MTD_DDG_2016_02
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4 News & Fakten<br />
diabeteszeitung · 1. Jahrgang · Nr. 2 · 22. Juni <strong>2016</strong><br />
Ein Minenfeld für die Behandler<br />
Durch das Antikorruptionsgesetz kommt die gängige Praxis auf den Prüfstand<br />
BERLIN. Mit dem Antikorruptionsgesetz wurden am 4. Juni <strong>2016</strong><br />
Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen als neue<br />
Straftatbestände eingeführt. Manche Praxen verstoßen jedoch<br />
schon länger gegen geltende Normen und Gesetze, so ein Jurist.<br />
Geben und Nehmen –<br />
In der Praxis lauert<br />
der Straftatbestand.<br />
Foto: fotolia/Cherries<br />
Wie der Stuttgarter Rechtsanwalt<br />
Oliver Ebert in<br />
einem gesundheitspolitischen<br />
Symposium beim Diabetes<br />
Kongress erläuterte, sind sowohl<br />
niedergelassene Ärzte vom Gesetz<br />
betroffen als auch Vertreter nicht<br />
akademischer Gesundheitsberufe<br />
mit einer gesetzlich geregelten Ausbildung,<br />
wie Ergotherapeuten und<br />
Krankenpfleger. Betroffen sind auch<br />
staatlich anerkannte Diabetesberater<br />
(derzeit nur in Rheinland-Pfalz)<br />
sowie Diabetesberater(Innen) <strong>DDG</strong>,<br />
sofern ihr Grundberuf einer der genannten<br />
ist.<br />
Problematisch sind die<br />
sog. Unrechtsvereinbarungen<br />
Ebert, der nach eigenen Angaben<br />
„seit 20 Jahren in der Diabetesszene<br />
unterwegs“ ist, geht davon aus, dass<br />
95 % der diabetologisch tätigen Praxen<br />
manche Verhaltensweisen werden<br />
ändern müssen. Gewisse Vorteile<br />
und Zuwendungen seien auch<br />
in der Diabetologie nicht unüblich<br />
»Vorteile sind<br />
auch in der<br />
Diabetologie<br />
nicht unüblich«<br />
und viele Praxen wüssten<br />
gar nicht, dass sie dadurch<br />
bereits gegen Normen und<br />
Gesetze verstießen.<br />
Nicht strafbar sein werden,<br />
so Ebert, sozialadäquate<br />
Zuwendungen, die objektiv<br />
nicht geeignet sind, heilberufliche<br />
Entscheidungen<br />
zu beeinflussen. Probleme<br />
gebe es aber bei Unrechtsvereinbarungen,<br />
d.h., wenn<br />
als Gegenleistung für die<br />
Vorteilsgewährung eine unlautere<br />
Bevorzugung im Wettbewerb bei der<br />
Verordnung von Arznei-, Heil- und<br />
Hilfsmitteln oder von Medizinprodukten<br />
vorliegt oder angestrebt ist.<br />
In der Praxis ergäben sich aus dem<br />
Gesetz zur Bekämpfung der Korruption<br />
im Gesundheitswesen viele<br />
Fragen, sagte Ebert. Die meisten<br />
ließen sich jedoch ohne juristische<br />
Fachkenntnisse und mit gesundem<br />
Menschenverstand lösen.<br />
Beantwortung von<br />
drei Fragen hilfreich<br />
Oliver Ebert<br />
Rechtsanwalt, Stuttgart<br />
Foto: zVg<br />
Der Jurist riet den Zuhörern, sich<br />
drei Fragen zu beantworten: Bringt<br />
die Zuwendung einen Vorteil für<br />
mich oder irgendjemanden sonst?<br />
Ist der Vorteil realistischerweise<br />
überhaupt geeignet, meine künftigen<br />
