7 Lie-Theorie
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7 <strong>Lie</strong>-<strong>Theorie</strong><br />
7.1 <strong>Lie</strong>-Gruppen<br />
7 LIE-THEORIE<br />
Definition 7.1 Eine <strong>Lie</strong>-Gruppe G ist eine glatte Mannigfaltigkeit, die auch eine Gruppe<br />
derart ist, dass die Gruppenverknüpfung (Multiplikation) G × G → G und Gruppeninverse<br />
G → G glatte Abbildungen sind.<br />
Beispiel 7.2<br />
1. Ist V reeller Vektorraum, so ist auch V <strong>Lie</strong>-Gruppe mit Verknüpfung Addition.<br />
2. S 1 = R/Z, wobei x genau dann äquivalent zu x ′ ist, wenn ∃n ∈ Z derart, dass<br />
x ′ = x + n ist. Versehen mit Verknüpfung Addition ist S 1 eine <strong>Lie</strong>-Gruppe, die als<br />
Mannigfaltigkeit kompakt und 1-dimensional ist.<br />
3. Die Menge U(1) := {e 2π√ −1x : x ∈ R} versehen mit Multiplikation ist eine <strong>Lie</strong>-<br />
Gruppe, die durch die Abbildung x ↦→ e 2π√ −1x diffeomorph (und auch homomorph,<br />
wie wir sogleich definieren werden) zu S 1 ist.<br />
4. Die allgemeine lineare Gruppe vom Grad n über einem Körper K<br />
GL(n, K) := {g = (gij)n×n : det g �= 0, gij ∈ K}<br />
ist die Menge aller n × n Matrizen mit K-wertigen Einträgen, die invertierbar sind.<br />
Sie ist offene Untermannigfaltigkeit des K n (die Einträge sind Koordinaten), und<br />
ist nichtkompakt.<br />
Falls K = R ist die Dimension (als reelle Mannigfaltigkeit)<br />
dim GL(n, R) = n 2 .<br />
GL(n, R) besteht sich aus zwei Komponenten, einem von Matrizen positiver Determinante<br />
und dem Anderen von Matrizen negativer Determinante.<br />
GL(n, C) ist zusammenhängend (wesentlich weil die Determinante einer invertierbaren<br />
komplexen Matrix in der zusammenhängenden <strong>Lie</strong>-Gruppe U(1) � S 1 ist)<br />
und die Dimension der GL(n, C) als reelle Mannigfaltigkeit ist<br />
dim GL(n, C) = 2n 2 .<br />
5. Die spezielle lineare Gruppe über R (bzw. C) ist<br />
SL(n, R) := {g ∈ GL(n, R) : det g = 1},<br />
ist von Dimension n 2 − 1, und ist zusammenhängend.<br />
6. Die orthogonale Gruppe ist<br />
O(n) := {g ∈ GL(n, R) : t gg = g t g = 1n×n},<br />
wobei 1n×n die n × n Einheitsmatrix ist. Es ist manchmal wichtig zu bemerken,<br />
dass O(n) auch als die Menge aller Matrizen in GL(n, R) derart ist, die die Einheitsmatrix<br />
erhalten, d.h.<br />
O(n) = {g ∈ GL(n, R) : t g1n×ng = 1n×n}.<br />
Geometrie der Quantisierung Dr. W. D. Kirwin 44
7.1 <strong>Lie</strong>-Gruppen 7 LIE-THEORIE<br />
Da die Determinante einer Elemente in O(n) nur die Werte ±1 annehmen kann,<br />
zerfällt O(n) in zwei disjunkte Teile.<br />
Eine Verallgemeinerung der orthogonalen Gruppe ist<br />
�<br />
O(m, n) := g ∈ GL(n, R) : t � � � ��<br />
1m×m 0 1m×m 0<br />
g<br />
g =<br />
.<br />
7. Die spezielle orthogonale Gruppe ist<br />
0 −1n×n<br />
SO(n, R) := SL(n, R) ∩ O(n),<br />
0 −1n×n<br />
und besteht sich aus Drehungen in R n .<br />
SO(2, R) ist die Menge aller Drehungen in R 2 , die einfach S 1 ist. Tatsächlich ist<br />
S 1 � U(1) � SO(2, R)<br />
SO(3, R) ist die Menge aller Drehungen in R 3 . Weil eine Drehung durch einen<br />
Winkel und die Achse der Drehung, die eine Gerade in R 3 ist, ist SO(3, R) � RP 3<br />
als reelle Mannigfaltigkeit.<br />
Die Verallgemeinerung O(m, n) der orthogonalen Gruppe erzeugt auch eine Verallgemeinerung<br />
der speziellen orthogonalen Gruppe<br />
SO(m, n) = SL(n, R) ∩ O(m, n).<br />
Die Gruppe SO(3, 1) heißt Lorentz-Gruppe, und ist besonders wichtig in Physik,<br />
weil sie sich aus Matrizen besteht, die die Minkowski-Metrik auf R 4 erhalten.<br />
8. Die unitäre Gruppe ist die Mengen aller schiefhermitesche Matrizen, d.h.<br />
9. Die spezielle unitäre Gruppe ist<br />
U(n) := {g ∈ GL(n, C) : t ¯g1n×ng = 1n×n}.<br />
SU(n) := SL(n, C) ∩ U(n).<br />
SU(2) ist diffeomorph zu S3 , weil<br />
��<br />
ā ¯b SU(2) =<br />
−¯ �<br />
: a, b ∈ C, |a|<br />
b ā<br />
2 + |b| 2 �<br />
= 1<br />
