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Zwischen Gloria Brand Malerei Helmut Dirnaichner und Jo ...

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<strong>Zwischen</strong><br />

<strong>Gloria</strong> <strong>Brand</strong><br />

<strong>Malerei</strong><br />

<strong>Helmut</strong> <strong>Dirnaichner</strong><br />

<strong>und</strong><br />

<strong>Jo</strong> Enzweiler<br />

Objekt<br />

Koichi Nasu


<strong>Zwischen</strong> <strong>Malerei</strong> <strong>und</strong> Objekt<br />

<strong>Gloria</strong> <strong>Brand</strong> <strong>Helmut</strong> <strong>Dirnaichner</strong> <strong>Jo</strong> Enzweiler Koichi Nasu<br />

Historisches Museum Hanau, Schloss Philippsruhe<br />

4. Juli bis 29. August 2004<br />

Kunstverein Speyer, Kulturhof Flachsgasse<br />

9. Oktober bis 6. November 2005


Grußwort<br />

Ausgehend von dem Projekt Skulpturenpark im Park von Schloss Philippsruhe entwickelte<br />

sich eine intensive Zusammenarbeit zwischen Professor Klaus Staudt <strong>und</strong> dem Historischen<br />

Museum Hanau, die in drei Ausstellungen in den Jahren 1987, 1989 <strong>und</strong> 1991 mündete.<br />

Schwerpunkt dieser Ausstellungen waren Werke konkreter Kunst. Die Künstlerinnen <strong>und</strong><br />

Künstler dieser Richtung waren Hartmut Böhm, Hansjörg Glattfelder, Sigurd Rompza,<br />

Klaus Staudt, Carmen Berr, Thomas Emde, Mechthild Fritsch <strong>und</strong> Karin Radoy. Unter den<br />

Stadtbildhauern kann Edgar Gutbub durchaus in diese Reihe gestellt werden.<br />

Die Ausstellungen liefen damals unter dem Oberbegriff »<strong>Zwischen</strong> <strong>Malerei</strong> <strong>und</strong> Objekt«<br />

<strong>und</strong> setzten sicher ein respektables Zeichen für die non-figurative Kunst im Rhein-Main-<br />

Gebiet. Aus den unterschiedlichsten Gründen konnte die Reihe dieser Ausstellungen nicht<br />

fortgesetzt werden. Daher ist es besonders erfreulich, dass es Herrn Professor Klaus Staudt<br />

<strong>und</strong> dem Museumsleiter Dr. Anton Merk gelungen ist, nach über zehnjähriger Pause<br />

diese Reihe wieder aufleben zu lassen <strong>und</strong> mit <strong>Gloria</strong> <strong>Brand</strong>, <strong>Helmut</strong> <strong>Dirnaichner</strong>,<br />

<strong>Jo</strong> Enzweiler <strong>und</strong> Koichi Nasu vier respektable <strong>und</strong> international bekannte Künstler zur<br />

Teilnahme an der Ausstellung zu gewinnen. Koichi Nasu verstarb leider während der<br />

Ausstellungsvorbereitungen im Jahr 2003. Er wird von der Galerie Friedrich Müller Japan<br />

Art in Frankfurt vertreten.<br />

Gemeinsamer Leitfaden dieser Ausstellung ist wieder des Motto »<strong>Zwischen</strong> <strong>Malerei</strong> <strong>und</strong><br />

Objekt« <strong>und</strong> ganz besonders noch der Umstand, dass die Künstlerin <strong>und</strong> die Künstler<br />

Papier als Bildträger benutzen.<br />

Die Ausstellung gewinnt sicher auch einen besonderen Reiz daraus, dass vor kurzem mit<br />

