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Kulturgut Kirsch «Wir existieren noch und das ist bereits ein Erfolg

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<strong>Kulturgut</strong> <strong>Kirsch</strong><br />

<strong>«Wir</strong> <strong>ex<strong>ist</strong>ieren</strong> <strong>noch</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>das</strong> <strong>ist</strong> <strong>bereits</strong> <strong>ein</strong> <strong>Erfolg</strong>» <strong>Erfolg</strong><br />

Das sagt Lorenz Humbel, der Spezialitätenbrenner aus dem aargauischen<br />

Stetten zur aktuellen Situation auf dem Schweizer <strong>Kirsch</strong>markt. Denn der<br />

Kreis der <strong>Kirsch</strong>brenner wird immer kl<strong>ein</strong>er. Mit dem kürzlich gegründeten<br />

«Ver<strong>ein</strong> Schweizer Brenzer <strong>Kirsch</strong>» wollen Lorenz Humbel, Hermann Röllin,<br />

die Arnold Dettling AG <strong>und</strong> die Etter Söhne AG mit der Unterstützung von Slow<br />

Food <strong>das</strong> <strong>Kulturgut</strong> Schweizer <strong>Kirsch</strong> <strong>und</strong> die Hochstammlandschaften retten.<br />

Es <strong>ist</strong> ganz <strong>ein</strong>fach. Wer alte Sorten<br />

<strong>und</strong> handwerkliche Zubereitungen<br />

erhalten will, muss diese<br />

konsumieren. Denn nur gefragte Spezialitäten<br />

werden auch produziert. So<br />

lautet <strong>ein</strong> Teil der Philosophie von Slow<br />

Food, dem internationalen Ver<strong>ein</strong> zur<br />

Förderung der Geschmacksvielfalt. Das<br />

Beispiel «Traditioneller Schweizer Brenzer<br />

<strong>Kirsch</strong>» zeigt, wie genussreich Marktwirtschaft<br />

s<strong>ein</strong> kann. <strong>Kirsch</strong> aus schwarzen<br />

Süsskirschen von Hochstammbäumen<br />

hat, abgesehen vom Schwarzwald,<br />

in k<strong>ein</strong>er anderen Gegend <strong>ein</strong>e so grosse<br />

Tradition wie bei uns.<br />

Auf die Erfindung des <strong>Kirsch</strong>s dürfen<br />

die Schweizer ebenso stolz s<strong>ein</strong> wie<br />

die Schotten auf ihren Whisky.<br />

Ein Blick in die Geschichte: <strong>Kirsch</strong>en<br />

stammen ursprünglich aus der Region<br />

von Kerasus in der Türkei. Auch die<br />

Technik des Destillierens gelangte aus<br />

dem Osten nach Europa, wo erste trinkbare<br />

Schnäpse entstanden. Destilliert<br />

wurde der reichlich vorhandene W<strong>ein</strong>.<br />

Früchte waren knapp, gaben viel Arbeit<br />

<strong>und</strong> wenig Ausbeute. Erst mit der Technologisierung<br />

im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert nahm<br />

die Experimentierfreudigkeit mit Früchten<br />

zu. In diese Zeit fallen auch die ersten<br />

<strong>Kirsch</strong>brände. Endlich gab es <strong>ein</strong>e<br />

Alternative zu Tresterschnäpsen <strong>und</strong><br />

W<strong>ein</strong>bränden. Der <strong>Erfolg</strong> liess nicht lange<br />

auf sich warten. Es wurde destilliert,<br />

was die Brennhäfen hergaben. Mit den<br />

rustikalen scharfen Schnäpsen liess sich<br />

gutes Geld verdienen. Die Kehrseite der<br />

Medaille: <strong>Kirsch</strong> wurde massenhaft mit<br />

Zucker <strong>und</strong> Sprit gepanscht. Das führte<br />

so weit, <strong>das</strong>s der Staat nach dem<br />

Zweiten Weltkrieg <strong>ein</strong>greifen musste,<br />

die <strong>Kirsch</strong>produktion streng überwachte<br />

<strong>und</strong> dem <strong>Kirsch</strong>, als <strong>ein</strong>zigem Lebensmittel,<br />

