mit Herzfehler o<strong>der</strong> schwerer immunologischer<br />
Grun<strong>der</strong>krankung, vor <strong>der</strong> Vollendung ihres<br />
ersten Lebensjahrs. Für e<strong>in</strong>e Prognose ist es <strong>von</strong> großer<br />
Bedeutung, wie weit die Organe geschädigt s<strong>in</strong>d. Bei entsprechen<strong>der</strong><br />
Therapie erreicht die Mehrzahl <strong>der</strong> Betroffenen<br />
m<strong>in</strong>destens das Erwachsenenalter.<br />
Behandlung<br />
E<strong>in</strong>e ursächliche Heilung ist nicht möglich. Bei e<strong>in</strong>er symptomatischen<br />
Therapie werden <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Fehlbildungen<br />
(z. B. Herzfehler) operativ korrigiert. Des Weiteren erfolgt<br />
e<strong>in</strong>e Therapie <strong>der</strong> Begleiterkrankungen. Wegen <strong>der</strong><br />
hohen Infektanfälligkeit werden <strong>in</strong> den ersten Lebensjahren<br />
häufig Antibiotika verabreicht.<br />
Je nach Ausmaß <strong>der</strong> Erkrankung wird e<strong>in</strong> breites Spektrum<br />
an Therapien angewendet: Physiotherapie, Frühför<strong>der</strong>ung,<br />
Ergotherapie, Logopädie, Sprachtherapie und<br />
weitere Therapien.<br />
Gerade im Schulalter können Logopädie/Sprachtherapie<br />
sowie Ergotherapie und Aufmerksamkeitstra<strong>in</strong><strong>in</strong>g die<br />
schulischen Leistungsmöglichkeiten nachhaltig unterstützen.<br />
Persönlichkeitstra<strong>in</strong><strong>in</strong>g und frühe Resilienzför<strong>der</strong>ung,<br />
d. h. För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> seelischen Wi<strong>der</strong>standskraft, können<br />
zu e<strong>in</strong>em stabilen psychischen Profil führen.<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Die För<strong>der</strong>ung betroffener K<strong>in</strong><strong>der</strong> sollte da<strong>von</strong> abhängig<br />
gemacht werden, welche schulisch relevanten<br />
Bereiche durch das Syndrom wie stark bee<strong>in</strong>trächtigt<br />
s<strong>in</strong>d. Um das zu erkennen, ist e<strong>in</strong>e gezielte Leistungsund<br />
Lerndiagnostik nötig. Dabei können sich Lehrkräfte<br />
durch den schulpsychologischen Dienst o<strong>der</strong><br />
das Sozialpädiatrische Zentrum unterstützen lassen.<br />
Es ist notwendig, auf e<strong>in</strong>e möglicherweise ungewohnte,<br />
sehr nasale Sprache Rücksicht zu nehmen.<br />
Da die Motorik bee<strong>in</strong>trächtigt ist, können die betroffenen<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> teilweise nur mit E<strong>in</strong>schränkung am<br />
Sportunterricht teilnehmen.<br />
Des Weiteren weisen die K<strong>in</strong><strong>der</strong> meist e<strong>in</strong> bestimmtes<br />
Muster <strong>von</strong> Teilleistungsstörungen auf. Dies macht<br />
sich vor allem im Mathematikunterricht bemerkbar.<br />
Ebenso führen Konzentrationsschwäche und e<strong>in</strong>e zu<br />
ger<strong>in</strong>ge Aufmerksamkeitsspanne zu Leistungsstörungen.<br />
45
Deletionssyndrom 22q11<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
Auf <strong>der</strong> Internetseite www.kids-22q11.de unter<br />
„Services“ > „Entwicklung“ > „<strong>Schule</strong>“ f<strong>in</strong>den Sie hilfreiche<br />
Informationen zum Umgang mit betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
und Jugendlichen.<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.patienten-<strong>in</strong>formation.de/kurz<strong>in</strong>formationen/<br />
seltene-erkrankungen/deletionssyndrom-22q11<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit Deletionssyndrom 22q11 e. V. (KiDS-22q11)<br />
www.kids-22q11.de<br />
46
Depressionen<br />
Depressionen s<strong>in</strong>d nicht, wie oft vermutet, nur e<strong>in</strong> Problem <strong>von</strong> Erwachsenen.<br />
Zahlreiche K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche s<strong>in</strong>d betroffen. In <strong>Deutschland</strong> leiden knapp<br />
zwei Prozent <strong>der</strong> Grundschulk<strong>in</strong><strong>der</strong> und ca. drei bis zehn Prozent <strong>der</strong> Jugendlichen<br />
im Alter zwischen 11 und 18 Jahren an Depressionen. Depressionen<br />
können mit Suizidalität e<strong>in</strong>hergehen. Mädchen im Alter ab 14 Jahren<br />
unternehmen häufiger Suizidversuche als Jungen dieses Alters.<br />
Jedoch versterben Jungen im Alter ab 14 Jahren häufiger durch Suizid<br />
als Mädchen dieses Alters.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Depressionen können sich sehr unterschiedlich und oft<br />
schleichend zeigen. Schlafstörungen, Lustlosigkeit, Appetitmangel<br />
und/o<strong>der</strong> Antriebsschwäche werden <strong>von</strong> Angehörigen<br />
bzw. nahestehenden Personen oft als Zeichen<br />
gedeutet, dass die/<strong>der</strong> Betroffene e<strong>in</strong>e Auszeit benötigt.<br />
Kommen Konzentrationsprobleme h<strong>in</strong>zu und e<strong>in</strong>e negative,<br />
getrübte Stimmung und br<strong>in</strong>gen alle Versuche des<br />
Aufheiterns nichts, dann liegt es nahe, an e<strong>in</strong>e Depression<br />
zu denken.<br />
Es gibt drei Kernsymptome e<strong>in</strong>er Depression, die m<strong>in</strong>destens<br />
zwei Wochen lang die meiste Zeit über vorherrschend<br />
se<strong>in</strong> müssen:<br />
1. die negative/depressive Stimmung,<br />
2. <strong>der</strong> Verlust <strong>von</strong> Interessen und Freude<br />
3. und <strong>der</strong> verm<strong>in</strong><strong>der</strong>te Antrieb<br />
Darüber h<strong>in</strong>aus gibt es e<strong>in</strong>e Vielzahl weiterer Symptome,<br />
<strong>von</strong> denen e<strong>in</strong>ige unübersehbar s<strong>in</strong>d: Die Körperhaltung<br />
depressiver Patient<strong>in</strong>nen und Patienten ist kraftlos, gebeugt,<br />
spannungsleer, die Bewegungen s<strong>in</strong>d langsamer,<br />
manchmal aber auch nervös-zappelig. Der Gesichtsausdruck<br />
ist traurig, we<strong>in</strong>erlich, besorgt, starr, manchmal<br />
aber auch nervös o<strong>der</strong> angespannt. Die Sprache ist leise,<br />
monoton, langsam, das Aktivitätsniveau verm<strong>in</strong><strong>der</strong>t.<br />
E<strong>in</strong> depressiver Mensch wird beherrscht <strong>von</strong> Gefühlen wie<br />
Leere, Nie<strong>der</strong>geschlagenheit, Hilflosigkeit, Trauer, Verlust,<br />
Hoffnungslosigkeit, E<strong>in</strong>samkeit, Schuld, Angst und<br />
Fe<strong>in</strong>dseligkeit. In Phasen tiefer Depression s<strong>in</strong>d Gefühle<br />
kaum noch möglich, die Erkrankten berichten <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em<br />
quälenden Zustand <strong>der</strong> Gefühlslosigkeit o<strong>der</strong> Erstarrung.<br />
Insbeson<strong>der</strong>e das Aufstehen for<strong>der</strong>t <strong>in</strong> <strong>der</strong> depressiven<br />
Phase e<strong>in</strong>e enorme Kraft – ähnlich wie bei e<strong>in</strong>er schweren<br />
Grippe. In <strong>der</strong> Selbstbeschreibung <strong>von</strong> Patient<strong>in</strong>nen und<br />
Patienten wird e<strong>in</strong>e Depression als körperliches Leiden<br />
beschriebe. Oftmals erleben Erkrankte e<strong>in</strong>e negative E<strong>in</strong>stellung<br />
zu sich selbst <strong>in</strong> Bezug auf die Zukunft; aber auch<br />
Selbstkritik und Selbstunsicherheit, Grübeln o<strong>der</strong> das Erwarten<br />
<strong>von</strong> Katastrophen bis h<strong>in</strong> zu Wahnvorstellungen<br />
wie Schuld-, Versündigungs- und Verarmungswahn s<strong>in</strong>d<br />
zu nennen. Aber auch unrealistisch hohe Ansprüche werden<br />
<strong>von</strong> depressiv erkrankten Menschen an sich selbst<br />
gestellt, an denen sie festhalten. In <strong>der</strong> Depression erwarten<br />
betroffene Menschen Misserfolge: Sie erleben sich<br />
als hilflos und überfor<strong>der</strong>t, sie vermeiden Kontakte und<br />
ziehen sich zurück.<br />
Wichtig zu wissen ist: Ke<strong>in</strong>es <strong>der</strong> Symptome tritt nur bei<br />
depressiven Störungen auf; jede Patient<strong>in</strong> bzw. je<strong>der</strong> Patient<br />
hat e<strong>in</strong> unterschiedlich zusammengesetztes Muster<br />
<strong>von</strong> Symptomen <strong>in</strong> unterschiedlicher Ausprägung. Wichtig<br />
ist e<strong>in</strong>e sorgfältige Diagnostik!<br />
Da es verschiedene psychische Störungen und Erkrankungen<br />
gibt, <strong>der</strong>en Symptome sich häufig ähneln, ist es nicht<br />
e<strong>in</strong>fach, e<strong>in</strong>e Depression zu diagnostizieren. E<strong>in</strong>e Depression<br />
kann sich z. B. auch h<strong>in</strong>ter aggressivem Verhalten<br />
verstecken, was häufig nicht bekannt ist und deshalb<br />
zu <strong>in</strong>adäquaten Reaktionen führt. Je nachdem, welche<br />
Symptome auftreten, wie stark sie s<strong>in</strong>d und wie lange<br />
sie andauern, werden Depressionen <strong>in</strong> verschiedene<br />
Formen unterteilt. Die E<strong>in</strong>teilung <strong>von</strong> Depressionen wird<br />
nach dem Ersche<strong>in</strong>ungsbild und nicht nach den vermuteten<br />
Ursachen getroffen. Zum Ersche<strong>in</strong>ungsbild gehören<br />
Verlaufsgesichtspunkte, d. h., es wird unterschieden, ob<br />
es sich um e<strong>in</strong>zelne depressive Episoden, um e<strong>in</strong>e rezidivierende,<br />
also wie<strong>der</strong>kehrende Störung o<strong>der</strong> um e<strong>in</strong>e<br />
anhaltende Störung handelt. Sofern es zwischen zwei<br />
depressiven Episoden e<strong>in</strong>en symptomfreien Zeitraum <strong>von</strong><br />
m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>em halben Jahr gibt, wird <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er rezidivierenden<br />
(wie<strong>der</strong>kehrenden) Störung gesprochen. Bei<br />
anhaltenden Störungen bleiben Symptome dagegen dauerhaft<br />
bestehen.<br />
47
Depressionen<br />
Der Schweregrad e<strong>in</strong>er Depression wird nach <strong>der</strong> Zahl<br />
und <strong>der</strong> Schwere vorhandener Symptome bestimmt, sodass<br />
folgende Verläufe unterschieden werden:<br />
1. leichte,<br />
2. mittelgradige und<br />
3. schwere Verläufe.<br />
Weitere Unterscheidungskriterien können psychotische,<br />
d. h. wahnhafte Aspekte o<strong>der</strong> ausgeprägte körperliche Begleitersche<strong>in</strong>ungen<br />
se<strong>in</strong>. Wichtig zu wissen ist, dass es<br />
neben <strong>der</strong> Depression mit den vorgenannten Symptomen<br />
auch die sog. bipolare Störung gibt. Bei ihr haben Betroffene<br />
sowohl depressive als auch manische Phasen. Manische<br />
Phasen s<strong>in</strong>d gekennzeichnet durch e<strong>in</strong>e überschüssige,<br />
<strong>in</strong>s Extrem gesteigerte Energie. Betroffene s<strong>in</strong>d nicht<br />
mehr <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage, ihre Handlungen realistisch e<strong>in</strong>zuschätzen.<br />
Depressive Ersche<strong>in</strong>ungsformen bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
Bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n treten sowohl leichte depressive Verstimmungen<br />
auf als auch schwere depressive Störungen. Da <strong>in</strong> bestimmten<br />
Altersbereichen teilweise unterschiedliche Symptome<br />
auftreten, sollen diese nach vier Altersgruppen<br />
getrennt aufgeführt werden. Dabei ist allerd<strong>in</strong>gs darauf<br />
zu achten, dass normale Entwicklung und „Auffälligkeiten“<br />
häufig fließend <strong>in</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> übergehen.<br />
Symptomatik im Vorschulalter (drei bis sechs Jahre):<br />
· trauriger Gesichtsausdruck<br />
· verm<strong>in</strong><strong>der</strong>te Gestik und Mimik, psychomotorische<br />
Hemmung<br />
· K<strong>in</strong><strong>der</strong> s<strong>in</strong>d leicht irritierbar, stimmungslabil, auffällig<br />
ängstlich<br />
· mangelnde Fähigkeit, sich zu freuen<br />
· Teilnahmslosigkeit und Antriebslosigkeit (<strong>in</strong>trovertiertes<br />
Verhalten)<br />
· verm<strong>in</strong><strong>der</strong>tes Interesse an motorischen Aktivitäten<br />
· <strong>in</strong>nere Unruhe und Gereiztheit zeigen sich <strong>in</strong> unzulänglichem/kontaktarmem,<br />
aber auch aggressivem Verhalten<br />
· Ess- und Schlafstörungen<br />
· erste Vorformen typisch „erwachsener“ Symptome:<br />
Äußerung <strong>der</strong> Annahme, dass ke<strong>in</strong>er mit ihnen spielen<br />
wolle, ke<strong>in</strong>er sie liebe und ke<strong>in</strong>er Zeit für sie habe<br />
Symptomatik bei jüngeren Schulk<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
(sechs bis etwa zwölf Jahre):<br />
· verbale Berichte über Traurigkeit<br />
· Denkhemmungen wie Konzentrationsschwierigkeiten<br />
und Gedächtnisstörungen<br />
· Schulleistungsstörungen<br />
· Zukunftsangst, Ängstlichkeit<br />
· unangemessene Schuldgefühle und unangebrachte<br />
Selbstkritik<br />
· psychomotorische Hemmung<br />
· Appetitlosigkeit<br />
· (E<strong>in</strong>-)Schlafstörungen<br />
· suizidale Gedanken<br />
Symptomatik im Pubertäts- und Jugendalter<br />
(12 bis 18 Jahre):<br />
Körperliche Symptome:<br />
· psychosomatische Beschwerden (Kopfschmerzen),<br />
Gewichtsverlust, Appetitlosigkeit<br />
· E<strong>in</strong>- und Durchschlafstörungen (häufig auch übermäßiges<br />
Schlafbedürfnis)<br />
Im Vor<strong>der</strong>grund stehen die psychischen Symptome:<br />
· verm<strong>in</strong><strong>der</strong>tes Selbstvertrauen (Selbstzweifel)<br />
· Apathie, Lustlosigkeit, Konzentrationsmangel<br />
· Stimmungsanfälligkeit<br />
· rhythmische Schwankungen des Bef<strong>in</strong>dens<br />
· Leistungsstörungen/-abfall<br />
· Gefühl, den sozialen und emotionalen Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
nicht gewachsen zu se<strong>in</strong><br />
· sozialer Rückzug, Isolation<br />
· Suizidgedanken und -versuche<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Bei Depressionen ist das Erkennen <strong>der</strong> Krankheit <strong>der</strong><br />
wichtigste Schritt. E<strong>in</strong> erhöhtes Depressionsrisiko haben<br />
Menschen, die viele belastende Lebensereignisse zu bewältigen<br />
hatten, vor allem, wenn diese <strong>in</strong>nerhalb kurzer<br />
Zeit auftraten wie z. B. Verlust o<strong>der</strong> Trennung nahestehen<strong>der</strong><br />
Menschen, schwere persönliche Probleme o<strong>der</strong><br />
Belastungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> (Mobb<strong>in</strong>g) bzw. mit Freunden<br />
(bei Erwachsenen: Ehe, K<strong>in</strong><strong>der</strong>erziehung, Haushalt, Partnerschaft/Freunde,<br />
Arbeit).<br />
Dann s<strong>in</strong>d vor allem Eltern, Verwandte, Freund<strong>in</strong>nen und<br />
Freunde und Lehrkräfte <strong>von</strong> zentraler Bedeutung, da die<br />
Betroffenen selten merken, <strong>in</strong> welche Richtung ihr negatives<br />
Erleben geht. Wie schon erwähnt, s<strong>in</strong>d zahlreiche<br />
Symptome auch Ausdruck <strong>von</strong> normalen Entwicklungen<br />
während <strong>der</strong> Pubertät o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Persönlichkeitsf<strong>in</strong>dung.<br />
Deshalb ist es wichtig, bei e<strong>in</strong>em Verdacht auf e<strong>in</strong>e depressive<br />
Entwicklung genau zu beobachten. Wenn sich<br />
e<strong>in</strong>e Stabilität <strong>der</strong> altersbezogenen Symptomatik über<br />
mehrere Wochen und Monate zeigt, ohne dass es zu<br />
e<strong>in</strong>er Besserung kommt, handelt es sich nicht mehr um<br />
„normale“ alterstypische Verän<strong>der</strong>ungen o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e nachvollziehbare<br />
vorübergehende Reaktion auf e<strong>in</strong>e äußere<br />
Belastung (z. B. Verlustsituation), son<strong>der</strong>n möglicherweise<br />
um e<strong>in</strong>e Depression.<br />
Zusätzlich zu den altersbezogenen Symptomen können<br />
Angehörige und Bekannte auf folgende Alarmzeichen<br />
achten:<br />
· Rückzug <strong>von</strong> Hobbys und <strong>von</strong> alterstypischen Aktivitäten<br />
· extremer Leistungsabfall <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
· extreme Verän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> Verhalten und Aussehen<br />
· Weglaufen <strong>von</strong> zu Hause<br />
· Alkohol- und Drogenmissbrauch<br />
· Selbstisolierung <strong>von</strong> Familie und/o<strong>der</strong> <strong>von</strong> Gleichaltrigen<br />
48
Man sollte versuchen, mit den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />
e<strong>in</strong> ruhiges und vor allem vertrauensvolles Gespräch zu<br />
führen, um die Sicht <strong>der</strong> Betroffenen zu erkennen.<br />
Erhärtet sich <strong>der</strong> Verdacht e<strong>in</strong>er Depression, ist immer<br />
e<strong>in</strong>e Ärzt<strong>in</strong>/e<strong>in</strong> Arzt aufzusuchen. Nur e<strong>in</strong>e Ärzt<strong>in</strong>/e<strong>in</strong><br />
Arzt kann e<strong>in</strong>e Diagnose stellen, da auch körperliche<br />
Defekte (z. B. Schilddrüsenüberfunktion) ausgeschlossen<br />
werden müssen, die zu ähnlichen Symptomen führen<br />
können. Erfahrene Diagnostiker<strong>in</strong>nen und Diagnostiker<br />
s<strong>in</strong>d zusätzlich dar<strong>in</strong> geschult, mit <strong>der</strong> bei Jugendlichen<br />
häufig beobachteten Verleugnungstendenz und möglicherweise<br />
großen Schamgefühlen h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> depressiven<br />
Symptomatik umzugehen. Es ist auch wichtig,<br />
dass e<strong>in</strong>e Leistungsdiagnostik durchgeführt wird, um das<br />
Potenzial zu erkennen, vor allem um Überfor<strong>der</strong>ungssituationen<br />
zu vermeiden.<br />
E<strong>in</strong>e Depression ist meist gut behandelbar. Jedoch spielt <strong>der</strong><br />
Zeitpunkt <strong>der</strong> Diagnosestellung e<strong>in</strong>e entscheidende Rolle,<br />
denn je früher e<strong>in</strong>e depressive Entwicklung erkannt wird,<br />
desto besser lässt sie sich behandeln. Wer im K<strong>in</strong>des- und<br />
Jugendalter schon zu Depressionen neigt, ist auch im<br />
Erwachsenenalter anfälliger dafür. Ist dies allerd<strong>in</strong>gs bekannt,<br />
können Betroffene schon früh lernen, damit umzugehen.<br />
· Sowohl <strong>in</strong> ambulanter Behandlung als auch <strong>in</strong><br />
Kl<strong>in</strong>iken gibt es psychotherapeutische Behandlungsmöglichkeiten;<br />
die Effizienz <strong>von</strong> kognitiver Verhaltenstherapie<br />
und Interpersoneller Therapie gilt<br />
als gesichert. Viele Psychotherapeut<strong>in</strong>nen/-therapeuten<br />
arbeiten bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen mit Elementen<br />
<strong>von</strong> „Spieltherapie“. Zu spieltherapeutischen und<br />
tiefenpsychologischen Behandlungen depressiver K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
und Jugendlicher liegen ke<strong>in</strong>e <strong>Wir</strong>ksamkeitsnachweise<br />
vor, was jedoch nicht abschließend e<strong>in</strong>e fehlende<br />
<strong>Wir</strong>ksamkeit impliziert!<br />
· Auch bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen können abhängig<br />
vom Schweregrad <strong>der</strong> Depressionen Behandlungen<br />
mit Medikamenten s<strong>in</strong>nvoll und notwendig<br />
se<strong>in</strong>. Diese Behandlungen müssen unbed<strong>in</strong>gt <strong>von</strong><br />
k<strong>in</strong><strong>der</strong>psychiatrisch erfahrenen K<strong>in</strong><strong>der</strong>ärzt<strong>in</strong>nen/-ärzten<br />
o<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>- und Jugendpsychiater<strong>in</strong>nen/-psychiatern<br />
vorgenommen werden.<br />
Die meisten K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen können gut ambulant<br />
behandelt werden. Stationäre Behandlungsformen<br />
s<strong>in</strong>d jedoch bei unzureichendem ambulantem Therapieeffekt,<br />
bei Suizidversuchen, bei selbstzerstörerischem<br />
Verhalten o<strong>der</strong> bei ungünstigen psychosozialen Bed<strong>in</strong>gungen<br />
<strong>in</strong> Familie o<strong>der</strong> <strong>Schule</strong> empfohlen.<br />
Behandlung<br />
Ist die Diagnose Depression gestellt, wissen K<strong>in</strong><strong>der</strong>- und<br />
Hausärzt<strong>in</strong>nen/-ärzte meist, an wen sich Eltern betroffener<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlicher wenden können. Es ist aber<br />
immer darauf zu achten, dass die Anlaufstellen auch die<br />
benötigte Qualifikation zur Behandlung <strong>von</strong> Depressionen<br />
aufweisen. Unter an<strong>der</strong>em s<strong>in</strong>d dies: K<strong>in</strong><strong>der</strong>- und<br />
Jugendpsychiater<strong>in</strong>nen/-psychiater und K<strong>in</strong><strong>der</strong>- und Jugendlichen-Psychotherapeut<strong>in</strong>nen/-therapeuten<br />
sowie Erziehungs-<br />
und Familienberatungsstellen. Der Behandlungsplan<br />
sollte immer an die <strong>in</strong>dividuelle Lebens- und<br />
Entwicklungssituation <strong>der</strong> betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen<br />
angepasst werden, d. h., er sollte Alter, schulisches<br />
und familiäres Umfeld berücksichtigen. Die Eltern<br />
<strong>der</strong> betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen sollten immer<br />
mit e<strong>in</strong>bezogen werden.<br />
Die Behandlung e<strong>in</strong>er Depression kann folgende Interventionen<br />
umfassen:<br />
· alters- bzw. entwicklungsadäquate Aufklärung <strong>der</strong><br />
betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen sowie <strong>der</strong> Eltern<br />
über die Depression<br />
· Interventionen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Familie (ggf. e<strong>in</strong>schließlich<br />
Familientherapie) zur Verm<strong>in</strong><strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Symptomatik<br />
sowie zur Beziehungsklärung und -verbesserung<br />
· Aufklärung und Beratung <strong>der</strong> Klassenlehrer<strong>in</strong>/des Klassenlehrers<br />
bzw. <strong>der</strong> Erzieher<strong>in</strong>/des Erziehers und ggf.<br />
Intervention <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
Lehrkräfte sollten – unabhängig da<strong>von</strong>, ob depressive<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche <strong>in</strong> ihren Klassen s<strong>in</strong>d – Aufklärungsarbeit<br />
leisten, damit <strong>der</strong> angemessene Umgang mit<br />
<strong>der</strong> Erkrankung <strong>von</strong> allen Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern gelernt<br />
wird. Denn depressive Störungen gehören zu den<br />
häufigsten und h<strong>in</strong>sichtlich ihrer Schwere zu den am<br />
meisten unterschätzten Erkrankungen.<br />
· Der Bundesverband <strong>der</strong> Angehörigen psychisch<br />
Kranker e. V. (BApK) bietet e<strong>in</strong>en Flyer für pädagogische<br />
Fachkräfte an: www.psychiatrie.de/bapk/k<strong>in</strong><strong>der</strong>/<br />
flyer<br />
· Zur Weiterreichung an Eltern/Angehörige betroffener<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>/Jugendlicher bietet sich die BApK-Broschüre<br />
„Wahns<strong>in</strong>nsk<strong>in</strong><strong>der</strong>?“ an: www.psychiatrie.de/bapk/<br />
k<strong>in</strong><strong>der</strong>/broschuere-eltern<br />
· Zur Weiterreichung an Geschwister, Freund<strong>in</strong>nen und<br />
Freunde und alle, die mit e<strong>in</strong>em psychisch kranken<br />
Menschen zusammenleben, bietet sich die BApK-<br />
Broschüre „Was ist denn nur mit Philip los?“ an:<br />
www.psychiatrie.de/bapk/k<strong>in</strong><strong>der</strong>/broschueregeschwister<br />
· Schulprojekt „Verrückt? Na und? – Seelisch fit <strong>in</strong><br />
<strong>Schule</strong> und Ausbildung“: www.verrueckt-na-und.de<br />
49
Depressionen<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Lehrkräfte spielen neben Familie und Freund<strong>in</strong>nen<br />
und Freunden e<strong>in</strong>e zentrale Rolle, vor allem im Leben<br />
<strong>von</strong> erkrankten K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen. S<strong>in</strong>d K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
und Jugendliche <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> und im Unterricht über<br />
Wochen auffällig, sollten Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer<br />
Kontakt zu den betroffenen Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern<br />
aufnehmen und auch mit <strong>der</strong>en Eltern sprechen.<br />
Dabei ist wichtig zu berücksichtigen,<br />
· dass sich Eltern häufig verantwortlich für die depressive<br />
Störung fühlen, sich selbst o<strong>der</strong> den betroffenen<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen Versagen vorwerfen<br />
könnten o<strong>der</strong> auch gelegentlich tatsächlich mit e<strong>in</strong><br />
Grund für die Depression se<strong>in</strong> können, z. B. wenn sie<br />
selbst depressiv s<strong>in</strong>d.<br />
· dass gerade bei Depressionen chronische Unter-,<br />
aber auch Überfor<strong>der</strong>ung e<strong>in</strong>e mögliche Ursache<br />
se<strong>in</strong> kann, an <strong>der</strong> Lehrkräfte e<strong>in</strong>en Anteil haben<br />
bzw. an <strong>der</strong>en Behebung sie mitwirken können.<br />
· dass kritische Lebensereignisse wie Trennung <strong>der</strong><br />
Eltern, Tod e<strong>in</strong>es nahen Angehörigen, Pubertätsbeg<strong>in</strong>n<br />
allgeme<strong>in</strong> o<strong>der</strong> auch Substanzmissbrauch<br />
zum Ausbrechen e<strong>in</strong>er Depression führen o<strong>der</strong> dazu<br />
beitragen können.<br />
E<strong>in</strong> sehr behutsamer Umgang ist erfor<strong>der</strong>lich und es<br />
ist beson<strong>der</strong>s darauf zu achten, dass Lehrkräfte nicht<br />
an die Stelle <strong>der</strong> Therapeut<strong>in</strong>nen und Therapeuten<br />
treten, son<strong>der</strong>n nur als Ansprechpartner agieren sollten,<br />
die den betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />
o<strong>der</strong> <strong>der</strong>en Eltern helfen, an professionelle Hilfe zu<br />
gelangen. Das sehr behutsame Anraten e<strong>in</strong>es Arztbesuches<br />
zu Klärung des Verdachts e<strong>in</strong>er Depression ist zu<br />
empfehlen. Wie bei allen Auffälligkeiten gilt es, sich zunächst<br />
mit dem Thema allgeme<strong>in</strong> zu beschäftigen, bevor<br />
man handelt. Man sollte nach Möglichkeit Informationen<br />
über Depressionen sammeln und jede Äußerung<br />
<strong>der</strong> Schüler<strong>in</strong>/des Schülers <strong>in</strong> Bezug auf Suizidalität ernst<br />
nehmen. Zahlreiche Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler erkranken<br />
wegen Ereignissen im Schulalltag o<strong>der</strong> ihrer psychosozialen<br />
Voraussetzungen an Depressionen; e<strong>in</strong>ige<br />
Risikofaktoren (z. B. Leistungsdruck) können Lehrkräfte<br />
durch richtigen Umgang mil<strong>der</strong>n. Lehrkräfte sollten sich<br />
bewusst se<strong>in</strong>, dass betroffene K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche<br />
nicht nur vor, son<strong>der</strong>n vor allem auch nach <strong>der</strong> Diagnose<br />
große Schwierigkeiten haben, sich ihre Krankheit e<strong>in</strong>zugestehen<br />
o<strong>der</strong> darüber mit an<strong>der</strong>en zu sprechen. Da<br />
die K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen sich häufig als Versager<br />
sehen, sollten Lehrkräfte sich auch bewusst se<strong>in</strong>, dass<br />
schlechte Noten die emotionale Stabilität <strong>der</strong> Betroffenen<br />
stören. Natürlich ist deshalb ke<strong>in</strong>e Bevorzugung vorzunehmen.<br />
Jedoch sollte z. B. e<strong>in</strong>e schlechte Klassenarbeit<br />
nicht kommentarlos zurückgegeben, son<strong>der</strong>n im Gespräch<br />
geklärt werden. Als Unterrichtsmethoden eignen<br />
sich beson<strong>der</strong>s Freiarbeiten ohne Zeitdruck. Wissenswert<br />
ist für Lehrkräfte immer, wie sich die Therapie auf die<br />
Bewältigung des Schulalltags auswirkt. Darüber sollte<br />
e<strong>in</strong>e ständige Kommunikation mit den Eltern stattf<strong>in</strong>den<br />
und ggf. auch, je nach Erlaubnis, e<strong>in</strong> direkter Kontakt mit<br />
den behandelnden Fachleuten bestehen, um die betroffenen<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen optimal zu <strong>in</strong>tegrieren.<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Bundesverband <strong>der</strong> Angehörigen psychisch Kranker e. V.<br />
(BApK)<br />
www.bapk.de<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.psychiatrie.de/bapk/k<strong>in</strong><strong>der</strong>/krankheitsbil<strong>der</strong>/<br />
depression<br />
· www.buendnis-depression.de<br />
· www.deutsche-depressionshilfe.de<br />
50
Diabetes mellitus<br />
Diabetes mellitus („Zuckerkrankheit“) ist e<strong>in</strong>e chronische Stoffwechselerkrankung,<br />
die unbehandelt durch e<strong>in</strong>en dauerhaft erhöhten Blutzuckerspiegel<br />
gekennzeichnet ist. Ursache ist entwe<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Insul<strong>in</strong>mangel o<strong>der</strong><br />
e<strong>in</strong>e gestörte Insul<strong>in</strong>wirksamkeit (Typ-1- o<strong>der</strong> Typ-2-Diabetes).<br />
Der Zusatz „mellitus“ (dt.: honigsüß) deutet auf die erhöhten Zuckerwerte<br />
im Ur<strong>in</strong> h<strong>in</strong> und entfällt oft <strong>in</strong> <strong>der</strong> Umgangssprache.<br />
Weltweit s<strong>in</strong>d ca. 256 Millionen Menschen an Diabetes erkrankt, <strong>in</strong> Europa<br />
s<strong>in</strong>d es ca. 50 Millionen, <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> etwa sechs Millionen (sieben Prozent<br />
<strong>der</strong> Bevölkerung), darunter ca. 30.000 K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche unter<br />
19 Jahren).<br />
Die Dunkelziffer ist sehr hoch, deshalb wird die Gesamtzahlahl <strong>der</strong> Diabetiker<br />
<strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> auf etwa zehn Millionen Menschen geschätzt.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Der Typ-1-Diabetes ist durch e<strong>in</strong>en Verlust <strong>der</strong> <strong>in</strong>sul<strong>in</strong>produzierenden<br />
Zellen verursacht. Die Folge: Dem Körper<br />
steht nur noch wenig bis gar ke<strong>in</strong> eigenes Insul<strong>in</strong><br />
zur Verfügung. Das fehlende Hormon Insul<strong>in</strong> muss <strong>von</strong><br />
außen zugeführt, d. h. gespritzt, werden. Ohne Insul<strong>in</strong><br />
kann <strong>der</strong> Energielieferant Glukose <strong>von</strong> den meisten<br />
Körperzellen nicht mehr aufgenommen und verwertet<br />
werden. Der Zuckerspiegel im Blut steigt an. Es handelt<br />
sich um e<strong>in</strong>e Autoimmunerkrankung. Der Typ-1-Diabetes<br />
tritt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit, Jugend o<strong>der</strong> im frühen<br />
Erwachsenenalter auf. Aber auch Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong><strong>der</strong> o<strong>der</strong><br />
Erwachsene können erkranken. Der klassische Typ-1-<br />
Patient präsentiert sich als junger, schlanker und sonst<br />
meist gesun<strong>der</strong> Mensch.<br />
Der Typ-2-Diabetes ist mit über 90 Prozent <strong>der</strong> Fälle die<br />
mit Abstand häufigste Diabetesform im Erwachsenenalter.<br />
In <strong>der</strong> Anfangszeit produziert <strong>der</strong> Körper noch viel Insul<strong>in</strong>.<br />
Allerd<strong>in</strong>gs ist die Empf<strong>in</strong>dlichkeit <strong>der</strong> Körperzellen<br />
für das Hormon herabgesetzt, d. h., die Zellen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sul<strong>in</strong>resistent.<br />
Sie reagieren also nicht mehr richtig auf Insul<strong>in</strong>.<br />
Dann reicht das körpereigene Insul<strong>in</strong> nicht mehr aus, um<br />
den erwünschten Effekt zu erzielen. Zu Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>er Insul<strong>in</strong>resistenz<br />
kann <strong>der</strong> Körper die ger<strong>in</strong>gere Insul<strong>in</strong>wirksamkeit<br />
noch kompensieren. Er stellt zunächst immer größere<br />
Mengen Insul<strong>in</strong> her und gibt sie <strong>in</strong> den Blutkreislauf ab.<br />
Früher o<strong>der</strong> später reicht aber auch die Mehrproduktion<br />
nicht mehr aus. Die Körperzellen nehmen aufgrund<br />
<strong>der</strong> stärker werdenden Insul<strong>in</strong>resistenz weniger Zucker<br />
auf und <strong>der</strong> Glukosespiegel im Blut steigt auf krankhafte<br />
Werte an. Dann werden Medikamente gegeben, die die<br />
Insul<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung an die Zielzelle verbessern. Typ-2-Diabetes<br />
tritt häufig bei Fehlernährung, Übergewicht und Bewegungsmangel<br />
auf. Früher wurde er vor allem im Erwachsenenalter<br />
beobachtet – heutzutage erkranken bereits<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche an Typ-2-Diabetes, wobei ihr Anteil<br />
an den Typ 2-Diabetikern <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> noch bei nur<br />
0,1 Prozent liegt, an<strong>der</strong>s als <strong>in</strong> den USA, wo er bereits<br />
50 Prozent erreicht hat. Dabei s<strong>in</strong>d junge Menschen mit<br />
afrikanischer Abstammung beson<strong>der</strong>s gefährdet. Der<br />
klassische Typ-2-Diabetiker präsentiert sich als älterer<br />
o<strong>der</strong> auch junger, übergewichtiger Mensch mit meist<br />
an<strong>der</strong>en Vorerkrankungen wie Fettstoffwechselstörungen<br />
etc. Wenn Jugendliche betroffen s<strong>in</strong>d (<strong>in</strong> 0,1 Prozent<br />
<strong>der</strong> Fälle), handelt es sich meist um solche mit e<strong>in</strong>em<br />
BMI > 30 kg/m².<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Ursache<br />
Für das Entstehen e<strong>in</strong>es Typ-1-Diabetes wird das Zusammenwirken<br />
<strong>von</strong> erblicher Veranlagung, äußeren Faktoren<br />
(z. B. bestimmte Virus<strong>in</strong>fektionen) und e<strong>in</strong>er Fehlsteuerung<br />
des Immunsystems verantwortlich gemacht.<br />
Risikofaktoren für die Entstehung <strong>von</strong> Typ-2-Diabetes s<strong>in</strong>d<br />
Übergewicht, Bewegungsmangel und e<strong>in</strong>e kohlenhydratreiche<br />
Ernährung.<br />
Diagnose<br />
Die Diagnose wird <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er Ärzt<strong>in</strong>/e<strong>in</strong>em Arzt gestellt. Als<br />
zuckerkrank gilt, wer nüchtern e<strong>in</strong>en Blutzucker über<br />
120 mg/dl hat. Es kommt vor, dass die Erkrankung lange<br />
Zeit ohne Symptome bleibt und Betroffene sich gesund<br />
fühlen.<br />
51
Diabetes mellitus<br />
Typische Symptome beim Typ-1-Diabetes s<strong>in</strong>d:<br />
· vermehrtes Wasserlassen<br />
· starker Durst<br />
· unerklärliche Gewichtsabnahme<br />
· Leistungsabfall<br />
Unspezifische Symptome bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n s<strong>in</strong>d:<br />
· sekundäre Enuresis (E<strong>in</strong>nässen)<br />
· Reizbarkeit<br />
Die Symptome können aufgrund des absoluten Insul<strong>in</strong>mangels<br />
auch akut und dramatisch auftreten und dann<br />
sehr plötzlich und heftig durch e<strong>in</strong> diabetisches Koma mit<br />
Bewusstlosigkeit <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung treten.<br />
E<strong>in</strong> Typ-2-Diabetes beg<strong>in</strong>nt h<strong>in</strong>gegen recht langsam und<br />
uncharakteristisch, so dass diese Form des Diabetes oft<br />
nur durch Zufall erkannt wird. Häufig geht er mit Übergewicht,<br />
Bluthochdruck und erhöhten Blutfetten e<strong>in</strong>her.<br />
Wer zur Gruppe <strong>der</strong> Menschen mit erhöhtem Risiko (Typ-<br />
2-Diabetes <strong>in</strong> <strong>der</strong> Familie, Übergewicht) gehört, sollte<br />
regelmäßig die Hausärzt<strong>in</strong>/den Hausarzt aufsuchen und<br />
sich auf Diabetes untersuchen lassen.<br />
Prognose<br />
Typ-1-Diabetes ist bis heute nicht heilbar. Die Patient<strong>in</strong>nen/Patienten<br />
müssen deshalb zeitlebens Insul<strong>in</strong> spritzen.<br />
Durch e<strong>in</strong>e frühzeitige Diagnose und Behandlung können<br />
Folgeerkrankungen verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t werden.<br />
Auch <strong>der</strong> Typ-2-Diabetes ist nicht heilbar. E<strong>in</strong>e gute Diabetese<strong>in</strong>stellung<br />
mithilfe e<strong>in</strong>er entsprechenden Ernährung,<br />
Diät und Bewegung erhöht jedoch die Lebensqualität<br />
und die Lebenserwartung <strong>der</strong> Patient<strong>in</strong>nen/Patienten<br />
beträchtlich.<br />
Behandlung<br />
Ziel <strong>der</strong> Diabetestherapie ist es, Folgeerkrankungen zu<br />
vermeiden und e<strong>in</strong>e möglichst gute Lebensqualität für die<br />
Betroffenen zu erhalten.<br />
Behandlung <strong>von</strong> Typ-1-Diabetes:<br />
Sie besteht dar<strong>in</strong>, das fehlende Insul<strong>in</strong> zu ersetzen. Es<br />
wird per Injektion mit e<strong>in</strong>er Spritze, e<strong>in</strong>em Pen o<strong>der</strong> <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>igen Fällen mit e<strong>in</strong>er Insul<strong>in</strong>pumpe zugeführt. E<strong>in</strong> Pen<br />
ist e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e Art <strong>von</strong> Spritze, die aussieht wie e<strong>in</strong> etwas<br />
größerer Kugelschreiber. Mit e<strong>in</strong>em Pen lässt sich die<br />
Insul<strong>in</strong><strong>in</strong>jektion beson<strong>der</strong>s e<strong>in</strong>fach durchführen. Die erfor<strong>der</strong>liche<br />
Dosis richtet sich nach dem Alter <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> und<br />
Jugendlichen, nach dem aktuellen Blutzucker, <strong>der</strong> Menge<br />
an zugeführten Kohlenhydraten und <strong>der</strong> geplanten<br />
körperlichen Aktivität. Zum Erlernen <strong>der</strong> Insul<strong>in</strong>therapie<br />
gibt es spezielle Schulungskurse für Betroffene und Angehörige.<br />
Bei <strong>der</strong> Behandlung mit Insul<strong>in</strong> kommen zwei verschiedene<br />
Insul<strong>in</strong>arten zum E<strong>in</strong>satz:<br />
1) Kurzwirkendes Insul<strong>in</strong> (Synonyme: Kurzzeit<strong>in</strong>sul<strong>in</strong>,<br />
Bolus<strong>in</strong>sul<strong>in</strong>, Normal<strong>in</strong>sul<strong>in</strong>): Es wird zu den Mahlzeiten<br />
gespritzt, um das schnelle Ansteigen des Blutzuckerspiegels<br />
nach dem Essen zu vermeiden.<br />
2) Langwirkendes Insul<strong>in</strong> (Synonyme: Basal<strong>in</strong>sul<strong>in</strong>, Intermediär<strong>in</strong>sul<strong>in</strong>,<br />
Langzeit<strong>in</strong>sul<strong>in</strong>): Es sichert die Grundversorgung<br />
mit Insul<strong>in</strong> und wird e<strong>in</strong>- bis dreimal täglich<br />
gespritzt, normalerweise morgens und abends jeweils<br />
e<strong>in</strong>e Injektion.<br />
Damit die Ernährung nicht e<strong>in</strong>seitig wird, orientieren sich<br />
die Betroffenen an Tabellen, die Auskunft darüber geben,<br />
welche Nahrungsmittel sie gegene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> austauschen<br />
können.<br />
Beim Diabetes Typ 1 kann es zu e<strong>in</strong>er Unterzuckerung<br />
o<strong>der</strong> Überzuckerung kommen. Bei e<strong>in</strong>er Unterzuckerung<br />
ist zu wenig Zucker im Blut und die/<strong>der</strong> Betroffene<br />
muss sofort etwas „Süßes“ zu sich nehmen (z. B. Obstsaft,<br />
Cola, Traubenzucker etc.). Bei e<strong>in</strong>er Überzuckerung<br />
ist <strong>der</strong> Blutzuckerspiegel zu hoch und die/<strong>der</strong> Betroffene<br />
muss Insul<strong>in</strong> zuführen. Körperliche Aktivität wirkt sich<br />
grundsätzlich günstig auf die Erkrankung aus und ist zu<br />
empfehlen. Dabei ist darauf zu achten, Diabetestherapie,<br />
Ernährung und körperliche Beanspruchung aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />
abzustimmen. Die Auswirkungen sportlicher Aktivitäten<br />
auf den Blutzuckerspiegel müssen möglichst exakt vorausberechnet<br />
und durch entsprechende Anpassung <strong>der</strong><br />
Insul<strong>in</strong>dosis und <strong>der</strong> Kohlenhydrataufnahme berücksichtigt<br />
werden.<br />
Behandlung <strong>von</strong> Typ-2-Diabetes:<br />
Der Typ-2-Diabetes lässt sich durch das eigene Verhalten<br />
und den Lebensstil wesentlich bee<strong>in</strong>flussen. Dar<strong>in</strong> liegt<br />
e<strong>in</strong>e große Chance für die Betroffenen: Sie können den<br />
Verlauf <strong>der</strong> Erkrankung aus eigener Anstrengung heraus<br />
verän<strong>der</strong>n und enorm viel für sich und ihre zukünftige<br />
Lebensqualität tun.<br />
Übergewichtige Patient<strong>in</strong>nen und Patienten können<br />
durch Gewichtsabnahme ihren Blutzuckerspiegel normalisieren.<br />
E<strong>in</strong>e ausgewogene Ernährung, körperliche Aktivität,<br />
e<strong>in</strong>e erfolgreiche Gewichtsabnahme sowie <strong>der</strong> Verzicht<br />
auf Alkohol und Nikot<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d wichtige Maßnahmen,<br />
die zudem Bluthochdruck und Blutfettwerte günstig bee<strong>in</strong>flussen<br />
können. Dadurch steigt die Insul<strong>in</strong>empf<strong>in</strong>dlichkeit<br />
<strong>der</strong> Zellen wie<strong>der</strong>.<br />
Gel<strong>in</strong>gt es nicht, die Werte mittels Ernährungsumstellung<br />
und Bewegung zu normalisieren, werden zuerst Blutzucker<br />
senkende Tabletten, später auch Insul<strong>in</strong> verabreicht.<br />
Schulungsprogramme:<br />
Für Betroffene ist es nicht immer e<strong>in</strong>fach, alle Regeln zu<br />
Ernährung, Bewegung und zur medikamentösen Behandlung<br />
umzusetzen. Dabei helfen Diabetikerschulungen,<br />
52
die Betroffenen alles Wichtige zum richtigen Umgang mit<br />
ihrer Erkrankung vermitteln.<br />
E<strong>in</strong> Beispiel:<br />
Diabetikerschulungen <strong>der</strong> DRK-K<strong>in</strong><strong>der</strong>kl<strong>in</strong>ik Siegen<br />
In <strong>der</strong> Diabetesambulanz <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>kl<strong>in</strong>ik kümmert sich<br />
speziell ausgebildetes Fachpersonal (Fachärzt<strong>in</strong>nen und<br />
Fachärzte für Endokr<strong>in</strong>ologie und Diabetologie sowie<br />
Diabetesberater<strong>in</strong>nen und -berater) um die Patient<strong>in</strong>nen<br />
und Patienten und ihre Eltern. Nach <strong>der</strong> Diagnosestellung<br />
wird <strong>in</strong> strukturierten E<strong>in</strong>zelgesprächen e<strong>in</strong>e Erstberatung<br />
durchgeführt. Dafür nimmt sich das Team viel Zeit. Darüber<br />
h<strong>in</strong>aus empfiehlt es sich, das erlernte Wissen im<br />
Abstand <strong>von</strong> zwei bis drei Jahren aufzufrischen. Dazu<br />
werden Gruppenschulungen mit maximal sechs K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
angeboten.<br />
Der zeitliche Aufwand für e<strong>in</strong>e Erstschulung umfasst<br />
30 Stunden. Sie behandelt unter an<strong>der</strong>em folgende Themen:<br />
· Was ist Diabetes mellitus? (Ursachen, Verlauf)<br />
· selbstständiges Messen und Beurteilung des<br />
Blutzuckers<br />
· Insul<strong>in</strong>wirkung und Spritztechnik<br />
· Wie ernähre ich mich als Diabetiker gesund und<br />
richtig?<br />
· Wie vermeide ich niedrige o<strong>der</strong> hohe Blutzuckerwerte?<br />
(z. B. Sport, Infekte)<br />
· Diabetes im Alltag<br />
Auf die altersbed<strong>in</strong>gten Interessen und <strong>in</strong>dividuellen Beson<strong>der</strong>heiten<br />
<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen stellt sich das<br />
Team e<strong>in</strong>. Hausbesuche s<strong>in</strong>d ebenso möglich wie die Aufklärung<br />
<strong>von</strong> Erzieher<strong>in</strong>nen und Erziehern und Lehrkräften<br />
<strong>in</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten o<strong>der</strong> <strong>Schule</strong>n.<br />
Nach <strong>der</strong> Entlassung aus <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>kl<strong>in</strong>ik bleibt e<strong>in</strong> enger<br />
Kontakt zwischen Eltern und Diabetesteam bestehen. Ambulante<br />
Vorstellungen f<strong>in</strong>den <strong>in</strong> vierteljährlichen Abständen<br />
statt. Treten Fragen o<strong>der</strong> Unsicherheiten auf, können<br />
Eltern telefonische Rücksprache mit Ärzt<strong>in</strong>nen und Ärzten<br />
o<strong>der</strong> Diabetesberater<strong>in</strong>nen und -beratern halten. Damit<br />
bietet das Team e<strong>in</strong> Stück Sicherheit, die Eltern und<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> nach <strong>der</strong> Entlassung aus <strong>der</strong> DRK-K<strong>in</strong><strong>der</strong>kl<strong>in</strong>ik<br />
Siegen bei <strong>der</strong> täglichen Therapie zu Hause erst wie<strong>der</strong> f<strong>in</strong>den<br />
müssen (www.drk-k<strong>in</strong><strong>der</strong>kl<strong>in</strong>ik.de/home/fuer-eltern/<br />
schulungsprogramme/diabetesschulung).<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche mit Diabetes s<strong>in</strong>d grundsätzlich<br />
und <strong>in</strong> je<strong>der</strong> H<strong>in</strong>sicht, d. h. körperlich, geistig,<br />
emotional und sozial, voll leistungsfähig und<br />
belastbar. Deshalb sollten sich Lehrkräfte um e<strong>in</strong>en<br />
möglichst normalen Umgang mit dem K<strong>in</strong>d bemühen.<br />
Son<strong>der</strong>rollen, Ausnahmeregelungen, Ausschluss<br />
<strong>von</strong> bestimmten Tätigkeiten o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Beschränkungen<br />
s<strong>in</strong>d grundsätzlich nicht erfor<strong>der</strong>lich.<br />
Falls die Betroffenen e<strong>in</strong>verstanden s<strong>in</strong>d, sollte die<br />
Krankheit im Klassenverband behandelt werden, damit<br />
die Klassenkamerad<strong>in</strong>nen und Klassenkameraden<br />
verstehen, warum für Diabetiker<strong>in</strong>nen und Diabetiker<br />
an<strong>der</strong>e Spielregeln für die Nahrungsaufnahme gelten,<br />
warum sie Messungen durchführen und wann<br />
sie ggf. Hilfe benötigen.<br />
Wichtig ist e<strong>in</strong>e offene und vertrauensvolle Zusammenarbeit<br />
zwischen Lehrkräften, Betroffenen, Eltern<br />
und behandelnden Ärzt<strong>in</strong>nen und Ärzten.<br />
Lehrkräfte sollten sich Grundkenntnisse über die<br />
Krankheit aneignen o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Gespräch mit den Eltern<br />
suchen.<br />
Es sollten folgende Informationen vermittelt werden:<br />
· Benachrichtigung im Notfall<br />
· Telefonnummern <strong>der</strong> Eltern, <strong>der</strong> Ärzt<strong>in</strong>/des Arztes<br />
· beson<strong>der</strong>es Verhalten im Unterricht (Nahrungsaufnahme,<br />
Messung des Blutzuckerspiegels)<br />
· Symptome e<strong>in</strong>er Unterzuckerung<br />
Die wichtigsten Informationen sollten im Klassenbuch<br />
festgehalten werden.<br />
Im Unterricht:<br />
Diabetiker<strong>in</strong>nen und Diabetiker dürfen regelmäßig,<br />
auch während des Unterrichts, den Blutzuckerspiegel<br />
kontrollieren. Die Lehrkraft sollte bei <strong>der</strong> Interpretation<br />
<strong>der</strong> Ergebnisse (Zahlen) helfen können. Falls <strong>der</strong><br />
Blutzuckerspiegel zu niedrig se<strong>in</strong> sollte, muss das<br />
K<strong>in</strong>d auch während des Unterrichts umgehend etwas<br />
essen o<strong>der</strong> tr<strong>in</strong>ken.<br />
Jede Lehrkraft sollte die Anzeichen e<strong>in</strong>er Unterzuckerung<br />
kennen und wissen, wo Traubenzucker<br />
und Getränke zur Behandlung aufbewahrt werden.<br />
Anzeichen e<strong>in</strong>er Unterzuckerung:<br />
· Blässe<br />
· Schweißausbrüche<br />
· Schläfrigkeit<br />
· Zittern<br />
· Konzentrationsschwäche<br />
· Kopfschmerzen<br />
· Bewusstse<strong>in</strong>sverlust<br />
Nach e<strong>in</strong>er Unterzuckerung sollten Leistungen aufgrund<br />
<strong>der</strong> verm<strong>in</strong><strong>der</strong>ten Leistungsfähigkeit nicht<br />
bewertet werden. Ist <strong>der</strong> Blutzuckerspiegel zu hoch,<br />
muss das K<strong>in</strong>d sofort Insul<strong>in</strong> zuführen. Es sollte ihm<br />
erlaubt se<strong>in</strong>, ggf. zu Hause anzurufen, um e<strong>in</strong>e fehlerfreie<br />
Behandlung zu gewährleisten.<br />
w<br />
53
Diabetes mellitus<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit Diabetes können sowohl am Sportunterricht<br />
als auch an den Pausenspielen teilnehmen,<br />
sollten aber unter Beobachtung stehen. Es<br />
sollte den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n erlaubt se<strong>in</strong>, die sportliche Belastung<br />
zu unterbrechen, falls sie es für erfor<strong>der</strong>lich<br />
halten, und <strong>in</strong> den Pausen zuckerhaltige Nahrungsmittel<br />
o<strong>der</strong> Getränke zu sich zu nehmen.<br />
Lehrkräfte sollten immer e<strong>in</strong>e Notreserve an Traubenzucker<br />
bereithalten, um im Fall e<strong>in</strong>er Unterzuckerung<br />
helfen zu können.<br />
Auf Ausflügen/Klassenfahrten:<br />
Sie erfor<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e Vorbereitung. Lehrkräfte<br />
sollten mit den Betroffenen und ihren Eltern<br />
frühzeitig über E<strong>in</strong>zelheiten und die geplanten Aktionen<br />
sprechen.<br />
Die Familien sollten Kenntnis haben über:<br />
· den Zeitplan des Vorhabens<br />
· Dauer und Intensität <strong>der</strong> damit verbundenen körperlichen<br />
Belastung (z. B. leichte Wan<strong>der</strong>ung o<strong>der</strong><br />
anstrengen<strong>der</strong> Spaziergang)<br />
· die ggf. geplante Fremdverpflegung und<br />
<strong>der</strong>en Zuverlässigkeit. S<strong>in</strong>d die Schüler ggf. auf<br />
eigenen Vorrat angewiesen?<br />
Die Lehrkraft sollte vor dem Ausflug überprüfen, ob<br />
das K<strong>in</strong>d se<strong>in</strong>e Mess- und Spritzutensilien, wichtige<br />
Telefonnummern und e<strong>in</strong>en Informationszettel mit<br />
Anleitungen für den Notfall dabei hat. Zusätzlich<br />
sollte die Lehrkraft e<strong>in</strong>e Packung Traubenzucker und<br />
e<strong>in</strong> zuckerhaltiges Getränk bereithalten. Auf Klassenfahrten<br />
ist es für jüngere Betroffene hilfreich, wenn<br />
e<strong>in</strong> Elternteil als Begleitperson mitfährt.<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
· Fachzeitschrift Diabetes „Diabetes Journal“<br />
· Fachzeitschrift Diabetes „Diabetes Eltern Journal“<br />
· Broschüre „Chronische Erkrankungen im K<strong>in</strong>desalter.<br />
E<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Thema <strong>von</strong> Elternhaus, K<strong>in</strong><strong>der</strong>tagesstätte<br />
und <strong>Schule</strong>“ <strong>der</strong> Bundeszentrale für gesundheitliche<br />
Aufklärung (BZgA), erhältlich unter:<br />
www.bzga.de/<strong>in</strong>fomaterialien/k<strong>in</strong><strong>der</strong>-und-jugendgesundheit/chronische-erkrankungen-im-k<strong>in</strong>desalter<br />
· Handreichung „Chronische Erkrankungen als Problem<br />
und Thema <strong>in</strong> <strong>Schule</strong> und Unterricht. Handreichung<br />
für Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer <strong>der</strong> Klassen 1 bis 10“ <strong>der</strong><br />
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA),<br />
erhältlich unter: www.bzga.de/<strong>in</strong>fomaterialien/unterrichtsmaterialien/nach-themen/?idx=625<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Deutscher Diabetiker Bund e. V. (DDB)<br />
www.diabetikerbund.de<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.diabetes-kids.de<br />
· www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de<br />
54
Down-Syndrom (Trisomie 21)<br />
Die Angaben zum Vorkommen des Down-Syndroms <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />
schwanken zwischen 1:500 und 1:800 Geburten pro Jahr.<br />
E<strong>in</strong> höheres Alter <strong>der</strong> Mutter erhöht das Risiko – bei 20-jährigen Müttern<br />
liegt das Risiko bei 1:1.500, bei 40-jährigen bereits bei 1:100.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Folgende Formen <strong>der</strong> Trisomie 21 werden unterschieden:<br />
· Freie Trisomie 21: ca. 95 Prozent <strong>der</strong> Betroffenen (Chromosom<br />
21 dreifach vorhanden)<br />
· Translokations-Trisomie 21: ca. drei bis vier Prozent aller<br />
Betroffenen (Chromosom 21 dreifach vorhanden, e<strong>in</strong>s<br />
da<strong>von</strong> jeweils angelagert an e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es)<br />
· Mosaik-Trisomie 21: ca. e<strong>in</strong> bis zwei Prozent aller Betroffenen<br />
(Zelll<strong>in</strong>ie mit dreifachem Chromosom 21 und<br />
parallel dazu normal ausgebildete Zelll<strong>in</strong>ie – diese Koexistenz<br />
bezeichnet man als Mosaik)<br />
· Partielle Trisomie 21: weniger als e<strong>in</strong> Prozent weltweit<br />
(Chromosom 21 liegt zweifach vor, doch e<strong>in</strong>s ist verän<strong>der</strong>t)<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Ursache<br />
Das Down-Syndrom ist ke<strong>in</strong>e chronische Krankheit im<br />
eigentlichen S<strong>in</strong>ne, son<strong>der</strong>n entsteht <strong>in</strong>folge e<strong>in</strong>er Chromosomenverän<strong>der</strong>ung;<br />
das 21. Chromosom ist dreimal<br />
anstatt zweimal vorhanden, daher wird auch <strong>von</strong> Trisomie<br />
21 gesprochen.<br />
Diagnose<br />
Verschiedene Symptome weisen auf e<strong>in</strong>e Trisomie 21 h<strong>in</strong>:<br />
· Pränatal: Wachstumsstörung, Herzfehler, großer Augenabstand,<br />
zu kurze Oberschenkel- o<strong>der</strong> Oberarmknochen,<br />
Darmverschluss, große Fruchtwassermenge<br />
(K<strong>in</strong><strong>der</strong> tr<strong>in</strong>ken wenig), Flüssigkeitsansammlung im<br />
Nackenbereich, leichte Erweiterung des Nierenbeckenkelchsystems<br />
· Postnatal: Vorhandense<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er dritten Fontanelle,<br />
mandelförmige Augen, sichelförmige Hautfalte <strong>in</strong> den<br />
Augenw<strong>in</strong>keln <strong>in</strong>nen, Hypotonie (verm<strong>in</strong><strong>der</strong>te Muskelspannung),<br />
Herzfehler, Darmverschluss, Vierf<strong>in</strong>gerfurche<br />
an <strong>der</strong> Hand<strong>in</strong>nenfläche und Sandalenfurche<br />
Erst e<strong>in</strong>e Chromosomenanalyse bestätigt die Diagnose<br />
Down-Syndrom bzw. Trisomie 21, denn alle vorgenannten<br />
Symptome können auch bei jedem an<strong>der</strong>en Menschen<br />
vorkommen.<br />
Menschen mit Down-Syndrom erreichen zurzeit e<strong>in</strong><br />
durchschnittliches Lebensalter <strong>von</strong> etwa 60 Jahren. Es ist<br />
zu erwarten, dass dies künftig weiter steigen wird. Das<br />
Down-Syndrom geht immer mit e<strong>in</strong>er verzögerten psychomotorischen<br />
Entwicklung e<strong>in</strong>her. Das geistige Entwicklungsniveau<br />
zeigt e<strong>in</strong>e große Spanne und kann <strong>in</strong><br />
gewissen Grenzen durch die heutigen Erziehungs- und<br />
För<strong>der</strong>methoden positiv bee<strong>in</strong>flusst werden.<br />
Menschen mit Down-Syndrom können wie die übrige<br />
Bevölkerung e<strong>in</strong> Leben lang lernen und sollten deshalb<br />
unbed<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>e lebenslange För<strong>der</strong>ung ihrer kognitiven,<br />
sozialen und lebenspraktischen Fähigkeiten erhalten. Die<br />
<strong>in</strong>tellektuellen Leistungen bzw. Fähigkeiten <strong>der</strong> erwachsenen<br />
Betroffenen lassen mit fortschreitendem Alter nach –<br />
dieser Prozess vollzieht sich zwar stark variierend, setzt<br />
aber i. d. R. früher e<strong>in</strong> als bei erwachsenen Nicht-Betroffenen.<br />
Dies betrifft unter an<strong>der</strong>em die Fähigkeit, geistige<br />
Zusammenhänge zu verarbeiten o<strong>der</strong> abstrakt-logische<br />
Denkvorgänge nachzuvollziehen.<br />
Behandlung<br />
Unterschiedliche Therapien tragen zu e<strong>in</strong>er Verbesserung<br />
<strong>der</strong> Situation bei:<br />
· Unterstützung zur Entwicklung <strong>der</strong> motorischen und<br />
psychischen Fähigkeiten<br />
· Mediz<strong>in</strong>isch: Ergotherapie, Physiotherapie, Logopädie<br />
· Soziales Umfeld: Akzeptanz <strong>in</strong> <strong>der</strong> Familie, Integrationse<strong>in</strong>richtungen,<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>gruppen, kreative För<strong>der</strong>ung<br />
(Kunst, Sport wie z. B. Reiten, Musik)<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Die Entwicklung <strong>von</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n mit Down-Syndrom<br />
läuft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er gewissen Variationsbreite, jedoch <strong>in</strong><br />
gesetzmäßiger Folge ab. E<strong>in</strong>e entsprechende Frühför<strong>der</strong>ung<br />
mit korrigieren<strong>der</strong> Beobachtung bildet<br />
die Basis für e<strong>in</strong>e gute Entwicklung, denn die betroffenen<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> haben e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>geschränkte auditive<br />
Merkspanne und <strong>in</strong>folgedessen e<strong>in</strong>e verschlechterte<br />
Eigenwahrnehmung.<br />
w<br />
55
Down-Syndrom (Trisomie 21)<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Grundsätzlich ist zu beachten, dass das Lernpotenzial<br />
<strong>von</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n mit Down-Syndrom sehr unterschiedlich<br />
ausgeprägt se<strong>in</strong> kann. Daher sollten Lehrkräfte sich<br />
– wie bei allen an<strong>der</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong>n auch – mittels gezielter<br />
Verlaufsdiagnostik e<strong>in</strong> Bild vom Lernstand und<br />
den Lernfortschritten dieser K<strong>in</strong><strong>der</strong> verschaffen. Auf<br />
dieser Basis sollten sich sowohl Über- als auch Unterfor<strong>der</strong>ung<br />
und <strong>der</strong>en negative Folgen vermeiden<br />
lassen.<br />
Konkrete H<strong>in</strong>weise:·<br />
Ziele: Ganzheitliche För<strong>der</strong>ung, Fähigkeit zur Selbstversorgung,<br />
sprachliche Kompetenz, motorische<br />
Fähigkeiten, soziale Kompetenzen, Kulturtechniken<br />
(Lesen, Schreiben, Rechnen)<br />
· För<strong>der</strong>ung des Sprachaufbaus durch Lesen und<br />
Schreiben (spielerisch o<strong>der</strong> als Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gse<strong>in</strong>heit)<br />
· Leistungsschwierigkeiten beim Rechnen<br />
(geschädigtes Kurzzeitgedächtnis)<br />
· Hilfestellung durch Visualisieren e<strong>in</strong>zelner Handlungsschritte<br />
und durch Arbeit mit Anschauungsmaterial,<br />
da das Abstraktionsvermögen teilweise<br />
nicht so stark ausgebildet ist<br />
onen <strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Arbeitskreis Down-Syndrom <strong>Deutschland</strong> e. V.<br />
www.down-syndrom.org<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.down-syndrom.org/def<strong>in</strong>ition_down_syndrom<br />
· www.down-syndrom.org/entwicklung_down_<br />
syndrom<br />
· www.down-syndrom.org/<strong>in</strong>formationsmaterial<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
Bücher:<br />
· Städtler-Ley, Stefan (Hrsg.); Bird, Gilian; Buckley, Sue<br />
(2005). Handbuch für Lehrer <strong>von</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n mit Down-<br />
Syndrom. Zirndorf: G & S Verlag.<br />
· Stüssel, Hermann (2000). Das Puzzle muss vollständig<br />
se<strong>in</strong>. Neumünster: Paranus Verlag.<br />
· Rapp, Conny (2004). Außergewöhnlich. K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit<br />
Down-Syndrom und ihre Mütter. Neumünster: Die<br />
Brücke Neumünster gGmbH.<br />
· Wenk, Conny (2007). Schmetterl<strong>in</strong>gszauber: Hannah,<br />
Juliana und Lilly – Bil<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er Freundschaft. Neumünster:<br />
Die Brücke Neumünster gGmbH.<br />
· Wenk, Conny (2008). Außergewöhnlich: Väterglück.<br />
Neumünster: Paranus Verlag.<br />
· Wenk, Conny (2010). Freundschaft. Schwarzenfeld:<br />
Neufeld Verlag.<br />
· Wenk, Conny (2013). Außergewöhnlich. Schwarzenfeld:<br />
Neufeld Verlag.<br />
Film:<br />
· „Me too – wer will schon normal se<strong>in</strong>“<br />
56
Ehlers-Danlos-Syndrom<br />
Das Ehlers-Danlos-Syndrom (EDS) ist e<strong>in</strong>e angeborene, vererbbare B<strong>in</strong>degewebserkrankung.<br />
Bei dieser Erkrankung liegt e<strong>in</strong>e Störung <strong>der</strong> Kollagenbiosynthese<br />
(Stoffwechselstörung) vor – genauer: e<strong>in</strong>e Störung <strong>in</strong>nerhalb<br />
des Am<strong>in</strong>osäurehaushalts <strong>der</strong> Chromosomen, wodurch e<strong>in</strong> ganz bestimmtes<br />
Klebeeiweiß fehlt. B<strong>in</strong>degewebe (auch Stützgewebe genannt)<br />
hat wichtige Schutzfunktionen für die Gefäße und Nerven im menschlichen<br />
Körper.<br />
Die Angaben zur Verbreitung des EDS variieren. Je nach EDS-Typ wird<br />
e<strong>in</strong>e Häufigkeit <strong>von</strong> 1:25.000 bis 1:50.000 angenommen. E<strong>in</strong>zelne <strong>der</strong><br />
bisher bekannten EDS-Typen s<strong>in</strong>d jedoch noch seltener anzutreffen, so dass<br />
genaue Angaben zur Häufigkeit kaum möglich s<strong>in</strong>d. Das EDS gehört zu<br />
den seltenen Erkrankungen.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
EDS-Betroffene weisen unterschiedliche Symptome auf.<br />
Im Folgenden s<strong>in</strong>d die häufigsten EDS-Typen mit den jeweiligen<br />
Hauptmerkmalen aufgeführt, die jedoch nicht<br />
immer vorkommen müssen und daher eher als Anhaltspunkte<br />
gelten.<br />
Klassischer Typ:<br />
stark überdehnbare und leicht verletzliche<br />
Haut, Hämatome, stark<br />
überbewegliche Gelenke, Narbenbildung,<br />
<strong>in</strong>nere Organe (bspw. das Herz)<br />
können betroffen se<strong>in</strong><br />
Hypermobiler Typ: ger<strong>in</strong>ge Beteiligung <strong>der</strong> Haut, starke<br />
Überbeweglichkeit <strong>der</strong> Gelenke, <strong>in</strong>nere<br />
Organe können betroffen se<strong>in</strong><br />
Vaskulärer Typ:<br />
Kyphoskoliotischer<br />
Typ:<br />
dünne, durchsche<strong>in</strong>ende Haut, ausgeprägte<br />
Hämatombildung, Überbeweglichkeit<br />
<strong>der</strong> kle<strong>in</strong>en Gelenke, Neigung<br />
zu Hernien/Rissen bei <strong>in</strong>neren<br />
Organen und Gefäßen<br />
Überdehnbarkeit <strong>der</strong> Haut mittel bis<br />
stark ausgeprägt, mittlere bis starke<br />
Überbeweglichkeit <strong>der</strong> Gelenke, Beteiligung<br />
<strong>der</strong> Augen und <strong>in</strong>neren Organe<br />
Arthrochalasie-Typ: dünne Haut, Hüftluxationen, ausgeprägte<br />
Überbeweglichkeit <strong>der</strong> Gelenke<br />
Dermatosparaxis-<br />
Typ:<br />
sehr schlaffe Haut, deutliche Überbeweglichkeit<br />
<strong>der</strong> Gelenke, Beteiligung<br />
<strong>in</strong>nerer Organe<br />
Verlauf und Ausprägung können unterschiedlich se<strong>in</strong><br />
und hängen nicht mit dem Typ zusammen. Sogenannte<br />
„blaue Skleren“ (das Weiße im Auge ist sehr bläulich)<br />
kommen selten vor, ebenso wie Netzhautablösungen<br />
o<strong>der</strong> ähnlich verlaufende schwere Augenverän<strong>der</strong>ungen.<br />
Auch s<strong>in</strong>d diese meist typenunabhängig.<br />
Nicht bei allen Menschen mit e<strong>in</strong>em EDS s<strong>in</strong>d die typenspezifischen<br />
Ausprägungen wie beschrieben vorhanden,<br />
da es viele Mischtypen <strong>der</strong> Erkrankung gibt. Die Bee<strong>in</strong>trächtigungen<br />
und Begleiterkrankungen s<strong>in</strong>d vielfältig.<br />
Beson<strong>der</strong>e Formen <strong>von</strong> Magen- und Darmbee<strong>in</strong>trächtigungen,<br />
Herzerkrankungen, unentdeckte o<strong>der</strong> auch<br />
bekannte Aneurysmen können lebensbedrohlich se<strong>in</strong>.<br />
Skoliosen und an<strong>der</strong>e degenerative Gelenkverän<strong>der</strong>ungen<br />
können ebenso vorkommen wie Hüftdysplasien,<br />
Verrenkungen/Ausrenkungen e<strong>in</strong>zelner Gelenke etc.<br />
Knochenbrüche h<strong>in</strong>gegen s<strong>in</strong>d eher selten. Nicht bei allen<br />
Menschen mit e<strong>in</strong>em EDS s<strong>in</strong>d die typenspezifischen<br />
Ausprägungen wie beschrieben vorhanden, da es viele<br />
Mischtypen <strong>der</strong> Erkrankung gibt.<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Die Ursache <strong>von</strong> EDS ist e<strong>in</strong>e genetische Verän<strong>der</strong>ung.<br />
EDS ist somit e<strong>in</strong>e Erbkrankheit. Sie kann sowohl <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />
Mutter als auch vom Vater vererbt werden. Sogenannte<br />
Spontanmutationen s<strong>in</strong>d ebenfalls möglich. E<strong>in</strong>e Diagnose<br />
kann <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Fällen aufgrund des kl<strong>in</strong>ischen Ersche<strong>in</strong>ungsbilds<br />
gestellt werden. Weitere diagnostische Möglichkeiten<br />
bestehen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er genmolekularen und/o<strong>der</strong><br />
e<strong>in</strong>er elektronenmikroskopischen Laboruntersuchung. Da<br />
<strong>in</strong>zwischen noch weitere diagnostische Methoden angeboten<br />
werden, ist e<strong>in</strong>e Hautbiopsie oft nicht erfor<strong>der</strong>lich.<br />
Dennoch kann bei ca. zehn Prozent <strong>der</strong> untersuchten<br />
57
Ehlers-Danlos-Syndrom<br />
Menschen bis heute ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutige Diagnose gestellt<br />
werden, obwohl alle Symptome e<strong>in</strong>es EDS vorliegen. Die<br />
Erfassung <strong>der</strong> Familienkrankengeschichte sollte mit e<strong>in</strong>bezogen<br />
werden.<br />
Das Ausmaß <strong>der</strong> physischen Beschwerden und <strong>der</strong> damit<br />
eventuell verbundenen psychischen Belastungen hängt<br />
nicht nur vom EDS-Typ, son<strong>der</strong>n auch <strong>von</strong> <strong>der</strong> Ausprägung<br />
<strong>der</strong> Symptome und/o<strong>der</strong> Begleiterkrankungen ab.<br />
Die Erkrankung verläuft progredient, d. h., die Schwere<br />
<strong>der</strong> Symptome nimmt mit <strong>der</strong> Zeit zu.<br />
Behandlung<br />
E<strong>in</strong>e ursächliche Therapie des EDS ist bis heute nicht möglich.<br />
Es können lediglich die Symptome behandelt werden.<br />
Betroffene sollten starke Belastungen und Überlastungen<br />
<strong>der</strong> Gelenke und Verletzungen vermeiden. Operationen<br />
sollten nur <strong>in</strong> Notfällen durchgeführt werden. Technische<br />
Hilfsmittel wie z. B. Orthesen, E<strong>in</strong>lagen o<strong>der</strong> Bandagen<br />
können Erleichterung verschaffen. Gegebenenfalls kann<br />
auch e<strong>in</strong>e Stress-Schmerztherapie hilfreich bzw. notwendig<br />
se<strong>in</strong>.<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Da die Lehrkräfte über das EDS und die spezifischen<br />
Symptome des betroffenen K<strong>in</strong>des <strong>in</strong>formiert<br />
se<strong>in</strong> sollten, empfehlen sich e<strong>in</strong> regelmäßiger<br />
Austausch sowie e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive Zusammenarbeit<br />
mit den Eltern, Ärzt<strong>in</strong>nen o<strong>der</strong> Ärzten und ggf.<br />
weiteren beteiligten Institutionen. E<strong>in</strong> Notfallpaket<br />
und e<strong>in</strong> Notfallausweis sollten immer bereitliegen.<br />
Zur Vermeidung <strong>von</strong> Verletzungen sollten <strong>von</strong> EDS<br />
betroffene K<strong>in</strong><strong>der</strong> zu den Pausen o<strong>der</strong> zum Unterrichtsende<br />
erst dann die Klasse/Gruppe verlassen,<br />
wenn <strong>der</strong> „Ansturm“ sich gelegt hat. In manchen<br />
Fällen ist es geboten, die K<strong>in</strong><strong>der</strong> vom Sportunterricht<br />
teilweise o<strong>der</strong> ganz zu befreien.<br />
Aufgrund hypermobiler Gelenke können Schwierigkeiten<br />
und Schmerzen bei <strong>der</strong> Handkoord<strong>in</strong>ation<br />
auftreten. Dann bieten sich ggf. spezielle Hilfen o<strong>der</strong><br />
auch Alternativen beim Schreiben (z. B. Laptop) an.<br />
Nicht zu unterschätzen ist auch die Leistungse<strong>in</strong>schränkung<br />
<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong>folge schneller Erschöpfung/Ermüdung<br />
aufgrund <strong>der</strong> Schmerzbelastung und<br />
des daraus resultierenden Schlafdefizits.<br />
Trotz des mitunter erhöhten Aufmerksamkeitsbedarfs<br />
und trotz mannigfacher E<strong>in</strong>schränkungen sollten die<br />
betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong> normal behandelt werden. Es<br />
kann durchaus hilfreich se<strong>in</strong>, die Mitschüler<strong>in</strong>nen<br />
und Mitschüler e<strong>in</strong>zubeziehen, um e<strong>in</strong>er Ausgrenzung/Son<strong>der</strong>behandlung<br />
entgegenzuwirken.<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
· Auf <strong>der</strong> Website <strong>der</strong> Deutschen Ehlers-Danlos-<br />
Initiative e. V. können neben allgeme<strong>in</strong>en Informationen<br />
zum EDS auch e<strong>in</strong> Ratgeber für K<strong>in</strong><strong>der</strong> und e<strong>in</strong><br />
Ratgeber für <strong>Schule</strong>n bestellt werden:<br />
www.ehlers-danlos-<strong>in</strong>itiative.de<br />
· Auf <strong>der</strong> Website <strong>der</strong> Ehlers-Danlos-<strong>Selbsthilfe</strong> e. V.<br />
kann sowohl allgeme<strong>in</strong>es Informationsmaterial als<br />
auch e<strong>in</strong>e Broschüre speziell für Eltern, Lehrer<strong>in</strong>nen<br />
und Lehrer sowie Erzieher<strong>in</strong>nen und Erzieher bestellt<br />