<strong>Jo</strong>n Groom ebenfalls ein Künstler der konstruktiven <strong>Malerei</strong> zur Ausschmückung der neu<br />

gestalteten Stadthalle in Hanau gewonnen werden konnte.<br />

Die Ausstellung ist eine gemeinsame Produktion des Historischen Museums Hanau <strong>und</strong><br />

des Kunstvereins Speyer.<br />

Rolf Frodl<br />

Stadtrat<br />

Franz Dudenhöffer<br />

Vorsitzender des Kunstvereins Speyer<br />

3


4<br />

Vorwort<br />

Eines der gemeinsamen Elemente der Ausstellung »<strong>Zwischen</strong> <strong>Malerei</strong> <strong>und</strong> Objekt« ist die<br />

vordergründig unscheinbare Tatsache, dass das Gestaltungsmittel der Bildträger Papier ist.<br />

Papier ist ein ganz besonderer Stoff auch für Künstler. Leicht <strong>und</strong> scheinbar zerbrechlich ist<br />

es doch zäh <strong>und</strong> widerstandsfähig, dauerhaft <strong>und</strong> haltbar. Es erweckt den Eindruck des<br />

Mobilen <strong>und</strong> Beweglichen, es kann leicht von Ort zu Ort gebracht werden im Gegensatz zu<br />

der architekturgeb<strong>und</strong>enen Kunst oder der Tafelmalerei. Papier ist aber auch in sich sehr<br />

wandlungsfähig, seine Oberfläche <strong>und</strong> Gestalt reicht vom dicken Hadernpapier bis zum<br />

dünnen Japanpapier, von Büttenpapier bis zum Karton. Im Herstellungsprozess können<br />

bereits wesentliche Festlegungen getroffen werden hinsichtlich Beschaffenheit <strong>und</strong> Struktur.<br />

Papier-»Schöpfen« ist nicht von ungefähr auch ein Synonym zum Schöpfen, dem kreativen<br />

Schaffensprozess.<br />

Weitere gemeinsame Elemente der Künstlerin <strong>und</strong> der Künstler sind die Verb<strong>und</strong>enheit<br />

mit der nicht figurativen Kunst, das Aufbrechen des Zweidimensionalen <strong>und</strong> die Öffnung<br />

zum Relief, zum Haptischen.<br />

<strong>Gloria</strong> <strong>Brand</strong> verwendet in einem ersten Schaffensakt »normales« Zeichenpapier, bearbeitet<br />

dies mit Siebdruck <strong>und</strong> zeichnet <strong>und</strong> malt in den Druck hinein. Die Bögen – eigentlich<br />

bereits Kunstwerke – werden dann zerrissen <strong>und</strong> zerschnitten, neu sortiert <strong>und</strong> geklebt<br />

in einem Prozess der Konstruktion <strong>und</strong> Dekonstruktion. Das ästhetische Produkt wird in<br />

der Zerstörung neu geschaffen. So entstehen reliefartige, raumgreifende Gebilde voller<br />

Dynamik in Zeichen <strong>und</strong> Farbe. <strong>Gloria</strong> <strong>Brand</strong> verlässt in ihren Arbeiten die Wand <strong>und</strong><br />

schafft in ihren Stapelbildern auch freistehende Plastiken.<br />

Ihre Arbeiten haben eine große Nähe zur Architektur in der Tektonik <strong>und</strong> in der Farbgebung,<br />

aufgebaut aus Farbklängen, die sich an Piet Mondrian <strong>und</strong> de Stijl orientieren,<br />

weiß <strong>und</strong> schwarz, rot, blau <strong>und</strong> gelb. Die Kunst der holländischen Konstruktivisten wird<br />

in ihren Arbeiten neu gedacht <strong>und</strong> dynamisiert.<br />

Koichi Nasu findet in seinen Werken zu einer kontemplativen Ruhe <strong>und</strong> Klarheit. Er arbeitet<br />

in den Tafelbildern auf Nessel mit vielen Schichten von dünnem Japanpapier, die übereinander<br />

geklebt werden. In dem Klebevorgang spart er allerdings eine zeichenhafte Linienstruktur in<br />

dunklen, grauen <strong>und</strong> schwarzen Tönen aus. Neben den dunklen Linien wächst die Fläche<br />

langsam über das strichhafte Zeichen hinaus. In den Flächen entsteht eine geheimnisvolle<br />

Struktur, in der die Farbe nicht greifbar ist <strong>und</strong> wirkt, sondern »verschwimmt«.<br />

