Colditzer Anzeiger_Ausgabe 06_September 2016_ für Web
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
GESCHICHTLICHES<br />
100 Jahre HELMUT DRECHSLER<br />
Kleine Welt am Wegesrand<br />
Helmut Drechsler, der mit dem Buch<br />
„Kleine Welt am Wegesrand“ aus dem<br />
F. A. Brockhaus Verlag Leipzig 1948 zum<br />
ersten Mal an eine große Öffentlichkeit<br />
tritt, wird in einem Geleitwort des<br />
Kustos des Zoologischen Museums der<br />
Universität Berlin, Professor Dr. Willy<br />
Ramm (1887-1953), als „tiefempfindender<br />
Tierfreund bezeichnet, der „als Mensch<br />
mit offenen Augen und Sinnen… und<br />
mit künstlerischem Geschmack“ handelt.<br />
Es ergeht an den Leser der Appell, Sehen<br />
zu lernen, um die Fülle des ästhetisch<br />
Schönen und Wunderbaren zu ahnen,<br />
sich an die Kindheit zu erinnern, trotz<br />
moderner Technik und schnelllebiger Zeit<br />
nicht stumpf zu werden, sondern sich zu erfreuen an den Schönheiten der<br />
sogenannten kleinen Welt, die voll Farbe, Klang und heißem Leben ist.<br />
Mit zauberhaften Farbbildern unterstreicht Helmut Drechsler sein<br />
inniges Verhältnis zur Natur, und die Art der Bebilderung des Buches,<br />
das organische „Hinüberschwimmen“ der Fotos in den Text, ist seine<br />
eigene Erfindung, die ihm von Anfang an gesetzlich geschützt wird. Diese<br />
neuartige Illustrationsmethode hat Helmut Drechsler „in langwierigen<br />
Versuchen noch während des Krieges“ entwickelt, so schreibt er in<br />
seinem Lebenslauf vom 10. Januar 1954. Und dennoch, kein Werk<br />
Helmut Drechslers hat eine so lange und kryptische Vorgeschichte wie<br />
dieses Buch.<br />
Bachtal<br />
Im Kohlbachtal, in unmittelbarer Nähe seiner Heimatstadt Colditz, dort,<br />
wo der Wind durch den Langeloh streicht und der Kiwittquell am Hang<br />
aus dem Boden bricht, beobachtet und fotografiert Helmut Drechsler<br />
die Kleintierwelt: Auf der Wiese und am Rain die bunten Falter und<br />
Käfer, die scheuen oder getarnten Grillen und Heuschrecken, am Teich<br />
die schillernden Libellen und flinken Eidechsen, im Wald die Ameisen<br />
und Pilze. Helmut Drechsler bedient sich einer poetischen, bildhaften<br />
Sprache. Seine Erzählung vom Fliegenpilz nimmt fast märchenhafte<br />
Züge an. In reizvollen Schilderungen erfasst er die Lebensweise der<br />
Grillen. Und seine Begegnung mit den Zauneidechsen wird zu einem<br />
ganz intimen Erlebnis.<br />
Tagpfauenauge (Vanessa io) auf Blutweiderich<br />
Fliegenpilze (Amanita muscaria)<br />
Schon in der „Beilage zum <strong>Colditzer</strong> Tageblatt“, <strong>Ausgabe</strong> Nr. 250,<br />
vom 24./25. Oktober 1942 ist nachzulesen, dass das Farbbildbuch<br />
„Kleine Welt am Wegesrand… kurz vor dem Kriege einen großen<br />
Erfolg errang“. Das muss also vor <strong>September</strong> 1939 gewesen sein. Außer<br />
diesem Hinweis konnte ich da<strong>für</strong> leider keine Belege ausfindig machen.<br />
Wohl aber ist der Radebeuler Ornithologe Bernd Voigtländer im Besitz<br />
eines Exemplars der „Kleinen Welt am Wegesrand“, das 1946 in der ein<br />
Jahr zuvor von Helmut Drechsler gegründeten <strong>Colditzer</strong> Verlagsanstalt<br />
erschienen ist. In diesem Buch steht der Vermerk: „Satz und Druck<br />
des 1. Handpressen-Exemplars: Herbert Drechsler“. Helmut Drechslers<br />
Bruder dürfte zu der Zeit noch in der <strong>Colditzer</strong>-Tageblatt-Druckerei von<br />
Guido Geißler am Sophienplatz beschäftigt gewesen sein und auch dort<br />
das „Handpressen-Exemplar“ hergestellt haben. Ob es weitere Bücher<br />
davon gegeben hat, kann zurzeit nicht geklärt werden.<br />
Zum Buchtitel selbst muss ich anmerken, dass dieser nicht aus der<br />
Feder unseres <strong>Colditzer</strong> Schriftstellers stammt. In Erwin Strittmatters<br />
(1912-1994) zweiten Teil des Romans „Der Laden“ kann man auf<br />
Seite 166 lesen: „…ich kaufe mir <strong>für</strong> das ersparte Barbiergeld zwei<br />
Nummern aus der Miniatur-Bibliothek: Kleine Welt am Wegesrand<br />
und Wie richte ich meinen Hund ab…“ Hierbei beziehe ich mich auf<br />
die 1987 im Aufbau-Verlag erschienene Auflage „Der Laden“. Diese<br />
„Kleine Welt…“ ist im Verlag <strong>für</strong> Kunst und Wissenschaft von Albert<br />
3