Kunstheft_Tue_Greenfort
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KunstHeft
Idee, Konzept und Text: Prof. Dr. Martin Oswald, Weingarten
Tue Greenfort | „Eine Berggeschichte“
Kunstpädagogik im Kunstraum Dornbirn
Tue Greenfort
„Eine Berggeschichte“, 2012
F
ür den Kunstraum in Dornbirn
schuf der Künstler Tue Greefort einen
5,5 Meter hohen Kuppelbau mit einem
Durchmesser von etwa 12,5 Metern.
Es ist eine zeltartige Konstruktion aus
Dreieckselementen, die mit großformatigen
Postern bedeckt sind. Weitere Objekte
ergänzen die Kunstinstallation.
D
as gezeigte Werk und seine Teile lassen
sich keiner bestimmten Kunstgattung
wie Plastik, Malerei, Zeichnung
oder neuen Medien zuordnen. Manches
erinnert an Design und Architektur. Tatsächlich
hat sich Tue Greenfort bei seiner
Arbeit in der ehemaligen Montagehalle
von einem Architekten anregen lassen. Es
war R. Buckminster Fuller, ein großer Erfinder,
Philosoph und Vordenker des 20.
Jahrhunderts. Er suchte zeitlebens nach
der idealen Lösung für unser Überleben
auf dem Planeten Erde. Eines seiner Werke
war der „Geodätische Dom“, eine Kuppelkonstruktion,
auf die Tue Greenfort
Bezug nimmt (→ Seite 4/5). Auch in der
amerikanischen Hippiekultur (→ Seite 6)
und beim Militär (→ Seite 7) spielten solche
zeltartigen Bauten eine Rolle.
W
ie Fuller macht sich auch Tue
Greenfort Gedanken über Fragen
der Umwelt, das Energieproblem, den
Klimawandel, das Zusammenleben der
Menschen (→ Interview auf Seite 10). Er
überschreitet dabei immer wieder die
Grenzen der Kunst und beschäftigt sich
Eine Berggeschichte
mit verschiedensten Fachrichtungen der
Wissenschaft, mit Geschichte, Architektur,
Ingenieurskunst (→ Seite 8/9) und vor
allem mit der Natur. Wie in vielen seiner
Arbeiten nimmt Tue Greenfort Bezug auf
andere Künstler und Denker. Er holt sie
damit in unser Gedächtnis zurück, entwickelt
sie weiter und stellt deren Ideen zur
Diskussion.
G
leichzeitig sucht Greenfort immer
eine Verbindung zwischen dem
Kunstwerk und dem Ort, an dem es entsteht
und gezeigt wird. In diesem Fall ist
es die alte Montagehalle.
S
o entsteht aus dem Zusammenspiel
völlig unterschiedlicher Elemente
im Raum eine Art sichtbares Gedankengebäude,
das sich die Besucher während
ihres Aufenthalts erschließen und immer
wieder neu zusammensetzen können.
D
as vorliegende Kunstheft versucht
diese Bezüge aufzudecken und verständlich
zu machen. Es bietet zusätzliches,
informatives Material und liefert
Arbeitsvorschläge für eigene Erkundungen
und künstlerische Zugänge.
Tue Greenfort hat für sein Kunstprojekt einen sehr poetischen Titel
gewählt: „Eine Berggeschichte“. Der Titel weckt unsere Neugierde.
Er lässt uns an Geschichten von der Bergwelt denken, an die romantische
Fernsicht, an steile Felsen, auch an Bergsteigerdramen und
gewagte Rettungsaktionen. Von all dem ist in der Ausstellung nichts
zu sehen. Und dennoch hat Tue Greenforts Arbeit viel damit zu tun:
Denn es geht dem Künstler um ein Nachdenken über die Natur, über
unser Verhältnis zu ihr und darum, wie wir unser künftiges Leben
auf dem „Raumschiff Erde“ gestalten. Dieses Nachdenken beginnt
immer dort, wo wir gerade stehen. Der Titel nimmt deshalb Bezug auf
den Ausstellungsort: Dornbirn, die größte Stadt Vorarlbergs, liegt am
Fuße der Alpen, ein Gebirge, das durch den globalen Klimawandel,
die Besiedelung und den Tourismus starken Veränderungen unterworfen
ist.
Arbeitsvorschläge
• Überlege und diskutiere in der Lerngruppe:
Vor welchen großen Herausforderungen
steht die Menschheit im 21.