� {(Re a, Im a, Re b, Im b) : Re a, Im a, Re b, Im b ∈ R, und<br />
= S 3<br />
(Re a) 2 + (Im a) 2 + (Re b) 2 + (Im b) 2 = 1}<br />
ist.<br />
10. Die symplektische Gruppe ist<br />
�<br />
Sp(2n, R) := g ∈ GL(n, R) : t �<br />
g<br />
0<br />
� �<br />
1n×n<br />
g =<br />
0<br />
0<br />
��<br />
1n×n<br />
.<br />
0<br />
−1n×n<br />
−1n×n<br />
Ist J eine zu ωkan passend fast komplexe Struktur auf einem reellen Vektorraum<br />
V , ist auch die zugehörige Matrix von J bezüglich einer symplektischen Basis in<br />
Sp(2n, R).<br />
Geometrie der Quantisierung Dr. W. D. Kirwin 45<br />
♦
7.1 <strong>Lie</strong>-Gruppen 7 LIE-THEORIE<br />
Definition 7.3 Eine <strong>Lie</strong>-Gruppe ist genau dann abelsch, wenn<br />
gilt.<br />
g1g2 = g2g1 ∀g1, g2 ∈ G<br />
Beispiel 7.4 Es stellt sich heraus, dass bis auf Homomorphismen die einzigen abelschen<br />
<strong>Lie</strong>-Gruppen S 1 , R n und Produkte davon sind. Das Produkt von n Kopien der S 1 wird<br />
n-Torus genannt und wird<br />
T n := S 1 × · · · × S 1<br />
� �� �<br />
n-mal<br />
geschrieben. Ein Torus kann auch als der Quotient T n = R n /Z n definiert werden. ♦<br />
Definition 7.5 Linkstranslation von a ∈ G ist die Abbildung<br />
und Rechtstranslation von a ∈ G ist<br />
Konjugation von a ∈ G ist die Abbildung<br />
Bemerkung 7.6<br />
La : g ∈ G → La(g) := ag ∈ G,<br />
Ra : g ↦→ Ra(g) := ga.<br />
ca : g ∈ G ↦→ ca(g) := aga −1 ∈ G.<br />
1. Für alle a ∈ G sind La und Ra Diffeomorphismen. Außerdem ist L −1<br />
a = L a −1 und<br />
R −1<br />
a = R a −1.<br />
2. Die Komposition zweier Linkstranslationen ist wieder Linkstranslation<br />
La ◦ Lb = Lab,<br />
und die Komposition zweier Rechtstranslationen ist wieder Rechtstranslation mit<br />
der anderen Ordnung<br />
Ra ◦ Rb = Rba.<br />
Links- und Rechtstranslation kommutieren miteinander<br />
La ◦ Rb = Rb ◦ La.<br />
3. Konjugation kann bezüglich Links- und Rechtstranslation<br />
ca = La ◦ R −1<br />
a = R −1<br />
a ◦ La<br />
geschrieben werden. Im Allgemeinen ist Konjugation glatt, aber nicht unbedingt<br />
surjektiv oder invertierbar. Konjugation erfüllt auch<br />
ca ◦ cb = cab und c −1<br />
a = c a −1.<br />
Geometrie der Quantisierung Dr. W. D. Kirwin 46<br />
♦
7.1 <strong>Lie</strong>-Gruppen 7 LIE-THEORIE<br />
Definition 7.7 Seien G und H <strong>Lie</strong>-Gruppen. Dann ist Φ : G → H genau dann<br />
<strong>Lie</strong>-Gruppenhomomorphismus, wenn Φ glatter Homomorphismus ist. Ist Φ auch<br />
invertierbar, so heißt auch Φ <strong>Lie</strong>-Gruppenisomorphismus. Ist Φ : G → G <strong>Lie</strong>-<br />
Gruppenisomorphismus, so heißt auch Φ <strong>Lie</strong>-Gruppenautomorphismus.<br />
Bemerkung 7.8 Es stellt sich heraus, obwohl wir es hier weder beweisen noch gebrauchen<br />
werden, dass ein Homomorphismus Φ : G → H zwischen zwei <strong>Lie</strong>-Gruppen bereits<br />
glatt ist, wenn er stetig ist. ♦<br />
Beispiel 7.9<br />
1. Die Abbildung Φ : x ∈ R → e 2π√ −1x ∈ U(1) ist <strong>Lie</strong>-Gruppenhomomorphismus mit<br />
Kern Z. Die Abbildung Φn : u ∈ U(1) → u n ∈ U(1) ist <strong>Lie</strong>-Gruppenhomomorphismus<br />
mit Kern Z/nZ.<br />
2. Die Abbildung<br />
Φ :<br />
� �<br />
cos θ sin θ<br />
∈ SO(2, R) ↦→ e<br />
− sin θ cos θ<br />
iθ ∈ U(1)<br />
ist <strong>Lie</strong>-Gruppenisomorphismus.<br />
3. Die Determinante ist <strong>Lie</strong>-Gruppenhomomorphismus<br />
det : GL(n, R) → (R \ {0}, ×),<br />
weil det(AB) = det A det B ist. Der Kern ist SL(n, R).<br />
Die Determinante ist auch <strong>Lie</strong>-Gruppenhomomorphismus von U(n) nach U(1), in<br />
welchem Fall der Kern SU(n) ist.<br />
4. Eine Konjugation ca : G → G, die Isomorphismus ist, heißt innerer Automorphismus.<br />
Komplex Konjugation von SU(n) nach SU(n) ist <strong>Lie</strong>-Gruppenautomorphismus.<br />
Sie ist genau dann innerer Automorphismus, wenn n = 2.<br />
5. Die Euklidische Grupp ist<br />
�� �<br />
g v<br />
ISO(n) := : g ∈ SO(n), v ∈ R<br />
0 1<br />