werden. Neben <strong>der</strong> telefonischen Beratung werden<br />
auf Wunsch auch Vorträge an <strong>Schule</strong>n/K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten<br />
im Rahmen <strong>der</strong> Elternabende o<strong>der</strong> im Rahmen <strong>von</strong><br />
Mitarbeiterschulungen angeboten:<br />
www.eds-selbsthilfe-ev.de<br />
· Das Ehlers-Danlos-Syndrom: E<strong>in</strong>e <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre<br />
Herausfor<strong>der</strong>ung, <strong>von</strong> Andreas Luttkus (Hrsg.),<br />
De Gruyter Verlag, Berl<strong>in</strong>/New York 2011.<br />
· Gelenküberbeweglichkeit – Ursachen, Formen,<br />
Therapie, <strong>von</strong> Prof. Dr. med. Günther Haberhauer und<br />
Dr. med. Mart<strong>in</strong> Skoumal, Verlagshaus <strong>der</strong> Ärzte (ISBN<br />
10:3-901 488-79-0).<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisationen<br />
Deutsche Ehlers-Danlos-Initiative e. V.<br />
www.ehlers-danlos-<strong>in</strong>itiative.de<br />
Bundesverband<br />
Ehlers-Danlos-<strong>Selbsthilfe</strong> e. V.<br />
www.eds-selbsthilfe-ev.de<br />
(auch auf Facebook)<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.orpha.net<br />
· www.achse-onl<strong>in</strong>e.de<br />
· www.k<strong>in</strong><strong>der</strong>netzwerk.de<br />
· www.eurordis.org<br />
58
Endometriose<br />
Endometriose ist e<strong>in</strong>e gutartige gynäkologische Erkrankung, die <strong>in</strong> vielen<br />
Fällen chronisch verlaufen und dann u. U. e<strong>in</strong>e starke Bee<strong>in</strong>trächtigung <strong>der</strong><br />
Lebensqualität bedeuten kann. Gewebe ähnlich dem <strong>der</strong> Gebärmutterschleimhaut<br />
(Endometrium) tritt dabei im Unterleib auf und siedelt sich dort<br />
an Eierstöcken, Eileitern, Darm, Blase o<strong>der</strong> Bauchfell an. In seltenen Fällen<br />
s<strong>in</strong>d auch an<strong>der</strong>e Organe betroffen, wie z. B. die Lunge. Meist werden<br />
Endometrioseherde <strong>von</strong> den Hormonen des Monatszyklus bee<strong>in</strong>flusst, d. h.,<br />
die Herde wachsen zyklisch und bluten mit <strong>der</strong> Menstruation <strong>in</strong> den Bauchraum<br />
aus.<br />
Die Folgen s<strong>in</strong>d Entzündungsreaktionen, die Bildung <strong>von</strong> Zysten und<br />
die Entstehung <strong>von</strong> Vernarbungen und Verwachsungen im Bauchraum.<br />
Nach Schätzungen leiden etwa 7–15 Prozent aller Frauen im geschlechtsreifen<br />
Alter an Endometriose. Das s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> etwa zwei bis sechs Millionen<br />
Frauen. Mehr als 30.000 Frauen erkranken jährlich an Endometriose.<br />
Endometriose ist e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> häufigsten Ursachen für Unfruchtbarkeit.<br />
Die Symptome treten meist mit <strong>der</strong> ersten Regelblutung auf und können<br />
bis zu den Wechseljahren anhalten.<br />
Die Erkrankung wird häufig nicht erkannt, so dass vom Auftreten <strong>der</strong><br />
ersten Symptome bis zur Diagnosestellung im Mittel sechs Jahre vergehen.<br />
Grund dafür ist neben <strong>der</strong> nur operativ möglichen Diagnosestellung auch,<br />
dass Betroffene selbst und <strong>der</strong>en Umfeld (Mütter, Lehrkräfte, behandelnde<br />
Ärzte) die Symptome nicht ernst nehmen.<br />
Der Krankheitsverlauf ist <strong>von</strong> Fall zu Fall verschieden.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Mediz<strong>in</strong>isch gibt es E<strong>in</strong>teilungen <strong>in</strong> verschiedene Formen<br />
<strong>der</strong> Endometriose:<br />
· Endometriose, bei <strong>der</strong> sich die Zellen an den Organwänden<br />
ansiedeln.<br />
· Endometriose, bei <strong>der</strong> die Endometrioseherde <strong>in</strong> die Organe<br />
e<strong>in</strong>wachsen (tief <strong>in</strong>filtrierende Endometriose).<br />
· Adenomyose, bei <strong>der</strong> die Endometrioseherde speziell <strong>in</strong><br />
die Gebärmutter e<strong>in</strong>gewachsen s<strong>in</strong>d.<br />
Endometriose ist e<strong>in</strong>e sehr komplexe Erkrankung. Die<br />
Symptome und Folgen s<strong>in</strong>d daher vielfältig und können<br />
e<strong>in</strong>zeln o<strong>der</strong> komb<strong>in</strong>iert auftreten.<br />
Dabei stehen die Beschwerden nicht immer <strong>in</strong> direktem<br />
Verhältnis zum Grad <strong>der</strong> Ausbreitung <strong>der</strong> Endometriose.<br />
D. h., kle<strong>in</strong>ere Endometrioseherde können bei manchen<br />
Frauen heftige Beschwerden verursachen, während an<strong>der</strong>e<br />
mit ausgedehnten Herden unter Umständen nichts <strong>von</strong><br />
ihrer Krankheit bemerken. Es gibt auch Endometrioseherde<br />
ohne Wachstumstendenz und ohne Krankheitswert.<br />
Oft beschriebene Beschwerden und Symptome:<br />
· Bauch- und Rückenschmerzen, die oft auch <strong>in</strong> die Be<strong>in</strong>e<br />
ausstrahlen, vor und während <strong>der</strong> Menstruation<br />
· starke und unregelmäßige Monatsblutungen<br />
· Schmerzen während und nach dem Geschlechtsverkehr<br />
· Schmerzen bei gynäkologischen Untersuchungen<br />
· Schmerzen während des Eisprungs<br />
· plötzliche Ohnmachtsanfälle im Zusammenhang mit<br />
Menstruationsschmerzen<br />
· Blasen- und Darmkrämpfe<br />
· Schmerzen bei Blasen- und Darmentleerung sowie bei<br />
Darmbewegungen<br />
· zyklische Blutungen aus Blase o<strong>der</strong> Darm<br />
· ungewollte K<strong>in</strong><strong>der</strong>losigkeit<br />
Mit diesen Symptomen können verbunden se<strong>in</strong>:<br />
· Müdigkeit und Erschöpfung<br />
· vermehrtes Auftreten <strong>von</strong> Allergien und an<strong>der</strong>en Autoimmunerkrankungen<br />
· erhöhte Infektanfälligkeit während <strong>der</strong> Menstruation<br />
59
Endometriose<br />
se Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Die Ursache für e<strong>in</strong>e Endometriose ist unbekannt. Es werden<br />
verschiedene Theorien diskutiert. Beobachtet werden<br />
kann auch e<strong>in</strong>e familiäre Häufung <strong>der</strong> Erkrankung. Aufgrund<br />
<strong>der</strong> unbekannten Erkrankungsursache gibt es nur<br />
symptomatische Behandlungsoptionen.<br />
Die e<strong>in</strong>zig sichere Möglichkeit, e<strong>in</strong>e Diagnose zu stellen,<br />
ist e<strong>in</strong> operativer E<strong>in</strong>griff. Bei e<strong>in</strong>er Bauchspiegelung<br />
(Laparoskopie) wird e<strong>in</strong>e Gewebeprobe entnommen<br />
(Biopsie) und untersucht. Außerdem können bei e<strong>in</strong>er<br />
Bauchspiegelung Lage, Schweregrad und Wachstumstyp<br />
<strong>der</strong> Endometrioseherde und Zysten festgestellt werden.<br />
Die Diagnosestellung sollte ausschließlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
zertifizierten Endometriosezentrum stattf<strong>in</strong>den. Dort s<strong>in</strong>d<br />
Spezialisten mit entsprechen<strong>der</strong> Erfahrung zu f<strong>in</strong>den.<br />
Mit e<strong>in</strong>er guten Anamnese und ausführlichen Untersuchungen<br />
durch geschulte Ärzt<strong>in</strong>nen und Ärzte lässt sich<br />
e<strong>in</strong>e Verdachtsdiagnose auch ohne Operation stellen, die<br />
dann Grundlage für die Behandlungsoptionen ist. Gerade<br />
bei Mädchen <strong>in</strong> den ersten Jahren <strong>der</strong> Regelblutung ist zu<br />
überlegen, ob e<strong>in</strong>e Operation s<strong>in</strong>nvoll ist.<br />
Der Verlauf <strong>der</strong> Erkrankung ist bisher nicht prognostizierbar:<br />
· Manche Frauen s<strong>in</strong>d nach e<strong>in</strong>er gut verlaufenen Operation<br />
beschwerdefrei. Bei an<strong>der</strong>en Frauen entstehen die<br />
Herde immer wie<strong>der</strong> und breiten sich <strong>in</strong> verschiedene<br />
Organe im Bauchraum aus. Das kann zu schwersten<br />
Organschädigungen führen und große Operationen<br />
erfor<strong>der</strong>lich machen, bei denen Teile des Darms, <strong>der</strong><br />
Harnleiter, die Eierstöcke o<strong>der</strong> die Gebärmutter entfernt<br />
werden müssen.<br />
· Bei manchen Frauen bleiben die Beschwerden an den<br />
Monatszyklus gebunden, bei an<strong>der</strong>en verselbstständigen<br />
sie sich zu dauerhaften Schmerzen.<br />
· Manche Frauen werden auf natürlichem Wege schwanger,<br />
an<strong>der</strong>e bleiben aufgrund <strong>der</strong> Erkrankung und trotz<br />
mediz<strong>in</strong>ischer E<strong>in</strong>griffe k<strong>in</strong><strong>der</strong>los.<br />
· Bei manchen Frauen führen die Erkrankung und ihre<br />
Folgeersche<strong>in</strong>ungen zu dauerhafter Schwerbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung<br />
o<strong>der</strong> Erwerbsm<strong>in</strong><strong>der</strong>ung. An<strong>der</strong>e Frauen s<strong>in</strong>d lebenslang<br />
und sehr engagiert berufstätig.<br />
Behandlung<br />
Da bei <strong>der</strong> Entstehung e<strong>in</strong>er Endometriose viele Ursachen<br />
e<strong>in</strong>e Rolle spielen können und diese sich untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />
auch wie<strong>der</strong>um bee<strong>in</strong>flussen, gibt es nicht DIE Therapie<br />
<strong>der</strong> Endometriose, die unweigerlich zum Erfolg führt.<br />
Daher liegt das Hauptaugenmerk <strong>der</strong> Schulmediz<strong>in</strong> und<br />
Naturheilkunde darauf, die Symptome zu beseitigen bzw.<br />
m<strong>in</strong>destens zu l<strong>in</strong><strong>der</strong>n.<br />
Das bedeutet, dass es bei ke<strong>in</strong>er Methode e<strong>in</strong>e Garantie<br />
für e<strong>in</strong>en Erfolg gibt. Dies hängt sehr stark <strong>von</strong> vielen Faktoren<br />
ab, u. a. <strong>von</strong> <strong>der</strong> körperlichen und psychischen Verfassung<br />
e<strong>in</strong>er Betroffenen. Darüber h<strong>in</strong>aus gibt es aber<br />
viele Möglichkeiten, wie erkrankte Mädchen und Frauen<br />
selbst aktiv werden können und so mit dieser chronischen<br />
Erkrankung umgehen lernen.<br />
Nachfolgend e<strong>in</strong>Überblick über die Möglichkeiten <strong>der</strong><br />
Schulmediz<strong>in</strong>:<br />
1. Die zur Diagnostik e<strong>in</strong>gesetzte Laparoskopie (Bauchspiegelung)<br />
kann gleichzeitig <strong>der</strong> erste Schritt e<strong>in</strong>er chirurgischen<br />
Therapie se<strong>in</strong>, bei dem Herde entfernt o<strong>der</strong><br />
verödet werden.<br />
2. Als medikamentöse Behandlung werden Hormone<br />
gegeben (i .d. R. e<strong>in</strong>e Antibabypille), <strong>der</strong>en durchgängige<br />
E<strong>in</strong>nahme dazu führt, dass ke<strong>in</strong>e Regelblutung<br />
stattf<strong>in</strong>det, wodurch die Endometrioseherde ausgetrocknet<br />
werden sollen.<br />
3. An<strong>der</strong>e Hormonpräparate versetzen Frauen/Mädchen<br />
künstlich <strong>in</strong> die Wechseljahre und unterb<strong>in</strong>den so die<br />
Zyklustätigkeit <strong>der</strong> Herde. Diese Therapie ist aber aufgrund<br />
<strong>der</strong> starken Nebenwirkungen nur für e<strong>in</strong>e begrenzte<br />
Zeit anwendbar.<br />
4. Zur Schmerztherapie werden (gängige) Schmerzmittel<br />
verschrieben.<br />
5. Im Anschluss an e<strong>in</strong>e Operation ist e<strong>in</strong>e Rehabilitationsmaßnahme<br />
zur Erholung, Regeneration und Prävention<br />
s<strong>in</strong>nvoll. Dabei geht es darum, sich Wissen über<br />
die Erkrankung, zur speziellen Ernährung, zu Phyto-,<br />
aber auch zu Bewegungstherapien und zu Entspannungsverfahren<br />
anzueignen sowie mit an<strong>der</strong>en Betroffenen<br />
<strong>in</strong> den Austausch zu kommen und zu lernen, mit<br />
Stress und Schmerz besser umzugehen.<br />
All diese Angebote verbessern die Beschwerden <strong>der</strong> Betroffenen<br />
mehr o<strong>der</strong> weniger, teilweise aber auch im Zusammenhang<br />
mit erheblichen Nebenwirkungen. Daher<br />
ist es <strong>von</strong> zentraler Bedeutung, für jede Betroffene <strong>in</strong>dividuell<br />
e<strong>in</strong>en Weg zu f<strong>in</strong>den, <strong>der</strong> sowohl den körperlichen<br />
Befund als auch die soziale Gesamtsituation und die beson<strong>der</strong>en<br />
Vorlieben des Mädchens o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Frau und ihre<br />
Prioritäten berücksichtigt.<br />
Sehr gute Möglichkeiten bieten zudem naturheilkundliche<br />
Angebote. So können beispielsweise die traditionelle<br />
ch<strong>in</strong>esische Mediz<strong>in</strong>, Homöopathie, Osteopathie<br />
o<strong>der</strong> auch e<strong>in</strong>e Ernährungsumstellung e<strong>in</strong>e L<strong>in</strong><strong>der</strong>ung bis<br />
h<strong>in</strong> zur Schmerzfreiheit herbeiführen. Allerd<strong>in</strong>gs ist die<br />
Nutzung dieser Möglichkeiten daran gebunden, dass die<br />
Kosten für diese Heilverfahren <strong>in</strong> den meisten Fällen <strong>von</strong><br />
den betroffenen Mädchen o<strong>der</strong> Frauen bzw. <strong>der</strong>en Eltern<br />
selbst getragen werden müssen.<br />
60
eH<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Regelschmerzen werden häufig als normal abgetan.<br />
Von Endometriose betroffene Mädchen erleben häufig,<br />
dass sie mit ihren Schmerzen nicht ernst genommen<br />
werden. Gerade im Schulalltag kann schnell das<br />
Gefühl aufkommen, e<strong>in</strong> Mädchen nutzt „Regelbeschwerden“<br />
als Argument/Entschuldigung für Sportbefreiungen<br />
und/o<strong>der</strong> Fehlzeiten aus.<br />
Regelmäßiges (monatliches) Fehlen, längere Ausfallzeiten<br />
bei e<strong>in</strong>em schnellen Krankheitsverlauf mit<br />
Operationen schon während <strong>der</strong> Schulzeit können<br />
zum Abfall <strong>der</strong> Leistungen und zur Wie<strong>der</strong>holung <strong>der</strong><br />
Klassenstufe führen.<br />
Gerade <strong>in</strong> Zeiten <strong>der</strong> Pubertät, die für die Mädchen<br />
Unsicherheit und die Suche nach e<strong>in</strong>er eigenen Identität<br />
bedeutet, können massive Beschwerden im Zusammenhang<br />
mit <strong>der</strong> Menstruation zu e<strong>in</strong>er Verstärkung<br />
<strong>der</strong> üblichen Pubertätskrisen führen.<br />
Auch <strong>der</strong> Kontakt zur überaus wichtigen Peergroup<br />
ist störungsanfälliger, weil die betroffenen Mädchen<br />
oft bei Gruppenaktivitäten nicht dabei se<strong>in</strong> können,<br />
kurzfristig Verabredungen absagen müssen und das<br />
häufige Fehlen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> möglicherweise auch<br />
zuungunsten <strong>der</strong> Betroffenen ausgelegt wird.<br />
Bei Klassenfahrten sollten Lehrkräfte ebenfalls wissen,<br />
dass Menstruationsschmerzen so stark se<strong>in</strong> können,<br />
dass Mädchen im Bett bleiben müssen, nicht mehr<br />
aufrecht stehen können – und eventuell auch begleitend<br />
Migräneattacken auftreten können. Frauen mit<br />
Endometriose berichten oft <strong>von</strong> fünf Tagen im Monat,<br />
an denen sie nur sehr e<strong>in</strong>geschränkt leistungsfähig<br />
s<strong>in</strong>d.<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Endometriose-Vere<strong>in</strong>igung <strong>Deutschland</strong> e. V.<br />
www.endometriose-vere<strong>in</strong>igung.de<br />
Beratungstelefon: 0341 3065304 (Mo–Fr: )<br />
Onl<strong>in</strong>eberatung: www.regelschmerzen-<strong>in</strong>fo.de<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.frauengesundheitsportal.de – Portal<br />
<strong>der</strong> BZgA mit ausführlicher Darstellung <strong>der</strong> Erkrankung<br />
und Erfahrungsberichten betroffener Frauen<br />
· www.endometriosisassn.org – Homepage <strong>der</strong> amerikanischen<br />
Endometriosis Association mit Infos und e<strong>in</strong>em<br />
Video für Mädchen „Teens Speak Out On Endometriosis“<br />
(auf Englisch)<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
Die Endometriose-Vere<strong>in</strong>igung <strong>Deutschland</strong> e. V. bietet<br />
neben Informationsbroschüren und Flyern für betroffene<br />
Mädchen und Frauen sowie für Angehörige und Partner<br />
gerne auch <strong>in</strong>dividuelle Unterstützung zur Behandlung<br />
des Themas im Unterricht an.<br />
61
Enterostoma (künstlicher Darmausgang)<br />
E<strong>in</strong> Stoma ist ke<strong>in</strong>e Erkrankung, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e Therapieform!<br />
Unter Enterostoma – o<strong>der</strong> kurz: Stoma – wird verstanden, dass e<strong>in</strong> Darmende<br />
durch e<strong>in</strong>e operativ angelegte Öffnung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bauchdecke nach außen verlegt<br />
und mit <strong>der</strong> Bauchdecke vernäht wird. Dies kann notwendig se<strong>in</strong>, wenn<br />
Teile des Darms wegen Entzündungen o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er Krebserkrankung ganz o<strong>der</strong><br />
teilweise entfernt werden müssen o<strong>der</strong> Darmabschnitte entlastet werden<br />
sollen. Mo<strong>der</strong>ne Versorgungssysteme – meist bestehend aus e<strong>in</strong>er auf <strong>der</strong><br />
Haut haftenden Basisplatte und e<strong>in</strong>em damit verbundenen Beutel – nehmen<br />
die Ausscheidungen auf und ermöglichen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel e<strong>in</strong>e dichte und unauffällige<br />
Versorgung. Diese Versorgungssysteme müssen regelmäßig entleert<br />
und gewechselt werden. Die meisten Betroffenen erlernen diese Selbstversorgung<br />
schnell, manche – wozu auch K<strong>in</strong><strong>der</strong> gehören – benötigen aber<br />
auch Hilfe dabei.<br />
Nach Angaben <strong>der</strong> Deutschen ILCO e. V. (ILCO-<strong>Selbsthilfe</strong>organisation<br />
für Stomaträger und Menschen mit Darmkrebs; Anfangsbuchstaben<br />
<strong>der</strong> mediz<strong>in</strong>ischen Bezeichnungen Ileum (= Dünndarm) und Colon<br />
(= Dickdarm)) wird die Zahl <strong>der</strong> Stomaträger <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> auf weit über<br />
100.000 Menschen aller Altersgruppen geschätzt.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Bei e<strong>in</strong>em Ileostoma handelt es sich um die Ausleitung<br />
e<strong>in</strong>es Dünndarmabschnitts zur Bauchdecke. Da <strong>der</strong> Stuhl<br />
im Dünndarm nicht e<strong>in</strong>gedickt wird, ist die hautschonende<br />
Pflege dabei beson<strong>der</strong>s wichtig. Bef<strong>in</strong>det sich das<br />
Stoma im Bereich des Dickdarms, wird es als Colostoma<br />
bezeichnet.<br />
Zusätzlich kann man unterscheiden, ob es sich um e<strong>in</strong><br />
permanentes, also e<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel für die weitere Lebenszeit<br />
verbleibendes Stoma handelt o<strong>der</strong> um e<strong>in</strong> temporäres,<br />
also e<strong>in</strong> vorübergehendes. E<strong>in</strong> temporäres Stoma dient<br />
beispielsweise zur zeitweisen Entlastung bestimmter<br />
Darmabschnitte und kann wie<strong>der</strong> rückverlegt werden.<br />
Beim Urostoma (künstliche Harnableitung) werden die<br />
Harnleiter <strong>in</strong> e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es, operativ isoliertes Stück Darm<br />
e<strong>in</strong>gepflanzt und dieser Darmteil wird wie beim Enterostoma<br />
<strong>in</strong> die Bauchdecke e<strong>in</strong>genäht. Die grundsätzlichen<br />
Pr<strong>in</strong>zipien <strong>der</strong> Versorgung e<strong>in</strong>es Urostomas unterscheiden<br />
sich nicht stark <strong>von</strong> denen für e<strong>in</strong> Darmstoma.<br />
Allerd<strong>in</strong>gs ist die Durchführung des Wechsels des Versorgungsmaterials<br />
etwas (auch zeit-)aufwendiger, da es<br />
mehr zu beachten gibt und auch höhere Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
an die Hygiene bestehen.<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Grund für die Anlage e<strong>in</strong>es Enterostomas können verschiedene<br />
Krankheiten und Störungen se<strong>in</strong>. Häufigster<br />
Grund für e<strong>in</strong>e Stomaanlage <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesamtbevölkerung<br />
s<strong>in</strong>d mit über 70 Prozent Krebserkrankungen bzw. <strong>der</strong>en<br />
Vorstufen (Quelle: Deutsche ILCO e. V.).<br />
Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) e<strong>in</strong>schließlich<br />
<strong>der</strong> Divertikelerkrankung (Entzündung <strong>von</strong><br />
Ausstülpungen <strong>der</strong> Darmschleimhaut) s<strong>in</strong>d demnach<br />
die zweithäufigste Ursache mit knapp über 20 Prozent.<br />
Weitere Ursachen s<strong>in</strong>d an<strong>der</strong>e Erkrankungen, Funktionsstörungen,<br />
angeborene Fehlbildungen o<strong>der</strong> auch Verletzungen<br />
des Darms.<br />
Für das Urostoma s<strong>in</strong>d häufig – gerade im K<strong>in</strong>desalter –<br />
angeborene Fehlbildungen die Ursache. Manche Betroffenen<br />
s<strong>in</strong>d nach <strong>der</strong> Stomaanlage mit zusätzlichen Komplikationen<br />
konfrontiert. Relativ häufig s<strong>in</strong>d Hautirritationen.<br />
Diese können zum e<strong>in</strong>en mit e<strong>in</strong>er nicht optimal<br />
sitzenden Versorgung zusammenhängen. Es s<strong>in</strong>d aber <strong>in</strong><br />
E<strong>in</strong>zelfällen auch Pilz<strong>in</strong>fektionen möglich o<strong>der</strong> – bei Unverträglichkeiten<br />
<strong>in</strong> Bezug auf die e<strong>in</strong>gesetzten Materialien<br />
o<strong>der</strong> Pflegemittel – Allergien.<br />
Auch Probleme mit dem Stoma selbst s<strong>in</strong>d möglich. Bei<br />
e<strong>in</strong>er Vorwölbung um das Stoma kann es sich um e<strong>in</strong>en<br />
Bauchwandbruch im Stomabereich (parastomale Hernie)<br />
handeln. In e<strong>in</strong>em solchen Fall sollte immer e<strong>in</strong> Arzt auf-<br />
62
gesucht werden. Bei e<strong>in</strong>em Stoma-Prolaps (Darmvorfall)<br />
stülpt sich <strong>der</strong> Darm zentimeterlang aus dem Stoma heraus.<br />
Auch Fisteln (krankhafte Gangbildung <strong>in</strong>nerhalb<br />
des Körpers) im Bereich des Stomas o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Verengung<br />
(Stoma-Stenose) als Spätfolge narbig abgeheilter Hauto<strong>der</strong><br />
Schleimhautkomplikationen können auftreten.<br />
Auch wenn e<strong>in</strong> Enterostoma zunächst als problematisch<br />
erlebt werden kann, kann es doch bei den o. g. Erkrankungen<br />
zu e<strong>in</strong>er höheren Lebensqualität führen.<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
· Colostomie/Ileostomie – e<strong>in</strong> Leitfaden<br />
(Deutsche ILCO e. V.)<br />
· Urostomie – e<strong>in</strong> Leitfaden (Deutsche ILCO e. V.)<br />
· Ernährung nach Stoma- o<strong>der</strong> Darmkrebsoperation<br />
(Deutsche ILCO e. V.)<br />
Behandlung<br />
In <strong>der</strong> Regel muss <strong>der</strong> Beutel mit den Darmausscheidungen<br />
mehrmals täglich entleert werden. Der Wechsel des<br />
Beutels ist ebenso <strong>in</strong>dividuell unterschiedlich wie <strong>der</strong>jenige<br />
<strong>der</strong> Basisplatte (abhängig <strong>von</strong> <strong>der</strong> Stoma-Art, <strong>der</strong> Beschaffenheit<br />
<strong>der</strong> Stomaumgebung sowie <strong>der</strong> Ausscheidungen).<br />
Bei Undichtigkeit, hoher Körpertemperatur o<strong>der</strong> Brennen<br />
bzw. Jucken <strong>der</strong> Haut sollte die Basisplatte umgehend<br />
gewechselt werden. Ob und welche Unterstützungsmöglichkeiten<br />
dabei s<strong>in</strong>nvoll und hilfreich s<strong>in</strong>d, sollte geme<strong>in</strong>sam<br />
mit dem K<strong>in</strong>d und den Eltern besprochen werden.<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisationen<br />
Deutsche ILCO e. V. – <strong>Selbsthilfe</strong>organisation<br />
für Stomaträger und Menschen mit Darmkrebs<br />
www.ilco.de<br />
Deutsche Morbus Crohn/Colitis ulcerosa Vere<strong>in</strong>igung e. V.<br />
(DCCV)<br />
www.dccv.de<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Meist lassen sich Stomata komplikationslos und diskret<br />
<strong>von</strong> den Betroffenen selbst versorgen. Gerade<br />
bei Menschen mit CED ist die Anlage e<strong>in</strong>es Stomas<br />
nicht selten mit e<strong>in</strong>er deutlichen Verbesserung <strong>der</strong><br />
Lebensqualität verbunden. Dennoch handelt es sich<br />
um e<strong>in</strong>en oft tabuisierten und im Zusammenspiel mit<br />
Unsicherheiten <strong>der</strong> Pubertät für manche Betroffene<br />
mit Scham und Ängsten besetzten Bereich.<br />
Es gibt <strong>in</strong>dividuelle Unterschiede, so dass die jeweiligen<br />
Bedürfnisse und Hilfestellungen mit dem K<strong>in</strong>d<br />
und den Eltern besprochen werden müssen. So kann<br />
bspw. im Sportunterricht das Tragen e<strong>in</strong>er Bandage<br />
um den Bauch hilfreich se<strong>in</strong>. Und beim Schwimmen<br />
kann mit Jungen geme<strong>in</strong>sam die Möglichkeit besprochen<br />
werden, e<strong>in</strong>e höher geschnittene Badehose<br />
(Badeshort) zu tragen o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> T-Shirt, um den<br />
Beutel zu verdecken. Häufiges Schwimmen/Baden<br />
kann manchmal e<strong>in</strong>en häufigeren Wechsel des Versorgungsmaterials<br />
erfor<strong>der</strong>n. Dazu muss dem K<strong>in</strong>d die<br />
entsprechende Zeit e<strong>in</strong>geräumt werden.<br />
Zum Entleeren bzw. Wechseln des Stomabeutels ist<br />
es wichtig, dass stets e<strong>in</strong>e saubere Toilette zugänglich<br />
ist. Benötigt wird für die Re<strong>in</strong>igung zudem Wasser.<br />
Das verbrauchte Material kann – <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em undurchsichtigen<br />
Plastikbeutel verschlossen – <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er normalen<br />
Hausmülltonne o<strong>der</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Hygieneeimer<br />
SoMA e. V. – <strong>Selbsthilfe</strong>organisation<br />
für Menschen mit Anorektal-Fehlbildungen<br />
und Morbus Hirschsprung<br />
www.soma-ev.de<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Toilette entsorgt werden. Bei Übernachtungen<br />
sollte mit den Eltern besprochen werden, ob bei ihrem<br />
K<strong>in</strong>d <strong>der</strong> Beutel auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nacht entleert werden muss.<br />
Wenn es um e<strong>in</strong> Urostoma geht, ist mit den Eltern zu<br />
klären, ob zusätzlich e<strong>in</strong> – mit dem üblichen Beutel<br />
über e<strong>in</strong>en Schlauch verbundener – Bettbeutel benötigt<br />
wird, um den ständig produzierten Ur<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> ausreichenden<br />
Menge auffangen zu können und mehrfache<br />
Entleerungen des Beutels <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nacht zu vermeiden.<br />
Es gibt ke<strong>in</strong>e für alle gültigen Ernährungsregeln. Bei<br />
Verpflegung außerhalb <strong>der</strong> häuslichen Umgebung<br />
(z. B. Mensa, auf Klassenfahrten) sollte darauf geachtet<br />
werden, dass z. B. faserreiche Lebensmittel wie Spargel,<br />
Pilze o<strong>der</strong> Zitrusfrüchte zu Problemen führen können<br />
(mechanischer Verschluss des Stomas), wenn sie<br />
nicht <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>e Stück geschnitten und gut gekaut werden<br />
– o<strong>der</strong> <strong>in</strong> zu großen Mengen gegessen werden.<br />
Quellen: Mechthilde Birk, „Stomaversorgung“. In: Bauchredner. DCCV-Journal, 2/2010, 70-4. Ekkehard C. Jehle, „Wann operieren? Stomaanlage“. In: Bauchredner. DCCV-Journal, 2/2010, 56-9.<br />
Guido Schürmann, „Der Künstliche Darmausgang (Enterostoma) – Was passiert bei <strong>der</strong> Anlage?“. In: DCCV e. V. (Hrsg.) Chronisch entzündliche Darmerkrankungen. 2. Aufl. Stuttgart: Hirzel, 2006,<br />
131-9. Deutsche ILCO, „Ernährung nach Stoma- o<strong>der</strong> Darmkrebsoperation“. Broschüre Ausg. 12/2013 Internet-Seiten <strong>der</strong> Deutschen ILCO: www.ilco.de/stoma<br />
63
Epilepsie<br />
Von Epilepsie wird <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel dann gesprochen, wenn wie<strong>der</strong>holt epileptische<br />
Anfälle auftreten. E<strong>in</strong> erster epileptischer Anfall kann auch Symptom<br />
e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en Erkrankung (z. B. e<strong>in</strong>er Entzündung im Gehirn) se<strong>in</strong> o<strong>der</strong> <strong>in</strong>folge<br />
an<strong>der</strong>er Faktoren (z. B. <strong>von</strong> hohem Fieber, völliger Übermüdung) auftreten –<br />
etwa fünf Prozent aller Menschen haben e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> ihrem Leben e<strong>in</strong>en epileptischen<br />
Anfall.<br />
In <strong>Deutschland</strong> s<strong>in</strong>d etwa 0,6 Prozent <strong>der</strong> Bevölkerung (ca. 500.000 Menschen)<br />
an e<strong>in</strong>er Epilepsie erkrankt. Neu erkranken pro Jahr durchschnittlich 47 <strong>von</strong><br />
100.000 (<strong>in</strong>sgesamt ca. 38.000 Menschen).<br />
Bei e<strong>in</strong>er Epilepsie kann es sich um e<strong>in</strong>e eigenständige Erkrankung handeln;<br />
sie kann sich aber auch auf <strong>der</strong> Grundlage e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en neurologischen,<br />
genetisch bed<strong>in</strong>gten o<strong>der</strong> entzündlichen Erkrankung entwickeln.<br />
Epilepsien können <strong>in</strong> jedem Lebensalter auftreten: Etwa zwei Drittel beg<strong>in</strong>nen<br />
<strong>in</strong> den ersten zwei Lebensjahrzehnten; nach dem 20. Lebensjahr wird das<br />
Erkrankungsrisiko ger<strong>in</strong>ger und steigt nach dem 60. Lebensjahr wie<strong>der</strong> an.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Epileptische Anfälle<br />
Es gibt viele Arten epileptischer Anfälle. Absencen z. B.<br />
werden <strong>von</strong> Außenstehenden häufig nicht erkannt, da<br />
es sich um Bewusstse<strong>in</strong>spausen mit abruptem Anfang<br />
und Ende handelt, <strong>in</strong> denen <strong>der</strong>/die Betreffende nicht ansprechbar<br />
ist, sich ansonsten aber unauffällig verhält.<br />
Bei an<strong>der</strong>en Anfällen zucken e<strong>in</strong>zelne Gliedmaßen o<strong>der</strong><br />
e<strong>in</strong>e Körperseite, wobei <strong>der</strong>/die Betreffende vollständig<br />
bei Bewusstse<strong>in</strong> ist.<br />
Bei wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Anfällen treten ke<strong>in</strong>e Zuckungen auf,<br />
vielmehr verhält sich <strong>der</strong>/die Betreffende auffällig: Er/sie<br />
reagiert nicht, läuft unruhig umher, macht stereotype Bewegungen<br />
(z. B. an <strong>der</strong> Kleidung Nesteln, Schmatzen und<br />
Kauen) o<strong>der</strong> zeigt e<strong>in</strong> Verhalten, das e<strong>in</strong>deutig nicht <strong>der</strong><br />
Situation angemessen ist.<br />
Dann gibt es Anfälle, die nur <strong>der</strong>/die Betreffende selbst bemerkt<br />
(Auren). Sie äußern sich z. B. als aufsteigendes Gefühl<br />
aus dem Bauchraum o<strong>der</strong> als Geruchs-, Geschmackso<strong>der</strong><br />
akustische Empf<strong>in</strong>dungen <strong>von</strong> D<strong>in</strong>gen, die nicht vorhanden<br />
s<strong>in</strong>d.<br />
Beim Grand mal dagegen ist <strong>der</strong> Anblick eher dramatisch.<br />
Zunächst kommt es <strong>in</strong>folge e<strong>in</strong>er Anspannung des ganzen<br />
Körpers zu e<strong>in</strong>em Sturz, wobei <strong>der</strong>/die Betreffende<br />
unter Umständen e<strong>in</strong>en Schrei <strong>von</strong> sich gibt, sich auf die<br />
Zunge beißt o<strong>der</strong> auch blau anläuft. An den Sturz schließt<br />
sich e<strong>in</strong>e Phase mit grobschlägigen Zuckungen am ganzen<br />
Körper an, wobei <strong>der</strong>/die Betreffende sich u. U. e<strong>in</strong>nässt.<br />
Nach dem Anfall fallen die Betreffenden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en tiefen Schlaf.<br />
Epilepsieformen<br />
<strong>Wir</strong>d <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er Epilepsie gesprochen, ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel das<br />
Epilepsiesyndrom geme<strong>in</strong>t – e<strong>in</strong>e charakteristische Komb<strong>in</strong>ation<br />
<strong>von</strong> Merkmalen, die für die jeweilige Epilepsie<br />
typisch s<strong>in</strong>d (z. B. Art und Häufigkeit <strong>der</strong> Anfälle, Krankheitsursache,<br />
Erkrankungsalter). Es wird zwischen fokalen<br />
Epilepsien und generalisierten Epilepsien unterschieden.<br />
Bei generalisierten Epilepsien f<strong>in</strong>det die epileptische Aktivität<br />
während des Anfalls <strong>von</strong> Anfang an auf <strong>der</strong> gesamten<br />
Hirnoberfläche statt. Bei fokalen Epilepsien dagegen<br />
beg<strong>in</strong>nt die epileptische Aktivität an e<strong>in</strong>er o<strong>der</strong> auch<br />
mehreren Stellen und breitet sich erst im Verlauf mehr<br />
o<strong>der</strong> weniger weit über die übrigen Hirnregionen aus.<br />
Die exakte Diagnose des Epilepsiesyndroms ist wichtig,<br />
weil sie unter an<strong>der</strong>em Rückschlüsse auf den Krankheitsverlauf<br />
zulässt und die Wahl <strong>der</strong> Behandlungsstrategie<br />
entscheidend bee<strong>in</strong>flusst.<br />
se Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Epilepsien können folgende Ursachen haben:<br />
· Genetische Faktoren bzw. Vererbung (idiopathische<br />
Epilepsie)<br />
Bei dieser Form s<strong>in</strong>d spannungsabhängige Membrankanäle<br />
<strong>in</strong> den Nervenzellen vermutlich genetisch bed<strong>in</strong>gt<br />
verän<strong>der</strong>t.<br />
· Schädigungen des Gehirns, z. B. durch Traumata, Gehirntumoren,<br />
Stoffwechselerkrankungen, Geburtskomplikationen.<br />
Letztere s<strong>in</strong>d bei ca. 20 Prozent <strong>der</strong> betroffenen<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> bis zum Alter <strong>von</strong> 15 Jahren ursächlich.<br />
64
Bei e<strong>in</strong>em großen Teil <strong>der</strong> Epilepsien (im K<strong>in</strong>desalter ca.<br />
zwei Drittel) s<strong>in</strong>d die Ursachen allerd<strong>in</strong>gs unbekannt.<br />
Um Schulk<strong>in</strong><strong>der</strong> mit Epilepsie gut behandeln zu können,<br />
ist e<strong>in</strong>e genaue Diagnostik <strong>der</strong> Epilepsie und möglicher<br />
Begleiterkrankungen notwendig, die Folgendes umfassen<br />
sollte:<br />
· Beschreibung <strong>der</strong> Anfälle: Alter beim ersten Anfall, Art<br />
und Häufigkeit <strong>der</strong> Anfälle, tageszeitliche B<strong>in</strong>dung,<br />
auslösende Faktoren, …<br />
· Medikamentenanamnese: Wurden bereits Medikamente<br />
genommen? Welche? Wie lange? <strong>Wir</strong>ksamkeit<br />
und Nebenwirkungen?<br />
· Elektroenzephalogramm (EEG): Rout<strong>in</strong>e-EEG mit<br />
Provokationsfaktoren, ggf. Schlafentzugs-EEG und/<br />
o<strong>der</strong> Langzeit-EEG<br />
· Bildgebung: Magnetresonanztomografie (MRT),<br />
ggf. weitere Verfahren<br />
· neurologische Diagnostik <strong>in</strong>kl. neurophysiologischer,<br />
neurometabolischer und ggf. genetischer Diagnostik,<br />
augenärztliche Untersuchung<br />
· Diagnostik möglicher Begleiterkrankungen (z. B. entzündliche<br />
Erkrankungen, Autoimmunerkrankungen)<br />
· neuropsychologische Untersuchung und Entwicklungsdiagnostik<br />
Bei <strong>der</strong> Diagnostik sollte auch die Möglichkeit <strong>in</strong> Betracht<br />
gezogen werden, dass es sich bei <strong>der</strong> vorliegenden Erkrankung<br />
nicht um e<strong>in</strong>e Epilepsie handelt. Das macht <strong>in</strong><br />
vielen Fällen e<strong>in</strong>e differenzialdiagnostische Abklärung an<strong>der</strong>er<br />
möglicher Krankheitsbil<strong>der</strong> notwendig.<br />
E<strong>in</strong>e wirksame Therapie setzt e<strong>in</strong>e genaue Diagnose<br />
voraus. Dies <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e deshalb, weil die Krankheitsursachen<br />
vielfältig s<strong>in</strong>d und das Ersche<strong>in</strong>ungsbild <strong>der</strong><br />
Epilepsie mit dem Lebensalter variieren kann. Zudem<br />
müssen die Beson<strong>der</strong>heiten des heranwachsenden K<strong>in</strong>des<br />
– se<strong>in</strong>e kognitive, sprachliche und motorische Entwicklung<br />
und se<strong>in</strong> Verhalten sowie se<strong>in</strong>e biografische Situation<br />
und se<strong>in</strong> soziales Umfeld – berücksichtigt werden.<br />
Diagnostik und Therapie <strong>der</strong> Epilepsie gehören <strong>in</strong> die<br />
Hände <strong>von</strong> auf die Behandlung <strong>von</strong> Epilepsien im K<strong>in</strong>desalter<br />
spezialisierten Ärzt<strong>in</strong>nen und Ärzten. Entsprechende<br />
Adressen s<strong>in</strong>d z. B. über die Deutsche Epilepsievere<strong>in</strong>igung<br />
e. V. erhältlich. <strong>Wir</strong>d das Behandlungsziel<br />
(Anfallsfreiheit) nicht erreicht, sollten die Eltern auf jeden<br />
Fall e<strong>in</strong>e zweite Me<strong>in</strong>ung e<strong>in</strong>holen.<br />
Bei fachgerechter Behandlung (s. u.) wird e<strong>in</strong> Drittel <strong>der</strong><br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen mit e<strong>in</strong>er Epilepsie durch das<br />
erste Medikament anfallsfrei. Bei e<strong>in</strong>em weiteren Drittel<br />
wird durch weitere/an<strong>der</strong>e Medikamente o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e<br />
Komb<strong>in</strong>ationstherapie mit mehreren Medikamenten Anfallsfreiheit<br />
erreicht. E<strong>in</strong> Drittel wird jedoch alle<strong>in</strong> durch<br />
Medikamente nicht anfallsfrei; dann sollten weitere Therapiemöglichkeiten<br />
geprüft werden (s. u.).<br />
In <strong>der</strong> Regel verr<strong>in</strong>gert sich die Lebenserwartung <strong>von</strong><br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen mit Epilepsie nicht, da e<strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>zelner epileptischer Anfall das Gehirn nicht schädigt<br />
und <strong>in</strong> aller Regel <strong>von</strong> selbst wie<strong>der</strong> aufhört. Dauert<br />
<strong>der</strong> Anfall allerd<strong>in</strong>gs länger als fünf M<strong>in</strong>uten, handelt es<br />
sich um e<strong>in</strong>en Status epilepticus, <strong>der</strong> nur medikamentös<br />
unterbrochen werden kann und muss. E<strong>in</strong> Status kann<br />
bei je<strong>der</strong> Art <strong>von</strong> epileptischen Anfällen auftreten, ist –<br />
unbehandelt – aber nur dann lebensbedrohlich, wenn es<br />
sich um e<strong>in</strong>en Grand-mal-Status handelt.<br />
Behandlung<br />
Epilepsiebehandlung<br />
Epilepsien im K<strong>in</strong><strong>der</strong>- und Jugendalter sollten immer behandelt<br />
werden, da die Anfälle e<strong>in</strong>en negativen E<strong>in</strong>fluss<br />
auf Entwicklung, Kognition und Verhalten haben können<br />
und e<strong>in</strong>e wirksame Therapie bei e<strong>in</strong>em zu späten Behandlungsbeg<strong>in</strong>n<br />
erschwert se<strong>in</strong> kann.<br />
Ziel <strong>der</strong> Behandlung ist es – <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel durch die E<strong>in</strong>nahme<br />
<strong>von</strong> Medikamenten (Antiepileptika) –, dauerhafte<br />
Anfallsfreiheit zu erreichen, ohne dass dabei Nebenwirkungen<br />
auftreten. Die Medikamente müssen über e<strong>in</strong>en<br />
langen Zeitraum regelmäßig e<strong>in</strong>genommen werden; erst<br />
wenn mehrere Jahre ke<strong>in</strong>e Anfälle aufgetreten s<strong>in</strong>d, sollte<br />
mit dem/<strong>der</strong> behandelnden Arzt/Ärzt<strong>in</strong> über e<strong>in</strong>en Absetzversuch<br />
gesprochen werden.<br />
Bei <strong>der</strong> Wahl des Medikaments spielen neben dem Epilepsiesyndrom<br />
sowohl das <strong>Wir</strong>kspektrum als auch das Nebenwirkungsprofil<br />
und die Langzeitverträglichkeit e<strong>in</strong>e Rolle.<br />
Zu beachten ist, dass e<strong>in</strong>ige Medikamente bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
und Jugendlichen an<strong>der</strong>s als bei Erwachsenen wirken und<br />
vertragen werden.<br />
<strong>Wir</strong>d das Behandlungsziel durch Medikamente nicht erreicht,<br />
ist bei fokalen Epilepsien rechtzeitig die Option<br />
e<strong>in</strong>es epilepsiechirurgischen E<strong>in</strong>griffs zu prüfen. Ist dieser<br />
nicht möglich o<strong>der</strong> handelt es sich um e<strong>in</strong>e generalisierte<br />
Epilepsie, sollte <strong>in</strong>dividuell geprüft werden, ob <strong>der</strong> E<strong>in</strong>satz<br />
weiterer Therapieverfahren (z. B. ketogene Diät) s<strong>in</strong>nvoll<br />
ist.<br />
Notfallbehandlung<br />
E<strong>in</strong> epileptischer Anfall ist ke<strong>in</strong> Notfall: Er hört <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel<br />
<strong>von</strong> selbst wie<strong>der</strong> auf und schädigt das Gehirn nicht. Deshalb<br />
macht es ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n, e<strong>in</strong>en epileptischen Anfall z. B.<br />
durch die Gabe e<strong>in</strong>es Notfallmedikaments unterbrechen<br />
zu wollen – <strong>der</strong> Anfall ist <strong>in</strong> aller Regel vorüber, bevor das<br />
Notfallmedikament wirken kann. Wichtig ist, bei e<strong>in</strong>em<br />
epileptischen Anfall durch geeignete Maßnahmen dafür<br />
zu sorgen, dass <strong>der</strong>/die Betreffende sich nicht verletzt<br />
(vgl. dazu das <strong>von</strong> <strong>der</strong> Deutschen Epilepsievere<strong>in</strong>igung<br />
herausgegebene Faltblatt „Epilepsie und Erste Hilfe“).<br />
Dauert <strong>der</strong> Anfall allerd<strong>in</strong>gs länger als fünf M<strong>in</strong>uten, muss<br />
<strong>der</strong> Notarzt benachrichtigt werden (Notruf 112).<br />
65
Epilepsie<br />
Es handelt sich dann um e<strong>in</strong>en Status epilepticus, <strong>der</strong> nur<br />
medikamentös unterbrochen werden kann und muss, da<br />
er – beim Grand-mal-Status – unbehandelt zu dauerhaften<br />
Schädigungen des Gehirns bis h<strong>in</strong> zum Tod führen<br />
kann.<br />
Treten <strong>in</strong>nerhalb weniger Stunden mehrere Anfälle auf,<br />
handelt es sich um e<strong>in</strong>e Serie <strong>von</strong> Anfällen, die ebenfalls<br />
medikamentös unterbrochen werden sollte.<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
· Auf <strong>der</strong> Webseite <strong>der</strong> Deutschen Epilepsievere<strong>in</strong>igung<br />
e. V. f<strong>in</strong>den sich viele nützliche H<strong>in</strong>weise, weiterführende<br />
L<strong>in</strong>ks und Informationsmaterialien zum<br />
kostenlosen Download (www.epilepsie-vere<strong>in</strong>igung.de)<br />
auch zu den hier angesprochenen Themen.<br />
· Die Stiftung Michael (www.stiftungmichael.de) gibt<br />
empfehlenswerte Broschüren zur Epilepsie heraus, die<br />
kostenlos erhältlich s<strong>in</strong>d (gedruckt o<strong>der</strong> als Download);<br />
z. B. die Broschüren „Epilepsie bei Schulk<strong>in</strong><strong>der</strong>n“,<br />
„Epilepsie und Sport“.<br />
· Broschüre „Chronische Erkrankungen im K<strong>in</strong>desalter.<br />
E<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Thema <strong>von</strong> Elternhaus, K<strong>in</strong><strong>der</strong>tagesstätte<br />
und <strong>Schule</strong>“ <strong>der</strong> Bundeszentrale für gesundheitliche<br />
Aufklärung (BZgA), erhältlich unter:<br />
www.bzga.de/<strong>in</strong>fomaterialien/k<strong>in</strong><strong>der</strong>-und-jugendgesundheit/chronische-erkrankungen-im-k<strong>in</strong>desalter<br />
· Handreichung „Chronische Erkrankungen als Problem<br />
und Thema <strong>in</strong> <strong>Schule</strong> und Unterricht. Handreichung<br />
für Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer <strong>der</strong> Klassen 1 bis 10“ <strong>der</strong><br />
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA),<br />
erhältlich unter: www.bzga.de/<strong>in</strong>fomaterialien/ unterrichtsmaterialien/nach-themen/?idx=625<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Deutsche Epilepsievere<strong>in</strong>igung e. V.<br />
www.epilepsie-vere<strong>in</strong>igung.de<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Um e<strong>in</strong>e umfassende und <strong>in</strong>dividuell ausgerichtete<br />
För<strong>der</strong>ung des betreffenden K<strong>in</strong>des zu ermöglichen,<br />
ist e<strong>in</strong>e enge Zusammenarbeit zwischen Eltern und<br />
Lehrkräften notwendig. Alle Bezugspersonen sollten<br />
gut über die Epilepsie des betreffenden K<strong>in</strong>des <strong>in</strong>formiert<br />
se<strong>in</strong>.<br />
Von pr<strong>in</strong>zipiellen Verboten ist generell abzusehen.<br />
Es sollten vielmehr <strong>in</strong>dividuelle Lösungen gesucht<br />
werden, um sicherzustellen, dass die Betreffenden<br />
an allen schulischen Aktivitäten teilnehmen können.<br />
Im Unterricht/<strong>in</strong> <strong>der</strong> Pausensituation:<br />
Zwei Drittel <strong>der</strong> Betroffenen durchlaufen ihre Schulzeit,<br />
ohne sich <strong>von</strong> Schulk<strong>in</strong><strong>der</strong>n ohne Epilepsie zu<br />
unterscheiden. Die Lehrkräfte sollten über die Epilepsie<br />
und Anfälle des/<strong>der</strong> Betreffenden <strong>in</strong>formiert<br />
se<strong>in</strong> und wissen, wie sie bei e<strong>in</strong>em Anfall angemessen<br />
reagieren und mögliche Verletzungen vermeiden<br />
können. Weitere Maßnahmen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel nicht<br />
erfor<strong>der</strong>lich. E<strong>in</strong> genereller Ausschluss vom Sportunterricht<br />
ist nicht s<strong>in</strong>nvoll.<br />
Bei bis zu 30 Prozent <strong>der</strong> Betroffenen treten Teilleistungsstörungen<br />
und/o<strong>der</strong> Entwicklungsverzögerungen<br />
auf. Gibt es entsprechende H<strong>in</strong>weise, sollte<br />
durch e<strong>in</strong>e neuropsychologische Diagnostik geklärt<br />
werden, um welche E<strong>in</strong>schränkungen es sich handelt,<br />
und besprochen werden, welche För<strong>der</strong>ung s<strong>in</strong>nvoll<br />
und möglich ist und was zu tun ist, um mögliche Diskrim<strong>in</strong>ierungen<br />
<strong>der</strong> Betreffenden <strong>von</strong> vornhere<strong>in</strong> zu<br />
vermeiden.<br />
Auf Klassenfahrten/Ausflügen:<br />
Es gibt ke<strong>in</strong>en Grund, Schulk<strong>in</strong><strong>der</strong> mit Epilepsie <strong>von</strong><br />
Klassenfahrten auszuschließen, da die meisten Aktivitäten<br />
auch für sie möglich s<strong>in</strong>d; Vorsicht ist allerd<strong>in</strong>gs<br />
beim Schwimmen und Wassersport geboten.<br />
Gerade bei kle<strong>in</strong>eren K<strong>in</strong><strong>der</strong>n sollte gewährleistet<br />
se<strong>in</strong>, dass die regelmäßige E<strong>in</strong>nahme <strong>der</strong> Medikamente<br />
kontrolliert wird. Die Lehrkräfte sollten sich<br />
darüber <strong>in</strong>formieren, wie sie sich beim Auftreten e<strong>in</strong>es<br />
epileptischen Anfalls verhalten sollten und was<br />
sie tun können, um anfallsbed<strong>in</strong>gte Verletzungen zu<br />
vermeiden. Insbeson<strong>der</strong>e sollten sie wissen, wann es<br />
sich bei e<strong>in</strong>em epileptischen Anfall um e<strong>in</strong>en Notfall<br />
handelt und wie dann zu verfahren ist (s. o.). Kommt<br />
es dennoch zu anfallsbed<strong>in</strong>gten Verletzungen,<br />
können die Lehrkräfte dafür nicht haftbar gemacht<br />
werden.<br />
66
Glasknochenkrankheit (Osteogenesis imperfecta)<br />
Osteogenesis imperfecta (OI) ist e<strong>in</strong>e seltene genetische Störung, bei <strong>der</strong><br />
die Knochen – ähnlich wie Glas – sehr leicht und häufig auch aus ger<strong>in</strong>gen<br />
Anlässen o<strong>der</strong> gar grundlos brechen. Daher wird OI auch als „Glasknochenkrankheit“<br />
bezeichnet.<br />
Sie tritt mit e<strong>in</strong>er Häufigkeit <strong>von</strong> etwa vier bis sieben <strong>von</strong> 100.000 Geburten<br />
auf. Weltweit s<strong>in</strong>d ca. e<strong>in</strong>e halbe Million Menschen betroffen.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Derzeit gibt es sieben bekannte Formen <strong>von</strong> OI, wobei sich<br />
die Schwere <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungsform <strong>in</strong>dividuell stark unterscheiden<br />
kann. Während die e<strong>in</strong>e betroffene Person nur<br />
wenige Knochenbrüche im Laufe ihres Lebens erleidet,<br />
kann e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e an OI erkrankte Person Hun<strong>der</strong>te Knochenbrüche<br />
da<strong>von</strong>tragen.<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
OI wird durch e<strong>in</strong>en genetischen Defekt hervorgerufen,<br />
bei dem die Produktion <strong>von</strong> Kollagen Typ 1 im Körper fehlerhaft<br />
verläuft. Dieses Kollagen ist das wichtigste Prote<strong>in</strong><br />
zum Aufbau des körpereigenen B<strong>in</strong>degewebes. Es ist vergleichbar<br />
mit e<strong>in</strong>em Gerüst, um das herum e<strong>in</strong> Gebäude<br />
errichtet wird. Bei OI produziert <strong>der</strong> Körper entwe<strong>der</strong> zu<br />
wenig Kollagen o<strong>der</strong> aber Kollagen <strong>von</strong> m<strong>in</strong><strong>der</strong>wertiger<br />
Qualität. Spröde, leicht brechende Knochen s<strong>in</strong>d die Folge.<br />
Häufig ist es möglich, OI alle<strong>in</strong> aufgrund des äußeren<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsbilds zu diagnostizieren. Gentechnisch können<br />
auch biochemische (Kollagen) o<strong>der</strong> molekulare (DNA)<br />
Tests durchgeführt werden, die <strong>in</strong> manchen Fällen dazu<br />
beitragen können, die Diagnose abschließend zu sichern.<br />
Die Prognosen für die Betroffenen s<strong>in</strong>d – je nach Art und<br />
Ausprägung <strong>der</strong> Symptome – sehr unterschiedlich. Allen<br />
geme<strong>in</strong>sam ist jedoch, dass mit <strong>der</strong> Pubertät die Häufigkeit<br />
<strong>der</strong> Frakturen stark abnimmt. Viele leichter Betroffene<br />
erreichen die Gehfähigkeit mit Gehhilfen o<strong>der</strong> auch ganz<br />
ohne Hilfsmittel; schwer Betroffene s<strong>in</strong>d auf e<strong>in</strong>en Aktivrollstuhl<br />
angewiesen, <strong>in</strong> wenigen Fällen ist selbstständige<br />
Mobilität nur durch e<strong>in</strong>en Elektrorollstuhl erreichbar.<br />
82 Prozent <strong>der</strong> <strong>von</strong> OI betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die vor ihrem<br />
ersten Geburtstag sitzen können, erlangen später auch<br />
die Fähigkeit zu gehen.<br />
Behandlung<br />
Betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Erwachsenen wird empfohlen,<br />
auf ihr Gewicht zu achten, sich vernünftig zu ernähren<br />
sowie nicht exzessiv zu rauchen und zu tr<strong>in</strong>ken. Sie sollten<br />
alles meiden, was die Knochenstruktur schädigen und<br />
die Zerbrechlichkeit <strong>der</strong> Knochen för<strong>der</strong>n kann.<br />
Auch wenn e<strong>in</strong>e ursächliche Behandlung o<strong>der</strong> Heilung<br />
<strong>der</strong>zeit nicht möglich ist, können e<strong>in</strong>e frühe Diagnose<br />
und e<strong>in</strong>e anschließende Behandlung dabei helfen, die<br />
Symptome <strong>der</strong> Krankheit zu m<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Komplikationen<br />
zu vermeiden.<br />
Derzeit erfolgt e<strong>in</strong>e Behandlung auf verschiedene Arten,<br />
die entwe<strong>der</strong> e<strong>in</strong>zeln o<strong>der</strong> komb<strong>in</strong>iert angewendet werden.<br />
Es handelt sich dabei um konservative (z. B. Gipsruhigstellung)<br />
und operative Verfahren zur Behandlung<br />
<strong>von</strong> Frakturen sowie um e<strong>in</strong>e medikamentöse Unterstützung<br />
zum Knochenaufbau (Bisphosphonate) und regelmäßige<br />
Krankengymnastik.<br />
Schulungsprogramme:<br />
Die Deutsche Gesellschaft für Osteogenesis imperfecta<br />
(Glasknochen) Betroffene e. V. (DOIG) bietet e<strong>in</strong>e Schulberatung<br />
an. Die DOIG schult <strong>in</strong>teressierte Mitglie<strong>der</strong><br />
ihres Vere<strong>in</strong>s und bildet sie zu Schulberater<strong>in</strong>nen und<br />
Schulberatern aus. Derzeit s<strong>in</strong>d im Bundesgebiet 17 Schulberater<strong>in</strong>nen<br />
und -berater aktiv, die viel Wissen und Erfahrung<br />
rund um die OI und das Schulwesen mitbr<strong>in</strong>gen.<br />
Damit e<strong>in</strong> entspannter Schulalltag für die Betroffenen,<br />
ihre Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer sowie ihre Mitschüler<strong>in</strong>nen<br />
und Mitschüler selbstverständlich wird, steht die Schulberatung<br />
allen Beteiligten zur Verfügung. Die Schulberater<strong>in</strong>nen<br />
und -berater kommen an die <strong>Schule</strong>n, begleiten<br />
telefonisch und br<strong>in</strong>gen Informationsmaterial mit.<br />
Beraten wird zu folgenden Fragen:<br />
· Was ist OI? Auf was muss man bei OI <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> achten?<br />
· Wie sieht Inklusion bei OI aus?<br />
Welcher Nachteilsausgleich ist bei OI s<strong>in</strong>nvoll?<br />
· Welche Hilfen gibt es?<br />
67
Glasknochenkrankheit (Osteogenesis imperfecta)<br />
Die Schulberater<strong>in</strong>nen und -berater beraten:<br />
· e<strong>in</strong>zelne Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer und/o<strong>der</strong> das<br />
gesamte Kollegium, Eltern und OI-Betroffene<br />
· alle Schularten und alle Klassenstufen<br />
Die Schulberater<strong>in</strong>nen und -berater werden über die<br />
Beratungsstelle <strong>der</strong> Deutschen Gesellschaft für Osteogenesis<br />
imperfecta (Glasknochen) Betroffene e. V. (DOIG)<br />
vermittelt:<br />
Tel.: 040 69087-200<br />
E-Mail: <strong>in</strong>fo@oi-gesellschaft.de<br />
Internet: www.oi-gesellschaft.de<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Im Unterricht: Die Knochen <strong>der</strong> betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
können sehr leicht brechen, daher kann es bei jüngeren<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern notwendig se<strong>in</strong>,<br />
dass e<strong>in</strong>e Schulassistenz <strong>in</strong> bestimmten Situationen<br />
(Schulhof, Sportunterricht, Ausflüge etc.) als „Bodyguard“<br />
e<strong>in</strong>gesetzt wird. Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> können schneller<br />
ermüden als an<strong>der</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong> und benötigen an langen<br />
Schultagen zwischendurch mal e<strong>in</strong>e Pause, um<br />
sich h<strong>in</strong>zulegen. Häufig s<strong>in</strong>d die K<strong>in</strong><strong>der</strong> auf e<strong>in</strong>en<br />
Rollstuhl angewiesen, weshalb e<strong>in</strong>er barrierefreien<br />
Ausgestaltung <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> und <strong>der</strong> Klassenräume e<strong>in</strong>e<br />
beson<strong>der</strong>e Bedeutung zukommt.<br />
Auf Klassenfahrten/Ausflügen: Es sollte darauf geachtet<br />
werden, dass die betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong> an allen<br />
Aktivitäten teilnehmen können. Unter Umständen<br />
kann e<strong>in</strong>e Schulassistenz dies ermöglichen.<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
Bei <strong>der</strong> Deutschen Gesellschaft für Osteogenesis imperfecta<br />
(Glasknochen) Betroffene e. V. (DOIG) (www.oi-gesellschaft.de)<br />
kann e<strong>in</strong>e Schulberatung (siehe Schulungsprogramme)<br />
angefor<strong>der</strong>t bzw. <strong>der</strong> Kontakt zu geeigneten<br />
Schulberater<strong>in</strong>nen und -beratern hergestellt werden. Die<br />
Schulberater<strong>in</strong>nen und -berater <strong>der</strong> DOIG br<strong>in</strong>gen zum<br />
Beratungsterm<strong>in</strong> das Heft „OI und <strong>Schule</strong>“ mit. Dar<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d<br />
die wichtigsten Informationen rund um den Schulbesuch<br />
mit OI nachzulesen. Außerdem kann über die DOIG das<br />
Bil<strong>der</strong>buch „Lukas erster Schultag“ als begleitendes Unterrichtsmaterial<br />
für die Grundschule bezogen werden.<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Deutsche Gesellschaft für Osteogenesis imperfecta<br />
(Glasknochen) Betroffene e. V. (DOIG)<br />
www.oi-gesellschaft.de<br />
Hier f<strong>in</strong>det sich <strong>der</strong> Kontakt zur Beratungsstelle <strong>der</strong> DOIG,<br />
zu den e<strong>in</strong>zelnen Landesverbänden und zum Bundesverband.<br />
68
Hausstaubmilbenallergie<br />
In <strong>Deutschland</strong> s<strong>in</strong>d vier bis fünf Millionen Menschen an e<strong>in</strong>er Hausstaubmilbenallergie<br />
erkrankt. Sie leiden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel das ganze Jahr unter dieser<br />
Krankheit. Die Allergenbelastung ist tendenziell im W<strong>in</strong>ter stärker als<br />
im Sommer.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen/Beschwerden<br />
Hausstaubmilben s<strong>in</strong>d bis zu 0,5 Millimeter groß und mit<br />
bloßem Auge <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel nicht zu erkennen. Sie ernähren<br />
sich <strong>von</strong> Hautschuppen (Menschen verlieren pro Tag<br />
bis zu e<strong>in</strong> Gramm da<strong>von</strong>) und Mikroorganismen (<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />
Pilzen). Ihre bevorzugten Lebensräume bieten e<strong>in</strong><br />
feuchtwarmes Klima mit Temperaturen zwischen 25 und<br />
28 °C und e<strong>in</strong>er Luftfeuchtigkeit <strong>von</strong> 70 bis 80 Prozent.<br />
Die Auslöser, die sog. Allergene, <strong>der</strong> Hausstaubmilbenallergie<br />
f<strong>in</strong>den sich vor allem <strong>in</strong> Matratzen, Polstermöbeln,<br />
Teppichen, Vorhängen und Kuscheltieren. Bei e<strong>in</strong>er<br />
Hausstaubmilbenallergie handelt es sich nicht um e<strong>in</strong>e<br />
allergische Reaktion auf die lebenden Milben. Die Allergene<br />
im Kot <strong>der</strong> Milben s<strong>in</strong>d die eigentlichen Auslöser.<br />
Hausstaubmilben zählen zur Gruppe <strong>der</strong> Sp<strong>in</strong>nentiere<br />
und gehören zu den natürlichen Bewohnern <strong>der</strong> häuslichen<br />
Umgebung. Das Vorkommen <strong>der</strong> Milben ist nicht<br />
auf mangelnde Hygiene zurückzuführen. Sie übertragen<br />
ke<strong>in</strong>erlei Krankheiten.<br />
Folgende Symptome können auftreten:<br />
· tränende o<strong>der</strong> juckende Augen<br />
· allergischer Schnupfen (Fließschnupfen), Niesanfälle,<br />
Husten<br />
· allergische Reaktionen <strong>der</strong> Haut (z. B. Juckreiz,<br />
Quaddeln,Schwellungen, Rötungen)<br />
· <strong>in</strong> schweren Fällen Atemnot und allergisches Asthma<br />
bronchiale<br />
Zwar treten die Symptome ganzjährig auf, die Milbenkonzentration<br />
ist allerd<strong>in</strong>gs während <strong>der</strong> Heizperiode<br />
(W<strong>in</strong>ter) am höchsten. Die Beschwerden s<strong>in</strong>d beson<strong>der</strong>s<br />
nachts und am frühen Morgen nach dem Aufstehen am<br />
stärksten ausgeprägt.<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Ursachen für die Allergie:<br />
· Auslöser <strong>der</strong> Erkrankung s<strong>in</strong>d bestimmte Stoffe (Allergene),<br />
die e<strong>in</strong>e Fehlregulation und e<strong>in</strong>e überschießende<br />
Abwehrreaktion des Immunsystems hervorrufen.<br />
· Die für e<strong>in</strong>e Hausstaubmilbenallergie ursächlichen<br />
Allergene f<strong>in</strong>den sich im Kot leben<strong>der</strong> und <strong>in</strong> den zerfallenden<br />
Körpern toter Milben bestimmter Arten.<br />
· Die Allergenbelastung verstärkt sich im W<strong>in</strong>ter aufgrund<br />
des Aufheizens <strong>der</strong> Räume, wobei die s<strong>in</strong>kende<br />
Luftfeuchtigkeit zum Absterben e<strong>in</strong>es Großteils <strong>der</strong><br />
Hausstaubmilben führt. Ihre zerfallenden Körper geben<br />
dann e<strong>in</strong>e große Menge an Allergenen frei.<br />
Wie bei an<strong>der</strong>en Allergien auch, kann mithilfe e<strong>in</strong>es<br />
Hauttests ermittelt werden, ob das Vorliegen e<strong>in</strong>er Hausstaubmilbenallergie<br />
wahrsche<strong>in</strong>lich ist: Auf den Unterarm<br />
werden an unterschiedlichen Stellen Substanzen mit<br />
verschiedenen Allergenen tröpfchenweise aufgetragen.<br />
Anschließend wird mit e<strong>in</strong>er spitzen Lanzette die Haut jeweils<br />
leicht angestochen (Prick-Test). Die Ritzungen s<strong>in</strong>d<br />
nur kle<strong>in</strong>e Wunden und fast nicht zu spüren. Beim sog.<br />
Intrakutantest werden mit e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Spritze Allergene<br />
direkt <strong>in</strong> die Haut e<strong>in</strong>gebracht. Im Anschluss wird abgewartet,<br />
ob an e<strong>in</strong>er o<strong>der</strong> an mehreren Stellen allergische<br />
Reaktionen (bspw. Pusteln o<strong>der</strong> Hautrötungen) auftreten.<br />
E<strong>in</strong>e weitere Diagnosemöglichkeit ist <strong>der</strong> IgE-Antikörpernachweis<br />
im Rahmen e<strong>in</strong>er Blutuntersuchung. Die Ergebnisse<br />
dieser Testungen können zwar Anhaltspunkte für<br />
die Diagnose e<strong>in</strong>er Allergie liefern, beim Patienten müssen<br />
jedoch auch entsprechende Symptome vorliegen.<br />
Allergien gegen Hausstaubmilben werden meist symptomatisch<br />
behandelt – Sanierungsmaßnahmen sollen<br />
die Allergenbelastung senken, Medikamente können die<br />
Beschwerden mil<strong>der</strong>n. Gegebenenfalls kann e<strong>in</strong>e spezifische<br />
Immuntherapie (Hyposensibilisierung) erfolgen,<br />
die die allergischen Beschwerden l<strong>in</strong><strong>der</strong>n und das Risiko<br />
<strong>der</strong> Entstehung e<strong>in</strong>es allergischen Asthmas senken kann.<br />
Behandlung<br />
Steht die Diagnose fest, sollte als erste Maßnahme die Sanierung<br />
des Betts mit e<strong>in</strong>em allergendichten Matratzenüberzug<br />
erfolgen. Zur L<strong>in</strong><strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Symptome können<br />
antiallergische Medikamente (Antihistam<strong>in</strong>ika) e<strong>in</strong>gesetzt<br />
werden. Bei stärkeren Beschwerden können weitere Medikamente<br />
verschrieben werden, bspw. kortisonhaltiges Nasenspray.<br />
Viele Hausstaubmilbenallergiker l<strong>in</strong><strong>der</strong>n auf diese<br />
69
Hausstaubmilbenallergie<br />
Weise ihren allergischen Schnupfen und leben so relativ<br />
gut mit <strong>der</strong> Allergie. Diese Methode beseitigt jedoch nicht<br />
die Ursachen <strong>der</strong> Allergie, son<strong>der</strong>n nur ihre Symptome.<br />
Die e<strong>in</strong>zige ursächliche Behandlung bei e<strong>in</strong>er Hausstaubmilbenallergie<br />
ist e<strong>in</strong>e Hyposensibilisierung. Der Patient<strong>in</strong><br />
bzw. dem Patienten werden regelmäßig die Allergene<br />
unter die Haut des Oberarms gespritzt, die Dosierung<br />
wird langsam gesteigert. So soll sich <strong>der</strong> Körper schonend<br />
an die Substanz gewöhnen und se<strong>in</strong>e allergische<br />
Reaktion abbauen. E<strong>in</strong>e Hyposensibilisierung erstreckt<br />
sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel über e<strong>in</strong>en Zeitraum <strong>von</strong> drei Jahren.<br />
Nach e<strong>in</strong>er Phase <strong>der</strong> Aufdosierung wird die nunmehr<br />
höhere Dosis ungefähr alle vier Wochen verabreicht.<br />
<strong>Wir</strong>d e<strong>in</strong> Term<strong>in</strong> versäumt, wird die Dosierung wie<strong>der</strong><br />
herabgesetzt und <strong>der</strong> Körper erneut an die eigentlich<br />
vorgesehene Dosierung gewöhnt. E<strong>in</strong>e Höchstdosis<br />
muss erreicht und über e<strong>in</strong>en längeren Zeitraum gehalten<br />
werden. Nach dem Erhalt e<strong>in</strong>er jeden Spritze<br />
muss die Patient<strong>in</strong> bzw. <strong>der</strong> Patient m<strong>in</strong>destens noch<br />
30 M<strong>in</strong>uten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxis verbleiben, da Nebenwirkungen<br />
e<strong>in</strong>treten können, z. B. Rötung/Quaddelbildung auf <strong>der</strong><br />
Haut o<strong>der</strong> Jucken an <strong>der</strong> E<strong>in</strong>stichstelle. Neben Spritzen<br />
stehen auch Therapiepräparate zur subl<strong>in</strong>gualen Behandlung<br />
(Präparat wird z. B. <strong>in</strong> Tropfenform e<strong>in</strong>genommen) zur<br />
Verfügung. Ratsam ist e<strong>in</strong>e Hyposensibilisierung zur ausreichenden<br />
L<strong>in</strong><strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Beschwerden und zur Senkung<br />
des Risikos <strong>der</strong> Entstehung e<strong>in</strong>es allergischen Asthma<br />
bronchiale, wenn die Patient<strong>in</strong> bzw. <strong>der</strong> Patient für die Be-<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Unterricht/Pausensituation:<br />
Lehrkräfte haben zwar ke<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss auf die Erkrankung<br />
und den Ausbruch <strong>der</strong> Symptome, sollten aber<br />
dennoch darauf achten, dass die Klassenräume möglichst<br />
staubfrei und sauber s<strong>in</strong>d. Glatte Bodenbeläge<br />
sollten regelmäßig feucht gewischt, Klassenzimmer<br />
o<strong>der</strong> Aufenthaltsräume sollten sehr regelmäßig gelüftet<br />
werden. Es sollten ke<strong>in</strong>e Polstermöbel o<strong>der</strong> Matratzen<br />
aufgestellt werden. Im Umgang mit textilen<br />
Materialien, die nicht regelmäßig gewaschen werden<br />
können, kann es zu Problemen kommen (z. B. Verkleiden<br />
mit vielfach genutzten Kostümen).<br />
Klassenfahrten/Ausflüge:<br />
Lehrkräfte sollten die Betroffenen daran er<strong>in</strong>nern, die<br />
vorgesehene Bettwäsche (Encas<strong>in</strong>g) und gegebenenfalls<br />
auch entsprechende Medikamente mitzunehmen.<br />
E<strong>in</strong> Schlafsaal mit mehreren Betten kann unter<br />
Umständen für e<strong>in</strong>en Hausstaubmilbenallergiker problematisch<br />
se<strong>in</strong>, da aus den an<strong>der</strong>en „ungeschützten“<br />
Matratzen ohne Encas<strong>in</strong>g auch Hausstaubmilbenallergene<br />
entweichen und sich an den Staub im Innenraum<br />
anlagern können.<br />
handlung geeignet ist (Allergiediagnostik) und e<strong>in</strong> Therapiepräparat<br />
mit ausreichen<strong>der</strong> <strong>Wir</strong>ksamkeit zur Verfügung<br />
steht.<br />
Maßnahmen:<br />
· Bettmatratze mit allergendichten Überzügen<br />
(Encas<strong>in</strong>gs) sanieren (Hausstaubmilben f<strong>in</strong>den<br />
beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong> regelmäßig genutzten Matratzen ihre<br />
idealen Lebensbed<strong>in</strong>gungen vor)<br />
· allergiegeeignete Bettdecke und Kopfkissen verwenden<br />
(waschbar bei m<strong>in</strong>d. 60 °C); alternativ können<br />
allergendichte Zwischenbezüge verwendet werden<br />
· Bettdecke und Kissen nach dem Aufstehen immer<br />
aufdecken und reichlich lüften, damit Feuchtigkeit<br />
abdampfen kann<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
Der Deutsche Allergie- und Asthmabund e. V. (DAAB)<br />
bietet kostenlose Informationen und e<strong>in</strong>e Beratungshotl<strong>in</strong>e<br />
an:<br />
02166 64788 88 (Mo–Do <strong>von</strong> 9:00 bis 12:00 Uhr)<br />
www.daab.de<br />
· Broschüre „Chronische Erkrankungen im K<strong>in</strong>desalter.<br />
E<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Thema <strong>von</strong> Elternhaus, K<strong>in</strong><strong>der</strong>tagesstätte<br />
und <strong>Schule</strong>“ <strong>der</strong> Bundeszentrale für gesundheitliche<br />
Aufklärung (BZgA), erhältlich unter:<br />
www.bzga.de/<strong>in</strong>fomaterialien/k<strong>in</strong><strong>der</strong>-und-jugendgesundheit/chronische-erkrankungen-im-k<strong>in</strong>desalter<br />
· Handreichung „Chronische Erkrankungen als Problem<br />
und Thema <strong>in</strong> <strong>Schule</strong> und Unterricht. Handreichung<br />
für Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer <strong>der</strong> Klassen 1 bis 10“ <strong>der</strong><br />
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA),<br />
erhältlich unter: www.bzga.de/<strong>in</strong>fomaterialien/ unterrichtsmaterialien/nach-themen/?idx=625<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Deutscher Allergie- und Asthmabund e. V. (DAAB)<br />
www.daab.de<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.daab.de/allergien/hausstaubmilbenallergie<br />
· PINA e. V. (Präventions- und Informationsnetzwerk<br />
Allergie/Asthma): www.p<strong>in</strong>a-<strong>in</strong>fol<strong>in</strong>e.de<br />
70
Hämophilie (Bluterkrankheit)<br />
Das Vorkommen <strong>von</strong> Hämophilie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bevölkerung liegt bei 1:10.000.<br />
Aufgrund des nicht ausreichend ausgeprägten Ger<strong>in</strong>nungsfaktors kommen<br />
Blutungen nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> gewohnten Zeit zum Stillstand.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen/Beschwerden<br />
„Blaue Flecke“ (Hämatome) werden unverhältnismäßig<br />
groß und zahlreich. Die Wundheilung kann verzögert<br />
se<strong>in</strong>. Auch können schmerzhafte E<strong>in</strong>blutungen <strong>in</strong> Gelenke<br />
(<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Sprunggelenke, Knie- und Ellenbogengelenke)<br />
