11.07.2016 Aufrufe

Werk6

Ausgabe 2016

Ausgabe 2016

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

sowas-am-Laufen“-Affären sind genauso paradox wie<br />

die Ansprüche, die wir ans Leben haben: In ihnen<br />

steht das Individuum vor der Partnerschaft, sie geben<br />

uns Raum zur Selbstverwirklichung und gleichzeitig<br />

Sicherheit, weil immer alleine einschlafen auf Dauer<br />

auch nicht glücklich macht.<br />

ANPASSUNG<br />

Stabilität und Sicherheit wünschen wir uns nämlich<br />

sehr, wie immer mehr Studien beweisen. Wir schweben<br />

in einem ständigen Widerspruch zwischen Freiheitsliebe<br />

und Sicherheitsbegehren und können uns<br />

nicht entscheiden, ob wir lieber Neo-Spießer sind<br />

oder Konservatismus doch doof finden. Im Alltag sind<br />

wir so mit uns selbst und all unseren Möglichkeiten<br />

beschäftigt, dass wir gegen nichts mehr aufbegehren<br />

oder rebellieren. Jugendkulturen sterben aus, obwohl<br />

wir, wenn wir wollten, jeden Tag jemand anderen darstellen<br />

könnten, Normcore aber einfacher finden.<br />

Nicht umsonst ist der Hipster, die letzte große<br />

Jugendkultur der vergangenen Jahre, Mainstream geworden.<br />

Der dazugehörige Duden-Eintrag ist in etwa<br />

so präzise wie eine Scheibe labbriges Brot: „Jemand,<br />

der über alles, was modern ist, Bescheid weiß, in alles<br />

Moderne eingeweiht ist“. Das klingt neugierig – aber<br />

auch angepasst, weichgespült und kompromissbereit<br />

und heftig nach Konsum. Der rebellische, provokante<br />

Charakter vorheriger Jugendkulturen fehlt völlig und<br />

mit dem klischeehaften Bild des Hipsters will sich eigentlich<br />

niemand mehr identifizieren, es taugt höchstens<br />

noch zum Spott.<br />

Trotzdem erwischen wir uns dabei, wie die neue<br />

Bio-Matcha-Mate (#leidergeil) Instagram-Inhalt wird<br />

und nicht die politische Lage in Europa. Wir twittern<br />

höchstens mal ein politisches Statement, zur Demo<br />

möchten wir aber lieber nicht gehen. Wir bauen uns<br />

eine heile virtuelle Welt, um uns von der unsicheren<br />

Realität abzulenken, versuchen nicht, sie zu verändern.<br />

Wir könnten alles sein, wenn wir uns nur mal<br />

auf etwas festlegen würden. Eine ganze Generation,<br />

geeint in der Suche nach der eigenen Wichtigkeit und<br />

dem tieferen Lebenssinn. Alte Strukturen aufgebrochen,<br />

neue Strukturen noch nicht erprobt. Zerrissen<br />

in der Gegensätzlichkeit, die uns ausmacht. #Generationwhy:<br />

So mit dem Hinterfragen beschäftigt, dass<br />

wir vergessen, zu handeln. Angst vor der Zukunft und<br />

trotzdem Bock auf Neues.<br />

ANGST<br />

Ich war sieben, als ich am 11. September 2001 vor dem<br />

Fernseher saß und meine Mama mir erklärte, was ein<br />

Terrorist ist. Ich war 13, als 2007 die Weltwirtschaftskrise<br />

ihren Lauf nahm und mein Papa beim Zeitungslesen<br />

nichts mehr sagte. Ich war 17, als ich im Internet<br />

die Video-Aufnahmen der Explosionen im japanischen<br />

Kernkraftwerk Fukushima sah und anschließend mit<br />

meinen Schulfreunden Spenden sammeln ging.<br />

Gewalt, wirtschaftliche Krisen, Umweltkatastrophen.<br />

mutig<br />

wild<br />

urban<br />

naiv<br />

FOTOS:<br />