Auch in den Papierarbeiten geht Koichi Nasu ähnlich vor. Farben werden aufgetragen,<br />

abgewischt, mit Japanpapier überklebt, so dass eine schwebend leichte Farbigkeit in<br />

lichtem Relief entsteht, aufbauend auf eine strenge Zeichenstruktur <strong>und</strong> eine klare flächige<br />

Komposition. In diesem harmonischen Zusammenspiel entstehen Bilder von einer hohen<br />

Delikatesse, die Strenge <strong>und</strong> Klarheit mit Leichtigkeit <strong>und</strong> schwebender Tiefe versöhnen.<br />

Aus dem Dunklen wächst das Helle empor.<br />

<strong>Helmut</strong> <strong>Dirnaichner</strong> ist der Gegenpol zu Nasu. Seine Bildträger sind kräftige Zellulose-<br />

Papiere, die in sich schon ein starkes Relief haben. Sie entsprechen dem Bild des in<br />

einem handwerklichen Arbeitsakt aus dem Wasser geschöpften Papiere. Zu der Entstehung<br />

der Papiere braucht es den Rohstoff <strong>und</strong> das Element Wasser.<br />

Das andere Element ist die Erde, der Boden, der Stein. <strong>Helmut</strong> <strong>Dirnaichner</strong> ist fasziniert<br />

von der Erde <strong>und</strong> von den Farben dieser Erde. Er bringt die Erden <strong>und</strong> den edlen<br />

Stein, zerstoßen <strong>und</strong> zermalen, auf das Papier, <strong>und</strong> es entstehen Bilder von einer<br />

intensiven Leuchtkraft <strong>und</strong> Ursprünglichkeit. In seinen Malmitteln nimmt <strong>Dirnaichner</strong><br />

die ältesten künstlerischen Äußerungen überhaupt auf. Unsere »wilden« Vorfahren<br />

haben in einem magischen, zauberischen Malakt ihre Jagdtiere auf die Wände der<br />

dunklen Höhlen beschworen in den Farben der Erde. <strong>Dirnaichner</strong> holt diese Welt aus<br />

dem Dunkel der Höhlen, er macht sie mit seinen leichten Bildträgern mobil, <strong>und</strong> er<br />

macht auch Mobile in leichten lanzettartigen Formen, die den Pinselstrich nachahmen.<br />

Wasser, Erde <strong>und</strong> Luft sind die Elemente seiner Gestaltung. Er erlöst die Erde von ihrer<br />

Schwere <strong>und</strong> dem festen Ort, lässt ihre Farbe leuchten <strong>und</strong> schweben im Wind.<br />

<strong>Jo</strong> Enzweiler, ein Altmeister der konstruktiven Kunst, ist wieder einem klaren Formaufbau


verb<strong>und</strong>en. Seine Arbeiten sind Tafelbilder, wobei er auf eine sehr alte Tradition zurückgreift,<br />

auf die Reihung mehrerer Tafelbilder zu einer größeren Einheit, z.B. im Diptychon<br />

oder Triptychon. Seine große Wandarbeit für Marburg besteht z. B. aus 148 gleichformatigen<br />

Einzeltafeln. In dieser Reihung gleichgroßer Flächen ist bereits im Bildträger ein<br />

Rhythmus vorgegeben. Die Flächen der Tafeln beklebt er mit Pappen, graue, weiße aber<br />

auch farbige Pappen. In einem aufeinander folgenden seriellen System reißt er eine Pappschicht<br />

wieder ab. Das Ergebnis ist Gleichmäßigkeit <strong>und</strong> Gesetzmäßigkeit in der Reihung<br />

<strong>und</strong> Zufall <strong>und</strong> Spontaneität in der Reißung. Durch das Reißen kommt die Farbigkeit der<br />

tiefer liegenden Pappschicht zum Vorschein, die eine einheitliche Farbe aufweist, oft die<br />

Farbe Gelb. Die Gleichmäßigkeit der Reihung schafft einen Rhythmus, die Gleichheit der<br />

Kartonschichten schafft einen einheitlichen Farbklang, die Reißung aber schafft Zufall<br />