stattf<strong>in</strong>den. Aufgrund <strong>von</strong> Beson<strong>der</strong>heiten des<br />
Erbgangs s<strong>in</strong>d fast immer Jungen betroffen.<br />
Schweregrade <strong>der</strong> Hämophilie:<br />
Restaktivität des<br />
Ger<strong>in</strong>nungsfaktors<br />
normal >75 %<br />
Subhämophilie 16–75 % meist beschwerdefrei<br />
leicht 6–15 % Hämatome nach<br />
schwereren Traumen<br />
mittelschwer 1–5 % Hämatome nach<br />
leichten Traumen<br />
schwer
Hämophilie (Bluterkrankheit)<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
Die Deutsche Hämophiliegesellschaft zur Bekämpfung<br />
<strong>von</strong> Blutungskrankheiten e. V. (DHG) bietet sehr <strong>in</strong>formatives<br />
Material für Lehrkräfte an:<br />
www.dhg.de/<strong>in</strong>formationen/<strong>in</strong>fomaterial-archiv<br />
· Dort <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e: „E<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d mit Hämophilie. Informationen<br />
für Erzieher<strong>in</strong>nen und Erzieher <strong>in</strong> Krippen<br />
und K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten sowie Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer“<br />
Die Interessengeme<strong>in</strong>schaft Hämophiler e. V. (IGH) bietet<br />
e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>gehende Beratung für <strong>Schule</strong>n bzw. Lehrkräfte an.<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisationen<br />
Deutsche Hämophiliegesellschaft<br />
zur Bekämpfung <strong>von</strong><br />
Blutungskrankheiten e. V. (DHG)<br />
www.dhg.de<br />
Interessengeme<strong>in</strong>schaft Hämophiler e. V. (IGH)<br />
www.igh.<strong>in</strong>fo<br />
· Broschüren, Ratgeber und weitere Medien können<br />
<strong>in</strong>teressierte Lehrkräfte kostenlos über den „Info-<br />
Shop“ <strong>der</strong> IGH beziehen:<br />
www.igh.<strong>in</strong>fo/shop.html<br />
· Basiswissen zur Hämophilie f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> dieser Infobroschüre:<br />
www.igh.<strong>in</strong>fo/media/haemophilie-was-ist-das-2011.<br />
html<br />
Weitergehendes und speziell auf das Schulalter abgestimmtes<br />
Informationsmaterial kann unter mail@igh.<strong>in</strong>fo<br />
je<strong>der</strong>zeit angefor<strong>der</strong>t werden.<br />
72
Hepatitis C<br />
Hepatitis C ist e<strong>in</strong>e virenbed<strong>in</strong>gte Leberentzündung. In <strong>Deutschland</strong> s<strong>in</strong>d<br />
ca. 275.000 Menschen dauerhaft („chronisch“) mit Hepatitis C <strong>in</strong>fiziert.<br />
In Osteuropa und Entwicklungslän<strong>der</strong>n <strong>in</strong> Afrika/Asien tritt Hepatitis C<br />
häufiger auf.<br />
Die Erstansteckung im K<strong>in</strong>desalter ist <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> sehr selten und wird<br />
auf ca. 21 Fälle pro Jahr geschätzt.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen/Beschwerden<br />
Jede Neu<strong>in</strong>fektion mit dem Hepatitis-C-Virus wird <strong>in</strong> den<br />
ersten sechs Monaten als „akute“ Infektion bezeichnet.<br />
„Akut“ sagt bei Hepatitis C nichts darüber aus, wie die<br />
Infektion verläuft und ob man sie spürt. Die akute Infektion<br />
verläuft meist symptomlos o<strong>der</strong> symptomarm. Mögliche<br />
Symptome s<strong>in</strong>d Müdigkeit, Abgeschlagenheit,<br />
Appetitlosigkeit, evtl. Gewichtsverlust, Schmerzen im<br />
rechten Oberbauch und Gelenkschmerzen. Manchmal<br />
können sich die Haut und das Augenweiß gelb färben.<br />
Dunkler Ur<strong>in</strong> und hell gefärbter Stuhlgang s<strong>in</strong>d ebenfalls<br />
möglich.<br />
E<strong>in</strong>e akute Hepatitis-C-Infektion kann im ersten halben<br />
Jahr <strong>von</strong> selbst ausheilen. Dies gel<strong>in</strong>gt aber nur bei etwa<br />
e<strong>in</strong>em <strong>von</strong> fünf Patienten. Bei vier <strong>von</strong> fünf Betroffenen<br />
wird Hepatitis C chronisch und heilt dann nicht mehr <strong>von</strong><br />
selbst aus. Chronische Hepatitis C ist aber durch Medikamente<br />
heilbar.<br />
E<strong>in</strong>e unerkannte, chronische Hepatitis-C-Infektion verursacht<br />
oft ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutigen Symptome und kann jahrelang<br />
unentdeckt bleiben. Die Leber hat ke<strong>in</strong> Schmerzempf<strong>in</strong>den.<br />
Infolger <strong>der</strong> ständigen Entzündung kann<br />
die Leber trotzdem vernarben und es kann e<strong>in</strong>e Leberzirrhose<br />
entstehen, obwohl die Betroffenen nichts spüren.<br />
Bei e<strong>in</strong>er Zirrhose können gefährliche Komplikationen auftreten,<br />
wie z. B. <strong>in</strong>nere Blutungen o<strong>der</strong> Koma. Außerdem<br />
ist bei e<strong>in</strong>er Zirrhose das Risiko für Leberkrebs erhöht.<br />
Behandlung<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Hepatitis C ist e<strong>in</strong>e Leberentzündung, die durch das<br />
Hepatitis-C-Virus (HCV) hervorgerufen wird. Es gibt verschiedene<br />
Hepatitis-Viren-Erkrankungen, die als Hepatitis<br />
A, B, C, D und E bezeichnet werden. Jedes <strong>der</strong> entsprechenden<br />
Viren ist an<strong>der</strong>s, wird an<strong>der</strong>s übertragen und an<strong>der</strong>s<br />
behandelt. Das Hepatitis-C-Virus wird über das Blut<br />
übertragen. E<strong>in</strong> Impfstoff existiert nicht. Hepatitis C ist<br />
heute aber fast immer heilbar.<br />
Die Diagnose wird durch e<strong>in</strong>en gezielten Bluttest gestellt.<br />
Dabei wird zunächst nach sogenannten HCV-Antikörpern<br />
gesucht. Diese werden vom Immunsystem als Reaktion<br />
gegen e<strong>in</strong>e Infektion gebildet. Wenn <strong>der</strong> Antikörpertest<br />
positiv ist, wird e<strong>in</strong> weiterer, aufwendiger Test auf das Virus<br />
durchgeführt. Dieser sogenannte PCR-Test sucht nach<br />
dem Erbmaterial des Virus: HCV-RNA. Wenn <strong>der</strong> Test auf<br />
HCV-RNA positiv ist, liegt e<strong>in</strong>e Hepatitis-C-Infektion vor.<br />
Entscheidend für die Prognose ist, ob die chronische Hepatitis<br />
C rechtzeitig diagnostiziert und ausgeheilt werden<br />
kann. Gel<strong>in</strong>gt dies nicht o<strong>der</strong> bleibt Hepatitis C unbehandelt,<br />
ist <strong>der</strong> Verlauf <strong>von</strong> Mensch zu Mensch unterschiedlich.<br />
Nach Jahren o<strong>der</strong> Jahrzehnten kann es bei e<strong>in</strong>em Teil<br />
<strong>der</strong> Betroffenen zu schweren Leberschäden wie Zirrhose<br />
und Leberkrebs kommen. Diese Spätfolgen s<strong>in</strong>d lebensgefährlich.<br />
Alkohol und Rauchen, Übergewicht, fortgeschrittenes<br />
Alter und zusätzliche Erkrankungen, wie z. B.<br />
HIV, können die Leberschädigung beschleunigen.<br />
Behandlung<br />
Hepatitis C ist heute <strong>in</strong> den meisten Fällen heilbar. Bis vor<br />
wenigen Jahren gab es nur mit starken Nebenwirkungen<br />
verbundene Therapien, die sechs bis zwölf Monate<br />
dauerten und nicht immer zum Erfolg führten. Seit 2014<br />
wurden mehrere neue Medikamente zugelassen, die<br />
besser vertragen werden und zum Teil über 90 Prozent<br />
<strong>der</strong> Betroffenen heilen können. Die Therapiedauer ist zudem<br />
kürzer und beträgt meistens acht bis zwölf, selten<br />
24 Wochen. Neben- und Wechselwirkungen s<strong>in</strong>d deutlich<br />
seltener als mit den alten Therapien, aber dennoch<br />
möglich. Daher sollte die Behandlung <strong>von</strong> erfahrenen<br />
Fachärzt<strong>in</strong>nen und Fachärzten durchgeführt werden. Bislang<br />
s<strong>in</strong>d diese Substanzen nur für Erwachsene im Alter<br />
ab 18 Jahren zugelassen (Stand: Februar 2016).<br />
Es gibt unterschiedliche Virustypen <strong>der</strong> Hepatitis C, die<br />
„Genotypen 1–6“ genannt werden. Grundsätzlich ist je<strong>der</strong><br />
Genotyp behandelbar, e<strong>in</strong>ige Medikamente wirken<br />
aber nur bei bestimmten Genotypen.<br />
73
Hepatitis C<br />
Die geeignete Therapie muss deshalb je nach Patient<strong>in</strong><br />
bzw. Patient sorgfältig ausgewählt werden. Zudem<br />
werden neue Medikamente für K<strong>in</strong><strong>der</strong> oft später zugelassen<br />
als für Erwachsene. An Hepatitis C erkrankte<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> und ihre Eltern sollten fachärztlichen Rat suchen<br />
und die aktuelle Entwicklung im Auge behalten. Fachärzte<br />
für Hepatitis C bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n s<strong>in</strong>d Pädiater mit den<br />
Schwerpunkten Gastroenterologie/Hepatologie o<strong>der</strong> Infektiologie.<br />
Schulungsprogramme<br />
Schulungsprogramme speziell für Lehrkräfte gibt es<br />
nicht. Jedoch können Präventionsveranstaltungen vermitteln,<br />
wie man sich vor e<strong>in</strong>er Hepatitis-C-Infektion<br />
schützen kann.<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
Es gibt ke<strong>in</strong>e Materialien zum gezielten Umgang mit an<br />
Hepatitis C erkrankten K<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Dennoch sollten sich<br />
Lehrkräfte e<strong>in</strong>gehend mit <strong>der</strong> Thematik ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen,<br />
um z. B. im Klassenverband angemessen mit <strong>der</strong><br />
Angst vor e<strong>in</strong>er Ansteckung umgehen und das betroffene<br />
K<strong>in</strong>d vor etwaiger Diskrim<strong>in</strong>ierung bewahren zu<br />
können.<br />
ion <strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Deutsche Leberhilfe e. V.<br />
www.leberhilfe.org<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Lehrkräfte sollten über die Ansteckungsrisiken aufgeklärt<br />
se<strong>in</strong>, da Hepatitis C überwiegend über das<br />
Blut übertragen wird. Wenn Blut auf <strong>in</strong>takte Haut<br />
tropft, kommt es nicht zur Ansteckung. Das Virus<br />
kann nur durch verletzte Schleimhäute o<strong>der</strong> offene<br />
Wunden <strong>in</strong> den Körper gelangen. Dennoch sollten<br />
Lehrkräfte vorsichtig im Umgang mit Verletzungen<br />
<strong>der</strong> betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong> se<strong>in</strong> (bspw. auch bei Nasenbluten).<br />
Betroffene K<strong>in</strong><strong>der</strong> und/o<strong>der</strong> die Lehrkräfte<br />
sollten möglichst Handschuhe und Verbandsmaterial<br />
greifbar haben. Außerdem ist es ratsam, nach<br />
e<strong>in</strong>em Kontakt mit Wunden e<strong>in</strong> Handdes<strong>in</strong>fektionsmittel<br />
anzuwenden.<br />
Hepatitis C wird NICHT über Kontakt mit Speichel<br />
(Anniesen, Husten, Küssen, Tr<strong>in</strong>ken aus dem gleichen<br />
Glas, Essen mit dem gleichen Besteck), Umarmen,<br />
Händeschütteln o<strong>der</strong> Benutzen <strong>der</strong> gleichen Toilette<br />
übertragen. E<strong>in</strong>e sexuelle Übertragung ist selten,<br />
aber möglich. Das Risiko steigt bei Verletzungen<br />
und Blutkontakten, z. B. bei Menstruation o<strong>der</strong><br />
„harten Praktiken“.<br />
Nicht jedes K<strong>in</strong>d benötigt sofort e<strong>in</strong>e Hepatitis-C-<br />
Therapie. Wenn K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> Therapie s<strong>in</strong>d, sollte auf<br />
Klassenfahrten darauf geachtet werden, dass sie<br />
ihre verordneten Medikamente ordnungsgemäß<br />
e<strong>in</strong>nehmen.<br />
Mitschüler<strong>in</strong>nen und Mitschüler sollten sich ke<strong>in</strong>esfalls<br />
mit <strong>in</strong>fizierten K<strong>in</strong><strong>der</strong>n/Jugendlichen Zahnbürsten,<br />
Nagelscheren, Rasierer etc. teilen und diese<br />
Gegenstände stets getrennt aufbewahren. Da viele<br />
Hepatitis-C-Infektionen unbekannt s<strong>in</strong>d, gilt dieser<br />
Rat auch unter gesunden Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern.<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.hepatitis-k<strong>in</strong><strong>der</strong>.de<br />
Quelle: Journal of Viral Hepatitis 2014, Vol. 21, Suppl. 1, S. 5–33)<br />
74
Hirntumoren<br />
Das Vorkommen liegt bei 1:3.000 K<strong>in</strong><strong>der</strong>n. 20 Prozent <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
mit e<strong>in</strong>er Krebsdiagnose leiden an e<strong>in</strong>em Hirntumor, am häufigsten<br />
kommt dieser bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n unter zehn Jahren vor.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Der primäre Hirntumor entwickelt sich aus Zellen verschiedener<br />
Hirngewebe.<br />
Von sekundären Hirntumoren spricht man bei Metastasierung<br />
(Absiedlung) an<strong>der</strong>er Organtumoren <strong>in</strong>s Gehirn.<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Ursache<br />
Die Ursachen für die Entstehung <strong>von</strong> Hirntumoren s<strong>in</strong>d<br />
bislang unklar. Für die überwiegende Zahl <strong>der</strong> Fälle konnten<br />
noch ke<strong>in</strong>e auslösenden Faktoren gefunden werden.<br />
Diagnose<br />
Abhängig vom Ort des Tumors im Gehirn kann die Symptomatik<br />
e<strong>in</strong>es Hirntumors variieren. Gangunsicherheit,<br />
Schwäche und Lähmung <strong>von</strong> Gliedmaßen, Zittrigkeit,<br />
Gleichgewichts- und Sehstörungen sowie Doppelbil<strong>der</strong>,<br />
Schw<strong>in</strong>del, Kopfschmerzen und Erbrechen, Augenfehlstellungen<br />
und hängende Mundw<strong>in</strong>kel s<strong>in</strong>d auffällige<br />
Zeichen, doch auch Wesensverän<strong>der</strong>ungen, Leistungsabfall<br />
und epileptische Krämpfe können H<strong>in</strong>weise für e<strong>in</strong>en<br />
Tumor se<strong>in</strong>.<br />
Die Diagnose kann durch verschiedene Methoden gesichert<br />
werden: Computertomografie (CT) und/o<strong>der</strong> Kernsp<strong>in</strong>tomografie<br />
(MRT).<br />
Prognose<br />
Gutartige Hirntumoren können oft komplett entfernt<br />
werden und die Betroffenen haben damit gute Heilungschancen.<br />
Bei bösartigen Hirntumoren s<strong>in</strong>d die Chancen e<strong>in</strong>er Heilung<br />
deutlich ger<strong>in</strong>ger, doch haben K<strong>in</strong><strong>der</strong> häufig e<strong>in</strong>e<br />
bessere Prognose als Erwachsene.<br />
Durch das E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gen des Tumors <strong>in</strong> das normale Hirngewebe,<br />
die nachfolgende Operation und beson<strong>der</strong>s bei<br />
kle<strong>in</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong>n durch die Bestrahlung werden jedoch<br />
vielfach junge Patienten dauerhaft geschädigt. Neben<br />
bleibenden Schwächen und Lähmungen können die<br />
Reaktionsgeschw<strong>in</strong>digkeit, die Fe<strong>in</strong>motorik, die neurokognitiven<br />
und <strong>in</strong>tellektuellen Fähigkeiten so stark e<strong>in</strong>geschränkt<br />
se<strong>in</strong>, dass die Patient<strong>in</strong>/<strong>der</strong> Patient vorübergehende<br />
o<strong>der</strong> dauerhafte Hilfe benötigt.<br />
Behandlung<br />
Die Behandlungsweise richtet sich nach <strong>der</strong> Lokalisation<br />
des Tumors im Gehirn (nicht überall kann operiert werden),<br />
dem Alter <strong>der</strong> Patient<strong>in</strong>/des Patienten und <strong>der</strong> Art<br />
des Tumors.<br />
In <strong>der</strong> Regel wird e<strong>in</strong>e Operation vorgenommen, wobei<br />
<strong>der</strong> Tumor nur dann komplett entfernt wird, wenn ke<strong>in</strong><br />
dauerhafter Defekt <strong>der</strong> Patient<strong>in</strong> bzw. des Patienten zu erwarten<br />
ist. E<strong>in</strong>e Gewebeprobe sollte <strong>in</strong> jedem Fall zur Bestimmung<br />
<strong>der</strong> Art des Hirntumors entnommen werden.<br />
Liegt e<strong>in</strong> gutartiger Hirntumor vor, wird man es bei vollständiger<br />
Entfernung dabei belassen. Bei postoperativ erneutem<br />
Wachstum wird zusätzlich e<strong>in</strong>e milde Chemotherapie<br />
o<strong>der</strong> bei Schulk<strong>in</strong><strong>der</strong>n auch e<strong>in</strong>e Strahlentherapie<br />
verabreicht.<br />
Bei bösartigen Tumoren erhalten alle Patienten nach <strong>der</strong><br />
Operation e<strong>in</strong>e Chemotherapie und alle e<strong>in</strong>geschulten<br />
Patient<strong>in</strong>nen und Patienten auch e<strong>in</strong>e Radiotherapie.<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Der Schulbesuch ist während <strong>der</strong> monatelangen<br />
Therapie meistens nicht möglich. Allerd<strong>in</strong>gs ist <strong>der</strong><br />
Unterricht nach e<strong>in</strong>er Behandlung o<strong>der</strong> während e<strong>in</strong>er<br />
Behandlungspause sehr wichtig, um dem K<strong>in</strong>d<br />
e<strong>in</strong>e gewisse Normalität zu bieten. Lehrkräfte müssen<br />
daher im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er ganzheitlichen Versorgung<br />
e<strong>in</strong>en hohen persönlichen E<strong>in</strong>satz erbr<strong>in</strong>gen und<br />
spielen für lange Zeit e<strong>in</strong>e wichtige Rolle im Betreuungsteam.<br />
75
Hirntumoren<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
Die Deutsche K<strong>in</strong><strong>der</strong>krebsstiftung bietet verschiedene<br />
Broschüren und Informationsmaterialien zu allen Krebserkrankungen<br />
im K<strong>in</strong>des- und Jugendalter an. Weitere<br />
Informationen können zudem auf den folgenden Internetseiten<br />
aufgerufen werden.<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Deutsche Leukämie-Forschungshilfe –<br />
Aktion für krebskranke K<strong>in</strong><strong>der</strong> e. V.<br />
(DLFH)<br />
www.k<strong>in</strong><strong>der</strong>krebsstiftung.de<br />
Dort s<strong>in</strong>d auch die Adressen<br />
<strong>der</strong> lokalen <strong>Selbsthilfe</strong>vere<strong>in</strong>e aufgeführt.<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.k<strong>in</strong><strong>der</strong>krebs<strong>in</strong>fo.de<br />
· www.krebs<strong>in</strong>formationsdienst.de<br />
76
Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion)<br />
Die Hyperthyreose, auch als Schilddrüsenüberfunktion bekannt, kommt<br />
<strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> bei ca. 40 <strong>von</strong> 100.000 Menschen vor und betrifft vor allem<br />
Frauen (mit 60 bis 80 Jahren: 3,0 bis 6,5 Prozent).<br />
Die Häufigkeit variiert regional und nimmt im Alter zu.<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> erkranken nur sehr selten an Hyperthyreose.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
E<strong>in</strong>e Gewebevermehrung <strong>der</strong> Schilddrüse, auch Struma<br />
bzw. umgangssprachlich Kropf genannt, ruft e<strong>in</strong>e Überfunktion<br />
(vermehrte Produktion <strong>von</strong> Schilddrüsenhormonen)<br />
hervor. Die Hyperthyreose kann mit e<strong>in</strong>er Vielzahl<br />
<strong>von</strong> Beschwerden e<strong>in</strong>hergehen:<br />
Haut, Haare,<br />
Nägel<br />
Psyche/<br />
Persönlichkeit<br />
Herz/Kreislauf<br />
Magen/Darm<br />
Sexualität/<br />
Fruchtbarkeit<br />
Nerven/Muskeln<br />
Stoffwechsel<br />
gleichmäßiger Haarausfall,<br />
feuchte rosige Haut<br />
<strong>in</strong>nere Unruhe, Reizbarkeit,<br />
Gefühlsschwankungen,<br />
Schlafstörungen<br />
schneller Puls, Herzrhythmusstörungen,<br />
Bluthochdruck<br />
Durchfall, Bauchschmerzen,<br />
kolikartige Krämpfe, Gewichtsabnahme,<br />
Heißhunger<br />
Fehlgeburten, Störungen<br />
des weiblichen Zyklus<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
muskuläre Schwäche, Kraftlosigkeit,<br />
Zittern <strong>der</strong> F<strong>in</strong>ger, körperliche<br />
Unruhe<br />
Wärme<strong>in</strong>toleranz,<br />
erhöhter Stoffwechselumsatz<br />
Verschiedene Erkrankungen können e<strong>in</strong>e Hyperthyreose<br />
verursachen. In zwei Dritteln <strong>der</strong> Fälle ist <strong>der</strong> Morbus<br />
Basedow für e<strong>in</strong>en Schilddrüsenhormonüberschuss verantwortlich.<br />
Bei dieser Erkrankung bildet <strong>der</strong> Körper<br />
Antikörper gegen die Schilddrüse. Aufgrund ihrer Form<br />
bewirken diese Abwehrstoffe e<strong>in</strong>e Erhöhung <strong>der</strong> Schilddrüsenhormonproduktion.<br />
Die zweithäufigste Ursache für e<strong>in</strong>e Schilddrüsenüberfunktion<br />
ist die Schilddrüsenautonomie, die u. a. <strong>in</strong>direkt<br />
durch Jodmangel ausgelöst werden kann und e<strong>in</strong> Jodmangelstruma<br />
verursacht. In e<strong>in</strong>er seit Jahren wachsenden<br />
Schilddrüse können sich Fehler <strong>in</strong> die neu gebildeten<br />
Zellen e<strong>in</strong>schleichen. Diese Zellen reagieren dann nicht<br />
mehr auf das hormonelle Feedback des Körpers und produzieren<br />
so viele Schilddrüsenhormone, wie sie mit dem<br />
vorhandenen Jod produzieren können. In <strong>der</strong> Folge können<br />
sich Knoten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schilddrüse ausbilden.<br />
Weitere eher seltene Ursachen für e<strong>in</strong>e Schilddrüsenüberfunktion<br />
s<strong>in</strong>d die E<strong>in</strong>nahme <strong>von</strong> Medikamenten (z. B.<br />
Amiodaron) o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Entzündung <strong>der</strong> Schilddrüse (z. B.<br />
De-Querva<strong>in</strong>-Thyreoiditis). Gelegentlich tritt e<strong>in</strong>e Hyperthyreose<br />
auch aufgrund missbräuchlicher E<strong>in</strong>nahme <strong>von</strong><br />
Schilddrüsenhormonen, z. B. zur Gewichtsreduktion, auf.<br />
E<strong>in</strong>e Verän<strong>der</strong>ung im Erbgut, die e<strong>in</strong>e verstärkte Reaktion<br />
<strong>der</strong> Körperzellen auf die anregende <strong>Wir</strong>kung <strong>der</strong> Schilddrüsenhormone<br />
hervorruft, ist eher selten ursächlich.<br />
Wie kann die Diagnose e<strong>in</strong>er Hyperthyreose<br />
gestellt werden?<br />
Zunächst können Symptome und Begleitersche<strong>in</strong>ungen<br />
auf e<strong>in</strong>e Hyperthyreose h<strong>in</strong>weisen. Durch Abtasten <strong>der</strong><br />
Schilddrüse kann festgestellt werden, ob die Schilddrüse<br />
mit ihrer Umgebung verwachsen ist. Mittels Ultraschall<br />
können die Größe <strong>der</strong> Schilddrüse und ihre Gewebestruktur<br />
ermittelt werden.<br />
E<strong>in</strong>e Blutentnahme und e<strong>in</strong>e Messung <strong>der</strong> Schilddrüsenhormone<br />
zeigen bei e<strong>in</strong>er Hyperthyreose erhöhte Schilddrüsenhormonwerte<br />
(fT3 und fT4) und vor allem e<strong>in</strong> erniedrigtes<br />
Hormon des Gehirns, das die Schilddrüsenaktivität<br />
regelt (TSH).<br />
Bei unklarem Befund und ergänzend zur Ultraschalluntersuchung<br />
kann e<strong>in</strong>e Schilddrüsensz<strong>in</strong>tigrafie durchgeführt<br />
werden, um festzustellen, ob <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schilddrüse<br />
Schilddrüsengewebe vorhanden ist, das mehr Schilddrüsenhormone<br />
produziert als das normale Schilddrüsengewebe.<br />
Ergibt sich im Ultraschall o<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sz<strong>in</strong>tigrafie<br />
<strong>der</strong> Verdacht auf e<strong>in</strong> Schilddrüsenkarz<strong>in</strong>om, erfolgt e<strong>in</strong>e<br />
Fe<strong>in</strong>nadelbiopsie, um den Krebs frühzeitig zu erkennen.<br />
Wie ist die Prognose betroffener K<strong>in</strong><strong>der</strong>?<br />
Die Symptome e<strong>in</strong>er Hyperthyreose gehen nach e<strong>in</strong>er erfolgreichen<br />
Behandlung zurück. Nur selten verbleiben Beschwerden.<br />
Verän<strong>der</strong>ungen wie Haarausfall und Gewichtsabnahme<br />
normalisieren sich wie<strong>der</strong>. Die Konzentrations-<br />
77
Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion)<br />
störungen lassen nach und auch die Unruhezustände<br />
verschw<strong>in</strong>den. Bei e<strong>in</strong>er guten Stoffwechsellage s<strong>in</strong>d<br />
ke<strong>in</strong>e Symptome und Beschwerden mehr zu erwarten.<br />
Behandlung<br />
Hemmung <strong>der</strong> Überproduktion <strong>von</strong> Schilddrüsenhormonen<br />
mit Medikamenten:<br />
Thyreostatika unterdrücken die Schilddrüsenhormonproduktion,<br />
bis <strong>der</strong> Spiegel im Blut wie<strong>der</strong> im normalen<br />
Bereich liegt.<br />
Operation und Radiotherapie:<br />
E<strong>in</strong>zelne Knoten im fehlerhaften Gewebe werden entfernt,<br />
das fehlerhafte Gewebe wird nicht entfernt. S<strong>in</strong>d Areale<br />
mit fehlerhaftem Gewebe über die komplette Schilddrüse<br />
verteilt, würde bei e<strong>in</strong>er Operation zu viel gesundes<br />
Gewebe geschädigt. Daher werden verstreute Areale <strong>von</strong><br />
fehlerhaftem Gewebe mittels Radioaktivität zerstört.<br />
Ersatz <strong>von</strong> Schilddrüsenhormonen nach<br />
Entfernung <strong>der</strong> Schilddrüse:<br />
Nach <strong>der</strong> Entfernung großer Teile <strong>der</strong> Schilddrüse kann<br />
e<strong>in</strong> lebenslanger Ersatz <strong>der</strong> Schilddrüsenhormone mittels<br />
Tabletten notwendig werden. Der Grund: Es ist<br />
nicht mehr genügend Schilddrüsengewebe vorhanden,<br />
um ausreichend Schilddrüsenhormone zu produzieren.<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit e<strong>in</strong>er nicht erkannten o<strong>der</strong> nicht behandelten<br />
Hyperthyreose wirken „zappelig“, können<br />
sich schlecht konzentrieren und s<strong>in</strong>d oft gereizt.<br />
Diese Symptome treten auch bei ADHS auf. Daher<br />
sollte ke<strong>in</strong>esfalls voreilig e<strong>in</strong>e ADHS-Diagnose gestellt<br />
werden, son<strong>der</strong>n zur Abklärung zunächst e<strong>in</strong><br />
Bluttest erfolgen.<br />
Unbehandelte Betroffene s<strong>in</strong>d oft nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage,<br />
Klassenarbeiten <strong>in</strong> <strong>der</strong> vorgegebenen Zeit zu erledigen.<br />
In diesem Fall kann als Nachteilsausgleich e<strong>in</strong>e<br />
evtl. übergangsweise Verlängerung <strong>der</strong> Prüfungszeit<br />
gewährt werden, wenn die/<strong>der</strong> behandelnde<br />
Ärzt<strong>in</strong>/Arzt dies für erfor<strong>der</strong>lich hält.<br />
Je nach Schweregrad <strong>der</strong> Erkrankung kann gerade<br />
im H<strong>in</strong>blick auf den Kreislauf des K<strong>in</strong>des e<strong>in</strong>e temporäre<br />
Befreiung vom Sportunterricht s<strong>in</strong>nvoll se<strong>in</strong>.<br />
Bei e<strong>in</strong>er adäquaten medikamentösen Behandlung<br />
s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e erkrankungsbed<strong>in</strong>gten schulischen Probleme<br />
mehr zu erwarten, so dass diese K<strong>in</strong><strong>der</strong> im<br />
Unterricht „ganz normal“ wie gesunde K<strong>in</strong><strong>der</strong> behandelt<br />
werden können und sollen.<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
· Bei <strong>der</strong> Schilddrüsen-Liga <strong>Deutschland</strong> e. V. kann die<br />
Broschüre „Schilddrüsenerkankungen bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n“<br />
angefor<strong>der</strong>t werden.<br />
· Beim Schilddrüsenbundesverband Die Schmetterl<strong>in</strong>ge<br />
e. V. kann die Broschüre „Schilddrüsenüberfunktion<br />
bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n“ kostenfrei angefor<strong>der</strong>t werden.<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisationen<br />
Schilddrüsen-Liga <strong>Deutschland</strong> e. V.<br />
www.schilddruesenliga.de<br />
Die Schmetterl<strong>in</strong>ge e. V. –<br />
Schilddrüsenbundesverband<br />
www.sd-bv.de<br />
Der Schilddrüsenbundesverband hält verschiedene<br />
schriftliche Informationen zur Hyperthyreose im K<strong>in</strong>desalter<br />
bereit. Weiterh<strong>in</strong> stehen verschiedene Ansprechpartner<br />
<strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> und im benachbarten Ausland<br />
für die betroffenen Eltern zur Verfügung. Die Vere<strong>in</strong>smitglie<strong>der</strong><br />
erhalten e<strong>in</strong>e Mitglie<strong>der</strong>liste zur Kontaktaufnahme<br />
mit an<strong>der</strong>en betroffenen Eltern.<br />
Bei regelmäßigen Treffen und Veranstaltungen besteht<br />
die Möglichkeit, Kontakt zu Ärzt<strong>in</strong>nen/Ärzten und Therapeut<strong>in</strong>nen/Therapeuten<br />
aufzunehmen sowie an<strong>der</strong>e<br />
Eltern mit ihren K<strong>in</strong><strong>der</strong>n kennenzulernen. Bei den jährlichen<br />
Familiensem<strong>in</strong>aren können Eltern und K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong><br />
ungezwungener Umgebung an<strong>der</strong>e Familien kennenlernen<br />
und sich aktiv mit <strong>der</strong> Erkrankung ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen.<br />
Verschiedene Behandlungsformen <strong>der</strong> Symptome<br />
<strong>der</strong> Erkrankung werden vorgestellt und spezielle Therapieansätze<br />
können direkt vor Ort ausprobiert werden<br />
(Ergotherapie, Lernberatung, psychosoziale Beratung,<br />
Musik-, Mal- und Reittherapie u. v. m.). Der vom Schilddrüsenbundesverband<br />
herausgegebene Patientenausweis<br />
mit <strong>der</strong> Krankheitsbeschreibung, <strong>der</strong> <strong>der</strong>zeitigen<br />
Therapie und dem H<strong>in</strong>weis auf weitere Erkrankungen<br />
wie auch alle an<strong>der</strong>en schriftlichen Unter-lagen können<br />
kostenfrei angefor<strong>der</strong>t werden.<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.apotheken-umschau.de/Schilddruesenueberfunktion<br />
78
Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion)<br />
Etwa e<strong>in</strong>e <strong>von</strong> hun<strong>der</strong>t Personen ist <strong>von</strong> Hypothyreose, auch als<br />
Schilddrüsenunterfunktion bekannt, betroffen.<br />
Es wird vermutet, dass jede fünfte Frau im Alter zwischen 40 und 60 Jahren<br />
an e<strong>in</strong>er Hypothyreose leidet.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
E<strong>in</strong>e Hypothyreose äußert sich auf folgende Weise:<br />
Haut, Haare,<br />
Nägel<br />
Psyche/<br />
Persönlichkeit<br />
Herz/Kreislauf<br />
Magen/Darm<br />
Sexualität/<br />
Fruchtbarkeit<br />
Nerven/Muskeln<br />
Stoffwechsel<br />
Haarausfall, trockene blasse Haut,<br />
brüchige Nägel<br />
allgeme<strong>in</strong>es Des<strong>in</strong>teresse,<br />
depressive Stimmung,<br />
Antriebslosigkeit, Müdigkeit<br />
langsamer Puls, tendenziell<br />
niedriger Blutdruck<br />
Verstopfung, Gewichtszunahme<br />
Libidoverlust, Potenzschwäche,<br />
Abnahme <strong>der</strong> Fruchtbarkeit<br />
muskuläre Schwäche und Kraftlosigkeit,<br />
verlangsamte Bewegungen,<br />
Störungen im Bereich <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nesorgane<br />
Kälte<strong>in</strong>toleranz,<br />
erniedrigter Grundumsatz<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
· Hauptursache s<strong>in</strong>d Autoimmunerkrankungen.<br />
· E<strong>in</strong>e Hypothyreose entsteht auch nach e<strong>in</strong>er Behandlung<br />
<strong>von</strong> fehlerhaftem Schilddrüsengewebe mit<br />
radioaktivem Jod (Radiojodtherapie) o<strong>der</strong> nach e<strong>in</strong>er<br />
Operation <strong>der</strong> Schilddrüse.<br />
· Auch die zu hoch dosierte E<strong>in</strong>nahme bestimmter<br />
Medikamente zur Hemmung <strong>der</strong> Schilddrüsenhormonproduktion<br />
kann e<strong>in</strong>e Hypothyreose auslösen.<br />
· E<strong>in</strong>e Hypothyreose kann auch angeboren se<strong>in</strong>.<br />
Dann ist die Schilddrüse bei <strong>der</strong> betroffenen Person<br />
fehlerhaft o<strong>der</strong> gar nicht ausgebildet.<br />
Wie kann die Diagnose e<strong>in</strong>er Hypothyreose<br />
gestellt werden?<br />
Zunächst fragt <strong>der</strong> Arzt o<strong>der</strong> die Ärzt<strong>in</strong> nach Symptomen<br />
und Begleitersche<strong>in</strong>ungen, die auf e<strong>in</strong>e Hypothyreose<br />
h<strong>in</strong>weisen könnten. Dann wird die Schilddrüse durch Abtasten<br />
mit beiden Händen untersucht. Die betroffene Person<br />
muss schlucken, damit festgestellt werden kann, ob<br />
die Schilddrüse mit ihrer Umgebung verwachsen ist. Per<br />
Ultraschall können die genaue Größe <strong>der</strong> Schilddrüse und<br />
ihre Gewebestruktur gemessen werden.<br />
E<strong>in</strong>e Blutentnahme und e<strong>in</strong>e Messung <strong>der</strong> Schilddrüsenhormone<br />
zeigen bei e<strong>in</strong>er Hypothyreose erniedrigte<br />
Schilddrüsenhormonwerte (fT3 und fT4) und e<strong>in</strong> erhöhtes<br />
schilddrüsenstimulierendes Hormon (TSH).<br />
Die Fe<strong>in</strong>nadelpunktion ist e<strong>in</strong>e Untersuchung, bei <strong>der</strong> das<br />
Gewebe des Knotens untersucht wird, um Schilddrüsenkrebs<br />
zu erkennen.<br />
Wie ist die Prognose betroffener K<strong>in</strong><strong>der</strong>?<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>, <strong>der</strong>en Hypothyreose nicht behandelt wird, s<strong>in</strong>d<br />
geistig schwer retardiert. Das kommt <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />
jedoch sehr selten vor, da kongenitale Hypothyreose<br />
im Rahmen des Neugeborenenscreen<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> den ersten<br />
Lebenstagen erkannt wird und das Hormon rechtzeitig<br />
substituiert werden kann. Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> haben bei optimaler<br />
E<strong>in</strong>stellung e<strong>in</strong>e normale Lebenserwartung und Entwicklung.<br />
Bei e<strong>in</strong>er andauernden Hypothyreose müssen die Schilddrüsenhormone<br />
e<strong>in</strong> Leben lang durch Tabletten zugeführt<br />
werden. In <strong>der</strong> Regel verschw<strong>in</strong>den die Krankheitsanzeichen<br />
nach e<strong>in</strong>igen Monaten. Dennoch müssen Betroffene<br />
die Hormone weiter e<strong>in</strong>nehmen. Würden die Tabletten<br />
abgesetzt, würden sich die Hormon-„Speicher“ leeren<br />
und <strong>der</strong> Körper zu wenig Schilddrüsenhormone erhalten.<br />
E<strong>in</strong> Rückfall wäre die Folge.<br />
Bei e<strong>in</strong>er gut e<strong>in</strong>gestellten Medikamentendosierung und<br />
regelmäßiger E<strong>in</strong>nahme haben die Patient<strong>in</strong>nen und<br />
Patienten e<strong>in</strong>e hohe Leistungsfähigkeit und die gleiche<br />
Lebenserwartung wie gesunde Menschen.<br />
79
Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion)<br />
Behandlung<br />
Die Behandlung e<strong>in</strong>es Schilddrüsenhormonmangels<br />
besteht <strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>nahme <strong>von</strong> Schilddrüsenhormonen<br />
<strong>in</strong> Tablettenform. Die benötigte Menge ist bei jedem<br />
Menschen unterschiedlich. Aus diesem Grund sollte<br />
mit e<strong>in</strong>er ger<strong>in</strong>gen Dosis begonnen werden, um ke<strong>in</strong>e<br />
Hyperthyreose zu erzeugen. Nach etwa e<strong>in</strong>em Monat<br />
wird e<strong>in</strong>e ärztliche Kontrolluntersuchung mit Messung<br />
<strong>der</strong> Menge an Schilddrüsenhormonen im Blut durchgeführt.<br />
Bis die Patient<strong>in</strong> bzw. <strong>der</strong> Patient gut e<strong>in</strong>gestellt<br />
ist, müssen die Kontrollen im Abstand <strong>von</strong> sechs Wochen<br />
erfolgen, später e<strong>in</strong>- bis zweimal jährlich.<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n kann e<strong>in</strong>e unerkannte Hypothyreose<br />
schwere Folgen haben, da die Schilddrüsenhormone<br />
auch für das körperliche Wachstum und die<br />
normale Gehirnentwicklung verantwortlich s<strong>in</strong>d.<br />
Lei<strong>der</strong> s<strong>in</strong>d die Symptome <strong>der</strong> Hypothyreose sehr<br />
unspezifisch. Ist e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d sehr müde, übergewichtig<br />
und antriebslos, sollte e<strong>in</strong>e Schilddrüsenunterfunktion<br />
bedacht werden. Auch e<strong>in</strong> Wachstumsstillstand<br />
und e<strong>in</strong> Leistungsknick s<strong>in</strong>d typische Symptome<br />
e<strong>in</strong>er Hypothyreose.<br />
Von e<strong>in</strong>er Hypothyreose betroffene, nicht adäquat<br />
behandelte K<strong>in</strong><strong>der</strong> können sich häufig schlecht<br />
konzentrieren und s<strong>in</strong>d oft abgelenkt und unaufmerksam.<br />
Diese Symptome deuten auch auf ADS<br />
h<strong>in</strong>. Daher sollte ke<strong>in</strong>esfalls voreilig e<strong>in</strong>e ADS-Diagnose<br />
gestellt werden, son<strong>der</strong>n zur Abklärung<br />
zunächst e<strong>in</strong> Bluttest erfolgen. K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit e<strong>in</strong>er<br />
Hypothyreose s<strong>in</strong>d oft nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage, Klassenarbeiten<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> vorgegebenen Zeit zu erledigen. In<br />
diesem Fall kann evtl. für den Übergang e<strong>in</strong>e Verlängerung<br />
<strong>der</strong> Prüfungszeit gewährt werden, wenn<br />
die/<strong>der</strong> behandelnde Ärzt<strong>in</strong>/Arzt dies für erfor<strong>der</strong>lich<br />
hält. Je nach Schweregrad <strong>der</strong> Erkrankung s<strong>in</strong>d<br />
manche betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong> nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage, aktiv<br />
am Sportunterricht teilzunehmen – dann kann e<strong>in</strong>e<br />
temporäre Befreiung s<strong>in</strong>nvoll se<strong>in</strong>.<br />
Bei e<strong>in</strong>er adäquaten medikamtentösen Behandlung<br />
s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e erkrankungsbed<strong>in</strong>gten schulischen Probleme<br />
mehr zu erwarten, so dass diese K<strong>in</strong><strong>der</strong> im<br />
Unterricht „ganz normal“ wie gesunde K<strong>in</strong><strong>der</strong> behandelt<br />
werden können und sollen.<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
· Bei <strong>der</strong> Schilddrüsen-Liga <strong>Deutschland</strong> e. V. kann die<br />
Broschüre „Schilddrüsenerkankungen bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n“<br />
angefor<strong>der</strong>t werden.<br />
· Beim Schilddrüsenbundesverband Die Schmetterl<strong>in</strong>ge<br />
e. V. kann die Broschüre „Schilddrüsenunterfunktion<br />
bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n“ kostenfrei angefor<strong>der</strong>t werden.<br />
ionen <strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisationen<br />
Schilddrüsen-Liga <strong>Deutschland</strong> e. V.<br />
www.schilddruesenliga.de<br />
Die Schmetterl<strong>in</strong>ge e. V. –<br />
Schilddrüsenbundesverband<br />
www.sd-bv.de<br />
Der Schilddrüsenbundesverband hält verschiedene<br />
schriftliche Informationen zur Hypothyreose im K<strong>in</strong>desalter<br />
bereit. Weiterh<strong>in</strong> stehen verschiedene Ansprechpartner<br />
<strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> und im benachbarten Ausland<br />
für die betroffenen Eltern zur Verfügung. Die Vere<strong>in</strong>smitglie<strong>der</strong><br />
erhalten e<strong>in</strong>e Mitglie<strong>der</strong>liste zur Kontaktaufnahme<br />
mit an<strong>der</strong>en betroffenen Eltern. Bei regelmäßigen<br />
Treffen und Veranstaltungen besteht die Möglichkeit,<br />
Kontakt zu Ärzt<strong>in</strong>nen und Ärzten, Therapeut<strong>in</strong>nen<br />
und Therapeuten aufzunehmen sowie an<strong>der</strong>e Eltern<br />
mit ihren K<strong>in</strong><strong>der</strong>n kennenzulernen. Bei den jährlichen<br />
Familiensem<strong>in</strong>aren können Eltern und K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> ungezwungener<br />
Umgebung an<strong>der</strong>e Familien kennenlernen<br />
und sich aktiv mit <strong>der</strong> Erkrankung ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen.<br />
Verschiedene Behandlungsformen <strong>der</strong> Symptome <strong>der</strong><br />
Erkrankung werden vorgestellt und spezielle Therapieansätze<br />
können direkt vor Ort ausprobiert werden<br />
(Ergotherapie, Lernberatung, psychosoziale Beratung,<br />
Musik-, Mal- und Reittherapie u. v. m.). Der vom Schilddrüsenbundesverband<br />
herausgegebene Patientenausweis<br />
mit <strong>der</strong> Krankheitsbeschreibung, <strong>der</strong> <strong>der</strong>zeitigen<br />
Therapie und dem H<strong>in</strong>weis auf weitere Erkrankungen<br />
wie auch alle an<strong>der</strong>en schriftlichen Unterlagen können<br />
kostenfrei angefor<strong>der</strong>t werden.<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.apotheken-umschau.de/Schilddruesenunterfunktion<br />
80
Ichthyose<br />
Ichthyose ist e<strong>in</strong> Sammelbegriff für seltene Verhornungsstörungen <strong>der</strong> Haut.<br />
Sie entstehen aufgrund verschiedener Gendefekte, die entwe<strong>der</strong> <strong>von</strong> den<br />
Eltern vererbt werden o<strong>der</strong> durch spontane Mutation auftreten.<br />
Bei Ichthyosen ist <strong>der</strong> Erneuerungsprozess <strong>der</strong> Haut gestört. Dies äußert sich<br />
entwe<strong>der</strong> durch Verhornung und starke Schuppung o<strong>der</strong> durch sehr dünne,<br />
empf<strong>in</strong>dliche Haut. Bei e<strong>in</strong>igen Formen <strong>der</strong> Ichthyose kommt es zu schmerzhafter<br />
Blasenbildung.<br />
Etwa e<strong>in</strong>er <strong>von</strong> 100.000 Menschen ist <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er Ichthyose betroffen, d. h.,<br />
es handelt sich um e<strong>in</strong>e sehr seltene Erkrankung. Es wird da<strong>von</strong> ausgegangen,<br />
dass es <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> ca. 800 bis 1.000 schwer betroffene Erkrankte<br />
gibt, die e<strong>in</strong>e entsprechende kl<strong>in</strong>ische Versorgung benötigen.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Man unterscheidet zwei große Gruppen, die<br />
· vulgären Ichthyosen, die sich <strong>in</strong> den ersten Lebenswochen<br />
o<strong>der</strong> -jahren entwickeln, und die<br />
· kongenitalen Ichthyosen, die bereits bei <strong>der</strong> Geburt<br />
sichtbar s<strong>in</strong>d.<br />
Bei beiden Gruppen werden außerdem isolierte Ichthyosen<br />
und solche mit weiteren Merkmalen unterschieden.<br />
Die häufigste Form <strong>der</strong> vulgären Ichthyosen ist die autosomal<br />
dom<strong>in</strong>ante Ichthyosis vulgaris. Die Haut ist trocken,<br />
rau und zunehmend mit kle<strong>in</strong>eren o<strong>der</strong> – je nach Ausprägung<br />
– auch größeren, weiß-grauen Schuppen bedeckt.<br />
Bei dieser Form ist das Ersche<strong>in</strong>ungsbild sehr variabel, so<br />
dass die Erkrankung möglicherweise äußerlich kaum erkennbar<br />
ist.<br />
Seltener ist die x-chromosomal-rezessive Ichthyosis vulgaris.<br />
Im Ersche<strong>in</strong>ungsbild <strong>der</strong> vorgenannten Form sehr ähnlich,<br />
werden aber mit zunehmendem Alter die Schuppen<br />
dunkler, dicker und festhaften<strong>der</strong>. Diese Form tritt nur bei<br />
männlichen Personen auf. Weibliche Personen s<strong>in</strong>d Überträger<br />
<strong>der</strong> Erkrankung.<br />
Bei den wesentlich seltener vorkommenden kongenitalen<br />
Ichthyosen gibt es verschiedene Ersche<strong>in</strong>ungsformen mit<br />
mittelstarker bis sehr starker Schuppung, Verhornung,<br />
Blasenbildung und hohem Infektionsrisiko.<br />
se Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Ichthyosen entstehen aufgrund verschiedener Gendefekte,<br />
die entwe<strong>der</strong> <strong>von</strong> den Eltern vererbt werden<br />
o<strong>der</strong> durch spontane Mutation.<br />
Sehr wichtig ist e<strong>in</strong>e richtige Diagnose, die durch e<strong>in</strong>e<br />
Blutuntersuchung und elektronenmikroskopische Untersuchungen<br />
gestellt werden kann.<br />
Behandlung<br />
Da Ichthyosen nicht heilbar s<strong>in</strong>d, können lediglich die<br />
Symptome durch <strong>in</strong>tensive Pflege gemil<strong>der</strong>t werden. Die<br />
Pflege umfasst lange Bä<strong>der</strong>, manuelles Entfernen <strong>der</strong><br />
Schuppen und Hautverdickungen sowie anschließendes<br />
E<strong>in</strong>cremen mit speziellen Salben.<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Je nach betroffenem K<strong>in</strong>d und Ausprägung <strong>der</strong><br />
Ichthyose bestehen mehr o<strong>der</strong> weniger starke E<strong>in</strong>schränkungen.<br />
Im Zweifelsfall sollte Kontakt mit den<br />
Eltern aufgenommen werden.<br />
Im Unterricht/<strong>in</strong> Pausensituationen<br />
Grundsätzlich müssen alle Betroffenen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />
die jüngeren, sehr genau beobachtet werden, damit<br />
sie nicht überhitzen o<strong>der</strong> – je nach Form <strong>der</strong> Erkrankung<br />
– ihre Haut übermäßig strapaziert wird. Es<br />
kann zu Bee<strong>in</strong>trächtigungen <strong>der</strong> Bewegungsfähigkeit<br />
kommen. Starker Juckreiz aufgrund <strong>der</strong> Trockenheit<br />
<strong>der</strong> Haut kann zu Unruhe und Konzentrationsstörungen<br />
führen.<br />
Bei e<strong>in</strong>igen Formen <strong>von</strong> Ichthyose und/o<strong>der</strong> sehr starker<br />
Ausprägung kann es s<strong>in</strong>nvoll se<strong>in</strong>, betroffene<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> vom Sportunterricht zu befreien. Dies sollte<br />
mit den Eltern besprochen werden.<br />
w<br />
81
Ichthyose<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Ob e<strong>in</strong>e Teilnahme am Schwimmunterricht s<strong>in</strong>nvoll<br />
ist, sollte ebenfalls mit den Eltern geme<strong>in</strong>sam entschieden<br />
werden. In jedem Fall benötigen Betroffene<br />
mehr Zeit zum Be- und Entkleiden und auch<br />
zum Duschen und E<strong>in</strong>cremen.<br />
Da Ichthyose-Betroffene nicht o<strong>der</strong> nur bed<strong>in</strong>gt<br />
schwitzen können, besteht bei höheren Temperaturen<br />
die Gefahr e<strong>in</strong>er Überhitzung, sowohl im<br />
regulären Unterricht als auch während <strong>der</strong> Pause<br />
o<strong>der</strong> im Sportunterricht.<br />
Merkmale für e<strong>in</strong>e drohende Überhitzung können<br />
se<strong>in</strong>:<br />
· Betroffene werden rot<br />
· <strong>der</strong> Kopf <strong>der</strong> Betroffenen sche<strong>in</strong>t<br />
anzuschwellen<br />
· Betroffene werden aggressiv<br />
· Betroffene werden matt und phlegmatisch<br />
· Betroffene klagen über Kopfschmerzen und/<br />
o<strong>der</strong> Übelkeit<br />
Bahnt sich e<strong>in</strong>e Überhitzung an, sollten Betroffene<br />
umgehend an e<strong>in</strong>en kühlen Ort gebracht und ggf.<br />
sollten die Eltern verständigt werden. Wadenwickel<br />
und die üblichen Hilfestellungen bei Hitzschlag, wie<br />
z. B. das Auflegen nasser Tücher, können hilfreich<br />
se<strong>in</strong>. Außerdem sollten Betroffene viel tr<strong>in</strong>ken.<br />
Da Pflaster i. d. R. nicht auf <strong>der</strong> Haut <strong>von</strong> Betroffenen<br />
haften, sollte bei kle<strong>in</strong>eren Verletzungen und Schrammen<br />
nach <strong>der</strong> Wundre<strong>in</strong>igung e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Verband<br />
angelegt werden. Bei Bedarf sollte Betroffenen die<br />
Möglichkeit gegeben werden, Handschuhe zu verwenden<br />
und e<strong>in</strong> Handbad mit entsprechen<strong>der</strong> Pflege<br />
durchzuführen.<br />
Es ist beson<strong>der</strong>s wichtig, die Mitschüler<strong>in</strong>nen und<br />
Mitschüler über die Krankheit aufzuklären, damit<br />
die betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong> nicht aufgrund ihres Hautbildes<br />
o<strong>der</strong> aufgrund ihres durch die Salben verursachten<br />
Geruchs ausgegrenzt bzw. stigmatisiert<br />
werden. Oft reicht die e<strong>in</strong>fache Erklärung, dass die<br />
Hautfunktion gestört ist und das betroffene K<strong>in</strong>d<br />
viel baden und sich e<strong>in</strong>cremen muss.<br />
Für viele betroffene Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler ist es<br />
s<strong>in</strong>nvoll, e<strong>in</strong>en zweiten Satz Schulbücher bereitzustellen,<br />
weil das Tragen e<strong>in</strong>er schweren Schultasche<br />
die Haut zusätzlich belasten könnte.<br />
Bei Ausflügen/Klassenfahrten:<br />
Es ist darauf zu achten, Aktivitäten <strong>der</strong> Außentemperatur<br />
und den körperlichen Fähigkeiten <strong>der</strong> betroffenen<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> anzupassen und ihnen Abkühlungen<br />
zu ermöglichen. Reisen <strong>in</strong> warme Län<strong>der</strong>, Klassenfahrten<br />
und Ausflüge sollten mit den Eltern abgesprochen<br />
werden. Während e<strong>in</strong>er Klassenfahrt müssen<br />
Lehrkräfte dafür Sorge tragen, dass betroffene<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> sich ausreichend pflegen und cremen können.<br />
Die Unterkünfte sollten über e<strong>in</strong> ausreichend ausgestattetes<br />
Badezimmer verfügen. Auch ist zu berücksichtigen,<br />
dass betroffene K<strong>in</strong><strong>der</strong> für ihren pflegerischen<br />
Aufwand mehr Zeit benötigen.<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
· Auf <strong>der</strong> Website <strong>der</strong> <strong>Selbsthilfe</strong> Ichthyose e. V. steht<br />
das „Handbuch für Lehrer, Eltern und Schüler“ als<br />
Download zur Verfügung: www.ichthyose.de/<br />
download/<strong>in</strong>fomaterial/Handbuch_fuer_Lehrer_<br />
Schueler_und_Eltern.pdf<br />
· Über die Website <strong>der</strong> <strong>Selbsthilfe</strong> Ichthyose e. V. kann<br />
das „Handbuch für Eltern und Betreuer <strong>von</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
mit Ichthyose“ für e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Geldbetrag erworben<br />
werden: www.ichthyose.de/seiten/si_shop/<br />
uebersichtseite_<strong>in</strong>fomat<br />
· Broschüre „Chronische Erkrankungen im K<strong>in</strong>desalter.<br />
E<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Thema <strong>von</strong> Elternhaus, K<strong>in</strong><strong>der</strong>tagesstätte<br />
und <strong>Schule</strong>“ <strong>der</strong> Bundeszentrale für<br />
gesundheitliche Aufklärung (BZgA), erhältlich unter:<br />
www.bzga.de/<strong>in</strong>fomaterialien/k<strong>in</strong><strong>der</strong>-und-jugendgesundheit/chronische-erkrankungen-im-k<strong>in</strong>desalter<br />
· Handreichung „Chronische Erkrankungen als Problem<br />
und Thema <strong>in</strong> <strong>Schule</strong> und Unterricht. Handreichung<br />
für Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer <strong>der</strong> Klassen 1 bis<br />
10“ <strong>der</strong> Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung<br />
(BZgA), erhältlich unter: www.bzga.de/<strong>in</strong>fomaterialien/<br />
unterrichtsmaterialien/nach-themen/?idx=625<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
<strong>Selbsthilfe</strong> Ichthyose e. V.<br />
www.ichthyose.de<br />
Weitere Internetadressen<br />
· Netzwerk für Ichthyosen und verwandte Verhornungsstörungen<br />
(NIRK):<br />
www.netzwerk-ichthyose.de<br />
82
Kle<strong>in</strong>wuchs<br />
Es gibt ca. 650 Ursachen, die zu e<strong>in</strong>er krankhaften Verm<strong>in</strong><strong>der</strong>ung des<br />
Längenwachstums führen. In <strong>Deutschland</strong> s<strong>in</strong>d ca. 100.000 Menschen<br />
vom Kle<strong>in</strong>wuchs betroffen.<br />
Die durchschnittliche Körpergröße <strong>von</strong> Männern <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> beträgt<br />
182 cm und die <strong>von</strong> Frauen 170 cm. Die Körperlänge bei kle<strong>in</strong>wüchsigen<br />
Menschen beg<strong>in</strong>nt bei ca. 80 cm und endet laut Schwerbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>tenrecht<br />
<strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> bei 145 cm.<br />
Die weitaus meisten kle<strong>in</strong>wüchsigen K<strong>in</strong><strong>der</strong> werden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Familie<br />
h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geboren, <strong>in</strong> <strong>der</strong> es vorher ke<strong>in</strong>en Kle<strong>in</strong>wuchs gab.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Etwa drei Prozent aller Menschen liegen mit ihrer Körpergröße<br />
außerhalb des „Normbereichs“ (Männer bis 167 cm;<br />
Frauen bis 153 cm). Bei ihnen liegt ke<strong>in</strong>e krankhafte Ursache<br />
vor, daher ist ke<strong>in</strong>e Behandlung nötig bzw. möglich.<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Es gibt, vere<strong>in</strong>facht gesagt, vier große Gruppen kle<strong>in</strong>wüchsiger<br />
Menschen mit e<strong>in</strong>er Wachstumsstörung:<br />
1. Kle<strong>in</strong>wuchs: skelettbed<strong>in</strong>gt, häufig disproportioniert<br />
Skelettbed<strong>in</strong>gte Erkrankungen s<strong>in</strong>d bis heute nicht heilbar,<br />
bedürfen aber e<strong>in</strong>er dauerhaften Behandlung. Oft<br />
s<strong>in</strong>d operative E<strong>in</strong>griffe notwendig, therapeutische Interventionen<br />
s<strong>in</strong>d unabd<strong>in</strong>gbar. Bei <strong>der</strong> häufigsten Form <strong>der</strong><br />
Skelettdysplasie, <strong>der</strong> Achondroplasie, s<strong>in</strong>d die Arme und<br />
Be<strong>in</strong>e verkürzt, <strong>der</strong> Kopf wirkt dadurch vergrößert, die Nasenwurzel<br />
ist e<strong>in</strong>gefallen, die Stirn tritt prom<strong>in</strong>ent hervor.<br />
Es gibt häufig zusätzliche Probleme, wie z. B. e<strong>in</strong>e Verengung<br />
des Sp<strong>in</strong>alkanals und Hörprobleme. Auf 20.000 Geburten<br />
entfällt e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d mit <strong>der</strong> Diagnose Achondroplasie.<br />
Alle Skelettdysplasien s<strong>in</strong>d äußerst seltene Erkrankungen.<br />
2. Kle<strong>in</strong>wuchs: hormonell bed<strong>in</strong>gt, häufig verbunden mit<br />
e<strong>in</strong>em harmonischen Körperbau<br />
Im Gegensatz zu an<strong>der</strong>en Kle<strong>in</strong>wuchsformen kann e<strong>in</strong><br />
Hormonmangel ursächlich behandelt werden. Die Erreichung<br />
<strong>der</strong> genetisch bed<strong>in</strong>gten Körperhöhe ist möglich.<br />
3. Kle<strong>in</strong>wuchs: <strong>in</strong>trauter<strong>in</strong><br />
Intrauter<strong>in</strong>er Kle<strong>in</strong>wuchs entwickelt sich vorgeburtlich. In<br />
50 Prozent <strong>der</strong> Fälle ist die Ursache unklar. In nur wenigen<br />
Fällen (wie z. B. beim Silver-Russell-Syndrom) kann mediz<strong>in</strong>isch<br />
nur bed<strong>in</strong>gt geholfen werden. Immer ist e<strong>in</strong>e Abklärung<br />
durch den Facharzt für Endokr<strong>in</strong>ologie, Facharzt<br />
für Humangenetik etc. notwendig.<br />
4. Kle<strong>in</strong>wuchs: sekundär<br />
In diesen Fällen muss die Grun<strong>der</strong>krankung erkannt und,<br />
wenn möglich, behandelt werden. Bei <strong>der</strong> Fülle <strong>der</strong> Diagnosen<br />
ist dies, wie bei allen seltenen Erkrankungen, sehr<br />
schwierig.<br />
Behandlung<br />
Die Vielzahl <strong>der</strong> möglichen Diagnosen erschwert auch das<br />
Behandeln des Krankheitsbildes. Für viele Betroffene und<br />
ihre Eltern beg<strong>in</strong>nt e<strong>in</strong>e „Ärzteodyssee“. Die <strong>Selbsthilfe</strong><br />
kann sehr hilfreich dabei se<strong>in</strong>, die zuständigen Expert<strong>in</strong>nen<br />
und Experten zu f<strong>in</strong>den, die e<strong>in</strong>e entsprechende notwendige<br />
Behandlung e<strong>in</strong>leiten.<br />
Schulungsprogramm:<br />
Der Bundesverband Kle<strong>in</strong>wüchsige Menschen und ihre<br />
Familien e. V. (BKMF) schult Eltern und Betroffene und<br />
klärt Therapeut<strong>in</strong>nen und Therapeuten, Lehrkräfte und<br />
Erzieher<strong>in</strong>nen und Erzieher auf. Für die umfangreiche Beratung<br />
und Information zum Thema steht dem BKMF e<strong>in</strong><br />
Wissenschaftlicher Beirat zur Verfügung.<br />
83
Kle<strong>in</strong>wuchs<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
E<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge Körpergröße hat nichts mit verm<strong>in</strong><strong>der</strong>ter<br />
Intelligenz zu tun. E<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>wüchsiges K<strong>in</strong>d soll<br />
nicht aufgrund se<strong>in</strong>er Körpergröße zurückgestuft<br />
werden. Die Schulfähigkeit muss an <strong>der</strong> kognitiven<br />
Reife gemessen werden.<br />
Kle<strong>in</strong>wüchsige K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche brauchen, sofern<br />
sie ke<strong>in</strong>e Rollstuhlfahrer s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel wenige<br />
Hilfsmittel <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>. Es reichen e<strong>in</strong>ige Umbauten<br />
im sanitären Bereich, e<strong>in</strong> geeigneter Stuhl<br />
(um z. B. die Tafel und an<strong>der</strong>e schwer zugängliche<br />
Gegenstände zu erreichen bzw. zu gebrauchen)<br />
und klare Regelungen. Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> benötigen Verständnis,<br />
aber ke<strong>in</strong> Mitleid. Hilfsbereite Mitschüler<strong>in</strong>nen<br />
und Mitschüler sowie Lehrkräfte können<br />
die Weichen für e<strong>in</strong> späteres selbstbewusstes Leben<br />
stellen. Den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und ihren Familien muss durch<br />
Vermittlung sozialer Hilfen und den H<strong>in</strong>weis auf<br />
nützliche Informationen geholfen werden. Es sollten<br />
stets die <strong>in</strong>dividuellen Bedürfnisse bei den Betroffenen<br />
erfragt und berücksichtigt werden.<br />
Mit <strong>der</strong> Bereitstellung e<strong>in</strong>es zweiten Schulbuchsatzes<br />
für den Gebrauch zu Hause kann den Betroffenen<br />
<strong>der</strong> Schulalltag erheblich erleichtert werden,<br />
da das Tragen zu schwerer Schultaschen e<strong>in</strong>e starke<br />
Belastung darstellen kann.<br />
Die meisten kle<strong>in</strong>wüchsigen K<strong>in</strong><strong>der</strong> haben viel Freude<br />
an Bewegung. Sie können bei fast allen Sportarten<br />
aktiv mitmachen – bei <strong>der</strong> Leistungsbewertung<br />
sollte allerd<strong>in</strong>gs ihre ger<strong>in</strong>gere Körpergröße berücksichtigt<br />
werden.<br />
Die an<strong>der</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong> sollten <strong>von</strong> den betroffenen<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern (und ggf. <strong>von</strong> <strong>der</strong>en<br />
Eltern) über mögliche E<strong>in</strong>schränkungen aufgeklärt<br />
werden und dementsprechend vorsichtig im Umgang<br />
mit den Betroffenen se<strong>in</strong>. Stets sollte darauf<br />
geachtet werden, die betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen<br />
ihrem Alter entsprechend zu behandeln.<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
Spezifisches Informationsmaterial für Lehrkräfte gibt es<br />
bei <strong>der</strong> <strong>Selbsthilfe</strong>. Gespräche mit den Eltern s<strong>in</strong>d hilfreich,<br />
da diese <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel die meisten Informationen<br />
zu dem Krankheitsbild haben und bei Problemlösungen<br />
schnell helfen können.<br />
· Umfangreiches Informationsmaterial kann bei <strong>der</strong><br />
<strong>Selbsthilfe</strong>, z. B. beim Bundesverband Kle<strong>in</strong>wüchsige<br />
Menschen und ihre Familien e. V. (BKMF) und beim<br />
Bundesselbsthilfe Verband Kle<strong>in</strong>wüchsiger Menschen<br />
e. V. (VKM), bezogen werden.<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisationen<br />
Bundesverband Kle<strong>in</strong>wüchsige Menschen<br />
und ihre Familien e. V. (BKMF)<br />
www.bkmf.de<br />
Bundesselbsthilfe Verband<br />
Kle<strong>in</strong>wüchsiger Menschen e. V. (VKM)<br />
www.kle<strong>in</strong>wuchs.de<br />
Kontaktgruppe Eltern kle<strong>in</strong>wüchsiger K<strong>in</strong><strong>der</strong>:<br />
www.kle<strong>in</strong>wuchs-elterngruppe.de<br />
Die Kontaktgruppe Eltern kle<strong>in</strong>wüchsiger K<strong>in</strong><strong>der</strong> benutzt vorwiegend<br />
das Informationsmaterial des Bundesverbands Kle<strong>in</strong>wüchsige Menschen<br />
und ihre Familien e. V. (BKMF), da viele Mitglie<strong>der</strong> aus dieser Gruppe<br />
gleichzeitig dort Mitglied s<strong>in</strong>d. Bei Informationsbedarf ist es deshalb<br />
zu empfehlen, die Materialien direkt beim BKMF zu bestellen, da sie<br />
dort auch ständig aktualisiert werden.<br />
84
Kl<strong>in</strong>efelter-Syndrom<br />
Das Kl<strong>in</strong>efelter-Syndrom (KS) ist e<strong>in</strong>e angeborene, numerische Chromosomenabweichung<br />
bei Männern/Jungen. Die Betroffenen haben e<strong>in</strong> zusätzliches<br />
X-Chromosom, so dass sich statt des regulären Chromosomensatzes<br />
46 XY <strong>der</strong> Satz 47 XXY ergibt.<br />
Etwa je<strong>der</strong> 500. Mann/Junge ist da<strong>von</strong> betroffen.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Die Ausprägung möglicher Symptome kann <strong>in</strong>dividuell<br />
sehr unterschiedlich se<strong>in</strong>. Oft s<strong>in</strong>d diese uncharakteristisch<br />
ausgeprägt, kommen teilweise nur vere<strong>in</strong>zelt zum<br />
Vorsche<strong>in</strong> – gelegentlich <strong>in</strong> Komb<strong>in</strong>ation mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong>.<br />
Körperliche Symptome s<strong>in</strong>d unterentwickelte Hoden<br />
mit <strong>der</strong> Folge e<strong>in</strong>er ger<strong>in</strong>gen Testosteronproduktion sowie<br />
meist Zeugungsunfähigkeit. Ab <strong>der</strong> Pubertät können<br />
bei e<strong>in</strong>getretenem Testosteronmangel Hochwuchs, lange<br />
Arme und Be<strong>in</strong>e, ger<strong>in</strong>ger Muskeltonus, Haltungs-/Rückenprobleme,<br />
e<strong>in</strong>e weibliche Brustentwicklung, e<strong>in</strong><br />
später Stimmbruch, e<strong>in</strong> spärlicher Bartwuchs sowie e<strong>in</strong>e<br />
ger<strong>in</strong>ge Körperbehaarung auftreten. Die Pubertät kann<br />
auch verzögert o<strong>der</strong> nur <strong>in</strong> abgeschwächter Form e<strong>in</strong>treten.<br />
Kognitive Symptome: Trotz allgeme<strong>in</strong> im Normbereich<br />
liegen<strong>der</strong> Intelligenz können bei ca. 70 Prozent <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
und Jugendlichen leichte, bei 3–5 Prozent schwerere<br />
Lernschwierigkeiten auftreten.<br />
Mögliche Auffälligkeiten:<br />
Konzentrationsmangel, Antriebsarmut, Motivationsprobleme,<br />
verm<strong>in</strong><strong>der</strong>ter Ehrgeiz, gedankliches Abdriften<br />
(Träumen), langsames Arbeitstempo, Motorikstörungen,<br />
Probleme beim Übertragen <strong>von</strong> Informationen aus dem<br />
Kurzzeit- <strong>in</strong> das Langzeitgedächtnis, ger<strong>in</strong>ge Frustrationstoleranz,<br />
erhöhte Sensibilität, Stimmungsschwankungen,<br />
Passivität, Kontaktarmut, verzögerte Sprachentwicklung,<br />
Legasthenie, Dyskalkulie.<br />
Positiv fallen folgende Merkmale auf: ausgeprägte Beobachtungsgabe,<br />
gute visuelle Merkfähigkeit, gutes Langzeitgedächtnis,<br />
stark ausgeprägtes Sozialverhalten (Hilfsbereitschaft),<br />
tiefgründiges Nachdenken und treffendes<br />
Erfassen komplexer Zusammenhänge.<br />
se Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Ursache: Verursacht wird das Kl<strong>in</strong>efelter-Syndrom durch<br />
e<strong>in</strong> zusätzliches X-Chromosom <strong>von</strong> Vater o<strong>der</strong> Mutter<br />
<strong>in</strong>folge zufälliger, ausbleiben<strong>der</strong> Trennung <strong>der</strong> Geschlechtschromosomen<br />
während <strong>der</strong> embryonalen Keimzellenentwicklung,<br />
entwe<strong>der</strong> <strong>in</strong> allen o<strong>der</strong> nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
bestimmten Teil <strong>der</strong> Körperzellen (Mosaikformen).<br />
Diagnose: Nur bei etwa 10–15 Prozent <strong>der</strong> 80.000 Betroffenen,<br />
die re<strong>in</strong> statistisch gesehen <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />
leben, wird das Kl<strong>in</strong>efelter-Syndrom im Laufe ihres Lebens<br />
auch tatsächlich diagnostiziert und therapiert – es<br />
gibt also e<strong>in</strong>e sehr hohe Dunkelziffer <strong>von</strong> Betroffenen,<br />
bei denen das Kl<strong>in</strong>efelter-Syndrom nicht diagnostiziert<br />
und therapiert wird. Durch die Pränataldiagnostik kommt<br />
es zunehmend zu e<strong>in</strong>er früheren Diagnosestellung. Die<br />
spätere Diagnose gestaltet sich noch immer schwierig.<br />
Die Symptome werden häufig mit AD(H)S, Faulheit o<strong>der</strong><br />
Erziehungsproblemen verwechselt. Vor Abschluss <strong>der</strong> Pubertät<br />
liegen die Testosteronwerte meist im Normbereich.<br />
E<strong>in</strong>e gesicherte Abklärung ist ausschließlich über e<strong>in</strong>e<br />
Chromosomenanalyse erreichbar.<br />
Prognose: Bei gut e<strong>in</strong>gestellter Testosterontherapie ist<br />
e<strong>in</strong>e normale Lebensführung möglich. Bei verspäteter<br />
o<strong>der</strong> ausbleiben<strong>der</strong> Behandlung besteht e<strong>in</strong> erhöhtes Risiko<br />
für Osteoporose, Diabetes mellitus, Herz-Kreislauf-<br />
Erkrankungen o<strong>der</strong> Skoliose.<br />
Behandlung<br />
Der genetische Code ist nicht bee<strong>in</strong>flussbar. E<strong>in</strong> reduzierter<br />
Hormonspiegel lässt sich ab dem Pubertätsalter durch<br />
regelmäßige Testosterongabe regulieren. Sofern im K<strong>in</strong>desbzw.<br />
Jugendalter partiell Sprach-, Motorik-, Lern- o<strong>der</strong><br />
Anpassungsprobleme auftreten, ist <strong>in</strong>dividuelle Unterstützung<br />
(Therapie/För<strong>der</strong>ung) hilfreich.<br />
85
Kl<strong>in</strong>efelter-Syndrom<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Da die <strong>in</strong>tellektuellen Fähigkeiten <strong>der</strong> vom Kl<strong>in</strong>efelter-<br />
Syndrom Betroffenen nicht bee<strong>in</strong>trächtigt s<strong>in</strong>d, können<br />
sie normal unterrichtet werden. Viele absolvieren<br />
den Schulbesuch weitgehend unauffällig und erfolgreich.<br />
Jedoch bleiben bei Häufung vorgenannter kognitiver<br />
Symptome e<strong>in</strong>ige KS-Jungen trotz guter Auffassungsgabe<br />
im Unterricht manchmal unter ihren tatsächlichen<br />
<strong>in</strong>tellektuellen Möglichkeiten. Dies zeigt sich<br />
häufig <strong>in</strong> den Lernfächern und bei den messbaren<br />
verbalen Kompetenzen. Ohne <strong>in</strong>dividuelle För<strong>der</strong>ung<br />
erreichen diese Jungen im ersten Bildungsweg<br />
oftmals e<strong>in</strong>en niedrigeren Abschluss als Eltern o<strong>der</strong><br />
Geschwister. Manchmal wird mehr Zeit für die schulische<br />
Entwicklung o<strong>der</strong> berufliche Bildung benötigt.<br />
Oft können im Grundschulalter aufgetretene Lücken<br />
im späteren Schulalter geschlossen werden. Nicht<br />
selten treten nach unauffälliger Grundschulzeit erst<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> späteren K<strong>in</strong>dheit bzw. mit zunehmen<strong>der</strong> Pubertät<br />
symptombed<strong>in</strong>gte Schwierigkeiten auf. Wenn<br />
e<strong>in</strong> För<strong>der</strong>bedarf besteht, sollte dieser auch <strong>in</strong> je<strong>der</strong><br />
weiterführenden Schulform berücksichtigt werden.<br />
Das Erlernen <strong>von</strong> Strategien (klare Strukturen, auf<br />
Wesentliches konzentrieren) ist wichtig, um den<br />
(Schul-)Alltag zu erleichtern. Wegen des langsamen<br />
Arbeitstempos wird bei Arbeiten nicht das gefor<strong>der</strong>te<br />
Pensum erreicht, obwohl <strong>der</strong> Unterrichtsstoff klar ist.<br />
Häufiges Wie<strong>der</strong>holen bereits verstandener Inhalte<br />
und Aufgaben wirkt oft demotivierend und sollte reduziert<br />
werden.<br />
Lehrer können neben För<strong>der</strong>unterricht zusätzlich<br />
Nachteilsausgleiche gewähren. Dies ist im Unterricht<br />
und bei den Hausaufgaben sowie speziell auch bei<br />
Tests und Prüfungen möglich. Im Folgenden e<strong>in</strong>ige<br />
Beispiele:<br />
1. Reduzierung <strong>der</strong> Aufgaben, Zeitverlängerung,<br />
Schaffung <strong>von</strong> E<strong>in</strong>zelsituationen<br />
2. verstärkte Unterstützung/Aufmerksamkeit des<br />
Lehrers bei E<strong>in</strong>tragung <strong>von</strong> Hausaufgaben, bei<br />
Gruppenarbeit, Wochenplanarbeit und Lernen<br />
unter Zeitdruck<br />
3. Hilfen beim planvoll strukturierten Herangehen<br />
an Aufgabenstellungen und bei selbstständigen<br />
Entscheidungen<br />
E<strong>in</strong>ige KS-Jungen reagieren auf abwertende Bemerkungen,<br />
Ablehnung o<strong>der</strong> Misserfolge mit Wutausbrüchen<br />
o<strong>der</strong> völligem Rückzug. Wenn sich <strong>der</strong><br />
Schüler nicht ausreichend motivieren kann, ist zeitweise<br />
e<strong>in</strong> Schulbegleiter sehr hilfreich. Ebenfalls hilfreich<br />
s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Unterstützung <strong>in</strong> Konfliktsituationen,<br />
e<strong>in</strong>e För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> sozialen Integration sowie e<strong>in</strong>e<br />
Verm<strong>in</strong><strong>der</strong>ung <strong>von</strong> Anpassungsproblemen und Lernrückständen.<br />
Sport/Werken: Aufgrund möglicher Muskelschwäche<br />
und ger<strong>in</strong>gerer Körperspannung haben e<strong>in</strong>ige Betroffene<br />
Nachteile bei grob- und fe<strong>in</strong>motorischen Tätigkeiten.<br />
Bei körperlicher Anstrengung fällt e<strong>in</strong> schneller<br />
Erschöpfungszustand auf (z. B. bei Geräteturnen,<br />