Jahrhundert?
• Sammle bei einem Rundgang möglichst
viele Eindrücke von den gezeigten Objekten
der Installation. Halte deine Beobachtungen
und Eindrücke stichpunktartig in
kleinen Notizen, Skizzen oder mit Hilfe
einer Kamera fest.
• Setze die einzelnen Stationen deiner Beobachtungen
zu einer von dir erfundenen
Geschichte zusammen. Die im Kunstraum
gezeigten Dinge und der Kunstraum
selbst können in beliebiger Reihenfolge in
der von dir verfassten Geschichte auftauchen.
Umsetzung entweder in Stichpunkten,
als ausformulierter geschriebener
Text oder als Bildergeschichte. Stellt dann
in der Lerngruppe eure Ergebnisse gegenseitig
vor und überlegt: Gibt es Gemeinsamkeiten,
worin unterscheiden sich die
Texte bzw. Bildgeschichten?
• Tue Greenfort nennt sein Kunstprojekt
„Eine Berggeschichte“. Welche anderen
Titel wären denkbar und passend?
Fotografie: Robert Fässler, Lauterach
2 3
Auf der Suche nach der perfekten Form:
Der Architekt und Erfinder Richard Buckminster Fuller
„Wir sind alle Astronauten und unser Raumschiff ist die Erde.“ Dieser
Satz stammt vom amerikanischen Architekten und Ingenieur
Richard Buckminster Fuller (1895-1983). Als er vom Raumschiff
sprach, war noch kein Mensch je zuvor ins All geflogen. Fuller war einer
der genialsten Erfinder des vergangenen Jahrhunderts. Zugleich
war er Philosoph, Künstler und einer der ersten, der sich Gedanken
machte über Fragen der Umwelt und das Überleben auf unserem Planeten.
Denn leider wurde, so Fuller, „zum Raumschiff Erde keine
Bedienungsanleitung mitgeliefert“. Er glaubte fest daran, dass sich
auch scheinbar unlösbare Probleme bewältigen lassen. Er stellte sich
Fragen, die auch den Künstler Tue Greenfort bewegen.
Zeiss-Planetarium in Jena nach Plänen von Walther Bauersfeld, 1926.
Fotografie: Karl Müller, 1926
Als Vorbild für seine Kunstinstallation
in der Montagehalle dienten
„Geodätische Kuppeln“. Dies sind selbst
tragende Kuppelkonstruktionen, deren
Gewicht sich auf sehr viele kleine, dreieckige
Elemente verteilt. Eines der ersten
Bauwerke dieser Art war das 1926
eröffnete Planetarium in Jena. Besucher
können dort bis heute einen künstlichen
Sternenhimmel erleben.
Buckminster Fuller: Eine Glaskuppel für Manhatten.
Quelle: Brenda und Robert Vale. Ökologische Architektur. Frankfurt/
New York 1991. S. 176.
A
uch Wohnhäuser entwarf R. Buckminster
Fuller in dieser Form. Dazu
stellte sich der Architekt ungewöhnliche
Fragen: „Wie viel darf ein Haus wiegen?“
„Welche Form muss das Haus haben, damit
es am wenigsten Energie verbraucht?“
„Warum muss ein Haus mehr kosten als
ein normales Auto?“
D
as Ergebnis war sein „Dymaxion
House“ auf sechseckigem Grundriss.
Es war leicht zu produzieren und
wog trotz seiner 150 Quadtratmeter Fläche
nur drei Tonnen, die Kosten waren
nicht höher als die eines Mittelklassewagens.
Es hätte ein günstiges Massenprodukt
für alle werden sollen.
F
ullers spektakulärster Entwurf aber
war seine gigantische Glaskuppel für
Manhattan. Sie erinnert an ein UFO aus
einem Science-Fiction-Film. Die Kuppel
auf einer Kreisfläche von 3 km Durchmesser
war als ein riesiges Solarhaus gedacht.
Dessen Energiebedarf hätte nur
ein Prozent alle herkömmlichen Gebäudeflächen
betragen. Nach Berechnungen
wären die Energieverluste der Gebäude
auf einen Wert reduziert worden, der
nach Einschätzung Fullers den Kosten
des Schneeräumens im Winter gleichkam.
Aber auch dies wäre den Bewohnern
wegen der Kuppel erspart geblieben.