n<br />
�<br />
,<br />
und heißt so, weil �<br />
g<br />
� � �<br />
v x<br />
0 1 1<br />
� �<br />
gx + v<br />
=<br />
1<br />
für alle x ∈ R n gilt. Die Gruppe kodiert dann die Euklidischen Transformationen<br />
des R n .<br />
Die Abbildung<br />
π :<br />
� �<br />
g v<br />
∈ ISO(n) ↦→ g ∈ SO(n, R)<br />
0 1<br />
ist <strong>Lie</strong>-Gruppenhomomorphismus mit Kern R n . Weil die Abbildung π surjektiv ist,<br />
ist<br />
SO(n) � ISO(n)/R n .<br />
Geometrie der Quantisierung Dr. W. D. Kirwin 47<br />
♦
7.2 <strong>Lie</strong>-Algebren 7 LIE-THEORIE<br />
7.2 <strong>Lie</strong>-Algebren<br />
Definition 7.10 Die <strong>Lie</strong>-Algebra einer <strong>Lie</strong>-Gruppe G ist der Tangentialraum der G<br />
am neutralen Element und wird<br />
geschrieben.<br />
g := <strong>Lie</strong>(G) := TeG<br />
Notation 7.11 Wenn schriftlich geschrieben, ist <strong>Lie</strong>(G) oft entweder mit kleinen und<br />
unterstrichenen Buchstaben geschrieben, zum Beispiel g, oder mit Fraktur, zum Beispiel<br />
g, geschrieben.<br />
Definition 7.12 Es sei α ∈ Ω 1 (G) und X ∈ Γ(T G). Die 1-Form α heißt links- oder<br />
rechtsinvariant, wenn<br />
L ∗ aα = α bzw. R ∗ aα = α ∀a ∈ G,<br />
und das Vektorfeld X heißt links- oder rechtsinvariant, wenn<br />
(La) ∗ X = X bzw. (Ra)∗X = X ∀a ∈ G.<br />
Ausführlicher ist X zum Beispiel linksinvariant, wenn für alle a ∈ G,<br />
(La) ∗ Xg = Xag.<br />
Beispiel 7.13 Das Vektorfeld ∂/∂x ∈ Γ(T R) ist links- und rechtsinvariant, und die<br />
1-Form dx ∈ Ω 1 (R) ist auch so. ♦<br />
Lemma 7.14<br />
1. Sind X, Y linksinvariante Vektorfelder, so ist auch [X, Y ] linksinvarientes Vektorfeld.<br />
2. Der Vektorraum aller linksinvarianten Vektorfelder ist isomorph zu <strong>Lie</strong>(G).<br />
Beweis.<br />
1. Sei a ∈ G, dann ist La Diffeomorphism, woraus folgt, dass (La)∗[X, Y ] =<br />
[(La)∗X, (La)∗Y ]. Sind X, Y linksinvariant, so ist auch [(La)∗X, (La)∗Y ] = [X, Y ],<br />
d.h. so ist auch [X, Y ] linksinvariant.<br />
2. Wir definieren eine invertierbare lineare Abbildung zwischen {linksinvariante<br />
Vektorfelder} und <strong>Lie</strong>(G) = TeG. Dem linksinvarianten Vektorfeld X ordnen wir<br />
Xe ∈ TeG zu. Und umgekehrt ordnen wir dem Vektor Xe ∈ TeG das Vektorfeld X<br />
derart zu, dass<br />
Xg := (Lg)∗Xe.<br />
Klar ist, dass (X)e = Xe ist, also, dass diese Abbildungen Umkehrfunktionen einander<br />
sind. Es bleibt dann nur noch zu beweisen, dass X tatsächlich linksinvariant<br />
ist. Wir berechnen, dass<br />
ist, was das Lemma liefert.<br />
(La)∗Xg = (La)∗(Lg)∗Xe = (Lag)∗Xe = Xag<br />
Geometrie der Quantisierung Dr. W. D. Kirwin 48
7.2 <strong>Lie</strong>-Algebren 7 LIE-THEORIE<br />
Bemerkung 7.15 Ein linksinvariantes Vektorfeld auf G ist bereits durch seinen Wert<br />
bei e ∈ G definiert. ♦<br />
Nun kommen wir zu einer zweiten Definition <strong>Lie</strong>-Algebren, die unabhängig von <strong>Lie</strong>-<br />
Gruppen ist. Wir werden aber sogleich zeigen, dass die <strong>Lie</strong>-Algebra einer <strong>Lie</strong>-Gruppe<br />
auch <strong>Lie</strong>-Algebra in diesem verallgemeinerten Sinne ist. Diese zweite Definition hilft uns,<br />
die Algebra-Struktur der <strong>Lie</strong>-Algebra zu verstehen, da bis jetzt ist die <strong>Lie</strong>-Algebra einer<br />
<strong>Lie</strong>-Gruppe eher ein Objekt differentialer Geometrie.<br />
Definition 7.16 Eine (abstrakte) <strong>Lie</strong>-Algebra g ist (reeller oder komplexer) Vektorraum<br />
versehen mit einer <strong>Lie</strong>-Klammer [·, ·] : g × g → g derart, dass<br />
1. [X, Y ] linear in X, Y ist,<br />
2. [X, Y ] = −[X, Y ] ∀X, Y ∈ g ist, und<br />
3. [[X, Y ], Z] + [[Y, Z], X] + [[Z, X], Y ] = 0 ∀X, Y, Z ∈ g ist. (Diese Bedingung ist die<br />
Jacobi-Identität.)<br />
Die Jacobi-Identität besagt, dass eine abstrakte <strong>Lie</strong>-Algebra eine Art nichtkommutierend<br />
assoziativer Algebra ist. Wir werden im nächsten Kapitel sie umformulieren, so<br />