Verordnungsentscheidungen zu<br />
beeinflussen? Möchte der Zuwender<br />
erreichen, dass ich ihn bzw. seine<br />
Produkte bei künftigen Verordnungen<br />
ohne Sachgrund (u.a.<br />
§ 12 SGB V) bevorzuge?<br />
Es stelle sich z.B. die Frage,<br />
ob es strafbar ist, unentgeltlich<br />
überlassene Blutzuckermessgeräte<br />
oder<br />
Insulin-Pens zur Abgabe<br />
an Patienten anzunehmen.<br />
Die Annahme sei nicht<br />
automatisch strafbar, sagte<br />
der Anwalt. Wenn der<br />
Hersteller aber erwarte,<br />
dass die Geräte ausgegeben<br />
und nachfolgend die entsprechenden<br />
Teststreifen bzw. Medikamente<br />
verordnet werden, dann sei<br />
das nicht mehr unproblematisch.<br />
Vorsicht auch bei kostenlos<br />
abgegebener Software<br />
Ebert mahnt zur Vorsicht, wenn<br />
Gerätehersteller Behandlern teure<br />
Software zum Diabetes-Datenmanagement<br />
kostenlos überlassen. Auch<br />
hier hält er für entscheidend, ob damit<br />
das Verordnungsverhalten eines<br />
Arztes beeinflusst werden soll.<br />
Ebert warnt vor einem „Minenfeld“.<br />
Er rechnet damit, dass die gängige<br />
Praxis durch das Antikorruptionsgesetz<br />
auf den Prüfstand gestellt wird.<br />
Cornelia Kolbeck<br />
Kostenloses eBook zum „Gesetz<br />
zur Bekämpfung von Korruption<br />
im Gesundheitswesen“:<br />
http://tinyurl.com/gp7d3gj<br />
Zu viele Diabetiker „unerkannt unterwegs“<br />
Initiative mahnt Personen mit erhöhtem Risiko, sich beim Arzt testen zu lassen<br />
BERLIN. Mit der groß angelegten<br />
Informationskampagne „Unerkannt<br />
unterwegs?“ macht die Deutsche<br />
Diabetes-Hilfe (diabetesDE) auf jene<br />
geschätzt zwei Millionen Menschen<br />
aufmerksam, die an Diabetes erkrankt<br />
sind, es aber nicht wissen.<br />
Zu den Kampagnentools gehören:<br />
eine auffällige Brille mit der Aufschrift<br />
„Unerkannt unterwegs? Zwei<br />
Millionen Menschen in Deutschland<br />
haben Diabetes, ohne es zu wissen“<br />
sowie ein Test auf das Risiko, an Diabetes<br />
Typ 2 zu erkranken. Der Test<br />
auf www.2mio.de beinhaltet zehn<br />
Fragen. Je nach erreichter Punktzahl<br />
erfährt der Nutzer, ob sein Diabetesrisiko<br />
niedrig, noch niedrig, erhöht<br />
oder hoch bis sehr hoch ist.<br />
Die Initiatoren erhoffen sich, dass<br />
den Menschen endlich der „Inkognito-Balken“<br />
von den Augen genommen<br />
wird und sie bei einem erhöhten<br />
Risiko den Mut haben, sich<br />
beim Arzt testen zu lassen.<br />
„Bis zur Feststellung eines Typ-2-<br />
Dia betes können bis zu zehn Jahre<br />
vergehen“, erklärt Professor Dr.<br />
Thomas Danne, Vorstandsvorsitzender<br />
von diabetesDE, das Dilemma.<br />
Häufig werde die Diagnose<br />
erst im Zusammenhang mit<br />
einer schon vorliegenden Folgeerkrankung<br />
gestellt, etwa<br />
einer Herzschwäche.<br />
„Strukturierte<br />
Diagnostik fehlt“<br />
»Internet-Test<br />
zeigt das<br />
Diabetes-Risiko«<br />
Dies bestätigt die stellvertretende<br />
Vorsitzende des<br />