Die Kuppel ist ein Traum geblieben,
wie so viele Entwürfe, die in die Zukunft
weisen. Auf der Website http://www.archive.org
findet sich ein Interview mit R.
Buckminster Fuller (Titel: „Everything I
Know“).
D
as bekannteste Bauwerk dieser Art
ist der „Geodätische Dom“. Sein Architekt
Richard Buckminster Fuller wurde
damit berühmt. Es ging ihm um eine
umweltverträgliche, ökologische Architektur.
Er suchte die „bestmögliche Form
bei geringstmöglichem Energieeinsatz“.
Tatsächlich ist die Außenfläche solcher
Kuppeln um fast 40 % kleiner ist als die
eines quadratischen Gebäudes gleicher
Grundfläche. Solche Konstruktionen aus
Dreiecksteilen sind besonders stabil, erdbebensicher
und außerdem sehr schön.
Moderne, schnell aufzubauende Kuppelzelte
nutzen diese Konstruktionsweise
ebenfalls. In der amerikanschen Hippiekultur
der 1960er Jahre wurde Buckminster
Full zur Kultfigur: Seine geodätischen
Kuppeln wurden Vorbild für improvisierte
Wohnbauten aus Holz und Abfall
der westlichen Zivilisation und damit ein
Ausdruck des Protestes gegen die Gesellschaft.
Berühmt wurde diese Erfindung durch
den von Fuller für die Weltausstellung
1967 in Montreal (Kanada) gebauten
Ausstellungspavillon der USA. Der
62 Meter hohe Kuppelbau war ein Bisophärenhaus,
also ein Gebäude, in dem
der Kreislauf der Natur nachempfunden
wurde und z.B. die verbrauchte Energie
wieder genutzt wurde.
Der „Biosphére“ genannte Geodätische Dom des Architekten R.
Buckminster Fuller auf der Weltausstellung 1967 in Montreal (Kanada).
Fotografie: Eberhard von Nellenburg
Arbeitsvorschläge
• Baut zusammen einen kleinen Geodätischen
Kuppeldom, entweder als Modell
oder als begehbaren Zeltbau (vgl. Konstruktionszeichnung
in Abbildung). Anregungen
zum Bau findet Ihr unter folgenden
Webadressen:
http://www.martin.garms.eu/techtalk/
dome-bau/
http://www.software3d.com/MyModels.
php
• Diskutiert folgende Forderungen an
eine umweltfreundliche Architektur und
überlegt, wie sie sich erfüllen lassen:
Energie sparen, schonender Einsatz von
Materialien, die klimatischen Verhältnisse
nutzen und berücksichtigen, die Gegebenheiten
des Orts und der Umgebung
beachten, die Bedürfnisse der Menschen
einbeziehen.
• Entwirf selbst ein Gebäude der Zukunft.
Fertige Zeichnungen und ein Modell an,
beschreibe Deine Ideen in einem kurzen
Text.
• Lege in einem festen Karton (optimale
Größe: 60 x 40 x 15 cm) einen Miniaturgarten
an. Bepflanze ihn ganz nach deinen
Vorstellungen z.B. mit Kräutern, Pflanzensamen,
Gräsern etc. und füge weitere
Gestaltungselemente (z.B. Wege, Steine,
Wassertümpel) ein. Beobachte seine Entwicklung
und halte sie in einem kleinen
Tagebuch fest.
• Recherchiere in einem Fremdwörterlexikon
nach der Bedeutung des Begriffs „Synergieeffekt“.
Es stammt von Buckminster
Fuller und ist in der heutigen Diskussion
bei der Suche nach Lösungen von Umweltproblemen
ein zentraler Begriff.
4 5
Auf der Suche nach Freiheit, Frieden und Liebe:
Die Hippiebewegung
„Make love, no war“ war das Motto der Hippiebewegung (von engl. hip ‚angesagt‘), einer jugendlichen
Protestkultur und Friedensbewegung, die in den 60er Jahren mit allen gewohnten Vorstellungen der amerikanischen
Gesellschaft brach. Es war eine Gegenkultur, die einen eigenen Lebensstil prägte: Manche
trugen wallende Gewänder, bunten Folkloreschmuck, lange Haare. Zum Zeichen des Friedens schmückten
sich die Hipppies mit Blumen, das trug ihnen den Namen „Blumenkinder“ ein. Viele verbinden mit ihnen
psychedelische Musik, Folk, „freie“ Liebe, Drogenkonsum, Popart und eine romantische Sehnsucht nach
Indien. Der berühmte Beatles-Song „All you need is love“ stammt aus dieser Zeit, das legendäre Woodstockfestival
im Jahr 1969 war einer der kulturellen Höhepunkte.