dass ihre Rolle deutlicher verstanden werden kann.<br />
Da der Kommutator zweier Vektorfelder die Jacobi-Identität erfüllt, bekommen wir<br />
unmittelbar folgendes Lemma.<br />
Lemma 7.17 Ist G <strong>Lie</strong>-Gruppe, so ist auch <strong>Lie</strong>(G) abstrakte <strong>Lie</strong>-Algebra.<br />
Definition 7.18 Eine <strong>Lie</strong>-Algebra g ist abelsch falls [X, Y ] = 0 ∀X, Y ∈ g ist.<br />
Beispiel 7.19 1. <strong>Lie</strong>(R × ) = R und <strong>Lie</strong>(C × ) = C<br />
2. <strong>Lie</strong>(S 1 ) = R, wobei <strong>Lie</strong>(U(1)) = √ −1R<br />
Lemma 7.20 Sei V Vektorraum und G = GL(V ). Dann ist <strong>Lie</strong>(G) = gl(V ) = End(V ),<br />
und die <strong>Lie</strong>-Klammer ist der Kommutator in End(V ).<br />
Beweis. GL(V ) ist eine offene dichte Teilmenge des End(V ). Daher ist TgGL(V ) �<br />
End(V ) ∀g ∈ GL(V ), insbesondere e, d.h. gl(V ) = End(V ).<br />
Es sei f ∈ End(V ) ∗ , dann ist f| G ∈ C ∞ (G), und Xf = f(X) gilt für jeden Vektor<br />
X ∈ gl(V ).Es sei Xe, Ye ∈ TeG � End(V ) und X, Y die entsprechenden linksinvarianten<br />
Vektorfelder auf G, d.h. Xg = (Lg)∗Xe und Yg = (Lg)∗Ye. Dann gilt für alle f ∈ End(V ) ∗<br />
[X, Y ]gf = Xg(Y f) − Yg(Xf)<br />
= Xg(f(·Ye)) − Yg(f(·Xe))<br />
= f((Lg)∗(Xe ◦ Ye) − (Lg)∗(Ye ◦ Xe))<br />
= f((Lg)∗[Xe, Ye]).<br />
Demzufolge ist [X, Y ]g = (Lg)∗[X e, Ye] und insbesondere ist [X, Y ]e = [Xe, Ye], wobei<br />
die Klammer auf der rechten Seite beider Gleichungen der Kommutator der Endomorphismen<br />
Xe, Ye ist.<br />
Geometrie der Quantisierung Dr. W. D. Kirwin 49<br />
♦
7.3 Die Exponentialabbildung 7 LIE-THEORIE<br />
Beispiel 7.21<br />
Gruppe Algebra<br />
GL(n, R) gl(n, R) = {reelle n × n Matrizen}<br />
GL(n, C) gl(n, C) = {komplexe n × n Matrizen}<br />
SL(n, R) sl(n, R) = {spurlose reelle n × n Matrizen}<br />
O(n, R) o(n, R) = {schiefsymmetrische reelle n × n Matrizen}<br />
SO(n, R) so(n, R) = {schiefsymmetrische spurlose reelle n × n Matrizen}<br />
U(n) u(n) = {schiefhermitesche komplexe n × n Matrizen}<br />
SU(n) su(n) = {spurlose schiefhermitesche komplexe n × n Matrizen}<br />
Man kann die obigen Algebren berechnen, dadurch, dass sie einfach Tangentialräume<br />
sind. Die <strong>Lie</strong>-Algebra o(n, R) besteht sich zum Beispiel aus Ableitungen am Punkt<br />
1n×n ∈ O(n, R) von Kurven die durch 1n×n verlaufen. Sei g(t) so eine Kurve Matrizen<br />
in O(n, R) mit ˙g(0) = X ∈ o(n, R), dann gilt<br />
t g(t)g(t) = 1.<br />
Die Ableitung nach t bei t = 0 der Gleichung ist<br />
d.h.<br />
t Xg(0) + t g(0)X = 0,<br />
t X + X = 0,<br />
wovon wir sehen, dass o(n, R) sich aus schiefsymmetrischen Matrizen besteht. Die anderen<br />
<strong>Lie</strong>-Algebren können ähnlich berechnet werden. ♦<br />
Definition 7.22 Die Strukturkonstanten ck ij der <strong>Lie</strong>-Algebra g bezüglich der Basis<br />
sind die Zahlen derart, dass<br />
{Xi} n i=1<br />
[Xi, Xj] = c k ijXk.<br />
Die Strukturkonstanten ck ij bestimmen die <strong>Lie</strong>-Algebra, weil jede Klammer zweier<br />
Elemente kann als eine Linearkombination der Basiselemente geschrieben werden. Da-<br />
durch, dass die <strong>Lie</strong>-Klammer linear ist, wird sie durch die Klammern zweier Basiselemente<br />
bestimmt, die durch die ck ij bestimmt werden.<br />
Lemma 7.23 Sind c k ij Strukturkonstanten, so gilt auch ck ij = −ck jk und ck ii<br />
Beweis. Das Lemma folgt aus der Schiefsymmetrie der <strong>Lie</strong>-Klammer.<br />
7.3 Die Exponentialabbildung<br />
Im Folgenden sei G eine Matrix-<strong>Lie</strong>-Gruppe, d.n. eine Untergruppe der GL(n, R) oder<br />
GL(n, C). Es sei g die <strong>Lie</strong>-Algebra von G.<br />
Definition 7.24 Die Exponentialabbildung exp : g → G ist die Abbildung<br />
e A := exp(A) :=<br />
∞�<br />
j=0<br />
1<br />
j! Aj .<br />
Die Menge {exp{tA} : t ∈ R} heißt Einparameter-Untergruppe.<br />
Geometrie der Quantisierung Dr. W. D. Kirwin 50<br />
= 0.