Kraft-/Ausdauersport). Dies ist selten mit vermehrtem<br />
Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g zu beheben. Dennoch ist Bewegung <strong>in</strong> geeigneter<br />
Form wichtig. Demotivierung durch schlechte<br />
Noten o<strong>der</strong> Spott sollte verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t werden. Manchmal<br />
ist die Teilnahme des Schülers an <strong>der</strong> Übung nach eigenem<br />
Ermessen o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Bewertungsbefreiung s<strong>in</strong>nvoll.<br />
Fazit: Lehrkräfte sollten e<strong>in</strong> vertrauliches Elterngespräch<br />
herbeiführen, auf die Möglichkeit „Kl<strong>in</strong>efelter-Syndrom“<br />
h<strong>in</strong>weisen und ärztliche Abklärung anregen. Nach e<strong>in</strong>er<br />
Diagnose ist Stigmatisierung zu vermeiden.<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
· Kurz<strong>in</strong>formation „Informationen für Lehrer und<br />
Erzieher“ <strong>der</strong> Deutschen Kl<strong>in</strong>efelter-Syndrom Vere<strong>in</strong>igung<br />
e. V. (DKSV) als Download verfügbar unter:<br />
www.xxy-<strong>in</strong>fo.de<br />
· Broschüre „Das Kl<strong>in</strong>efelter-Syndrom“ – bestellbar bei<br />
<strong>der</strong> Deutschen Kl<strong>in</strong>efelter-Syndrom Vere<strong>in</strong>igung e. V.<br />
(DKSV)<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Deutsche Kl<strong>in</strong>efelter-Syndrom Vere<strong>in</strong>igung e. V. (DKSV)<br />
www.kl<strong>in</strong>efelter.de<br />
86
Laktose<strong>in</strong>toleranz (Milchzuckerunverträglichkeit)<br />
Bei e<strong>in</strong>er Laktose<strong>in</strong>toleranz wird <strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Nahrung aufgenommene<br />
Milchzucker (Laktose) als Folge e<strong>in</strong>er fehlenden o<strong>der</strong> verm<strong>in</strong><strong>der</strong>ten Produktion<br />
des Verdauungsenzyms Laktase nicht verdaut. Laktase dient <strong>der</strong> Spaltung <strong>von</strong><br />
Laktose <strong>in</strong> die beiden E<strong>in</strong>fachzucker Glukose und Galaktose, die vom Körper<br />
verwertet bzw. dem Stoffwechsel zugeführt werden. Die Laktose<strong>in</strong>toleranz<br />
ist e<strong>in</strong>e mit Malabsorption (schlechter Aufnahme) <strong>von</strong> Laktose e<strong>in</strong>hergehende<br />
Erkrankung bzw. Unverträglichkeit. Sie ist entwe<strong>der</strong> genetisch bed<strong>in</strong>gt o<strong>der</strong><br />
beruht auf e<strong>in</strong>em funktionell verursachten Mangel an Laktase <strong>in</strong> <strong>der</strong> obersten<br />
Schicht <strong>der</strong> Dünndarmschleimhaut (Dünndarmepithel).<br />
Da die Schweregrade <strong>der</strong> Erkrankung da<strong>von</strong> abhängen, ob die Laktase völlig<br />
fehlt o<strong>der</strong> ob sie noch e<strong>in</strong>e Restfunktion wahrnimmt, s<strong>in</strong>d die Krankheitsbzw.<br />
Beschwerdebil<strong>der</strong> meist sehr unterschiedlich ausgeprägt.<br />
Achtung: E<strong>in</strong>e Laktose<strong>in</strong>toleranz ist nicht zu verwechseln<br />
mit e<strong>in</strong>er Kuhmilchallergie.<br />
Etwa 70 Prozent <strong>der</strong> Weltbevölkerung können Milchzucker<br />
nach dem Säugl<strong>in</strong>gsalter nicht mehr vollständig<br />
verwerten. Bei den meisten Menschen aus dem asiatischen<br />
Raum fehlt das Enzym zur Spaltung des Milchzuckers<br />
gänzlich, weshalb <strong>in</strong> diesen Regionen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Regel we<strong>der</strong> Milch- noch Käseprodukte verzehrt werden.<br />
In Mitteleuropa leiden ca. 10 bis 20 Prozent <strong>der</strong> Durchschnittsbevölkerung<br />
an e<strong>in</strong>er Laktose<strong>in</strong>toleranz.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Bei e<strong>in</strong>er Laktose<strong>in</strong>toleranz gelangen größere Mengen<br />
Milchzucker <strong>in</strong> den Dickdarm, die bei laktosetoleranten<br />
Personen bereits im Dünndarm verarbeitet werden. Im<br />
Dickdarm wird <strong>der</strong> Milchzucker dann <strong>von</strong> <strong>der</strong> Darmflora<br />
als Nährstoff vergoren. Dies verursacht vor allem Flatulenzen<br />
und Blähungen, Bauchdrücken und -krämpfe, Übelkeit,<br />
Erbrechen und häufig auch spontane Durchfälle. Die<br />
Symptome nehmen mit <strong>der</strong> Menge <strong>der</strong> konsumierten<br />
Laktose zu.<br />
Bei e<strong>in</strong>er angeborenen, absoluten Laktose<strong>in</strong>toleranz s<strong>in</strong>d<br />
die Symptome bedeutend schwerer als bei <strong>der</strong> „natürlichen“,<br />
mit dem Alter zunehmenden Form <strong>der</strong> Unverträglichkeit.<br />
Andauernde schwere Durchfälle können e<strong>in</strong>e Reizung<br />
<strong>der</strong> Darmschleimhaut verursachen und zu e<strong>in</strong>er Störung<br />
<strong>der</strong> Aufnahme <strong>von</strong> Vitam<strong>in</strong>en, M<strong>in</strong>eralstoffen und Spurenelementen<br />
führen. Langfristig kann e<strong>in</strong>e Schädigung des<br />
Dünndarms e<strong>in</strong>treten, wodurch sich auch die Aufnahme<br />
<strong>von</strong> Nährstoffen <strong>in</strong>sgesamt verm<strong>in</strong><strong>der</strong>n kann.<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Die fehlende bzw. unzureichende Produktion des Verdauungsenzyms<br />
Laktase ist für die Milchzuckerunverträglichkeit<br />
ursächlich. Dieses Enzym ist notwendig, um den<br />
Milchzucker <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Bestandteile Glukose und Galaktose<br />
zu spalten, die dann <strong>in</strong> das Blut aufgenommen werden<br />
können. Das Verdauungsenzym Laktase kommt <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Dünndarmschleimhaut vor. <strong>Wir</strong>d <strong>der</strong> Milchzucker nicht<br />
gespalten und gelangen größere Mengen <strong>in</strong> die unteren,<br />
mit Bakterien besiedelten Darmabschnitte, dient <strong>der</strong><br />
Milchzucker den Bakterien als Nährsubstrat. Es entstehen<br />
dann große Mengen an Gasen und organischen Säuren,<br />
die e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>strömen <strong>von</strong> Wasser und vermehrte Darmbewegungen<br />
bewirken.<br />
Der Laktasemangel kann verschiedene Ursachen haben:<br />
1. Angeborener Laktasemangel: Aufgrund e<strong>in</strong>es Gendefekts<br />
ist die Laktasebildung stark e<strong>in</strong>geschränkt, teilweise<br />
kann überhaupt ke<strong>in</strong> Enzym gebildet werden. In<br />
<strong>der</strong> Folge kann die Wachstums- und Entwicklungsphase<br />
nach <strong>der</strong> Geburt stark bee<strong>in</strong>trächtigt werden. Dieser Defekt<br />
ist jedoch sehr selten.<br />
2. Sekundäre Laktose<strong>in</strong>toleranz: Bakterielle o<strong>der</strong> chronische<br />
Erkrankungen des Verdauungssystems können die<br />
laktaseproduzierenden Zellen <strong>der</strong>art schädigen, dass vorübergehend<br />
die Laktaseproduktion bee<strong>in</strong>trächtigt ist.<br />
<strong>Wir</strong>d die ursächliche Erkrankung therapiert, kann <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Regel auch wie<strong>der</strong> Laktose vertragen werden.<br />
3. Physiologischer (natürlicher) Laktasemangel: Laktase<br />
wird bei allen Säugl<strong>in</strong>gen normalerweise <strong>in</strong> ausreichen<strong>der</strong><br />
Menge produziert. Nach dem Abstillen verr<strong>in</strong>gert sich die<br />
erzeugte Laktasemenge jedoch je nach Weltregion unterschiedlich.<br />
Grund für das Fortbestehen <strong>der</strong> Enzymproduk-<br />
87
Laktose<strong>in</strong>toleranz (Milchzuckerunverträglichkeit)<br />
tion im Erwachsenenalter bei nicht unter Laktasemangel<br />
leidenden Menschen ist e<strong>in</strong>e vererbte Mutation.<br />
Wegweisend für e<strong>in</strong>e Diagnose ist die genaue Anamnese.<br />
E<strong>in</strong> Ernährungstagebuch kann dabei sehr hilfreich se<strong>in</strong>.<br />
Als Diagnoseverfahren Nummer e<strong>in</strong>s wird <strong>der</strong> sogenannte<br />
„H 2 -Atemtest“ durchgeführt. Unter ärztlicher Aufsicht<br />
wird dabei e<strong>in</strong> Gemisch aus Wasser und Laktose getrunken<br />
und danach <strong>der</strong> Wasserstoffgehalt <strong>der</strong> ausgeatmeten<br />
Luft über e<strong>in</strong>en Zeitraum <strong>von</strong> rund zwei bis drei Stunden<br />
mithilfe e<strong>in</strong>es Atemgeräts gemessen. Der Arzt kann so<br />
feststellen, ob die typischen Darmgase entstehen und abgeatmet<br />
werden. Zusätzlich protokolliert <strong>der</strong> Arzt auftretende<br />
Beschwerden.<br />
E<strong>in</strong> Gentest kann lediglich über die im Lauf des Lebens<br />
auftretende M<strong>in</strong><strong>der</strong>leistung des laktosespaltenden Enzyms<br />
Auskunft geben. Aktuelle therapeutische H<strong>in</strong>weise<br />
können alle<strong>in</strong> aus dem Gentestergebnis nicht abgeleitet<br />
werden.<br />
Behandlung<br />
Die Behandlung <strong>der</strong> Laktose<strong>in</strong>toleranz besteht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
langfristigen Ernährungsumstellung. Nachdem durch e<strong>in</strong>e<br />
Ärzt<strong>in</strong>/e<strong>in</strong>en Arzt e<strong>in</strong>deutig festgestellt wurde, dass Milchzucker<br />
nicht vertragen wird, sollte <strong>in</strong> Kooperation mit e<strong>in</strong>er<br />
Ernährungsfachkraft e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuell abgestimmte Kost erarbeitet<br />
werden. Die Verträglichkeit <strong>von</strong> Laktose ist mengenabhängig<br />
und <strong>von</strong> Person zu Person unterschiedlich.<br />
Im Pr<strong>in</strong>zip sollten Menschen mit e<strong>in</strong>er Laktose<strong>in</strong>toleranz<br />
daher versuchen, den Konsum laktosehaltiger Lebensmittel<br />
e<strong>in</strong>zuschränken. Je nach Beschwerdebild und Vorlieben<br />
<strong>der</strong> täglichen Kostzusammenstellung muss die Diät<br />
strenger o<strong>der</strong> nicht so streng e<strong>in</strong>gestellt werden. Da allerd<strong>in</strong>gs<br />
sehr viele Lebensmittel (manchmal auch versteckte)<br />
Laktose enthalten, ist e<strong>in</strong>e solche laktosefreie Diät oftmals<br />
nicht so e<strong>in</strong>fach. Inzwischen s<strong>in</strong>d jedoch <strong>in</strong> fast allen<br />
Supermärkten laktosearme Produkte erhältlich.<br />
Durch die E<strong>in</strong>nahme <strong>von</strong> Laktasepräparaten <strong>in</strong> Form <strong>von</strong><br />
Kautabletten o<strong>der</strong> Kapseln können die Beschwerden ggf.<br />
gemil<strong>der</strong>t werden – e<strong>in</strong>e gänzliche Beschwerdefreiheit bewirken<br />
sie meistens jedoch nicht. Zudem gestaltet sich die<br />
Dosierung <strong>der</strong> Laktasepräparate schwierig, da <strong>der</strong> Laktosegehalt<br />
<strong>der</strong> Lebensmittel <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel nicht bekannt ist.<br />
Die Kalziumversorgung sollte bei Betroffenen, vor allem<br />
bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n, <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er Ernährungsfachkraft überprüft<br />
und an<strong>der</strong>weitig gewährleistet werden (z. B. durch Kalzium-Supplemente<br />
und/o<strong>der</strong> entsprechend angereicherte<br />
Lebensmittel). Es gibt Ernährungsalternativen <strong>in</strong> Form<br />
verschiedener Milchersatzgetränke, die teilweise auch mit<br />
zusätzlichen Vitam<strong>in</strong>en und Kalzium angereichert s<strong>in</strong>d.<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Folgende Lebensmittelgruppen enthalten Milchzucker<br />
<strong>in</strong> größerer Menge:<br />
· Milch/Milchprodukte<br />
· Brot/Backwaren<br />
· Süßwaren<br />
· Fleisch/Wurstwaren<br />
· Fertig(teil)gerichte/Instant-Erzeugnisse<br />
· Fertigsoßen und weitere ähnliche Produkte<br />
Lehrkräfte sollten darauf achten, dass betroffene<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> möglichst wenig bzw. ke<strong>in</strong>e Lebensmittel aus<br />
den o. g. Lebensmittelgruppen verzehren und die<br />
ggf. erfor<strong>der</strong>lichen Zusatzprodukte zu sich nehmen.<br />
Um e<strong>in</strong>em versehentlichen Verzehr vorzubeugen, ist<br />
auch <strong>der</strong> Kontakt mit den „kritischen“ Lebensmitteln<br />
zu meiden, z. B. beim Backen mit <strong>der</strong> Klasse.<br />
Die Unverträglichkeit muss bei Klassenfahrten berücksichtigt<br />
werden. Inzwischen bieten die meisten Schullandheime<br />
entsprechende Diäten an.<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
Der Deutsche Allergie- und Asthmabund e. V. (DAAB) bietet<br />
kostenlose Informationen und e<strong>in</strong>e Beratungshotl<strong>in</strong>e<br />
an: 02166 64788 88 (Mo–Do <strong>von</strong> 9:00 bis 12:00 Uhr)<br />
www.daab.de<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Deutscher Allergie- und Asthmabund e. V. (DAAB)<br />
www.daab.de<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.daab.de/ernaehrung/laktose-<strong>in</strong>toleranz<br />
· Bundesverband für Gesundheits<strong>in</strong>formation und Verbraucherschutz<br />
– Info Gesundheit e. V. (BGV):<br />
www.bgv-laktose.de<br />
88
Leukämie<br />
Griechisch: „Weißblütigkeit“ (<strong>in</strong>folge e<strong>in</strong>er Vermehrung <strong>der</strong> weißen Blutzellen)<br />
Jährlich erkranken <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> etwa 13–14 <strong>von</strong> 100.000 K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
vor dem 14. Lebensjahr an Krebs. Dies entspricht e<strong>in</strong>er Gesamtzahl <strong>von</strong> ca.<br />
1.700 Neuerkrankungen pro Jahr.<br />
Da Leukämien mit e<strong>in</strong>em Anteil <strong>von</strong> 35 Prozent die häufigsten bösartigen<br />
Erkrankungen im K<strong>in</strong>desalter s<strong>in</strong>d, beträgt die absolute Zahl <strong>von</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n mit<br />
<strong>der</strong> Neudiagnose Leukämie <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> etwa 600 pro Jahr.<br />
Im Gegensatz zu alten Menschen, bei denen chronische Leukämien dom<strong>in</strong>ieren,<br />
erkranken K<strong>in</strong><strong>der</strong> vorwiegend an akuten Leukämien.<br />
Die akute lymphatische Leukämie (ALL) ist viermal häufiger als die akute<br />
myeloische Leukämie (AML).<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
H<strong>in</strong>tergrund<br />
Blutzellen werden im Knochenmark gebildet, wo aus Blutstammzellen<br />
über mehrere Reifungsstufen Erythrozyten<br />
(rote Zellen), Leukozyten (weiße Zellen) und Thrombozyten<br />
(Ger<strong>in</strong>nungsplättchen) entstehen, die dann <strong>in</strong> das<br />
periphere Blut „entlassen“ werden. Leukämien s<strong>in</strong>d auf<br />
Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> frühen weißen Vorläuferzellen zurückzuführen.<br />
Dabei ist bei chronischen Leukämieformen nur<br />
die Vermehrung ansche<strong>in</strong>end normaler Zellen über Jahre<br />
nachweisbar, während sich bei akuten Formen unreife<br />
Zellformen stark vermehren, ohne auszureifen. Nach relativ<br />
kurzer Zeit fehlt also die normale Zellbildung und damit<br />
fehlen alle drei funktionierenden Blutzellgruppen, was<br />
auch die kl<strong>in</strong>ische Symptomatik <strong>der</strong> Leukämien erklärt.<br />
Symptome<br />
1. Blässe, Schwäche, Leistungsschwäche<br />
(Folge <strong>der</strong> Anämie = Blutarmut, Blutmangel)<br />
2. Petechien (stecknadelgroße Blutungen), blaue<br />
Flecken, Blutungsneigung (Folge <strong>der</strong> Verm<strong>in</strong><strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> Plättchen)<br />
3. Fieber, Anfälligkeit für Infektionen<br />
(ke<strong>in</strong>e funktionierenden Leukozyten)<br />
4. geschwollene Lymphknoten, Milz und Leber,<br />
Knochenschmerzen <strong>in</strong>folge <strong>der</strong> Organ<strong>in</strong>filtration<br />
durch (unreife) Leukämiezellen<br />
Leukämien werden nach akuten und chronischen Verlaufsformen<br />
sowie nach <strong>der</strong> Art <strong>der</strong> betroffenen Blutzellen<br />
klassifiziert. Die vier häufigsten Formen s<strong>in</strong>d:<br />
· Akute lymphatische Leukämie (ALL)<br />
· Akute myeloische Leukämie (AML)<br />
· Chronische lymphatische Leukämie (CLL)<br />
· Chronische myeloische Leukämie (CML)<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Ursache<br />
Ursachen für die Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> frühen weißen Vorläuferzellen<br />
s<strong>in</strong>d bisher nicht bekannt.<br />
Diagnose<br />
Die Leukämiezellen breiten sich im Knochenmark aus,<br />
s<strong>in</strong>d aber häufig auch im peripheren Blut zu f<strong>in</strong>den. Die<br />
Erkrankung kann meist schon anhand e<strong>in</strong>es Blutbildes<br />
diagnostiziert werden, doch wird zusätzlich e<strong>in</strong>e Knochenmarkpunktion<br />
aus dem Beckenkamm o<strong>der</strong> dem Brustbe<strong>in</strong><br />
entnommen. Die Punktion erfolgt ambulant unter lokaler<br />
Betäubung, bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n auch unter Vollnarkose. Darüber<br />
h<strong>in</strong>aus wird mittels Ultraschalluntersuchung nach e<strong>in</strong>er<br />
möglichen Infiltration weiterer Organe durch Leukämiezellen<br />
gesucht.<br />
Prognose<br />
Dank heutiger <strong>in</strong>tensiver Therapien beträgt die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />
e<strong>in</strong>es rezidivfreien (krankheitsfreien) Überlebens<br />
bei <strong>der</strong> ALL 81 Prozent und bei <strong>der</strong> AML deutlich mehr<br />
als 50 Prozent. Im E<strong>in</strong>zelfall hängen die Heilungschancen<br />
stark <strong>von</strong> <strong>der</strong> Leukämieuntergruppe und <strong>von</strong> Therapiee<strong>in</strong>zelheiten<br />
ab. Unbehandelt führen akute Leukämien<br />
immer <strong>in</strong>nerhalb weniger Wochen bis Monate zum Tod.<br />
Bei chronischen Leukämien gibt es e<strong>in</strong>e Vielzahl an stabilisierenden<br />
und symptoml<strong>in</strong><strong>der</strong>nden therapeutischen Verfahren<br />
<strong>in</strong> kl<strong>in</strong>ischer Anwendung. Ob e<strong>in</strong>e Heilung wie bisher<br />
nur durch e<strong>in</strong>e Knochenmarktransplantation erzielt<br />
werden kann, muss die Zukunft zeigen.<br />
89
Leukämie<br />
Behandlung<br />
Da Leukämien den gesamten Organismus betreffen, ist es<br />
nicht möglich, die Krankheit durch lokale Therapieformen<br />
(OP, Bestrahlung) wie bei e<strong>in</strong>em Tumor zu heilen. Die Behandlung<br />
ist immer e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>travenöse Chemotherapie mit<br />
zellwachstumshemmenden Medikamenten (Zytostatika).<br />
Da je<strong>der</strong> Mensch auf Zellvermehrung und Zellreifung angewiesen<br />
ist und die Medikamente ja nicht spezifisch für<br />
bösartige Zellen s<strong>in</strong>d, ist e<strong>in</strong>e <strong>der</strong>artige Therapie immer<br />
mit lebensgefährlichen Nebenwirkungen verbunden, die<br />
e<strong>in</strong>er Vorsorge o<strong>der</strong> Behandlung bedürfen. Die Behandlung<br />
wird nach Studienprotokollen <strong>in</strong> Zentren durchgeführt.<br />
Nach Ende <strong>der</strong> Behandlung darf nach den bisherigen<br />
Erfahrungen jahrelang ke<strong>in</strong> Rezidiv (Wie<strong>der</strong>kehr <strong>der</strong><br />
Erkrankung) auftreten, um statistisch <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er Heilung<br />
ausgehen zu können.<br />
Die Medikamente werden über Stunden o<strong>der</strong> Tage <strong>in</strong>travenös<br />
im Krankenhaus verabreicht, sodass sich stationäre<br />
und ambulante Behandlungsphasen abwechseln.<br />
In manchen Fällen ist zusätzlich e<strong>in</strong>e Bestrahlung des<br />
Schädels (ZNS) erfor<strong>der</strong>lich. Nur bei beson<strong>der</strong>s risikoreicher<br />
Erkrankung o<strong>der</strong> im Rezidivfall kann e<strong>in</strong>e Knochenmarktransplantation<br />
notwendig werden. Das ist ke<strong>in</strong>e<br />
Operation, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e hochdosierte Chemotherapie,<br />
die auch die eigenen Stammzellen und hoffentlich auch<br />
alle Leukämiezellen vernichtet, verbunden mit <strong>der</strong> Gabe<br />
<strong>von</strong> vorher gesammelten eigenen o<strong>der</strong> fremden (Spen<strong>der</strong>-)Blutstammzellen.<br />
Die Nebenwirkungen <strong>der</strong> Chemotherapie s<strong>in</strong>d Haarverlust,<br />
Übelkeit und Erbrechen, schmerzhafte entzündete<br />
Schleimhäute und Durchfälle. Bei <strong>der</strong> ALL kommt es <strong>in</strong>folge<br />
<strong>der</strong> Gabe <strong>von</strong> Kortison zur deutlichen Gewichtszunahme.<br />
Durch die Medikamente wird immer auch die normale<br />
Blutzellbildung gestört, sodass neben <strong>der</strong> Transfusion <strong>von</strong><br />
roten Blutzellen und Thrombozyten außerordentliche Infektionsgefahr<br />
aufgrund <strong>der</strong> niedrigen Zahl an weißen Blutzellen<br />
besteht. Fieber als sicheres Infektionszeichen erfor<strong>der</strong>t<br />
die sofortige Kl<strong>in</strong>ikvorstellung, auch nachts. Mögliche<br />
Infektionsquellen (K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten, Stadien, Konzerte) müssen<br />
gemieden werden, Immunität und Impfschutz s<strong>in</strong>d<br />
aufgehoben.<br />
eH<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Während <strong>der</strong> <strong>in</strong>tensiven mehrmonatigen Therapie<br />
ist <strong>der</strong> Schulbesuch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel nicht möglich.<br />
Während <strong>der</strong> Erhaltungstherapie sollten Betroffene<br />
durchaus die <strong>Schule</strong> besuchen. E<strong>in</strong> Schuljahr muss<br />
nicht zwangsläufig wie<strong>der</strong>holt werden. Dank Krankenhausschule,<br />
Hausunterricht und Unterstützung<br />
durch ihre Heimatschule können Betroffene <strong>in</strong> ihrer<br />
Klasse verbleiben. E<strong>in</strong> kont<strong>in</strong>uierlicher Unterricht im<br />
Krankenhaus wird dadurch erschwert, dass die K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
nicht dauerhaft <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kl<strong>in</strong>ik verweilen. Während<br />
<strong>der</strong> stationären Aufenthalte s<strong>in</strong>d die K<strong>in</strong><strong>der</strong> nur bed<strong>in</strong>gt<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage zu lernen. In Zeiten relativen Wohlbef<strong>in</strong>dens<br />
s<strong>in</strong>d sie zu Hause und haben Anspruch auf<br />
Hausunterricht. Beim Wie<strong>der</strong>e<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die Heimatschule<br />
bieten die externen Lehrkräfte ihre Unterstützung<br />
an. Der Unterricht während <strong>der</strong> Behandlung<br />
hat neben dem leistungsbezogenen e<strong>in</strong>en weiteren<br />
wichtigen Aspekt: Er bedeutet für die K<strong>in</strong><strong>der</strong> e<strong>in</strong><br />
Stück Normalität <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ansonsten gänzlich unnormalen<br />
Situation. Er bedeutet aber auch e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive<br />
Zuwendung seitens <strong>der</strong> Lehrkraft, meist im E<strong>in</strong>zelunterricht,<br />
und ihr kommt e<strong>in</strong>e wichtige Rolle im ganzheitlichen<br />
Behandlungskonzept zu.<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisationen<br />
Deutsche Leukämie-Forschungshilfe –<br />
Aktion für krebskranke K<strong>in</strong><strong>der</strong> e. V.<br />
(DLFH)<br />
www.k<strong>in</strong><strong>der</strong>krebsstiftung.de<br />
Dort s<strong>in</strong>d auch die Adressen<br />
<strong>der</strong> lokalen <strong>Selbsthilfe</strong>vere<strong>in</strong>e aufgeführt.<br />
Deutsche Leukämie- & Lymphom-Hilfe e. V. (DLH)<br />
www.leukaemie-hilfe.de<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
Die Deutsche K<strong>in</strong><strong>der</strong>krebsstiftung bietet verschiedene<br />
Broschüren und Informationsmaterialien zu allen Krebserkrankungen<br />
im K<strong>in</strong>des- und Jugendalter an. Weitere Informationen<br />
können zudem auf den folgenden Internetseiten<br />
aufgerufen werden.<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.k<strong>in</strong><strong>der</strong>krebs<strong>in</strong>fo.de<br />
· www.krebs<strong>in</strong>formationsdienst.de<br />
90
Lippen-Kiefer-Gaumenspalte<br />
In <strong>Deutschland</strong> kommen jährlich ca. 1.400 K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit e<strong>in</strong>er<br />
Lippen-Kiefer-Gaumenspalte (Cheilognathopalatoschisis) zur Welt.<br />
Jungen s<strong>in</strong>d an<strong>der</strong>thalb Mal öfter betroffen als Mädchen.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte ist die häufigste angeborene<br />
Fehlbildung im Mundbereich. Sie resultiert aus<br />
e<strong>in</strong>er fehlenden Schließung <strong>der</strong> sich im Mutterleib ausbildenden<br />
Gesichtsteile, sodass sichtbare Spalten bestehen<br />
bleiben. Sie können e<strong>in</strong>- o<strong>der</strong> beidseitig auftreten.<br />
Folgende Formen können auftreten:<br />
· Lippen-Kiefer-Gaumenspalte: Lippen,<br />
gesamter Kiefer und Gaumen<br />
· Lippen-Kiefer-Spalte: Lippe und Kiefer<br />
· Lippenspalte: nur Lippe<br />
· Gaumenspalte: nur Gaumen<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Die Ursachen für Lippen-Kiefer-Gaumenspalten s<strong>in</strong>d noch<br />
nicht vollständig geklärt. Angenommen wird e<strong>in</strong>e Komb<strong>in</strong>ation<br />
aus erblichen und äußeren Faktoren. Zu den äußeren<br />
Faktoren zählen u. a. Sauerstoffmangel während <strong>der</strong><br />
Embryonalentwicklung, Blutungen, Fieber o<strong>der</strong> Röteln <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Frühschwangerschaft, Umweltgifte wie ionisierende<br />
Strahlung o<strong>der</strong> Diox<strong>in</strong>.<br />
Die exakte Diagnose wird direkt nach <strong>der</strong> Geburt gestellt.<br />
Dazu zählen die sichtbaren Merkmale an Lippe, Kiefer,<br />
Gaumen. Um e<strong>in</strong>e unter <strong>der</strong> Schleimhaut gelegene (submuköse)<br />
Gaumenspalte zu diagnostizieren, wird <strong>der</strong><br />
Mundraum des Säugl<strong>in</strong>gs abgetastet. Es ist auch möglich,<br />
die Fehlbildung schon pränatal ab <strong>der</strong> 22. Schwangerschaftswoche<br />
<strong>in</strong> Ansätzen mit dem Ultraschallgerät zu<br />
diagnostizieren.<br />
Die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte ist e<strong>in</strong>e angeborene<br />
Fehlbildung, die behandelbar und nicht lebensbedrohlich<br />
ist. Mit therapeutischen Maßnahmen und e<strong>in</strong>er umfassenden<br />
Versorgung ist die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit sehr groß,<br />
dass nach operativen E<strong>in</strong>griffen nur kle<strong>in</strong>e Narben zurückbleiben.<br />
Ist die Fehlbildung sehr stark ausgeprägt<br />
o<strong>der</strong> unzureichend therapiert, können E<strong>in</strong>schränkungen<br />
bestehen bleiben, die als M<strong>in</strong><strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Erwerbsfähigkeit<br />
anerkannt werden können.<br />
Behandlung<br />
Das <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Behandlungsteam besteht aus Expert<strong>in</strong>nen<br />
und Experten <strong>der</strong> Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie,<br />
Kieferorthopädie, Sprachtherapie/Logopädie,<br />
Humangenetik, K<strong>in</strong><strong>der</strong>heilkunde, Psychologie.<br />
Direkt nach <strong>der</strong> Diagnose e<strong>in</strong>er Lippen-Kiefer-Gaumenspalte<br />
wird e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuelle „Gaumenplatte“ angepasst.<br />
Sie trennt die Mundhöhle vom Nasenraum und soll vor<br />
allem das Wachstum <strong>der</strong> Kieferteile lenken, <strong>der</strong> Zunge<br />
die richtige Position bieten und die Nasenatmung ermöglichen.<br />
Zwischen dem dritten und dem sechsten Monat<br />
wird mit dem operativen Verschließen <strong>der</strong> betroffenen<br />
Abschnitte im Mundbereich begonnen und das Hörvermögen<br />
überprüft. Die operativen Vorgehensweisen s<strong>in</strong>d<br />
variabel. Sowohl e<strong>in</strong>e Vorgehensweise <strong>von</strong> „außen nach<br />
<strong>in</strong>nen“ als auch <strong>in</strong> umgekehrter Reihenfolge ist möglich.<br />
Mit ca. dem zwölften Lebensmonat sollte die Erstbehandlung<br />
abgeschlossen se<strong>in</strong>, um die Sprachentwicklung nicht<br />
zu bee<strong>in</strong>trächtigen. Ab dem dritten Lebensjahr beg<strong>in</strong>nt<br />
e<strong>in</strong>e sprechför<strong>der</strong>nde Therapie beim Logopäden.<br />
Falls erfor<strong>der</strong>lich, sollten bis zur E<strong>in</strong>schulung weitere auffällige<br />
(sichtbar/hörbar) Defizite operativ korrigiert werden.<br />
Diese Maßnahmen dienen dazu, e<strong>in</strong>er Stigmatisierung<br />
(z. B. Hänseleien im K<strong>in</strong>desalter) vorzubeugen. Ab<br />
etwa dem zwölften Lebensjahr wird mit <strong>der</strong> kieferorthopädischen<br />
und kieferchirurgischen Korrektur <strong>der</strong> Zahnfehlstellung<br />
begonnen. Korrekturen <strong>der</strong> Nase (äußerlich<br />
und <strong>in</strong>nerlich) erfolgen gewöhnlich nach dem 15. Lebensjahr.<br />
91
Lippen-Kiefer-Gaumenspalte<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Lehrkräfte sollten darauf achten, dass betroffene K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
nicht stigmatisiert werden. E<strong>in</strong>e Aufklärung über<br />
die Thematik im Klassenverband kann dabei ggf. hilfreich<br />
se<strong>in</strong>. Tragfähige soziale Kontakte im Klassenverband<br />
lassen sich zum Informationsaustausch nutzen,<br />
z. B. bei krankheitsbed<strong>in</strong>gten Fehlzeiten, so dass<br />
<strong>der</strong> Anschluss an die Klasse möglichst gehalten werden<br />
kann. Zudem empfiehlt es sich, die Aussprache<br />
<strong>der</strong> betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong> beson<strong>der</strong>s sorgfältig zu beobachten,<br />
um ggf. e<strong>in</strong>e gezielte Sprechför<strong>der</strong>ung zu<br />
veranlassen. In <strong>der</strong> Literatur häufig verwendete Bezeichnungen<br />
aus dem Tierreich („Hasenscharte“,<br />
„Wolfsrachen“) s<strong>in</strong>d für betroffene Schüler<strong>in</strong>nen und<br />
Schüler im Unterricht sehr verletzend und bedürfen<br />
e<strong>in</strong>er Erklärung.<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>vere<strong>in</strong>igung für Lippen-Gaumen-<br />
Fehlbildungen e. V.<br />
Wolfgang Rosenthal Gesellschaft<br />
www.lkg-selbsthilfe.de<br />
Es handelt sich um e<strong>in</strong>e bundesweite <strong>Selbsthilfe</strong>organisation<br />
für Selbstbetroffene, Eltern betroffener K<strong>in</strong><strong>der</strong> (auch<br />
solcher mit „Pierre-Rob<strong>in</strong>-Sequenz“, e<strong>in</strong>er verwandten<br />
angeborenen Fehlbildung) und Fachleute. Angeboten<br />
werden Informationen, Beratung, Kontaktadressen, Informationsschriften,<br />
Fortbildungen, Sem<strong>in</strong>are und regionale<br />
Gruppentreffen.<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
· „Die Lippen-Gaumen-Fehlbildung –<br />
Informationsschrift für Pädagogen“<br />
Informationsbroschüre Heft 12<br />
erhältlich unter: www.lkg-selbsthilfe.de/ratgeber<br />
92
Marfan-Syndrom<br />
Das Marfan-Syndrom ist e<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>degewebserkrankung mit genetischer<br />
Ursache. Das B<strong>in</strong>degewebe ist schwächer ausgebildet und verursacht die<br />
Marfan-typischen Symptome. Das Marfan-Syndrom besteht <strong>in</strong> vielen<br />
verschiedenen Ausprägungen. Betroffen s<strong>in</strong>d neben <strong>der</strong> Hauptschlaga<strong>der</strong><br />
und den Herzklappen auch das Skelett, die Augen und die Haut.<br />
Die Krankheit tritt mit e<strong>in</strong>er Häufigkeit <strong>von</strong> etwa 1:5.000 bis 1:10.000 auf,<br />
daher s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> zwischen 8.000 und 16.000 Menschen betroffen.<br />
Das Marfan-Syndrom wird geschlechtsunabhängig mit e<strong>in</strong>er Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />
<strong>von</strong> 50 Prozent an die Nachkommen vererbt.<br />
Der Anteil nichtfamiliärer Genverän<strong>der</strong>ungen liegt bei 25 bis 30 Prozent.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Das B<strong>in</strong>degewebe ist fehlerhaft aufgebaut, daher s<strong>in</strong>d die<br />
Symptome vielseitig, jedoch nicht bei allen Betroffenen<br />
vorhanden:<br />
· nichtfamiliärer Großwuchs<br />
· lange, schmale Extremitäten<br />
· überstreckbare Gelenke<br />
· Knick- und Senkfüße<br />
· Trichter- o<strong>der</strong> Kielbrust<br />
· Verformung <strong>der</strong> <strong>Wir</strong>belsäule (z. B. Skoliose)<br />
· Herzklappendefekte<br />
· Erweiterungen an <strong>der</strong> Hauptschlaga<strong>der</strong><br />
(Aneurysmen)<br />
· schmaler Kiefer mit engstehenden Zähnen<br />
· Leistenbrüche<br />
· Augenerkrankungen (Netzhautablösungen, L<strong>in</strong>senverschiebungen,<br />
Kurzsichtigkeit)<br />
· Pneumothorax (plötzlicher Zusammenfall <strong>der</strong> Lunge)<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Das Marfan-Syndrom kann vererbt werden o<strong>der</strong> auch<br />
spontan entstehen. Dabei ist das Gen für Fibrill<strong>in</strong> (FBN1)<br />
verän<strong>der</strong>t.<br />
Das Marfan-Syndrom wird fachübergreifend diagnostiziert<br />
(Kardiologie, Radiologie, Orthopädie, Augenheilkunde).<br />
Um e<strong>in</strong>e Diagnose zu stellen, müssen viele krankheitstypische<br />
Kriterien erfüllt und m<strong>in</strong>destens zwei Organsysteme<br />
betroffen se<strong>in</strong>. Mittlerweile wurden Erkrankungen,<br />
die ursprünglich als Marfan-ähnliche Krankheiten<br />
galten, nach und nach genauer beschrieben und jeweils<br />
an<strong>der</strong>en genetischen Ursprüngen zugeordnet. Bei diesen<br />
Erkrankungen unterscheiden sich die Risikoprofile <strong>von</strong><br />
dem des Marfan-Syndroms (z. B. Loeys-Dietz-Syndrom).<br />
E<strong>in</strong>e Prognose zum Krankheitsverlauf kann nicht gestellt<br />
werden, denn auch <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Familie s<strong>in</strong>d die Ausprägungen<br />
unterschiedlich. Die Erkrankung ist behandelbar,<br />
aber nicht heilbar.<br />
Durch rechtzeitige Erkennung des Marfan-Syndroms und<br />
vorbeugende Maßnahmen kann die Entwicklung <strong>der</strong> lebensgefährlichen<br />
Komplikationen im Herz- und Gefäßsystem<br />
verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t o<strong>der</strong> verzögert werden. Deshalb ist die<br />
Lebenserwartung optimal betreuter Marfan-Patienten<br />
heute als nahezu normal anzusehen. Unbehandelt sterben<br />
die Betroffenen jedoch (statistisch gesehen) im dritten<br />
Lebensjahrzehnt.<br />
Behandlung<br />
Die größten Gefahren des Marfan-Syndroms liegen im<br />
Bereich Herz- und Gefäßsystem. In <strong>der</strong> Gefäßwand <strong>der</strong><br />
Hauptschlaga<strong>der</strong> (Aorta) können sich Aussackungen (Aneurysmen)<br />
und Risse bilden, was zum Platzen <strong>der</strong> Aorta<br />
führen kann. Verän<strong>der</strong>ungen an den Herzklappen<br />
s<strong>in</strong>d Ausgangspunkt für weitere Komplikationen wie<br />
z. B. Herz<strong>in</strong>suffizienz o<strong>der</strong> gefährliche Entzündungen<br />
<strong>der</strong> Herzklappen (Endokarditis). E<strong>in</strong>e heilende Therapie<br />
existiert nicht. Um e<strong>in</strong>e fortschreitende Erweiterung<br />
<strong>der</strong> Hauptschlaga<strong>der</strong> zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n, wird <strong>der</strong> Blutdruck<br />
mithilfe <strong>von</strong> Medikamenten gesenkt. Rechtzeitige herzund<br />
gefäßchirurgische E<strong>in</strong>griffe s<strong>in</strong>d <strong>von</strong> entscheiden<strong>der</strong><br />
Bedeutung. <strong>Deutschland</strong>weit gibt es e<strong>in</strong>ige Kl<strong>in</strong>iken,<br />
die e<strong>in</strong>e spezialisierte Marfan-Sprechstunde anbieten.<br />
Regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen s<strong>in</strong>d wichtig, um<br />
Verän<strong>der</strong>ungen frühzeitig festzustellen.<br />
93
Marfan-Syndrom<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Es spricht nichts gegen den Besuch e<strong>in</strong>er Regelschule.<br />
Tische und Stühle sollten <strong>der</strong> Körpergröße angepasst<br />
se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong> zweiter Schulbuchsatz ist s<strong>in</strong>nvoll, um<br />
körperliche Belastungen wie z. B. schweres Heben zu<br />
vermeiden. Die Teilnahme am Sportunterricht muss<br />
<strong>in</strong>dividuell mit dem zuständigen K<strong>in</strong><strong>der</strong>kardiologen<br />
abgeklärt werden. Auf Kontaktsportarten und Übungen,<br />
die bis zur Belastungsgrenze gehen, sollte verzichtet<br />
werden.<br />
Augenerkrankungen verursachen mitunter starke Sehprobleme.<br />
Darauf sollte Rücksicht genommen und<br />
gegebenenfalls mit Hilfsmitteln gearbeitet werden.<br />
Die meisten Marfan-Patient<strong>in</strong>nen und -Patienten<br />
nehmen Blutdrucksenker e<strong>in</strong>. Das kann zu Schw<strong>in</strong>del,<br />
Benommenheit und Müdigkeit führen. Es kann<br />
vorkommen, dass die betroffene Person abwesend<br />
wirkt und schnell erschöpft ist.<br />
Patient<strong>in</strong>nen und Patienten, die sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wachstumsphase<br />
bef<strong>in</strong>den, klagen oft über Schmerzen <strong>in</strong><br />
den Gelenken o<strong>der</strong> den Extremitäten.<br />
Spezielle Arztterm<strong>in</strong>e lassen sich nicht immer außerhalb<br />
<strong>der</strong> Schulzeit vere<strong>in</strong>baren, dadurch kann es zu<br />
Fehlzeiten kommen.<br />
E<strong>in</strong> regelmäßiger <strong>in</strong>tensiver Austausch mit den Eltern<br />
betroffener Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler ist wünschenswert.<br />
Der Ablauf bei e<strong>in</strong>em Notfall sollte besprochen<br />
werden.<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
Weitergehende Informationen erhalten Sie bei <strong>der</strong><br />
Marfan Hilfe (<strong>Deutschland</strong>) e. V. unter<br />
www.marfan.de.<br />
Dort kann auch Informationsmaterial angefor<strong>der</strong>t werden.<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Marfan Hilfe (<strong>Deutschland</strong>) e. V.<br />
www.marfan.de<br />
Weitere Internetadressen<br />
Forum <strong>der</strong> Marfan Hilfe (<strong>Deutschland</strong>) e. V., <strong>in</strong> dem sich<br />
Betroffene und Angehörige austauschen:<br />
www.marfan-hilfe.de<br />
94
Migräne<br />
Migräne kann die Lebensqualität <strong>der</strong> Betroffenen erheblich e<strong>in</strong>schränken.<br />
Schätzungsweise acht bis zehn Millionen Menschen leiden <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />
an Migräne. Bei ca. zehn Prozent <strong>der</strong> Betroffenen trat <strong>der</strong> erste Migräneanfall<br />
bereits im K<strong>in</strong>desalter auf. Bis zu fünf Prozent <strong>der</strong> Schulk<strong>in</strong><strong>der</strong> leiden<br />
regelmäßig unter Migräne. Die meisten Betroffenen erkranken jedoch im<br />
jungen Erwachsenenalter.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Migräne ist laut Def<strong>in</strong>ition e<strong>in</strong>e bestimmte Form <strong>von</strong> Kopfschmerzen.<br />
Als Migräne bezeichnet man anfallsartig auftretende,<br />
periodisch wie<strong>der</strong>kehrende, überwiegend e<strong>in</strong>seitige<br />
Kopfschmerzen, die oftmals mit Übelkeit und Erbrechen<br />
e<strong>in</strong>hergehen. Häufig treten diese Kopfschmerzen<br />
nach o<strong>der</strong> zusammen mit e<strong>in</strong>er sogenannten Aura lokaler<br />
neurologischer Symptome auf. Darunter versteht man verschiedene<br />
flüchtige Wahrnehmungen o<strong>der</strong> Empf<strong>in</strong>dungen,<br />
z. B.<br />
· Schw<strong>in</strong>del, Flimmern o<strong>der</strong> Schwarzwerden<br />
vor den Augen,<br />
· Geschmacks- o<strong>der</strong> Geruchsempf<strong>in</strong>dungen,<br />
· Lähmungsersche<strong>in</strong>ungen,<br />
· Sprachstörungen o<strong>der</strong> Geräuschwahrnehmungen, ohne<br />
dass e<strong>in</strong> entsprechen<strong>der</strong> äußerer Reiz vorhanden ist.<br />
E<strong>in</strong>e Migräneattacke verläuft <strong>in</strong> fünf Phasen.<br />
1. Vorphase (Prodromalphase): In <strong>der</strong> Vorphase kann<br />
sich e<strong>in</strong>e Migräne durch sogenannte „Plus-Faktoren“<br />
ankündigen: z. B. erhöhte Reizbarkeit, Anfälle <strong>von</strong> Heißhunger,<br />
Hyperaktivität und e<strong>in</strong>e Überempf<strong>in</strong>dlichkeit für<br />
S<strong>in</strong>nese<strong>in</strong>drücke. Ihnen stehen entsprechende „M<strong>in</strong>us-Faktoren“<br />
gegenüber, z. B. Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Verstopfung<br />
(Obstipation) und Übelkeit.<br />
2. Auraphase: Bei etwa zehn Prozent <strong>der</strong> Betroffenen treten<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Auraphase neurologische Symptome (zusammengefasst<br />
als Aura) <strong>in</strong> den Vor<strong>der</strong>grund. Es können visuelle<br />
Ausfallersche<strong>in</strong>ungen auftreten, wie z. B. bestimmte<br />
Sehstörungen, die etwa e<strong>in</strong>e Stunde lang anhalten. Dabei<br />
ist das Sehvermögen teilweise e<strong>in</strong>geschränkt.<br />
3. Kopfschmerzphase: Typische Kopfschmerzen (stechend,<br />
bohrend, pochend, krampfartig o<strong>der</strong> pulsierend) nehmen<br />
über Stunden meist langsam zu. Der Schmerz äußert sich<br />
<strong>in</strong>dividuell an verschiedenen Stellen, meist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stirn. Die<br />
Kopfschmerzphase bei Migräne geht häufig e<strong>in</strong>her mit<br />
Übelkeit, Erbrechen, Licht- und Lärmüberempf<strong>in</strong>dlichkeit<br />
sowie Schmerzzunahme bei Bewegung. Aufgrund dieser<br />
Begleitersche<strong>in</strong>ungen hilft es Betroffenen häufig, <strong>in</strong> abgedunkelten<br />
Räumen zur Ruhe zu kommen. Die Dauer <strong>der</strong><br />
Kopfschmerzphase liegt normalerweise zwischen vier<br />
und 72 Stunden.<br />
4. Rückbildungsphase: Die Symptome nehmen ab. Die<br />
Betroffenen s<strong>in</strong>d müde und abgespannt.<br />
5. Erholungsphase: Bis zur vollständigen Erholung <strong>von</strong><br />
<strong>der</strong> Migräneattacke können bis zu zwei Tage vergehen.<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Die genauen Migräneursachen s<strong>in</strong>d bislang nicht e<strong>in</strong>deutig<br />
geklärt und Gegenstand aktueller Forschung.<br />
E<strong>in</strong>e Störung des Seroton<strong>in</strong>gleichgewichts und an<strong>der</strong>er<br />
Botenstoffe wird <strong>der</strong> Entstehung <strong>der</strong> Migräne zugrunde<br />
gelegt. E<strong>in</strong>e Übererregbarkeit des Nervensystems sowie<br />
e<strong>in</strong> akuter Entzündungsprozess s<strong>in</strong>d bei e<strong>in</strong>em Migräneanfall<br />
<strong>von</strong> Bedeutung. Auch e<strong>in</strong>e verstärkte Gefäßerweiterung<br />
kann zum<strong>in</strong>dest an <strong>der</strong> Schmerzsymptomatik beteiligt<br />
se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>e familiäre Häufung deutet auf e<strong>in</strong>en genetischen<br />
E<strong>in</strong>fluss h<strong>in</strong>. Des Weiteren können allergische<br />
Geschehen (Lebensmittel), Genussmittel, Arzneimittel,<br />
Lebensgewohnheiten (Schlafmangel), hormonelle E<strong>in</strong>flüsse<br />
(Menstruation), akustische Reize (Lärm) und psychischer<br />
Stress maßgebliche Auslöser se<strong>in</strong>.<br />
Bei Verdacht auf Migräne stellt die Ärzt<strong>in</strong>/<strong>der</strong> Arzt die<br />
Diagnose anhand <strong>von</strong><br />
· Anamnese (Erhebung <strong>der</strong> Krankheitsgeschichte),<br />
· Beschreibung <strong>der</strong> Kopfschmerzattacke und<br />
· körperlich-neurologischen Untersuchungen.<br />
Um e<strong>in</strong>e genaue Diagnose stellen zu können, benötigt die<br />
Ärzt<strong>in</strong>/<strong>der</strong> Arzt e<strong>in</strong>e präzise Beschreibung <strong>der</strong> Beschwerden.<br />
E<strong>in</strong>e Checkliste mit notierten Symptomen und möglichen<br />
Fragen dient als gute Orientierung, um sich auf das<br />
Arztgespräch vorzubereiten. Bei Migräneverdacht zieht die<br />
Ärzt<strong>in</strong>/<strong>der</strong> Arzt außerdem körperlich-neurologische Untersuchungen<br />
heran, um die Diagnose zu sichern. Sie bzw. er<br />
kann die gestörten Erregungsabläufe im Gehirn mithilfe<br />
des Elektroenzephalogramms (EEG) nachweisen. Um die<br />
Durchblutung des Gehirns zu ermitteln, kann e<strong>in</strong>e sog.<br />
Ultraschall-Dopplersonografie durchgeführt werden.<br />
Menschen mit Migräne leiden oftmals über Jahre h<strong>in</strong>weg<br />
an dieser Krankheit, wobei <strong>der</strong> Alltag <strong>in</strong> starkem Maße<br />
<strong>von</strong> den Symptomen bee<strong>in</strong>trächtigt wird. Nicht zuletzt<br />
95
Migräne<br />
fühlen sich die Betroffenen durch die mit <strong>der</strong> Krankheit<br />
verbundenen Sorgen und Ängste <strong>in</strong> ihren Handlungsspielräumen<br />
e<strong>in</strong>geschränkt. Alle<strong>in</strong> die Angst vor e<strong>in</strong>er<br />
nächsten Migräneattacke verm<strong>in</strong><strong>der</strong>t ihre Lebensqualität<br />
drastisch. Betroffene meiden verschiedene Aktivitäten<br />
o<strong>der</strong> sagen sie ab, um auslösende Momente zu vermeiden.<br />
H<strong>in</strong>zu kommen die Begleitsymptome wie Licht- und<br />
Lärmempf<strong>in</strong>dlichkeit o<strong>der</strong> Übelkeit. Letztlich besteht bei<br />
e<strong>in</strong>er Migräne das größte Problem dar<strong>in</strong>, alltägliche Verpflichtungen<br />
und Beziehungen aufrechtzuerhalten.<br />
Mögliche Komplikationen im Verlauf e<strong>in</strong>er Migräne s<strong>in</strong>d<br />
<strong>der</strong> Status migraenosus und <strong>der</strong> migränöse Infarkt. Vom<br />
Status migraenosus spricht man, wenn trotz <strong>in</strong>tensiver<br />
Therapie e<strong>in</strong> Migräneanfall <strong>in</strong> den nächsten übergeht und<br />
länger als 72 Stunden andauert. Wegen des anhaltenden<br />
Erbrechens s<strong>in</strong>d die Betroffenen oft dehydriert („ausgetrocknet“)<br />
und kollabieren. Dann ist e<strong>in</strong> stationärer<br />
Aufenthalt notwendig. Der migränöse Infarkt ist durch<br />
Aura-Symptome gekennzeichnet, die sich nicht <strong>in</strong>nerhalb<br />
<strong>von</strong> sieben Tagen vollständig zurückbilden und/o<strong>der</strong> mit<br />
e<strong>in</strong>em Schlaganfall (ischämischen Insult) e<strong>in</strong>hergehen.<br />
Dabei spielen vor allem Nikot<strong>in</strong>konsum, die E<strong>in</strong>nahme <strong>der</strong><br />
„Pille“ und Übergewicht bei jungen Frauen e<strong>in</strong>e Rolle.<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Treten bei e<strong>in</strong>em K<strong>in</strong>d beson<strong>der</strong>s häufig Migräneattacken<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> auf, könnte es an se<strong>in</strong>em<br />
Sitzplatz möglicherweise ungünstigen wechselnden<br />
Lichtverhältnissen o<strong>der</strong> schlechter Luft ausgesetzt<br />
se<strong>in</strong>. Ggf. können auch kalte/feuchte Tücher (und <strong>in</strong><br />
Absprache mit den Eltern Medikamente) hilfreich se<strong>in</strong>.<br />
Ansonsten sollte bei <strong>der</strong> Migräne ebenso wie bei an<strong>der</strong>en<br />
chronischen Krankheiten agiert werden. Lehrkräfte<br />
sollten auf die K<strong>in</strong><strong>der</strong> e<strong>in</strong>gehen, sie allerd<strong>in</strong>gs<br />
nicht „an<strong>der</strong>s“ als gesunde K<strong>in</strong><strong>der</strong> behandeln.Wichtig<br />
ist es, die Erkrankung bei <strong>der</strong> Leistungsbewertung<br />
zu berücksichtigen, e<strong>in</strong>en engen Kontakt mit den Eltern<br />
zu pflegen und ggf. die Migräne (mit E<strong>in</strong>verständnis<br />
<strong>der</strong> Betroffenen und ihrer Eltern) im Klassenverband<br />
zu thematisieren. Bei e<strong>in</strong>er Attacke sollten die Lehrkräfte<br />
die Eltern <strong>in</strong>formieren und das K<strong>in</strong>d abholen lassen.<br />
Klassenfahrten sollten immer <strong>in</strong> enger Absprache mit<br />
den Eltern stattf<strong>in</strong>den. Vor Ort s<strong>in</strong>d Migräne auslösende<br />
Situationen (siehe oben) zu vermeiden und entsprechende<br />
Medikamente unbed<strong>in</strong>gt mitzunehmen.<br />
Behandlung<br />
Besteht e<strong>in</strong>e Migräne über Jahre, ist e<strong>in</strong> Therapieerfolg<br />
meist nicht <strong>in</strong> kurzer Zeit zu verzeichnen. Langfristig<br />
verspricht e<strong>in</strong>e Komb<strong>in</strong>ation <strong>von</strong> medikamentösen und<br />
nichtmedikamentösen Maßnahmen am ehesten Erfolg.<br />
Die Art <strong>der</strong> Therapie richtet sich nach dem Ausmaß <strong>der</strong><br />
Migräne; e<strong>in</strong>e vollständige Heilung ist aber nicht möglich.<br />
Bei <strong>der</strong> Migränetherapie geht es letztlich darum, die Symptome<br />
zu l<strong>in</strong><strong>der</strong>n.<br />
Bei e<strong>in</strong>er Migräneattacke helfen kalte Kompressen (z. B.<br />
e<strong>in</strong>e Migränebrille), e<strong>in</strong> erholsamer Schlaf sowie <strong>der</strong> Rückzug<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en abgedunkelten, ruhigen Raum, um optische<br />
o<strong>der</strong> akustische Reize weitestgehend auszuschließen.<br />
Langfristig kann man versuchen, die Triggerfaktoren zu<br />
bee<strong>in</strong>flussen. Dazu gehören e<strong>in</strong> Verzicht auf bestimmte<br />
Nahrungs- und Genussmittel wie z. B. Käse, Schokolade,<br />
Alkohol und Glutamat ebenso wie e<strong>in</strong> regelmäßiger<br />
Schlaf-Wach-Rhythmus sowie das Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g bestimmter<br />
Methoden zur Stressbewältigung.<br />
E<strong>in</strong>e Selbstmedikation empfiehlt sich bei leichter bis mittelschwerer<br />
Migräne. Treten Migränekopfschmerzen auf,<br />
kann zunächst e<strong>in</strong> sogenanntes Antiemetikum die Begleitsymptome<br />
(z. B. Übelkeit) bessern. Dieses bewirkt auch,<br />
dass die Analgetika, also die eigentlichen Schmerzmittel,<br />
besser vom Körper aufgenommen werden und ihre <strong>Wir</strong>kung<br />
entfalten können. Zum e<strong>in</strong>en aktivieren Antiemetika<br />
die Darmbewegung, zum an<strong>der</strong>en verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n sie das<br />
Erbrechen <strong>der</strong> Schmerzmittel (Acetylsalicylsäure, Paracetamol,<br />
Ibuprofen), die 15 bis 20 M<strong>in</strong>uten nach <strong>der</strong> Antiemetikum-E<strong>in</strong>nahme<br />
verabreicht werden können.<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
· „Kopfschmerz-<strong>Schule</strong>“ – e<strong>in</strong> Projekt <strong>der</strong> Schmerzkl<strong>in</strong>ik<br />
Kiel: www.kopfschmerz-schule.de<br />
· Fachartikel „Kopfschmerzen bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n“ <strong>von</strong> Dr. Raymund<br />
Pothmann (Zentrum für K<strong>in</strong><strong>der</strong>schmerztherapie,<br />
Hamburg): www.migraeneliga.de/migraene-und-kopfschmerz/neuigkeiten/461-kopfschmerzen-bei-k<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
· Artikel „Schon früh lernen, mit <strong>der</strong> Krankheit umzugehen“<br />
(migräne magaz<strong>in</strong> Heft 68): www.migraeneliga.<br />
de/migraene-und-kopfschmerz/neuigkeiten/404-<br />
schon-frueh-lernen-mit-<strong>der</strong>-krankheit-umzugehen<br />
· Broschüre „Kopfschmerzen und Migräne bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
und Jugendlichen <strong>in</strong> Frage und Antwort“ <strong>von</strong> Dr.<br />
Raymund Pothmann (Zentrum für K<strong>in</strong><strong>der</strong>schmerztherapie,<br />
Hamburg), erhältlich bei <strong>der</strong> MigräneLiga e. V.<br />
<strong>Deutschland</strong> unter logistik@migraeneliga.de<br />
· Animationsfilm für Jugendliche „Den Schmerz verstehen<br />
– und was zu tun ist <strong>in</strong> 10 M<strong>in</strong>uten!“ vom<br />
Deutschen K<strong>in</strong><strong>der</strong>schmerzzentrum: www.deutschesk<strong>in</strong><strong>der</strong>schmerzzentrum.de/jugendliche/video-denschmerz-verstehen<br />
n<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
MigräneLiga e. V.<br />
<strong>Deutschland</strong><br />
www.migraeneliga.de<br />
96
Morbus Crohn/Colitis ulcerosa<br />
Zu den häufigsten chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED)<br />
gehören Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Sie s<strong>in</strong>d nicht heilbar und<br />
können <strong>in</strong> jedem Alter auftreten; meistens liegt <strong>der</strong> Beg<strong>in</strong>n aber <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Alter zwischen 20 und 40 Jahren. Wichtig ist, dass es sich nicht um<br />
Infektionskrankheiten handelt, also ke<strong>in</strong>e Ansteckungsgefahr besteht.<br />
Die Inzidenz (jährliche Neuerkrankungsrate) für Morbus Crohn liegt bei<br />
etwa 5:100.000.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Morbus Crohn ist e<strong>in</strong>e geschwürige, chronische Entzündung<br />
des Verdauungstrakts. Bei den meisten Patienten<br />
ist <strong>der</strong> letzte Abschnitt des Dünndarms betroffen. Colitis<br />
ulcerosa ist e<strong>in</strong>e geschwürige, chronische Entzündung<br />
des Dickdarms, die <strong>in</strong> Afternähe beg<strong>in</strong>nt und sich unterschiedlich<br />
weit im Dickdarm ausbreiten kann.<br />
Beschwerden<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche mit e<strong>in</strong>er CED leiden oft unter<br />
Bauchschmerzen, die verschieden stark ausgeprägt s<strong>in</strong>d<br />
(bis zu schweren Krämpfen) und unterschiedlich lange<br />
anhalten. Außerdem kommt es immer wie<strong>der</strong> zu teils<br />
starkem Stuhldrang und Durchfall. Der Stuhldrang kann<br />
so stark se<strong>in</strong>, dass er willentlich nicht unterdrückbar ist<br />
(imperativ). Je nach Ausprägung <strong>der</strong> Beschwerden s<strong>in</strong>d<br />
die Betroffenen erheblich <strong>in</strong> ihrem Wohlbef<strong>in</strong>den, ihrer<br />
Leistungsfähigkeit und Konzentration e<strong>in</strong>geschränkt.<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Die Ursachen für die CED s<strong>in</strong>d bislang unklar. Bekannt ist,<br />
dass genetische, kulturelle und mikrobiologische Faktoren<br />
e<strong>in</strong>e Rolle spielen.<br />
Heute gibt es viele Untersuchungsmethoden, die geme<strong>in</strong>sam<br />
meist e<strong>in</strong>e sichere Diagnose ermöglichen. Dazu zählen<br />
neben <strong>der</strong> Darmspiegelung (Koloskopie) auch Laboruntersuchungen,<br />
Röntgenbil<strong>der</strong> und Ultraschalluntersuchungen<br />
(Sonografie). Der Krankheitsverlauf ist <strong>in</strong>dividuell<br />
unterschiedlich. Die Erkrankung verläuft <strong>in</strong> verschiedenen<br />
Phasen. Es gibt Phasen, <strong>in</strong> denen die Entzündung im<br />
Darm stark zunimmt (entzündlicher Schub), und Phasen,<br />
<strong>in</strong> denen fast ke<strong>in</strong>e Entzündungsaktivität nachweisbar ist<br />
(Ruhephase o<strong>der</strong> Remissionsphase). Im Schub haben die<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen starke Beschwerden, die sie im<br />
Alltag schwer bee<strong>in</strong>trächtigen können. Aber auch <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Ruhephase können Beschwerden auftreten, d. h.,<br />
manche K<strong>in</strong><strong>der</strong> s<strong>in</strong>d nie ganz beschwerdefrei.<br />
Bei <strong>der</strong> CED s<strong>in</strong>d häufig auch an<strong>der</strong>e Organe <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er<br />
Entzündung betroffen. Es bestehen z. B. Gelenkentzündungen,<br />
Augen- und Hauterkrankungen. Weitere negative<br />
Auswirkung <strong>der</strong> CED können Osteoporose (Knochenschwund),<br />
Wachstums- und Pubertätsverzögerungen,<br />
Gewichtsverlust, Fieber, Müdigkeit, Blässe und Erschöpfung<br />
se<strong>in</strong>. All dies kann e<strong>in</strong>e erhebliche psychische Belastung<br />
für die K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen darstellen.<br />
Behandlung<br />
Die Therapie <strong>der</strong> CED ist vielschichtig und komplex. Es<br />
gibt e<strong>in</strong>e Vielzahl <strong>von</strong> Medikamenten aus unterschiedlichen<br />
<strong>Wir</strong>kstoffgruppen. Viele <strong>der</strong> betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
und Jugendlichen müssen über Monate o<strong>der</strong> Jahre zahlreiche<br />
Medikamente e<strong>in</strong>nehmen. Alle diese Medikamente<br />
haben neben erwünschten <strong>Wir</strong>kungen auch unerwünschte<br />
Nebenwirkungen, unter denen die jungen Patienten<br />
leiden. Dazu zählen z. B. Stimmungsschwankungen, das<br />
„Vollmondgesicht“(Cush<strong>in</strong>g-Syndrom) und die Gewichtszunahme<br />
durch Kortisonpräparate sowie Infektanfälligkeit<br />
und Hautprobleme.<br />
Bei Morbus Crohn wird unter Umständen e<strong>in</strong>e sogenannte<br />
Ernährungstherapie durchgeführt. Dies bedeutet, dass<br />
Nahrungsmittel vollständig durch e<strong>in</strong>e spezielle Tr<strong>in</strong>knahrung<br />
ersetzt werden, die <strong>von</strong> den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n getrunken o<strong>der</strong><br />
aber ihnen über e<strong>in</strong>e Sonde zugeführt wird.<br />
Im Rahmen <strong>der</strong> Behandlung müssen sich die K<strong>in</strong><strong>der</strong> und<br />
Jugendlichen mit CED zu regelmäßigen Kontrollen und<br />
Untersuchungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Fachambulanz für CED e<strong>in</strong>er<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>- und Jugendkl<strong>in</strong>ik vorstellen. Dies erfolgt im Schub<br />
häufiger und meist am Vormittag. Dadurch entstehen<br />
Fehlzeiten <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>.<br />
97
Morbus Crohn/Colitis ulcerosa<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Nicht nur bei akuten Schüben, son<strong>der</strong>n auch <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Remissionsphase kommt es immer wie<strong>der</strong> zu<br />
Bauchschmerzen bzw. zu Durchfällen. Es s<strong>in</strong>d dann<br />
Antriebslosigkeit, Müdigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten<br />
und Leistungsabfall zu beobachten. Grundsätzlich<br />
wollen die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler ganz<br />
normal am Schulalltag teilnehmen, sie leiden aber<br />
nicht nur unter ihren Beschwerden, son<strong>der</strong>n auch<br />
daran, dass ihre Symptome – z. B. imperativer Stuhldrang<br />
– nicht ernst genommen o<strong>der</strong> als Ausrede<br />
abgetan werden. Viele fürchten auch, z. B. wegen<br />
<strong>der</strong> Therapienebenwirkungen gehänselt o<strong>der</strong> ausgeschlossen<br />
zu werden. Daher s<strong>in</strong>d tragfähige soziale<br />
Kontakte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Klassengeme<strong>in</strong>schaft beson<strong>der</strong>s wichtig<br />
für die Betroffenen. Auf dieser Basis kann auch<br />
e<strong>in</strong> Informationsaustausch bei krankheitsbed<strong>in</strong>gten<br />
Fehlzeiten angeregt und umgesetzt werden.<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Deutsche Morbus Crohn/Colitis ulcerosa<br />
Vere<strong>in</strong>igung e. V. (DCCV)<br />
www.dccv.de<br />
Weitere Internetadressen<br />
Internetseite für K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche <strong>der</strong> Deutschen<br />
Morbus Crohn/Colitis ulcerosa Vere<strong>in</strong>igung e. V. (DCCV):<br />
www.ced-kids.de<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
· „DCCV-Infoblatt: Informationen für Lehrer<strong>in</strong>nen und<br />
Lehrer“ <strong>der</strong> Deutschen Morbus Crohn/Colitis ulcerosa<br />
Vere<strong>in</strong>igung e. V. (DCCV), kostenlos zu beziehen unter:<br />
www.dccv.de/die-dccv/shop<br />
· Broschüre „Chronische Erkrankungen im K<strong>in</strong>desalter.<br />
E<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Thema <strong>von</strong> Elternhaus, K<strong>in</strong><strong>der</strong>tagesstätte<br />
und <strong>Schule</strong>“ <strong>der</strong> Bundeszentrale für gesundheitliche<br />
Aufklärung (BZgA), erhältlich unter:<br />
www.bzga.de/<strong>in</strong>fomaterialien/k<strong>in</strong><strong>der</strong>-und-jugendgesundheit/chronische-erkrankungen-im-k<strong>in</strong>desalter<br />
Quellen: Hoffmann, R., Kroesen, A. J. & Klump, B. (2009). Chronisch entzündliche Darmerkrankungen. Thieme: Stuttgart<br />
„DCCV-Infoblatt: Informationen für Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer“ <strong>der</strong> Deutschen Morbus Crohn/Colitis ulcerosa Vere<strong>in</strong>igung e. V. (DCCV), unter: www.dccv.de/die-dccv/shop<br />
98
Mukoviszidose (Cystische Fibrose)<br />
Mukoviszidose ist die häufigste angeborene Stoffwechselerkrankung <strong>in</strong><br />
Europa.<br />
In <strong>Deutschland</strong> s<strong>in</strong>d rund 8.000 Menschen betroffen. Es handelt sich um<br />
e<strong>in</strong>e chronische Erkrankung, d. h., sie bleibt das ganze Leben lang bestehen.<br />
Meist stehen Probleme mit <strong>der</strong> Lunge und <strong>der</strong> Verdauung im Vor<strong>der</strong>grund,<br />
aber auch an<strong>der</strong>e Organe können betroffen se<strong>in</strong>.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Die Krankheitsverläufe und Krankheitszeichen können <strong>in</strong>dividuell<br />
sehr unterschiedlich se<strong>in</strong> und lassen sich nicht<br />
vorhersagen.<br />
Typische Krankheitszeichen können se<strong>in</strong>:<br />
· chronischer Husten, wie<strong>der</strong>holte Lungenentzündungen<br />
· aufgrund e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>geschränkten Funktionsfähigkeit<br />
<strong>der</strong> Bauchspeicheldrüse (Pankreas<strong>in</strong>suffizienz):<br />
Verdauungsstörungen mit Bauchschmerzen, Untergewicht,<br />
verzögerte körperliche Entwicklung, Vitam<strong>in</strong>mangelersche<strong>in</strong>ungen<br />
· Entzündungen <strong>der</strong> Nasennebenhöhlen, Polypen<br />
· erhöhter Salzgehalt im Schweiß, daher Salzverlust<br />
möglich bei hohen Temperaturen und körperlicher<br />
Betätigung<br />
· Folgeerkrankungen wie z. B. Diabetes, Osteoporose,<br />
Lebererkrankung<br />
Behandlung<br />
Da es sich um e<strong>in</strong>e seltene und viele Organe betreffende<br />
Erkrankung handelt, ist e<strong>in</strong>e regelmäßige ambulante Behandlung<br />
<strong>von</strong> Mukoviszidose-Patient<strong>in</strong>nen und -Patienten<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er auf Mukoviszidose spezialisierten E<strong>in</strong>richtung ratsam.<br />
Die Behandlung sollte so früh wie möglich beg<strong>in</strong>nen,<br />
um dem Fortschreiten <strong>der</strong> Erkrankung entgegenwirken zu<br />
können. Die Basis für die Behandlung bilden die täglich<br />
mehrfache Inhalation, Medikamente (Tabletten, aber auch<br />
<strong>in</strong>travenöse Therapien im Krankenhaus) und Physiotherapie.<br />
E<strong>in</strong>e sportliche Aktivität ist ausdrücklich erwünscht<br />
und stabilisiert den Krankheitsverlauf. E<strong>in</strong>e konsequente<br />
Durchführung aller Therapien verzögert das Fortschreiten<br />
<strong>der</strong> Erkrankung. Im späteren Verlauf kann es bei<br />
Mukoviszidose-Patient<strong>in</strong>nen und -Patienten dennoch zu<br />
Folgeersche<strong>in</strong>ungen <strong>in</strong>kl. <strong>der</strong> Notwendigkeit e<strong>in</strong>er Transplantation<br />
<strong>der</strong> Lungen kommen.<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Mukoviszidose ist e<strong>in</strong>e angeborene Erkrankung und nicht<br />
ansteckend. Bei Menschen mit Mukoviszidose produzieren<br />
alle Drüsenzellen aufgrund e<strong>in</strong>es fehlerhaften Salztransports<br />
Sekrete, die zu e<strong>in</strong>er verän<strong>der</strong>ten Schleimzusammensetzung<br />
mit erhöhter Zähflüssigkeit führen. Dies<br />
erleichtert e<strong>in</strong>e Besiedelung durch Keime und führt zur<br />
Verstopfung <strong>von</strong> Drüsengängen, wodurch die Organfunktionen<br />
z. B. <strong>der</strong> Atemwege und <strong>der</strong> Verdauungsorgane<br />
bee<strong>in</strong>trächtigt werden.<br />
Bei e<strong>in</strong>em Verdacht auf Mukoviszidose kann die Diagnose<br />
über den sogenannten Schweißtest gestellt werden.<br />
E<strong>in</strong> Schweißtest sollte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er auf Mukoviszidose spezialisierten<br />
E<strong>in</strong>richtung durchgeführt werden, weil dies dort<br />
leitl<strong>in</strong>iengerecht und qualitätsgesichert geschieht und <strong>von</strong><br />
Anfang an e<strong>in</strong>e umfassende Beratung zur Erkrankung<br />
stattf<strong>in</strong>den kann. Dort werden dann ggf. auch noch weitere<br />
Untersuchungen, z. B. e<strong>in</strong> genetischer Test, durchgeführt.<br />
Heute können Mukoviszidose-Patient<strong>in</strong>nen und -Patienten<br />
bei optimaler Betreuung durchschnittlich 40 Jahre alt werden.<br />
Der Krankheitsverlauf ist jedoch sehr variabel und<br />
<strong>von</strong> vielen Faktoren abhängig.<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Erfahrungen mit vielen betroffenen Schüler<strong>in</strong>nen<br />
und Schülern zeigen, dass e<strong>in</strong> adäquater Umgang<br />
mit <strong>der</strong> Erkrankung Mukoviszidose für die <strong>Schule</strong>n <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Regel gut möglich ist.<br />
Der Tagesablauf <strong>der</strong> Betroffenen ist – vor allem morgens<br />
und abends – <strong>von</strong> zeitaufwendigen Therapien<br />
geprägt, die <strong>in</strong> Abhängigkeit <strong>von</strong> <strong>der</strong> Schwere <strong>der</strong> Erkrankung<br />
variieren, sodass die Zeit für <strong>Schule</strong>, Freizeit<br />
und Schlaf e<strong>in</strong>geschränkt se<strong>in</strong> kann.<br />
Die körperliche Leistungsfähigkeit kann u. a. wegen<br />
häufiger Infektionen und hohen Energieverbrauchs<br />
stark e<strong>in</strong>geschränkt se<strong>in</strong>. Bei e<strong>in</strong>em deutlich wahrnehmbaren<br />
Leistungsabfall und Konzentrationsschwäche<br />
genügen Ruhepausen und frische Luft meistens als<br />
erste Maßnahmen. Stärkerer Leistungsabfall sollte<br />
den Eltern rückgemeldet werden.<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler mit Mukoviszidose können<br />
viel husten, <strong>der</strong> Husten ist aber nicht ansteckend!<br />
Mitschüler<strong>in</strong>nen und Mitschüler s<strong>in</strong>d also nicht<br />
gefährdet.<br />
w<br />
99
Mukoviszidose (Cystische Fibrose)<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Aufgrund <strong>der</strong> e<strong>in</strong>geschränkten Funktionsfähigkeit <strong>der</strong><br />
Bauchspeicheldrüse müssen Betroffene zu jedem fetthaltigen<br />
Essen Enzyme <strong>in</strong> Form <strong>von</strong> Kapseln e<strong>in</strong>nehmen.<br />
Wenn betroffene Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler die<br />
E<strong>in</strong>nahme noch nicht alle<strong>in</strong> bewerkstelligen können,<br />
muss dies für den schulischen Alltag organisiert werden.<br />
Da manche K<strong>in</strong><strong>der</strong> aus Scham ihre Enzymkapseln<br />
nicht vor Mitschüler<strong>in</strong>nen und Mitschülern e<strong>in</strong>nehmen<br />
möchten, kann e<strong>in</strong>e Hilfestellung durch die betreuenden<br />
Lehrkräfte s<strong>in</strong>nvoll se<strong>in</strong>.<br />
Da sowohl <strong>in</strong> <strong>der</strong> warmen Jahreszeit als auch bei trockener<br />
Raumluft während <strong>der</strong> Heizperiode e<strong>in</strong> höherer<br />
Flüssigkeitsbedarf besteht, sollten betroffene Schüler<strong>in</strong>nen<br />
und Schüler ohne beson<strong>der</strong>e Erlaubnis auch <strong>in</strong><br />
den Schulstunden Getränke zu sich nehmen können.<br />
Wegen ihrer Verdauungsstörungen können betroffene<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler zudem gezwungen se<strong>in</strong>, öfter<br />
die Toilette aufzusuchen. Dies sollte ohne Meldung<br />
gestattet se<strong>in</strong>.<br />
Für Betroffene, denen es gut geht, s<strong>in</strong>d sportliche Angebote<br />
mit Motivation zur Bewegung o<strong>der</strong> musikalische<br />
För<strong>der</strong>ung, vor allem durch Blas<strong>in</strong>strumente,<br />
s<strong>in</strong>nvoll (z. B. Sport-AG, Schulorchester).<br />
Bei manchen Eltern besteht die berechtigte Sorge, dass<br />
sich ihr K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> mit e<strong>in</strong>em Keim (Pseudomonas<br />
aerug<strong>in</strong>osa) ansteckt, <strong>der</strong> für die <strong>von</strong> Mukoviszidose<br />
betroffene Lunge schädlich ist.<br />
Da sich dieser Keim <strong>in</strong> stehendem Wasser aufhält und<br />
vermehrt und über die Verwirbelung <strong>von</strong> Aerosolen <strong>in</strong><br />
die Atemwege gelangen kann, werden Toilettenspülungen,<br />
Siphons <strong>von</strong> Waschbecken, Duschen, längere<br />
Zeit offen stehende Getränke usw. als Risikoquellen<br />
angesehen. Lehrkräfte sollten mit den Eltern über s<strong>in</strong>nvolle<br />