Geodätische Kuppeln:
Bauten für das Militär
Geodätische Kuppeln dienten nicht nur einer
rein friedlichen Nutzung. Für die US-Armee
entwarf der Architekt R. Buckminster Fuller Kuppeln,
die als Radar- und Beobachtungsstationen
eingesetzt wurden. Die leichten und zugleich robusten
Kuppeln schützten die großen, empfindlichen
Antennen vor der rauen Witterung. Entlang
einer über 4000 Kilometer langen Linie nördlich
des Polarkreises entstand eine Kette solcher Stationen
als Frühwarnsystem gegen befürchtete Angriffe
aus dem damaligen Sowjetrussland.
W
ichtiger aber als diese äußerlichen
Merkmale war der Hippiebewegung
die Idee einer Gesellschaft
ohne Zwänge, ohne Leistungsdruck, ein
friedliches Leben in Gemeinschaft von
Gleichgesinnten. Sie gründeten deshalb
Kommunen auf dem Lande und bauten
Hüttensiedlungen.
E
in Guru der Hippies wurde Buckminster
Fuller mit seinem populären
Buch „Bedienungsanleitung für das
Raumschiff Erde“ (1969). Darin sucht
er nach Lösungen für globale Probleme
wie den Klimawandel und wird zu einem
Vorreiter der Ökobewegung.
D
arauf spielt auch Tue Greenfort in
seiner Installation an. Denn die kuppelförmigen
Zeltbauten vieler Hippiedörfer
entstanden ebenfalls nach dem Vorbild
des Architekten R. Buckminster Fuller. Sie
waren leicht zu konstruieren, schnell aufzubauen
und zugleich Sinnbild einer ökologischen,
umweltbewussten Architektur.
Dabei wurden Kulturmüll und Weggeworfenes
wie alte Bretter, Rohre, Plastikplanen
und bunte Stoffe wiederverwertet.
B
ei Tue Greenforts Kuppeldom erinnert
die Hülle aus einer Vielzahl von
Megapostern an die bunte Baukunst der
Hippiedörfer. Zugleich werden hier auf
ähnliche Weise Zivilisationsmüll und
Produkte der Werbewelt einer Wiederverwertung
zugeführt. Eine Anspielung
auf unsere Wegwerfgesellschaft?
Eine typische amerikanische Hippiesiedlung um 1967
US-Radarstation im Polargebiet
Arbeitsvorschläge
• Tue Greenfort spielt mit seinem „Geodätischen
Dom“ bewusst auf ganz unterschiedliche
Nutzungen an. Überlege, warum
er dies womöglich tut.
• Viele Erfindungen haben zwei Seiten:
Sie können eine segensreiche und hilfreiche
Wirkung haben, aber auch eine
bedrohliche. Manche Ideen werden missbraucht.
Forsche nach solchen Dingen
und präsentiere dein Ergebnis in einer
von dir gewählten Form (z.B. Gegenüberstellung
der unterschiedlichen Nutzung
auf einem Poster, Powerpointpräsentation,
Comic zur Erfindung, Filmclip, Ausstellung
von Objekten usw.)
D
er amerikanische Autor T.C. Boyle
setzte der einstigen Hippiekommune
„Drop City“ in seinem gleichnamigen
Roman (2003) ein lesenswertes
Denkmal. Auf humorvolle und zugleich
kritische Weise beschreibt er das Hippie-
Dasein in einer Kommune, in der nicht
immer alles rund läuft: „Eine Hippiekommune
in der Sonne, irgendwo in
Kalifornien. Ein Ort, an dem der ewige
Traum von Freiheit und Liebe endlich
greifbar werden und zu einem nimmer
endenden Zustand wachsen soll. Draußen
vor der Ranch hängt ein wackeliges
Schild: “Keine Männer, keine Frauen
– nur Kinder”, predigen die modernen
Buchstaben, die sich langsam in das
alte Holz fressen. Niemand will so sein
wie die großen Leute, die bösen Leute,
die von nichts eine Ahnung haben,
bloß konsumieren. In ihrem selbsterschaffenen
Niemandsland haben die
60 Blumenkinder alles, was sie für ihr
großes Glück brauchen: Ziegen und
Gemüse, Platten über Platten, laute Boxen,
Natur, ein riesiges Dach über dem
Kopf und jede Menge Drogen. Nur das
Latrinenproblem stört, die Feindschaft
der umliegenden Farmer, die lauernde
Aggressivität der Polizei, die intellektuellen
Spanner, die am Wochenende zum
Freakseeing anfahren.“ (aus einer Leserkritik
zum Buch).