<strong>ein</strong> Echtheitszeichen aufzwang.<br />

Der Boom hielt an. In den 1980er-<br />

Jahren hatten die Brenner Mühe, genügend<br />

Früchte zu bekommen. Als Folge<br />

importierten zahlreiche Brenner günstige<br />

<strong>Kirsch</strong>en aus Südosteuropa. Auf Tradition<br />

besonnen, gründete im Jahr 1993<br />

<strong>ein</strong> gutes Dutzend <strong>Kirsch</strong>brenner die<br />

Interessengem<strong>ein</strong>schaft «Schweizer<br />

<strong>Kirsch</strong> aus Schweizer <strong>Kirsch</strong>en». Das<br />

«IG <strong>Kirsch</strong>»-Logo wird seit 2006 mit<br />

dem Herkunftszeichen «Suisse Garantie»<br />

ergänzt.<br />

1999 erfolgte die Liberalisierung des<br />

Marktes. Schutzzölle auf Spirituosen fielen<br />

<strong>und</strong> der Import von preisgünstigen<br />

Wodka <strong>und</strong> Whisky brachte den traditionellen<br />

Schweizer <strong>Kirsch</strong> an den Rand<br />

des Kollapses. Der Konsum des <strong>ein</strong>st<br />

beliebten Destillats ging um zwei Drittel<br />

zurück. Vom verbliebenen Drittel werden<br />

60 Prozent in Form von <strong>Kirsch</strong>stängeli,<br />

<strong>Kirsch</strong>torten, Basler Läckerli oder Fondue<br />

gegessen. Das Schweizer <strong>Kulturgut</strong><br />

<strong>Kirsch</strong> <strong>ist</strong> akut bedroht. Und mit dem<br />

Schweizer <strong>Kirsch</strong> verschwinden auch<br />

Hochstammbäume. Die Bäume sind aufwändig in der Pflege. Doch ihre mächtigen<br />

Kronen prägen <strong>das</strong> Landschaftsbild.<br />

15


die Hochstammkirschbäume. Bereits<br />

die Hälfte <strong>ist</strong> in den letzten zehn Jahren<br />

der Motorsäge zum Opfer gefallen. Heute<br />

sind Hochstammbäume durch Subventionen<br />

geschützt. Denn sie bieten<br />

vielfältige ökologische Nischen, unter<br />

anderem auch N<strong>ist</strong>plätze für<br />

Vögel.<br />

Lorenz Humbel, Gründungsmitglied<br />

des Ver<strong>ein</strong>s «Traditioneller<br />

Schweizer Brenzer <strong>Kirsch</strong>»,<br />

sagt: «<strong>Kirsch</strong>brennen <strong>und</strong> W<strong>ein</strong>bau<br />

haben sehr vieles gem<strong>ein</strong>sam.<br />

Hochstammbäume<br />

sind wie alte Reben.<br />

Ihre Früchte enthalten viel<br />

mehr Aromastoffe als<br />

diejenigen junger Niederstammanlagen.<br />

Und<br />

wie bei Trauben <strong>ist</strong> es<br />

wichtig, <strong>das</strong>s <strong>Kirsch</strong>en<br />

sofort nach der Lese<br />

verarbeitet werden.»<br />

Lorenz Humbel, <strong>Kirsch</strong>brenner<br />

aus Leidenschaft,<br />

wurde durch die<br />

Lektüre des Buches<br />

«Die <strong>Kirsch</strong>ensorten<br />

der deutschen Schweiz» elektrisiert. In<br />

diesem Werk aus dem Jahr 1937 beschreibt<br />

der damalige Direktor der Forschungsanstalt<br />

Wädenswil, Dr. Fritz Kobelt,<br />

800 unterschiedliche, in der<br />

Brenzer <strong>Kirsch</strong>. Bauern erhalten für ihre<br />

<strong>Kirsch</strong>en <strong>ein</strong>en ex<strong>ist</strong>enzsichernden Preis.<br />