<strong>und</strong> formale Freiheit. Ungesetztes auf dem Gesetzten. Durch diese kreativen Prozesse<br />

entsteht eine fein austarierte Harmonie von Abfolge <strong>und</strong> Bewegung, Strenge in der<br />

Fläche <strong>und</strong> Zufall in der Linie, Klarheit in der reduzierten Farbigkeit <strong>und</strong> Dynamik in der<br />

Gewichtung der Farbflächen.<br />

<strong>Jo</strong> Enzweiler gelingt es mit seinen Kartonbildern Gebilde von großer Fülle <strong>und</strong> Dichte<br />

<strong>und</strong> beschwingter Leichtigkeit gleichzeitig auf die Wand zu zaubern. Seine Arbeiten<br />

vermitteln Assoziationen von luftig hellen Landschaften.<br />

Anton MerkMuseumsleiter<br />

Museumsleiter Schloss Philippsruhe<br />

5


1943 geboren in Teschen/Oberschlesien<br />

1960-65 Studium an der Hochschule für<br />

Gestaltung Offenbach/Main<br />

1965-69 Assistentin an den Städtischen<br />

Bühnen Frankfurt/Main<br />

1966 Aufenthalt in den USA<br />

1970 freiberufliche Tätigkeit: Collagen<br />

1985 1. Eisenturmpreis Mainz<br />

1987-88 Lehrauftrag am<br />

Kunstpädagogischen Institut der<br />

Universität Frankfurt/Main<br />

Teilnahme an Ausstellungen im In- <strong>und</strong><br />

Ausland; Messebeteiligungen;<br />

zahlreiche Einzelausstellungen<br />

lebt <strong>und</strong> arbeitet in Dreieich-<br />

Buchschlag/Frankfurt <strong>und</strong> in Berlin<br />

Einzelausstellungen (Auswahl)<br />

1983, 86*, 88*, 90, 91, 93, 03<br />

Darmstadt/Mannheim, Galerie Karin<br />

Friebe<br />

1987* Frankfurt/Main, »forum«<br />

Stadtsparkasse<br />

1987, 89, 91, 95, 00, 02<br />

Frankfurt/Main, Galerie F. A.C. Prestel<br />

1988 Offenbach/Main, Kunstverein<br />

1989* Otterndorf, Museum gegenstandsfreier<br />

Kunst, studio a<br />

Mainz, Brückenturmgalerie<br />

Offenbach /Main, Galerie Erhard Witzel<br />

1989, 91, 93, 95, 98, 03<br />

Berlin, Galerie Hartmann & Noé<br />

1991* Darmstadt, Kunsthalle »Bild-<br />

Schnitt-Bild«<br />

Friedberg, Kunstverein »<strong>Gloria</strong> <strong>Brand</strong>,<br />

Collagen«<br />

1994* Speyer, Kunstverein<br />

1994*, 2003* Dreieich, Städt. Galerie<br />

1996, 2000 Darmstadt/Lindau, Galerie Doris<br />

Wullkopf<br />

1999 Frankfurt, Galerie annmarie taeger<br />

2001 Friedberg, 25 Jahre Kunstverein<br />

»Blick zurück <strong>und</strong> nach vorn II«<br />

2004 Hofheim am Taunus, Sonnabend-<br />

Galerie Ulla Teschner<br />

Gruppenausstellungen (Auswahl)<br />

1978 Frankfurt/Main, Marielies-Hess-Stiftung<br />

»Junge Kunst in Hessen«<br />

1983 Frankfurter Kunstverein<br />

»Szenarium 83«<br />

Düsseldorf, Große Kunstausstellung<br />

1984* Berlin/Emden/Hannover »Deutsche<br />

Landschaft – heute«<br />

1987*, 91*, 93*, 99*, 01*, 03*<br />

Darmstadt, Sezessionsausstellung<br />

1991, 94, 95, 96, 98 Art Frankfurt<br />