und realisierbare Umsetzungsmöglichkeiten <strong>von</strong><br />
Hygienemaßnahmen sprechen.<br />
Bei Tagesausflügen und Klassenfahrten sollten die begleitenden<br />
Lehrkräfte <strong>in</strong>formiert werden und ggf. notwendige<br />
Unterstützungsmaßnahmen sollten besprochen<br />
werden.<br />
Stationäre Behandlungen können die regelmäßige<br />
Teilnahme am Unterricht bee<strong>in</strong>trächtigen. Bei länger<br />
andauernden Fehlzeiten ist es hilfreich, wenn die Klassenlehrer<strong>in</strong><br />
bzw. <strong>der</strong> Klassenlehrer und/o<strong>der</strong> Mitschüler<strong>in</strong>nen<br />
und Mitschüler den Kontakt zu den betroffenen<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern halten, damit sie sich<br />
nicht isoliert fühlen und schulisch „auf dem Laufenden<br />
bleiben“. Verpasste Unterrichts<strong>in</strong>halte lassen sich ggf.<br />
durch <strong>in</strong>dividuelle För<strong>der</strong>angebote kompensieren. Bei<br />
Bedarf sollten Nachteilsausgleiche beantragt werden,<br />
z. B. mehr Zeit beim Schreiben <strong>von</strong> Klassenarbeiten, Erbr<strong>in</strong>gen<br />
e<strong>in</strong>es Leistungsnachweises im Rahmen zusätzlicher<br />
Hausarbeiten.<br />
Individuelle Regelungen nach Rücksprache mit den Eltern<br />
s<strong>in</strong>d ggf. erfor<strong>der</strong>lich, wenn bei erkrankten Schüler<strong>in</strong>nen<br />
und Schülern weitere Beson<strong>der</strong>heiten zu beachten<br />
s<strong>in</strong>d.<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
· Informationen auf <strong>der</strong> Internetseite des Mukoviszidose<br />
e. V.: www.muko.<strong>in</strong>fo/leben-mit-cf/leben-mit-mukoviszidose/k<strong>in</strong><strong>der</strong>garten-und-schulzeit<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Mukoviszidose e. V. –<br />
Bundesverband Cystische Fibrose (CF)<br />
www.muko.<strong>in</strong>fo<br />
· Verän<strong>der</strong>bares Informationsblatt des Mukoviszidose e. V.<br />
für Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer, zum Download unter:<br />
www.muko.<strong>in</strong>fo/leben-mit-cf/leben-mit-mukoviszidose/<br />
k<strong>in</strong><strong>der</strong>garten-und-schulzeit/<strong>in</strong>fofaltblatt-fuer-lehrer<strong>in</strong>nen<br />
· Publikation „Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler mit Mukoviszidose“<br />
des Mukoviszidose e. V., kostenlos zu beziehen<br />
unter: www.muko.<strong>in</strong>fo/mukoviszidose/publikationenund-filme/publikationen/schule-und-k<strong>in</strong><strong>der</strong>garten<br />
· Broschüre „Chronische Erkrankungen im K<strong>in</strong>desalter.<br />
E<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Thema <strong>von</strong> Elternhaus, K<strong>in</strong><strong>der</strong>tagesstätte<br />
und <strong>Schule</strong>“ <strong>der</strong> Bundeszentrale für gesundheitliche<br />
Aufklärung (BZgA), erhältlich unter:<br />
www.bzga.de/<strong>in</strong>fomaterialien/k<strong>in</strong><strong>der</strong>-und-jugendgesundheit/chronische-erkrankungen-im-k<strong>in</strong>desalter<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.christianeherzogstiftung.de<br />
· www.patienten-<strong>in</strong>formation.de/kurz<strong>in</strong>formationen/<br />
seltene-erkrankungen/mukoviszidose<br />
· www.mukobw.de<br />
· www.muko-berl<strong>in</strong>-brandenburg.de<br />
100
Multiple Sklerose<br />
Multiple Sklerose (MS) ist die häufigste chronisch-entzündliche Erkrankung<br />
des zentralen Nervensystems und nach Epilepsie die zweithäufigste neurologische<br />
Krankheit. Schätzungen zufolge s<strong>in</strong>d weltweit ca. 2,5 Millionen<br />
Menschen <strong>von</strong> MS betroffen. Die Erkrankungshäufigkeit steigt mit <strong>der</strong><br />
geografischen Entfernung vom Äquator an (Zusammenhang mit Vitam<strong>in</strong>-D-<br />
Versorgung wird vermutet). In <strong>Deutschland</strong> leben nach Hochrechnungen<br />
ca. 200.000 MS-Erkrankte.<br />
In <strong>der</strong> Regel erkranken die Betroffenen im Alter zwischen 20 und 40 Jahren.<br />
Frauen erkranken zwei- bis dreimal so häufig wie Männer. Zunehmend s<strong>in</strong>d<br />
auch K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche betroffen (rund 200 pro Jahr).<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
MS geht mit verschiedenen Symptomen e<strong>in</strong>her und verläuft<br />
bei jedem Betroffenen an<strong>der</strong>s.<br />
Empf<strong>in</strong>dungsstörungen:<br />
· Taubheitsgefühl und Kribbeln <strong>in</strong> Armen und Be<strong>in</strong>en<br />
· Spannungsgefühl um die Gelenk- und Hüftregion<br />
· Schmerzen und Auftreten des „Nackenbeugezeichens“:<br />
Beim Vorbeugen des Kopfs verspüren<br />
Betroffene meist e<strong>in</strong>en blitzartigen Schlag entlang<br />
<strong>der</strong> <strong>Wir</strong>belsäule.<br />
Sehstörungen:<br />
· Augenschmerzen bei Bewegung <strong>der</strong> Augäpfel,<br />
bed<strong>in</strong>gt durch die Entzündung des Sehnervs<br />
(Optikusneuritis)<br />
· schleierhafte Wahrnehmung wie durch e<strong>in</strong>en Nebel<br />
· Lichtblitze und Ausfälle des Gesichtsfelds<br />
· Doppelbildwahrnehmung aufgrund e<strong>in</strong>er Lähmung<br />
<strong>der</strong> Augenmuskulatur<br />
Spastik:<br />
· unwillkürliche erhöhte Muskelspannung, Verkrampfung<br />
an Armen, Be<strong>in</strong>en o<strong>der</strong> auch <strong>der</strong> Blase<br />
Lähmungen:<br />
· meist kraftlose, angespannte und steife Muskeln, die<br />
schnell ermüden k vollständige Lähmungen mit Rollstuhlpflicht<br />
möglich<br />
Fatigue:<br />
· Müdigkeit und schnelle, hochgradige Erschöpfung, die<br />
durch den Willen nicht bee<strong>in</strong>flussbar ist<br />
Kognitive Störungen:<br />
· Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen<br />
Sonstige:<br />
· Sprachstörungen<br />
· zitternde Hände (Tremor)<br />
· Koord<strong>in</strong>ationsstörungen<br />
· Blasen- und Darmstörungen<br />
· depressive Syndrome<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Die genaue Ursache <strong>von</strong> MS ist unbekannt. An <strong>der</strong> Entstehung<br />
können sowohl genetische als auch umweltbed<strong>in</strong>gte<br />
Faktoren beteiligt se<strong>in</strong>.<br />
Zunächst erfolgt e<strong>in</strong>e ausführliche Anamnese. Es schließen<br />
sich weitere (neurologische) Untersuchungen an:<br />
· Testung <strong>von</strong> Hirnnerven, Empf<strong>in</strong>dungen, Reflexen und<br />
Muskelkraft<br />
· Punktion des Liquors (<strong>der</strong> Rückenmarkflüssigkeit),<br />
um eventuelle entzündliche Verän<strong>der</strong>ungen im<br />
Nervensystem festzustellen<br />
· Messung <strong>der</strong> Leitgeschw<strong>in</strong>digkeit <strong>der</strong> Nerven<br />
verschiedener S<strong>in</strong>nessysteme mit <strong>der</strong> Elektroenzephalografie<br />
(EEG)<br />
· Magnetresonanztomografie<br />
Es wird zudem geprüft, ob die Kriterien e<strong>in</strong>es sogenannten<br />
Multiple-Sklerose-Schubs vorliegen:<br />
· Symptome halten m<strong>in</strong>destens 24 Stunden lang an.<br />
· Symptome treten m<strong>in</strong>destens 30 Tage nach dem letzten<br />
Schub erneut auf.<br />
· Symptome s<strong>in</strong>d nicht durch verän<strong>der</strong>te Körpertemperatur<br />
o<strong>der</strong> durch Infektionen erklärbar.<br />
Der Verlauf <strong>der</strong> Erkrankung lässt sich durch e<strong>in</strong>e angemessene<br />
Therapie begünstigen, MS ist jedoch nicht heilbar.<br />
Es gibt unterschiedliche Verlaufsformen:<br />
· schubförmig remittierend: Krankheitsschübe, <strong>der</strong>en<br />
Symptomatik sich anfangs weitgehend zurückbildet<br />
· primär chronisch fortschreitend: Die Beschwerden<br />
fangen leicht an, setzen sich dann zunehmend fort.<br />
· sekundär chronisch fortschreitend: Der Verlauf ist<br />
anfangs überwiegend schubförmig, danach fortschreiten<strong>der</strong><br />
Verlauf.<br />
101
Multiple Sklerose<br />
102<br />
Behandlung<br />
Es werden folgende Therapien durchgeführt:<br />
Basistherapie: Therapie für milde, mo<strong>der</strong>ate Krankheitsverläufe.<br />
Das Fortschreiten <strong>der</strong> Krankheit und weitere<br />
akute Schübe sollen möglichst verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t o<strong>der</strong> zum<strong>in</strong>dest<br />
abgeschwächt werden.<br />
· <strong>Wir</strong>kstoffe wie Interferon beta, Glatirameracetat,<br />
Teriflunomid und Dimethylfumarat bee<strong>in</strong>flussen das<br />
Immunsystem und können im Idealfall zu Schubfreiheit<br />
führen. Sie werden je nach Präparat e<strong>in</strong>mal o<strong>der</strong><br />
mehrmals pro Woche o<strong>der</strong> 14-täglich <strong>in</strong> die Muskulatur<br />
bzw. unter die Haut gespritzt o<strong>der</strong> <strong>in</strong> Tablettenform<br />
e<strong>in</strong>- o<strong>der</strong> zweimal täglich e<strong>in</strong>genommen.<br />
· Mögliche Nebenwirkungen: Kopfschmerzen,<br />
Glie<strong>der</strong>schmerzen, Müdigkeit und Fieber.<br />
· Begleitmaßnahmen wie Physiotherapie, Beckenbodentra<strong>in</strong><strong>in</strong>g,<br />
Massagen o<strong>der</strong> Entspannungsmaßnahmen<br />
können die Krankheit positiv bee<strong>in</strong>flussen<br />
(z. B. Zittern o<strong>der</strong> Schw<strong>in</strong>delgefühl reduzieren).<br />
E<strong>in</strong>zelne Symptome können ebenfalls begleitend<br />
medikamentös behandelt werden.<br />
Bei e<strong>in</strong>em Versagen dieser Therapien o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>em beson<strong>der</strong>s<br />
aggressiven Fortschreiten <strong>der</strong> Erkrankung können<br />
Therapien für (hoch-)aktive Verlaufsformen zum E<strong>in</strong>satz<br />
kommen. In den meisten Fällen wird dabei <strong>in</strong> größeren<br />
(z. B. monatlichen) Abständen e<strong>in</strong> Medikament (z. B. Natalizumab<br />
o<strong>der</strong> Alemtuzumab) per Infusion verabreicht.<br />
Es gibt aber auch die Möglichkeit e<strong>in</strong>er tablettenbasierten<br />
Therapie mit F<strong>in</strong>golimod.<br />
Schubtherapie: Symptome des Schubs sollen akut bekämpft<br />
werden. Hoch dosierte Entzündungshemmer (Glukokortikoide)<br />
werden verabreicht.<br />
In beson<strong>der</strong>s schlimmen Fällen wird Kortison drei bis fünf<br />
Tage lang <strong>in</strong>travenös verabreicht.<br />
Schulungsprogramme<br />
Eltern MS-erkrankter K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlicher können je<strong>der</strong>zeit<br />
die Beratungsangebote <strong>der</strong> Landesverbände <strong>der</strong><br />
Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) nutzen.<br />
Die DMSG bietet darüber h<strong>in</strong>aus jeweils e<strong>in</strong>e Internetseite<br />
für K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche an (siehe untenstehende<br />
L<strong>in</strong>ks). Onl<strong>in</strong>etools <strong>der</strong> DMSG bieten gut verständliche Informationen<br />
(zu f<strong>in</strong>den unter www.dmsg.de):<br />
· MS verstehen, behandeln, erforschen<br />
· Die virtuelle MS-Kl<strong>in</strong>ik<br />
· e-Tra<strong>in</strong> MS (Lernprogramm zu MS <strong>in</strong> verschiedenen<br />
Wissensstufen)<br />
· Web-App: Mission Serious (e<strong>in</strong> animiertes Spiel zum<br />
Verständnis dessen, was bei MS im Körper passiert)<br />
· MS Kognition (Übungen zur Stärkung <strong>der</strong> kognitiven<br />
Fähigkeiten; auch als kostenlose Smartphone-App)<br />
· MS.TV-App (Experten- und Patientenvideos sowie<br />
Animationen über die kostenlose Smartphone-App<br />
ansehen)<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
Bei Unsicherheit im Umgang mit <strong>der</strong> Erkrankung können<br />
Lehrkräfte auf die Beratungsangebote <strong>der</strong> Landesverbände<br />
<strong>der</strong> Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG)<br />
zurückgreifen, sich Unterstützung holen und Informationsmaterial<br />
anfor<strong>der</strong>n.<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Lehrkräfte sollten über typische Anzeichen <strong>von</strong> Schüben<br />
(s. o.) bzw. die <strong>in</strong>dividuelle Problematik e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des<br />
mit MS <strong>in</strong> H<strong>in</strong>sicht auf Symptome genau Bescheid<br />
wissen. Spezielle Fragen zur Betreuung des K<strong>in</strong>des<br />
sollten mit den Erziehungsberechtigten abgeklärt se<strong>in</strong><br />
und es sollte e<strong>in</strong>e entsprechende schriftliche Vere<strong>in</strong>barung<br />
vorliegen.<br />
Der Klassenverband sollte mit E<strong>in</strong>verständnis <strong>der</strong> Betroffenen<br />
und ihrer Erziehungsberechtigten über die<br />
Krankheit <strong>in</strong>formiert werden, um Symptome e<strong>in</strong>es<br />
Schubs richtig zuordnen und Hilfe herbeiholen zu können.<br />
Die Mitschüler<strong>in</strong>nen und Mitschüler sollten auch<br />
darüber aufgeklärt werden, wie sich die spezifischen<br />
Symptome auf das tägliche Leben <strong>der</strong> Erkrankten auswirken,<br />
um sie möglichst effektiv unterstützen zu können.<br />
Mit <strong>der</strong> Erkrankung sollte so offen wie möglich umgegangen<br />
werden, ggf. könnte sie auch im Biologieunterricht<br />
thematisiert werden. Wichtig ist es, Mitschüler<strong>in</strong>nen<br />
und Mitschüler genau zu <strong>in</strong>formieren<br />
und (unbegründete) Ängste (z. B. vor Ansteckungsgefahr)<br />
auszuräumen, um e<strong>in</strong> angstfreies und harmonisches<br />
Verhältnis zu ermöglichen.<br />
Lehrkräfte sollten sich über ihre Rechte und Pflichten<br />
Klarheit verschaffen, um eventuell auftretende Konflikte<br />
zu vermeiden. Dies erleichtert den Umgang und<br />
gibt Sicherheit für die verantwortungsvolle Aufgabe,<br />
e<strong>in</strong> betroffenes K<strong>in</strong>d zu beaufsichtigen.<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Deutsche Multiple Sklerose<br />
Gesellschaft<br />
Bundesverband e. V. (DMSG)<br />
www.dmsg.de<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.k<strong>in</strong><strong>der</strong>-und-ms.de<br />
· www.dmsg.de/jugend-und-ms<br />
· www.k<strong>in</strong><strong>der</strong>-mszentrum-goett<strong>in</strong>gen.de<br />
· www.childrenms.de
Muskeldystrophie<br />
Muskeldystrophien s<strong>in</strong>d genetisch bed<strong>in</strong>gte Erkrankungen <strong>der</strong> Skelettmuskulatur.<br />
Mutationen <strong>in</strong> Muskelprote<strong>in</strong>en führen zu e<strong>in</strong>em fortschreitenden<br />
Verfall <strong>der</strong> Muskulatur. Die Ausprägung <strong>der</strong> Symptomatik wird durch<br />
den jeweiligen Subtyp bestimmt und kann sich entsprechend als milde<br />
Muskelschwäche o<strong>der</strong> als schwere Erkrankung mit tödlichem Verlauf zeigen.<br />
Die Häufigkeit des Vorkommens <strong>von</strong> Muskeldystrophien <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bevölkerung<br />
hängt vom jeweiligen Subtyp ab und ist dementsprechend sehr variabel.<br />
Die häufigste Form (Duchenne) kommt bei e<strong>in</strong>em <strong>von</strong> 3.500 männlichen<br />
Neugeborenen vor. Die Becker-Muskeldystrophie betrifft e<strong>in</strong>en <strong>von</strong><br />
20.000 männlichen Neugeborenen.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Folgende maßgeblichen Muskeldystrophien werden unterschieden:<br />
Duchenne:<br />
· Häufigste vererbte Muskeldystrophie im K<strong>in</strong>desalter<br />
· Rezessiv X-chromosomal vererbt (Frauen Träger<strong>in</strong>nen,<br />
Männer erkranken)<br />
· Fortschreitend verlaufende Erkrankung mit e<strong>in</strong>er Lebenserwartung<br />
zwischen 15 und <strong>in</strong> wenigen Fällen 40<br />
Jahren + …<br />
· Beg<strong>in</strong>n: Abnahme <strong>der</strong> Muskulatur ab Geburt, deutliche<br />
E<strong>in</strong>schränkungen im K<strong>in</strong><strong>der</strong>gartenalter, Rollstuhlpflichtigkeit<br />
tritt während <strong>der</strong> Grundschulzeit e<strong>in</strong>,<br />
regelmäßige Überprüfung <strong>der</strong> Lungen- und Herzfunktionen,<br />
· Tod durch Infekte, die sich auf die Atmung (Insuffizienz)<br />
auswirken, Herzversagen, Multiorganversagen<br />
Becker/Kiener:<br />
· Rezessiv X-chromosomal vererbt (Frauen Träger<strong>in</strong>nen,<br />
Männer erkranken)<br />
· Ähnlichkeiten mit dem Typ Duchenne (schreitet deutlich<br />
langsamer fort)<br />
· Betroffen: gesamte Muskulatur (Gehunfähigkeit im<br />
Alter ab ca. 25–50 Jahren)<br />
· Erkrankte können bei guter mediz<strong>in</strong>ischer Betreuung<br />
e<strong>in</strong> annähernd normales Alter erreichen<br />
Zudem gibt es fast 30 verschiedene sog. Glie<strong>der</strong>gürtel-<br />
Formen, bei denen hauptsächlich die Becken- und Schultermuskulatur<br />
betroffen ist.<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Ursache<br />
Muskeldystrophie ist e<strong>in</strong>e überwiegend erblich bed<strong>in</strong>gte<br />
Erkrankung; diskutiert werden zusätzliche Ursachen wie<br />
z. B. Verletzungen im Bereich des Nervensystems o<strong>der</strong> Infektionen.<br />
Diagnose<br />
In <strong>der</strong> Anamnese wird nach dem Verlauf und dem Auftreten<br />
bei Familienmitglie<strong>der</strong>n gefragt. Es schließen sich<br />
mehrere Untersuchungen an.<br />
Körperliche Untersuchung:<br />
· Gelenkverän<strong>der</strong>ungen<br />
· Organvergrößerungen<br />
· Lungenfunktion<br />
· Elektroneurografie (Nervenleitgeschw<strong>in</strong>digkeit;<br />
Nerven werden elektrisch gereizt)<br />
· Elektromyografie (Messung <strong>der</strong> Muskelströme)<br />
Laboruntersuchungen:<br />
· Kreat<strong>in</strong>k<strong>in</strong>ase (Muskelenzym <strong>in</strong> hohem Ausmaß<br />
im Blut)<br />
· Magnetresonanz-/Kernsp<strong>in</strong>tomografie<br />
(Muskeln werden <strong>in</strong> Schichten dargestellt)<br />
· Genanalyse (Blutuntersuchung)<br />
Die Duchenne-Muskeldystrophie verläuft schnell fortschreitend<br />
und führt zu e<strong>in</strong>er deutlichen E<strong>in</strong>schränkung<br />
<strong>der</strong> Lebensqualität. Bei den an<strong>der</strong>en Formen ist <strong>der</strong> Verlauf<br />
langsamer. Die Erkrankung geht mit erheblichen sozialen<br />
und körperlichen E<strong>in</strong>schränkungen e<strong>in</strong>her.<br />
Muskelschwund ist nicht heilbar.<br />
103
Muskeldystrophie<br />
Behandlung<br />
Die Behandlung dient <strong>der</strong> Rehabilitation <strong>der</strong> Patient<strong>in</strong>nen<br />
und Patienten und zielt darauf ab, ihren Zustand zu verbessern<br />
sowie ihre Selbstständigkeit und Beweglichkeit<br />
zu erhalten, damit sie am sozialen Leben teilhaben können.<br />
Physiotherapie ist e<strong>in</strong>e äußerst wichtige symptomatische<br />
Behandlung. H<strong>in</strong>zu kommen operative Korrekturen <strong>von</strong><br />
Skelettfehlstelllungen, Beatmung und künstliche Ernährung,<br />
sobald die entsprechende Muskulatur für diese<br />
Funktionen nicht mehr ausreicht (15.–25. Lebensjahr)<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
www.dgm.org/muskelerkrankungen<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e. V. (DGM)<br />
www.dgm.org<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Betroffene benötigen gut gesicherte Sitzunterlagen.<br />
Treppensteigen und Anstrengungen (z. B. beim<br />
Sport) sollten unbed<strong>in</strong>gt vermieden werden. Auf e<strong>in</strong>en<br />
Rollstuhl angewiesene Betroffene sollten gut gesichert<br />
werden. Auch bei passiven Bewegungen besteht<br />
die Gefahr <strong>von</strong> Muskelabrissen und Knochenbrüchen.<br />
E<strong>in</strong>e gute Klassengeme<strong>in</strong>schaft mit tragfähigen sozialen<br />
Kontakten ist sehr wichtig für die Integration<br />
betroffener K<strong>in</strong><strong>der</strong>. Dies erleichtert auch den Informationsaustausch<br />
bei krankheitsbed<strong>in</strong>gten Fehlzeiten<br />
und das „Anschlusshalten“ an die Klasse.<br />
Weitere Internetadressen<br />
· aktion benni & co. e. V.: www.aktionbenniundco.de<br />
· Mediz<strong>in</strong>ische Informationen zu Seltenen Erkrankungen:<br />
www.orpha.net (auch <strong>in</strong> deutscher Sprache)<br />
104
Mutismus<br />
Als Mutismus (lat. mutus = stumm) bezeichnet man e<strong>in</strong> seelisch bed<strong>in</strong>gtes<br />
Nichtsprechen nach vollzogenem Spracherwerb bei völliger Funktionsfähigkeit<br />
<strong>der</strong> Sprechorgane und <strong>der</strong> Sprechmotorik.<br />
Etwa zwei bis sieben <strong>von</strong> 1.000 K<strong>in</strong><strong>der</strong>n s<strong>in</strong>d <strong>von</strong> Mutismus betroffen. Dass<br />
Mutismus häufiger bei Mädchen auftritt als bei Jungen, ist e<strong>in</strong> lei<strong>der</strong> weit<br />
verbreiteter Irrtum, <strong>der</strong> aus den Ergebnissen e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zigen und noch dazu<br />
sehr kle<strong>in</strong>en Studie herrührt. Bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund ist dagegen<br />
Mutismus tatsächlich signifikant häufiger festzustellen als bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n,<br />
die e<strong>in</strong>sprachig aufwachsen – hier spielt die Unsicherheit <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> beiden<br />
Sprachen wohl e<strong>in</strong>e gewisse Rolle.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Es gibt zwei Formen des Mutismus:<br />
· Als totaler Mutismus wird das völlige Fehlen lautsprachlicher<br />
Äußerungen <strong>in</strong> je<strong>der</strong> Situation und gegenüber<br />
allen Personen bezeichnet.<br />
· Als elektiver Mutismus (häufig auch selektiver Mutismus<br />
genannt) wird die Hemmung <strong>der</strong> Lautsprache<br />
gegenüber e<strong>in</strong>em bestimmten Personenkreis o<strong>der</strong> <strong>in</strong><br />
bestimmten sozialen Situationen (meist K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten<br />
o<strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) bezeichnet.<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
E<strong>in</strong>e direkte Ursache ist nicht bekannt. Es kommen sowohl<br />
psychologische Faktoren (abweichende Problemlösungsmechanismen,<br />
Konditionierungsprozesse und Milieue<strong>in</strong>flüsse)<br />
als auch physiologische Faktoren (familiäre Dispositionen,<br />
Hypokonzentration des Neurotransmitters<br />
Seroton<strong>in</strong> im Hirnstoffwechsel, Hyperfunktion <strong>der</strong> Amygdala,<br />
psychiatrische Grun<strong>der</strong>krankungen, Entwicklungsstörungen)<br />
<strong>in</strong>frage, die zumeist zusammenwirken.<br />
Vor allem die Eltern müssen auf das kommunikative Verhalten<br />
ihres K<strong>in</strong>des achten und im K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten und <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>Schule</strong> nachfragen, wie sich ihr K<strong>in</strong>d verhält.<br />
Zeigt es e<strong>in</strong>e o<strong>der</strong> mehrere <strong>der</strong> folgenden Auffälligkeiten,<br />
ist e<strong>in</strong>e erhöhte Aufmerksamkeit geboten, was aber ke<strong>in</strong>esfalls<br />
bedeutet, dass sofort e<strong>in</strong> Mutismus vorliegen muss, also<br />
e<strong>in</strong> Schweigen gegenüber bestimmten Menschengruppen<br />
o<strong>der</strong> <strong>in</strong> spezifischen Situationen.<br />
· Quantitativ erhöhtes Kommunikationsverhalten zu<br />
Hause, das beim Ersche<strong>in</strong>en <strong>von</strong> fremden Personen<br />
o<strong>der</strong> <strong>in</strong> fremden Situationen schlagartig aufhört<br />
· Angst, sich körperlich zu erproben (Fahrradfahren,<br />
Schwimmen, Klettern)<br />
· Angst, im Fokus <strong>der</strong> Aufmerksamkeit zu stehen; Sorge,<br />
wie man selbst auf an<strong>der</strong>e wirkt<br />
· Angst vor körperlicher Nähe zu Fremden, Angst, alle<strong>in</strong><br />
zu schlafen, gelegentliches Bettnässen<br />
Bei <strong>der</strong> Untersuchung des Bed<strong>in</strong>gungsgefüges des <strong>in</strong>dividuellen<br />
Schweigens s<strong>in</strong>d bei <strong>der</strong> Diagnostik bzw. <strong>der</strong><br />
Erstellung <strong>der</strong> jeweiligen Patienten- und Familienanamnesen<br />
fünf Befundebenen zu berücksichtigen:<br />
1. Körperliche Konstitution des Betroffenen bzw.<br />
<strong>der</strong> Familienangehörigen<br />
2. Psychologische Konstitution des Betroffenen bzw.<br />
<strong>der</strong> Familienangehörigen<br />
3. Kommunikative Konstitution des Betroffenen bzw.<br />
des Familiensystems<br />
4. Kognitive Bewertungsmechanismen<br />
5. Emotionale Bewältigungsmechanismen beim<br />
Betroffenen<br />
Die Diagnose wird <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel vom K<strong>in</strong><strong>der</strong>arzt o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>em<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>psychologen gestellt.<br />
Der Krankheitsverlauf kann nicht vorhergesagt werden.<br />
E<strong>in</strong>e frühzeitige Diagnose ermöglicht jedoch e<strong>in</strong>e erfolgversprechen<strong>der</strong>e<br />
Behandlung. Die Prognose kann durch<br />
die Betroffenen aktiv verbessert werden, wenn sie die Hilfe<br />
annehmen und sich für e<strong>in</strong>e Verbesserung ihrer Situation<br />
motivieren lassen.<br />
Behandlung<br />
Es gibt verschiedene Behandlungsmöglichkeiten. In <strong>der</strong><br />
Regel setzen die Therapien an den (Haupt-)Ursachen des<br />
Mutismus an:<br />
Die Sprachtherapie ist, im Gegensatz zu analytischen Therapien<br />
wie z. B. <strong>der</strong> Psychotherapie, nicht rückwärtsgewandt.<br />
Sie sucht nicht nach Traumata (die es meist oh-<br />
105
Mutismus<br />
neh<strong>in</strong> nicht gibt) o<strong>der</strong> nach psychischen Konflikten <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Entwicklung <strong>der</strong> schweigenden K<strong>in</strong><strong>der</strong>.<br />
Sprachtherapeutisches Handeln basiert auf <strong>der</strong> Annahme,<br />
dass Mutismus aus e<strong>in</strong>em dispositionell bed<strong>in</strong>gten<br />
übersteigerten Angstempf<strong>in</strong>den heraus entsteht, das die<br />
soziale und vor allem kommunikative Entfaltung <strong>der</strong> Betroffenen<br />
<strong>von</strong> Beg<strong>in</strong>n ihrer Entwicklung an e<strong>in</strong>schränkt.<br />
Der Ist-Zustand <strong>der</strong> Betroffenen wird damit zum Ausgangspunkt<br />
e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>en Schritten vorgenommenen<br />
Neukonfiguration <strong>von</strong> Sprechen, Angstverhalten und <strong>der</strong><br />
emotionalen Bewältigung sozialer Situationen: Betroffene<br />
machen zunächst Geräusche nach o<strong>der</strong> nennen dem<br />
Therapeuten den Anfangsbuchstaben e<strong>in</strong>es Bildsymbols.<br />
Es folgen Silben, später E<strong>in</strong>-Wort-Antworten, dann kurze<br />
bzw. längere Sätze, schließlich das Vorlesen und zum<br />
Schluss <strong>der</strong> Schritt zum zielorientierten und zum freien<br />
Sprechen. In <strong>der</strong> Endphase <strong>der</strong> Behandlung wird die Bewältigung<br />
<strong>von</strong> realen Alltagssituationen außerhalb <strong>der</strong><br />
Praxis geübt (In-vivo-Therapie). Mutismus wird als Symptom<br />
e<strong>in</strong>er Angststörung begriffen und somit auch wie<br />
e<strong>in</strong>e Angststörung behandelt, nämlich durch Habituation<br />
(Gewöhnung) an den angstauslösenden Impuls. Die<br />
Sprachtherapie ist, <strong>in</strong> direkter Komb<strong>in</strong>ation mit verhaltenstherapeutischen<br />
Ansätzen, e<strong>in</strong> sehr direktiver Therapieansatz<br />
und hat sich als sehr erfolgreich erwiesen.<br />
Bei <strong>der</strong> Mutismustherapie können, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e zur Behandlung<br />
<strong>von</strong> Ängsten, auch spezielle Antidepressiva, die<br />
auf den Seroton<strong>in</strong>stoffwechsel e<strong>in</strong>wirken, unterstützend<br />
e<strong>in</strong>gesetzt werden, sie können jedoch e<strong>in</strong>e Therapie nur<br />
unterstützen o<strong>der</strong> ergänzen, aber nie ersetzen.<br />
<strong>Wir</strong>d das Schweigen z. B. als Folge e<strong>in</strong>es frühk<strong>in</strong>dlichen<br />
Traumas <strong>in</strong>terpretiert, was jedoch eher selten ist (unter<br />
zehn Prozent Inzidenzrate), empfiehlt sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel<br />
e<strong>in</strong>e analytische Spieltherapie. Sie verfolgt das Ziel, die<br />
verdeckte seelische Verletzung spieltherapeutisch aufzuspüren<br />
und sich mit ihr ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>zusetzen.<br />
Nimmt man beispielsweise e<strong>in</strong>en latenten o<strong>der</strong> offen ausgetragenen<br />
Konflikt <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Familie als Ursache an,<br />
eignet sich die Familientherapie. Sie dient <strong>der</strong> Aufarbeitung<br />
<strong>der</strong> jeweiligen Beziehungsdynamik sowie <strong>der</strong> Aufdeckung<br />
<strong>von</strong> Ehekrisen und unbewussten Projektionsmechanismen<br />
zwischen den Generationen.<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Lehrkräfte sollten stets mit den Eltern <strong>in</strong> Kontakt<br />
stehen, damit <strong>der</strong> Mutismus erkannt werden kann.<br />
Durch Absprache mit <strong>der</strong> Therapeut<strong>in</strong> bzw. dem<br />
Therapeuten kann das Behandlungskonzept unterstützt<br />
werden. Ggf. könnten die Lehrkräfte Alternativen<br />
zur mündlichen Mitarbeit anbieten, damit<br />
Betroffene ihre Leistungen auf an<strong>der</strong>em Weg zeigen<br />
können (Nachteilsausgleich). Dies sollte jedoch<br />
nie zu 100 Prozent geschehen, da den Betroffenen<br />
sonst die Motivation genommen würde, an sich<br />
zu arbeiten und ihre eigene Situation durch therapeutische<br />
Maßnahmen zu verbessen. E<strong>in</strong>e 60:40-<br />
o<strong>der</strong> 70:30-Regelung (schriftlich:mündlich) ist<br />
empfehlenswerter.<br />
Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> sollten nicht geson<strong>der</strong>t behandelt, son<strong>der</strong>n<br />
<strong>in</strong> den Klassenverbund <strong>in</strong>tegriert werden. Die Klasse<br />
sollte über das Thema Mutismus aufgeklärt werden –<br />
jedoch nur mit E<strong>in</strong>willigung des betroffenen K<strong>in</strong>des.<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
· www.mutismus.de/<strong>in</strong>formationen-und-aufklaerung/<br />
leitl<strong>in</strong>ien-fuer-paedagogen<br />
· www.mutismus.de/<strong>in</strong>formationen-und-aufklaerung/<br />
leitl<strong>in</strong>ien-fuer-schulen<br />
· www.mutismus.de/<strong>in</strong>formationen-und-aufklaerung/<br />
nachteilsausgleich<br />
· Son<strong>der</strong>heft 6 <strong>der</strong> Fachzeitschrift „Mutismus.de“<br />
mit dem Schwerpunkt „Mutismus und <strong>Schule</strong>“, erhältlich<br />
unter: www.mutismus.abmedia-onl<strong>in</strong>e.de<br />
· Hartmann, B. (2004): Mutismus <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> –<br />
e<strong>in</strong> unlösbares Problem? In: Amre<strong>in</strong>, Ch.; Baumgarten,<br />
H. H. (Hrsg.): Kommunikation <strong>in</strong> heilpädagogischen<br />
Handlungsfel<strong>der</strong>n VHN 73/1, S. 29–52.<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Mutismus <strong>Selbsthilfe</strong><br />
<strong>Deutschland</strong> e. V.<br />
www.mutismus.de<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.mutismus.de/<strong>in</strong>formationen-undaufklaerung/10-faqs-zum-mutismus<br />
· www.mutismus.de/<strong>in</strong>formationen-undaufklaerung/was-ist-mutismus<br />
· www.mutismus.de/<strong>in</strong>formationen-undaufklaerung/srmt<br />
106
Neuro<strong>der</strong>mitis<br />
Neuro<strong>der</strong>mitis (atopische Dermatitis) ist e<strong>in</strong>e chronisch-entzündliche, nicht<br />
ansteckende Hauterkrankung, die zusammen mit Heuschnupfen, allergischem<br />
Asthma und Nahrungsmittelallergien zum atopischen Formenkreis gehört.<br />
Sobald e<strong>in</strong>e dieser Erkrankungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Familie vorliegt (Vater, Mutter,<br />
Geschwister), kann die allergische Veranlagung vererbt werden.<br />
Daher ist oft e<strong>in</strong>e familiäre Häufung <strong>von</strong> allergischen Erkrankungen zu beobachten.<br />
Neuro<strong>der</strong>mitis tritt meist im Säugl<strong>in</strong>gs- o<strong>der</strong> Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>dalter auf<br />
und zeigt sich typischerweise <strong>in</strong> Form <strong>von</strong> Ekzemen, die mit starkem Juckreiz<br />
e<strong>in</strong>hergehen.<br />
In <strong>Deutschland</strong> leiden ca. zehn Prozent <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> an Neuro<strong>der</strong>mitis.<br />
Damit ist Neuro<strong>der</strong>mitis die häufigste Hauterkrankung im K<strong>in</strong>desalter und<br />
manifestiert sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel bis zum ersten Lebensjahr. Die K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die vor<br />
dem dritten Lebensmonat erkranken, erleiden meist e<strong>in</strong>en schwereren Krankheitsverlauf<br />
und entwickeln häufiger auch an<strong>der</strong>e allergische Erkrankungen<br />
wie z. B. e<strong>in</strong>e Nahrungsmittelallergie o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> allergisches Asthma.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Neuro<strong>der</strong>mitiker haben generell e<strong>in</strong>e trockene, zu Juckreiz<br />
neigende Haut. Im akuten Entzündungsschub ist die<br />
Haut stark gerötet, ggf. treten leichte Hautschwellungen,<br />
seltener Bläschenbildung auf. Bei zunehmen<strong>der</strong> Intensität<br />
nässen die Ekzeme und es kann zu eitriger Krustenbildung<br />
kommen.<br />
Bei e<strong>in</strong>em chronischen Ekzem steht die entzündete, aber<br />
sehr trockene Haut im Vor<strong>der</strong>grund. Durch den Entzündungsprozess<br />
wird die Haut dicker und gröber. Sowohl<br />
beim akuten als auch beim chronischen Ekzem leiden die<br />
Betroffenen unter starkem Juckreiz, <strong>der</strong> auch noch anhält,<br />
wenn das Ekzem längst abgeheilt ist.<br />
Die Erkrankung verläuft schubweise und ihr Ersche<strong>in</strong>ungsbild<br />
variiert je nach Alter und Person. Im K<strong>in</strong>desalter<br />
treten die Ekzeme bevorzugt an den Extremitätenbeugen,<br />
<strong>in</strong> Körperfalten (z. B. Nacken) und an Handrücken/<br />
-gelenken auf. Symptome im Gesicht/Halsbereich treten<br />
typischerweise im Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>dalter auf, bei Jugendlichen<br />
h<strong>in</strong>gegen eher selten.<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Die Ursache ist bisher nicht e<strong>in</strong>deutig geklärt. Er wird<br />
diskutiert, dass immunologische Faktoren, genetische<br />
Veranlagung, Neigung zu Allergien und e<strong>in</strong>e gestörte<br />
Hautbarriere die Erkrankung för<strong>der</strong>n. Zudem gibt es viele<br />
Triggerfaktoren, die den Ausbruch begünstigen können.<br />
Neuro<strong>der</strong>mitis gehört zwar zum atopischen Formenkreis,<br />
muss aber nicht zw<strong>in</strong>gend mit e<strong>in</strong>er Allergie vergesellschaftet<br />
se<strong>in</strong>. Im Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>dalter können aber Reaktionen<br />
auf Grundnahrungsmittel (ca. e<strong>in</strong> Drittel <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die<br />
e<strong>in</strong>e mittlere bis schwere Neuro<strong>der</strong>mitis haben, haben<br />
e<strong>in</strong>e Nahrungsmittelallergie), später auch auf Pollen,<br />
Hausstaubmilben o<strong>der</strong> Tierhaare den Zustand <strong>der</strong> Haut<br />
verschlechtern.<br />
H<strong>in</strong>zu kommen zahlreiche E<strong>in</strong>flussfaktoren, die e<strong>in</strong>en<br />
Neuro<strong>der</strong>mitisschub unterhalten o<strong>der</strong> begünstigen können:<br />
· Schweiß, Wärme<br />
· mechanische Reize auf <strong>der</strong> Haut, z. B. durch Wolle,<br />
Kratzen<br />
· irritierende Stoffe <strong>in</strong> kosmetischen Produkten<br />
· Psyche<br />
· Infekte, Impfung<br />
· Klima (z. B. Kälte)<br />
· Hormone (Pubertät)<br />
· Schadstoffe, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Zigarettenrauch<br />
(auch passiv)<br />
Da es sich um e<strong>in</strong>e chronische, <strong>in</strong> Schüben verlaufende<br />
Erkrankung handelt, kann man sie zwar abmil<strong>der</strong>n o<strong>der</strong><br />
die Dauer durch entsprechende Therapien verkürzen,<br />
aber man kann die neu aufflammenden Ekzeme nicht<br />
gänzlich verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Das ist für die Betroffenen teilweise<br />
sehr frustrierend und kann sogar dazu führen, dass die<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> (<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Teenager) die Auslöser nicht mehr<br />
konsequent meiden o<strong>der</strong> die Hautpflege vernachlässigen,<br />
da ihre Bemühungen sche<strong>in</strong>bar nicht erfolgreich waren.<br />
107
Neuro<strong>der</strong>mitis<br />
Die Diagnose Neuro<strong>der</strong>mitis wird primär aufgrund des typischen<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsbilds, des Juckreizes und des chronischen<br />
Verlaufs gestellt. Es gibt ke<strong>in</strong>e Blutwerte, die für die<br />
Diagnostik herangezogen werden können.<br />
Bei Verdacht auf e<strong>in</strong>en allergischen Auslöser können entsprechende<br />
Allergietests H<strong>in</strong>weise geben.<br />
Neuro<strong>der</strong>mitis ist zwar nicht heilbar, aber häufig selbstlimitierend.<br />
Ungefähr 80 Prozent <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> verlieren die<br />
Symptome bis zum <strong>Schule</strong><strong>in</strong>trittsalter. Häufig bleibt aber<br />
e<strong>in</strong>e trockene, zu Juckreiz neigende und empf<strong>in</strong>dliche<br />
Haut zurück. Bei sehr vielen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n entwickelt sich im<br />
Lauf <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit e<strong>in</strong> Heuschnupfen und/o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> allergisches<br />
Asthma.<br />
Behandlung<br />
Neuro<strong>der</strong>mitis kann durch den quälenden Juckreiz die Lebensqualität<br />
nachhaltig bee<strong>in</strong>trächtigten, ist aber bei entsprechen<strong>der</strong><br />
Hautpflege und Meidung <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen<br />
Auslöser gut behandelbar. Bei <strong>der</strong> Therapie geht es primär<br />
um die Behandlung <strong>der</strong> gestörten Hautbarriere durch entsprechende<br />
Cremes und die äußerliche Anwendung <strong>von</strong><br />
entzündungshemmenden <strong>Wir</strong>kstoffen (z. B. Glukokortikoide)<br />
bei e<strong>in</strong>em Schub. Mit e<strong>in</strong>er dem Hautbild angepassten<br />
Hautpflege lassen sich die schubfreien Intervalle<br />
verlängern sowie die Schübe <strong>in</strong> ihrer Intensität und Dauer<br />
abschwächen. Da <strong>der</strong> E<strong>in</strong>satz <strong>von</strong> unterschiedlichen Präparaten<br />
aber nicht immer e<strong>in</strong>fach zu überblicken ist, sollten<br />
die Eltern bzw. die K<strong>in</strong><strong>der</strong> selbst an e<strong>in</strong>er Schulung<br />
teilgenommen haben.<br />
Schulungsprogramm:<br />
Sowohl für Eltern betroffener K<strong>in</strong><strong>der</strong> als auch für die K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
und Jugendlichen selbst gibt es e<strong>in</strong> evaluiertes Schulungsprogramm,<br />
das ambulant durchgeführt werden<br />
kann. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Regel die Kosten.<br />
Adressen f<strong>in</strong>den Interessierte unter:<br />
www.neuro<strong>der</strong>mitisschulung.de<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Unterricht/Pausensituation:<br />
Der Juckreiz, <strong>der</strong> sowohl den Schlaf als auch die Konzentration<br />
am Tag negativ bee<strong>in</strong>flussen kann, ist das<br />
vorherrschende Symptom. Dementsprechend s<strong>in</strong>kt die<br />
Leistungsfähigkeit. Stresssituationen, die im Schulalltag<br />
vorkommen, wie z. B. Prüfungen o<strong>der</strong> Streit mit<br />
Klassenkamerad<strong>in</strong>nen und Klassenkameraden, können<br />
e<strong>in</strong>en neuen Krankheitsschub begünstigen o<strong>der</strong> unterhalten.<br />
Bei schweren ekzematösen Entzündungen,<br />
die auch mit e<strong>in</strong>er Infektion <strong>der</strong> Haut e<strong>in</strong>hergehen, ist<br />
mit entsprechenden Fehlzeiten aufgrund <strong>von</strong> Krankenhaus-<br />
und Reha-Aufenthalten zu rechnen. Auch e<strong>in</strong>e<br />
stationäre Rehabilitation kann die Betroffenen kurzfristig<br />
vom Unterricht fernhalten. In diesen Fällen sollten<br />
die Lehr<strong>in</strong>halte im Vorfeld besprochen werden, damit<br />
sie während <strong>der</strong> Fehlzeiten erarbeitet werden können.<br />
Weiterh<strong>in</strong> sollte man über e<strong>in</strong>en Nachteilsausgleich bei<br />
den Leistungsbewertungen nachdenken.<br />
Da die Ekzeme teilweise äußerlich sichtbar s<strong>in</strong>d, leiden<br />
Betroffene mitunter an e<strong>in</strong>em verm<strong>in</strong><strong>der</strong>ten Selbstwertgefühl,<br />
das sich auf das Emotionale auswirkt (Ängste,<br />
Aggressionen etc.). Auch Ärger/Probleme mit Gleichaltrigen,<br />
<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Stigmatisierungen, können das<br />
betroffene K<strong>in</strong>d zusätzlich benachteiligen. Vor allem <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Pubertät kann dies problematisch se<strong>in</strong>. Manche Betroffenen<br />
schämen sich für ihre Haut und möchten sich<br />
nicht berühren lassen, manchmal möchten aber auch<br />
Mitschüler<strong>in</strong>nen und Mitschüler das betroffene K<strong>in</strong>d<br />
nicht anfassen. Im Sportunterricht (verstärktes Schwitzen)<br />
sollte darauf geachtet werden, den Erkrankten<br />
Hautpflegemaßnahmen (Abspülen, Duschen, E<strong>in</strong>cremen)<br />
zu ermöglichen. Schwimmen ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel ke<strong>in</strong><br />
Problem, wenn das Chlorwasser im Anschluss sorgfältig<br />
abgespült und die Haut e<strong>in</strong>gecremt wird.<br />
Auf Klassenfahrten/Ausflügen:<br />
Grundsätzlich können Betroffene an Schulausflügen<br />
o<strong>der</strong> mehrtägigen Klassenfahrten teilnehmen. Sofern<br />
Allergien vorliegen, können dadurch jedoch Probleme<br />
entstehen, wie bspw. bei Tierhaarallergien und dem<br />
Besuch e<strong>in</strong>es Bauernhofs, bei Lebensmittelallergien<br />
und <strong>der</strong> Verpflegung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Jugendherberge o<strong>der</strong> bei<br />
Hausstaubmilbenallergie und <strong>der</strong> Übernachtung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
Jugendherberge.<br />
Berufswahl:<br />
Insbeson<strong>der</strong>e Jugendliche, die bereits e<strong>in</strong>e Neuro<strong>der</strong>mitis<br />
o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e atopische Erkrankung wie etwa<br />
Asthma, entwickelt haben, müssen bei ihrer Berufswahl<br />
beson<strong>der</strong>s gut beraten werden. Dazu sollten auch Gespräche<br />
mit e<strong>in</strong>er bzw. e<strong>in</strong>em allergologisch geschulten<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>ärzt<strong>in</strong> bzw. K<strong>in</strong><strong>der</strong>arzt geführt werden, die bzw.<br />
<strong>der</strong> gefährdende Berufe <strong>von</strong> solchen abgrenzen kann,<br />
die für Allergiker besser geeignet s<strong>in</strong>d.<br />
108
Materialien für Lehrkräfte<br />
Der Deutsche Allergie- und Asthmabund e. V. (DAAB)<br />
bietet kostenlose Informationen und e<strong>in</strong>e Beratungshotl<strong>in</strong>e<br />
an: 02166 64788 88 (Mo–Do <strong>von</strong> 9:00 bis 12:00)<br />
www.daab.de<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Deutscher Allergie- und Asthmabund e. V. (DAAB)<br />
www.daab.de<br />
· Ratgeber „Bewusster leben mit Neuro<strong>der</strong>mitis“<br />
vom DAAB<br />
· Flyer „Hautpflege bei Neuro<strong>der</strong>mitis“ vom DAAB<br />
· Neuro<strong>der</strong>mitis-Tagebuch zur Auslösersuche vom<br />
DAAB<br />
· Broschüre „Chronische Erkrankungen im K<strong>in</strong>desalter.<br />
E<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Thema <strong>von</strong> Elternhaus,<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>tagesstätte und <strong>Schule</strong>“ <strong>der</strong> Bundeszentrale<br />
für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), erhältlich<br />
unter: www.bzga.de/<strong>in</strong>fomaterialien/k<strong>in</strong><strong>der</strong>-undjugendgesundheit/chronische-erkrankungen-imk<strong>in</strong>desalter<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.daab.de/haut<br />
· PINA e. V. (Präventions- und Informationsnetzwerk<br />
Allergie/Asthma): www.p<strong>in</strong>a-<strong>in</strong>fol<strong>in</strong>e.de<br />
· Handreichung „Chronische Erkrankungen als<br />
Problem und Thema <strong>in</strong> <strong>Schule</strong> und Unterricht.<br />
Handreichung für Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer <strong>der</strong><br />
Klassen 1 bis 10“ <strong>der</strong> Bundeszentrale für gesundheitliche<br />
Aufklärung (BZgA), erhältlich unter:<br />
www.bzga.de/<strong>in</strong>fomaterialien/ unterrichtsmaterialien/<br />
nach-themen/?idx=625<br />
109
Nierenerkrankungen, v. a. chronische Nieren<strong>in</strong>suffizienz<br />
Es gibt verschiedene Nierenerkrankungen. Bei e<strong>in</strong>er chronischen Nieren<strong>in</strong>suffizienz<br />
wird die Funktion <strong>der</strong> Nieren über e<strong>in</strong>en langen Zeitraum immer<br />
weiter gem<strong>in</strong><strong>der</strong>t, bis sie ihre Aufgaben nicht mehr richtig erfüllen können.<br />
Die Nieren s<strong>in</strong>d Ausscheidungsorgane. Sie regeln den Flüssigkeitshaushalt und<br />
entgiften den Körper durch das Ausscheiden <strong>von</strong> Abbau- o<strong>der</strong> Abfallprodukten,<br />
die dem Organismus <strong>in</strong> hoher Konzentration schaden würden. Die sog.<br />
harnpflichtigen Substanzen werden über den Harn ausgeschieden. Auch bei<br />
e<strong>in</strong>em leicht geschädigten Nierengewebe funktionieren die Nieren noch für<br />
e<strong>in</strong>en langen Zeitraum. Erst wenn etwa die Hälfte des Gewebes bee<strong>in</strong>trächtigt<br />
ist, verm<strong>in</strong><strong>der</strong>t sich die Ausscheidungsrate.<br />
E<strong>in</strong>e chronische Nieren<strong>in</strong>suffizienz mit typischer Symptomatik entwickelt sich<br />
erst, wenn die Niere bereits stark geschädigt ist. Frühzeitige Maßnahmen<br />
können diesen Vorgang unter Umständen stoppen.<br />
E<strong>in</strong>e Nieren<strong>in</strong>suffizienz tritt <strong>in</strong> Westeuropa jährlich mit e<strong>in</strong>er Häufigkeit <strong>von</strong><br />
etwa 1:10.000 auf.<br />
In <strong>Deutschland</strong> leiden ca. 100.000 Menschen an e<strong>in</strong>em endgültigen<br />
Nierenversagen, 75.000 Patienten werden zurzeit dialysiert – 25.000 s<strong>in</strong>d<br />
nierentransplantiert. Im Jahr 2006 waren 862 K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche <strong>in</strong> den<br />
Nierenersatztherapien. 125 K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen wurde e<strong>in</strong>e Niere<br />
transplantiert (QuaSi-Niere-Bericht 2006–2007: S. 25, Tabelle 19).<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Es gibt viele Nierenerkrankungen, die je nach <strong>Wir</strong>kmechanismus<br />
und Krankheitsdauer entwe<strong>der</strong> zu e<strong>in</strong>er akuten<br />
o<strong>der</strong> chronischen Nieren<strong>in</strong>suffizienz führen. Zudem existieren<br />
viele an<strong>der</strong>e Erkrankungen (Stoffwechselerkrankungen,<br />
Herz- und Lebererkrankungen, Infektionen etc.),<br />
die die Nieren befallen und so zu e<strong>in</strong>er akuten o<strong>der</strong> chronischen<br />
Nieren<strong>in</strong>suffizienz führen können.<br />
Häufigste Nierenerkrankungen:<br />
· Nierenparenchymentzündung/Nephritis<br />
· Nierenbeckenentzündung/Pyelonephritis<br />
· Nierenkörperchenentzündung/Glomerulonephritis<br />
· Nierenkrebs (z. B. <strong>der</strong> Wilms-Tumor als häufigste,<br />
bösartige Krebsform im K<strong>in</strong>desalter)<br />
· Nierenfehlbildungen/Nierenste<strong>in</strong>e<br />
· Renale Anämie als Folge e<strong>in</strong>er Nierenerkrankung<br />
· Zystennieren<br />
· Gestosen<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Für e<strong>in</strong>e chronische Nieren<strong>in</strong>suffizienz kommen viele<br />
Ursachen <strong>in</strong>frage. Oft lösen e<strong>in</strong> langjähriger Diabetes<br />
mellitus o<strong>der</strong> Bluthochdruck, Nierenzysten o<strong>der</strong> Fehlbildungen,<br />
e<strong>in</strong>e übermäßige E<strong>in</strong>nahme <strong>von</strong> bestimmten<br />
Schmerzmitteln, entzündliche Nierenerkrankungen o<strong>der</strong><br />
Nierenste<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>e chronische Nieren<strong>in</strong>suffizienz aus.<br />
E<strong>in</strong>e akute Nieren<strong>in</strong>suffizienz entsteht meist <strong>in</strong>nerhalb<br />
weniger Stunden o<strong>der</strong> Tage bei Schocksymptomatik, akuten<br />
Infektionen, Sepsis (Blutvergiftung) o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er Tubulusnekrose<br />
(medikamentös-toxisch o<strong>der</strong> <strong>in</strong>fektiös).<br />
Im Folgenden wird <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e auf die chronische Nieren<strong>in</strong>suffizienz<br />
e<strong>in</strong>gegangen:<br />
E<strong>in</strong>e gesunde Niere bildet etwa 125 Milliliter Primärharn <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er M<strong>in</strong>ute. Dieser Vorgang wird als glomeruläre Filtration<br />
bezeichnet, da er <strong>in</strong> den als Glomeruli bezeichneten<br />
Gefäßknäueln <strong>der</strong> Niere stattf<strong>in</strong>det. Bei e<strong>in</strong>er chronischen<br />
Nieren<strong>in</strong>suffizienz wird fortschreitend das funktionsfähige<br />
Gewebe geschädigt, so dass die Niere immer weniger<br />
Primärharn bildet. E<strong>in</strong> vollständiges Nierenversagen mit<br />
völligem Ausfall <strong>der</strong> Harnproduktion ist e<strong>in</strong>e sogenannte<br />
term<strong>in</strong>ale Nieren<strong>in</strong>suffizienz. In diesem Stadium bildet<br />
110
die Niere dann weniger als 15 Milliliter Primärharn pro<br />
M<strong>in</strong>ute.<br />
Die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) dient <strong>der</strong> E<strong>in</strong>teilung<br />
chronischer Nierenerkrankungen.<br />
Die chronische Nieren<strong>in</strong>suffizienz durchläuft unbehandelt<br />
fünf Stadien mit unterschiedlichen Schweregraden:<br />
Stadium I: Nierenerkrankung, GFR normal<br />
Stadium II: leichte Nieren<strong>in</strong>suffizienz, GFR = 60–89 ml<br />
Stadium III: mäßige Nieren<strong>in</strong>suffizienz, GFR = 30–59 ml<br />
Stadium IV: schwere Nieren<strong>in</strong>suffizienz, GFR = 15–29 ml<br />
Stadium V: term<strong>in</strong>ale Nieren<strong>in</strong>suffizienz, GFR < 15 ml<br />
Im Stadium V (Endstadium) reichern sich Stoffe, die normalerweise<br />
mit dem Harn ausgeschieden werden, im<br />
Blut an. Dadurch kommt es zur Harnvergiftung (Urämie).<br />
Ohne Behandlung ist dieser Zustand lebensbedrohlich.<br />
Die Zehnjahresüberlebensrate liegt bei <strong>der</strong> term<strong>in</strong>alen<br />
Nieren<strong>in</strong>suffizienz bei etwa 55 Prozent. Die Urämie äußert<br />
sich mit Symptomen wie Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen,<br />
Übelkeit, urämischer Mundgeruch, starker Juckreiz<br />
bis h<strong>in</strong> zum Koma im weit fortgeschrittenen Stadium. Sie<br />
erfor<strong>der</strong>t somit e<strong>in</strong>e sofortige Dialyse.<br />
Die bei chronischer Nieren<strong>in</strong>suffizienz verm<strong>in</strong><strong>der</strong>te Ausscheidung<br />
<strong>von</strong> überflüssigem Wasser zeigt sich <strong>in</strong> unterschiedlicher<br />
Symptomatik:<br />
· Bluthochdruck (Hypertonie)<br />
· Symptome <strong>der</strong> Überwässerung (Lungenödem,<br />
Lungenfell- bzw. Herzbeutelergüsse)<br />
· Luftnot<br />
· Herz<strong>in</strong>suffizienz<br />
· Neigung zu Wassere<strong>in</strong>lagerungen im Gewebe (Ödeme,<br />
vor allem an den Füßen und Unterschenkeln)<br />
· nächtlicher Harndrang<br />
Das Versagen <strong>der</strong> Nierenfunktionen verursacht e<strong>in</strong>e erhöhte<br />
Konzentration <strong>von</strong> Giftstoffen im Körper und kann<br />
sich auf die Nerven auswirken. Mögliche Folgen s<strong>in</strong>d neurologische<br />
Symptome wie Sensibilitätsstörungen, Konzentrationsschwäche<br />
und Verwirrtheit.<br />
Infolge verm<strong>in</strong><strong>der</strong>ter Hormonfreisetzung kann sich zudem<br />
das Blutbild verän<strong>der</strong>n. E<strong>in</strong>e nierenbed<strong>in</strong>gte Blutarmut<br />
(renale Anämie) fällt durch rasche Ermüdbarkeit,<br />
Blässe und herabgesetzte körperliche Belastbarkeit auf.<br />
Infolge <strong>von</strong> Verän<strong>der</strong>ungen im Knochenstoffwechsel<br />
können Knochenschmerzen und Brüche auftreten. In e<strong>in</strong>igen<br />
Fällen neigen die Betroffenen verstärkt dazu, blaue<br />
Flecken auszubilden. Bei Frauen wirkt sich die chronische<br />
Nieren<strong>in</strong>suffizienz manchmal auf den Menstruationszyklus<br />
aus. Es kommt zu Zyklusstörungen o<strong>der</strong> Ausbleiben<br />
<strong>der</strong> Menstruation. Männer mit chronischer Nieren<strong>in</strong>suffizienz<br />
leiden vermehrt unter Impotenz.<br />
Weitere typische Symptome <strong>der</strong> chronischen Nieren<strong>in</strong>suffizienz<br />
s<strong>in</strong>d Juckreiz und Wadenkrämpfe; außerdem<br />
können die Betroffenen nach Ur<strong>in</strong> riechen (Foetor<br />
uraemicus).<br />
Diagnose<br />
Die Diagnose wird durch e<strong>in</strong>en Arzt gestellt. E<strong>in</strong>en H<strong>in</strong>weis<br />
auf das chronische Nierenversagen liefern erhöhte<br />
Kreat<strong>in</strong><strong>in</strong>werte im Blut. Kreat<strong>in</strong><strong>in</strong> wird über die Niere<br />
ausgeschieden. Wenn <strong>der</strong> Verdacht auf e<strong>in</strong>e chronische<br />
Nieren<strong>in</strong>suffizienz besteht, erfolgt zur Diagnose e<strong>in</strong>e<br />
Reihe <strong>von</strong> Untersuchungen. Der Verdacht auf Nieren<strong>in</strong>suffizienz<br />
ergibt sich aus den bestehenden Symptomen,<br />
wie Anzeichen <strong>der</strong> Überwässerung, Ödeme und<br />
Bluthochdruck, Übelkeit und Erbrechen, Blutarmut o<strong>der</strong><br />
Potenzstörungen sowie aus dem Vorliegen an<strong>der</strong>er Erkrankungen,<br />
die e<strong>in</strong>e Nierenerkrankung begünstigen<br />
(z. B. Diabetes mellitus).<br />
Für die bildgebende Diagnostik <strong>der</strong> chronischen Nieren<strong>in</strong>suffizienz<br />
kommen verschiedene Verfahren <strong>in</strong>frage.<br />
Ultraschall, Computertomografie (CT) und Röntgenkontrastmitteluntersuchung<br />
ermöglichen sowohl die Diagnose<br />
e<strong>in</strong>er Nieren<strong>in</strong>suffizienz als auch die Kontrolle ihres<br />
Verlaufs. Zudem erfolgt e<strong>in</strong>e umfassende körperliche Untersuchung,<br />
um die bisherigen Auswirkungen <strong>der</strong> Nierenschwäche<br />
auf den Körper zu erfassen.<br />
Prognose<br />
E<strong>in</strong> chronisches Nierenversagen nimmt unbehandelt e<strong>in</strong>en<br />
fortschreitenden Verlauf. Solange die Nierenfunktion<br />
noch nicht vollständig erloschen ist, kann durch<br />
e<strong>in</strong>e geeignete Therapie und e<strong>in</strong>e Umstellung <strong>der</strong><br />
Lebensgewohnheiten die Verm<strong>in</strong><strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Nierenfunktion<br />
aufgehalten werden. Ist die Nieren<strong>in</strong>suffizienz noch<br />
nicht weit ausgeprägt, reicht meist e<strong>in</strong>e medikamentöse<br />
und konservative Behandlung aus. Im Endstadium des<br />
Nierenversagens ist die künstliche Blutwäsche (Dialyse)<br />
o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Nierentransplantation erfor<strong>der</strong>lich. Dem chronischen<br />
Nierenversagen kann durch e<strong>in</strong>e gesunde Lebensweise<br />
vorgebeugt bzw. dieses h<strong>in</strong>ausgezögert werden.<br />
Behandlung<br />
Die Behandlung <strong>der</strong> chronischen Nieren<strong>in</strong>suffizienz richtet<br />
sich nach <strong>der</strong> vorliegenden Grun<strong>der</strong>krankung und<br />
dem Stadium, das die Krankheit erreicht hat. Sie kann<br />
folgende Maßnahmen umfassen:<br />
Konservative Therapie:<br />
Handelt es sich bei <strong>der</strong> Grun<strong>der</strong>krankung um e<strong>in</strong>e Nierenbeckenentzündung,<br />
erhält <strong>der</strong> Patient Antibiotika. Bei<br />
Diabetes mellitus ist es wichtig, den Blutzucker gut e<strong>in</strong>zustellen.<br />
Falls Bluthochdruck (Hypertonie) vorliegt, werden<br />
Medikamente zur Blutdrucksenkung verschrieben.<br />
Schmerzl<strong>in</strong><strong>der</strong>nde Medikamente, die nierenschädigend<br />
s<strong>in</strong>d (Analgetika), sollten gemieden werden.<br />
111
Nierenerkrankungen, v. a. chronische Nieren<strong>in</strong>suffizienz<br />
Damit e<strong>in</strong> Fortschreiten <strong>der</strong> chronischen Nieren<strong>in</strong>suffizienz<br />
trotz Behandlung <strong>der</strong> Grun<strong>der</strong>krankung verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t<br />
werden kann, muss Folgendes beachtet werden:<br />
· Vermeidung <strong>von</strong> nierenschädigenden Medikamenten<br />
und Röntgenkontrastmitteln<br />
· Umstellung <strong>der</strong> Ernährung auf eiweißarme, bezüglich<br />
<strong>der</strong> Am<strong>in</strong>osäurezusammensetzung hochwertige und<br />
kaliumarme Ernährung – so können die <strong>von</strong> <strong>der</strong> Niere<br />
auszuscheidenden Substanzen (Harnstoff und Kalium)<br />
verm<strong>in</strong><strong>der</strong>t werden.<br />
· Umstellung auf salzarme Diät (nur bei Bluthochdruck<br />
und Ödemen)<br />
· Die Produktion des Primärharns kann durch e<strong>in</strong>e reichliche<br />
Flüssigkeitszufuhr gesteigert werden. Zusätzlich<br />
können durch e<strong>in</strong>e Ärzt<strong>in</strong> bzw. e<strong>in</strong>en Arzt harntreibende<br />
Medikamente verabreicht werden (Diuretika).<br />
Blutwäsche:<br />
Ist die chronische Nieren<strong>in</strong>suffizienz so weit fortgeschritten,<br />
dass die Funktion <strong>der</strong> Nieren nicht mehr zur Entgiftung<br />
des Körpers ausreicht, wird die Blutwäsche (Dialyse)<br />
notwendig. Diese wird e<strong>in</strong> Leben lang durchgeführt, da<br />
sie die Funktionen <strong>der</strong> Nieren ersetzt.<br />
Es gibt grundsätzlich zwei Arten <strong>der</strong> Dialyse. Die Hämodialyse<br />
ist e<strong>in</strong>e Form, bei <strong>der</strong> die Dialyse mithilfe e<strong>in</strong>er<br />
künstlichen Niere außerhalb des Körpers stattf<strong>in</strong>det. Die<br />
Betroffenen werden dreimal wöchentlich ca. vier bis fünf<br />
Stunden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Spezialambulanz behandelt. Bei <strong>der</strong><br />
zweiten Methode wird das Blut mithilfe des Bauchfells<br />
<strong>von</strong> Schadstoffen befreit. Diese Dialyseart wird Peritonealdialyse<br />
(Bauchfelldialyse) genannt.<br />
Beide Dialysearten können unter bestimmten Voraussetzungen<br />
auch zu Hause durchgeführt werden.<br />
Nierentransplantation:<br />
Die e<strong>in</strong>zige Alternative zur Dialyse ist e<strong>in</strong>e Nierentransplantation.<br />
Dafür wird e<strong>in</strong> passendes Spen<strong>der</strong>organ benötigt,<br />
was häufig mit e<strong>in</strong>er längeren Wartezeit verbunden<br />
ist.<br />
E<strong>in</strong>e Nierentransplantation kann mit e<strong>in</strong>er Verbesserung<br />
<strong>der</strong> Lebensqualität e<strong>in</strong>hergehen, da die Dialyse entfällt.<br />
Sie sollte bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n mit term<strong>in</strong>aler Nieren<strong>in</strong>suffizienz<br />
angestrebt werden. Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> können sich dann besser<br />
entwickeln, aktiv am Leben teilnehmen, Sport treiben etc.<br />
Natürlich bedeutet e<strong>in</strong>e Organtransplantation auch e<strong>in</strong>e<br />
langjährige E<strong>in</strong>nahme <strong>von</strong> Immunsuppressiva und an<strong>der</strong>en<br />
Medikamenten, um e<strong>in</strong>e Abstoßung durch den Körper<br />
zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n.<br />
Es gibt heute auch die sogenannte Lebendspende <strong>von</strong><br />
Nieren. Dabei wird unter emotional nahestehenden<br />
Personen (Eltern-K<strong>in</strong><strong>der</strong>/Paare) e<strong>in</strong>e Niere vom gesunden<br />
Partner auf den nierenkranken Partner übertragen.<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Trotz gesundheitlicher E<strong>in</strong>schränkungen wünschen<br />
sich Eltern, dass ihr nierenkrankes K<strong>in</strong>d möglichst<br />
normal aufwachsen kann, Freunde f<strong>in</strong>det und e<strong>in</strong>e<br />
gute Ausbildung bekommt.<br />
In lebensbedrohlichen Phasen treten diese Wünsche<br />
<strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergrund o<strong>der</strong> relativieren sich nach e<strong>in</strong>er<br />
überstandenen Krise. Doch auch professionelle Kräfte<br />
sollten nie aus den Augen verlieren, dass das K<strong>in</strong>d<br />
nicht nur Patient ist, son<strong>der</strong>n auch e<strong>in</strong> junger Mensch<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Entwicklung. Se<strong>in</strong>e Entwicklungsaufgaben<br />
müssen altersgerecht ernst genommen und berücksichtigt<br />
werden.<br />
Chronisch kranke K<strong>in</strong><strong>der</strong> s<strong>in</strong>d oft reifer als Gleichaltrige.<br />
Bei Jugendlichen sollte darauf geachtet<br />
werden, dass sie nicht ausgeschlossen und aufgrund<br />
ihrer Krankheit zu Außenseitern werden.<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> haben die Möglichkeit, <strong>in</strong> ihrem Dialysezentrum<br />
durch Krankenhauslehrkräfte unterrichtet<br />
zu werden. In Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> Klassenlehrer<strong>in</strong>/dem<br />
Klassenlehrer können die Lern<strong>in</strong>halte<br />
abgeglichen werden, sodass das nierenerkrankte<br />
K<strong>in</strong>d auf dem gleichen Lernstand ist wie<br />
se<strong>in</strong>e Klassenkamerad<strong>in</strong>nen und Klassenkameraden.<br />
Mit E<strong>in</strong>verständnis des K<strong>in</strong>des o<strong>der</strong> Jugendlichen<br />
sollte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Klasse über die Nierenerkrankung gesprochen<br />
werden. Die Lehrkraft sollte sich über die<br />
Krankheit <strong>in</strong>formieren und das Gespräch mit den Eltern<br />
suchen, um im Rahmen des Unterrichts Beson<strong>der</strong>heiten<br />
<strong>der</strong> Krankheit berücksichtigen zu können,<br />
z. B. regelmäßiges Tr<strong>in</strong>ken nach e<strong>in</strong>er Nierentransplantation,<br />
Entleeren <strong>der</strong> Blase und die eventuell<br />
notwendige Medikamentene<strong>in</strong>nahme. Sie sollte vor<br />
allem jüngere K<strong>in</strong><strong>der</strong> gut im Auge behalten und<br />
bei Verschlechterung des Gesundheitszustands die<br />
Eltern o<strong>der</strong> den Arzt verständigen. Durch gute Zusammenarbeit<br />
mit den Eltern kann verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t<br />
werden, dass nierenerkrankte K<strong>in</strong><strong>der</strong> zu Außenseitern<br />
werden. Es ist wichtig, dass die Klassenlehrer<strong>in</strong>/<strong>der</strong><br />
Klassenlehrer und, nach Absprache mit <strong>der</strong>/<br />
dem betroffenen Schüler<strong>in</strong>/Schüler, auch das Kollegium<br />
<strong>in</strong>formiert ist. E<strong>in</strong>e Aufklärung <strong>der</strong> Klassenkamerad<strong>in</strong>nen<br />
und Klassenkameraden kann helfen,<br />
Mobb<strong>in</strong>g (z. B. wegen häufiger Toilettengänge o<strong>der</strong><br />
verän<strong>der</strong>ten Aussehens) zu vermeiden.<br />
Auf Schulausflügen:<br />
Lehrkräfte sollten die Teilnahme an Klassen- und<br />
Schulfahrten ermöglichen.<br />
Sie sollten darauf achten, dass Betroffene folgende<br />
D<strong>in</strong>ge mit sich führen:<br />
· Telefonnummern <strong>der</strong> Eltern und <strong>der</strong>/des<br />
behandelnden Ärzt<strong>in</strong>/Arztes<br />
w<br />
112
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
· Medikamente mit Medikamentenliste (wann,<br />
wo<strong>von</strong>, wie viel e<strong>in</strong>genommen werden muss)<br />
· schriftliche Information über das Verhalten im<br />
Notfall<br />
Die Eltern des K<strong>in</strong>des o<strong>der</strong> <strong>der</strong> bzw. des Jugendlichen<br />
sollten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wartezeit auf e<strong>in</strong>e Transplantation die<br />
Telefonnummer <strong>der</strong> Jugendherberge o<strong>der</strong> des Schullandheims<br />
sowie die Mobilnummer <strong>der</strong> Lehrkraft erhalten,<br />
um sofort handeln zu können, falls e<strong>in</strong> Spen<strong>der</strong>organ<br />
zur Verfügung steht.<br />
Im Sportunterricht:<br />
Die behandelnde Ärzt<strong>in</strong> bzw. <strong>der</strong> behandelnde Arzt<br />
<strong>der</strong>/des nierenerkrankten Schüler<strong>in</strong>/Schülers entscheidet,<br />
ob und <strong>in</strong> welchem Umfang am Sportunterricht<br />
teilgenommen werden kann. Durch den Schulsport<br />
können das Selbstbewusstse<strong>in</strong> des K<strong>in</strong>des und<br />
<strong>der</strong> Zusammenhalt <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Klasse gestärkt werden.<br />
Bei <strong>der</strong> Sportnote sollte die Lehrkraft ihren Ermessensspielraum<br />
nutzen und auch soziale Aspekte<br />
e<strong>in</strong>fließen lassen. Aufgrund <strong>der</strong> erhöhten Infektionsgefahr<br />
sollten Betroffene nicht am Schwimmunterricht<br />
<strong>in</strong> öffentlichen Schwimmbä<strong>der</strong>n teilnehmen.<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
· Flyer „school is cool“ des Bundesverbandes Niere e. V.<br />
für Lehrkräfte und Eltern: www.bundesverband-niere.<br />
de/bundesverband/<strong>in</strong>fomaterial-downloads/<br />
<strong>in</strong>fomaterial-broschueren<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Bundesverband Niere e. V.<br />
www.bundesverband-niere.de<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.bundesverband-niere.de/bundesverband/<br />
die-nieren/funktion-und-aufgaben-<strong>der</strong>-nieren<br />
· www.bundesverband-niere.de/bundesverband/<br />
die-nieren/erkrankungen-<strong>der</strong>-nieren<br />
113
Phenylketonurie<br />
Bei e<strong>in</strong>er Phenylketonurie (PKU) ist das Enzym, das Phenylalan<strong>in</strong> (Phe)<br />
umwandelt (Phenylalan<strong>in</strong>hydroxylase), gar nicht o<strong>der</strong> nur verm<strong>in</strong><strong>der</strong>t aktiv.<br />
Phe ist e<strong>in</strong> Eiweißbestandteil und f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> fast allen geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> als<br />
„lebensnotwendig“ bezeichneten Nahrungsmitteln. Das sich aufgrund dieser<br />
erblich bed<strong>in</strong>gten Störung <strong>in</strong> Blut und Gewebe anhäufende Phe bee<strong>in</strong>trächtigt<br />
die Gehirnentwicklung und verursacht Hirnschädigungen.<br />
In den ersten Lebenswochen s<strong>in</strong>d betroffene Säugl<strong>in</strong>ge noch weitgehend<br />
unauffällig, nach etwa drei Monaten treten Entwicklungsstörungen und<br />
Übererregbarkeit auf. Im weiteren Verlauf <strong>der</strong> PKU verzögert sich bei unbehandelten<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>n die geistige und motorische Entwicklung. Es kommt zu<br />
krampfartigen Anfällen sowie Störungen <strong>der</strong> Muskelspannung. Das Gehirnwachstum<br />
ist verm<strong>in</strong><strong>der</strong>t. In <strong>der</strong> Folge entstehen irreversible schwere geistige<br />
Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen. Zudem können Verhaltensstörungen wie etwa Reizbarkeit<br />
und Autoaggressionen auftreten.<br />
E<strong>in</strong> Teil des Phe wird <strong>in</strong> Phenylazetat umgewandelt, e<strong>in</strong>en Stoff, <strong>der</strong> über<br />
Ur<strong>in</strong> und Schweiß ausgeschieden wird und e<strong>in</strong>en unangenehmen Geruch<br />
nach Azeton (Nagellackentferner) verursacht. Da <strong>in</strong>folge des Enzymdefekts<br />
die Herstellung des körpereigenen Pigments Melan<strong>in</strong> gestört ist, haben Betroffene<br />
als Ausdruck des Pigmentmangels oftmals auffallend blonde Haare,<br />
helle Haut und blaue Augen. Zudem können Pigmentstörungen und Hautausschläge<br />
auftreten.<br />
Ca. e<strong>in</strong>er <strong>von</strong> 8.000 Menschen ist <strong>von</strong> PKU betroffen.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Die klassische PKU ist die bei Weitem häufigste Form und<br />
folgen<strong>der</strong>maßen gekennzeichnet: Die fehlende o<strong>der</strong> verm<strong>in</strong><strong>der</strong>te<br />
Aktivität des Enzyms Phenylalan<strong>in</strong>hydroxylase<br />