7.4 Untergruppen und Unteralgebren 7 LIE-THEORIE<br />
Bemerkung 7.25<br />
1. Eine Einparameter-Untegruppe ist tatsächlich eine Untegruppe der G, weil<br />
exp(tA) exp(t ′ A) = exp((t + t ′ )A) ist (die anderen Bedingungen einer Gruppe<br />
folgen unmittelbar daraus).<br />
2. exp bildet eine Umgebung von 0 ∈ g diffeomorph nach einer Umbebung von e ∈ G.<br />
Ist G aber kompakt, so kann exp kein globaler Diffeomorphismus sein. Auch wenn<br />
G nichkompakt ist, ist oft exp kein globaler Diffeomorphismus. Eine <strong>Lie</strong>-Gruppe G<br />
derart, dass exp globaler Diffeomorphismus ist, heißt exponentielle <strong>Lie</strong>-Gruppe.<br />
3. Zwei wichtige Abbleitungen sind<br />
d<br />
dt (g · exp(tA)) = (Lg)∗A, und<br />
d<br />
(exp(tA) · g) = (Rg)∗A.<br />
dt<br />
Man sagt daher, dass linksinvariante Vektorfelder Rechtstranslation erzeugen, und<br />
dass rechtsinvariante Vektorfelder Linkstranslation erzeugen.<br />
4. Im Allgemeinen, also für <strong>Lie</strong>-Gruppen die keine Untergruppen von GL(n, K) sind,<br />
kann man mit der Definition Einparameter-Untegruppen anfangen, und dadurch<br />
die Exponentialabbildung definieren. Falls G keine Matrix-Gruppe ist, gilt nur nicht<br />
mehr die Exponentialreihe-Formel für exp.<br />
Zweite obige Bemerkung ist wichtiger Fakt, den wir als folgenden Satz wiederholen.<br />
Der wird hier nicht bewiesen, obwohl der Beweis sich in fast jedem Buch über <strong>Lie</strong>-<br />
Gruppentheorie befindet.<br />
Satz 7.26 Ist G <strong>Lie</strong>-Gruppe mit <strong>Lie</strong>-Algebra g, so existieren eine offene Umgebung U<br />
von 0 in g und eine offene Umgebung V von e in G derart, dass exp die Menge U<br />
diffeomorph nach der Menge V abbildet.<br />
Obiger Satz liegt mehreren Eigenschaften <strong>Lie</strong>-Gruppen zugrunde. Eine davon, die wir<br />
im nächsten Kapitel anwenden wollen werden, erfassen wir im folgenden Satz.<br />
Satz 7.27 Ist G zusammenhängende <strong>Lie</strong>-Gruppe, so kann jedes Element g ∈ G<br />
g = e X1 e X2 · · · e Xk<br />
für irgendeine X1, . . . , Xk ∈ g geschrieben werden.<br />
7.4 Untergruppen und Unteralgebren<br />
Lemma 7.28 Sei H Untergruppe einer <strong>Lie</strong>-Gruppe G, dann ist h Unteralgebra der <strong>Lie</strong>-<br />
Algebra g.<br />
Beweis. Es muss bewiesen werden, dass<br />
X, Y ∈ h =⇒ [X, Y ] ∈ h.<br />
Geometrie der Quantisierung Dr. W. D. Kirwin 51<br />
♦
7.4 Untergruppen und Unteralgebren 7 LIE-THEORIE<br />
Sei ΦXL(t, g) der Integralfluss des zu X zugehörigen linksinvarianten Vektorfeldes bzw.<br />
ΦY L<br />
, dann ist<br />
[X, Y ] = [X L , Y L ]e = d<br />
= d<br />
dt e<br />
√<br />
tXe<br />
weil e ±√ tX , e ± √ tY ∈ h sind.<br />
L<br />
ΦY (− √ t, ·)Φ XL<br />
(− √ Y L<br />
t, ·)Φ ( √ t, ·)Φ XL<br />
( √ t, ·)<br />
dt<br />
√<br />
tY −<br />
e √ tX −<br />
e √ tY<br />
∈ h<br />
Definition 7.29 Eine Abbildung φ : g → h ist <strong>Lie</strong>-Algebra-Homomorphism genau<br />
dann, wenn φ linear ist und wenn für alle X, Y ∈ g<br />
φ([X, Y ]) = [φ(X), φ(Y )]<br />
gilt. (Isomorphismen und Automorphismen sind wie immer definiert.)<br />
Lemma 7.30 Ist ϕ : G → H <strong>Lie</strong>-Gruppenhomomorphismus, so ist auch (ϕ∗)e <strong>Lie</strong>-<br />
Algebra-Homomorphismus.<br />
Beweis. Seien X, X ′ linksinvariante Vektorfelder auf G und Y, Y ′ linksinvariante Vektorfelder<br />
auf H mit<br />
Ye = (ϕ∗)eXe und Y ′<br />
e = (ϕ∗)eX ′ e.<br />
Dann ist<br />
(ϕ∗)gXg = (ϕ∗)g(Lg)∗Xe = (ϕ ◦ Lg)∗Xe = (L ϕ(g) ◦ ϕ)∗Xe = Y ϕ(g),<br />
wobei wir den Fakt in der dritten Gleichung angewandt haben, dass ϕ Homomorphismus<br />
ist.<br />
Für alle f ∈ C ∞ (H) ist<br />
Beispiel 7.31<br />
(ϕ∗)e[X, X ′ ](f) = [X, X ′ ]e(f ◦ ϕ)<br />
= Xe(X ′ (f ◦ ϕ)) − X ′ e(X(f ◦ ϕ))<br />
= Xe((ϕ∗X ′ )(f)) − X ′ e((ϕ∗X)(f))<br />
= Xe(Y ′ f ◦ ϕ) − X ′ e(Y f ◦ ϕ)<br />
= ϕ∗Xe(Y ′ f) − ϕ∗X ′ e(Y f)<br />
= Ye(Y ′ f) − Y ′<br />
e(Y f)<br />
= [Y, Y ′ ]e(f).<br />
1. x ∈ R ↦→ e2π√−1x ∈ U(1) erzeugt den <strong>Lie</strong>-Algebra-Homomorphismus x ∈ R ↦→<br />