1992, 1993 Art Cologne<br />

1993* Speyer, Kunstverein »Collage in<br />

Deutschland«<br />

1997 Frankfurt/M., raum für kunst,<br />

annmarie taeger »Zeichnung, Collage,<br />

Skulptur«<br />

1999* Darmstadt, Kunstverein in der<br />

Kunsthalle »Korrespondenzen«<br />

2001 Otterndorf, Museum gegenstandsfreier<br />

Kunst, studio a »Veränderung«, Neuerwerbungen<br />

der vergangenen 10 Jahre<br />

Speyer, Kunstverein »Kunst aus Speyerer<br />

Privatbesitz –1950 bis 2000, Rückblick in<br />

die Zukunft« *<br />

2002* Hofheim, Kunstverein e.V./Stadtmuseum<br />

Hofheim am Taunus »Hofheimer<br />

Lust« – Kunst aus Hofheimer Privatbesitz<br />

(*Katalog)<br />

<strong>Gloria</strong> <strong>Brand</strong><br />

Bibliografie (Auswahl)<br />

– Verena Auffermann: <strong>Gloria</strong> <strong>Brand</strong>,<br />

Collage. In: Ausstellungskatalog Galerie<br />

Karin Friebe, Mannheim 1988<br />

– Matthias Bleyl: Gespräch mit <strong>Gloria</strong><br />

<strong>Brand</strong>. In: Ausstellungskatalog Galerie<br />

Karin Friebe, Mannheim 1986<br />

– Herbert Dellwing, Dorothea Strauss:<br />

1950 -1993 Collage in Deutschland. In:<br />

Ausstellungskatalog Kunstverein Speyer<br />

1993<br />

– Herbert Dellwing: <strong>Gloria</strong> <strong>Brand</strong>,<br />

Collagen <strong>und</strong> Objekte. In: Ausstellungskatalog<br />

Kunstverein Speyer, Städtische<br />

Galerie Dreieich 1994<br />

– Herbert Dellwing: 1950-2000 Rückblick<br />

in die Zukunft – Kunst aus Speyerer<br />

Privatbesitz. In: Ausstellungskatalog<br />

Kunstverein Speyer 2001<br />

– Roland Held: Korrespondenzen,<br />

Künstler begegnen <strong>Malerei</strong> von<br />

Kindern. In: Ausstellungskatalog<br />

Kunsthalle Darmstadt 1999<br />

– Rainer Lawicki: <strong>Gloria</strong> <strong>Brand</strong>. Schicht<br />

auf Schicht: Raumcollagen. In:<br />

Ausstellungskatalog Stand-Punkte,<br />

Städtische Galerie, Dreieich 2003<br />

– Karin Leydecker: Keine Angst vor rot,<br />

gelb, blau – Collagen. In: das kunstwerk<br />

4 XLIV 1991<br />

– Willi Lindemann: A Bao A Qu – Neun<br />

Künstlerinnen arbeiten zu einem Text<br />

von <strong>Jo</strong>rge Luis Borges. Projekt im<br />

Straßenraum Idar-Oberstein. In: Katalog<br />

Stadt Idar-Oberstein <strong>und</strong> Fachhochschule<br />

Rheinland-Pfalz 1993<br />

– Ulrike Schuck: Ausstellungskatalog<br />

Galerie im Bürgerhaus Neunkirchen<br />

1988<br />

– Ulrike Schuck: Bestandskatalog, Bd. 2,<br />

studio a, Otterndorf, Museum<br />

gegenstandsfreier Kunst, 1991<br />

– Klaus Staudt: Kompositionell – Antikompositionell.<br />

In: Ausstellungskatalog<br />

Kunstverein Speyer, Städtische Galerie<br />

Dreieich 1994<br />

– Ursula Teschner: Die Entwicklung der<br />

Collage bei <strong>Gloria</strong> <strong>Brand</strong>. Magisterarbeit,<br />