führt zu e<strong>in</strong>er Anhäufung <strong>von</strong> Phe im Körper. Alternative<br />
Abbauprodukte wie Phenylessigsäure, Phenylbrenztraubensäure<br />
und Phenylmilchsäure werden vermehrt ausgeschieden.<br />
Die atypische PKU: Bei dieser seltenen Variante ist <strong>der</strong><br />
Stoffwechsel e<strong>in</strong>es Koenzyms <strong>der</strong> Phenylalan<strong>in</strong>hydroxylase<br />
gestört.<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
PKU ist e<strong>in</strong>e autosomal-rezessiv vererbte Stoffwechselstörung:<br />
Etwa je<strong>der</strong> 50. Mensch trägt das entsprechende<br />
Erbmerkmal auf e<strong>in</strong>em se<strong>in</strong>er zwei Chromosomensätze.<br />
Diese Erbträger spüren ke<strong>in</strong>e Auswirkungen, da ihr Stoffwechsel<br />
durch die „gesunde“ Erb<strong>in</strong>formation gesteuert<br />
wird. Nur K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die sowohl vom Vater als auch <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />
Mutter diese mutierte Erb<strong>in</strong>formation erhalten, haben<br />
PKU.<br />
Im Rahmen <strong>der</strong> Vorsorgeuntersuchung U2 (Neugeborenenscreen<strong>in</strong>g)<br />
wird etwa zwei bis drei Tage nach <strong>der</strong> Geburt<br />
<strong>der</strong> Phe-Spiegel im Blut mittels Blutprobe ermittelt.<br />
Bei e<strong>in</strong>em erhöhten Wert folgt e<strong>in</strong>e weitere Diagnostik,<br />
um Aufschluss über die Ausprägung <strong>der</strong> PKU zu gew<strong>in</strong>nen.<br />
E<strong>in</strong>e pränatale Diagnose <strong>der</strong> PKU mittels Fruchtwasseruntersuchung<br />
f<strong>in</strong>det bei Verdacht statt, etwa wenn <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Familie PKU-Fälle bekannt s<strong>in</strong>d.<br />
Bei rechtzeitigem Behandlungsbeg<strong>in</strong>n und E<strong>in</strong>haltung<br />
<strong>der</strong> Phe-armen Diät entwickeln sich PKU-betroffene K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
völlig normal. Sie können e<strong>in</strong>en Beruf ergreifen, s<strong>in</strong>d<br />
fortpflanzungsfähig und ihre Lebenserwartung ist nicht<br />
e<strong>in</strong>geschränkt. Allerd<strong>in</strong>gs gilt es zu beachten, dass sie<br />
stets e<strong>in</strong> Chromosom mit gestörter Erb<strong>in</strong>formation an die<br />
nächste Generation weitergeben und damit e<strong>in</strong> erhöhtes<br />
Risiko haben, dass auch ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong> betroffen s<strong>in</strong>d. Familien<br />
mit PKU-Fällen können daher e<strong>in</strong>e humangenetische<br />
Beratung <strong>in</strong> Anspruch nehmen.<br />
114
Behandlung<br />
Die Therapie <strong>der</strong> PKU besteht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Phe-armen Diät. Da<br />
Phe <strong>in</strong> fast allen eiweißhaltigen Nahrungsmitteln enthalten<br />
ist, müssen Betroffene auf viele natürliche Lebensmittel<br />
verzichten.<br />
Weil Phe zu den essenziellen und damit lebensnotwendigen<br />
Am<strong>in</strong>osäuren gehört, darf die Ernährung nicht<br />
vollständig Phe-frei se<strong>in</strong>, son<strong>der</strong>n muss ger<strong>in</strong>ge Mengen<br />
<strong>der</strong> Am<strong>in</strong>osäure enthalten. Speziell im Wachstum ist e<strong>in</strong>e<br />
ausreichende Versorgung mit Eiweißbauste<strong>in</strong>en wichtig.<br />
Um diese sicherzustellen, gibt es synthetisch hergestellte<br />
Am<strong>in</strong>osäuremischungen (diätetische Lebensmittel für<br />
beson<strong>der</strong>e mediz<strong>in</strong>ische Zwecke). Sie enthalten verschiedene<br />
Vitam<strong>in</strong>e und M<strong>in</strong>eralstoffe sowie Am<strong>in</strong>osäuren,<br />
jedoch ke<strong>in</strong> Phe. Bereits Neugeborenen wird Phe-arme<br />
Säugl<strong>in</strong>gsnahrung verabreicht, denn je früher mit <strong>der</strong> Diät<br />
begonnen wird, desto besser ist die Prognose. Beson<strong>der</strong>s<br />
wichtig ist die Phe-arme Diät <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Gehirnentwicklung<br />
– vom Säugl<strong>in</strong>gsalter bis zur Pubertät. Da bei<br />
erwachsenen Patient<strong>in</strong>nen und Patienten, die ihre Diät<br />
nicht mehr konsequent e<strong>in</strong>halten, neurologische und kognitive<br />
E<strong>in</strong>schränkungen beobachtet werden, wird e<strong>in</strong>e<br />
lebenslange Behandlungsdauer empfohlen.<br />
Während <strong>der</strong> Diät muss <strong>der</strong> Phe-Spiegel regelmäßig kontrolliert<br />
werden. Je nach Alter gelten unterschiedliche<br />
Grenzwerte. K<strong>in</strong><strong>der</strong> bis zum zehnten Lebensjahr sollten e<strong>in</strong>en<br />
maximalen Phe-Spiegel <strong>von</strong> 4 mg/dl aufweisen, bis zum<br />
16. Lebensjahr liegt die Grenze bei 15 mg/dl, danach bei<br />
maximal 20 mg/dl. Vor dem H<strong>in</strong>tergrund neuerer wissenschaftlicher<br />
Erkenntnisse werden <strong>der</strong>zeit strengere Grenzwerte<br />
diskutiert.<br />
Während e<strong>in</strong>er Schwangerschaft müssen Frauen mit PKU<br />
die Diät beson<strong>der</strong>s streng e<strong>in</strong>halten, um e<strong>in</strong>e Schädigung<br />
des Embryos durch die mütterlichen Phe-Spiegel zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
(sog. maternale PKU).<br />
Schulungsprogramme<br />
Für PKU-betroffene Eltern, K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche gibt es<br />
neben speziellen Kochkursen und E<strong>in</strong>kaufstra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs auch<br />
Schulungsprogramme, bei denen neben dem Wissen um<br />
die Krankheit selbst auch soziale Kompetenzen im Vor<strong>der</strong>grund<br />
stehen.<br />
Die Deutsche Interessengeme<strong>in</strong>schaft Phenylketonurie<br />
e. V. (DIG PKU) bietet u. a. altersgerechte Sem<strong>in</strong>are<br />
sowohl für Eltern mit PKU-betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n im<br />
Vor- und Grundschulalter als auch für die betroffenen<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> im Alter <strong>von</strong> 9 bis 16 Jahren und auch für die Jugendlichen<br />
und jungen Erwachsenen an. Insbeson<strong>der</strong>e<br />
bei den Eltern- und Erwachsenensem<strong>in</strong>aren dürfen Lehrkräfte<br />
und an<strong>der</strong>e Interessierte je<strong>der</strong>zeit gerne teilnehmen<br />
und sich so e<strong>in</strong>en noch besseren E<strong>in</strong>blick verschaffen,<br />
was PKU für die Betroffenen im Alltag bedeutet. Als<br />
e<strong>in</strong>zige bundesweit tätige <strong>Selbsthilfe</strong>organisation für diese<br />
Erkrankung steht die DIG PKU auch Lehrkräften und<br />
betreuenden Personen gerne beratend zur Seite, sowohl<br />
vor Ort durch ihre Regionalgruppenleitungen als auch<br />
durch den Vorstand.<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
E<strong>in</strong> PKU-betroffenes K<strong>in</strong>d sollte als „normales und<br />
gesundes“ Mitglied <strong>der</strong> Klasse behandelt werden. Es<br />
unterscheidet sich we<strong>der</strong> <strong>in</strong> Bezug auf se<strong>in</strong>e soziale,<br />
emotionale o<strong>der</strong> physische Reife noch h<strong>in</strong>sichtlich<br />
se<strong>in</strong>er <strong>in</strong>tellektuellen Fähigkeiten <strong>von</strong> den Mitschüler<strong>in</strong>nen<br />
und Mitschülern.<br />
Lehrkräfte sollten sich regelmäßig mit den Eltern austauschen,<br />
damit diese den Außer-Haus-Verzehr ihres<br />
K<strong>in</strong>des besser überblicken und ggf. ausgleichend<br />
tätig werden können. Sie s<strong>in</strong>d stets die ersten Ansprechpartner<br />
bei Fragen zur PKU-Diät.<br />
Lehrkräfte sollten den Eltern Abweichungen <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />
Diät mitteilen, z. B.<br />
· wenn das K<strong>in</strong>d unerlaubte Nahrungsmittel<br />
gegessen hat,<br />
· wenn das K<strong>in</strong>d das <strong>von</strong> zu Hause mitgebrachte<br />
Essen nicht isst,<br />
· wenn beson<strong>der</strong>e Anlässe wie Geburtstagsfeiern<br />
o<strong>der</strong> Klassenfeste anstehen, damit<br />
sichergestellt werden kann, dass eiweißarme<br />
Nahrung (z. B. spezieller Kuchen) mitgegeben<br />
werden kann.<br />
Auch sollten Lehrkräfte sowie Mitschüler<strong>in</strong>nen und<br />
Mitschüler e<strong>in</strong>em betroffenen K<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong> „unerlaubtes“<br />
Essen geben. Selbst kle<strong>in</strong>e Mengen Phe summieren<br />
sich und können den Phe-Spiegel im Blut erhöhen.<br />
Trotz aller Vorsicht ist überzogene Angst jedoch<br />
nicht nötig: Kle<strong>in</strong>e Diätfehler haben ke<strong>in</strong>e akuten<br />
o<strong>der</strong> langfristigen Auswirkung auf die Gesundheit<br />
und Entwicklung des K<strong>in</strong>des.<br />
PKU-betroffene K<strong>in</strong><strong>der</strong> sollten selbstverständlich an<br />
Klassenfahrten und Ausflügen teilnehmen. Für Tagestouren<br />
kann e<strong>in</strong> Rucksack mit speziellen Nahrungsmitteln<br />
gepackt werden. Mehrtägige Fahrten bedürfen<br />
h<strong>in</strong>gegen <strong>in</strong>tensiverer Vorbereitungen und<br />
Absprachen mit den Eltern. Insbeson<strong>der</strong>e bei jüngeren<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>n, die ihre Diät noch nicht selbst steuern<br />
können, kann es s<strong>in</strong>nvoll se<strong>in</strong>, dass e<strong>in</strong> Elternteil die<br />
Klassenfahrt begleitet.<br />
115
Phenylketonurie<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
Für Informationen zum Umgang mit betroffenen<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen wenden Sie sich bitte<br />
an die Deutsche Interessengeme<strong>in</strong>schaft Phenylketonurie<br />
e. V. (DIG PKU).<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Deutsche Interessengeme<strong>in</strong>schaft Phenylketonurie e. V.<br />
(DIG PKU)<br />
www.dig-pku.de<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.netzwerk-apd.de/vortraege/vfed_<strong>in</strong>terview.pdf<br />
116
Poland-Syndrom<br />
Beim Poland-Syndrom handelt es sich um e<strong>in</strong>e angeborene Fehlbildung.<br />
Die Symptome treten nur auf e<strong>in</strong>er Körperseite auf.<br />
Das Poland-Syndrom zählt zu den selten auftretenden Bee<strong>in</strong>trächtigungen;<br />
die Häufigkeit bei Geburt ist etwa 1:20.000 bis 1:30.000.<br />
Es kommt häufiger bei Jungen als bei Mädchen vor und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mehrzahl <strong>der</strong><br />
Fälle ist die rechte Körperseite betroffen.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Die unterschiedlich schwer ausgeprägten Anomalien<br />
können die Brustmuskeln, die Brustdrüse, die Rippen,<br />
die Schultermuskeln, die <strong>Wir</strong>belsäule, den Arm, die Hand<br />
und die F<strong>in</strong>ger betreffen. Die Hand kann bei e<strong>in</strong>igen Betroffenen<br />
normal ausgebildet se<strong>in</strong>.<br />
Nieren-, Herz-, und Genitalien-Anomalien können auch<br />
vorkommen. Das Fehlen e<strong>in</strong>er Niere ist i. d. R. weitgehend<br />
unproblematisch. Bei Patienten, die auf <strong>der</strong> l<strong>in</strong>ken Seite<br />
betroffen s<strong>in</strong>d, kann das Herz etwas <strong>in</strong> die Mitte verschoben<br />
se<strong>in</strong> (Dextrokardie). Auch das hat normalerweise<br />
ke<strong>in</strong>e Folgen.<br />
Im Brustkorbbereich können auftreten:<br />
· Fehlen o<strong>der</strong> Unterentwicklung des großen und<br />
kle<strong>in</strong>en Brustmuskels<br />
· Fehlen o<strong>der</strong> Unterentwicklung des breiten<br />
Rückenmuskels o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>er Muskeln im Schultergürtel<br />
· Fehlen o<strong>der</strong> Fehlbildung <strong>der</strong> Brustdrüse o<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> Brustwarze<br />
· Fehlen o<strong>der</strong> Fehlbildung <strong>von</strong> Rippen<br />
· hohe Schulter<br />
· Kielbrust, evtl. Trichterbrust, verkle<strong>in</strong>erte Lungenflügel<br />
· ke<strong>in</strong> Wuchs <strong>der</strong> Achselbehaarung<br />
Im Hand- und Armbereich können auftreten:<br />
· kürzere, versteifte o<strong>der</strong> fehlende F<strong>in</strong>ger, fehlende<br />
F<strong>in</strong>gergelenke o<strong>der</strong> F<strong>in</strong>gerglie<strong>der</strong><br />
· Schwimmhautbildung zwischen den F<strong>in</strong>gern<br />
· kle<strong>in</strong>ere Hand, Fehlen e<strong>in</strong>er Hand<br />
· verkürzter Unter- o<strong>der</strong> Oberarm<br />
Seltener treten auf:<br />
· Bee<strong>in</strong>trächtigung e<strong>in</strong>er Niere<br />
· Fehlen kle<strong>in</strong>erer Muskeln <strong>in</strong> verschiedenen Körperteilen<br />
(Hand, Arm, Be<strong>in</strong>, Fuß, Rücken)<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Die Ursache ist noch nicht bekannt. Bei völligem Fehlen<br />
des Brustmuskels wird das Syndrom heutzutage häufig<br />
bei Geburt diagnostiziert. Ist <strong>der</strong> Brustmuskel nur unterentwickelt<br />
und die Hand wenig betroffen, kommt es oft<br />
erst <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pubertät o<strong>der</strong> im Erwachsenenalter zur Diagnose.<br />
Das Poland-Syndrom ist nicht „heilbar“, die Betroffenen<br />
können aber gut damit leben.<br />
Behandlung<br />
Bei fehlen<strong>der</strong> Brust- und/o<strong>der</strong> Rückenmuskulatur kann<br />
bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Erwachsenen Physiotherapie unterstützend<br />
wirken, um Haltungsschäden vorzubeugen und Verspannungen<br />
zu lösen. Rückenstärkende Sportarten (z. B.<br />
Rückenschwimmen) s<strong>in</strong>d <strong>von</strong> Vorteil.<br />
Bei Fehlbildung <strong>der</strong> F<strong>in</strong>ger kann e<strong>in</strong>e operative Korrektur<br />
erfolgen. Die komplexen E<strong>in</strong>griffe werden oft im frühen<br />
K<strong>in</strong>desalter durchgeführt, um die Beweglichkeit zu<br />
verbessern o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Greiffunktion erst herzustellen. Bei<br />
Fehlen des Brustmuskels kann auf Wunsch <strong>der</strong> Betroffenen<br />
nach <strong>der</strong> Pubertät e<strong>in</strong> Brustaufbau erfolgen, ist aber<br />
nicht zw<strong>in</strong>gend notwendig. Diese Thematik wird jedoch<br />
unterschiedlich diskutiert, da mehrere große Operationen<br />
erfor<strong>der</strong>lich s<strong>in</strong>d, die bei künstlichen Implantaten nach<br />
10–20 Jahren wie<strong>der</strong>holt werden müssen.<br />
Psychologische Probleme <strong>der</strong> Betroffenen (und <strong>in</strong>folgedessen<br />
auch ihrer Eltern) treten meist auf, wenn die Jugendlichen<br />
<strong>in</strong> die Pubertät kommen und sich mit ihrem<br />
Körperbild ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen (müssen). Dann hilft das<br />
Gespräch mit Vertrauenspersonen (Eltern, Freunde) und<br />
vor allem mit ebenfalls Betroffenen, die diese Phase erfolgreich<br />
h<strong>in</strong>ter sich gebracht haben (<strong>Selbsthilfe</strong>).<br />
Gegebenenfalls ist e<strong>in</strong>e Psychotherapie ratsam.<br />
117
Poland-Syndrom<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Je nach Ausprägung des Poland-Syndroms können<br />
betroffene Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler mehr o<strong>der</strong> weniger<br />
im Unterricht bee<strong>in</strong>trächtigt se<strong>in</strong> und gegebenenfalls<br />
Unterstützung benötigen. Bei den meisten<br />
Betroffenen s<strong>in</strong>d es auch häufig nur Kle<strong>in</strong>igkeiten –<br />
während z. B. das Klettern an e<strong>in</strong>er glatten Stange im<br />
Sportunterricht möglicherweise Probleme bereitet,<br />
kann sich das Klettern an e<strong>in</strong>em Klettergerüst durchaus<br />
als unproblematisch erweisen.<br />
Probleme, die auftreten können:<br />
· Kraftm<strong>in</strong><strong>der</strong>ung <strong>der</strong> betroffenen Seite, manchmal<br />
Skoliose<br />
· e<strong>in</strong>geschränkte Handfunktionalität, die sich auswirken<br />
kann auf folgende Tätigkeiten:<br />
· beim Schreiben (z. B. mit <strong>der</strong> l<strong>in</strong>ken Hand,<br />
wenn die Betroffenen eigentlich Rechtshän<strong>der</strong><br />
s<strong>in</strong>d)<br />
· im Werkunterricht bei handwerklichen<br />
Tätigkeiten<br />
· im Sportunterricht je nach Ausprägung<br />
<strong>der</strong> Symptome und <strong>der</strong> Sportart<br />
· im Unterricht bei allen Tätigkeiten, die den E<strong>in</strong>satz<br />
bei<strong>der</strong> Hände erfor<strong>der</strong>n<br />
· bei Betroffenheit <strong>der</strong> Lunge Atemprobleme bei<br />
anstrengenden Tätigkeiten (Sport)<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
· Info-Blatt für Lehrkräfte:<br />
www.poland-syndrom.de/InfoblattfuerLehrer<br />
· Informationen über das Poland-Syndrom:<br />
www.poland-syndrom.de/Poland-Syndrom<br />
· Erfahrungsberichte <strong>von</strong> Betroffenen:<br />
www.poland-syndrom.de/Beitraege<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
In <strong>Deutschland</strong> gibt es ke<strong>in</strong>en Vere<strong>in</strong> <strong>von</strong> Poland-Betroffenen,<br />
aber ab und an deutschlandweite Treffen <strong>von</strong> Betroffenen<br />
und ihren Angehörigen. Austausch erfolgt unter<br />
folgenden Mail<strong>in</strong>glisten und <strong>in</strong> Sozialen Netzwerken:<br />
de.groups.yahoo.com/group/ge-handycap-t<br />
Die deutsche Facebook-Seite heißt:<br />
„Poland Syndrom <strong>Selbsthilfe</strong>gruppe“<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.ge-handicap-t.jimdo.com<br />
Der E<strong>in</strong>satz <strong>von</strong> Hilfsmitteln und/o<strong>der</strong> die Gewährung<br />
<strong>von</strong> Nachteilsausgleichen wie z. B. Zeitverlängerung<br />
bei Tests, mündliche statt schriftlicher Leistungserbr<strong>in</strong>gung,<br />
Sport(bewertungs)befreiung, kann je nach<br />
Ausprägung <strong>der</strong> Symptome angebracht se<strong>in</strong>.<br />
E<strong>in</strong> offener Umgang mit den Symptomen (vor allem<br />
im Brustbereich) ist auch im K<strong>in</strong>desalter s<strong>in</strong>nvoll. Er<br />
kann das Selbstwertgefühl för<strong>der</strong>n und Stigmatisierungen,<br />
beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pubertät, präventiv verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n.<br />
Wichtig: Letztlich entscheiden die Betroffenen<br />
selbst, wann und wem sie was erzählen möchten.<br />
118
Psoriasis (Schuppenflechte)<br />
Psoriasis ist <strong>der</strong> mediz<strong>in</strong>ische Fachausdruck für die Hautkrankheit Schuppenflechte.<br />
Der Name stammt <strong>von</strong> dem griechischen Begriff psosa (Juckreiz) und<br />
verdeutlicht damit e<strong>in</strong>e wichtige Begleitersche<strong>in</strong>ung <strong>der</strong> Krankheit.<br />
Der deutsche Name Schuppenflechte weist auf die typischen Symptome h<strong>in</strong>:<br />
Schuppen und entzündlich gerötete Haut. Die Schuppenflechte ist ke<strong>in</strong>e<br />
„mo<strong>der</strong>ne Zivilisationskrankheit“, vielmehr gibt es bereits H<strong>in</strong>weise auf die<br />
Psoriasis im Altertum.<br />
Die Zellen <strong>der</strong> obersten Hautschicht (Epi<strong>der</strong>mis) erneuern sich bei gesunden<br />
Menschen <strong>in</strong>nerhalb <strong>von</strong> ungefähr 26 bis 27 Tagen, bei e<strong>in</strong>er Psoriasis h<strong>in</strong>gegen<br />
<strong>in</strong> nur sechs bis sieben Tagen. Die Folge s<strong>in</strong>d weiß-glänzende Schuppen<br />
als Ansammlung abgestorbener Hautzellen auf scharf begrenzten,<br />
entzündeten Hautflächen. Die Haut ist dort wegen <strong>der</strong> Entzündung und verstärkten<br />
Durchblutung rot und überwärmt.<br />
Zur Zahl <strong>der</strong> an Schuppenflechte erkrankten Menschen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />
<strong>Deutschland</strong> gibt es nur Schätzungen. Demnach s<strong>in</strong>d etwa zwei<br />
bis drei Prozent <strong>der</strong> Bevölkerung, also rund zwei Millionen K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Erwachsene,<br />
betroffen.<br />
Ungefähr 30 Prozent aller Psoriasis-Patient<strong>in</strong>nen und -Patienten haben die<br />
ersten krankhaften Verän<strong>der</strong>ungen an <strong>der</strong> Haut vor dem 20. Lebensjahr.<br />
Die Auswertung <strong>von</strong> Patientendaten e<strong>in</strong>er deutschen Ersatzkasse (2009)<br />
zeigte e<strong>in</strong>e Häufigkeit <strong>der</strong> Psoriasis <strong>in</strong> <strong>der</strong> Altersgruppe bis 18 Jahre <strong>in</strong> Höhe<br />
<strong>von</strong> 0,7 Prozent <strong>der</strong> deutschen Bevölkerung, wobei die Häufigkeit zwischen<br />
dem 2. und 18. Lebensjahr l<strong>in</strong>ear ansteigt. Obwohl schon Säugl<strong>in</strong>ge Psoriasis<br />
entwickeln können, tritt die Erkrankung am häufigsten während <strong>der</strong> Pubertät<br />
erstmals auf.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Die Mediz<strong>in</strong> unterscheidet verschiedene Ausprägungen <strong>der</strong><br />
Psoriasis. Zum Beispiel:<br />
a) Psoriasis vulgaris: großflächige Schuppenflechtenherde<br />
mit deutlicher, silbriger Schuppenbildung mit schmalem,<br />
rotem Randsaum; die häufigste Form <strong>der</strong> Schuppenflechte,<br />
die 80 Prozent aller Erkrankungsfälle ausmacht.<br />
b) Psoriasis pustulosa: Schuppenflechtenherde mit sterilen,<br />
eitrigen Pusteln; diese Form macht 20 Prozent aller<br />
Psoriasis-Fälle aus.<br />
c) Psoriasis-Arthritis: entzündliche Erkrankung <strong>der</strong> Gelenke,<br />
Sehnen und F<strong>in</strong>ger bzw. Zehen, die zum Verlust<br />
<strong>der</strong> Funktion erkrankter Gelenke führen kann und sich<br />
bei 20–30 Prozent <strong>der</strong> Betroffenen vom Vulgaris- und<br />
Pustulosa-Typ zeigt.<br />
d) Psoriasis-Erythro<strong>der</strong>mie: generalisierte Rötung und Schuppung<br />
<strong>der</strong> gesamten Haut, die auch als Maximalvariante<br />
an<strong>der</strong>er entzündlicher Hauterkrankungen auftreten kann.<br />
Son<strong>der</strong>formen <strong>der</strong> Psoriasis vulgaris:<br />
e) Psoriasis geographica: großflächig zusammenfließende<br />
Schuppenflechtenherde, den Umrissen e<strong>in</strong>er plastischen<br />
Landkarte ähnlich.<br />
f) Psoriasis palmaris et plantaris: Schuppenflechtenherde<br />
auf den Handtellern und auf den Fußsohlen.<br />
g) Psoriasis punctata: Schuppenflechtenherde <strong>in</strong> <strong>der</strong> Größe<br />
<strong>von</strong> Streichholzköpfen, die überwiegend am Rumpf verteilt<br />
s<strong>in</strong>d.<br />
Son<strong>der</strong>formen <strong>der</strong> Psoriasis pustulosa:<br />
h) Psoriasis pustulosa palmo-plantaris: häufigste Unterform<br />
<strong>der</strong> Psoriasis pustulosa, mit zahlreichen Pusteln und<br />
Schuppen auf scharf begrenzten Rötungen an Handflächen<br />
und Fußsohlen, die sehr schmerzhaft s<strong>in</strong>d und tägliche<br />
Verrichtungen massiv bee<strong>in</strong>trächtigen können.<br />
i) Psoriasis pustulosa generalisata (<strong>von</strong> Zumbusch): seltenste<br />
Psoriasisform (zwei Prozent aller Psoriasisfälle), bei<br />
<strong>der</strong> als hochakute Erkrankung über den ganzen Körper<br />
119
Psoriasis (Schuppenflechte)<br />
verteilt sterile Pusteln auftreten, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel mit e<strong>in</strong>er<br />
deutlichen Bee<strong>in</strong>trächtigung des Allgeme<strong>in</strong>bef<strong>in</strong>dens.<br />
Beson<strong>der</strong>heiten:<br />
Es können nur e<strong>in</strong>zelne, umschriebene Areale, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />
an Ellenbogen und Knien, behaartem Kopf, Ohren,<br />
Nabel und Gesäßfalte, die sogenannten Liebl<strong>in</strong>gs- o<strong>der</strong><br />
Prädilektionsstellen, aber auch Leisten- und Analgegend,<br />
Geschlechtsorgane und Nägel o<strong>der</strong> die gesamte Hautoberfläche<br />
(Erythro<strong>der</strong>mie) erkrankt se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>e Psoriasis<br />
<strong>in</strong> „<strong>in</strong>tertrig<strong>in</strong>ösen“ Räumen (Umschlagfalten, z. B. Analfalte,<br />
Bauchnabel) wird häufig mit e<strong>in</strong>er Pilzerkrankung<br />
verwechselt. Gleiches gilt auch für die Nagelpsoriasis<br />
sowie für isolierte Ersche<strong>in</strong>ungen an Handtellern und<br />
Fußsohlen.<br />
Typisch für K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche mit Psoriasis ist die<br />
Psoriasis guttata. Bei dieser Form treten e<strong>in</strong> bis zwei Wochen<br />
nach bakteriellen o<strong>der</strong> grippalen Infekten großflächig<br />
verteilt bis zu e<strong>in</strong> Zentimeter im Durchmesser große<br />
Plaques auf. Selten f<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong>e eitrige Form (Psoriasis<br />
pustulosa).<br />
Bei rund 20–30 Prozent <strong>der</strong> Menschen mit e<strong>in</strong>er Psoriasis<br />
erkranken auch die Gelenke (Psoriasis-Arthritis), bei Erwachsenen<br />
nach etwa zehn Jahren Bestehen ihrer Hauterkrankung,<br />
bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n häufig gleichzeitig mit o<strong>der</strong> sogar<br />
noch vor Hautverän<strong>der</strong>ungen. Dabei ist die Diagnose<br />
beson<strong>der</strong>s schwierig, wenn die Gelenke ohne begleitende<br />
Hautersche<strong>in</strong>ungen erkranken.<br />
Kommt es zu e<strong>in</strong>er Erkrankung <strong>der</strong> Nägel (F<strong>in</strong>ger- und/<br />
o<strong>der</strong> Fußnägel), sollte auch bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n nach Entzündungen<br />
<strong>der</strong> Gelenke im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Psoriasis <strong>der</strong> Gelenke<br />
(Psoriasis-Arthritis, Schuppenflechten-Rheuma) gesucht<br />
werden. E<strong>in</strong>e Psoriasis-Arthritis führt zu Schwellung und<br />
Schmerzen <strong>der</strong> großen Gelenke, <strong>der</strong> F<strong>in</strong>gergelenke o<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>Wir</strong>belsäule (Arthritis im engeren S<strong>in</strong>ne), aber auch zu<br />
entzündlichen Schwellungen <strong>der</strong> F<strong>in</strong>ger (Daktylitis) o<strong>der</strong><br />
Sehnen bzw. Sehnenansätze (Enthesitis), die mit e<strong>in</strong>er<br />
schmerzhaften Bee<strong>in</strong>trächtigung <strong>der</strong> Bewegungsfähigkeit,<br />
oft morgendlich betont (Morgensteifigkeit), e<strong>in</strong>hergehen.<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Ursache<br />
Die auslösenden Ursachen s<strong>in</strong>d bislang unbekannt. Als<br />
gesichert gilt, dass die Anlage und damit die Neigung<br />
zur Psoriasis vererbt wird, nicht jedoch die jeweilige Ausprägung.<br />
Es ist durchaus möglich, dass Vater und Mutter<br />
ke<strong>in</strong>e Psoriasis haben o<strong>der</strong> hatten, diese aber beim geme<strong>in</strong>samen<br />
K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung tritt. Dabei reicht die Erbanlage<br />
alle<strong>in</strong> nicht aus, um die Krankheit auszulösen. Es<br />
müssen weitere, häufig im E<strong>in</strong>zelfall unbekannte, äußere<br />
(Verletzungen, Drucke<strong>in</strong>wirkung, Medikamente, Alkohol-,<br />
Nikot<strong>in</strong>konsum) und/o<strong>der</strong> <strong>in</strong>nere Faktoren (Psyche, Stress)<br />
h<strong>in</strong>zukommen. Auch Infektionskrankheiten (bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
beson<strong>der</strong>s häufig), Stoffwechselstörungen, hormonelle<br />
Faktoren und an<strong>der</strong>e umweltbed<strong>in</strong>gte E<strong>in</strong>flüsse s<strong>in</strong>d als<br />
Auslösefaktoren bedeutsam.<br />
Diagnose<br />
In den psoriatischen Hautverän<strong>der</strong>ungen werden entzündungsför<strong>der</strong>nde<br />
Eiweiße (sog. Zytok<strong>in</strong>e) sowie verschiedene<br />
Entzündungszellen stark vermehrt gefunden. Diese<br />
entzündlichen immunologischen Faktoren werden neben<br />
an<strong>der</strong>en, den Entzündungsprozess <strong>in</strong> <strong>der</strong> Haut för<strong>der</strong>nden<br />
Ursachen dem eigentlichen psoriatischen Prozess zugeschrieben.<br />
Verlauf<br />
Die Psoriasis kann <strong>in</strong> jedem Lebensalter auftreten, ist jedoch<br />
im Säugl<strong>in</strong>gsalter ausgesprochen selten. Häufig<br />
manifestiert sie sich erstmals während <strong>der</strong> Pubertät o<strong>der</strong><br />
um das 40. Lebensjahr. Die Krankheit verläuft <strong>in</strong>dividuell<br />
außerordentlich verschieden und oft schubweise mit Zeiten<br />
e<strong>in</strong>es besseren o<strong>der</strong> schlechteren Hautzustands. Sie<br />
kann e<strong>in</strong>mal auftreten (e<strong>in</strong> Drittel <strong>der</strong> Fälle) o<strong>der</strong> chronisch<br />
über lange Zeit h<strong>in</strong>weg verlaufen (zwei Drittel <strong>der</strong><br />
Fälle). E<strong>in</strong> schlechterer Hautzustand wird häufig <strong>in</strong> den<br />
Übergangsjahreszeiten Herbst und Frühjahr mit gehäuften<br />
Infekten und ger<strong>in</strong>gerer Sonnene<strong>in</strong>strahlung beobachtet.<br />
Die spontane Abheilung <strong>der</strong> Hautersche<strong>in</strong>ungen<br />
bei rund 30 Prozent <strong>der</strong> Psoriasis-Patient<strong>in</strong>nen und -Patienten<br />
bildet die Grundlage <strong>von</strong> Meldungen über dubiose<br />
Wun<strong>der</strong>mittel und -methoden. Je<strong>der</strong> Mensch mit Psoriasis<br />
hat „se<strong>in</strong>e eigene“ Psoriasis, die nach dem heutigen<br />
Erkenntnisstand <strong>der</strong> Wissenschaft ursächlich nicht geheilt<br />
werden kann. Ziel ist e<strong>in</strong>e möglichst lange Zeit ohne<br />
Hautersche<strong>in</strong>ungen und Juckreiz o<strong>der</strong> Schmerzen an den<br />
Gelenken.<br />
Bei Menschen mit Psoriasis tritt e<strong>in</strong>e Reihe <strong>von</strong> Begleiterkrankungen<br />
(Phänomen <strong>der</strong> Komorbidität), vor allem<br />
des Herz-Kreislauf-Systems (Bluthochdruck, Atherosklerose,<br />
Herz<strong>in</strong>farkt, Schlaganfall) und Stoffwechselerkrankungen<br />
(Adipositas, Zuckerkrankheit, Fettstoffwechselstörungen),<br />
zwei- bis vierfach häufiger als <strong>in</strong> <strong>der</strong> gesunden<br />
Bevölkerung h<strong>in</strong>zu. Diese Begleiterkrankungen können<br />
auch schon bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen auftreten.<br />
E<strong>in</strong>e direkte Beziehung zur entzündlichen Aktivität <strong>der</strong><br />
Schuppenflechte wurde dabei mehrfach nachgewiesen,<br />
sodass e<strong>in</strong>e frühzeitige und effiziente Therapie zu for<strong>der</strong>n<br />
ist.<br />
120
Behandlung<br />
Bei <strong>der</strong> Therapie müssen die beson<strong>der</strong>en Lebensumstände<br />
<strong>der</strong> Erkrankten (bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen auch<br />
die <strong>der</strong> Eltern) berücksichtigt werden. Bei erkrankten K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
ist zudem die körperliche und geistige Entwicklung<br />
zu beachten. Zur Therapie stehen <strong>Wir</strong>kstoffe zur äußerlichen<br />
Behandlung, ultraviolettes Licht verschiedener Wellenlängen<br />
sowie <strong>in</strong>nerliche Medikamente zur Verfügung,<br />
die ggf. auch komb<strong>in</strong>iert werden können.<br />
Kl<strong>in</strong>ische Studien zur äußeren (lokalen) wie <strong>in</strong>neren (systemischen)<br />
Behandlung <strong>der</strong> k<strong>in</strong>dlichen Psoriasis liegen<br />
jedoch nur beschränkt vor. Darüber h<strong>in</strong>aus s<strong>in</strong>d viele Präparate<br />
für die Anwendung bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n nicht zugelassen.<br />
Der Verlauf <strong>der</strong> Krankheit ist im K<strong>in</strong>des- und Jugendalter<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel jedoch schwer. Das Ziel e<strong>in</strong>er vollständigen<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsfreiheit steht daher immer im Vor<strong>der</strong>grund.<br />
Häufig kann e<strong>in</strong> vom K<strong>in</strong>d akzeptiertes Ergebnis mit e<strong>in</strong>er<br />
ausschließlich äußerlichen, lokalen Behandlung erzielt<br />
werden.<br />
Schulungsprogramm:<br />
Als e<strong>in</strong>zige Fachkl<strong>in</strong>ik <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> verfügt die Fachkl<strong>in</strong>ik<br />
Sylt über e<strong>in</strong> Schulungsprogramm „PSORA“ für an<br />
Psoriasis erkrankte K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche. Schulungen<br />
für Erwachsene werden an wenigen an<strong>der</strong>en Standorten<br />
mit Psoriasiszentren o<strong>der</strong> <strong>in</strong> Reha-Kl<strong>in</strong>iken angeboten.<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Stigmatisierung:<br />
Psoriasis ist nicht ansteckend, aber deutlich sichtbar.<br />
Sie entspricht nicht dem Ideal e<strong>in</strong>er gesunden Haut. Erkrankten<br />
wird oftmals mit Ablehnung begegnet – o<strong>der</strong><br />
Erkrankte glauben an ablehnende Reaktionen ihrer Umwelt.<br />
Aufklärung <strong>der</strong> Mitschüler<strong>in</strong>nen und Mitschüler<br />
über die Erkrankung kann helfen, (gefühlten) Stigmatisierungen<br />
vorzubeugen. Um Strategien im Umgang<br />
mit <strong>der</strong> eigenen Krankheit entwickeln zu können, müssen<br />
sich die Erkrankten den Problemfel<strong>der</strong>n Familie,<br />
Partnerschaft, Sexualität, <strong>Schule</strong> und Beruf stellen.<br />
Dazu ist es notwendig, gut über die Krankheit und das<br />
Krankheitsgeschehen <strong>in</strong>formiert zu se<strong>in</strong>.<br />
Stress als Auslöser:<br />
Stresssituationen, wie sie oftmals im Schulalltag vorkommen<br />
(z. B. Prüfungen o<strong>der</strong> Streitigkeiten mit Mitschüler<strong>in</strong>nen<br />
und Mitschülern), können zum Aufflammen<br />
<strong>der</strong> Erkrankung führen.<br />
Fehlzeiten:<br />
Bei schweren Krankheitsverläufen (ggf. mit Beteiligung<br />
<strong>der</strong> Gelenke, d. h. bei Psoriasis-Arthritis) ist mit entsprechenden<br />
Fehlzeiten aufgrund <strong>von</strong> stationären Aufenthalten<br />
zu rechnen. Auch e<strong>in</strong>e ambulante o<strong>der</strong> stationäre<br />
Rehabilitation kann Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler mit<br />
Schuppenflechte vom Unterricht fernhalten. Dann sollten<br />
die Lehr<strong>in</strong>halte im Vorfeld besprochen werden, damit<br />
sie während <strong>der</strong> Fehlzeiten erarbeitet werden können.<br />
Zusätzlich sollte u. U. e<strong>in</strong> Nachteilsausgleich bei den<br />
schulischen Leistungsbewertungen erwogen werden.<br />
Sportunterricht:<br />
Im Rahmen des Sportunterrichts (u. a. mit verstärktem<br />
Schwitzen verbunden) sollte darauf geachtet werden,<br />
den Erkrankten ausreichend Zeit zur Hautpflege (Abspülen,<br />
Duschen, E<strong>in</strong>cremen) zu geben. Schwimmen<br />
stellt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel ke<strong>in</strong> Problem dar, sofern das Chlorwasser<br />
anschließend gründlich abgewaschen und die<br />
Haut sorgfältig e<strong>in</strong>gecremt wird. E<strong>in</strong>e entzündliche Beteiligung<br />
<strong>von</strong> Gelenken und gelenknahen Strukturen<br />
(Psoriasis-Arthritis) kann dazu führen, dass e<strong>in</strong>e Teilnahme<br />
am üblichen Sportunterricht nicht möglich ist.<br />
Berufswahl:<br />
E<strong>in</strong>e Schuppenflechte kann die Wahl bestimmter Berufe<br />
bee<strong>in</strong>trächtigen. E<strong>in</strong>e Prognose zum <strong>in</strong>dividuellen<br />
Krankheitsverlauf ist jedoch nicht möglich. We<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e<br />
eventuell später h<strong>in</strong>zukommende Psoriasis-Arthritis<br />
noch <strong>der</strong> zukünftige Verlauf und die Schwere <strong>der</strong> Erkrankung<br />
können vorausgesagt werden.<br />
Die psoriatische Haut kann nur bed<strong>in</strong>gt des<strong>in</strong>fiziert o<strong>der</strong><br />
gere<strong>in</strong>igt werden. Deshalb s<strong>in</strong>d bei Psoriasis an Händen<br />
und Unterarmen u. U. Berufe ungeeignet, <strong>in</strong> denen Gefährdungen<br />
durch starke Verunre<strong>in</strong>igung, Mikroben,<br />
Chemikalien o<strong>der</strong> offene radioaktive Stoffe bestehen.<br />
Die Psoriasis kann durch mechanische und auch durch<br />
chemische Reize, die irritativ auf die Haut wirken, ausgelöst<br />
o<strong>der</strong> verschlechtert werden (z. B. an den Hand<strong>in</strong>nenflächen<br />
bei schwerer Handarbeit, im Gesicht durch<br />
ständiges Tragen e<strong>in</strong>er Atemschutzmaske o<strong>der</strong> an den<br />
Knien z. B. bei Fliesenlegearbeiten). Auch können Berufe<br />
<strong>in</strong> stressiger Umgebung ungeeignet se<strong>in</strong>.<br />
Bei Psoriasis an sichtbaren Hautpartien (Gesicht, Hände,<br />
F<strong>in</strong>gernägel, behaarter Kopf) ist die Wahl <strong>von</strong> Berufen<br />
mit Kundenkontakt o<strong>der</strong> Publikumsverkehr sehr<br />
genau zu überlegen.<br />
Inwieweit <strong>der</strong> Berufswunsch <strong>von</strong> <strong>der</strong> Psoriasis abhängig<br />
gemacht wird, sollte <strong>in</strong> jedem E<strong>in</strong>zelfall mit<br />
<strong>der</strong>/dem Hautärzt<strong>in</strong>/Hautarzt (und ggf. mit <strong>der</strong>/<br />
dem Haus- o<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>ärzt<strong>in</strong>/-arzt) besprochen werden.<br />
Auch empfiehlt es sich, e<strong>in</strong>e Berufsberatung <strong>in</strong><br />
Anspruch zu nehmen und Informationen bei <strong>Selbsthilfe</strong>organisationen/-beratungsstellen<br />
e<strong>in</strong>zuholen.<br />
121
Psoriasis (Schuppenflechte)<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
· Broschüre „Psoriasis bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen“.<br />
Herausgeber: Deutscher Psoriasis Bund e. V. (DPB).<br />
Die Broschüre ist gegen Zusendung e<strong>in</strong>es DIN-A5-<br />
Freiumschlags erhältlich, <strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Adresse und<br />
1,45 Euro Porto versehen se<strong>in</strong> sollte.<br />
· Broschüre „Chronische Erkrankungen im K<strong>in</strong>desalter.<br />
E<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Thema <strong>von</strong> Elternhaus,<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>tagesstätte und <strong>Schule</strong>“ <strong>der</strong> Bundeszentrale für<br />
gesundheitliche Aufklärung (BZgA), erhältlich unter:<br />
www.bzga.de/<strong>in</strong>fomaterialien/k<strong>in</strong><strong>der</strong>-und-jugendgesundheit/chronische-erkrankungen-im-k<strong>in</strong>desalter<br />
· Handreichung „Chronische Erkrankungen als<br />
Problem und Thema <strong>in</strong> <strong>Schule</strong> und Unterricht.<br />
Handreichung für Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer <strong>der</strong><br />
Klassen 1 bis 10“ <strong>der</strong> Bundeszentrale für gesundheitliche<br />
Aufklärung (BZgA), erhältlich unter:<br />
www.bzga.de/<strong>in</strong>fomaterialien/ unterrichtsmaterialien/<br />
nach-themen/?idx=625<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Deutscher Psoriasis Bund e. V. (DPB)<br />
www.psoriasis-bund.de<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.psoriasis-bund.de/ueber-psoriasis<br />
· www.pso-kids.de<br />
· www.pso-jugend.de<br />
122
Rett-Syndrom<br />
Das Rett-Syndrom ist e<strong>in</strong>e tiefgreifende neurologische Entwicklungsstörung<br />
aufgrund e<strong>in</strong>er Verän<strong>der</strong>ung im Gehirn. Die Entwicklungsstörung<br />
tritt fast ausschließlich bei Mädchen auf und wurde erstmals 1966 <strong>von</strong> dem<br />
Wiener K<strong>in</strong><strong>der</strong>arzt Andreas Rett beschrieben.<br />
Es handelt sich um e<strong>in</strong>e frühk<strong>in</strong>dlich beg<strong>in</strong>nende und progressiv verlaufende<br />
Enzephalopathie (krankhafte Schädigung des Gehirns).<br />
Das Vorkommen des Rett-Syndroms <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> wird auf 1:10.000<br />
bis 1:15.000 geschätzt.<br />
In <strong>Deutschland</strong> wird jährlich bei ca. 50 Mädchen e<strong>in</strong> Rett-Syndrom<br />
diagnostiziert.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Symptome<br />
Im Vergleich zu ihren gesunden Geschwistern weisen<br />
Mädchen mit Rett-Syndrom meist e<strong>in</strong>e Tr<strong>in</strong>kschwäche auf.<br />
Zudem verfügen sie über e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Muskelspannung<br />
und die Eltern berichten öfter über auffälliges Schreien.<br />
Des Weiteren treten bei den betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n häufig<br />
Skoliose, Epilepsie und Atmungsauffälligkeiten auf.<br />
Diese Beobachtungen sollten jedoch nicht zu <strong>der</strong> Annahme<br />
verleiten, dass Säugl<strong>in</strong>ge mit diesen Auffälligkeiten<br />
später e<strong>in</strong> Rett-Syndrom entwickeln. Sie verdeutlichen jedoch,<br />
dass die Entwicklung <strong>der</strong> Mädchen mit Rett-Syndrom<br />
schon sehr früh, wenngleich oft sehr unauffällig,<br />
gestört ist.<br />
Weitere klassische Symptome können dem nachfolgenden<br />
Abschnitt Krankheitsverlauf entnommen werden.<br />
Krankheitsverlauf<br />
Das Rett-Syndrom verläuft <strong>in</strong> verschiedenen Stadien. Die<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> entwickeln sich anfangs sche<strong>in</strong>bar regelgerecht.<br />
Zwischen dem siebten Lebensmonat und dem zweiten<br />
Lebensjahr kommt es zu e<strong>in</strong>em Entwicklungsstillstand,<br />
zum Verlust vorhandener Fähigkeiten und zu Des<strong>in</strong>teresse<br />
an <strong>der</strong> Umwelt. Insbeson<strong>der</strong>e betrifft dies das Sprechvermögen<br />
und den Gebrauch <strong>der</strong> Hände. Der Zustand <strong>der</strong><br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> stabilisiert sich wie<strong>der</strong>. Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> s<strong>in</strong>d dann sozial<br />
zugänglicher, machen kle<strong>in</strong>e Entwicklungsfortschritte<br />
und das Erreichen e<strong>in</strong>es normalen Lebensalters ist möglich.<br />
Die Betroffenen bleiben jedoch ihr Leben lang <strong>in</strong> ihren<br />
geistigen, kommunikativen und körperlichen Fähigkeiten<br />
sehr stark bee<strong>in</strong>trächtigt.<br />
Menschen mit Rett-Syndrom zeigen typischerweise autismusähnliche<br />
Symptome und Störungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bewegungskoord<strong>in</strong>ation.<br />
Viele sprechen e<strong>in</strong>ige wenige Worte<br />
und befolgen e<strong>in</strong>fache Auffor<strong>der</strong>ungen. Des Weiteren<br />
treten beim Rett-Syndrom sehr häufig epileptische Anfälle<br />
unterschiedlicher Ausprägung auf. Typisch s<strong>in</strong>d auch<br />
die Handstereotypien, die den Bewegungen beim Händewaschen<br />
ähneln.<br />
Es gibt e<strong>in</strong>e weltweit anerkannte E<strong>in</strong>teilung des Rett-<br />
Syndroms <strong>in</strong> vier Stadien nach Hagberg und Witt-Engerström:<br />
Stadium 1: Verlangsamungsstadium<br />
Von sechs bis 18 Monaten: Es kommt zu e<strong>in</strong>er Verlangsamung<br />
und e<strong>in</strong>em Stillstand <strong>in</strong> <strong>der</strong> Entwicklung. Die K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
nehmen weniger Augenkontakt auf und verlieren das<br />
Interesse an ihrer Umwelt. Dieses Stadium wird oft erst<br />
rückblickend erkannt.<br />
Stadium 2: schnelles Destruktivstadium<br />
Von e<strong>in</strong> bis vier Jahren: Innerhalb e<strong>in</strong>es kurzen Zeitraums<br />
kommt es zum Verlust <strong>der</strong> bereits erworbenen Sprache<br />
und Handfertigkeiten; das Kopfwachstum verlangsamt<br />
sich. Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> s<strong>in</strong>d irritiert, we<strong>in</strong>en, schreien und beg<strong>in</strong>nen<br />
mit stereotypen Handbewegungen. Viele zeigen<br />
autistische Züge und ihre kommunikativen Fähigkeiten<br />
s<strong>in</strong>d stark bee<strong>in</strong>trächtigt.<br />
Stadium 3: Plateau- o<strong>der</strong> pseudostationäre Phase<br />
Von zwei bis zehn Jahren: Es tritt e<strong>in</strong>e relative Stabilisierung<br />
e<strong>in</strong>. Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> erlangen e<strong>in</strong>zelne Fähigkeiten zurück,<br />
die <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e ihre Kommunikationsmöglichkeiten<br />
betreffen. So können sie sich beispielsweise durch<br />
Augenkontakt mit ihrer Umwelt verständigen.<br />
Die motorischen Fähigkeiten s<strong>in</strong>d weiter stark e<strong>in</strong>geschränkt.<br />
Epileptische Anfälle treten häufig auf. Dieses<br />
Stadium kann mehrere Jahre andauern. Es entstehen<br />
zunehmende Bewegungsstörungen und orthopädische<br />
Probleme, wie bspw. e<strong>in</strong>e Skoliose (<strong>Wir</strong>belsäulenverkrüm-<br />
123
Rett-Syndrom<br />
mung). Die kommunikativen Fähigkeiten und verbliebenen<br />
Handfunktionen nehmen jedoch nicht weiter ab.<br />
Stadium 4: spätes motorisches Verschlechterungsstadium<br />
Ab zehn Jahren: Das Kontaktverhalten öffnet sich noch<br />
weiter. Die Häufigkeit <strong>der</strong> Anfälle nimmt ab und die betroffenen<br />
Menschen mit Rett-Syndrom zeigen kognitive<br />
Fortschritte. Es kann e<strong>in</strong>e Verschlechterung <strong>der</strong> motorischen<br />
Fähigkeiten e<strong>in</strong>treten. Schwäche, Abmagerung,<br />
Skoliose und Spastizität zw<strong>in</strong>gen die meisten Betroffenen<br />
zur Immobilität und <strong>in</strong> den Rollstuhl.<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Das Rett-Syndrom wird <strong>in</strong> 99 Prozent aller Fälle als spontane<br />
(neue) Mutation angesehen; es wird normalerweise<br />
nicht vererbt.<br />
Für die Diagnose des Rett-Syndroms gelten verschiedene<br />
Kriterien als Voraussetzung:<br />
· normale Schwangerschaft und Geburt<br />
· weitgehend normale Entwicklung während <strong>der</strong><br />
ersten sechs bis 18 Monate<br />
· normaler Kopfumfang bei <strong>der</strong> Geburt<br />
· häufige Verm<strong>in</strong><strong>der</strong>ung des Kopfumfangwachstums<br />
zwischen dem 1. und 4. Lebensjahr<br />
· vorübergehen<strong>der</strong> Verlust <strong>von</strong> sozialer Kontaktfähigkeit<br />
· Störung <strong>der</strong> Sprachentwicklung und Kommunikationsfähigkeit<br />
· Verlust erworbener, s<strong>in</strong>nvoller Handfunktionen<br />
zwischen dem 1. und 4. Lebensjahr<br />
· Handstereotypie: waschende, knetende, schlagende,<br />
zupfende Bewegungen<br />
· Störung des Gangbilds<br />
Die Diagnose e<strong>in</strong>es Rett-Syndroms wird erheblich dadurch<br />
erschwert, dass diese Symptome <strong>in</strong> ganz unterschiedlicher<br />
Ausprägung auftreten. Neben den klar def<strong>in</strong>ierten<br />
diagnostischen Kriterien s<strong>in</strong>d weitere Auffälligkeiten typisch<br />
für das Rett-Syndrom:<br />
· Zurückgezogenheit<br />
· sche<strong>in</strong>bar mangelndes Interesse an Umwelt und Mitmenschen<br />
· Zähneknirschen<br />
· Lach- o<strong>der</strong> Schreiattacken<br />
· Perioden beschleunigter und vertiefter Atmung,<br />
Atempausen, Luftschlucken<br />
· Speichelfluss<br />
· Schlafstörungen<br />
· Kle<strong>in</strong>wuchs, kle<strong>in</strong>e Füße<br />
· bläulich verfärbte, kalte Unterschenkel und Füße<br />
Seit 1999 besteht die Möglichkeit, die Diagnose des Rett-<br />
Syndroms mit e<strong>in</strong>em Gentest abzusichern.<br />
E<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ternationale Fachkommission hat 2010 die diagnostischen<br />
Kriterien für das Rett-Syndrom überarbeitet<br />
und vere<strong>in</strong>facht.<br />
Die neue Klassifikation unterscheidet zwischen typischem<br />
(klassischem) und atypischem (nicht alle Diagnosekriterien<br />
erfüllt) Rett-Syndrom sowie den drei Varianten:<br />
· Zapella-Variante = Rett-Syndrom mit erhaltener<br />
Sprache,<br />
· Hanefeld-Variante = Rett-Syndrom mit früh<br />
e<strong>in</strong>setzenden epileptischen Anfällen,<br />
· Rolando-Variante = unmittelbar ab Geburt auftretendes<br />
Rett-Syndrom (ke<strong>in</strong>e Phase <strong>der</strong> normalen<br />
Entwicklung).<br />
Bei allen Mädchen mit verm<strong>in</strong><strong>der</strong>tem Kopfwachstum<br />
nach <strong>der</strong> Geburt sollte an e<strong>in</strong> Rett-Syndrom gedacht werden.<br />
Die Lebenserwartung <strong>der</strong> Betroffenen ist pr<strong>in</strong>zipiell nicht<br />
e<strong>in</strong>geschränkt, obwohl die Sterblichkeitsrate offenbar<br />
leicht erhöht ist. Bei Auftreten e<strong>in</strong>er schwerwiegenden<br />
Skoliose können <strong>in</strong>nere Organe bee<strong>in</strong>trächtigt werden.<br />
Dadurch kommt es häufiger zu Lungenentzündungen<br />
o<strong>der</strong> schweren epileptischen Anfällen.<br />
Behandlung<br />
Bislang gibt es ke<strong>in</strong>e das Rett-Syndrom heilende Therapie.<br />
Allerd<strong>in</strong>gs kann e<strong>in</strong>e Vielzahl <strong>von</strong> Behandlungsmöglichkeiten<br />
die betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> ihrer Entwicklung<br />
unterstützen und för<strong>der</strong>n – z. B. Krankengymnastik, Kraniosakraltherapie,<br />
Osteopathie, Ergotherapie, Musiktherapie,<br />
Tomatis-Therapie, Logopädie (Castillo Morales),<br />
Beschäftigungstherapie, Reittherapie und therapeutisches<br />
Schwimmen. In den letzten Jahren hat sich die<br />
Unterstützte Kommunikation als sehr hilfreiche Methode<br />
etabliert, um Zugang zu den Menschen mit Rett-Syndrom<br />
zu bekommen. Alle Therapien s<strong>in</strong>d immer auf die <strong>in</strong>dividuellen<br />
Bedürfnisse des K<strong>in</strong>des abzustimmen.<br />
124
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Pädagogisch-therapeutische Ansatzpunkte: Bei <strong>der</strong><br />
För<strong>der</strong>ung <strong>von</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n mit Rett-Syndrom sollten<br />
vielfältige pädagogische und therapeutische Wege<br />
beschritten werden. Insbeson<strong>der</strong>e sollten soziale und<br />
kommunikative Fertigkeiten geför<strong>der</strong>t werden.<br />
Zu beachten s<strong>in</strong>d:<br />
· Gestaltung e<strong>in</strong>er vorhersehbaren Umwelt<br />
· E<strong>in</strong>führen <strong>von</strong> Rout<strong>in</strong>en und Ritualen<br />
· E<strong>in</strong>führen e<strong>in</strong>deutiger Signale für Beg<strong>in</strong>n und Ende<br />
e<strong>in</strong>er Situation<br />
· Unterbrechung <strong>von</strong> Ritualen zur Provokation<br />
e<strong>in</strong>er gezielten Mitarbeit<br />
· Analyse <strong>von</strong> <strong>in</strong>dividuellen Bed<strong>in</strong>gungen für<br />
Stimmungsschwankungen<br />
· körperliches Unbehagen (z. B. Verstopfung,<br />
Schmerzen, Anfälle)<br />
· Bedürfnisse (Haltung, Mobilität, anregende<br />
S<strong>in</strong>nesangebote, soziale Beteiligung, Hunger,<br />
Schlaf)<br />
· überfor<strong>der</strong>nde Reizvielfalt<br />
· För<strong>der</strong>ung des kommunikativen Ausdrucks<br />
· kommunikative Haltung (aufmerksames<br />
Reagieren auf k<strong>in</strong>dliche Signale, „Über<strong>in</strong>terpretation“<br />
zunächst unwillkürlich ersche<strong>in</strong>en<strong>der</strong> Bewegungen)<br />
· Vorbereitung <strong>der</strong> Umgebung, um alternative<br />
Verständigungswege gel<strong>in</strong>gen zu lassen (Blickrichtung,<br />
Antippen <strong>von</strong> Objekten etc.)<br />
· systematische Übung <strong>der</strong> Mitteilung <strong>von</strong><br />
Wünschen über Ja/Ne<strong>in</strong>-Karten, Bil<strong>der</strong> und<br />
Kommunikationstafeln<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
· Auf <strong>der</strong> regelmäßig aktualisierten Internetseite <strong>der</strong><br />
Elternhilfe für K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit Rett-Syndrom <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />
e. V. f<strong>in</strong>den Sie weitergehende Informationen, Literaturh<strong>in</strong>weise<br />
und L<strong>in</strong>ks: www.rett.de<br />
· Informationen für Lehrkräfte:<br />
www.bildungsserver.de/Rett-Syndrom-1173.html<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Elternhilfe für K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit Rett-Syndrom<br />
<strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> e. V.<br />
www.rett.de<br />
Weitere Internetadressen<br />
· „Das Rett-Syndrom“, e<strong>in</strong> Film (YouTube) <strong>der</strong> Elternhilfe<br />
für K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit Rett-Syndrom <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> e. V.:<br />
www.youtube.com/watch?v=68PU6RkyU48<br />
Weiter ist zu berücksichtigen, dass die betroffenen<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> e<strong>in</strong>e körperliche Bee<strong>in</strong>trächtigung aufweisen<br />
und auf die Hilfe <strong>der</strong> Lehrkräfte angewiesen s<strong>in</strong>d.<br />
Wegen <strong>der</strong> unterschiedlichen Ausprägungen und<br />
Verlaufsformen <strong>der</strong> Erkrankung sollte e<strong>in</strong> stetiger<br />
und <strong>in</strong>tensiver Austausch mit den Eltern stattf<strong>in</strong>den.<br />
125
Rheuma/Juvenile idiopathische Arthritis<br />
Der Begriff „Rheuma“ steht für e<strong>in</strong>e Vielzahl <strong>von</strong> akuten und chronischen<br />
Erkrankungen, die durch Schmerzen am Bewegungsapparat, an Muskeln,<br />
Sehnen und Gelenken gekennzeichnet s<strong>in</strong>d, aber auch <strong>in</strong>nere Organe, das<br />
Nervensystem, die Haut o<strong>der</strong> die Augen betreffen können. Im engeren S<strong>in</strong>ne<br />
werden darunter die chronischen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen<br />
verstanden.<br />
In <strong>Deutschland</strong> s<strong>in</strong>d ca. 20.000 K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche <strong>von</strong> chronischen<br />
entzündlich-rheumatischen Erkrankungen betroffen. Etwa 13.000 Betroffene<br />
leiden an e<strong>in</strong>er juvenilen idiopathischen Arthritis (JIA), <strong>der</strong> häufigsten<br />
rheumatischen Erkrankung im K<strong>in</strong>desalter. An JIA erkranken pro Jahr <strong>in</strong><br />
<strong>Deutschland</strong> knapp 1.200 K<strong>in</strong><strong>der</strong> unter 16 Jahren.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Die häufigsten entzündlich-rheumatischen Erkrankungen<br />
im K<strong>in</strong>desalter s<strong>in</strong>d die akuten Gelenkentzündungen.<br />
Sie können bei 0,1 Prozent aller K<strong>in</strong><strong>der</strong> beobachtet werden<br />
und treten oft im Zusammenhang mit Infekten auf.<br />
Nach wenigen Tagen o<strong>der</strong> Wochen kl<strong>in</strong>gen sie folgenlos<br />
ab.<br />
Seltener ist h<strong>in</strong>gegen die juvenile idiopathische Arthritis,<br />
e<strong>in</strong>e Gelenkentzündung <strong>von</strong> mehr als sechs Wochen<br />
Dauer mit unklarer Ursache. Die Bezeichnung setzt sich<br />
aus folgenden Begriffen zusammen: juvenil = k<strong>in</strong>dlich, jugendlich;<br />
idiopathisch = unbekannter Ursache; Arthritis =<br />
Gelenkentzündung.<br />
Der Begriff „k<strong>in</strong>dliches Rheuma“ wird oft ausschließlich<br />
für die JIA verwandt, die durch Entzündungen e<strong>in</strong>es o<strong>der</strong><br />
mehrerer Gelenke gekennzeichnet ist. H<strong>in</strong>ter diesem Namen<br />
verbirgt sich e<strong>in</strong>e Vielzahl verschiedener Erkrankungen<br />
mit je unterschiedlichen Ersche<strong>in</strong>ungsformen, Häufigkeiten<br />
und Verläufen.<br />
Im Vor<strong>der</strong>grund steht bei allen Erkrankungen die anhaltende<br />
Arthritis e<strong>in</strong>es o<strong>der</strong> mehrerer Gelenke, die sich<br />
durch Schmerzen, Schwellungen, Bewegungse<strong>in</strong>schränkungen,<br />
evtl. auch Rötungen und Überwärmung äußert.<br />
Typisch ist e<strong>in</strong>e Morgensteifigkeit (steife und schmerzende<br />
Gelenke nach Ruhephasen).<br />
Es können die großen Gelenke, wie das Knie- und Sprunggelenk,<br />
aber auch kle<strong>in</strong>e und große Gelenke sowie auch<br />
das Kiefergelenk o<strong>der</strong> die kle<strong>in</strong>en Gelenke <strong>der</strong> Halswirbelsäule<br />
beteiligt se<strong>in</strong>. Zudem kann auch e<strong>in</strong>e Beteiligung<br />
<strong>der</strong> Augen auftreten. Die Augenentzündung (Uveitis) ist<br />
<strong>von</strong> außen nicht zu sehen, kann aber das Sehvermögen<br />
<strong>der</strong> betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong> erheblich e<strong>in</strong>schränken. Im Extremfall<br />
kann es zur Erbl<strong>in</strong>dung kommen.<br />
Die Arthritis verän<strong>der</strong>t schmerzbed<strong>in</strong>gt das Muskelgleichgewicht<br />
und führt zu gelenkspezifischen Bewegungse<strong>in</strong>schränkungen<br />
und Schonhaltungen, die zur Vermeidung<br />
<strong>von</strong> Gelenkfehlstellungen frühzeitig erkannt und behandelt<br />
werden sollten.<br />
Im fortgeschrittenen Stadium kann die zunehmende<br />
Zerstörung <strong>von</strong> Gelenkknorpel und Gelenkknochen zu<br />
bleibenden schweren Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen führen. Auch können<br />
den ganzen Körper betreffende Symptome mit<br />
Fieber und unter Beteiligung <strong>in</strong>nerer Organe (Leber, Milz)<br />
auftreten.<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Ursache<br />
Wie schon <strong>der</strong> Begriff „idiopathisch“ verrät, ist die Ursache<br />
dieser Autoimmunerkrankung bisher weitgehend<br />
unbekannt. Das Abwehrsystem des Körpers betrachtet<br />
körpereigene Strukturen als „fremd“ und bekämpft sie,<br />
wodurch e<strong>in</strong>e chronische Entzündung entsteht, die vor<br />
allem die Gelenke betrifft. Erbfaktoren spielen e<strong>in</strong>e Rolle,<br />
es handelt sich aber nicht um e<strong>in</strong>e klassische Erbkrankheit.<br />
Diagnose<br />
Je früher Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis<br />
erkannt und behandelt werden, desto günstiger ist<br />
<strong>der</strong> Krankheitsverlauf. Aufgrund <strong>der</strong> großen Vielfalt an<br />
Symptomen und fehlenden krankheitsbeweisenden Parametern<br />
ist es jedoch gerade im Frühstadium schwierig,<br />
Gelenkrheuma zu diagnostizieren. Oftmals vergehen<br />
Monate o<strong>der</strong> Jahre, bis e<strong>in</strong>e sichere Diagnose gestellt<br />
ist. Aufgrund <strong>der</strong> relativen Seltenheit <strong>der</strong> Erkrankungen<br />
126
sollten K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche mit Verdacht auf Rheuma<br />
Spezialisten (K<strong>in</strong><strong>der</strong>- und Jugendrheumatolog<strong>in</strong>nen bzw.<br />
-rheumatologen) vorgestellt und <strong>von</strong> diesen behandelt<br />
werden.<br />
E<strong>in</strong>e Diagnose wird stets aufgrund mehrerer Befunde gestellt:<br />
Symptome, körperliche Untersuchung, verschiedene<br />
Labordaten (Blutwerte).<br />
Prognose<br />
Gelenkrheuma gehört zu den chronischen Erkrankungen<br />
und ist nicht heilbar. Wer <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er solchen Erkrankung<br />
<strong>der</strong> Bewegungsorgane betroffen ist, leidet meist se<strong>in</strong><br />
ganzes Leben lang darunter. Das Hauptziel e<strong>in</strong>er Behandlung<br />
ist es folglich, die rheumatische Entzündung<br />
zu unterdrücken, das Fortschreiten <strong>der</strong> Erkrankung zu<br />
verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n und die bestehenden Symptome zu l<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
(Entzündungshemmung, Schmerzl<strong>in</strong><strong>der</strong>ung, Verbesserung<br />
<strong>der</strong> Beweglichkeit und damit auch Steigerung <strong>der</strong><br />
Lebensqualität).<br />
Behandlung<br />
Die Behandlung richtet sich stets nach dem Schweregrad<br />
<strong>der</strong> Entzündung und <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong> betroffenen Gelenke.<br />
E<strong>in</strong>e medikamentöse Behandlung ist für die meisten<br />
rheumakranken K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen grundlegend.<br />
Die Medikamente wirken entzündungshemmend. Auch<br />
Schmerzen und Fieber werden damit behandelt. Unverzichtbar<br />
ist zudem die Krankengymnastik, die regelmäßig<br />
über e<strong>in</strong>en längeren Zeitraum durchgeführt wird. Diese<br />
Therapie verbessert die Gelenkigkeit, l<strong>in</strong><strong>der</strong>t Schmerzen,<br />
löst Muskelverspannungen, kräftigt die Muskulatur und<br />
vermeidet Fehlstellungen. Die Gelenke s<strong>in</strong>d oft stark angeschwollen<br />
– Schwellungen können durch e<strong>in</strong>e Eispackung<br />
verm<strong>in</strong><strong>der</strong>t werden, da Kälte dem Gelenk die überschüssige<br />
Wärme entzieht sowie die Entzündung und den<br />
Schmerz hemmt. Ist trotz Abkl<strong>in</strong>gens <strong>von</strong> Entzündungen<br />
und Schwellungen die Bewegung immer noch nur e<strong>in</strong>geschränkt<br />
möglich, wird das Gelenk mit Wärme behandelt,<br />
da sie die Muskeln entspannt und die Durchblutung<br />
för<strong>der</strong>t.<br />
E<strong>in</strong>e weitere Behandlungsform ist die Ergotherapie. Mit<br />
ihrer Hilfe wird richtiges Gelenkverhalten geübt. Spielerische<br />
und handwerkliche Tätigkeiten wirken den Fehlhaltungen<br />
entgegen. Betroffene lernen, alltägliche Aktivitäten<br />
gelenkschonend auszuführen.<br />
Zudem gibt es verschiedene Hilfsmittel, die <strong>in</strong> Phasen<br />
<strong>der</strong> aktiven Erkrankung die Gelenke entlasten und den<br />
Alltag erleichtern: Gehroller mit Sitz für größere K<strong>in</strong><strong>der</strong>/<br />
<strong>in</strong>dividuell angepasste Handfunktionsschienen bzw.<br />
Lagerungsschienen.<br />
Es ist nicht leicht, mit Rheuma zu leben. Die betroffenen<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen können mitunter an vielen Aktivitäten<br />
nicht teilhaben, stoßen auf Vorurteile und fühlen<br />
sich oftmals alle<strong>in</strong> gelassen. Daher ist auch e<strong>in</strong>e psychosoziale<br />
und sozialmediz<strong>in</strong>ische Betreuung wichtig.<br />
Neben <strong>der</strong> E<strong>in</strong>beziehung <strong>der</strong> Eltern und <strong>der</strong> Geschwister<br />
ist <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e auch die Aufklärung bzw. E<strong>in</strong>beziehung<br />
<strong>der</strong> Lehrkräfte sehr wichtig.<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Der Schulbesuch ist e<strong>in</strong> wichtiger Schritt zur Normalisierung<br />
des Alltags. Um Missverständnisse und<br />
ggf. Ausgrenzungen zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n, sollte mit den<br />
Mitschüler<strong>in</strong>nen und Mitschülern sowie <strong>der</strong>en Eltern<br />
über die Situation gesprochen werden.<br />
Der schubweise Verlauf <strong>der</strong> rheumatischen Erkrankungen<br />
führt dazu, dass <strong>der</strong> Grad <strong>der</strong> E<strong>in</strong>schränkung<br />
– z. B. beim Schreiben – für betroffene Schüler<strong>in</strong>nen<br />
und Schüler sehr unterschiedlich se<strong>in</strong> kann. Darüber<br />
h<strong>in</strong>aus ist es auch für die Mitschüler<strong>in</strong>nen und Mitschüler<br />
(und ggf. für Lehrkräfte) sehr schwierig zu<br />
erkennen o<strong>der</strong> zu sehen, welche E<strong>in</strong>schränkungen<br />
bestehen o<strong>der</strong> <strong>in</strong> welcher Erkrankungsphase sich betroffene<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler bef<strong>in</strong>den. Dann<br />
kann es zu Mobb<strong>in</strong>g seitens <strong>der</strong> Mitschüler<strong>in</strong>nen und<br />
Mitschüler kommen: Sie unterstellen den betroffenen<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern, dass sie nur simulieren<br />
(z. B. wenn das betroffene K<strong>in</strong>d beim Diktat nur<br />
sehr langsam mitschreiben kann). Ziel sollte se<strong>in</strong>, die<br />
betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> den Klassenverband zu <strong>in</strong>tegrieren,<br />
ohne ihnen e<strong>in</strong>e Son<strong>der</strong>stellung zuzuweisen.<br />
Grundsätzlich ist <strong>der</strong> Schulalltag für K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche<br />
mit Rheuma sehr anstrengend. Sie leiden<br />
morgens häufig an Morgensteifigkeit und können deshalb<br />
ggf. nicht pünktlich zum Unterricht ersche<strong>in</strong>en.<br />
Viele betroffene Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler überspielen<br />
ihre E<strong>in</strong>schränkungen und benennen sie nicht, um<br />
nicht aufzufallen. So kann es schnell zu teils erheblichen<br />
Überfor<strong>der</strong>ungen kommen. E<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>führende<br />
Übersicht Ihrer Möglichkeiten, die rheumakranken<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler zu unterstützen, erhalten<br />
Sie über die Liste <strong>der</strong> Nachteilsausgleiche (siehe unten<br />
unter Punkt 1 „Materialien für Lehrkräfte“). Darüber<br />
h<strong>in</strong>aus ist es jedoch wünschenswert, bei allen<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern mit e<strong>in</strong>er rheumatischen<br />
Erkrankung <strong>in</strong>dividuell zu prüfen, welche Anpassungen<br />
für e<strong>in</strong>e Normalisierung und Erleichterung des<br />
Schulalltags notwendig s<strong>in</strong>d.<br />
Es folgt e<strong>in</strong>e Auswahl an Unterstützungsmöglichkeiten:<br />
· Das Klassenzimmer sollte im Erdgeschoss<br />
liegen, damit Treppensteigen verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t wird.<br />
· Raumwechsel möglichst vermeiden.<br />
w<br />
127
Rheuma/Juvenile idiopathische Arthritis<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
· E<strong>in</strong>en zweiten Schulbuchsatz für zu Hause organisieren,<br />
damit die Gelenke durch das Tragen<br />
schwerer Schultaschen nicht belastet werden.<br />
· Betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n die Teilnahme am Schulsport<br />
nach eigenem Ermessen ermöglichen.<br />
· Anschaffung <strong>von</strong> rheumagerechten Sitzmöbeln.<br />
· K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit Augenentzündungen (Uveitis)<br />
und möglicher Sehbee<strong>in</strong>trächtigung bzw. erhöhter<br />
Lichtempf<strong>in</strong>dlichkeit (<strong>in</strong>folge <strong>der</strong> Lokalbehandlung)<br />
im Klassenraum vorn sitzen lassen bzw.<br />
ihnen das Tragen e<strong>in</strong>er Sonnenbrille gestatten.<br />
· Zeit für Klassenarbeiten verlängern, weil die e<strong>in</strong>geschränkte<br />
Handbeweglichkeit und das Tragen<br />
<strong>von</strong> Handschienen das Schreiben beh<strong>in</strong><strong>der</strong>n.<br />
· Den rheumakranken K<strong>in</strong><strong>der</strong>n ggf. die Möglichkeit<br />
e<strong>in</strong>räumen, e<strong>in</strong>en Laptop im Unterricht zu benutzen.<br />
· Den betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n bei nasskaltem Wetter<br />
erlauben, die Pause mit e<strong>in</strong>er Freund<strong>in</strong>/e<strong>in</strong>em<br />
Freund im Schulgebäude zu verbr<strong>in</strong>gen.<br />
Grundsätzlich können K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit Rheuma an Ausflügen<br />
und Klassenfahrten teilnehmen. Bei Klassenfahrten<br />
kann es ggf. hilfreich se<strong>in</strong>, wenn e<strong>in</strong> Elternteil als<br />
Begleitperson mitfährt.<br />
H<strong>in</strong>weis zu Regelungen zum Nachteilsausgleich <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> zentralen Abschlussprüfung nach Klasse 10 o<strong>der</strong><br />
im Abitur (<strong>in</strong> NRW): E<strong>in</strong> Nachteilsausgleich wird nur<br />
dann (problemlos) gewährt, wenn die Schüler<strong>in</strong>/<strong>der</strong><br />
Schüler diesen auch schon im laufenden Schuljahr<br />
<strong>in</strong> Anspruch genommen hat. Diese För<strong>der</strong>ung muss<br />
nachgewiesen und dokumentiert se<strong>in</strong>.<br />
tionen <strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Deutsche Rheuma-Liga e. V.<br />
www.rheuma-liga.de<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
Materialien und Informationen für Lehrkräfte <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />
Deutschen Rheuma-Liga e. V.:<br />
Informationen und Orientierungshilfen<br />
zu Rheuma bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n im Schulalltag auf<br />
www.rheuma-liga.de/schule:<br />
· Flyer „Das rheumakranke K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>“<br />
· Liste Nachteilsausgleiche im Unterricht und bei Prüfungen<br />
Publikationen rund um das Thema Rheuma bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n:<br />
· Merkblätter, Broschüren usw. unter:<br />
www.rheuma-liga.de/k<strong>in</strong><strong>der</strong>rheuma<br />
Materialien zur Vorbereitung bzw. Durchführung<br />
e<strong>in</strong>er Unterrichtse<strong>in</strong>heit zu Rheuma bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n auf<br />
www.rheuma-liga.de/schule:<br />
· Unterrichtsmodul „Rheuma bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n“<br />
(mit didaktischer Begründung/Ziel <strong>in</strong>klusive Bildung)<br />
· Mitschüler-Flyer „Me<strong>in</strong> rheumakranker Mitschüler –<br />
wieso bekommt <strong>der</strong> ‚Extrawürste‘?“<br />
· Erfahrungsparcours für Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler<br />
· Wochenplan e<strong>in</strong>es Jugendlichen mit und ohne Rheuma<br />
· Quiz zu Rheuma bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