• Suche nach weiteren Informationen zur
Hippiekultur und fasse dein Ergebnis in
einem kleinen Referat für die Mitschüler
zusammen (u.U. arbeitsteilig in der Lerngruppe)
• Beschreibe aktuelle Jugendkulturen.
Tauscht euch darüber aus: Welche äußeren
Merkmale (Kleidungsstil, Sprache,
Musik usw.) halten sie zusammen? Wofür
treten sie ein? Inwiefern sind sie eine
„Gegenkultur“? Stehst du einer solchen
Gruppe nahe?
6 7
Die Natur als Ideengeberin für Kunst, Architektur und Design
I
mmer wieder liefert die Natur großartige
Ideen für technische und künstlerische
Leistungen. Denn im Laufe ihrer Geschichte
entwickelten sich Formen, die Vorbilder
für Architektur, Design und Kunst wurden.
Ein Beispiel ist die abgebildete Riesenseerose:
Kräftige Rippen mit quer liegenden
Streben bilden einen sehr stabilen Unterbau
für die schwimmende Blattfläche. Das
Blatt selbst hat viele Luftkammern, es kann
Lasten bis zu 50 kg tragen.
F
ür den englischen Architekten Joseph
Paxton lieferte der Bau des Blattes
die Anregung für die Konstruktion eines
Kristallpalastes, der auf der Weltausstellung
1851 in London Aufsehen erregte.
Eisenträger ermöglichten eine freitragende
Konstruktion ohne stützende Mauern.
Glasfenster füllten die Zwischenräume
des Gerippes. Im selben Jahrhundert entstand
auch die historische Montagehalle in
Dornbirn, die heute als Kunstraum dient.
„Die Art und Weise, wie wir unsere Umgebung gestalten, ist der
Schlüsselfaktor für eine Veränderung. Von der Architektur ist der
Weg zu Design und Kunst nicht mehr sehr weit. Aus der kritischen
Untersuchung dieser wechselseitigen Beziehungen heraus entwickle
ich meine Projekte“
Tue Greenfort (Interview 2006)
Blattunterseite der Riesenseerose Victoria amazonica.
Bildquelle: Botanischer Garten und Botanisches Museum
Berlin-Dahlem I. Haas, BGBM
Crystal Palace von Joseph Paxton, London 1851
Viele zeitgenössische Künstler setzen
sich mit der Natur, der Umwelt und
den großen Fragen zur Zukunft unserer
Welt auseinander. Dabei überschreiten
sie immer wieder die Grenzen ihres Faches.
Ähnlich wie Tue Greenfort ist der
Künstler Olafur Eliasson beeindruckt von
den Ideen des Erfinders R. Buckminster
Fuller. Für Ausstellungen in New York
und Venedig schuf Eliasson einen „Model
Room“, in dem er geometrische Formen
zeigte, die an die Erfindungen Fullers erinnern,
welche wiederum auf Konstruktionsprinzipien
der Natur zurückgehen.
Arbeitsvorschläge
• Nimm Formen und Konstruktionsprinzipien
von Pflanzen als Vorbild für eigene
Entwürfe (Zeichnung, 3-D-Animation
oder Modell) in Architektur oder Design.
Beim „Vegetal Chair“ von Roman Erwan Bouroullec
für Vitra Design dienten diese Pflanzenformen
als Anregung.
Olafur Elisasson: „Model Room“ mit Objekten nach dem Vorbild Fullers
• Die Wissenschaft der Biomimetik (auch
Bionik genannt) hat das Ziel, Anregungen
der Natur zu nutzen und weiter zu
entwickeln. Recherchiere im Internet, wie
Funktionen der Natur für neue technische
Entwicklungen genutzt werden
• Erkläre am Beispiel des Dornbirner
Projekts „Eine Berggeschichte“ mit eigenen
Worten die Vorgehensweise Tue
Greenforts bei der Entwicklung seiner
Projekte (vgl. das Zitat Tue Greenforts).
