AUGUST/SEPTEMBER
BerlinValley-August-September-2016
BerlinValley-August-September-2016
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BIOPRINTING<br />
BIOPRINTING<br />
sagt Tran-Mai. Sein Ziel sei es, das Verfahren<br />
in der Medizin für Implantate oder Prothesen zu<br />
etablieren. Das Startup finanziert sich derzeit durch<br />
den Verkauf der speziellen Kunststofffasern und zugehöriger<br />
Drucker. Es bietet aber auch Beratungen<br />
und Trainings an. „Bereits im ersten operativen Geschäftsjahr<br />
konnten wir einen sechsstelligen Umsatz<br />
erzielen“, sagt Tran-Mai. Zurzeit werde mit potenziellen<br />
Investoren verhandelt.<br />
Kürzlich wurde Indmatec als bestes Startup<br />
Baden-Württembergs ausgezeichnet. Bei der Veranstaltung<br />
des Netzwerks für Beteiligungskapital VC-<br />
BW dürfte eine hübsche Summe zusammengekommen<br />
sein: Mindestens 300 .000 Euro und bis zu drei<br />
Millionen Euro konnten die Teilnehmer einwerben.<br />
Die genauen Deals wurden diskret verhandelt.<br />
AUGEN<br />
Forscher im britischen Cambridge haben<br />
lebende Netzhautzellen gedruckt. Sie<br />
sind überzeugt, damit irgendwann Blinde<br />
heilen zu können.<br />
KÖRPERTEILE ÜBERSCHRIFT AUS DEM DRUCKER<br />
SCHÄDEL<br />
Neurochirurgen aus Utrecht haben<br />
bereits eine künstlich erzeugte<br />
Schädeldecke verpflanzt.<br />
OHREN<br />
In Princeton haben Forscher<br />
ein bionisches Ohr erzeugt,<br />
das Radiowellen hören kann.<br />
„IN FÜNF<br />
JAHREN<br />
STEHEN<br />
3D-DRUCKER<br />
IN ALLEN<br />
GROSSEN<br />
FIRMEN“<br />
LEBER<br />
Die US-Firma Organovo<br />
druckt funktionsfähige<br />
Leberzellen. Sie werden<br />
der Pharmaindustrie für<br />
die Forschung verkauft.<br />
KNOCHEN<br />
Forscher der Universität<br />
Freiburg arbeiten<br />
daran, Knochen zu<br />
drucken, die eigene<br />
Blutgefäße enthalten.<br />
International gefragt: Durch die Knochen fühlen sich die Silikonprothesen von Stamos + Braun wie echt an.<br />
MARCEL PFÜTZNER, MMM<br />
Aus dem Drucker kommen menschliche Knochen,<br />
Muskeln und Organe. Sie sehen aus wie echt, sie<br />
fühlen sich echt an. Mitten in einem historischen<br />
Backsteinbau vor den Toren Berlins findet gerade die<br />
Zukunft statt. Das Startup Medizinische Modellbau<br />
Manufaktur, kurz MMM, stellt lebensechte Kopien<br />
von Organen her – mit einem 3D-Drucker. Neulich<br />
haben sie hier das Herz einer 86-jährigen Frau<br />
nachgedruckt. Die Patientin konnte kaum atmen oder<br />
laufen, weil ihre Herzklappe sich verengt hatte. Die<br />
Ärzte planten eine Aortenklappenprothese – eine<br />
heikle Operation in diesem Alter. Also ließen sie das<br />
Herz der Frau originalgetreu nachdrucken und übten<br />
daran in einer Probeoperation präzise jeden Handgriff.<br />
Anhand des Herzens aus dem Drucker konnten<br />
sie auch die exakt passende Prothese für die alte<br />
Dame anfertigen. Das ist eine Revolution der Medizintechnik<br />
– und Marcel Pfützner ist mittendrin.<br />
Pfützner hat das Startup MMM 2014 zusammen<br />
mit seiner Frau gegründet. „In fünf Jahren werden<br />
3D-Drucker in allen großen Unternehmen und<br />
Krankenhäusern stehen“, sagt er im Magazin der<br />
Deutschen Bank. Wenn es nach ihm geht, soll die<br />
modellgestützte Operationsplanung schon 2020<br />
aus keiner Klinik mehr wegzudenken sein. Sein<br />
Startup hat sich vorwiegend auf Ärzte spezialisiert,<br />
die anhand der 3D-Modelle ihre Eingriffe planen<br />
und individualisieren. Von der Übermittlung der<br />
Patientendaten bis zum fertigen Modell dauert es<br />
rund 72 Stunden. Auch Jungmediziner können anhand<br />
der lebensechten Organe geschult werden.<br />
Die Pfützners haben dafür im vergangenen Jahr<br />
26 / berlinvalley.com<br />
DER GEDRUCKTE MENSCH<br />
Organe aus dem 3D-Drucker sind die Zukunft der modernen Medizin.<br />
Auch deutsche Startups gehen unter die Bioprinter<br />
den Businessplan-Wettbewerb der Berliner Sparkasse<br />
gewonnen und den Bundeswettbewerb „Ausgezeichneter<br />
Ort im Land der Ideen“. Die Finanzierung<br />
stellten sie zusammen mit der Deutschen Bank<br />
auf die Beine und nutzten dafür auch öffentliche<br />
Mittel wie den Gründerkredit „Startgeld“ der Förderbank<br />
KfW. Nun gehören schon Kliniken in ganz<br />
Deutschland zu den Kunden. Trotzdem ist Pfützner<br />
viel unterwegs, um sein Angebot bei Chefärzten<br />
und Ausbildern vorzustellen. „Es ist eine immense<br />
Arbeit, Interesse an einem Produkt zu wecken, dass<br />