Interaktive Unterrichtse<strong>in</strong>heit<br />
· Auf www.rheuma-ichzeigsdir.de/schulen gibt es<br />
Erfahrungsberichte <strong>von</strong> betroffenen Jugendlichen, e<strong>in</strong><br />
„Fotorätsel“: „Wie erkenne ich, dass jemand Rheuma<br />
hat?“ und Weiteres zur Unterstützung e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>teraktiven<br />
Unterrichtse<strong>in</strong>heit.<br />
Filme und <strong>in</strong>teraktiver Rundgang<br />
· Rundgang durch den Alltag junger Rheumatiker:<br />
www.rheuma-ichzeigsdir.de<br />
· Filme <strong>von</strong> und mit Jugendlichen mit Rheuma unter:<br />
www.youtube.com/user/GetonRheumaLiga<br />
Weitere Internetadressen<br />
· Gesellschaft für K<strong>in</strong><strong>der</strong>- und Jugendrheumatologie:<br />
www.gkjr.de<br />
Portale für junge Menschen mit Rheuma:<br />
· www.geton.rheuma-liga.de<br />
· www.me<strong>in</strong>-rheuma-wird-erwachsen.de<br />
Beratung und Kontakt<br />
· Kontaktdaten <strong>der</strong> Landesverbände:<br />
www.rheuma-liga.de/landesverbaende<br />
· Bundesverband, Eltern- und Jugendarbeit:<br />
Monika Mayer, bv.mayer@rheuma-liga.de<br />
· Beratungstelefon: Mütter <strong>von</strong> rheumakranken<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>n beraten, Telefonnummern unter:<br />
www.rheuma-liga.de/rheumafoon<br />
128
Schizophrenie<br />
Schizophrenie ist e<strong>in</strong>e unverstandene psychische Störung, die aber e<strong>in</strong>e gut<br />
behandelbare Erkrankung ist. Es gibt Krankheitserfahrungen, die e<strong>in</strong> „zentrales<br />
schizophrenes Syndrom“ formen, das bei Betroffenen überall auf <strong>der</strong><br />
Welt zu f<strong>in</strong>den ist: Dieses ist gekennzeichnet durch das Erleben <strong>der</strong> E<strong>in</strong>gebung<br />
<strong>von</strong> Gedanken, <strong>der</strong> Gedankenübertragung und des Gedankenentzugs,<br />
und durch Stimmen, die Betroffene über sich sprechen hören o<strong>der</strong> die ihre<br />
Handlungen und Gedanken begleiten, sowie durch die verän<strong>der</strong>te Wahrnehmung<br />
ihrer psychischen Umgebung. So kann z. B. die ganze Welt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en<br />
so <strong>in</strong>tensiven persönlichen Bezug zu den Betroffenen treten, dass sich jedes<br />
Geschehen speziell auf sie zu beziehen sche<strong>in</strong>t und e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e Mitteilung<br />
an sie enthält.<br />
Zwischen e<strong>in</strong>em halben und e<strong>in</strong>em Prozent <strong>der</strong> Bevölkerung entwickelt<br />
m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>mal im Leben e<strong>in</strong>e Schizophrenie. E<strong>in</strong>e Schizophrenie kann<br />
leicht o<strong>der</strong> schwer, akut und dramatisch verlaufen o<strong>der</strong> schleichend und<br />
für Außenstehende kaum wahrnehmbar. Sie kann e<strong>in</strong>mal auftreten o<strong>der</strong><br />
auch nur e<strong>in</strong>e kurze Zeit bestehen, <strong>in</strong> längeren o<strong>der</strong> kürzeren Abständen<br />
wie<strong>der</strong>kehren o<strong>der</strong> sogar e<strong>in</strong> ganzes Leben lang andauern.<br />
Schizophrenie trifft oftmals Männer und Frauen, die mitten im Leben stehen.<br />
Im K<strong>in</strong>desalter s<strong>in</strong>d Jungen häufiger betroffen als Mädchen. Im Erwachsenenalter<br />
gibt es ke<strong>in</strong>en Geschlechtsunterschied – jedoch erkranken Männer<br />
im Durchschnitt drei bis fünf Jahre früher als Frauen an e<strong>in</strong>er Schizophrenie.<br />
Über die gesamte Lebensspanne betrachtet, erkranken die meisten Betroffenen<br />
zwischen dem 15. und dem 35. Lebensjahr. Im K<strong>in</strong>des- und Jugendalter<br />
liegen Krankheitsgipfel zwischen sieben und neun sowie zwischen<br />
15 und 16 Jahren.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Weil die Schizophrenie <strong>in</strong> ihren Ersche<strong>in</strong>ungsformen sehr<br />
vielfältig ist, ist sie auch für mit <strong>der</strong> Erkrankung Vertraute<br />
oft nur schwer greifbar. Unerfahrene – dies s<strong>in</strong>d neben<br />
Angehörigen, Freund<strong>in</strong>nen und Freunden sowie Arbeitskolleg<strong>in</strong>nen<br />
und -kollegen auch Betroffene zu Beg<strong>in</strong>n ihres<br />
Leidens – stehen <strong>der</strong> Krankheit häufig ratlos und (ver-)<br />
zweifelnd gegenüber.<br />
Es gibt verschiedene Klassifikationen <strong>von</strong> Schizophrenie;<br />
es wird zwischen Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis,<br />
Schizophrenie, schizotypen, wahnhaften und<br />
vorübergehenden psychotischen Störungen unterschieden.<br />
In <strong>der</strong> sog. ICD-Klassifikation („International Statistical<br />
Classification of Diseases and Related Health Problems“)<br />
werden bis zu 40 Untergruppen angeführt, die<br />
hier jedoch nicht e<strong>in</strong>gehen<strong>der</strong> thematisiert werden sollen.<br />
Wichtig zu wissen ist, dass die Zuordnung zu den e<strong>in</strong>zelnen<br />
Gruppen meist erst nachträglich erfolgt.<br />
Die Grafik auf <strong>der</strong> nächsten Seite zeigt exemplarisch e<strong>in</strong>e<br />
E<strong>in</strong>gruppierung <strong>von</strong> Typ-I- und Typ-II-Schizophrenie (Remschmidt<br />
2000: 187). Auf die mediz<strong>in</strong>ischen Fachbegriffe<br />
soll an dieser Stelle jedoch nicht näher e<strong>in</strong>gegangen werden.<br />
Bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n f<strong>in</strong>den sich eher unspezifische Symptome,<br />
wenig Positivsymptome; bei älteren Jugendlichen und Erwachsenen<br />
häufiger Positivsymptome.<br />
H<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungsformen lassen sich z. B. folgende<br />
Subtypen <strong>der</strong> Schizophrenie unterscheiden:<br />
1) Paranoide (wahnbildende) Schizophrenie:<br />
Diese häufigste Schizophrenieform tritt bereits im Jugendalter<br />
auf und ist <strong>der</strong> Prototyp <strong>der</strong> „positiven Schizophrenie“:<br />
Wahnideen und akustische Halluz<strong>in</strong>ationen s<strong>in</strong>d vorherr-<br />
129
Schizophrenie<br />
schend, aber auch Störungen des Denkens und <strong>der</strong> Affektivität<br />
kommen vor.<br />
Die diagnostischen Leitl<strong>in</strong>ien nennen als hervorstechende<br />
Merkmale (vgl. Remschmidt 2000: 185):<br />
1. Ich-Störungen wie Gedankenlautwerden, Gedankene<strong>in</strong>gebung<br />
o<strong>der</strong> Gedankenentzug und Gedankenausbreitung<br />
2. Störungen <strong>der</strong> Wahrnehmung <strong>von</strong> Zeit, Raum, Farbe,<br />
Form, Körperbild usw.<br />
3. Kontroll- und Bee<strong>in</strong>flussungswahn, Gefühl des<br />
Gemachten<br />
4. akustische Halluz<strong>in</strong>ationen, oft als Stimmen, die<br />
Gedanken und Handlungen kommentieren, o<strong>der</strong> als<br />
dialogische Stimmen, die über den Betroffenen reden<br />
2) Hebephrene Schizophrenie:<br />
Die hebephrene Schizophrenie ist durch Zeichen <strong>der</strong><br />
Antriebsverflachung, Denkzerfahrenheit, e<strong>in</strong>e affektive<br />
Verflachung und e<strong>in</strong>e heitere, läppische Grundhaltung<br />
charakterisiert. Diese Form beg<strong>in</strong>nt meist nach <strong>der</strong> Pubertät<br />
und sollte erst nach mehrmonatiger Beobachtungszeit<br />
diagnostiziert werden. Wegen <strong>der</strong> Entwicklung e<strong>in</strong>er<br />
M<strong>in</strong>ussymptomatik zählt sie zur Gruppe <strong>der</strong> „negativen<br />
Schizophrenien“. Die Prognose ist schlechter als bei <strong>der</strong><br />
paranoiden Schizophrenie. Häufig werden plötzliches<br />
Versagen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>, Isolation <strong>von</strong> sozialen Kontakten<br />
und Interessensverlust beobachtet. Außerdem s<strong>in</strong>d bei<br />
den Patient<strong>in</strong>nen und Patienten schon vor Auftreten <strong>der</strong><br />
ersten Symptome prämorbide Persönlichkeitszüge (E<strong>in</strong>zelgängertum,<br />
Scheu, Schüchternheit) vorhanden.<br />
3) Katatone Schizophrenie:<br />
Bei <strong>der</strong> katatonen Schizophrenie stehen die motorischen<br />
Ersche<strong>in</strong>ungen, akute Erregungszustände und Sperrungszustände<br />
(Stupor) sowie mutistisches Verhalten im Vor<strong>der</strong>grund.<br />
Von den an<strong>der</strong>en Symptomen s<strong>in</strong>d Wahnideen<br />
und Halluz<strong>in</strong>ationen am häufigsten. Diese Form kommt <strong>in</strong><br />
Industrielän<strong>der</strong>n seltener vor.<br />
Merkmale nach den diagnostischen Leitl<strong>in</strong>ien [International<br />
Statistical Classification of Diseases and Related<br />
Health Problems (ICD) & Diagnostic and Statistical Manual<br />
of Mental Disor<strong>der</strong>s (DSM)]:<br />
1. katatoner Stupor o<strong>der</strong> Mutismus<br />
2. Negativismus (unmotivierter Wi<strong>der</strong>stand gegenüber<br />
Auffor<strong>der</strong>ungen)<br />
3. Haltungsstereotypien und Rigidität (E<strong>in</strong>nehmen und<br />
Beibehalten bizarrer Körperhaltungen)<br />
4. Erregungszustand (unmotivierte motorische Erregung)<br />
4) Schizophrenia simplex:<br />
Diese meist im Jugendalter beg<strong>in</strong>nende Krankheitsform<br />
führt langsam und schleichend ohne beson<strong>der</strong>s auffällige<br />
Symptome zum Defektzustand. Antriebsarmut, Energielosigkeit,<br />
Versagen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> und e<strong>in</strong>e depressive<br />
Stimmung s<strong>in</strong>d kennzeichnend für diese schwer zu erkennenden<br />
schizophrenen Verläufe.<br />
5) Schizophrene Rest- und Defektzustände:<br />
Dabei handelt es sich um chronische Formen <strong>der</strong> Schizophrenie,<br />
bei denen Symptome <strong>der</strong> akuten Phase meist <strong>in</strong><br />
abgeschwächter Form weiterbestehen.<br />
6) Schizoaffektive Psychose:<br />
Bei dieser Form treten manische und depressive Symptome<br />
gleichzeitig mit schizophrenen Symptomen auf.<br />
(Remschmidt, 2000)<br />
Kl<strong>in</strong>ische Symptomatik<br />
Aufmerksamkeit<br />
und Sensorik<br />
Hemisphärenfunktion<br />
Prämorbide Persönlichkeit<br />
Typ-I-Schizophrenie<br />
(positive Symptome, produktive<br />
Symptome, akute Schizophrenie)<br />
Halluz<strong>in</strong>ationen, Wahn, positive Denkstörungen,<br />
gesteigerter Antrieb, Aggressivität,<br />
Erregung, bizarres Verhalten,<br />
Rededrang, Wortneubildungen<br />
Vermehrte Ablenkbarkeit,<br />
„breitere“ Aufmerksamkeit<br />
(broadened attention)<br />
L<strong>in</strong>kshemisphärische Hypofunktion<br />
Ke<strong>in</strong>e auffälligen E<strong>in</strong>schränkungen im<br />
kognitiven Bereich und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Motorik<br />
Typ-II-Schizophrenie<br />
(negative Symptome, Rückzugssymptomatik<br />
Affektive Verflachung, Antriebsarmut,<br />
sozialer und emotionaler Rückzug,<br />
Apathie, Spracharmut, verr<strong>in</strong>gerter<br />
Sprachantrieb, Anhedonie, negative<br />
Denkstörungen (Denkhemmung,<br />
Gedankenabreißen, Gedankensperre)<br />
Verm<strong>in</strong><strong>der</strong>te Informationsverarbeitungskapazität,<br />
e<strong>in</strong>geengte Aufmerksamkeit<br />
(narrowed attention)<br />
Frontale Dysfunktion, bilaterale Funktionsstörung<br />
E<strong>in</strong>schränkungen im kognitiven Bereich<br />
und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Motorik<br />
130
Materialien Ursache/Diagnose/Prognose<br />
für Lehrkräfte<br />
Die Diagnosestellung erfolgt anhand <strong>von</strong> ausführlichen<br />
ärztlichen Gesprächen und <strong>der</strong> genauen Beobachtung<br />
des Verhaltens <strong>der</strong> Betroffenen sowie anhand <strong>von</strong> zeitlichen<br />
Kriterien. Im K<strong>in</strong>desalter s<strong>in</strong>d schizophrene Psychosen<br />
schwer zu diagnostizieren, da sich die Symptomatik<br />
<strong>von</strong> <strong>der</strong> Schizophrenie Erwachsener unterscheiden kann.<br />
Im Jugendalter nähert sich die Symptomatik <strong>der</strong>jenigen<br />
<strong>der</strong> Erwachsenen an.<br />
Da e<strong>in</strong>e Schizophrenie e<strong>in</strong> sehr komplexes Krankheitsbild<br />
zeigt, geht man bei <strong>der</strong> Diagnostik anhand e<strong>in</strong>es Achsen-<br />
Schemas (ICD-10) vor. Dieses Schema weist sechs verschiedene<br />
Blickw<strong>in</strong>kel auf, die e<strong>in</strong> ganzheitliches Bild <strong>der</strong><br />
Patient<strong>in</strong>/des Patienten erstellen sollen:<br />
1. Achse: Kl<strong>in</strong>isch-psychiatrisches Syndrom<br />
2. Achse: Umschriebene Entwicklungsstörungen<br />
(z. B. Lese-/Rechtschreibstörungen)<br />
3. Achse: Intelligenzniveau<br />
4. Achse: Körperliche Symptomatik<br />
5. Achse: Abnorme psychosoziale Umstände<br />
(z. B. Trennung/Erkrankungen <strong>der</strong> Eltern)<br />
6. Achse: Globale Beurteilung des psychosozialen<br />
Funktionsniveaus<br />
E<strong>in</strong>e Diagnose kann nur dann gestellt werden, wenn die<br />
Symptome fast ständig während m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>es Monats<br />
aufgetreten s<strong>in</strong>d.<br />
Bis heute gibt es noch ke<strong>in</strong>e speziellen kl<strong>in</strong>ischen Tests,<br />
mit denen alle<strong>in</strong> man e<strong>in</strong>e Schizophrenie feststellen könnte.<br />
E<strong>in</strong>e Schizophrenie kann zu e<strong>in</strong>er vollen Remission (Rückgang,<br />
vorübergehendes Nachlassen <strong>von</strong> Krankheitssymptomen),<br />
e<strong>in</strong>er teilweisen Remission, aber auch zu e<strong>in</strong>em<br />
chronischen Verlauf führen. Die Prognose hängt entscheidend<br />
vom Subtyp <strong>der</strong> Schizophrenie ab. Schwierigkeiten<br />
ergeben sich beson<strong>der</strong>s bei Krankheitsformen, die schon<br />
im K<strong>in</strong>desalter <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung treten, da diese aufgrund<br />
<strong>der</strong> physischen, psychischen und kognitiven Entwicklung<br />
<strong>von</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n im Allgeme<strong>in</strong>en sehr schwierig zu diagnostizieren<br />
s<strong>in</strong>d, was häufig zu e<strong>in</strong>er erst spät e<strong>in</strong>setzenden<br />
Behandlung führt. Dann ist die Prognose wesentlich<br />
schlechter als bei e<strong>in</strong>er im Erwachsenenalter auftretenden<br />
Schizophrenie.<br />
Die Prognose ist besser, wenn sich das gesamte soziale<br />
Umfeld <strong>der</strong> Patient<strong>in</strong>/des Patienten auf die Erkrankung<br />
e<strong>in</strong>stellt und ggf. an Therapien teilnimmt. Die Belastung<br />
wird m<strong>in</strong>imiert und die Kooperation <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Familie<br />
gestärkt. Große Erfolge weist z. B. die Komb<strong>in</strong>ation <strong>von</strong><br />
familienorientierter Therapie, Rehabilitationstra<strong>in</strong><strong>in</strong>g und<br />
Langzeitmedikation auf. Dabei ist die Rückfallquote sehr<br />
niedrig. Lei<strong>der</strong> gibt es aber auch Subtypen, die e<strong>in</strong>e negative<br />
Prognose zur Folge haben und die Betroffenen dauerhaft<br />
e<strong>in</strong>schränken. Häufig hängen diese Verläufe mit e<strong>in</strong>em<br />
ungünstigen prämorbiden Persönlichkeitsbild <strong>der</strong><br />
Betroffenen zusammen.<br />
Behandlung<br />
Bei <strong>der</strong> Schizophrenietherapie <strong>von</strong> Erwachsenen besteht<br />
aus wissenschaftlicher Sicht h<strong>in</strong>reichende Sicherheit, dass<br />
die Komb<strong>in</strong>ation <strong>von</strong> medikamentöser Behandlung mit<br />
multimodalen psychosozialen und psychotherapeutischen<br />
Verfahren Erfolg verspricht. Psychoedukative Behandlungsprogramme<br />
unter E<strong>in</strong>beziehung <strong>der</strong> medikamentösen<br />
Therapie s<strong>in</strong>d geeignet, die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit des Wie<strong>der</strong>auftretens<br />
<strong>der</strong> Erkrankung zu senken. Die Psychoedukation<br />
ist e<strong>in</strong> die Therapie ergänzendes Angebot für Betroffene<br />
und ihre Familien mit dem Ziel, die psychisch<br />
Erkrankten und ihre Angehörigen bei <strong>der</strong> Bewältigung<br />
<strong>der</strong> Erkrankung und ihrer Folgen zu unterstützen. Der<br />
Gedanke h<strong>in</strong>ter diesem Konzept ist, den Betroffenen zu<br />
helfen, durch e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>formierten und bewussten Umgang<br />
mit dem Leiden rascher zu genesen und Wie<strong>der</strong>erkrankungen<br />
zu vermeiden. Die bisher bekannten<br />
Untersuchungen unterstützen die Annahme, dass die<br />
Erfahrungen aus <strong>der</strong> Erwachsenenbehandlung auch auf<br />
Jugendliche übertragen werden können – wenn die beson<strong>der</strong>en<br />
Entwicklungsbed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Jugendlichen<br />
entsprechend berücksichtigt werden.<br />
Die Grafik auf <strong>der</strong> nächsten Seite zeigt e<strong>in</strong> klassisches Behandlungs-<br />
und Therapieprogramm (Remschmidt 2000:195).<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Da unter den Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> die krankheitsbed<strong>in</strong>gten<br />
E<strong>in</strong>schränkungen eher auffallen als<br />
zu Hause, kommt <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Früherkennung<br />
e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e Bedeutung zu. <strong>Wir</strong>d e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d auffällig<br />
o<strong>der</strong> s<strong>in</strong>d deutlich e<strong>in</strong>ige <strong>der</strong> oben genannten Symptome<br />
zu beobachten, sollte man den zuständigen<br />
Schulpsychologischen Dienst zurate ziehen und auch<br />
mit den Eltern <strong>in</strong> Kontakt treten. Die meisten Schübe<br />
<strong>der</strong> Schizophrenie beg<strong>in</strong>nen nicht plötzlich. Ihnen<br />
geht e<strong>in</strong>e Phase voraus, <strong>in</strong> <strong>der</strong> „Warnsymptome“ wie<br />
Angst, Verunsicherung, Schlafstörungen, Grübeln,<br />
Nie<strong>der</strong>geschlagenheit, Konzentrationsschwierigkeiten,<br />
Nachlassen <strong>von</strong> Interessen und Nervosität auftreten<br />
können. Warnsymptome s<strong>in</strong>d <strong>von</strong> K<strong>in</strong>d zu K<strong>in</strong>d<br />
unterschiedlich ausgeprägt. In Therapien sollten die<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler lernen, ihre persönlichen<br />
Warnsignale zu erkennen und mit ihnen umzugehen.<br />
Hilfreich ist es, wenn die Lehrkräfte die Warnsignale<br />
<strong>der</strong> betroffenen Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler kennen<br />
und entsprechend Präventions- und Unterstützungsarbeit<br />
leisten können sowie – je nach Schweregrad<br />
– wissen, wann die Eltern zu alarmieren s<strong>in</strong>d. Meist<br />
jedoch können betroffene Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler<br />
bei akuten Schüben nicht am Schulalltag teilnehmen.<br />
Deshalb ist es wichtig, dass während und nach e<strong>in</strong>em<br />
längeren Fehlen Integrationsarbeit und Wie<strong>der</strong>e<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ungsmaßnahmen<br />
geleistet werden.<br />
131
Schizophrenie<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
· Der Bundesverband <strong>der</strong> Angehörigen psychisch Kranker<br />
e. V. (BApK) bietet e<strong>in</strong>en Flyer für pädagogische<br />
Fachkräfte an: www.psychiatrie.de/bapk/k<strong>in</strong><strong>der</strong>/flyer<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Bundesverband <strong>der</strong> Angehörigen psychisch Kranker e. V.<br />
(BApK)<br />
www.bapk.de<br />
· Zur Weiterreichung an Eltern/Angehörige betroffener<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>/Jugendlicher bietet sich die BApK-Broschüre<br />
„Wahns<strong>in</strong>nsk<strong>in</strong><strong>der</strong>?“ an: www.psychiatrie.de/bapk/<br />
k<strong>in</strong><strong>der</strong>/broschuere-eltern<br />
· Zur Weiterreichung an Geschwister, Freund<strong>in</strong>nen<br />
und Freunde und alle, die mit e<strong>in</strong>em psychisch<br />
kranken Menschen zusammenleben, bietet sich die<br />
BApK-Broschüre „Was ist denn nur mit Philip los?“<br />
an: www.psychiatrie.de/bapk/k<strong>in</strong><strong>der</strong>/broschueregeschwister<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.kns.kompetenznetz-schizophrenie.<strong>in</strong>fo<br />
· Schulprojekt „Verrückt? Na und? – Seelisch fit <strong>in</strong><br />
<strong>Schule</strong> und Ausbildung“: www.verrueckt-na-und.de<br />
Akutphase<br />
Remissionsphase<br />
Reha-Phase I<br />
Reha-Phase II<br />
(kl<strong>in</strong>ische Behandlung)<br />
(kl<strong>in</strong>ische Behandlung)<br />
(Heimbetreuung)<br />
(betreute Wohngruppe)<br />
Stationäre Aufnahme<br />
Weitere stationäre<br />
Behandlung<br />
Depot-Medikation<br />
Gruppentherapie<br />
Depot-Medikation<br />
Selbstverständigung <strong>in</strong><br />
Gruppe<br />
Neuroleptische Medikation<br />
Neuroleptische Medikation<br />
E<strong>in</strong>zeltherapie<br />
Baldige Aktivierung<br />
Integration <strong>in</strong> Gruppe<br />
E<strong>in</strong>übung <strong>der</strong> Tagesabläufe<br />
Selbstversorgung<br />
E<strong>in</strong>zeltherapie und<br />
E<strong>in</strong>zelbetreuung<br />
Mitarbeit <strong>in</strong> AG<br />
Schulbesuch<br />
Anlerntätigkeit<br />
o<strong>der</strong> Lehre<br />
Beschäftigungstherapie<br />
Schulbesuch o<strong>der</strong><br />
E<strong>in</strong>zelunterricht<br />
Berufsf<strong>in</strong>dung<br />
Kontakt zur Familie<br />
halten<br />
Realitätstra<strong>in</strong><strong>in</strong>g<br />
Realitätstra<strong>in</strong><strong>in</strong>g<br />
Gruppenaktivitäten<br />
(soweit möglich)<br />
Konzentrationstra<strong>in</strong><strong>in</strong>g<br />
Stadtaktivitäten/<br />
Verselbstständigung<br />
Beurlaubungen<br />
Familiengespräche<br />
Kreative För<strong>der</strong>ung<br />
Familienkontakt<br />
Ziel:<br />
Bee<strong>in</strong>flussung <strong>der</strong> Akutsymptomatik<br />
Verh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung <strong>von</strong> Rückzug<br />
und Chronifizierung<br />
Ziel:<br />
Re<strong>in</strong>tegration <strong>in</strong><br />
kl<strong>in</strong>ischen Bereich<br />
Ziel:<br />
Re<strong>in</strong>tegration <strong>in</strong> größere<br />
Geme<strong>in</strong>schaft<br />
Realitätsanpassung<br />
Berufsf<strong>in</strong>dung und<br />
-vorbereitung<br />
Ziel:<br />
Selbstversorgung<br />
Berufliche Entwicklung<br />
Quelle: Remschmidt, H. (Hrsg.) (2000): K<strong>in</strong><strong>der</strong>- und Jugendpsychiatrie: Praktische E<strong>in</strong>führung für Krankenpflege-, pädagogische und soziale Berufe, 3. Aufl., Stuttgart: Thieme.<br />
132
Schlaganfall (Hirn<strong>in</strong>farkt)<br />
Als Schlaganfall wird e<strong>in</strong>e plötzlich auftretende Erkrankung des Gehirns bezeichnet,<br />
die oft zu e<strong>in</strong>em Ausfall <strong>von</strong> Funktionen des Zentralnervensystems<br />
führt und durch kritische Störungen <strong>der</strong> Blutversorgung des Gehirns verursacht<br />
wird. Die Gehirnzellen werden nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff<br />
und Nährstoffen versorgt und drohen abzusterben. Das betroffene Gehirnareal<br />
kann se<strong>in</strong>e Funktionen nicht mehr erfüllen, was die Störung bestimmter<br />
Gehirn- und Nervenfunktionen zur Folge hat.<br />
Der Schlaganfall gehört zu den häufigsten Erkrankungen und ist zudem<br />
nach Herzerkrankungen und Krebsleiden die dritthäufigste Todesursache <strong>in</strong><br />
<strong>Deutschland</strong>.<br />
Etwa zehn Prozent <strong>der</strong> Schlaganfälle treten bei unter 40-Jährigen auf, wobei<br />
ca. 300 K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Neugeborene im Jahr betroffen s<strong>in</strong>d.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Es können folgende Formen des Schlaganfalls unterschieden<br />
werden:<br />
Ischämischer Schlaganfall (Hirn<strong>in</strong>farkt): Diese Form macht<br />
ca. 80 Prozent <strong>der</strong> Schlaganfälle aus. Er wird durch zwei<br />
verschiedene Mechanismen ausgelöst: Entwe<strong>der</strong> verschließen<br />
o<strong>der</strong> verengen sich die Blutgefäße im Gehirn<br />
durch Gefäßverkalkung (Arteriosklerose) o<strong>der</strong> sie werden<br />
durch herangespülte Blutger<strong>in</strong>nsel (Thromben) verstopft<br />
(Gehirnembolie).<br />
Vorkommen: 160 bis 240 Ereignisse pro 100.000 E<strong>in</strong>wohner;<br />
zunehmendes Vorkommen bei höherem Alter<br />
Hämorrhagischer Schlaganfall: Bei ihm ist die Ursache<br />
e<strong>in</strong>e Gehirnblutung. Er tritt seltener auf (etwa 20 Prozent<br />
<strong>der</strong> Schlaganfälle).<br />
Vorkommen: 24 Ereignisse pro 100.000 E<strong>in</strong>wohner<br />
Bei e<strong>in</strong>em Hirn<strong>in</strong>farkt gehen dem eigentlichen Schlaganfall<br />
<strong>in</strong> vielen Fällen kürzere Episoden mit ähnlichen<br />
Symptomen voraus. Dies können kurzzeitige Sprachstörungen,<br />
Gedächtnisverlust, Missempf<strong>in</strong>dungen o<strong>der</strong> kurz<br />
andauernde Lähmungsersche<strong>in</strong>ungen (etwa als halbseitige<br />
Schwäche) se<strong>in</strong>. Sie bilden sich <strong>in</strong>nerhalb <strong>von</strong> zehn<br />
M<strong>in</strong>uten bis 24 Stunden zurück.<br />
Vorbote e<strong>in</strong>es Schlaganfalls ist z. B. e<strong>in</strong> stark erhöhter<br />
Blutdruck mit e<strong>in</strong>em systolischen (= ersten) Wert über<br />
200 mmHg. In diesem Fall sollte sofort e<strong>in</strong> Arzt aufgesucht<br />
werden.<br />
Je nach betroffenem Hirnbereich entstehen bei e<strong>in</strong>em<br />
Schlaganfall unterschiedliche Symptome. Meist kommt<br />
es zu halbseitigen Lähmungen, bei denen <strong>der</strong> Mundw<strong>in</strong>kel<br />
<strong>der</strong> betroffenen Seite herabhängt, die Gliedmaßen<br />
erschlaffen und nicht richtig bewegt werden können. Die<br />
Lähmung wird oft <strong>von</strong> Sprach- und Gefühlsstörungen<br />
begleitet. Zudem können Kopfschmerzen, Übelkeit und<br />
Erbrechen auftreten. E<strong>in</strong> schwerer Schlaganfall kann zur<br />
Bewusstse<strong>in</strong>strübung bis h<strong>in</strong> zur Bewusstlosigkeit führen<br />
und lebensbedrohlich se<strong>in</strong>.<br />
Bei Frauen äußert sich e<strong>in</strong> Schlaganfall auch durch uncharakteristische<br />
Symptome wie<br />
· Übelkeit und Erbrechen<br />
· Glie<strong>der</strong>- und Gesichtsschmerzen<br />
· Schluckauf<br />
· Brustschmerz und Herzstolpern<br />
· Luftnot<br />
Bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n macht sich e<strong>in</strong> Schlaganfall häufig durch<br />
e<strong>in</strong>e neu aufgetretene Störung des Bewegungsablaufs<br />
bemerkbar, wie etwa das Nachziehen e<strong>in</strong>es Be<strong>in</strong>s beim<br />
Gehen o<strong>der</strong> die Unfähigkeit zu greifen; es können aber<br />
auch Krampfanfälle vorkommen.<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Ursache<br />
Bei beiden Formen des Schlaganfalls ist das betroffene<br />
Hirnareal <strong>von</strong> <strong>der</strong> Blutversorgung ausgeschlossen. Dadurch<br />
erhalten die Gehirnzellen nicht ausreichend Sauerstoff<br />
und Nährstoffe. Sie sterben nach kurzer Zeit ab. An<strong>der</strong>e<br />
Blutgefäße, die im Bereich des Hirn<strong>in</strong>farkts liegen,<br />
können undicht werden. Dies kann im weiteren Verlauf<br />
zu zusätzlichen E<strong>in</strong>blutungen <strong>in</strong> das abgestorbene Hirngewebe<br />
führen (Gefahr <strong>der</strong> Hirnmassenblutung).<br />
133
Schlaganfall (Hirn<strong>in</strong>farkt)<br />
Die Risikofaktoren e<strong>in</strong>es ischämischen Schlaganfalls <strong>in</strong>folge<br />
e<strong>in</strong>er Arteriosklerose s<strong>in</strong>d:<br />
· Bluthochdruck (Hypertonie)<br />
· Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit)<br />
· Rauchen<br />
· Übergewicht, hohe Blutfettwerte<br />
(Cholester<strong>in</strong> und Triglyzeride)<br />
· Übermäßiger Alkoholkonsum<br />
· Östrogenhaltige Verhütungsmittel<br />
(vor allem <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit Rauchen)<br />
· Migräne<br />
Die Risikofaktoren e<strong>in</strong>es ischämischen Schlaganfalls <strong>in</strong>folge<br />
e<strong>in</strong>er Gehirnembolie s<strong>in</strong>d:<br />
· Absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern<br />
· Herzrhythmusstörungen<br />
· Herz<strong>in</strong>farkte<br />
· Herzklappenfehler<br />
Die Ursache für e<strong>in</strong>e Gehirnblutung (hämorrhagischer<br />
Schlaganfall) ist das Zerplatzen e<strong>in</strong>es Blutgefäßes im Gehirn,<br />
wobei ausströmendes Blut das Hirngewebe ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>drückt.<br />
Die Risikofaktoren e<strong>in</strong>es Schlaganfalls <strong>in</strong>folge<br />
e<strong>in</strong>er Hirnmassenblutung s<strong>in</strong>d:<br />
· Bluthochdruck (Hypertonie)<br />
· Erkrankungen des blutbildenden Systems und<br />
Ger<strong>in</strong>nungsstörungen<br />
· Anwendung <strong>von</strong> blutverdünnenden Medikamenten<br />
· Fortgeschrittene Lebererkrankungen<br />
· Gefäßmissbildungen, wie krankhafte Ausbuchtungen<br />
<strong>von</strong> Gefäßen (z. B. Aneurysma)<br />
· Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Blutgefäße durch Ablagerungen<br />
<strong>von</strong> abnorm verän<strong>der</strong>ten Eiweißen o<strong>der</strong> Gefäßentzündungen<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> können beispielsweise e<strong>in</strong> erhöhtes Risiko für die<br />
Bildung <strong>von</strong> Blutger<strong>in</strong>nseln, die die Blutgefäße im Gehirn<br />
verstopfen, durch angeborene Gefäßmissbildungen, e<strong>in</strong>e<br />
Infektionskrankheit o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Herzerkrankung haben.<br />
Diagnose<br />
Die Unterscheidung zwischen M<strong>in</strong><strong>der</strong>durchblutung<br />
und Blutung ist erst durch bildgebende Verfahren wie<br />
Computertomografie (CT) o<strong>der</strong> Magnetresonanztomografie<br />
(MRT) sicher möglich. In den ersten Stunden können<br />
beide Bil<strong>der</strong>hebungsmethoden jedoch, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />
beim primär ischämischen Hirn<strong>in</strong>farkt, noch unauffällig<br />
se<strong>in</strong>. Die Verdachtsdiagnose e<strong>in</strong>er Blutung, die <strong>in</strong>folge<br />
e<strong>in</strong>er geplatzten Arterie entsteht, kann bei mil<strong>der</strong> Symptomatik<br />
(zum Beispiel alle<strong>in</strong>ige Kopfschmerzen) nur durch<br />
den Nachweis <strong>von</strong> Blutbestandteilen im Nervenwasser<br />
mittels e<strong>in</strong>er Lumbalpunktion bestätigt werden.<br />
E<strong>in</strong> e<strong>in</strong>facher Test zur Erkennung e<strong>in</strong>es Schlaganfalls<br />
durch Laien ist das F.A.S.T.-Schema (fast = englisch für<br />
„schnell“ bzw. für folgende Begriffe stehend: Face =<br />
Gesicht, Arms = Arme, Speech = Sprache, Time = Zeit),<br />
den auch Lehrkräfte bei Verdacht auf e<strong>in</strong>en Schlaganfall<br />
durchführen können:<br />
· Bitten Sie die Person zu lächeln: Das Gesicht wird bei<br />
e<strong>in</strong>er Lähmung e<strong>in</strong>seitig verzogen (Face).<br />
· Bitten Sie die Person, beide Arme gleichzeitig nach<br />
vorne zu heben, wobei die Handflächen nach oben<br />
zeigen: Bei e<strong>in</strong>er Lähmung kann e<strong>in</strong> Arm nicht gehoben<br />
werden bzw. s<strong>in</strong>kt ab o<strong>der</strong> dreht sich – vor allem<br />
bei geschlossenen Augen (Arms).<br />
· Bitten Sie die Person, e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>fachen Satz nachzusprechen:<br />
Bei e<strong>in</strong>em Schlaganfall kann die Sprache<br />
undeutlich o<strong>der</strong> unverständlich se<strong>in</strong> (Speech).<br />
Diese Methode lässt auch ungeübte Personen Schlüsselsymptome<br />
für e<strong>in</strong>en Schlaganfall <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er M<strong>in</strong>ute<br />
relativ sicher erkennen. Wenn e<strong>in</strong>e dieser Aufgaben nicht<br />
erfüllt werden kann, notieren Sie die exakte Uhrzeit, zu<br />
<strong>der</strong> dieser Test gemacht wurde; denn die Behandlung<br />
kann je nach verstrichener Zeit variieren. Durch dieses<br />
Verfahren wird wertvolle Zeit gespart, und die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />
für das E<strong>in</strong>treten bleiben<strong>der</strong> Schäden lässt<br />
sich verr<strong>in</strong>gern (Time).<br />
Behandlung<br />
In <strong>der</strong> Notfalltherapie versucht <strong>der</strong> Notarzt Atmung,<br />
Kreislauf und Bewusstse<strong>in</strong> wie<strong>der</strong>herzustellen. Dazu<br />
gibt er ggf. Sauerstoff und kreislaufstabilisierende Medikamente<br />
und stellt Blutdruck und Blutzucker e<strong>in</strong>. In<br />
<strong>der</strong> Kl<strong>in</strong>ik wird dann e<strong>in</strong> Notfall-CT o<strong>der</strong> -MRT gemacht,<br />
um die Diagnose zu sichern, das Ausmaß des Hirn<strong>in</strong>farktes<br />
herauszuf<strong>in</strong>den und über weitere Therapien zu<br />
entscheiden. Um den Schlaganfall erfolgreich und effektiv<br />
behandeln zu können, gibt es <strong>in</strong> zahlreichen Kl<strong>in</strong>iken<br />
und Krankenhäusern sog. Stroke Units: Dies s<strong>in</strong>d<br />
kl<strong>in</strong>ische Spezialstationen, die sich um Schlaganfallpatient<strong>in</strong>nen<br />
und -patienten kümmern und e<strong>in</strong>en kooperativen<br />
E<strong>in</strong>satz <strong>von</strong> Neurologen, Radiologen, Internisten,<br />
Neurochirurgen und Therapeuten ermöglichen. Die Vorteile<br />
<strong>der</strong> Stroke Units bestehen <strong>in</strong> <strong>der</strong> frühzeitigen und optimalen<br />
Diagnostik (z. B. CT, MRT), <strong>der</strong> schnellen E<strong>in</strong>leitung<br />
e<strong>in</strong>er bestmöglichen Behandlung (z. B. neurochirurgischer<br />
E<strong>in</strong>griff) und dem frühzeitigen E<strong>in</strong>setzen optimaler Rehabilitationsmaßnahmen<br />
(z. B. Logopädie, Ergotherapie,<br />
Krankengymnastik).<br />
134
eH<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
E<strong>in</strong> Schlaganfall ist e<strong>in</strong> Notfall!<br />
Die Diagnose sollte schnellstmöglich gestellt und e<strong>in</strong>e<br />
Therapie e<strong>in</strong>geleitet werden. Bei Verdacht auf e<strong>in</strong>en<br />
Schlaganfall muss sofort e<strong>in</strong> Notarzt gerufen werden.<br />
Dabei können Lehrkräfte die oben beschriebene<br />
F.A.S.T.-Methode anwenden, um e<strong>in</strong>en möglichen<br />
Schlaganfall zu erkennen und schnell zu reagieren.<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe<br />
www.schlaganfall-hilfe.de<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.schlaganfall-hilfe.de/notfall<br />
· www.schlaganfall-hilfe.de/k<strong>in</strong>dlicher-schlaganfall<br />
· www.schlaganfall-k<strong>in</strong><strong>der</strong>.de<br />
(SCHAKI e. V. – <strong>Selbsthilfe</strong>gruppe für<br />
Schlaganfallk<strong>in</strong><strong>der</strong>)<br />
135
Skoliose<br />
Als Skoliose bezeichnet man e<strong>in</strong>e Seitenverbiegung <strong>der</strong> <strong>Wir</strong>belsäule mit<br />
gleichzeitiger Verdrehung <strong>der</strong> <strong>Wir</strong>belkörper, so dass die <strong>Wir</strong>belsäule nicht<br />
mehr vollständig aufgerichtet werden kann. Dadurch kommt es zum typischen<br />
Bild <strong>der</strong> Skoliose mit dem kosmetisch störenden Rippenbuckel und Lendenwulst<br />
sowie den Verän<strong>der</strong>ungen an Schultern und Becken.<br />
Die eigentliche Ursache <strong>der</strong> Skoliose ist <strong>in</strong> etwa 80 Prozent <strong>der</strong> Fälle<br />
unbekannt (sogenannte idiopathische Skoliose), nur <strong>in</strong> den verbleibenden<br />
20 Prozent f<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong>e Ursache (symptomatische Skoliose), wie z. B.<br />
Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Knochenstruktur, Muskel- und Nervenerkrankungen usw.<br />
Von allen 10- bis 14-jährigen Jugendlichen haben rund 4 bis 4,5 Prozent<br />
e<strong>in</strong>e Skoliose. Mädchen s<strong>in</strong>d vier- bis fünfmal häufiger betroffen als Jungen,<br />
bei schweren Skoliosen sogar achtmal häufiger.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Bei den meisten Menschen ist die <strong>Wir</strong>belsäule nicht ganz<br />
gerade. Von e<strong>in</strong>er Skoliose spricht man, wenn die Krümmung<br />
mehr als zehn Grad nach Cobb (die Verkrümmung<br />
<strong>der</strong> <strong>Wir</strong>belsäule wird <strong>in</strong> Grad nach Cobb gemessen) beträgt.<br />
Die Skoliose führt nach und nach zu strukturellen Verän<strong>der</strong>ungen<br />
<strong>der</strong> <strong>Wir</strong>belkörper mit Verlust <strong>der</strong> Beweglichkeit.<br />
Außerdem können Störungen im Bereich <strong>der</strong><br />
<strong>in</strong>neren Organe, vor allem des Herzens und <strong>der</strong> Lunge,<br />
auftreten. Die Folgen s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e deutlich e<strong>in</strong>geschränkte<br />
körperliche Leistungsfähigkeit und e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>schränkung<br />
<strong>der</strong> Lebensqualität.<br />
Bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n tritt die idiopathische Skoliose am häufigsten<br />
auf. Sie wird als idiopathisch bezeichnet, da die Ursache<br />
<strong>der</strong> Erkrankung nicht bestimmt werden kann:<br />
· Infantile idiopathische Skoliose (IIS):<br />
Entstehung bis zum 3. Lebensjahr<br />
· Juvenile idiopathische Skoliose (JIS):<br />
Entstehung zwischen dem 4. und 10. Lebensjahr<br />
· Idiopathische Adoleszentenskoliose (AIS):<br />
Entstehung ab dem 11. Lebensjahr<br />
Die symptomatische Skoliose wird h<strong>in</strong>sichtlich ihrer Ursachen<br />
folgen<strong>der</strong>maßen unterschieden:<br />
· Fehlbildungsskoliose (kongenitale Skoliose):<br />
durch angeborene <strong>Wir</strong>belfehlbildungen<br />
· Neuropathische Skoliose: durch Nerven- und Muskelerkrankungen<br />
· Myopathische Skoliose: durch Muskeldystrophien<br />
(Schwund <strong>von</strong> Muskelgewebe) o<strong>der</strong> Arthrogrypose<br />
(Gelenksteife)<br />
· Posttraumatische Skoliose: nach Gewalte<strong>in</strong>wirkung,<br />
Amputationen o<strong>der</strong> Tumoroperationen im Bereich <strong>der</strong><br />
<strong>Wir</strong>belsäule<br />
· Statische Skoliose: durch Be<strong>in</strong>längendifferenzen<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Die Ursachen <strong>von</strong> Skoliosen gelten zurzeit noch als ungeklärt.<br />
E<strong>in</strong>igkeit besteht jedoch dar<strong>in</strong>, dass verschiedene<br />
Faktoren an <strong>der</strong> Entstehung beteiligt se<strong>in</strong> können.<br />
Folgende Kennzeichen e<strong>in</strong>er Skoliose erleichtern die Diagnostik:<br />
· unterschiedlicher Schulterstand<br />
· asymmetrische Hüftstellung (die Gesäßfalten liegen<br />
auf unterschiedlicher Höhe)<br />
· stark ausgeprägte S-förmige <strong>Wir</strong>belsäule<br />
· e<strong>in</strong>seitig auftreten<strong>der</strong> und stark auffälliger Rippenbuckel<br />
Bei e<strong>in</strong>er Skoliose ist die <strong>Wir</strong>belsäule <strong>in</strong> sich verdreht<br />
und seitwärts verkrümmt. E<strong>in</strong>e Skoliose hat man e<strong>in</strong> Leben<br />
lang. Skoliosen können im Lauf des Lebens zunehmen<br />
(„Progredienz“). Beson<strong>der</strong>s groß ist das Risiko e<strong>in</strong>er<br />
Krümmungszunahme während des Wachstums. Aber<br />
auch nach Wachstumsabschluss können Skoliosen weiter<br />
zunehmen; je größer die Krümmung ist, desto größer<br />
s<strong>in</strong>d die körperlichen Beschwerden. Ausschlaggebend<br />
für die „Schwere“ <strong>der</strong> Verkrümmung ist die gemessene<br />
Gradzahl, die sich vom Röntgenbild ableiten lässt.<br />
Auch nach dem Abschluss des Wachstums treten bei<br />
stärker ausgeprägten unbehandelten Skoliosen aufgrund<br />
<strong>von</strong> Abbauvorgängen im Bandscheiben- o<strong>der</strong> im <strong>Wir</strong>belkörperbereich<br />
<strong>in</strong>folge krümmungsbed<strong>in</strong>gter e<strong>in</strong>seitiger<br />
136
Belastungen möglicherweise weitere Verschlechterungen<br />
auf. Durch die Verformung des Brustkorbs kann bei<br />
schweren Skoliosen die Funktion <strong>der</strong> Lunge und des Herzens<br />
<strong>in</strong> Mitleidenschaft gezogen werden. Es kann zu e<strong>in</strong>er<br />
Verm<strong>in</strong><strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Atemkapazität sowie e<strong>in</strong>er Rechtsherzüberlastung<br />
kommen, und häufig treten Schmerzen<br />
auf.<br />
Behandlung<br />
Die Behandlung e<strong>in</strong>er Skoliose hängt vom E<strong>in</strong>zelfall ab.<br />
Während des Wachstums soll vor allem e<strong>in</strong>e Zunahme <strong>der</strong><br />
Krümmung vermieden werden. Je eher e<strong>in</strong>e Skoliose erkannt<br />
wird, desto besser s<strong>in</strong>d die Korrektur- und Therapiemöglichkeiten.<br />
Als Faustregel orientiert man sich bei <strong>der</strong> Therapie<br />
während des Wachstums an den Cobb-W<strong>in</strong>keln:<br />
· Krümmungen <strong>von</strong> weniger als 20 Grad nach Cobb<br />
werden regelmäßig vom Arzt kontrolliert und<br />
gegebenenfalls mit Physiotherapie behandelt.<br />
· Krümmungen <strong>von</strong> mehr als 20 Grad nach Cobb<br />
werden mit Physiotherapie und e<strong>in</strong>em Korsett behandelt.<br />
Ergänzend kann e<strong>in</strong>e „Skoliose-Reha“ durchgeführt<br />
werden.<br />
· Bei Krümmungen ab 40 bis 50 Grad nach Cobb<br />
wird überlegt, ob e<strong>in</strong>e stabilisierende Operation<br />
s<strong>in</strong>nvoll ist.<br />
Bis K<strong>in</strong><strong>der</strong> ausgewachsen s<strong>in</strong>d, sollte die Gradzahl so ger<strong>in</strong>g<br />
wie möglich gehalten werden.<br />
Physiotherapie<br />
Es gibt verschiedene Methoden <strong>der</strong> Physiotherapie,<br />
mit denen e<strong>in</strong>e Skoliose behandelt werden kann. Welche<br />
Methode am besten ist, hängt <strong>von</strong> vielen Faktoren<br />
ab, unter an<strong>der</strong>em <strong>von</strong> <strong>der</strong> Art <strong>der</strong> Skoliose und<br />
<strong>von</strong> <strong>der</strong> Patient<strong>in</strong> bzw. dem Patienten (Alter, körperliche<br />
Fähigkeiten usw.). Bei Jugendlichen mit idiopathischer<br />
Skoliose wird am häufigsten Krankengymnastik nach<br />
Kathar<strong>in</strong>a Schroth angewendet.<br />
Dabei handelt es sich um e<strong>in</strong>e dreidimensionale Übungstechnik,<br />
mit <strong>der</strong> die <strong>Wir</strong>belsäule aufgerichtet und entdreht<br />
werden soll. Daneben gibt es z. B. die Behandlungsmethode<br />
nach Vojta, bei <strong>der</strong> durch Reize Bewegungsreflexe<br />
ausgelöst werden können, nach Bobath und nach Dorn<br />
sowie die Spiraldynamik u. v. m.<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Im Unterricht:<br />
Es treten i. d. R. nur dann Probleme auf, wenn betroffene<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> über e<strong>in</strong>en längeren Zeitraum <strong>in</strong> <strong>der</strong>selben<br />
Haltung ausharren. Bei auftretenden Schmerzen<br />
sollten Lehrkräfte den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n gestatten, aufzustehen<br />
und sich zu bewegen. Bewährt haben sich zudem<br />
sog. Pezzibälle als Ausgleich zum Sitzen.<br />
Ist das Tragen e<strong>in</strong>es Korsetts erfor<strong>der</strong>lich, sollte darüber<br />
vorab mit den Eltern und den betroffenen<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>n gesprochen werden. Ggf. sollten auch die<br />
Mitschüler<strong>in</strong>nen und Mitschüler e<strong>in</strong>bezogen werden,<br />
um Vorurteilen, Stigmatisierungen und Berührungsängsten<br />
vorzubeugen.<br />
Viele betroffene K<strong>in</strong><strong>der</strong> können und sollen ganz normal<br />
am Schulsport teilnehmen. Abhängig vom Grad<br />
<strong>der</strong> Skoliose und <strong>der</strong> angewandten Therapie ist jedoch<br />
e<strong>in</strong>e Rücksprache mit den Eltern und/o<strong>der</strong> Ärzt<strong>in</strong>nen<br />
und Ärzten/Therapeut<strong>in</strong>nen und Therapeuten<br />
erfor<strong>der</strong>lich. Solange für Skoliose-Betroffene tendenziell<br />
ungeeignete Sportarten nur gelegentlich ausgeführt<br />
werden, stellen auch sie meist ke<strong>in</strong>e Gefahr dar.<br />
Bei e<strong>in</strong>er Orthesenversorgung sollte <strong>in</strong> Absprache mit<br />
Eltern und Ärzt<strong>in</strong>nen und Ärzten/Therapeut<strong>in</strong>nen<br />
und Therapeuten e<strong>in</strong>e Teilbefreiung vom Sportunterricht<br />
<strong>in</strong> Erwägung gezogen werden, bei <strong>der</strong> Ausdauerläufe<br />
über 400 Meter und extreme Sprünge (Geräteabgang,<br />
Seilspr<strong>in</strong>gen) ausgenommen werden.<br />
Kritisch betrachtet werden zudem Stoßbelastungen<br />
<strong>der</strong> <strong>Wir</strong>belsäule (zum Beispiel bei Kontaktsportarten<br />
wie Handball). Diese sollten mit <strong>der</strong> Ärzt<strong>in</strong> bzw. dem<br />
Arzt abgestimmt werden. Zudem kann das tägliche<br />
Tragen e<strong>in</strong>er Orthese die Koord<strong>in</strong>ation bee<strong>in</strong>trächtigen.<br />
Für Ausflüge und Klassenfahrten gilt Entsprechendes.<br />
Falls bestimmte, h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> körperlichen<br />
Belastung nicht alltägliche Aktivitäten anstehen, sollte<br />
dies im Vorfeld mit den Eltern und/o<strong>der</strong> den Ärzt<strong>in</strong>nen<br />
und Ärzten/Therapeut<strong>in</strong>nen und Therapeuten<br />
erörtert werden.<br />
Korsett<br />
E<strong>in</strong> Korsett ist e<strong>in</strong>e Orthese, d. h. e<strong>in</strong> orthopädisches Hilfsmittel.<br />
Es gibt verschiedene Arten <strong>von</strong> Korsetten. Jedes<br />
Korsett wird <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er/e<strong>in</strong>em Orthopädietechniker<strong>in</strong>/-<br />
techniker <strong>in</strong>dividuell für die Patientien bzw. den Patienten<br />
angefertigt, damit es <strong>der</strong> Skoliose exakt entgegenwirken<br />
kann.<br />
137
Skoliose<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>- und Jugendbroschüre „Skoliose! Und jetzt? Mach<br />
Dich schlau!“, anzufor<strong>der</strong>n beim Bundesverband Skoliose-<strong>Selbsthilfe</strong><br />
e. V. (verwaltung@bundesverband-skoliose.<br />
de).<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.bundesverband-skoliose.de/skoliose.html<br />
· Informationsblätter des Bundesverbandes Skoliose-<br />
<strong>Selbsthilfe</strong> e. V.:<br />
www.bundesverband-skoliose.de/skoliose-literatur.<br />
html<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Bundesverband Skoliose-<strong>Selbsthilfe</strong> e. V. –<br />
Interessengeme<strong>in</strong>schaft für <strong>Wir</strong>belsäulengeschädigte<br />
www.bundesverband-skoliose.de<br />
138
Sp<strong>in</strong>a bifida (offener Rücken)/Hydrocephalus<br />
Sp<strong>in</strong>a bifida ist e<strong>in</strong>e Neuralrohrfehlbildung, bei <strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Wir</strong>belbogen<br />
über unterschiedlich viele <strong>Wir</strong>belkörper h<strong>in</strong>weg nicht verschlossen ist.<br />
Die üblicherweise <strong>in</strong> den ersten Wochen <strong>der</strong> Schwangerschaft erfolgende<br />
Ausbildung e<strong>in</strong>es Neuralrohrs aus <strong>der</strong> Neuralr<strong>in</strong>ne vollzieht sich nicht,<br />
sodass <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge e<strong>in</strong>e schwere Anlagestörung des Rückenmarks e<strong>in</strong>tritt.<br />
Neben genetischen Faktoren können Medikamente (bspw. Antiepileptika),<br />
Tox<strong>in</strong>e und e<strong>in</strong> niedriger Folsäurespiegel zur Entstehung <strong>der</strong> Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung<br />
beitragen.<br />
Sp<strong>in</strong>a bifida tritt bei e<strong>in</strong>er bis drei <strong>von</strong> 1.000 Geburten auf.<br />
Bei 80 Prozent aller Betroffenen geht die Sp<strong>in</strong>a bifida zudem mit<br />
Hydrocephalus (Störung des Hirnwasserkreislaufs) e<strong>in</strong>her.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Es werden verschiedene Ausprägungen <strong>der</strong> Sp<strong>in</strong>a bifida<br />
unterschieden:<br />
1. Sp<strong>in</strong>a bifida occulta (nicht sichtbar)<br />
2. Men<strong>in</strong>gozele<br />
Diese beiden Formen gehen nicht mit neurologischen<br />
Funktionsverlusten e<strong>in</strong>her, d. h., dass Hirnhaut, aber ke<strong>in</strong><br />
Nervengewebe <strong>in</strong> den offenen <strong>Wir</strong>belbogen vorgefallen<br />
ist.<br />
3. Men<strong>in</strong>gomyelozele: Spaltbildung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Wir</strong>belsäule<br />
mit Vorfall des Nervengewebes, das <strong>in</strong>folge fehlenden<br />
Schutzes geschädigt werden kann, so dass häufig e<strong>in</strong>e<br />
Querschnittslähmung e<strong>in</strong>tritt.<br />
Nahezu 90 Prozent <strong>der</strong> Patient<strong>in</strong>nen und Patienten mit<br />
Men<strong>in</strong>gomyelozelen zeigen Symptome e<strong>in</strong>er Störung <strong>der</strong><br />
Speicher- o<strong>der</strong> Entleerungsfunktion <strong>der</strong> Harnblase, die als<br />
neurogene Blasenstörung bezeichnet wird, da die blasenversorgenden<br />
Nerven und Leitungsbahnen aufgrund <strong>der</strong><br />
Men<strong>in</strong>gomyelozele unterbrochen o<strong>der</strong> bee<strong>in</strong>trächtigt<br />
s<strong>in</strong>d.<br />
Bei 80 Prozent <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> tritt e<strong>in</strong> Verschlusshydrocephalus<br />
aufgrund <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ungen im Bereich <strong>der</strong> h<strong>in</strong>teren<br />
Schädelgrube auf. Dabei handelt es sich um e<strong>in</strong>e Ansammlung<br />
<strong>von</strong> Hirnwasser <strong>in</strong> den Hirnwasserkammern<br />
<strong>in</strong>folge e<strong>in</strong>er Abflussstörung.<br />
se Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Die Sp<strong>in</strong>a bifida entsteht <strong>in</strong>folge e<strong>in</strong>er embryonalen Verschlussstörung<br />
des Neuralrohrs <strong>in</strong> <strong>der</strong> dritten bis vierten<br />
Schwangerschaftswoche. Wodurch diese Störung hervorgerufen<br />
wird, ist noch nicht geklärt. Es werden sowohl erbliche<br />
Faktoren als auch Umweltfaktoren (z. B. Folsäuremangel)<br />
<strong>in</strong> Betracht gezogen.<br />
Heutzutage kann e<strong>in</strong>e Sp<strong>in</strong>a bifida bereits pränatal mit<br />
Ultraschalluntersuchungen erkannt werden. Zudem lassen<br />
sich bestimmte Prote<strong>in</strong>e <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Fruchtwasseruntersuchung<br />
nachweisen.<br />
Die Auswirkungen <strong>der</strong> Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung s<strong>in</strong>d ohne teilweise<br />
komplizierte und lebensrettende neurochirurgische Operationen<br />
nicht heilbar. Unbehandelt s<strong>in</strong>d sie meist tödlich.<br />
E<strong>in</strong>e Sp<strong>in</strong>a bifida sollte <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> ersten Lebenstage<br />
operativ verschlossen werden, um die Infektionsgefahr zu<br />
verr<strong>in</strong>gern.<br />
Bei e<strong>in</strong>em Verschlusshydrocephalus kann e<strong>in</strong>e Shuntoperation<br />
erfor<strong>der</strong>lich se<strong>in</strong>, bei <strong>der</strong> das überschüssige Hirnwasser<br />
körper<strong>in</strong>tern z. B. <strong>in</strong> den Bauchraum abgeleitet<br />
und <strong>der</strong> Hirndruck somit normalisiert wird.<br />
Auch nach e<strong>in</strong>er Operation s<strong>in</strong>d <strong>Wir</strong>belsäulenschäden<br />
wie Kontrakturen und Fehlstellungen wahrsche<strong>in</strong>lich.<br />
Richtiges Laufen ist meist nur e<strong>in</strong>geschränkt bis gar<br />
nicht möglich. Nervenschädigungen mit e<strong>in</strong>hergehenden<br />
Lähmungen kommen vor und bed<strong>in</strong>gen häufig e<strong>in</strong>e<br />
Stuhl- und Ur<strong>in</strong><strong>in</strong>kont<strong>in</strong>enz. Die kognitiven Fähigkeiten<br />
können e<strong>in</strong>geschränkt se<strong>in</strong>. Teilweise benötigen schwerbis<br />
schwerstbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>te Patient<strong>in</strong>nen und Patienten e<strong>in</strong>e<br />
Vollzeitpflege.<br />
Behandlung<br />
Regelmäßige Kontrolluntersuchungen s<strong>in</strong>d notwendig,<br />
<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>in</strong> Phasen vermehrten Wachstums. Operationen<br />
<strong>in</strong> K<strong>in</strong>dheit und Jugend können erfor<strong>der</strong>lich se<strong>in</strong> und<br />
Krankenhausaufenthalte unterbrechen oft die Schulzeit.<br />
139
Sp<strong>in</strong>a bifida (offener Rücken)/Hydrocephalus<br />
Mehrfach beh<strong>in</strong><strong>der</strong>te, <strong>von</strong> Sp<strong>in</strong>a bifida betroffene K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
sollten durch e<strong>in</strong> <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres Team aus K<strong>in</strong><strong>der</strong>ärzt<strong>in</strong>nen<br />
und -ärzten und Fachpersonal aus den Bereichen<br />
Physiotherapie, Orthopädie, Urologie, Neurochirurgie,<br />
Ergotherapie u. a. betreut werden.<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft Sp<strong>in</strong>a Bifida und<br />
Hydrocephalus e. V. (ASBH)<br />
www.asbh.de<br />
Schulungsprogramme<br />
Blasen- und Darmkont<strong>in</strong>enz lassen sich durch bestimmte<br />
Maßnahmen (<strong>in</strong>termittieren<strong>der</strong> Selbstkatheterismus, anale<br />
Irrigation) steuern. Diese Methoden können und sollten<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> schon möglichst früh erlernen.<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Klassenfahrten und Ausflüge müssen genau geplant<br />
werden. E<strong>in</strong>e Betreuungsperson kann erfor<strong>der</strong>lich<br />
se<strong>in</strong>. Ggf. ist zudem auf barrierefreie (rollstuhlgerechte)<br />
Bed<strong>in</strong>gungen zu achten und Pflege zu organisieren<br />
(ambulanter Pflegedienst). Die Auswirkungen <strong>der</strong> Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung<br />
auf den Schulalltag s<strong>in</strong>d immer <strong>in</strong>dividuell.<br />
Lehrkräfte sollten daher immer mit dem betroffenen<br />
K<strong>in</strong>d o<strong>der</strong> Jugendlichen sowie den Eltern über den<br />
Unterstützungsbedarf und die <strong>in</strong>dividuelle Situation<br />
sprechen. Bauliche Anpassungen (Zugänglichkeit mit<br />
dem Rollstuhl), Pflegebedarf (Katheter) o<strong>der</strong> Teilleistungsschwächen<br />
bei Hydrocephalus (Schwierigkeiten<br />
bei Konzentration o<strong>der</strong> räumlicher Wahrnehmung)<br />
können Punkte se<strong>in</strong>, die zu beachten s<strong>in</strong>d.<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.asbh.de/fachbeitraege/sp<strong>in</strong>a-bifida<br />
· www.asbh.de/hydrocephalus<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
· ASBH-Ratgeber „Hydrocephalus bei Schülern –<br />
Hilfen bei Schwierigkeiten im Schulalltag“<br />
· „Die Inklusionsfibel“ des ASBH Hamburg e. V.<br />
· ASBH-Magaz<strong>in</strong> „AUF GEHT , S – Fit für Ausbildung und<br />
Beruf“<br />
zu beziehen bei <strong>der</strong> Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft Sp<strong>in</strong>a Bifida und<br />
Hydrocephalus e. V. (ASBH) unter:<br />
www.asbh.de/asbh-ratgeber<br />
140
Stottern<br />
In <strong>Deutschland</strong> s<strong>in</strong>d schätzungsweise e<strong>in</strong> Prozent aller Erwachsenen<br />
(ca. 800.000) und fünf bis 8,5 Prozent aller K<strong>in</strong><strong>der</strong> vom Stottern betroffen.<br />
Das Stottern tritt meist vor dem zwölften Lebensjahr auf. 90 Prozent beg<strong>in</strong>nen<br />
vor dem vierten Lebensjahr zu stottern.<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> stottern meist vorübergehend, und etwa 75 Prozent <strong>der</strong> betroffenen<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> verlieren das Stottern bis zur Pubertät wie<strong>der</strong> – entwe<strong>der</strong> aufgrund<br />
e<strong>in</strong>er Therapie o<strong>der</strong> spontan. Jungen stottern etwa doppelt so häufig wie<br />
Mädchen und verlieren dies seltener wie<strong>der</strong>.<br />
Im Erwachsenenalter legt sich das Stottern h<strong>in</strong>gegen nur <strong>in</strong> seltenen Fällen<br />
vollständig.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Stottern äußert sich durch unwillkürliche Unterbrechungen<br />
im Redefluss <strong>in</strong> Form <strong>von</strong> Wie<strong>der</strong>holungen, Dehnungen<br />
o<strong>der</strong> Blockaden. Diese können stark variieren. Man<br />
unterscheidet zwischen normalen Unflüssigkeiten und<br />
symptomatischen Unflüssigkeiten, wie sie beim Stottern<br />
auftreten (siehe untenstehende Tabelle).<br />
Handelt es sich um symptomatische Unflüssigkeiten, ist<br />
e<strong>in</strong>e frühzeitige Prävention und Beratung s<strong>in</strong>nvoll, um<br />
Problemen (wie z. B. Anstrengungsverhalten, Scham) sowie<br />
e<strong>in</strong>em dadurch eventuell noch verstärkten Stottern<br />
vorzubeugen.<br />
Normale Unflüssigkeiten<br />
Wie<strong>der</strong>holung ganzer Wörter,<br />
z. B.: Ich ich ich will den Ball haben.<br />
Wie<strong>der</strong>holung <strong>von</strong> Satzteilen,<br />
z. B.: Wo ist ... wo ist ... wo ist me<strong>in</strong> Auto?<br />
Gefüllte Pausen,<br />
z. B.: Ich, äh, geh raus.<br />
Ungefüllte Pausen,<br />
z. B.: Im Zoo war ... e<strong>in</strong> Tiger.<br />
Satzabbrüche und -korrekturen,<br />
z. B.: Und ich hab dann auch – und wir haben den<br />
Löwen gesehen.<br />
Floskeln, E<strong>in</strong>schübe,<br />
z. B.: Ich spiel gern mit – du weißt schon –<br />
mit <strong>der</strong> großen Lok.<br />
Funktionelle Dehnungen,<br />
z. B.: Sooooo groß war die Giraffe.<br />
Symptomatische Unflüssigkeiten = Stottern<br />
Kernsymptome<br />
Wie<strong>der</strong>holung <strong>von</strong> Lauten und Silben,<br />
z. B.: I-I-I-Igel, Ti-Ti-Ti-Tiger<br />
Wie<strong>der</strong>holung ganzer Wörter,<br />
(häufig angestrengt und unrhythmisch)<br />
Dehnung <strong>von</strong> Lauten,<br />
z. B.: Ffffffffenster<br />
Blockierung vor o<strong>der</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Wort,<br />
z. B.: --------Affe, Luft-------ballon<br />
Begleitsymptome<br />
Anspannung/Anstrengung beim Sprechen,<br />
z. B. Mitbewegungen <strong>von</strong> Arm und Kopf o<strong>der</strong><br />
Grimassieren<br />
Negative Gefühle dem Sprechen gegenüber,<br />
z. B. Angst, Scham, wenig Sprechfreude<br />
Vermeideverhalten,<br />
z. B. Vermeiden gefürchteter Wörter o<strong>der</strong> Situationen<br />
Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Sprechweise,<br />
z. B. Flüstern, S<strong>in</strong>gsang<br />
141
Stottern<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Stottern ist möglicherweise genetisch bed<strong>in</strong>gt, Indizien<br />
dafür könnten se<strong>in</strong>:<br />
· Stottern tritt häufig familiär auf.<br />
· Jungen stottern häufiger als Mädchen.<br />
· Bei e<strong>in</strong>eiigen Zwill<strong>in</strong>gen (identisches Erbgut) stottern<br />
häufiger beide Zwill<strong>in</strong>ge als bei zweieiigen Zwill<strong>in</strong>gen<br />
(unterschiedliches Erbgut).<br />
Stottern ist e<strong>in</strong>e körperlich bed<strong>in</strong>gte Sprechbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung<br />
und ke<strong>in</strong>e psychische Störung. Zwar s<strong>in</strong>d Faktoren<br />
bekannt, die das Stottern bee<strong>in</strong>flussen und aufrechterhalten<br />
können – die Ursache(n) für das Stottern s<strong>in</strong>d<br />
jedoch nicht e<strong>in</strong>deutig. Stottern tritt unabhängig <strong>von</strong> sozialen<br />
Faktoren, kultureller Herkunft, vom Bildungsgrad<br />
und vom Umgang <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Familie auf. Es ist nicht<br />
vorhersehbar, welche K<strong>in</strong><strong>der</strong> stottern werden und ob sich<br />
das Stottern wie<strong>der</strong> verliert o<strong>der</strong> bestehen bleibt.<br />
Je früher mit e<strong>in</strong>er Therapie begonnen wird, desto größer<br />
ist die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, das Stottern zu verlieren.<br />
Je länger Betroffene bereits stottern, desto ger<strong>in</strong>ger ist<br />
die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, das Stottern zu verlieren. In seltenen<br />
Fällen kann Stottern auch erst im Erwachsenenalter<br />
als Folge neurologischer Schädigungen o<strong>der</strong> psychischer<br />
Traumata auftreten. Bei Erwachsenen bleibt das Stottern<br />
meist bestehen.<br />
Behandlung<br />
E<strong>in</strong>e qualifizierte Stottertherapie kann das flüssige Sprechen<br />
verbessern, sodass die Betroffenen das Stottern<br />
unter Kontrolle halten können. Nicht jedes stotternde<br />
K<strong>in</strong>d benötigt e<strong>in</strong>e Therapie. Unabhängig vom Alter des<br />
K<strong>in</strong>des o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Dauer des Stotterns kann jedoch e<strong>in</strong>e<br />
Behandlung <strong>in</strong>diziert se<strong>in</strong>, wenn e<strong>in</strong>ige <strong>der</strong> folgenden Aspekte<br />
vorliegen:<br />
· Das K<strong>in</strong>d strengt sich beim Stottern bzw. beim<br />
Sprechen an, zeigt z. B. Mitbewegungen, harte,<br />
lange Blockierungen, Atemauffälligkeiten o. Ä.<br />
· Es verspürt Leidensdruck, vermeidet Sprechsituationen<br />
o<strong>der</strong> zeigt Angst und Scham beim Sprechen.<br />
· Es ist durch das Stottern <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Partizipation<br />
am Alltag bee<strong>in</strong>trächtigt, z. B. durch e<strong>in</strong>geschränkte<br />
soziale Kontakte.<br />
· Die Eltern s<strong>in</strong>d besorgt o<strong>der</strong> verunsichert im Umgang<br />
mit dem stotternden K<strong>in</strong>d.<br />
· E<strong>in</strong>en k<strong>in</strong>dgerechten Umgang mit dem Stottern erarbeiten,<br />
um Tabuisierung und Vermeidung abzubauen<br />
o<strong>der</strong> ihnen vorzubeugen<br />
Schulungsprogramme<br />
Sem<strong>in</strong>are für Betroffene und Eltern <strong>der</strong> Bundesvere<strong>in</strong>igung<br />
Stottern & <strong>Selbsthilfe</strong> e. V. (BVSS):<br />
www.bvss.de/sem<strong>in</strong>are<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
In e<strong>in</strong>er ruhigen Situation und unter vier Augen kann<br />
die Lehrperson das K<strong>in</strong>d auf se<strong>in</strong> Handicap ansprechen.<br />
Wichtig ist, das Stottern nicht zu tabuisieren,<br />
son<strong>der</strong>n zum Thema zu machen. Es bietet sich an,<br />
im Gespräch geme<strong>in</strong>sam Wege zu f<strong>in</strong>den, die es dem<br />
K<strong>in</strong>d erleichtern, im Unterricht angstfrei zu sprechen.<br />
Die Absprachen mit den Betroffenen sollten schriftlich<br />
dokumentiert und <strong>von</strong> Zeit zu Zeit erneut besprochen<br />
werden, da sich die s<strong>in</strong>nvollen Maßnahmen im<br />
Nachteilsausgleich z. B. im Verlauf e<strong>in</strong>er Therapie verän<strong>der</strong>n<br />
können und dann angepasst werden müssen.<br />
Auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Klasse sollte man offen über Stottern<br />
sprechen – mit E<strong>in</strong>verständnis <strong>der</strong> betroffenen Person.<br />
Diese Maßnahme reduziert Druck, Scham, Pe<strong>in</strong>lichkeit<br />
und trägt zur Entlastung bei, hilft aber ebenso<br />
den Mitschüler<strong>in</strong>nen und Mitschülern, da es ihnen<br />
leichter fällt, mit dem Stottern umzugehen, wenn sie<br />
darüber <strong>in</strong>formiert s<strong>in</strong>d.<br />
Stotternde K<strong>in</strong><strong>der</strong> o<strong>der</strong> Jugendliche haben Anspruch<br />
auf die Gewährung e<strong>in</strong>es Nachteilsausgleichs. Stottern<br />
ist als Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung anerkannt. Das Zulassen<br />
o<strong>der</strong> Bereitstellen <strong>von</strong> Kommunikationshilfen (z. B.<br />
Laptop mit Beamer), die Gewährung e<strong>in</strong>er Zeitzugabe<br />
und das Ersetzen <strong>von</strong> mündlichen Aufgaben<br />
durch schriftliche können e<strong>in</strong> Nachteilsausgleich se<strong>in</strong><br />
(siehe auch Beschluss <strong>der</strong> Kultusm<strong>in</strong>isterkonferenz<br />
vom 26.06.1998).<br />
Lehrkräfte sollten Betroffene so weit wie möglich<br />
am mündlichen Unterricht teilhaben lassen, sie dabei<br />
aber nicht, z. B. durch spontanes Aufrufen, unter<br />
Druck setzen.<br />
Realistische Ziele und Inhalte <strong>der</strong> Stottertherapie bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n:<br />
· Ausführliche Elternberatung<br />
· Begleitsymptomatik, z. B. Anstrengungsverhalten,<br />
abbauen<br />
· Sprech- bzw. Modifikationstechniken erlernen<br />
· Sprechfreude erhalten o<strong>der</strong> wie<strong>der</strong>herstellen<br />
142
Materialien für Lehrkräfte<br />
Material für Lehrkräfte <strong>der</strong> Bundesvere<strong>in</strong>igung Stottern &<br />
<strong>Selbsthilfe</strong> e. V. (BVSS):<br />
· Broschüre „Was Sie schon immer über Stottern wissen<br />
wollten“<br />
· Broschüre „Me<strong>in</strong>e Rechte als stottern<strong>der</strong> Schüler“<br />
· Ratgeber: „Stottern <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>“, Georg Thum,<br />
Demosthenes-Verlag, Köln<br />
Hilfreiche Informationen zum Nachteilsausgleich sowie<br />
generell über Stottern und den Umgang mit Sprechbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen<br />
im Unterricht f<strong>in</strong>den Lehrkräfte zudem unter<br />
www.bvss.de/lehrkraefte.<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.bvss.de/fakten (Fakten und Antworten auf<br />
häufige Fragen rund um das Stottern)<br />
· www.bvss.de/schule (Informationen zum Umgang mit<br />
Stottern <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>)<br />
· www.bvss.de/nachteilsausgleich (Informationen zum<br />
Nachteilsausgleich bei Stottern)<br />
· www.flow-sprechgruppe.de (Gruppen speziell für<br />
junge Stotternde ab ca. 16 Jahren)<br />
· www.stotterer-selbsthilfegruppen.de (Übersicht aller<br />
Stotterer-<strong>Selbsthilfe</strong>gruppen)<br />
· www.eltern.bvss.de (Bundesweites Netzwerk für Eltern<br />
mit e<strong>in</strong>em stotternden K<strong>in</strong>d)<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Bundesvere<strong>in</strong>igung Stottern & <strong>Selbsthilfe</strong> e. V. (BVSS)<br />
www.bvss.de<br />
Die Bundesvere<strong>in</strong>igung Stottern & <strong>Selbsthilfe</strong> e. V. (BVSS)<br />
bietet stotternden Jugendlichen, Erwachsenen, Eltern,<br />
Angehörigen und an<strong>der</strong>en mittelbar Betroffenen wie<br />
Lehrkräften sowie Erzieher<strong>in</strong>nen und Erziehern umfassende<br />
Informationen über Stottern sowie bei Bedarf e<strong>in</strong>e<br />
Fachberatung zu Methoden, Ansätzen und Möglichkeiten<br />
<strong>der</strong> Stottertherapie. Die BVSS führt e<strong>in</strong> Verzeichnis<br />
<strong>der</strong> Stottertherapie und vermittelt die Adressen nach <strong>der</strong><br />
Fachberatung bei Bedarf an Betroffene bzw. Eltern stottern<strong>der</strong><br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>.<br />
Wurzel und Basis <strong>der</strong> BVSS ist die Stotterer-<strong>Selbsthilfe</strong> mit<br />
rund 90 Gruppen bundesweit. Für junge Stotternde <strong>von</strong><br />
16 bis 29 Jahren, die sich speziell mit Gleichaltrigen austauschen<br />
möchten, gibt es an mehreren Standorten die<br />
Treffen <strong>von</strong> „Flow – Die junge Sprechgruppe <strong>der</strong> BVSS“.<br />
Darüber h<strong>in</strong>aus hat die BVSS für Eltern stottern<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
e<strong>in</strong> überregionales Netzwerk e<strong>in</strong>gerichtet, um Mütter<br />
und Väter mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>in</strong> Kontakt zu br<strong>in</strong>gen und ihnen<br />
den Erfahrungsaustausch zu erleichtern.<br />
143
T<strong>in</strong>nitus<br />
(T<strong>in</strong>nitus aurium; lat. „das Kl<strong>in</strong>geln <strong>der</strong> Ohren“)<br />
T<strong>in</strong>nitus ist <strong>der</strong> mediz<strong>in</strong>ische Fachausdruck für Ohrgeräusche o<strong>der</strong><br />
Ohrensausen. Je<strong>der</strong> Vierte hat diese Geräusche ohne äußere akustische<br />
Reizung schon e<strong>in</strong>mal erlebt. Der T<strong>in</strong>nitus wird dabei oft als Pfeifen,<br />
Rauschen, Zischen o<strong>der</strong> Summen wahrgenommen.<br />
In <strong>Deutschland</strong> betrifft dieses Phänomen ca. zehn Millionen Menschen<br />
pro Jahr, wenn man auch die nur vorübergehenden T<strong>in</strong>nitusformen z. B.<br />
nach Knall und lauten Diskoveranstaltungen mit e<strong>in</strong>rechnet.<br />
Bei drei Millionen liegt <strong>der</strong> sog. chronische T<strong>in</strong>nitus vor, <strong>der</strong> allerd<strong>in</strong>gs nicht<br />
immer als übermäßig störend empfunden wird. Bei knapp e<strong>in</strong>er Million<br />
<strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> lebenden Menschen führt <strong>der</strong> T<strong>in</strong>nitus h<strong>in</strong>gegen zu e<strong>in</strong>er<br />
erheblichen E<strong>in</strong>schränkung ihrer Lebensqualität.<br />
E<strong>in</strong> T<strong>in</strong>nitus ist zwar nicht gefährlich, dennoch ist <strong>der</strong> Leidensdruck <strong>der</strong><br />
Betroffenen häufig sehr groß.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Aufgrund kl<strong>in</strong>ischer Erfahrungswerte werden zwei Formen<br />
des T<strong>in</strong>nitus unterschieden:<br />
akuter T<strong>in</strong>nitus: Beschwerden dauern nicht länger<br />
als drei Monate und treten häufig<br />
im Zusammenhang mit e<strong>in</strong>er Ohrerkrankung<br />
auf.<br />
chronischer T<strong>in</strong>nitus: Beschwerden dauern länger als<br />
drei Monate.<br />
Akute Ohrgeräusche zeigen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel häufiger e<strong>in</strong>e<br />
Spontanheilung o<strong>der</strong> Besserung als e<strong>in</strong> chronisch verlaufen<strong>der</strong><br />
T<strong>in</strong>nitus.<br />
Je nach Schwere <strong>der</strong> Belastung wird <strong>der</strong> T<strong>in</strong>nitus <strong>in</strong> vier<br />
Grade e<strong>in</strong>geteilt:<br />
Grad I und II:<br />
Grad III und IV:<br />
bezeichnen e<strong>in</strong>en kompensierten<br />
T<strong>in</strong>nitus, <strong>der</strong> gar nicht o<strong>der</strong> nur<br />
gelegentlich stört.<br />
bezeichnen e<strong>in</strong>en dekompensierten<br />
T<strong>in</strong>nitus, <strong>der</strong> mit e<strong>in</strong>em erheblichen<br />
Leidensdruck und vor allem<br />
psychischen Begleiterkrankungen<br />
e<strong>in</strong>hergeht.<br />
Zudem wird zwischen e<strong>in</strong>em subjektiven und e<strong>in</strong>em objektiven<br />
T<strong>in</strong>nitus unterschieden.<br />
Während e<strong>in</strong> subjektiver T<strong>in</strong>nitus nur <strong>von</strong> den Betroffenen<br />
wahrgenommen wird, entsteht e<strong>in</strong> objektiver T<strong>in</strong>nitus<br />
durch e<strong>in</strong>e körpereigene, nahe dem Innenohr gelegene<br />
Schallquelle wie z. B. das pulsierende Strömungsgeräusch<br />
e<strong>in</strong>er hochgradig verengten Halsschlaga<strong>der</strong>. E<strong>in</strong> objektiver<br />
T<strong>in</strong>nitus kann mit speziellen Geräten auch <strong>von</strong> Nichtbetroffenen<br />
(z. B. <strong>von</strong> <strong>der</strong> Ärzt<strong>in</strong>/dem Arzt) gehört werden.<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Da <strong>der</strong> T<strong>in</strong>nitus oft als Symptom, vergleichbar dem<br />
Schmerz, bezeichnet wird, gilt er nicht als Erkrankung im<br />
eigentlichen S<strong>in</strong>ne. E<strong>in</strong> T<strong>in</strong>nitus ist immer auch e<strong>in</strong> Warnsignal<br />
für e<strong>in</strong>e physische und/o<strong>der</strong> psychische Überbelastung.<br />
Daher konzentrieren sich Behandlungen i. d. R.<br />
nicht auf das Symptom T<strong>in</strong>nitus, son<strong>der</strong>n auf dessen Ursachen.<br />
Die Bandbreite <strong>der</strong> möglichen Ursachen ist jedoch sehr<br />
groß:<br />
· Lärm und Knalltrauma und dadurch verursachte Innenohrschädigungen<br />
· heftige Mittelohrentzündungen<br />
· Hörsturz<br />
· Schwerhörigkeit<br />
· Morbus Menière mit anfallartigen Hörverlusten,<br />
T<strong>in</strong>nitus und heftigen Drehschw<strong>in</strong>delanfällen<br />
· Trommelfellverletzungen<br />
· Blockierungen und Verspannungen <strong>der</strong> Halswirbelsäule<br />
144
· Verspannungen <strong>der</strong> Kiefer-Kaumuskulatur, Zähneknirschen<br />
· Akustikusneur<strong>in</strong>om (gutartiger Tumor des Gleichgewichtsnervs)<br />
· toxische Schädigung des Innenohrs durch bestimmte<br />
Medikamente<br />
Für die T<strong>in</strong>nitusdiagnostik s<strong>in</strong>d häufig verschiedene<br />
Verfahren erfor<strong>der</strong>lich. Meist wird zunächst e<strong>in</strong> Hörtest<br />
durchgeführt, um zu ermitteln, ob bzw. <strong>in</strong> welchen<br />
Bereichen die Betroffenen e<strong>in</strong>e Gehörschwäche aufweisen.<br />
Des Weiteren kann die Diagnostik u. a. Röntgenuntersuchungen<br />
(z. B. <strong>der</strong> Halswirbelsäule), Kernsp<strong>in</strong>tomografien,<br />
Ultraschalluntersuchungen und Laboruntersuchungen<br />
e<strong>in</strong>schließen. Nach Abklärung <strong>der</strong> Ursachen<br />
können diese behandelt werden. Optimale Behandlungsverläufe<br />
können zu e<strong>in</strong>em Nachlassen bis h<strong>in</strong> zum<br />
Verschw<strong>in</strong>den des T<strong>in</strong>nitus führen.<br />
E<strong>in</strong> akuter T<strong>in</strong>nitus heilt <strong>in</strong> 60 bis 80 Prozent <strong>der</strong> Fälle<br />
spontan. In <strong>Deutschland</strong> chronifiziert <strong>der</strong> T<strong>in</strong>nitus jährlich<br />
bei etwa 250.000 Personen.<br />
Behandlung<br />
Die Behandlung <strong>der</strong> T<strong>in</strong>nitusursache sollte möglichst <strong>in</strong><br />
den ersten Tagen nach dem ersten Auftreten begonnen<br />
werden. Bei den meisten T<strong>in</strong>nitusursachen ist die Gabe<br />
<strong>von</strong> Kortison die Therapie <strong>der</strong> Wahl. Bei <strong>der</strong> chronischen<br />
Form ist die mehr psychologisch ausgerichtete Therapie<br />
<strong>in</strong> Form <strong>der</strong> T<strong>in</strong>nitusbewältigungstherapie die bestuntersuchte<br />
Methode. Dabei sollen die Betroffenen lernen,<br />
ihren T<strong>in</strong>nitus durch Aufmerksamkeitslenkung und<br />
Entängstigung nicht mehr wahrzunehmen. Gel<strong>in</strong>gt dies,<br />
können Schlafstörungen, Angstzustände, Kopf- und<br />
Magenschmerzen und Depressionen zurückgehen bzw.<br />
kann e<strong>in</strong>e Verschlechterung vermieden werden. Dem<br />
T<strong>in</strong>nitus sollte – eventuell unterstützt durch Rauschgeneratoren<br />
o<strong>der</strong> Hörgeräte – so wenig Aufmerksamkeit wie<br />
möglich zukommen. Es können auch Naturgeräusche, e<strong>in</strong><br />
ticken<strong>der</strong> Wecker o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Zimmerspr<strong>in</strong>gbrunnen bei <strong>der</strong><br />
Ablenkung hilfreich se<strong>in</strong>. In vielen Fällen ist für den Therapieerfolg<br />
e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive ärztliche Beratung und Betreuung<br />
unerlässlich.<br />
Weitere Therapiemöglichkeiten können se<strong>in</strong>:<br />
· Körpertherapien (z. B. Atemtherapie, Hydrotherapie,<br />
Biofeedback)<br />
· Entspannungstechniken (z. B. Yoga, Autogenes<br />
Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g, progressive Muskelrelaxation)<br />
Auch dienen spezielle Hörsysteme dazu, die Wahrnehmung<br />
des T<strong>in</strong>nitus zu unterdrücken. Diese Systeme ähneln<br />
e<strong>in</strong>em gewöhnlichen Hörgerät. Sie produzieren e<strong>in</strong><br />
kont<strong>in</strong>uierliches Rauschen, das <strong>von</strong> den Ohrgeräuschen<br />
ablenkt und diese überdeckt.<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Auch K<strong>in</strong><strong>der</strong> können <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em T<strong>in</strong>nitus betroffen<br />
se<strong>in</strong>. „Im Rahmen e<strong>in</strong>er Studie gaben 15,1 Prozent<br />
<strong>der</strong> Schulk<strong>in</strong><strong>der</strong> Ohrgeräusche an. In e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en<br />
Studie zum Thema ‚T<strong>in</strong>nitus bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n‘ waren es<br />
37 Prozent. Weitere Untersuchungen benennen<br />
Häufigkeiten <strong>von</strong> 34 und 29 Prozent für T<strong>in</strong>nitus<br />
bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n“ (t<strong>in</strong>nitus.thieme.de/t<strong>in</strong>nitus/t<strong>in</strong>nitus-beik<strong>in</strong><strong>der</strong>n.html).<br />
Häufig ist e<strong>in</strong>e Mittelohrentzündung <strong>der</strong> Auslöser für<br />
e<strong>in</strong>en T<strong>in</strong>nitus. Im Gegensatz zu Erwachsenen s<strong>in</strong>d<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> oftmals fähig, sich an e<strong>in</strong> Ohrgeräusch zu gewöhnen<br />
und dieses nicht als Belastung zu empf<strong>in</strong>den.<br />
Dennoch sollten Lehrkräfte aufmerksam h<strong>in</strong>sichtlich<br />
Klagen ihrer Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler über Ohrgeräusche<br />
se<strong>in</strong>. Es sollten die Eltern <strong>in</strong>formiert und<br />
e<strong>in</strong>e/e<strong>in</strong> HNO-Ärzt<strong>in</strong>/-Arzt sollte kontaktiert werden,<br />
um die Ursache für den T<strong>in</strong>nitus zu diagnostizieren.<br />
Wichtig ist es, die K<strong>in</strong><strong>der</strong> ohne Dramatisierung aufzuklären,<br />
was T<strong>in</strong>nitus ist und dass er je nach Ursache<br />
auch wie<strong>der</strong> nachlassen o<strong>der</strong> verschw<strong>in</strong>den kann.<br />
Es ist eher schädigend, die K<strong>in</strong><strong>der</strong> überprotektiv zu<br />
behandeln. Wenn HNO-Diagnostik und Therapie abgeschlossen<br />
s<strong>in</strong>d, können sie sich wie<strong>der</strong> normal im<br />
Schulalltag (und <strong>in</strong> Pausensituationen) bewegen und<br />
am Sportunterricht teilnehmen. E<strong>in</strong>e Son<strong>der</strong>behandlung<br />
führt eher zur Aufmerksamkeitssteigerung und<br />
zur Entwicklung e<strong>in</strong>er psychisch bed<strong>in</strong>gten Geräuschüberempf<strong>in</strong>dlichkeit.<br />
Gerade <strong>in</strong> Klassen mit <strong>von</strong> T<strong>in</strong>nitus<br />
Betroffenen ist es wichtig, den Geräuschpegel<br />
niedrig zu halten.<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Deutsche T<strong>in</strong>nitus-Liga e. V. (DTL)<br />
www.t<strong>in</strong>nitus-liga.de<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.t<strong>in</strong>nitus-liga.de/pages/t<strong>in</strong>nitus-sonstigehoerbee<strong>in</strong>traechtigungen/t<strong>in</strong>nitus.php<br />
· www.apotheken-umschau.de/T<strong>in</strong>nitus<br />
145
Tourette-Syndrom<br />
Das Tourette-Syndrom kommt weltweit bei ca. 1,5 Prozent <strong>der</strong> Bevölkerung<br />
vor.<br />
Def<strong>in</strong>iert ist das Tourette-Syndrom als multiple motorische Störung,<br />
die mit m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>em vokalen Tic e<strong>in</strong>hergeht – das heißt, nicht jede<br />
Tic-Störung ist auch gleich e<strong>in</strong> Tourette-Syndrom.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Charakteristisch für das Tourette-Syndrom ist das Auftreten<br />
e<strong>in</strong>er Vielzahl <strong>von</strong> motorischen, vokalen und sensitiven<br />
Tics. Tics s<strong>in</strong>d unwillkürliche, meist rasch ablaufende<br />
Mimiken, Gesten o<strong>der</strong> Bewegungen, wie z. B. Augenbl<strong>in</strong>zeln,<br />
Grimassieren, Rotieren um die eigene Achse, Räuspern,<br />
Hüpfen, ungewolltes Aussprechen <strong>von</strong> Wörtern<br />
und Lauten. Die Tics setzen plötzlich e<strong>in</strong> und dienen ke<strong>in</strong>em<br />
erkennbaren Zweck.<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Das Tourette-Syndrom ist e<strong>in</strong>e neurologisch-psychiatrische<br />
Erkrankung, <strong>der</strong>en Ursachen <strong>in</strong> den Regelkreisen des<br />
Gehirns zu suchen s<strong>in</strong>d.<br />
E<strong>in</strong>e Diagnose erfolgt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel aufgrund <strong>der</strong> beobachteten<br />
Symptomatik und des bisherigen Krankheitsverlaufs.<br />
Es gibt <strong>der</strong>zeit ke<strong>in</strong>e psychologischen o<strong>der</strong> neurologischen<br />
Verfahren, die e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutige Feststellung e<strong>in</strong>er<br />
Erkrankung ermöglichen. Mithilfe <strong>von</strong> Fragebögen und<br />
Schätzskalen zur Beurteilung des Tic-Schweregrads sowie<br />
mittels mediz<strong>in</strong>ischer Untersuchungen (z. B. EEG) wird<br />
versucht, das Tourette-Syndrom <strong>von</strong> an<strong>der</strong>en Erkrankungen<br />
abzugrenzen. Dabei können auch Untersuchungen<br />
wie die Kernsp<strong>in</strong>tomografie hilfreich se<strong>in</strong>. Oft wird das<br />
Tourette-Syndrom <strong>von</strong> Komorbiditäten begleitet: ADHS,<br />
Zwangsstörungen, Depressionen, Angststörungen und<br />
autoaggressive Handlungen.<br />
Typischerweise zeigt das Tourette-Syndrom e<strong>in</strong>en altersabhängigen<br />
Verlauf mit e<strong>in</strong>em Maximum zwischen dem<br />
10. und 12. Lebensjahr. Nach <strong>der</strong> Pubertät tritt dagegen<br />
häufig spontan e<strong>in</strong>e Verbesserung <strong>der</strong> Krankheitssituation<br />
e<strong>in</strong>. Bei e<strong>in</strong>er Mehrzahl <strong>der</strong> Betroffenen kommt<br />
es im Erwachsenenalter zu e<strong>in</strong>er deutlichen Verm<strong>in</strong><strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> Tic-Ausprägung, und sie lernen zudem, die Tics besser<br />
zu beherrschen. Es ist daher schwierig zu beurteilen,<br />
wie häufig die Erkrankung im Erwachsenenalter vollständig<br />
zurückgeht. In <strong>der</strong> Regel müssen Patient<strong>in</strong>nen und<br />
Patienten mit e<strong>in</strong>em Tourette-Syndrom nicht mit e<strong>in</strong>er<br />
privaten und beruflichen E<strong>in</strong>schränkung rechnen. Dies ist<br />
nur bei beson<strong>der</strong>s schweren Formen <strong>der</strong> Erkrankung <strong>der</strong><br />
Fall. Die Lebenserwartung ist aufgrund des Tourette-Syndroms<br />
nicht verm<strong>in</strong><strong>der</strong>t.<br />
Behandlung<br />
E<strong>in</strong>e Therapie des Tourette-Syndroms sollte dann erfolgen,<br />
wenn die psychosoziale Bee<strong>in</strong>trächtigung des betroffenen<br />
K<strong>in</strong>des o<strong>der</strong> Erwachsenen durch die Krankheit<br />
als zu massiv erfahren wird. Dabei ist zu berücksichtigen,<br />
dass e<strong>in</strong>e Heilung nicht möglich ist.<br />
Nach heutigem Kenntnisstand können alle verfügbaren<br />
Therapien we<strong>der</strong> die Ursache noch die Prognose <strong>der</strong> Tic-<br />
Störung positiv bee<strong>in</strong>flussen. Es werden jeweils nur e<strong>in</strong>zelne<br />
Symptome <strong>der</strong> Tics o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Begleiterkrankungen<br />
(Komorbiditäten) verbessert. Es gibt e<strong>in</strong>e Vielzahl <strong>von</strong><br />
Medikamenten, die größtenteils jedoch nicht explizit für<br />
das Tourette-Syndrom zugelassen s<strong>in</strong>d. Bei e<strong>in</strong>igen Medikamenten<br />
kann es unter Umständen zu unterschiedlich<br />
stark empfundenen Nebenwirkungen kommen,<br />
beispielsweise Gewichtszunahme, Trägheit, Dysk<strong>in</strong>esien<br />
(unwillkürliche, abnorme Körperbewegungen aufgrund<br />
anhalten<strong>der</strong> o<strong>der</strong> aussetzen<strong>der</strong> Muskelkontraktionen).<br />
Als nichtmedikamentöse Therapien s<strong>in</strong>d verhaltenstherapeutische<br />
Behandlungsformen zu nennen.<br />
Schulungsprogramme<br />
Problem- und Stressbewältigungsstrategien mit dem Ziel,<br />
den Betroffenen das Leben mit ihrer Erkrankung zu erleichtern,<br />
s<strong>in</strong>d wesentliche Elemente <strong>von</strong> Schulungsprogrammen.<br />
Darüber h<strong>in</strong>aus kann e<strong>in</strong>e Erweiterung des<br />
Repertoires sozialer Kompetenzen und Kommunikationsstrategien<br />
dabei helfen, Probleme <strong>in</strong> sozialen Beziehungen<br />
(z. B. im schulischen Kontext) zu bewältigen.<br />
Angebote zu Schulungsprogrammen und <strong>in</strong>teressante<br />
Broschüren f<strong>in</strong>den sich im Internet auf den Plattformen<br />
<strong>der</strong> Tourette-<strong>Selbsthilfe</strong>verbände InteressenVerband Tic &<br />
Tourette Syndrom e. V. (IVTS) (www.iv-ts.de)<br />
und Tourette-Gesellschaft <strong>Deutschland</strong> e. V. (TGD)<br />
(www.tourette-gesellschaft.de).<br />
146
Im Jahr 2013 wurden vom IVTS <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit<br />
<strong>der</strong> TGD zwei <strong>in</strong>novative multimediale DVD-Sets herausgegeben.<br />
Diese Informations- und Fortbildungs-DVDs<br />
zu Tic-Störungen und dem Tourette-Syndrom enthalten<br />
Video-Interviews mit Mediz<strong>in</strong>ern, Fallbeispiele und Fach<strong>in</strong>formationen<br />
<strong>in</strong> Form <strong>von</strong> Textbeiträgen. Beteiligt s<strong>in</strong>d<br />
Fachleute aus Wissenschaft, Mediz<strong>in</strong>, Therapie sowie<br />
Betroffene und Angehörige. Die DVDs sollen die Diagnosedauer<br />
für Tic-Störungen und das Tourette-Syndrom<br />
verkürzen sowie Toleranz und Akzeptanz <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />
för<strong>der</strong>n. Auf den Informations-DVDs werden allgeme<strong>in</strong>verständliche<br />
Inhalte für Betroffene, Angehörige<br />
und <strong>der</strong>en Umfeld (bspw. Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer) zu den<br />
Themen Prävalenz, Symptome, Pathogenese, psychosoziale<br />
Folgen, Bildgebungsverfahren, Pharmakotherapie,<br />
chirurgische Verfahren, Neurofeedback, <strong>Selbsthilfe</strong>, Komorbiditäten,<br />
Verlauf <strong>der</strong> Erkrankung und Therapieformen<br />
dargestellt. Das zweite DVD-Set mit CME-Zertifizierung<br />
richtet sich an Mediz<strong>in</strong>er<strong>in</strong>nen und Mediz<strong>in</strong>er. Beide<br />
DVD-Sets s<strong>in</strong>d seit Mitte Oktober 2013 über den Buchhandel,<br />
Amazon.de o<strong>der</strong> den IVTS zu beziehen.<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
· Unter www.tourette.de/wasist/lehrer_leitfaden.shtml<br />
f<strong>in</strong>den sich e<strong>in</strong> hilfreicher Leitfaden zum Tourette-<br />
Syndrom für Lehrkräfte und unter<br />
www.iv-ts.de/shopsystem neben den Informations-<br />
DVDs und Broschüren auch e<strong>in</strong> Leitfaden zum Nachteilsausgleich<br />
und e<strong>in</strong> Arbeitsmittel speziell für Vorund<br />
Grundschulen („Lukas, was ist bloß <strong>in</strong> unserer<br />
Klasse los?“)<br />
· Der IVTS und die TGD bieten Informationsveranstaltungen<br />
speziell für Lehrkräfte an.<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisationen<br />
InteressenVerband Tic & Tourette Syndrom e. V. (IVTS)<br />
www.iv-ts.de<br />
IVTS<br />
Das Kompetenznetz<br />
Tourette-Gesellschaft<br />
<strong>Deutschland</strong> e. V. (TGD)<br />
www.tourette-gesellschaft.de<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
In <strong>der</strong> Regel besuchen K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit Tic-Störungen<br />
und Tourette-Syndrom allgeme<strong>in</strong>bildende <strong>Schule</strong>n.<br />
An erster Stelle steht die Kommunikation mit den<br />
Eltern. Geme<strong>in</strong>sam sollte besprochen werden, welche<br />
speziellen Symptome das K<strong>in</strong>d aufweist. Es ist<br />
möglich, dass e<strong>in</strong>zelne Symptome nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
und nicht zu Hause auftreten o<strong>der</strong> umgekehrt. Für<br />
den Schulalltag wäre es vorteilhaft, wenn die Mitschüler<strong>in</strong>nen<br />
und Mitschüler die Symptome als Funktionsstörung<br />
bei sonst guter Leistungsfähigkeit des<br />
erkrankten K<strong>in</strong>des akzeptieren könnten. So könnten<br />
Verständnis für notwendige Son<strong>der</strong>regelungen hergestellt<br />
sowie Ausgrenzungsverhalten und „kontraproduktives“<br />
Mitleid vermieden werden. Den Mitschüler<strong>in</strong>nen<br />
und Mitschülern sollte stets vergegenwärtigt<br />
werden, dass die Symptome weitgehend<br />
unwillkürlich s<strong>in</strong>d und das betroffene K<strong>in</strong>d sie nicht<br />
bee<strong>in</strong>flussen kann. Bei medikamentös e<strong>in</strong>gestellten<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>n sollten Lehrkräfte die Dosierung und mögliche<br />
Nebenwirkungen kennen. Diese Informationen können<br />
<strong>von</strong> den Eltern – o<strong>der</strong> mit ihrer E<strong>in</strong>willigung <strong>von</strong><br />
<strong>der</strong>/dem behandelnden Ärzt<strong>in</strong>/Arzt – bereitgestellt<br />
bzw. vermittelt werden.<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit Tourette-Syndrom haben e<strong>in</strong>en Anspruch<br />
auf Nachteilsausgleich. Wenn die Tics den Unterricht<br />
stören o<strong>der</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> bzw. dem Betroffenen als zu<br />
belastend erlebt werden, kann dem K<strong>in</strong>d erlaubt<br />
werden, den Klassenraum zum „Austiccen“ kurz zu<br />
verlassen.<br />
Vokale Tics können Mitschüler<strong>in</strong>nen und Mitschüler<br />
beson<strong>der</strong>s während Klassenarbeiten stören, das<br />
betroffene K<strong>in</strong>d könnte die Klassenarbeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
separaten Raum schreiben. Bei <strong>der</strong> Gewährung des<br />
Nachteilsausgleichs s<strong>in</strong>d <strong>der</strong> Kreativität <strong>der</strong> Pädagog<strong>in</strong>nen<br />
und Pädagogen ke<strong>in</strong>e Grenzen gesetzt –<br />
z. B. können vokale o<strong>der</strong> motorische Tics ggf. durch<br />
Kaugummikauen weniger <strong>in</strong>tensiv auftreten.<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.tourette-syndrom.de<br />
· www.tourette-forum.de<br />
· www.tourette.de<br />
· www.bildungsserver.de/Tourette-Syndrom-1295.html<br />
· www.k<strong>in</strong><strong>der</strong>aerzte-im-netz.de/krankheiten/tourettesyndrom-ticstoerung/was-ist-e<strong>in</strong>-tourette-syndromticstoerung<br />
· www.psychosoziale-gesundheit.net/seele/tourette.html<br />
147
Turner-Syndrom<br />
Das Turner-Syndrom (auch Ullrich-Turner-Syndrom) hat se<strong>in</strong>en Namen<br />
den beiden Ärzten Otto Ullrich (deutscher K<strong>in</strong><strong>der</strong>arzt) und Henry Turner<br />
(amerikanischer Hormonspezialist) zu verdanken. Beide haben unabhängig<br />
<strong>von</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> das Syndrom beschrieben. Ullrich im Jahr 1928 und Turner<br />
dann im Jahr 1938.<br />
Das Turner-Syndrom entsteht durch e<strong>in</strong>e als Monosomie X bezeichnete,<br />
nicht vererbbare Verän<strong>der</strong>ung im Erbgut, <strong>von</strong> <strong>der</strong> nur Mädchen bzw.<br />
Frauen betroffen s<strong>in</strong>d. Etwa e<strong>in</strong>es <strong>von</strong> 2.500 neugeborenen Mädchen ist<br />
vom Turner-Syndrom betroffen. In <strong>Deutschland</strong> leben schätzungsweise<br />
16.000 Betroffene.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Beim Turner-Syndrom gelten die folgenden kl<strong>in</strong>ischen<br />
Symptome als charakteristisch:<br />
· Leitsymptom: verm<strong>in</strong><strong>der</strong>tes Körperwachstum<br />
· Leitsymptom: fehlgebildete Ovarien (Eierstöcke)<br />
· Fehlbildung <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren Organe<br />
Herz: Aortenisthmusstenose, Aortenstenose, Klappenanomalien<br />
Niere: z. B. Hufeisenniere<br />
Schilddrüse: Schilddrüsenunterfunktion<br />
· Fehlbildungen im HNO-Bereich: Verformung <strong>der</strong><br />
Ohrmuscheln, Schallleitungsschwerhörigkeit,<br />
Gotischer Gaumen, kle<strong>in</strong>er Unterkiefer, Zahnfehlstellung,<br />
kurzer und breiter Hals<br />
· Fehlbildungen an den Augen: Lidspaltenschrägstellung,<br />
weiter Augenabstand, herabhängende<br />
Augenli<strong>der</strong>, Strabismus, Fehl- bzw. Kurzsichtigkeit<br />
· Fehlbildungen an <strong>der</strong> Haut: Lymphödeme<br />
(Schwellungen an Hand- und Fußrücken), Pterygium<br />
colli (Flügelfell), Pigmentnävi (auffällig viele o<strong>der</strong> große<br />
Leberflecken), tiefer Haaransatz, Nageldysplasie,<br />
weiter Abstand <strong>der</strong> Mamillen o<strong>der</strong> nach <strong>in</strong>nen gerichtete<br />
Mamillen<br />
· knöcherne Fehlbildungen: z. B. Cubitus valgus,<br />
Madelungsche Deformität, Skoliose, Schildthorax<br />
· Magen-Darm-Trakt: z. B. Morbus Crohn,<br />
Colitis ulcerosa<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Beim Turner-Syndrom ist <strong>in</strong> allen o<strong>der</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Teil <strong>der</strong> Zellen<br />
nur e<strong>in</strong> X-Chromosom anstelle des sonst vorhandenen<br />
Geschlechtschromosomenpaars vorhanden (daher die<br />
Bezeichnung Monosomie X). Die X-Chromosomen enthalten<br />
Erb<strong>in</strong>formation für die Entwicklung <strong>der</strong> Eierstöcke,<br />
für das Größenwachstum und für weitere körperliche<br />
Merkmale.<br />
Ursache für die Anomalie ist e<strong>in</strong>e Fehlverteilung <strong>der</strong> Chromosomen<br />
bei <strong>der</strong> Zellteilung.<br />
Als Leitsymptome s<strong>in</strong>d Kle<strong>in</strong>wuchs und Unfruchtbarkeit<br />
aufgrund e<strong>in</strong>er Unterentwicklung <strong>der</strong> Eierstöcke zu<br />
nennen. Beim Turner-Syndrom liegen die ersten diagnoserelevanten<br />
H<strong>in</strong>weise bereits vor <strong>der</strong> Geburt vor. E<strong>in</strong>e<br />
Diagnosestellung erfolgt pränatal anhand e<strong>in</strong>er Amniozentese<br />
(Fruchtwasseruntersuchung). Postnatal erfolgt<br />
die Diagnosestellung mittels Chromosomenanalyse,<br />
wenn kl<strong>in</strong>ische Zeichen vorliegen bzw. wenn das Turner-<br />
Syndrom vermutet wird.<br />
Die kl<strong>in</strong>ischen Zeichen (siehe Ersche<strong>in</strong>ungsformen) können<br />
sehr unterschiedlich se<strong>in</strong>, i. d. R. treten nicht alle Symptome<br />
gleichzeitig auf. Manchmal ist die Ausprägung<br />
auch so schwach, dass e<strong>in</strong>e Diagnose erst im späteren Alter<br />
gestellt wird, z. B. aufgrund des M<strong>in</strong><strong>der</strong>wuchses o<strong>der</strong><br />
des unerfüllten K<strong>in</strong><strong>der</strong>wunsches, bei e<strong>in</strong>er sonst unauffälligen<br />
Patient<strong>in</strong>.<br />
Betroffene s<strong>in</strong>d normal <strong>in</strong>telligent und können e<strong>in</strong> eigenständiges<br />
Leben führen. Allerd<strong>in</strong>gs besteht e<strong>in</strong> erhöhtes<br />
Risiko, an Diabetes zu erkranken.<br />
Behandlung<br />
E<strong>in</strong>e Therapie mit Wachstumshormonen kann den M<strong>in</strong><strong>der</strong>wuchs<br />
etwas ausgleichen und sollte möglichst früh<br />
begonnen werden (ca. ab dem vierten Lebensjahr). Unbehandelt<br />
erreichen die betroffenen Mädchen e<strong>in</strong>e durchschnittliche<br />
Körpergröße <strong>von</strong> nur 145 cm. Die Reaktion<br />
auf diese Therapie ist <strong>von</strong> Fall zu Fall unterschiedlich. Nicht<br />
immer erzielt die Behandlung den gewünschten Erfolg.<br />
Etwa ab dem zwölften Lebensjahr umfasst die Therapie<br />
zudem die Gabe <strong>von</strong> weiblichen Geschlechtshormonen,<br />
um die bei e<strong>in</strong>em Turner-Syndrom typischerweise ausblei-<br />
148
ende Pubertät e<strong>in</strong>zuleiten. Dies führt zur Entwicklung<br />
<strong>der</strong> Brust und zum E<strong>in</strong>setzen <strong>der</strong> Regelblutung. Zudem<br />
wirken sich die Hormone günstig auf die Entwicklung <strong>der</strong><br />
kle<strong>in</strong>en Schamlippen, <strong>der</strong> Scheide und <strong>der</strong> Gebärmutter<br />
aus. Die Unfruchtbarkeit bleibt allerd<strong>in</strong>gs aufgrund <strong>der</strong><br />
nicht ausreichend ausgebildeten Eierstöcke meist bestehen.<br />
Die Gabe <strong>von</strong> Geschlechtshormonen ist auch für die<br />
Knochenentwicklung notwendig, da es sonst zu Osteoporose<br />
kommen kann.<br />
Durch das Turner-Syndrom verursachte Herzfehler o<strong>der</strong><br />
Fehlbildungen <strong>der</strong> Nieren erfor<strong>der</strong>n ggf. operative E<strong>in</strong>griffe.<br />
Daher s<strong>in</strong>d regelmäßige kardiologische Untersuchungen<br />
notwendig. Zudem s<strong>in</strong>d regelmäßige endokr<strong>in</strong>ologische,<br />
HNO-ärztliche, gynäkologische und augenärztliche<br />
Kontrollen erfor<strong>der</strong>lich.<br />
Je nachdem, welche weiteren Symptome vorliegen, können<br />
zusätzliche Therapien notwendig se<strong>in</strong>. Bei Ödemen<br />
bspw. können Lymphdra<strong>in</strong>agen, das Tragen <strong>von</strong> Kompressionsstrümpfen<br />
und Schwimmen hilfreich se<strong>in</strong>.<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Lehrkräfte sollten über das Krankheitsbild <strong>in</strong>formiert<br />
se<strong>in</strong> und auf die Probleme <strong>der</strong> betroffenen Mädchen<br />
e<strong>in</strong>gehen. Es ist darauf zu achten, dass Stigmatisierungen<br />
vermieden werden und die Mädchen ke<strong>in</strong>e<br />
Außenseiterrolle e<strong>in</strong>nehmen.<br />
Es hat sich gezeigt, dass e<strong>in</strong> Referat im Unterricht<br />
zum Thema Turner-Syndrom helfen kann, Stigmatisierungen<br />
abzubauen bzw. vorzubeugen.<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
· Informationsbroschüren und e<strong>in</strong>en Flyer <strong>der</strong> Turner-<br />
Syndrom-Vere<strong>in</strong>igung <strong>Deutschland</strong> e. V. können<br />
Lehrkräfte über die Geschäftsstelle <strong>der</strong> Vere<strong>in</strong>igung<br />
anfor<strong>der</strong>n.<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Turner-Syndrom-Vere<strong>in</strong>igung <strong>Deutschland</strong> e. V.<br />
www.turner-syndrom.de<br />
Der Vere<strong>in</strong> ist bundesweit aktiv und glie<strong>der</strong>t sich <strong>in</strong> Regionalgruppen.<br />
Mehrmals jährlich werden verschiedene<br />
Veranstaltungen durchgeführt, sowohl auf Regionalebene<br />
als auch bundesweit. Zudem gibt es e<strong>in</strong> <strong>von</strong><br />
e<strong>in</strong>er Diplompsycholog<strong>in</strong> betreutes Informations- und<br />
Beratungstelefon. Der Vere<strong>in</strong> ist auf Kongressen und<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>veranstaltungen mit Informationsständen vertreten,<br />
um <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit auf das Turner-Syndrom<br />
aufmerksam zu machen.<br />
Quellenangaben:<br />
Häusler, G./Haverkamp, F.: Ullrich-Turner-Syndrom, Informationen für Eltern, Betroffene und Fachpersonal. no<strong>von</strong>ordisk, 2009. Ranke, M.: Ullrich-Turner-Syndrom, E<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führung. Pfizer, 2002.<br />
Schweizer, R.: Ullrich-Turner-Syndrom, Ratgeber für Patienten. Sandoz, 2010.<br />
149
Williams-Beuren-Syndrom<br />
Das Williams-Beuren-Syndrom (WBS) ist e<strong>in</strong>e genetisch bed<strong>in</strong>gte Entwicklungsstörung<br />
und gekennzeichnet u. a. durch e<strong>in</strong>e psychomotorische<br />
Retardierung.<br />
Betroffene weisen e<strong>in</strong> spezifisches Kognitions- und Verhaltensprofil<br />
sowie charakteristische Gesichtszüge auf, und <strong>in</strong> ca. drei Viertel <strong>der</strong> Fälle<br />
liegt zudem e<strong>in</strong> Herzfehler vor.<br />
Das Williams-Beuren-Syndrom tritt mit e<strong>in</strong>er Häufigkeit <strong>von</strong> 1:7.500 bis<br />
1:10.000 relativ selten auf.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Als Leitmerkmale können genannt werden:<br />
· Gefäßverengungen und -verän<strong>der</strong>ungen,<br />
<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>in</strong> Herznähe<br />
· charakteristische Gesichtszüge<br />
· Schielen<br />
· Kle<strong>in</strong>wuchs<br />
· leichte bis mittelschwere geistige Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung<br />
· Entwicklungsverzögerung (u. a. Laufen und Sprechen)<br />
· typisches Persönlichkeitsprofil (freundlich,<br />
kontaktfreudig)<br />
· Ess- und Tr<strong>in</strong>kschwierigkeiten<br />
· Geräuschempf<strong>in</strong>dlichkeit<br />
· beson<strong>der</strong>e Begabung (z. B. musikalisch, sprachgewandt,<br />
e<strong>in</strong>fühlsam, gutes Orts- und Personengedächtnis)<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsbild: Es fallen charakteristische Gesichtsfehlbildungen<br />
(„Kobold-“ bzw. „Elfengesicht“) auf. WBS-<br />
Betroffene weisen häufig e<strong>in</strong>e leichte Schädelfehlbildung<br />
<strong>in</strong> Komb<strong>in</strong>ation mit e<strong>in</strong>er Fehlbildung des Mittelgesichts<br />
(lange, vertikal verlaufende Vertiefung zwischen Oberlippe<br />
und Nase) auf. H<strong>in</strong>zu treten häufig kurze Lidspalte,<br />
breite Stirn, tiefe Nasenwurzel, nach vorne ausgerichtete<br />
Nasenlöcher. Der Oberkörper ist oft lang und schmal geformt,<br />
häufig <strong>in</strong> Komb<strong>in</strong>ation mit hängenden Schultern<br />
und verlängertem Nacken.<br />
Es können Herzfehler, Nierenfehlbildungen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />
Schäden an den <strong>in</strong>neren Organen auftreten.<br />
Mentale Fähigkeiten: WBS-Patiente<strong>in</strong>nen und -Patienten<br />
weisen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel e<strong>in</strong>e kognitive Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung im S<strong>in</strong>ne<br />
e<strong>in</strong>er verzögerten (retardierten) psychischen und physischen<br />
Entwicklung auf. Betroffene K<strong>in</strong><strong>der</strong> können <strong>in</strong><br />
Teilgebieten e<strong>in</strong>e überdurchschnittliche Intelligenz aufweisen.<br />
Sie zeigen z. B. e<strong>in</strong>en beson<strong>der</strong>en Umgang mit<br />
Sprache und fangen <strong>in</strong> sehr frühem Alter an zu lesen.<br />
E<strong>in</strong>ige K<strong>in</strong><strong>der</strong> verfügen zudem über e<strong>in</strong> absolutes Gehör.<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Seit 1993 ist bekannt, dass das WBS spontan durch den<br />
Verlust <strong>von</strong> genetischem Material bei <strong>der</strong> Bildung <strong>der</strong><br />
Keimzellen entsteht.<br />
Die Diagnose erfolgt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel mittels Chromosomenanalyse<br />
mithilfe des Schnelltests FISH (Fluoreszenz-<strong>in</strong>situ-Hybridisierung).<br />
Bereits wenige Tage nach e<strong>in</strong>er<br />
Zellentnahme können e<strong>in</strong>ige Chromosomenbeson<strong>der</strong>heiten<br />
mit recht hoher Sicherheit nachgewiesen werden.<br />
Die Betroffenen haben e<strong>in</strong>e weitgehend normale Lebenserwartung,<br />
s<strong>in</strong>d aber meist e<strong>in</strong> Leben lang auf Unterstützung<br />
angewiesen.<br />
Behandlung<br />
Die Behandlung e<strong>in</strong>es WBS kann <strong>der</strong>zeit nur symptomatisch<br />
ausgerichtet se<strong>in</strong>. Die mediz<strong>in</strong>ische Versorgung und<br />
Betreuung <strong>der</strong> Betroffenen erfolgt durch e<strong>in</strong> multidiszipl<strong>in</strong>äres<br />
Ärzteteam. Dazu gehören K<strong>in</strong><strong>der</strong>ärztInnen, ZahnärztInnen,<br />
KardiologInnen, Hals-Nasen-Ohren-ÄrztInnen<br />
und weitere SpezialistInnen, die sich den <strong>in</strong>dividuellen<br />
Symptomen widmen.<br />
Derzeit ist ke<strong>in</strong>e Therapie bekannt, die K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit WBS<br />
heilen könnte. Jedoch können die Symptome mittels<br />
Ergo-, Physio-, Logo- und Musiktherapie gel<strong>in</strong><strong>der</strong>t werden.<br />
Diese Maßnahmen f<strong>in</strong>den meist außerhalb des schulischen<br />
Kontexts bzw. bereits vor <strong>der</strong> E<strong>in</strong>schulung statt.<br />
Die Eltern sollten als „Experten“ für ihr K<strong>in</strong>d agieren und<br />
als „Co-Therapeuten“ angeleitet werden. Dadurch kann<br />
e<strong>in</strong>e kooperative För<strong>der</strong>planung, d. h. das Abstimmen <strong>der</strong><br />
För<strong>der</strong>ziele mit allen Beteiligten, entstehen.<br />
150
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Trotz syndromspezifischer Symptome besitzt jedes<br />
K<strong>in</strong>d mit WBS e<strong>in</strong> eigenes komplexes Entwicklungspotenzial.<br />
Es ist <strong>von</strong> großer Bedeutung, jedes K<strong>in</strong>d<br />
für sich zu betrachten, um <strong>in</strong>dividuelle Lernschwächen<br />
und -stärken, Vorlieben und Abneigungen zu<br />
erkennen. Das Wissen über charakteristische Eigenschaften<br />
beim WBS kann Eltern und Lehrkräften<br />
wichtige H<strong>in</strong>weise für adäquate Interventionsmaßnahmen<br />
liefern. So lässt sich z. B. die Musikalität e<strong>in</strong>es<br />
betroffenen K<strong>in</strong>des nutzen, <strong>in</strong>dem Übungen mit<br />
rhythmischem Klatschen begleitet werden.<br />
Manchmal werden vom WBS betroffene K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
aufgrund ihrer Sprachbegabung überschätzt. Sie<br />
s<strong>in</strong>d gute „Schauspieler“ und wie<strong>der</strong>holen Phrasen<br />
manchmal sehr überzeugend, ohne sich dabei ihrer<br />
Bedeutung ganz bewusst zu se<strong>in</strong> o<strong>der</strong> sie gezielt<br />
e<strong>in</strong>zusetzen. Die verschiedenen Symptome und beson<strong>der</strong>en<br />
geistigen Fähigkeiten <strong>von</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n mit WBS<br />
erfor<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e son<strong>der</strong>pädagogische För<strong>der</strong>ung. Studien<br />
verdeutlichen, dass bei fast allen Proband<strong>in</strong>nen<br />
und Probanden im Schulalter e<strong>in</strong> son<strong>der</strong>pädagogischer<br />
För<strong>der</strong>bedarf ermittelt wurde und bereits im<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>gartenalter e<strong>in</strong>e heilpädagogische Betreuung<br />
die Regel ist. Generell ist e<strong>in</strong>e Beschulung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
regulären <strong>Schule</strong> nicht ausgeschlossen, sofern dem<br />
betroffenen K<strong>in</strong>d dort die notwendige För<strong>der</strong>ung zukommt.<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
· „Das Williams-Beuren-Syndrom. E<strong>in</strong>e Orientierungshilfe<br />
für Pädagogen“:<br />
www.w-b-s.de/paedagogen<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Bundesverband Williams-Beuren-Syndrom e. V.<br />
(BV-WBS)<br />
www.w-b-s.de<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.w-b-s.de/syndrom<br />
· www.<strong>in</strong>takt.<strong>in</strong>fo/<strong>in</strong>formationen-und-recht/<br />
diagnose-beh<strong>in</strong><strong>der</strong>t/williams-beuren-syndrom<br />
151
Wiskott-Aldrich-Syndrom<br />
Das Wiskott-Aldrich-Syndrom (WAS) ist e<strong>in</strong>e vererbte (genetische)<br />
Immundefekterkrankung. Sie tritt <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> bei ungefähr e<strong>in</strong>er<br />
<strong>von</strong> 250.000 Personen auf und zählt zu den seltenen Erkrankungen.<br />
Es s<strong>in</strong>d fast ausschließlich Jungen betroffen.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Folgende Merkmale kennzeichnen das WAS:<br />
· Wie<strong>der</strong>kehrende Infektionen: Aufgrund <strong>der</strong> Störung<br />
des Abwehr- bzw. Immunsystems treten vermehrt<br />
Infektionen auf. Häufige Infektionen s<strong>in</strong>d Mittelohro<strong>der</strong><br />
Lungenentzündungen, bei schweren Verläufen<br />
können Blutvergiftungen o<strong>der</strong> Hirnhautentzündungen<br />
e<strong>in</strong>treten.<br />
· Blutungsneigung: E<strong>in</strong>e niedrige Zahl an Thrombozyten<br />
(Blutplättchen) und e<strong>in</strong>e gestörte Funktion verursachen<br />
Blutungsneigung. Es können Haute<strong>in</strong>blutungen<br />
entstehen, die blauen Flecken ähneln. Auch können<br />
schwere und lebensbedrohliche <strong>in</strong>nere Blutungen<br />
(z. B. Hirnblutungen) auftreten.<br />
· Ekzem: Aus ungeklärter Ursache kann am ganzen<br />
Körper e<strong>in</strong> Ekzem auftreten. Typischerweise ist die<br />
Haut trocken und juckend.<br />
· Autoimmunerkrankungen: Häufig treten bei Betroffenen<br />
auch Autoimmunerkrankungen auf, bei denen<br />
sich das Abwehrsystem gegen körpereigene Strukturen<br />
richtet. Beim WAS s<strong>in</strong>d Regulationsmechanismen<br />
gestört, die solche Reaktionen normalerweise verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n.<br />
Da<strong>von</strong> s<strong>in</strong>d zum Beispiel die Blutzellen betroffen<br />
– Anämie (Blutarmut) kann die Folge se<strong>in</strong>.<br />
· Betroffene weisen aufgrund ihrer Immunschwäche<br />
zudem e<strong>in</strong> erhöhtes Risiko für die Entstehung <strong>von</strong><br />
Lymphdrüsenkrebs auf.<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Ursache<br />
Das WAS ist e<strong>in</strong>e angeborene, X-chromosomal-rezessiv<br />
vererbbare (genetische) Immundefekterkrankung. Das<br />
heißt, dass <strong>der</strong> genetische Bauplan (Gen) im X-Chromosom<br />
für e<strong>in</strong> Eiweiß (Prote<strong>in</strong>) e<strong>in</strong>en Fehler aufweist und<br />
das Prote<strong>in</strong> gar nicht o<strong>der</strong> nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> richtigen Form gebildet<br />
werden kann. Das WAS wird durch e<strong>in</strong>en Fehler <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em Gen verursacht, das WASP-Gen genannt wird. Es<br />
liegt auf dem X-Chromosom – daher s<strong>in</strong>d fast ausschließlich<br />
Jungen betroffen, da sie nur über e<strong>in</strong> X-Chromosom<br />
verfügen. Frauen gleichen normalerweise mit ihrem zweiten<br />
gesunden X-Chromosom die Funktion des kranken<br />
X-Chromosoms aus, weshalb sie ke<strong>in</strong>e Symptome aufweisen.<br />
Allerd<strong>in</strong>gs können sie die Erkrankung vererben.<br />
50 Prozent ihrer Söhne erkranken dann unmittelbar; ihre<br />
Töchter erkranken zwar i. d. R. nicht, können aber zu<br />
50 Prozent Genträger se<strong>in</strong> und den genetischen Defekt<br />
dann weitervererben.<br />
Das WAS-Prote<strong>in</strong> ist wesentlich für die Funktion des <strong>in</strong>neren<br />
Zellgerüsts (Zytoskelett), das den Zellen ihre Form<br />
gibt. E<strong>in</strong> funktionierendes Zytoskelett ist wichtig für den<br />
Aufbau <strong>von</strong> Thrombozyten. Bei e<strong>in</strong>em WASP-Mangel s<strong>in</strong>d<br />
die entstehenden Thrombozyten <strong>in</strong> ihrer Zahl und Größe<br />
verm<strong>in</strong><strong>der</strong>t, sodass sie ihre Aufgabe bei <strong>der</strong> Blutstillung<br />
nicht ausreichend wahrnehmen können. Während die<br />
Bee<strong>in</strong>trächtigung <strong>der</strong> Funktion <strong>der</strong> B-Lymphozyten häufig<br />
bereits im ersten Lebensjahr deutlich zum Tragen kommt,<br />
nimmt die T-Zell-Funktion mit zunehmendem Alter –<br />
meist <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> ersten Lebensjahre – ab, was die Infektionsneigung<br />
sowie die Empfänglichkeit für Autoimmunerkrankungen<br />
und Tumoren deutlich verstärkt.<br />
Diagnose<br />
In <strong>der</strong> Regel wird e<strong>in</strong> WAS-Verdacht aufgrund des typischen<br />
kl<strong>in</strong>ischen Ersche<strong>in</strong>ungsbilds mit Ekzem, Hautblutungen<br />
und gehäuften Infektionen geäußert. Mithilfe<br />
weiterführen<strong>der</strong> Blutuntersuchungen kann dieser Verdacht<br />
erhärtet werden. E<strong>in</strong> wesentlicher Laborbefund<br />
s<strong>in</strong>d dabei die ger<strong>in</strong>ge Zahl <strong>der</strong> Blutplättchen sowie ihre<br />
verm<strong>in</strong><strong>der</strong>te Größe.<br />
Die endgültige Diagnose kann durch den Nachweis e<strong>in</strong>es<br />
Fehlers (Mutation) im WAS-Gen gesichert werden. E<strong>in</strong>e<br />
Diagnosestellung ist aus Plazentagewebe o<strong>der</strong> Nabelschnurblut<br />
bereits während <strong>der</strong> Schwangerschaft möglich.<br />
Entsprechende Untersuchungen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelfällen<br />
<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e dann angezeigt, wenn bereits e<strong>in</strong> Patient<br />
mit e<strong>in</strong>em Wiskott-Aldrich-Syndrom <strong>in</strong> <strong>der</strong> Familie bekannt<br />
ist.<br />
152
Prognose<br />
Vor <strong>der</strong> Verfügbarkeit <strong>der</strong> Knochenmarktransplantation<br />
(seit 1970) war das klassische WAS e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> schwersten<br />
primären Immundefektkrankheiten mit e<strong>in</strong>er durchschnittlichen<br />
Lebenserwartung <strong>von</strong> weniger als zehn Jahren.<br />
Das hat sich geän<strong>der</strong>t: <strong>Wir</strong>d e<strong>in</strong>e Knochenmarktransplantation<br />
erfolgreich durchgeführt, ist die Heilungschance<br />
des WAS heutzutage sehr hoch und dürfte bei 80 Prozent<br />
liegen. Ohne Transplantation liegt die Lebenserwartung<br />
aufgrund <strong>der</strong> heutigen Behandlungsmöglichkeiten <strong>in</strong>zwischen<br />
bei e<strong>in</strong>em durchschnittlichen Alter <strong>von</strong> 20 Jahren.<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
· „Warum b<strong>in</strong> ich so oft krank? – Ratgeber für Erzieher<strong>in</strong>nen<br />
und Erzieher“ <strong>der</strong> Deutschen <strong>Selbsthilfe</strong><br />
Angeborene Immundefekte e. V. (dsai):<br />
www.dsai.de/publikationen/ratgeber<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
dsai e. V. – Patientenorganisation für angeborene<br />
Immundefekte<br />
www.dsai.de<br />
Behandlung<br />
Ist die Diagnose WAS gesichert, gibt es zurzeit zwei<br />
mögliche Heilbehandlungen: entwe<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Knochenmarktransplantation<br />
<strong>von</strong> e<strong>in</strong>em verträglichen Spen<strong>der</strong><br />
aus <strong>der</strong> Familie bzw. e<strong>in</strong>em getesteten Fremdspen<strong>der</strong><br />
o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e im Labor vorgenommene „Genreparatur“ an<br />
e<strong>in</strong>er Stammzelle des Patienten (sog. Gentherapie).<br />
Die besten Ergebnisse werden erzielt, wenn die Transplantation<br />
frühzeitig, nach Möglichkeit noch vor dem fünften<br />
Lebensjahr, erfolgt. Immunglobul<strong>in</strong>e (= Antikörper und<br />
Antibiotika) werden bis zur erfolgreichen Heilbehandlung<br />
e<strong>in</strong>gesetzt.<br />
E<strong>in</strong>e operative Entfernung <strong>der</strong> Milz (Splenektomie) kann<br />
zwar die Thrombozytopenie positiv bee<strong>in</strong>flussen, muss<br />
aber <strong>in</strong> ihrem Nutzen gegen das dadurch erhöhte Infektionsrisiko<br />
sorgfältig abgewogen werden.<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Betroffene sollen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> mediz<strong>in</strong>isch<br />
ausgewiesenes Personal zur Unterstützung haben.<br />
Dies ist vornehmlich angesichts <strong>der</strong> Blutungsneigung<br />
angezeigt. Aufgrund des hohen Infektionsrisikos s<strong>in</strong>d<br />
häufige Fehlzeiten möglich. Dies sollten Lehrkräfte<br />
wissen und entsprechende Materialien für die Arbeit<br />
<strong>der</strong> Schüler zu Hause vorbereiten. E<strong>in</strong> regelmäßiger<br />
und <strong>in</strong>tensiver Austausch mit den Eltern, aber auch<br />
mit den betreuenden K<strong>in</strong><strong>der</strong>ärzt<strong>in</strong>nen und K<strong>in</strong><strong>der</strong>ärzten<br />
betroffener K<strong>in</strong><strong>der</strong> ist ausgesprochen hilfreich<br />
und wünschenswert für beide Seiten.<br />
153
Zerebralparese<br />
Infantile Zerebralparesen s<strong>in</strong>d bleibende, aber nicht unverän<strong>der</strong>liche<br />
Störungen <strong>der</strong> Haltung und Beweglichkeit des Körpers. Statistisch tritt<br />
e<strong>in</strong>e Zerebralparese bei e<strong>in</strong>em <strong>von</strong> 500 Neugeborenen auf.<br />
Bei Frühgeborenen s<strong>in</strong>d bis zu 80 <strong>von</strong> 1.000 betroffen.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Das Ausbleiben e<strong>in</strong>er regelgerechten Entwicklung des<br />
zentralen Nervensystems führt zu Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong><br />
Muskelspannung, -stärke und -koord<strong>in</strong>ation. Häufig<br />
kommt es zu Spastiken.<br />
In erster L<strong>in</strong>ie treten Bewegungsstörungen auf. Die Muskeln<br />
können nicht angemessen kontrolliert werden. Auch<br />
Lähmungen <strong>der</strong> Extremitäten und kognitive Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen<br />
können auftreten.<br />
Infolge <strong>der</strong> Bewegungsstörungen treten strukturelle Verän<strong>der</strong>ungen<br />
an Muskeln, Knochen und Gelenken (Verkürzung,<br />
Deformierung, Versteifung) e<strong>in</strong>.<br />
Zusätzlich treten häufig Epilepsien, Sehstörungen sowie<br />
Hör- und Sprachstörungen auf.<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Zerebralparesen entstehen als Folge e<strong>in</strong>er nicht fortschreitenden<br />
Erkrankung des sich entwickelnden Gehirns, z. B.<br />
bei e<strong>in</strong>er M<strong>in</strong><strong>der</strong>versorgung des Gehirns mit Sauerstoff<br />
o<strong>der</strong> nach Hirnblutungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> frühen Neugeborenenperiode.<br />
Auch Infektionen und Entzündungen beim Neugeborenen<br />
können ursächlich se<strong>in</strong>.<br />
Die Symptome können sich mit <strong>der</strong> Zeit verän<strong>der</strong>n. Die<br />
Diagnose Infantile Zerebralparese kann oft erst mit dem<br />
zweiten Lebensjahr e<strong>in</strong>deutig gestellt werden. Die Früherkennung<br />
bei Vorsorgeuntersuchungen stützt sich auf<br />
nicht <strong>der</strong> Norm entsprechende motorische Symptome<br />
(z. B. Reflexanomalien) sowie Entwicklungsverzögerungen.<br />
Um die Ursache <strong>der</strong> Erkrankung festzustellen, sollten<br />
Blut und Ur<strong>in</strong> untersucht sowie e<strong>in</strong>e Nervenwasserpunktion<br />
(Lumbalpunktion) durchgeführt werden. Aufschluss<br />
kann auch die Anfertigung e<strong>in</strong>es Magnetresonanztomogramms<br />
(MRT) des Schädels geben.<br />
Trotz Frühbehandlung und <strong>in</strong>tensiver Behandlungsmaßnahmen<br />
ist meist mit e<strong>in</strong>er bleibenden Bee<strong>in</strong>trächtigung<br />
zu rechnen. Das Erwachsenenalter erreichen ca. 90 Prozent<br />
<strong>der</strong> Betroffenen.<br />
Behandlung<br />
E<strong>in</strong>e Heilung <strong>der</strong> ursächlichen Störung ist nur <strong>in</strong> den seltensten<br />
Fällen möglich. Bei e<strong>in</strong>er Frühdiagnose bestehen<br />
gute Aussichten, (Sekundär-)Folgen zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n und<br />
Entwicklungsvorgänge zu unterstützen.<br />
Die betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong> benötigen frühzeitig e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive<br />
Physiotherapie und entsprechende Son<strong>der</strong>för<strong>der</strong>ung.<br />
Als Ziele <strong>der</strong> mitunter e<strong>in</strong> Leben lang durchzuführenden<br />
Behandlungen s<strong>in</strong>d Vermeidung <strong>von</strong> Kontrakturen<br />
(Verkürzung <strong>der</strong> Muskeln und dadurch bed<strong>in</strong>gte E<strong>in</strong>schränkung<br />
des Bewegungsapparats), Verm<strong>in</strong><strong>der</strong>ung <strong>von</strong><br />
Fehlhaltungen, Akzeptanz beim Tragen <strong>von</strong> Orthesen, Erleichterung<br />
<strong>der</strong> Pflege und Verm<strong>in</strong><strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Schmerzen<br />
zu nennen.<br />
Antispastische Behandlungen können ggf. medikamentös<br />
unterstützt werden.<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Betroffene K<strong>in</strong><strong>der</strong> sollten zur aktiven, möglichst<br />
selbstständigen Teilhabe am gesellschaftlichen und<br />
schulischen Leben motiviert sowie entsprechend geför<strong>der</strong>t<br />
werden.<br />
Lehrkräfte sollten darauf achten, dass Betroffene<br />
nicht stigmatisiert werden. E<strong>in</strong>e Aufklärung über die<br />
Thematik im Klassenverband kann dabei ggf. hilfreich<br />
se<strong>in</strong>.<br />
Hilfreich ist e<strong>in</strong>e gute Klassengeme<strong>in</strong>schaft mit tragfähigen<br />
sozialen Kontakten. Diese können dazu beitragen,<br />
dass auch bei krankheitsbed<strong>in</strong>gten Fehlzeiten<br />
Informationen ausgetauscht werden und das betroffene<br />
K<strong>in</strong>d den Anschluss an die Klasse halten kann.<br />
154
Materialien für Lehrkräfte<br />
· Gerd Hansen (Hrsg.): Grundwissen Cerebrale Bewegungsstörungen<br />
im K<strong>in</strong>des- und Jugendalter.<br />
172 Seiten, Düsseldorf 2015. (ISBN 978-3-945771-01-3)<br />
EUR 14,90 (Mitglie<strong>der</strong>: EUR 10,00)<br />
Das Buch bietet e<strong>in</strong>en Überblick über den aktuellen<br />
Forschungsstand, geglie<strong>der</strong>t nach den Gesichtspunkten<br />
mediz<strong>in</strong>ische Aspekte, sozial-emotionale und kognitive<br />
Entwicklung sowie Kommunikation. E<strong>in</strong> Schwerpunkt<br />
besteht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Aufarbeitung des <strong>in</strong>ternationalen<br />
empirischen Forschungsstandes. Das Buch wendet<br />
sich an Fachleute aus sowohl pädagogischen als auch<br />
therapeutischen Berufsgruppen, die mit zerebralbewegungsgestörten<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />
aktuell arbeiten o<strong>der</strong> <strong>in</strong> Zukunft arbeiten werden.<br />
Im Zuge des <strong>in</strong>folge <strong>der</strong> aktuellen Inklusionsdebatte<br />
gestiegenen Informationsbedarfs ist auch an Lehrkräfte<br />
gedacht, die bislang mit dem Thema noch nicht <strong>in</strong><br />
Kontakt gekommen s<strong>in</strong>d.<br />
· Ursula Haupt & Marion Wieczorek (Hrsg.): K<strong>in</strong><strong>der</strong> und<br />
Jugendliche mit cerebralen Bewegungsstörungen <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>Schule</strong>. Erfahrungsberichte <strong>von</strong> Eltern. 22 Seiten,<br />
Düsseldorf 2013. (ISBN 978-3-910095-88-5)<br />
EUR 3,00 Versandkostenpauschale<br />
Inhalt s<strong>in</strong>d aktuelle Erfahrungsberichte <strong>von</strong> 168 Eltern<br />
betroffener Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler, ausgewertet<br />
<strong>von</strong> Ursula Haupt und Marion Wieczorek, Universität<br />
Landau. Die ausgeprägten Bewegungsstörungen<br />
machen bei <strong>der</strong> Mehrzahl <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> spezielle Hilfen<br />
für die aktive Teilnahme am Unterricht ebenso erfor<strong>der</strong>lich<br />
wie e<strong>in</strong>e therapeutische Unterstützung. Die<br />
Auswirkungen <strong>der</strong> Störung <strong>von</strong> Bewegungsabläufen<br />
z. B. beim Sprechen, Schreiben, Experimentieren und<br />
bei <strong>der</strong> Körperpflege haben zur Folge, dass nur etwa<br />
25 Prozent <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> Regelschulen besuchen. Von<br />
zentraler Bedeutung für die Weiterentwicklung <strong>der</strong><br />
geme<strong>in</strong>samen För<strong>der</strong>ung <strong>von</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n mit und ohne<br />
Bee<strong>in</strong>trächtigungen ist die Notwendigkeit spezieller<br />
Aus- und Fortbildungen für die Lehrkräfte.<br />
· Ursula Haupt & Marion Wieczorek (Hrsg.): Cerebrale<br />
Bewegungsstörungen bei Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern.<br />
Hilfe bei Schwierigkeiten im Schulalltag. 39 Seiten,<br />
Düsseldorf 2013. (ISBN 9783910095946)<br />
EUR 3,00 Versandkostenpauschale<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler mit zerebralen Bewegungsstörungen<br />
besuchen heute Regel- und För<strong>der</strong>schulen.<br />
Sie s<strong>in</strong>d die größte Gruppe <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schülerschaft mit<br />
dem För<strong>der</strong>schwerpunkt motorische Entwicklung. Die<br />
vorliegende Broschüre stellt Grundüberlegungen zur<br />
Gestaltung <strong>von</strong> lernför<strong>der</strong>lichen Umgebungen dar.<br />
Sie bietet für Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer sowie an<strong>der</strong>e<br />
Fachkräfte, die an <strong>Schule</strong>n arbeiten, <strong>in</strong> denen K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
und Jugendliche mit zerebralen Bewegungsstörungen<br />
lernen, e<strong>in</strong>e Orientierung, um Lern- und Bildungsbedürfnisse<br />
<strong>der</strong> Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler verstehen und<br />
passende Angebote gestalten zu können.<br />
Die Bücher s<strong>in</strong>d erhältlich beim Bundesverband für<br />
körper- und mehrfachbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>te Menschen e. V. (BVKM):<br />
www.bvkm.de/buecher-und-broschueren/k<strong>in</strong><strong>der</strong>-mitcerebralen-bewegungsstoerungen<br />
<strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Bundesverband für körper- und mehrfachbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>te<br />
Menschen e. V. (BVKM)<br />
www.bvkm.de<br />
155
Zöliakie (Glutensensitive Enteropathie)<br />
Zöliakie ist e<strong>in</strong>e chronische Erkrankung <strong>der</strong> Dünndarmschleimhaut,<br />
hervorgerufen durch e<strong>in</strong>e genetisch bed<strong>in</strong>gte Lebensmittelunverträglichkeit<br />
gegenüber Gluten. Gluten ist e<strong>in</strong> Kleberprote<strong>in</strong>, das <strong>in</strong> den Getreidesorten<br />
Weizen, Roggen, Gerste und D<strong>in</strong>kel vorkommt.<br />
Der Anteil <strong>der</strong> Erkrankten an <strong>der</strong> Bevölkerung liegt <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />
bei ca. e<strong>in</strong>em Prozent. Weltweit wird e<strong>in</strong>e Häufigkeit <strong>von</strong> e<strong>in</strong> bis zwei Prozent<br />
angegeben.<br />
Frauen erkranken dreimal häufiger an Zöliakie als Männer.<br />
Bei Menschen mit Trisomie 21 (Down-Syndrom) tritt die Krankheit etwas<br />
häufiger auf als bei Menschen ohne diese chromosomale Beson<strong>der</strong>heit.<br />
Mit e<strong>in</strong>er Zöliakie s<strong>in</strong>d gehäuft an<strong>der</strong>e Autoimmunerkrankungen verbunden,<br />
zum Beispiel Typ-1-Diabetes.<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsformen<br />
Das Getreideeiweiß Gluten führt im Dünndarm zu e<strong>in</strong>er<br />
Immunreaktion (Antikörperbildung), die e<strong>in</strong>e Entzündung<br />
und Zerstörung <strong>der</strong> Dünndarmschleimhaut hervorruft.<br />
Dabei verliert die Dünndarmwand ihre Fältelung (Zottenatrophie).<br />
Der so entstehende Mangel an schleimhautgebundenen<br />
Verdauungsenzymen und die Reduzierung <strong>der</strong><br />
Dünndarmoberfläche führen zu e<strong>in</strong>er stark verm<strong>in</strong><strong>der</strong>ten<br />
Aufnahme vieler Nährstoffe, M<strong>in</strong>eralien und Vitam<strong>in</strong>e.<br />
Bei Babys und Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong><strong>der</strong>n zeigen sich die ersten Symptome<br />
meistens zwischen dem 6. und 21. Lebensmonat,<br />
wenn sie nach dem Abstillen glutenhaltige Nahrung zu<br />
sich nehmen. Die betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong> s<strong>in</strong>d sehr reizbar,<br />
kontaktscheu, we<strong>in</strong>erlich, misslaunig und oft appetitlos.<br />
In vielen Fällen treten Wachstums- und Entwicklungsstörungen<br />
auf. Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> scheiden große Mengen an<br />
übelriechendem, fettglänzendem Stuhl aus. Durchfall ist<br />
das markanteste Symptom. Er tritt sporadisch o<strong>der</strong> dauerhaft<br />
auf. Weitere Symptome s<strong>in</strong>d Übelkeit, Erbrechen<br />
und Bauchschmerzen. <strong>Wir</strong>d die Krankheit nicht erkannt,<br />
beg<strong>in</strong>nen nach e<strong>in</strong>iger Zeit die Muskeln und Gliedmaßen<br />
zu verkümmern. M<strong>in</strong><strong>der</strong>wuchs weist darauf h<strong>in</strong>, dass die<br />
Krankheit oft schon jahrelang bestanden hat. Es treten<br />
nicht immer alle Symptome gleichzeitig auf; es kann<br />
durchaus vorkommen, dass nur e<strong>in</strong> Symptom vor<strong>der</strong>gründig<br />
<strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung tritt.<br />
Man unterscheidet neben <strong>der</strong> aktiven (= klassischen) Verlaufsform<br />
<strong>der</strong> Krankheit:<br />
· Symptomatische Zöliakie: Die Betroffenen zeigen<br />
die klassischen Symptome <strong>der</strong> Mangelernährung<br />
o<strong>der</strong> atypische Verän<strong>der</strong>ungen, wie z. B. Migräne,<br />
Hautverän<strong>der</strong>ungen o<strong>der</strong> Anämie.<br />
· Subkl<strong>in</strong>ische Zöliakie mit asymptomatischen und silenten<br />
Ausprägungen: Die Betroffenen weisen typische<br />
Verän<strong>der</strong>ungen an <strong>der</strong> Schleimhaut auf und haben<br />
zöliakiespezifische Antikörper, s<strong>in</strong>d aber ansonsten<br />
beschwerdefrei.<br />
· Potenzielle Zöliakie: Die Betroffenen haben zöliakiespezifische<br />
Antikörper bei normaler Dünndarmschleimhaut.<br />
Bei Jugendlichen und Teenagern können e<strong>in</strong>e Verzögerung<br />
des E<strong>in</strong>setzens <strong>der</strong> Pubertät, das Ausbleiben <strong>der</strong><br />
ersten Monatsblutung und Haarausfall e<strong>in</strong>treten. Im Erwachsenenalter<br />
treten <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie Durchfall, Müdigkeit,<br />
Antriebsschwäche, Gewichtsverlust und Blähungen<br />
auf. Aufgrund hohen Eisenmangels wirken die Erkrankten<br />
sehr blass. Vitam<strong>in</strong>mangel führt häufig zu schuppiger<br />
Haut, Blutungsneigung, Blut im Ur<strong>in</strong>, Kribbeln, Taubheitsgefühlen,<br />
Muskelkrämpfen und Knochenschmerzen.<br />
Oft wird bei Betroffenen auch Osteoporose diagnostiziert.<br />
Bei Frauen kann es <strong>in</strong>folge e<strong>in</strong>er nicht festgestellten Zöliakie<br />
zu Unfruchtbarkeit o<strong>der</strong> häufigen Frühgeburten<br />
kommen – auch ohne das Auftreten <strong>der</strong> klassischen Symptome.<br />
Ursache/Diagnose/Prognose<br />
Die Ursache <strong>der</strong> Zöliakie ist e<strong>in</strong>e genetische Disposition,<br />
da die Krankheit familiär gehäuft auftritt.<br />
Zöliakie kann sich <strong>in</strong> jedem Alter manifestieren. Sie wird<br />
etwa zu gleichen Teilen bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n (bei Schulk<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
<strong>in</strong>zwischen häufiger als bei Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong><strong>der</strong>n) und Erwachse-<br />
156
nen diagnostiziert. Zur Sicherung <strong>der</strong> Diagnose wird e<strong>in</strong>e<br />
Dünndarmbiopsie durchgeführt. Dabei werden mit e<strong>in</strong>em<br />
Endoskop w<strong>in</strong>zige Gewebeteilchen aus <strong>der</strong> Dünndarmschleimhaut<br />
entnommen. Unter dem Mikroskop wird geprüft,<br />
ob die Darmzotten im Bereich des entnommenen<br />
Dünndarmabschnitts normal ausgebildet s<strong>in</strong>d. Ersche<strong>in</strong>en<br />
sie flach, ist dies das sicherste Anzeichen für e<strong>in</strong>e Zöliakie-Erkrankung.<br />
Darüber h<strong>in</strong>aus gibt die Bestimmung <strong>von</strong><br />
speziellen Antikörpern im Blut e<strong>in</strong>deutige H<strong>in</strong>weise – bei<br />
Verdacht auf Zöliakie werden spezifische Antikörpertests<br />
veranlasst. Die gemessenen Antikörperwerte lassen sich<br />
auch zur Verlaufskontrolle <strong>der</strong> Erkrankung heranziehen.<br />
Bei weizenabhängigen Beschwerden kann nach sorgfältigem<br />
Ausschluss an<strong>der</strong>er Diagnosen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong><br />
Zöliakie, <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er (Nicht-Zöliakie-nicht-Weizenallergie-)<br />
Weizensensitivität ausgegangen werden. Die Betroffenen<br />
sollten – ähnlich wie Zöliakiepatient<strong>in</strong>nen und -patienten<br />
– e<strong>in</strong>e glutenfreie Diät e<strong>in</strong>halten.<br />
Die Unverträglichkeit bleibt lebenslang bestehen und<br />
kann <strong>der</strong>zeit nicht ursächlich behandelt werden.<br />
Behandlung<br />
Die bislang e<strong>in</strong>zige wirksame Therapie besteht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
lebenslangen Verzicht auf glutenhaltige Lebensmittel.<br />
E<strong>in</strong>e Umstellung auf e<strong>in</strong>e glutenfreie Ernährung gestaltet<br />
sich nicht ganz e<strong>in</strong>fach, da sich Gluten <strong>in</strong> vielen Lebensmitteln<br />
bef<strong>in</strong>det. Gluten ist etwa <strong>in</strong> allen Produkten<br />
aus Weizen- und Roggenmehl sowie <strong>in</strong> aus Gerste und<br />
D<strong>in</strong>kel hergestellten Produkten (z. B. Brot, Nudeln, Müsli,<br />
Bier) enthalten. Viele Fertigprodukte wie etwa Sojasauce,<br />
Süßigkeiten, Erdnussbutter und Gewürzmischungen können<br />
Gluten enthalten.<br />
Achtung: Selbst <strong>in</strong> manchen Medikamenten f<strong>in</strong>det sich<br />
Gluten als Trägerstoff.<br />
Maismehl, Hirse, Reis, Soja, Qu<strong>in</strong>oa und Mais- o<strong>der</strong> Kartoffelstärke<br />
können verzehrt werden. Die Umstellung <strong>der</strong><br />
Ernährung sollte <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er Fachärzt<strong>in</strong> bzw. e<strong>in</strong>em Facharzt<br />
überwacht werden. E<strong>in</strong>e ausführliche Ernährungsberatung<br />
<strong>der</strong> Betroffenen bzw. ihrer Eltern/Erziehungsberechtigten<br />
durch e<strong>in</strong>e qualifizierte Ernährungsfachkraft sollte<br />
nach <strong>der</strong> Diagnosestellung und nach Bedarf erfolgen.<br />
da möglicherweise gleichzeitig e<strong>in</strong>e Laktose<strong>in</strong>toleranz<br />
besteht.<br />
Die Symptome werden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel schon wenige Tage<br />
nach <strong>der</strong> Ernährungsumstellung schwächer und die<br />
Darmschleimhaut beg<strong>in</strong>nt sich zu regenerieren. Der Zeitraum<br />
bis zum E<strong>in</strong>treten e<strong>in</strong>er völligen Beschwerdefreiheit<br />
ist jedoch <strong>in</strong>dividuell sehr verschieden. Er hängt u. a. vom<br />
Ausmaß <strong>der</strong> e<strong>in</strong>getretenen Darmschädigung und dem<br />
Alter <strong>der</strong> Betroffenen ab.<br />
Schulungsprogramme<br />
Beratungsleitfaden <strong>der</strong> Deutschen Zöliakie<br />
Gesellschaft e. V. (DZG)<br />
(Gebühr EUR 10; erhältlich unter www.dzg-onl<strong>in</strong>e.de)<br />
H<strong>in</strong>weise für Lehrkräfte<br />
Im Unterricht/<strong>in</strong> Pausensituationen:<br />
Die Lehrkräfte sollten die Lebensmittel kennen, die<br />
betroffene K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche nicht vertragen.<br />
Es ist darauf zu achten, dass sie <strong>von</strong> Mitschüler<strong>in</strong>nen<br />
und Mitschülern ke<strong>in</strong>e ungeeigneten Nahrungsmittel<br />
annehmen und verzehren. Um Akzeptanz herzustellen<br />
und Stigmatisierungen zu vermeiden, sollte die<br />
Erkrankung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Klasse thematisiert und entsprechende<br />
Aufklärung betrieben werden.<br />
Auf Ausflügen/Klassenfahrten:<br />
Im Vorfeld sollte mit <strong>der</strong> Jugendherberge/dem Schullandheim<br />
o. Ä. e<strong>in</strong>e Son<strong>der</strong>regelung h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong><br />
glutenfreien Verpflegung <strong>von</strong> betroffenen Schüler<strong>in</strong>nen<br />
und Schülern abgesprochen werden.<br />
Wichtig:<br />
Mit <strong>der</strong> richtigen (d. h. glutenfreien) Nahrungsmittelauswahl<br />
alle<strong>in</strong> ist es nicht getan. Wichtig ist auch die<br />
richtige Lagerung sowie Vor- und Zubereitung <strong>der</strong><br />
Speisen, um Verunre<strong>in</strong>igungen mit Gluten zu vermeiden.<br />
Vor allem, wenn gleichzeitig für nichtbetroffene<br />
Personen glutenhaltig gekocht und gebacken wird,<br />
ist auf e<strong>in</strong>e sorgfältige Trennung <strong>von</strong> glutenhaltigen<br />
und glutenfreien Produkten zu achten.<br />
Neben <strong>der</strong> psychosozialen Stärkung können <strong>Selbsthilfe</strong>gruppen<br />
und -organisationen den Betroffenen zudem<br />
viele hilfreiche praktische Tipps geben. Sie stellen oftmals<br />
auch Listen mit unbedenklichen Lebensmitteln sowie<br />
Koch- und Reiseratschlägen (wichtig z. B. für Klassenfahrten)<br />
zusammen.<br />
Glutenfreie Nahrungsmittel s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>zwischen nicht mehr<br />
nur <strong>in</strong> spezialisierten Versand- und Reformhäusern, son<strong>der</strong>n<br />
auch im „normalen“ E<strong>in</strong>zelhandel und <strong>in</strong> Drogeriemärkten<br />
erhältlich. Zu Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>er Ernährungsumstellung<br />
sollte man ggf. auch auf Milchprodukte verzichten,<br />
157
Zöliakie (Glutensensitive Enteropathie)<br />
Materialien für Lehrkräfte<br />
· Flyer „Zöliakie und <strong>Schule</strong>“:<br />
www.dzg-onl<strong>in</strong>e.de/files/flyer_schule_2.pdf<br />
isation <strong>Selbsthilfe</strong>/Patientenorganisation<br />
Deutsche Zöliakie Gesellschaft e. V. (DZG)<br />
www.dzg-onl<strong>in</strong>e.de<br />
Weitere Internetadressen<br />
· www.dzg-onl<strong>in</strong>e.de/glutenfreie-ernaehrung.7.0.html<br />
· Flyer „Zöliakie – Leben mit glutenfreier Ernährung“:<br />
www.dzg-onl<strong>in</strong>e.de/files/140520_flyer_leben_mit_gf_<br />
ernaehrung_web.pdf<br />
· Flyer „Zöliakie – Glutenfreies Essen <strong>in</strong> Hotels und<br />
Restaurants“:<br />
www.dzg-onl<strong>in</strong>e.de/files/120116_gf_hotel_<br />
restaurant_web.pdf<br />
· www.zoeliakie-treff.de<br />
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