Schweiz kultivierte <strong>Kirsch</strong>sorten. Humbel<br />

begann den Geschmack h<strong>und</strong>erter<br />

unterschiedlicher Sorten zu ergründen.<br />

Das Resultat dieser Forschungsarbeit<br />

lässt sich degustieren: Hemmiker <strong>Kirsch</strong>,<br />

Basler Langstieler, Ämli Sauerkirsch,<br />

Schattenmorelle, Rote Lauber, Seppetoni,<br />

Lampnästler oder Weisser Trauben-<strong>Kirsch</strong><br />

sind die Namen. Während<br />

traditionelle «Chriesiwasser» – Zuger<br />

oder Fricktaler <strong>Kirsch</strong> – zu k<strong>ein</strong>em Fondue<br />

fehlen dürfen, geniesst man sortenr<strong>ein</strong>en<br />

<strong>Kirsch</strong> als Digestif nach <strong>ein</strong>em<br />

f<strong>ein</strong>en Essen. Dass <strong>Kirsch</strong> sogar <strong>ein</strong>em<br />

Cognac die Show stehlen kann, bewe<strong>ist</strong><br />

die Cuvée<br />

Lorenz Humbel:<br />

«Es <strong>ist</strong> faszinierend<br />

zu verfolgen,<br />

wie <strong>das</strong> Destillat<br />

durch die <strong>Kirsch</strong>envielfalt<br />

<strong>und</strong><br />

die Reifung im<br />

Fass be<strong>ein</strong>flusst<br />

wird», sagt der<br />

Produzent. Die<br />

erste Cuvée trug<br />

die Nummer K66.<br />

Heute <strong>ist</strong> die K147 im Verkauf. Die Nummer<br />

steht für die Anzahl der für die Cuvée<br />

verwendeten <strong>Kirsch</strong>sorten. Auch<br />

wenn Schweizer <strong>Kirsch</strong> auf Spirituosenwagen<br />

im Schatten internationaler<br />

Marken steht, zu verstecken braucht er<br />

sich nicht.<br />

«Den Tour<strong>ist</strong>en k<strong>ein</strong>en <strong>Kirsch</strong><br />

anzubieten, <strong>ist</strong>, wie wenn Italiener<br />

k<strong>ein</strong>e Grappa ausschenken würden.»<br />

Das sagt Bernadette Galliker vom<br />

Schweizerischen Obstverband, der die<br />

Interessen der Schweizer <strong>Kirsch</strong>produzenten<br />

vertritt, <strong>und</strong> m<strong>ein</strong>t damit inländische<br />

<strong>und</strong> ausländische Tour<strong>ist</strong>en.<br />

Lorenz Humbel empfiehlt in s<strong>ein</strong>er<br />

«Einführung zum Schnapsverkauf in der<br />

Gastronomie», besondere Brände auszuwählen,<br />

dem Gast die Etiketten zu<br />

zeigen, grosszügig über den Strich <strong>ein</strong>zuschenken<br />

oder gar <strong>ein</strong> «Versüecherli»<br />

anzubieten. «Die Warenkosten für<br />

<strong>ein</strong>en traditionellen <strong>Kirsch</strong> sind mit 50<br />

Rappen pro Portion etwa gleich hoch<br />

wie für <strong>ein</strong>en Kaffee. Selbst <strong>ein</strong> Spitzenprodukt<br />

kann mit guter Marge unter<br />

zehn Franken angeboten werden. Geschickte<br />

Verkäufer halten ihre Gäste fit,<br />

so<strong>das</strong>s <strong>ein</strong> Digestif am Schluss nicht<br />

zur Belastungsprobe wird.»<br />

gabriel.tinguely@gastronews.ch<br />

www.humbel.ch/www.dettling.ch<br />

www.etter-d<strong>ist</strong>illerie.ch/www.kirsch.ch<br />

Hermann Röllin, Baar, Tel. 041 761 11 59<br />

www.slowfood.ch<br />

Destillation. 100 Kilo <strong>Kirsch</strong>en ergeben 10 bis 15 Liter 40-prozentigen <strong>Kirsch</strong>.<br />

Lorenz Humbel prüft die Aromen: «2009 war <strong>ein</strong> gutes <strong>Kirsch</strong>jahr.»<br />

16 Food & Beverage 4/2009<br />

Spezielle Destillate gibt es in allen Regionen<br />

Damassine aus dem Jura: «Damassine» <strong>ist</strong> <strong>ein</strong><br />