broke<br />

hoffnungsvoll<br />

shiny<br />

konsumgeil<br />

Bilder, die um die Welt gingen. Bilder, die uns, Kinder<br />

des digitalen Zeitalters, bis heute begleiten.<br />

Ich bin 21. Terrorismus und Krieg beherrschen<br />

die Nachrichten. Und beides ist näher, als in meinem<br />

ganzen bisherigen Leben. Ungewissheit ist ein Dauerzustand<br />

geworden. Meine Generation sieht einer Zukunft<br />

entgegen, die weder stabil noch friedlich ist. Wir<br />

müssen eine weltweite Flüchtlingskrise bewältigen.<br />

Neuankömmlinge in die Gesellschaft integrieren, in<br />

der wir unseren eigenen Platz noch gar nicht gefunden<br />

haben. Wir müssen gegen einen überraschenden<br />

Rechtsruck in Europa kämpfen, mit einem bröckelnden<br />

Bildungssystem und Umbrüchen in der Arbeitswelt<br />

zurechtkommen. Wir sehen uns mit immer mehr<br />

Menschen im Rentenalter konfrontiert, die versorgt<br />

werden wollen. Mit einer weiter auseinanderklaffenden<br />

Schere zwischen Arm und Reich. Mit internationalen<br />

Konflikten, großflächig angelegtem Terrorismus.<br />

Mit einem zerstörten Ecosystem, Erderwärmung<br />

und knapp werdenden Ressourcen. Wir sehen unsere<br />

Freiheit schwinden und uns eingeengt zwischen<br />

Problemen, die größer scheinen als wir. Der Struggle<br />

ist real.<br />

Es macht mich wütend, wenn von uns behauptet<br />

wird, unsere Generation schwebe sorgenfrei auf rosa<br />

Wölkchen durchs Leben, nur mit den eigenen Problemen<br />

beschäftigt. Oder wenn wir als verweichlicht dargestellt<br />

und unsere Zukunftsängste nicht ernst genommen<br />

werden. Unsere Aufgabe wird es sein, sich<br />

davon nicht lähmen zu lassen, sondern daran zu wachsen<br />

und dagegen anzukämpfen.<br />

ZUKUNFT<br />

Genderequality und Feminismusdebatte, gleichgeschlechtliche<br />

Liebe, kultureller Austausch: Themen,<br />

denen wir Y-Kinder viel offener entgegentreten als<br />

die Generationen vor uns. Wir haben gesellschaftlich<br />

schon viel geschafft und können noch so viel mehr.<br />

Aufwachen, vielleicht mal wieder rebellieren. Den<br />

Blick vom individuellen Wohlergehen abwenden. Die<br />

kollektive und die eigene Freiheit gleichermaßen<br />

verteidigen. Daraus Sicherheit und Stabilität schöpfen<br />

und gesellschaftliche Distanzen überwinden. Beziehungen<br />

zulassen. Im Hier und Jetzt leben, spontan<br />

sein und gleichzeitig zukunftsorientiert. Das<br />

könnten wir.<br />

Denn was wie blinde Naivität und jugendlicher<br />

Optimismus klingt, ist eine Stärke, die wir anderen<br />

voraushaben: Offenheit Neuem gegenüber, Hinterfragen<br />

des Bisherigen, blitzschnelle Anpassung und Optimierung.<br />

Wer in unseren gegensätzlichen Zeiten<br />

aufgewachsen ist, ist Meister im Umgang mit unerprobten<br />

Situationen. Wir sind die, die im 20. Jahrhundert<br />

geboren, aber im 21. Jahrhundert erwachsen<br />

wurden und uns damit von allen anderen Generationen<br />

abgrenzen. Wir schlagen die Brücke in ein neues<br />

Zeitalter. Das Jetzt gehört uns, wir müssen es uns nur<br />

zu eigen machen. Das ist die Generation Y.<br />

10<br />

werk6 | Generation Y<br />

11

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!