8 9
Tue Greenfort im Gespräch:
Gedanken über die Kunst, die Natur, die Welt
Welche Bedeutung hat die Natur für Sie als Künstler?
Tue Greenfort: „Sie ist eine Idee, ein Begriff, zu dem ich immer wieder zurückkehre. Zunächst einmal ist da das
direkte, spontane und einfache Erleben der lebendigen Welt, die mich umgibt. Diese Erfahrung ändert meine Wahrnehmung
aller Faktoren im Leben und rückt meine Existenz in eine sehr demütige Perspektive. Wir sind Teil eines
größeren Plans. Mein Versuch der Wahrnehmung der gesamten Biosphäre beginnt mit dem Erleben der Natur in
ganz kleinem Maßstab und erstreckt sich dann nach außen. Ich glaube, dass wir uns bei nichts von dem, wovon wir
Notiz nehmen - ob es sich nun um einen Vogel handelt oder eine Pflanze – auch nur den geringsten Begriff davon
machen können, was es eigentlich bedeutet. Das ist die Natur.“ (Abdruck von Zitat aus Interview 2006, S. 65)
Was ist Ihr Anliegen?
Tue Greenfort: „Es geht darum, unsere Naturwahrnehmung zu hinterfragen. Schon wenn wir von Natur sprechen,
ist dies ein Ergebnis unserer Kultur und unserer Einstellungen. Wir sollten lernen, darüber nachzudenken. Auch
darüber, wie andere diesen Begriff der Natur für sich einsetzen: In der Werbung, in der Wirtschaft, in der Politik,
in der Wissenschaft“
(Tue Greenfort im Gespräch mit Martin Oswald, Sept. 2012)
Glauben Sie, dass Ihre Arbeit eine Wirkung hat, und ob Kunst im Allgemeinen eine politische oder soziale Auswirkung
haben kann. Und wenn dem nicht so ist, warum sind Sie bei der Kunst geblieben, statt Aktivist zu werden?
Der Künstler Tue Greenfort
T
ue Greenfort wurde 1973 im dänischen Holbaek geboren und
lebt in Berlin. Von 1997 bis 2000 studierte er an der Academy
of Fünen (Dänemark), danach wechselte er an die „Städelschule“,
die Staatliche Hochschule für Bildende Künste in Frankfurt am
Main (Deutschland), wo er im Jahr 2003 sein Studium abschloss.
Als Künstler interessieren ihn ökologische Themen wie der Umwelt-
und Artenschutz, der Klimawandel, die Verknappung der
Rohstoffe, unser Verhältnis zur Natur und besonders zur Tierwelt.
Tue Greenfort möchte Licht in die Auswirkungen menschlichen
Handelns bringen. Dabei überschreitet er oft Grenzen und beschäftigt
sich mit den unterschiedlichsten Fachgebieten wie Philosophie,
Technik, Biologie, Gesellschaftswissenschaften und Geschichte.
Stets setzt er sich in besonderer Weise mit dem Ort, an dem seine
künstlerischen Projekte stattfinden, auseinander. Dies geschieht
nicht selten auf eine humorvolle und hintersinnige Weise.
T
ue Greenfort ist weltweit auf vielen Ausstellungen vertreten,
so auch auf der „documenta13“ in Kassel (2012), die alle fünf
Jahre wichtige Positionen der internationalen zeitgenössischen
Kunst präsentiert.
Tue Greenfort: „Selbstverständlich hat Kunst eine Wirkung und ist Kunst wichtig. Die Wirkung mag nicht direkt
messbar sein, doch Kunst spielt zweifellos eine sehr wichtige Rolle in der Gesellschaft. (…) Lieber Aktivist werden
als Kunst schaffen? Ich sehe die Frage anders. Kunst ist in der Lage, tiefer in Diskurse einzugehen und diese zu öffnen,
ohne diesem oder jenem politischen Flügel zugeordnet zu werden“
Installation „Struktur & Organismus“, Wachau 2011.
Material: Beschriftete 10-Liter-Flasche mit 86-prozentigem
Alkohol, der aus Aprikosenschnaps der Region
Wachau gewonnen wurde. Außerdem Stahlringe, Metallschale
und diverse Kleinteile. Befestigt an einem
Obstbaum.
Tue Greenfort. 1 Kilo PET. 2007.