2π √ −1x ∈ u(1) = 2π √ −1R.<br />
2. u ∈ U(1) ↦→ un ∈ U(1), wobei n ∈ N ist, erzeugt den Homomorphsmus 2π √ −1x ∈<br />
u(1) ↦→ 2π √ −1nx ∈ u(1).<br />
3. GL(n, R) det<br />
−→ R × erzeugt gl(n, R) tr<br />
−→ R.<br />
U(n) det<br />
−→ U(1) erzeugt u(n, R) tr<br />
−→ 2π √ −1R.<br />
Geometrie der Quantisierung Dr. W. D. Kirwin 52
7.5 Die Baker-Campbell-Hausdorff-Formel 7 LIE-THEORIE<br />
4.<br />
� �<br />
g v<br />
∈ ISO(n) ↦−→ g ∈ SO(N) erzeugt<br />
0 1<br />
� �<br />
X v<br />
∈ iso ↦−→ X ∈ so(n).<br />
0 0<br />
Satz 7.32 Es sei h <strong>Lie</strong>-Unteralgebra einer <strong>Lie</strong>-Gruppe G mit <strong>Lie</strong>-Algebra g. Dann<br />
existiert eine eindeutig bestimmte zusammenhängende <strong>Lie</strong>-Untergruppe H < G mit<br />
<strong>Lie</strong>(H) = h.<br />
Beweis. (Skizze) Die Unteralgebra h bestimmt eine Verteilung, die sich aus den linksinvarianten<br />
Vektorfeldern besteht, die bei e in h sind. Da h eine Algebra ist, also, da<br />
[X, Y ] ∈ h falls X, Y ∈ h sind, ist die zugehörige Verteilung involutiv. Nach dem Satz<br />
von Frobenius existiert eine maximale zusammenhängende dazu tangentiale Untermannigfaltigkeit<br />
H ⊂ G. Man beweist dann, dass das Produkt zweier Elemente von H wieder<br />
in H ist, und auch dass die Inverse jedes Element von H wieder in H ist, so dass H <strong>Lie</strong>-<br />
Gruppe ist.<br />
Bemerkung 7.33 Die algebraische Eigenschaften der <strong>Lie</strong>-Gruppe G sind oft bei Eigenschaften<br />
der zugehörigen <strong>Lie</strong>-Algebra reflektiert. Zum Beispiel, ist H ⊳ G normale<br />
Untegruppe, so ist auch h Ideal in g (h ist genau dann ideal, wenn X ∈ h, Y ∈ g ⇒<br />
[X, Y ] ∈ h). ♦<br />
7.5 Die Baker-Campbell-Hausdorff-Formel<br />
Ist G nichtabelsche <strong>Lie</strong>-Gruppe, so ist auch e A e B oft ungleich e A+B (eigentlich fast<br />
immer). Die BCH-Formel misst den Unterschied. Die genaue Formel ist ziemlich kompliziert,<br />
und ist selbst nicht oft anwendbar oder sehr nützlich, aber ihre Existenz und<br />
Eigenschaften liefern viele Eigenschaften <strong>Lie</strong>-Gruppen.<br />
Satz 7.34 (Baker-Campbell-Hausdorff) exp(A) exp(B) = exp(µ(A, B)), wobei<br />
µ(A, B) = A + B + 1 1<br />
1<br />
1<br />
[A, B] + [A, [A, B]] − [B, [A, B]] − [B, [A, [A, B]]] + · · ·<br />
2 12 12 24<br />
ist. Darüber hinaus ist die Funktion µ(A, B) abhängig nur von A und B selbst und<br />
mehrfache <strong>Lie</strong>-Klammern davon.<br />
Die erste wichtige Folgerung der BCH-Formel ist, dass die Gruppenverknüpfung der<br />
G durch die <strong>Lie</strong>-Klammer bestimmt wird. Darüber hinaus, können wir sogleich folgenden<br />
Satz beweisen.<br />
Folgerung 7.35 Seien φ, φ ′ : G → G Homomorphismen der <strong>Lie</strong>-Gruppe G derart, dass<br />
die entsprechenden Homomorphismen φ∗, φ ′ ∗ der <strong>Lie</strong>-Algebra von G gleich sind, dann ist<br />
φ = φ ′ .<br />
Achtung: Sei g isomorph zu g ′ , dann ist G nicht unbedingt isomorph zu G. Das<br />
Problem liegt daran, dass manche <strong>Lie</strong>-Gruppen Überlagerungen anderen <strong>Lie</strong>-Gruppen<br />
sein können, und der Unterschied taucht beim Tangentialraum am neutralen Element<br />
nicht auf.<br />
Beispiel 7.36 so(2, R) � R � <strong>Lie</strong>(R), obwohl SO(2, R) �� R. ♦<br />
Geometrie der Quantisierung Dr. W. D. Kirwin 53<br />
♦
7.6 Haarsches Maß 7 LIE-THEORIE<br />
Der nächste Satz besagt, dass das Überlagerungsproblem das einzige Problem ist.<br />
Satz 7.37 Seien G, G ′ einfach zusammenhängende <strong>Lie</strong>-Gruppen mit g � g ′ , dann ist<br />
G � G ′ .<br />
Wir beenden dieses Unterkapitel mit noch einer einfachen Folgerung der BCH-Formel.<br />
Folgerung 7.38 H < G ist genau dann abelsche Untegruppe, wenn h abelsche Unteralgebra<br />
ist.<br />
7.6 Haarsches Maß<br />
Ein Maß µ auf einer lokalkompakten Gruppe G heißt linksinvariant, wenn für jede<br />
messbare Menge A ⊂ G<br />
µ(gA) = µ(A) ∀g ∈ G<br />
gilt. Der Satz von Haar besagt, dass jede lokalkompakte Gruppe ein bis auf einen Faktor<br />