es bis dato nicht gegeben hat“, sagt er der Plattform<br />
Medizintechnologie.de.<br />
DAS ALTER BESIEGEN<br />
Ärzte und Forscher träumen von einer wahren<br />
Revolution der Medizin: lebensfähiges Gewebe<br />
aus dem Drucker. Allein in Deutschland warten<br />
10.000 Menschen auf eine Organtransplan tation.<br />
3D-Drucker könnten das Problem beheben. Das<br />
Anwendungsfeld ist riesig. Chirurgen könnten<br />
Patienten nach schweren Unfällen das Gesicht rekonstruieren,<br />
verletzte Beine würden nachgedruckt,<br />
verschlissene Knie mit neuen Knorpeln versehen.<br />
Sogar das Alter ließe sich besiegen – indem altes<br />
Gewebe einfach ersetzt wird. Noch steckt das sogenannte<br />
Bioprinting in den Kinderschuhen, aber<br />
es ist schon Erstaunliches möglich.<br />
Forscher der Universität Princeton haben ein Ohr<br />
gedruckt, das Frequenzen wahrnimmt, die normalerweise<br />
unhörbar sind. Das US-amerikanische<br />
Unternehmen Organovo wiederum druckt Gewebe<br />
für die medizinische Forschung, um Tierversuche<br />
überflüssig zu machen. Auch eine Mini-Niere kam<br />
schon aus dem Drucker. Sie überlebte fünf Tage<br />
außerhalb des Labors. An der Harvard University<br />
ist es gelungen, Gewebe zu drucken, das sechs<br />
Wochen überlebte. Möglich war das durch eine<br />
spezielle Biotinte bestehend aus Enzymen, Gelatine,<br />
Zellen und Wachstumsfaktoren.<br />
Noch ist eine Anwendung am Menschen nicht möglich,<br />
aber überall auf der Welt entwickeln Forscher<br />
und Unternehmen Produkte, die im wahrsten Sinne<br />
des Wortes beeindruckend sind. Auch in Deutschland,<br />
wie die Beispiele aus Berlin, Karlsruhe und<br />
Dresden zeigen.<br />
KEIN METALL MEHR IM KÖRPER<br />
In Karlsruhe gibt es seit zwei Jahren das Startup<br />
Indmatec. Sein Mitgründer Tony Tran-Mai sagt:<br />
„Auch wenn es sehr viel Zuspruch von allen Seiten<br />
gibt, gehen viele doch vorsichtig an diese recht<br />
neue Technologie heran.“ Das Unternehmen hat<br />
den thermoplastischen Kunststoff Peek entwickelt,<br />
der mittels Schmelzschichtung, der sogenannten<br />
FFF-Technologie, gedruckt werden kann. Peek soll<br />
eine Alternative zu Metall sein, leicht wie Aluminium,<br />
aber sehr belastbar. Geeignet unter anderem als<br />
Zahnersatz oder als Werkstoff in der Chirurgie.<br />
Denn viele Patienten, die etwa Titan in den Körper<br />
geschraubt bekommen, damit schwere Brüche heilen,<br />
reagieren allergisch auf das Metall. „Wir sind<br />
das erste Unternehmen weltweit, das Peek mit der<br />
FFF-Technologie professionell verarbeiten kann“,<br />
Fotos: matthiaspopp.com, MMM Medizinische Modellbau Manufaktur GmbH<br />
GEFÜHLSECHTE SKELETTHAND<br />
Das Dresdner Startup Stamos + Braun Prothesenwerk<br />
hat sich bewusst gegen Investoren entschieden,<br />
um unabhängig zu sein. Das Unternehmen<br />
finanziert sich aus dem Cashflow, den es durch<br />
seine Kunden aus aller Welt generiert. Die lebensechten<br />
Prothesen sind international gefragt –<br />
die Kunden kommen aus Saudi-Arabien, Katar,<br />
Kuwait. Kurz nach der Gründung im Jahr 2014 haben<br />
Stamos + Braun den Fokus auf den 3D-Druck<br />
gelegt und kooperierten dafür mit der Technischen<br />
Universität Dresden.<br />
Als weltweit erstem Unternehmen ist es ihnen gelungen,<br />
medizinische Silikone zu drucken. „Die<br />
Prothesen aus dem 3D-Drucker wiegen bis zu 50<br />
Prozent weniger. Für einen Prothesenträger sind<br />
HAUT<br />
In Hannover werden<br />
münzgroße Hautstücke<br />
gedruckt. Mäusen<br />
wurden sie erfolgreich<br />
transplantiert.<br />
Testkörper: realitätsnahe Patientennachbildung eines Herzens und eines Brustkorbs, um die Implantation einer Aortenklappe zu üben<br />
das Welten“, sagt Mitgründer Alex Stamos. Künstliche<br />
Füße, Finger oder Hände werden mitsamt integrierten<br />
Knochenstrukturen gedruckt. „Durch die<br />
Knochen fühlt es sich extrem echt an, wenn man die<br />
Hand gibt“, sagt Stamos.<br />
Derzeit laufen Testdrucke, Patienten tragen die ersten<br />
komplett gedruckten Vorfußprothesen Probe.<br />
Ende des Jahres wollen Stamos + Braun einen eigenen<br />
Silikon-3D-Drucker auf den Markt bringen.<br />
„Wir wollen zeigen, dass nicht nur die Big Player<br />
in dem Bereich mitmischen können, sondern auch<br />
kleine innovative Betriebe“, sagt Stamos. Das<br />
israelische Verteidigungsministerium habe bereits<br />
Interesse angemeldet.<br />
Jenny Becker<br />
berlinvalley.com / 27