<strong>Jo</strong>hann Wolfgang Goethe-Universität<br />

Frankfurt /Main 1995<br />

– Peter Weiermair: <strong>Gloria</strong> <strong>Brand</strong>,<br />

Collagen. In: Ausstellungskatalog forum<br />

Stadtsparkasse, Frankfurt/Main 1987<br />

7


8 <strong>Gloria</strong> <strong>Brand</strong><br />

Fensterbild<br />

2001<br />

Collage-Relief<br />

100 x 108 x 10 cm


<strong>Gloria</strong> <strong>Brand</strong> arbeitet seit mehr als<br />

30 Jahren ausschließlich mit collagiertem<br />

Papier. Nach dem Studium ist sie als Ausstattungsassistentin<br />

an den Städtischen<br />

Bühnen in Frankfurt/M. tätig, wo ihr<br />

Interesse für das Bild als lebendiges<br />

Szenarium geweckt wird. Ihr Werk ist in<br />

der Kunst der 1960er Jahre verankert,<br />

die das Bild neu formuliert. Die Künstlerin<br />

erweitert schon früh den optischen<br />

Erlebnishorizont des Bildes ins Räumliche;<br />

die Thematisierung des Raumes<br />

rückt immer deutlicher in den Mittelpunkt<br />

ihres Schaffens.<br />

Das von <strong>Gloria</strong> <strong>Brand</strong> mit dichten informellen<br />

Strukturen gestaltete Papier verarbeitet<br />

sie zu bewegten Bildräumen,<br />

die mit ihren Rhythmen auf Kommunikation<br />

angelegt sind. Die im Bild gesammelten<br />

Energien ergreifen vom<br />

Raum Besitz. Auch zum Betrachter hin<br />

treten die Papierformen bisweilen ganz<br />

entschieden aus der Bildfläche heraus<br />

<strong>und</strong> schaffen so ein haptisches Bildobjekt.<br />

Die Raumschichten durchdringen<br />

sich <strong>und</strong> ergeben eine irrationale Räumlichkeit:<br />

Das Werk stellt sich dar als ein<br />

offenes Geflecht, in dem eine Vielzahl<br />

räumlicher Bezüge vorhanden ist, in<br />

dem flächige Verdichtungen mit linearer<br />

Lockerheit oder drängender Bewegung<br />

wechseln.<br />

In der komplexen Unbestimmtheit liegt<br />

die Magie dieser Kunstwerke, die in<br />

ihren Formen ein ständig wechselndes<br />

Raumerlebnis offerieren. Die raumplastischen<br />

Massen veranlassen den<br />

Betrachter das Werk unter stets neuen<br />

Aspekten zu sehen <strong>und</strong> so stets neu zu<br />

konkretisieren, so als ob es in ständiger<br />

Verwandlung begriffen wäre. Nicht nur<br />

die Papiere, die gesamte Bild- bzw.<br />

Objektstruktur ist informell, d.h. noch<br />

nicht zur Form geworden, <strong>und</strong> damit<br />

potenzieller Entwurf, der spielerische<br />

Leichtigkeit <strong>und</strong> schwerelose Paradiese<br />

ebenso einschließt wie Verwerfungen,<br />

Brüche <strong>und</strong> Abgründe. Dabei unterwirft<br />

<strong>Gloria</strong> <strong>Brand</strong> ihr informelles Arbeitsmaterial<br />