Obstbrand aus kl<strong>ein</strong>en roten Pflaumen. Diese<br />

stammen ursprünglich aus der Region Damaskus<br />

in Syrien. In der Schweiz werden «Damassine»-Pflaumen<br />

seit dem 16. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

am Südufer des Bielersees <strong>und</strong> im Kanton Jura<br />

kultiviert. Damassinen werden heute vor allem<br />

zu Edelbrand verarbeitet. Die Destillate<br />

schmecken nach wilden Pflaumen, mit <strong>ein</strong>em<br />

Hauch Bittermandel <strong>und</strong> Trockengras.<br />

www.damascino.ch / www.damassine.org<br />

Nocino aus der Südschweiz: Nocino <strong>ist</strong> der neuzeitliche<br />

Name für «Ratafià», der im ganzen<br />

südlichen Alpenbogen hergestellt wird. Das<br />

original Tessiner Rezept haben Kappuzinermönche<br />

um 1535 aufgeschrieben: In der<br />

Nacht auf San Giovanni (24. Juni) sollen die<br />

<strong>noch</strong> grünen Nüsse geerntet, mit Zimt, Vanille,<br />

Gewürznelken, Kaffeebohnen, Zitronenschale<br />

<strong>und</strong> Zucker in Grappa <strong>ein</strong>gelegt werden.<br />

Nocino wird pur genossen oder zum Kochen<br />

verwendet.<br />

www.agriloro.ch / www.kulinarischeserbe.ch<br />

Röteli aus dem Bündnerland: Gedörrte <strong>Kirsch</strong>en,<br />

W<strong>ein</strong>brand <strong>und</strong> Gewürze sind die Zutaten für<br />

den Bündner Röteli. Rezepte zu dessen Herstellung<br />

gibt es ebenso viele wie für die Zubereitung<br />

von «Capuns». Und davon hat bekanntlich<br />

jede Familie (Hausfrau) <strong>das</strong> beste!<br />

Röteli wird vor allem in den Wintermonaten getrunken.<br />

Zahlreiche Wirte servieren ihren Gästen<br />

Röteli zusammen mit den besten Wünschen<br />

zum neuen Jahr.<br />

www.kunz-keller.ch / www.kulinarischeserbe.ch<br />

Génépi aus dem Wallis: Die weisse Génépi <strong>ist</strong><br />

<strong>ein</strong>e Alpenpflanze. Sie gehört zu <strong>ein</strong>er Gewürz-<br />

<strong>und</strong> Heilpflanzenfamilie (Artemisia) <strong>und</strong><br />

<strong>ist</strong> mit Beifuss, Estragon <strong>und</strong> Wermut die<br />

Gr<strong>und</strong>lage für Absinth. Für <strong>das</strong> Destillat werden<br />

die Pflanzen geerntet, getrocknet <strong>und</strong> in<br />

Chasselas <strong>ein</strong>gelegt. Zwei Destillationsdurchläufe<br />

verleihen dem Génépi Kraft <strong>und</strong> <strong>ein</strong>en<br />

leicht bitteren Geschmack. Génépi gibt es<br />

auch als Likör mit 25 Prozent Alkohol.<br />

www.rostal.ch<br />

Beachten Sie auch den Beitrag auf Seite 18.<br />

Echtes<br />

Irish Beef<br />

von Donald Russell<br />

High Quality Beef von Donald Russell stammt aus speziell<br />

tierfre<strong>und</strong>licher Aufzucht mit natürlicher Fütterung.<br />

Nach der Schlachtung wird aufgr<strong>und</strong> von Optimalgewicht,<br />

Marmorierung <strong>und</strong> Fettgehalt rigoros selektioniert.<br />

Das Fleisch wird traditionell am K<strong>noch</strong>en gereift,<br />

behutsam von Hand bearbeitet <strong>und</strong> vakuumverpackt.<br />

Es zeichnet sich aus durch die schöne Marmorierung,<br />

die legendäre Zartheit <strong>und</strong> den <strong>ein</strong>zigartigen Geschmack.<br />

Eine Gaumenfreude für weltoffene Fleischkenner<br />

<strong>und</strong> Geniesser.<br />

Exklusiv in der Schweiz<br />

www.merat.ch<br />

www.cca-angehrn.ch<br />

www.donaldrussell.ie<br />

Food & Beverage 4/2009 17

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