29 geschmolzene PET-Flaschen unterschiedlicher Größe
Die Produktion von 1 kg. PET benötigt 17,5 Kilo Wasser
und hat den Schadstoffausstoß von 40g Kohlenwasserstoff,
25g Schwefeloxid, 18g Kohlenmonoxid, 20g Dioxid
zur Folge. Die Herstellung der Flaschen erfordert ein Vielfaches
der Wassermenge, die je in diese abgefüllt wird.
(aus: Tue Greenfort, Medusa, Secession Wien 2007, S. 24)
Die Flasche trägt folgenden Text:
„Alkohol enthält nach Fett die meisten Kalorien.
1 Gramm Alkohol ist gleich 7 Kilokalorien.
Jeder Österreicher konsumiert durchschnittlich
22,4 Gramm (ca. 2,24 cl) reinen Alkohol am Tag,
das sind 156,8 Kilokalorien. Der Jahresverbrauch
liegt somit bei ca. 10 Liter Alkohol.
Laut der Food and Agriculture Organization of
the United Nations (FAO) leiden 925 Millionen
Menschen in der Welt an Hunger; sie bekommen
weniger Kalorien am Tag als nötig, um gesund zu
bleiben und eine normale Tätigkeit auszuüben.
Das Minimum an Nahrung umgerechnet in Kilokalorien
für einen Menschen pro Tag liegt bei
ca. 1800 Kilokalorien. In reinen Alkohol umgerechnet:
25,7cl.“
10 11
Ideen, Skizzen
KunstHeft
Konzept: Angelika Dünser
Ideensammlung für Kindergarten und Volksschule
Zur Verortung der Berggeschichte
G
rundsätzlich ist für den Künstler wichtig, die
Kuppel mit Leben zu füllen. Sie soll ein Ort für
Kommunikation sein.
E
s gibt keine inhaltlichen Vorgaben. Hier kann
über alle erhaltenen Impulse geredet, getanzt, geturnt,
gelesen, gerechnet, gebastelt, gemalt oder auch
musiziert werden. Es ist hier also möglich, jedes Thema
mit den Kindern zu verorten. Bauen Sie das „neue
Klassenzimmer“ in Ihre Unterrichtsplanung ein! Es
werden genügend Stühle vorhanden sein. Arbeitstische
können auch bereitgestellt werden.
I
n der Montagehalle steht eine Kuppel. Ökonomische
und ökologische Prinzipien kommen zusammen.
Bei beiden wurde rationalisiert: nämlich Arbeit
und Ressourcen. Beim Bau der Industriehalle bedachte
man Lichtverhältnisse und verkürzte Arbeitsprozesse,
beim Bau der Kuppel wurde die möglichst
schnellst zu errichtende und kostengünstigste Form
benutzt.
W
arum nun dieser Titel „Berggeschichte“? Die
Idee vom Ressourceneinsparen kam übers
Bergsteigen und Kennenlernen von Lebensweisen
der Bergvölker in unsere Kultur.
D
er Architekt Buckminster Fuller hatte mit der
Kuppel die Vision, eine Form zu finden, in
der eine Biosphäre möglich sein sollte. Ein Lebenskreislauf
bzw.eine kleine Welt, die in sich selbst abgeschlossen
funktioniert. Dies blieb allerdings eine
Vision.
12 13
Anregungen
Sachunterricht/Deutsch/Philosophie
• Bücher aus der Waldpädagogik:
Umgang und Verhalten mit/in der Natur/im Wald
• Unterlagen, die sich mit Umwelt beschäftigen:
Siehe dazu: Österreichisches Ökologie Institut(Hrsg):
Die Umweltchecker, Nachhaltigkeit für die 2. bis 6. Schulstufe.
Mit verschiedenen Links
www.umweltchecker.at
• „33 einfache Dinge, die du tun kannst, um die Welt zu retten“
von Andreas Schlumberger, ab 9 Jahren – früher bereits als Vorlesebuch
• Auf der Suche nach dem ökologischen Fußabdruck
Ein Kinderbuch (5-12 Jahre) von Michaela Hannig
• Gesprächrunden zum Thema Wandern/Bergsteigen/andere Völker:
eigene sinnliche Erfahrungen, Filme, Bergsteiger als Vorbilder, aufsatztechnische Übungen wie
Wortschatzsammlung, Gegensatzpaare finden, ...
• Bauen und Wohnen/Die Erde als begrenzter Raum:
Ein Haus wird gebaut: Berufe, Arbeitsvorgänge, Arbeitsmaterialien – Hinweis auf nachwachsende
und natürliche Baustoffe, verantwortungsvoller Umgang mit Grund und Boden, Heizen, aber wie?