eindeutig bestimmtes regülares linksinvariantes Borelmaß besitzt.<br />
Definition 7.39 Das (linke) Haarsche Maß einer <strong>Lie</strong>-Gruppe ist das bis auf eine<br />
Konstante eindeutig bestimmte reguläre Borelmaß.<br />
Beispiel 7.40 Das Haarsche Maß auf GL(n, R) ist<br />
�<br />
1<br />
µ(A) =<br />
|det g| dλ(g),<br />
wobei dλ das Lebesguemaß auf R n2<br />
A<br />
ist. ♦<br />
Für manche <strong>Lie</strong>-Gruppen sind links- und rechtsinvariante Haarsche Maßen gleich.<br />
Solche Gruppen heißen unimodulär, von welchen kompakte <strong>Lie</strong>-Gruppen, halbeinfache<br />
<strong>Lie</strong>-Gruppen, und abelsche <strong>Lie</strong>-Gruppen Beispiele sind. Im Allgemeinen müssen aber<br />
zum Beispiel auflösbare <strong>Lie</strong>-Gruppen nicht unimodulär sein.<br />
7.7 Kleiner Überblick in die Einteilung <strong>Lie</strong>-Gruppen<br />
Es gibt (ungefähr) eine eineindeutige Beziehung zwischen <strong>Lie</strong>-Algebren und einfach zusammenziehbaren<br />
<strong>Lie</strong>-Gruppen. Um <strong>Lie</strong>-Gruppen zu klassifizieren, versucht man erst<br />
<strong>Lie</strong>-Algebren zu klassifizieren. Es sind verschieden Arte von <strong>Lie</strong>-Algebren, die folgendermaß<br />
heißen.<br />
Definition 7.41 Eine <strong>Lie</strong>-Algebra g heißt<br />
G.<br />
1. auflösbar, falls g ≥ [g, g] ≥ [[g, g], [g, g]] ≥ · · · ≥ 0 (d.h. die ausgeleitete Reihe<br />
nähert sich 0),<br />
2. nilpotent, falls g ≥ [g, g] ≥ [[g, g], g] ≥ · · · ≥ 0,<br />
3. halbeinfach, falls es existieren keine von Null verschiedenen abelschen Ideale, und<br />
4. einfach, falls es existieren keine von Null verschiedenen Ideale.<br />
Falls g = <strong>Lie</strong>(G) eine der obigen Arten <strong>Lie</strong>-Algebra ist, so heißt auch die <strong>Lie</strong>-Gruppe<br />
Geometrie der Quantisierung Dr. W. D. Kirwin 54
7.7 Kleiner Überblick in die Einteilung <strong>Lie</strong>-Gruppen 7 LIE-THEORIE<br />
Satz 7.42 (von Levi) Ist g <strong>Lie</strong>-Algebra, so existieren eine auflösbare Teilalgebra r und<br />
eine halbeinfache Teilalgebra s derart, dass<br />
ist.<br />
g = r ⊕ s<br />
Bemerkung 7.43 1. Die direkte Summe im Satz von Levi ist eigentlich semidirektes<br />
Produkt, obwohl wir dies nicht definiert haben.<br />
2. Nach dem Satz von Levi sehen wir, dass es hinreichend wäre, halbeinfache und auflösbare<br />
<strong>Lie</strong>-Algebren zu verstehen. Halbeinfache <strong>Lie</strong>-Algebren können vollständig<br />
klassifiziert werden. Hingegen sind auflösbare <strong>Lie</strong>-Algebren nicht klassifizierbar, in<br />
dem die Eigenschaft Auflösbarkeit ist einfach zu wenig Struktur. Es ist im Allgemeinen<br />
akzeptiert, dass keine sinnliche Klassifizierung auflösbare <strong>Lie</strong>-Algebren existiert<br />
(genau wie eine Klassifizierung aller Mengen, die aus mehr als drei Elemente<br />
bestehen, existiert). In kleinen Dimensionen kann man alle möglichen auflösbaren<br />
<strong>Lie</strong>-Algebren ausführlich beschreiben, aber das Problem wird sehr schnell unüberschaubar.<br />
Daher werden wir uns auf halbeinfache, und letztendlich auf einfache,<br />
<strong>Lie</strong>-Algebren konzentrieren.<br />
♦<br />
Lemma 7.44 Die Folgenden sind äquivalent.<br />
1. g ist halbeinfach.<br />
2. Die Killing-Form B(X, Y ) := Spur(adXadY ) ist nichtausgeartet.<br />
3. g besitzt keine von Null verschiedenen abelschen Ideale.<br />
4. g besitzt keine von Null veschiedenen auflösbaren Ideale.<br />
5. g ist direkte Summe einfacher <strong>Lie</strong>-Algebren.<br />
Die Liste aller komplexen einfachen <strong>Lie</strong>-Algebren ist:<br />
An := sl n<br />
Bn := so 2n+1<br />
Cn := sp 2n<br />
Dn := so 2n<br />
E6, E7, E8, F4, G2<br />
n ≥ 1<br />
n ≥ 2<br />
n ≥ 3<br />
n ≥ 4<br />
Die Liste aller reellen einfachen <strong>Lie</strong>-Algebren ist länger (obwohl nicht so viel länger),<br />
und wir verweisen auf Knapp oder Hall für Details. Reelle <strong>Lie</strong>-Algebren werden<br />