Deutschen Hausärzteverbandes<br />
Ingrid Dänschel. Sie kritisiert,<br />
dass es hierzulande nach wie<br />
vor keine strukturierte Diagnostik<br />
gibt. Der Glukosetoleranztest bei<br />
koronarer Herzkrankheit sei nicht<br />
verpflichtend. Und beim Check-up<br />
35 werde nur der Nüchternzucker<br />
kontrolliert.<br />
Die in Sachsen praktizierende Hausärztin<br />
bedauerte, dass gute Ansätze<br />
– wie der im Freistaat mit der<br />
AOK vereinbarte Check-up Plus, bei<br />
dem auch das Diabetesrisiko ermittelt<br />
wird und ab einer bestimmten<br />
Punktzahl auch der HbA 1C -Wert –<br />
nicht in die Regelversorgung übernommen<br />
werden.<br />
Folgeerkrankungen kosten<br />
jährlich 35 Mrd. Euro<br />
Der Präsident der Deutschen Diabetes<br />
Gesellschaft (<strong>DDG</strong>), Professor<br />
Dr. Baptist Gallwitz, machte die<br />
Auswirkungen der späten Identifizierung<br />
von Erkrankungen deutlich:<br />
Pro Jahr werden circa 40 000 Amputationen,<br />
2000 Erblindungen und<br />
Weg mit dem „Inkognito-Balken“! –<br />
Dies fordert diabetesDE.<br />
Fotos: fotolia/Pavlo Vakhrushev, Kolbeck<br />
circa 2300 Niereninsuffizienzen mit<br />
Dialysepflicht durch Diabetes verursacht.<br />
Drei Viertel der Patienten<br />
mit Typ-2-Diabetes versterben an<br />
kardiovaskulären Komplikationen,<br />
vor allem Herzinfarkt, plötzlichem<br />
Herztod und Schlaganfall.<br />
Das Leid der Betroffenen ist aber<br />
nur die eine Seite der Medaille. Hinzu<br />
kommen enorme Kosten für die<br />
Gesellschaft, verursacht vor allem<br />
durch die Folgeerkrankungen. Prof.<br />
Gallwitz gab an, dass die Sozialkassen<br />
jährlich 35 Mrd. Euro dafür ausgeben<br />
müssen. Dabei bewegen sich<br />
die Kosten für Komplikationen pro<br />
Fall zwischen 500 Euro im ersten<br />
Behandlungsjahr und 3200 Euro im<br />
achten Jahr. „Bei Diagnosestellung<br />
des Typ-2-Diabetes haben aufgrund<br />
der Verspätung der Diagnosestellung<br />
bereits 30 % der Patienten nachweisbare<br />
Gefäßkomplikationen“, erklärte<br />
der <strong>DDG</strong>-Präsident.<br />
Prof. Danne: Wir brauchen einen<br />
Bundesbeauftragten<br />
Für Prof. Danne greifen alle bisherigen<br />
politischen Initiativen zu kurz.<br />
Das Präventionsgesetz z.B. sei nur<br />
„ein Tropfen auf den heißen Stein“.<br />
Er mahnte, statt der Gesundheitsförderung<br />
eine Umgestaltung der<br />
Lebenswelten anzugehen.<br />
Dabei verwies er auf vier Forderungen<br />
von <strong>DDG</strong> und diabetesDE: eine<br />
Zucker-Fett-Steuer, mindestens eine<br />
Stunde Sport täglich in Schule und<br />
Kindergarten, verbindliche Qualitätsstandards<br />
für Kita- und Schulspeisung<br />
sowie ein Verbot von an<br />
Kinder und Jugendliche gerichtete<br />
Werbung für übergewichtsfördernde<br />
Lebensmittel. Nötig seien auch eine<br />
ressort- und bundesländerübergreifende<br />
Strategie sowie die Installation<br />
eines Bundesbeauftragten für Adipositas<br />
und Diabetes.<br />
kol