• mit geschlossenen Augen hören:
Sich selbst (Herzklopfen), in unmittelbarer Nähe (Atmen des Nachbarn, Knacksen des Sessels,
Gespräche) weiter weg (Vorbeifahrendes Auto, Hupen, Klingeln), weit weg (Signalton eines
Einsatzfahrzeuges, Flugzeug) – und alles ist fast gleichzeitig
• Lieder zur Dreiecksform:
„Mein Hut der hat 3 Ecken“, zum Handwerk, zu Eskimos mit ihren Iglus, ...
• Mathematik:
Zuordnen von Dreieck – Viereck – Kreis, Tangram legen, mit dem Lineal Dreiecksformen
zeichnen, Malreihen von 3 bis 6 üben
Bildnerisches Gestalten
• zu Tue Greenforts „Conservation“ (Holzstück unter Glassturz):
Hier haust der Holzwurm ... Röhrchen - Blasarbeit mit mit brauner Tinte oder Wasserfarbe – ähnlich
einem Holzwurmfraß, Holzwurm Willi will groß und stark werden – Bleistift, Buntstift oder
Filzstift in braun/schwarz, auch als Collage: Fraßbild aus Internet verfremdet durch Filzstift
• zu Tue Greenforts „Where the people will go“:
Collage: Das Einkaufsregal aus dem Supermarkt ist fast leer. Füll es auf.
Nachbesprechung. Was davon brauchen wir unbedingt? Konsumverhalten reflektieren
• zu Tue Greenforts Kuppel:
Die Natur als Vorbild für Konstruktionen Mandalas mit Haupt- und Nebenverbindungen oder
Dreiecken ausmalen
Technisches Werken/Räumliche Erfahrung/Wechselwirkung Mensch – Architektur:
• Höhlenspiel:
a) Raum schaffen mit vorhandenen Gegenständen (Stühle, Tische, Tücher, Decken)
b) Bewohnen der Höhle unter verschiedenen Bedingungen: „Wo haltet du dich auf, wenn draußen
wie Sonne scheint?“ oder „Es ist Nacht und vor der Höhle ertönen unheimliche Geräusche?“
c) Reflexion und Anwendung auf das Wohnen: Aufenthaltsbereich, Grenzlinien Innen – Außen,
Abhängigkeit von Witterung und Gemütsverfassungen.
siehe dazu www.was-schafft-raum.at
• Zwei- und dreidimensionale Formen gestalten: Steckblumen, Schaschlikstäbe/Zahnstocher und
Wattekugeln, als Gemeinschaftsarbeit Zeitungspapier rollen und zu Kuppeln zusammenbauen,
mit Holzklötzen ein Iglu bauen
• Wiederverwertung von Abfallprodukten im Werkunterricht als zentrales Thema der Nutzung
unserer Ressourcen
Fotografie: Robert Fässler, Lauterach
14 15
KunstHeft
Arbeitsheft für Lehrer, Schüler und Eltern
zur Ausstellung von Tue Greenfort „Eine Berggeschichte“
14. September – 4. November 2012
Kunstraum Dornbirn
Ausstellung: Montagehalle, Jahngasse 9
Büro: Marktsstrasse 33, A-6850 Dornbirn
Tel 0043-(0)5572-55044, Fax 0043-(0)5572-55044-4838
kunstraum@dornbirn.at, www.kunstraumdornbirn.at
Text und Gesamtkonzept: Prof. Dr. Martin Oswald, Weingarten
Text und Konzept für Kindergärten und Volksschulen: Angelika Dünser, Dornbirn
Herausgeber: Kunstraum Dornbirn, Hans Dünser
Gestaltung: Bernhard Klien, Hohenems
Redaktion: Herta Pümpel
Inhaber der Bildrechte, die wir nicht ausfindig machen konnten, bitten wir, sich beim
Kunstraum Dornbirn zu melden. Berechtigte Ansprüche werden selbstverständlich
im Rahmen der üblichen Vereinbarungen abgegolten.
Alle Rechte vorbehalten
Printed in Austria
Mit freundlicher Unterstützung
Des Hauptsponsors des Kunstraum Dornbirn, der Dornbirner Sparkasse Bank AG.
Den Subventionsgebern: Stadt Dornbirn, Land Vorarlberg und Republik Österreich – bm:ukk, Kunstsektion