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Geschlechtsdifferenzierung und ihre Abweichungen - oapen

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Strafrechtliche Sanktionierung sexueller <strong>Abweichungen</strong><br />

nicht etwa deshalb bestraft, weil er ein Exhibitionist ist. Begründen lässt sich die<br />

Strafbarkeit exhibitionistischer Handlungen vielmehr nur dann, wenn man eine<br />

Beeinträchtigung der sexuellen Selbstbestimmung betroffener Personen schildern<br />

kann. Dies ist möglich, obwohl exhibitionistische Handlungen oft Distanzdelikte,<br />

d.h. Delikte ohne körperliche Berührung, sind. Die Erfüllung des Tatbestandes<br />

setzt jedoch voraus, dass es dem Täter gerade auf die Interaktion mit einer anderen<br />

Person ankommt: Er muss einer anderen unwilligen Person die Zuschauerrolle<br />

zuweisen 11 (unvorsichtige Masturbation ohne gewollte Einbeziehung eines Zuschauers<br />

ist keine exhibitionistische Handlung).<br />

Aus der Perspektive des Strafrechts wird die Frage nach einer sexuellen Abweichung<br />

nur dann relevant, wenn die Schuld des Täters zu prüfen ist. Strafurteile<br />

setzen ein zweistufiges Bewertungsverfahren voraus: Nachdem festgestellt wurde,<br />

dass eine rechtswidrige Handlung vorliegt, <strong>und</strong> auch, wie gewichtig das Unwerturteil<br />

ausfällt, bedarf es in einem zweiten Schritt noch der Überlegungen zur individuellen<br />

Verantwortlichkeit des Täters. 12 Dabei spielt der Aspekt „Schuld“ die Rolle<br />

eines Filters oder Siebes: Bei ungeminderter Schuld bemisst sich die Höhe der<br />

verhängten Strafe nach dem Unrecht. 13 Das Unrecht ist die Basis der Strafzumessung.<br />

Wenn die im zweiten Schritt vorzunehmende Schuldprüfung ergibt, dass das<br />

Unrecht überhaupt nicht vom Täter individuell zu verantworten ist, oder dass ein<br />

Schuldminderungsgr<strong>und</strong> vorliegt, bemisst sich die Strafe nicht mehr oder nur noch<br />

teilweise nach dem verwirklichten Unrecht. An dieser Stelle kann es auf empirisch zu<br />

ermittelnde Hintergründe ankommen. Zur Beurteilung solcher Konstellationen ist<br />

der Richter auf die Auskünfte von Sachverständigen angewiesen. Auch insoweit ist<br />

allerdings der gesetzlich festgelegte Anknüpfungspunkt nicht der Begriff „sexuelle<br />

Abweichung“. Entscheidend ist vielmehr der Wortlaut der §§ 20, 21 StGB, der<br />

Regelungen zu Schuldunfähigkeit bzw. geminderter Schuldfähigkeit enthält. Maßgeblich<br />

ist, ob der Täter wegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig<br />

war, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln bzw. ob<br />

seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert war. Täterbezogene<br />

sexuelle <strong>Abweichungen</strong> sind also nur dann <strong>und</strong> nur insoweit von Interesse, wenn<br />

diese unter den Begriff der „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ gefasst werden<br />

können <strong>und</strong> wenn sie die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit erheblich vermindern.<br />

Ich komme zu folgendem Ergebnis: Die Formulierung „sexuell abweichend“<br />

sollte besser vermieden werden. Es besteht nämlich die Gefahr, dass hinter dem<br />

vermeintlich neutralen Begriff der „Abweichung“ Überlegungen ins Spiel kommen,<br />

die in ein überholtes, nicht mehr zeitgemäßes Strafrechtskonzept gehören. Dass<br />

sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts die Erkenntnis verbreitet hat, dass<br />

11 Sick/Renzikowski (Fn. 10), S. 613; Laufhütte/Roggenbuck (Fn. 5), § 183 Rn. 2; Hörnle (Fn. 5), § 183<br />

Rn. 2.<br />

12 S. zum allgemeinen Aufbau von Delikten Roxin (Fn. 4), § 7 Rn. 64 ff.<br />

13 Horn, in: Systematischer Kommentar zum StGB (SK), § 46 Rn. 41 (Stand: Januar 2001).<br />

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