erst durch ihre Komplexifizierungen klassifiziert. Diese Klassifizierung ist dann durch<br />
die Untersuchung aller möglichen Komplexifizierungen (oder, äquivalent, aller möglichen<br />
reellen Forme eine komplexen <strong>Lie</strong>-Algebra) verfeinert.<br />
Die für uns interessantesten reellen <strong>Lie</strong>-Algebren sind die Kompakten. Jede kompakte<br />
<strong>Lie</strong>-Algebra k besitzt eine eindeutig bestimmte Komplexifizierung g := kC := k ⊕ √ −1k,<br />
die in der obigen Liste vorkommt. Mehrere interessante geometrische Phänomen (besonders<br />
aus der Perspektive geometrischer Quantisierung) folgen aus der Beziehung zwischen<br />
g, k und ihre Struktur.<br />
Geometrie der Quantisierung Dr. W. D. Kirwin 55
7.8 Kompakte <strong>Lie</strong>-Gruppen 7 LIE-THEORIE<br />
7.8 Kompakte <strong>Lie</strong>-Gruppen<br />
Da wir uns für kompakte <strong>Lie</strong>-Gruppen interessieren, lohnt es sich, sie genauer zu besprechen.<br />
Zuerst möchte ich die Einteilung kompakter <strong>Lie</strong>-Gruppen geben. Obwohl diese<br />
List ziemlich explizit ist, ist sie auch nicht sehr nützlich. Wie es oft mit Einteilungen der<br />
Fall ist, ist die Wichtigkeit dieser Einteilung eher, dass die Methode, die man benutzt,<br />
sie zu erschaffen, hinreichend stark sind, die meisten Probleme zu lösen. Diese Methode<br />
werden im nächsten Kapitel eingeführt.<br />
Satz 7.45 Ist G kompakte (endlich dimensionale) <strong>Lie</strong>-Gruppe, so existieren eine endliche<br />
Überlagerung ˜ G � T m × K und endliche Untergruppe A ⊂ Z(G) derart, dass<br />
1 → A → ˜ G → G → 1.<br />
Ferner ist die kompakte <strong>Lie</strong>-Gruppe K halbeinfach und einfach zusammenziehbar.<br />
Satz 7.46 Die kompakten halbeinfachen einfach zusammenziehbaren <strong>Lie</strong>-Gruppen sind:<br />
Sp(n) := {g ∈ GL(n, H) : t ¯gg = 1n×n} n ≥ 1<br />
SU(n) n ≥ 3<br />
Spin(n) n ≥ 7<br />
G2, F4, E6, E7, E8<br />
Kompakte <strong>Lie</strong>-Gruppen können auch von der Perspektive ihrer <strong>Lie</strong>-Algebren untersucht.<br />
Eine kompakte <strong>Lie</strong>-Algebra heißt genau dann kompakt, wenn sie die <strong>Lie</strong>-Algebra<br />
einer kompakten <strong>Lie</strong>-Gruppe ist. Diese Definition ist aber ziemlich äußerlich. Die Kompaktheit<br />
einer <strong>Lie</strong>-Algebra kann glücklicherweise etwas direkter erkannt.<br />
Satz 7.47 Eine <strong>Lie</strong>-Algebra g ist genau dann kompakt, wenn sie ein Ad-invariantes<br />
inneres Produkt besitzt.<br />
Die Killing-Form einer <strong>Lie</strong>-Algebra ist die Bilinearform<br />
B(X, Y ) := Spur(adXadY ).<br />
Es ist einfach zu zeigen, dass B Ad-invariant ist. Es stellt sich heraus, dass B negativ<br />
definit ist, wenn G kompakt ist. Ist B negativ definit, muss aber G nicht unbedingt<br />
kompakt sein. Der Unterschied ist, dass Tn und Rn besitzen dieselbe <strong>Lie</strong>-Algebra. Also<br />
ist B negativ definit, so ist G Produkt von Rm und einer kompakten <strong>Lie</strong>-Gruppe.<br />
Ist G kompakte <strong>Lie</strong>-Gruppe, so ist −B positiv definit. Linkstranslation von −B ergibt<br />
dann eine links- und rechtsinvariante Metrik auf G. Die entsprechende Volumenform ist<br />
daher auch links- und rechtsinvariant, und ist dann bis auf einen Faktor das Haarsche<br />
Maß gleich.<br />
Ist G kompakt, so ist das Volumen von G endlich. In diesem Fall existiert eine kanonische<br />
Normalisierung des (links- und rechtsinvarianten) Haarschen Maßes dµ, und<br />
zwar �<br />
dµ = 1.<br />
G<br />
Es muss nicht unbedingt sein, dass diese Normalisierung dieselbe Normalisierung ist, die<br />
von der Killing-Form erzeugt wird. Normalerweise werden wir die obige Normalisierung<br />
annehmen, was heißt, dass die zugehörige Metrik am Punkt e nicht genau gleich −B ist,<br />
sondern eher gleich −kB ist, wobei k = 1/vol(G) ist, wobei vol(G) ist das Volumen von<br />
G bezüglich der Killing-Form erzeugten Haarschen Maß ist.<br />
Geometrie der Quantisierung Dr. W. D. Kirwin 56