von Anfang an einer strengen<br />

bildnerischen Kontrolle durch ordnende<br />

Elemente.<br />

Ihre Werke sind geprägt von der<br />

Dialektik zwischen dem informellen<br />

Chaos <strong>und</strong> der Disziplinierung von<br />

TQ1 Transparent-Quadrat<br />

2004<br />

Collage<br />

40 x 40 cm<br />

TQ2 Transparent-Quadrat<br />

2004<br />

Collage<br />

40 x 40 cm<br />

TQ6 Transparent-Quadrat<br />

2004<br />

Collage<br />

40 x 40 cm<br />

<strong>Gloria</strong> <strong>Brand</strong><br />

9


10 <strong>Gloria</strong> <strong>Brand</strong><br />

Weiße Faltung 6<br />

2003<br />

Papiermontage<br />

24,5 x 29 x 8 cm<br />

Weiße Faltung 5<br />

2003<br />

Papiermontage<br />

23,5 x 24,5 x 10 cm<br />

Zeichen <strong>und</strong> Formen – ein Spannungsfaktor,<br />

der alle ihre Bildobjekte kennzeichnet.<br />

Die architektonische Komponente<br />

erinnert <strong>und</strong> verweist auf<br />

Dinge der Realität, aber nicht der Dinge<br />

wegen; es geht der Künstlerin nicht um<br />

den konkreten Gegenstand, vielmehr<br />

um die Schaffung von Situationen <strong>und</strong><br />

Kraftfeldern als Ausdruck ihrer komplexen<br />

Erfahrungen.<br />

In den einzelnen Werkgruppen untersucht<br />

sie anhand von spezifischen<br />

Motiven die Wirkung von Gegenstandsformen<br />

in unterschiedlicher Größe <strong>und</strong><br />

Ausprägung. Den mehrteiligen frei stehenden<br />

Paravent löst sie aus seinem<br />

Funktionsverband <strong>und</strong> benutzt ihn als<br />

Modell für Kunst. Das Durchbrechen der<br />

Flächen, die dynamische Durchdringung<br />

der Einzelteile <strong>und</strong> die Variabilität der<br />

Aufstellung eröffnen neue Perspektiven<br />

zur Interpretation des Raumes. Gerade<br />

bei den Arbeiten an diesem Motiv wird<br />

die Offenheit <strong>und</strong> Weite im bildnerischen<br />

Denken von <strong>Gloria</strong> <strong>Brand</strong> vor<br />

Augen geführt. In ihren Stapelbildern<br />

<strong>und</strong> Stapelobjekten greift die Künstlerin<br />

(wie auch in anderen Fällen) auf ältere<br />

eigene Arbeiten zurück. Zeilenartig<br />

geordnete Collagen erhalten später<br />

Tiefe <strong>und</strong> Volumen. Das Bildobjekt<br />

erfährt jetzt gegenüber der Wand dingliche<br />

Eigenständigkeit. Besonders die<br />

großformatigen frei stehenden Stapel<br />

sind in ihrer Blockhaftigkeit Ordnungs<strong>und</strong><br />

Orientierungsgrößen bei der Inszenierung<br />

<strong>und</strong> Erfahrung von Raum.<br />

In der neueren, experimentellen Serie<br />

der weißen Faltungen tritt die Farbe<br />

zugunsten der durch Licht <strong>und</strong> Schatten<br />

in unterschiedlichen Valeurs bewirkten<br />

Raumhaltigkeit in den Hintergr<strong>und</strong>.<br />

(<strong>Gloria</strong> <strong>Brand</strong> verarbeitet dabei weiß<br />

übermaltes gefärbtes Papier, das durch<br />

die Übermalung hindurchscheint <strong>und</strong><br />

den Arbeiten eine atmende Oberfläche<br />

gibt.) Die weißen Faltungen erscheinen<br />

gegenüber älteren Arbeiten einfacher<br />

<strong>und</strong> legen den formalen Zusammenhang<br />

bloß, der kompliziert genug ist. Er ist<br />

auch hier von einer bildmäßigen<br />

Tektonik bestimmt. Die Künstlerin verzichtet<br />

bei diesen Arbeiten auf gerissenes<br />

Papier <strong>und</strong> verwendet ausschließlich<br />

linear begrenztes, geschnittenes<br />

Papier.<br />

In ihrer jüngsten Serie »Transparente<br />

Quadrate« mischt die Künstlerin wieder<br />

geschnittene <strong>und</strong> gerissene Papiere <strong>und</strong><br />

verarbeitet auch wieder Farben, die sie<br />

aber durch transparente Papiere zum<br />

größten Teil überdeckt <strong>und</strong> verschleiert.<br />

Ähnlich wie ein Milchglas verändern die<br />

transparenten Papiere die dahinter<br />

befindlichen Farben wie auch die räumliche<br />

Struktur. Die harten Kontraste verschwinden,<br />

die Konturen werden aufgeweicht,<br />

die Farben gehen fließend<br />

ineinander über. In Teilen bleiben aber<br />

<strong>Zwischen</strong>räume, die den Durchblick,<br />

den direkten Blick auf die Farbcollagen<br />

ermöglichen. Das Nebeneinander von<br />

offenen <strong>und</strong> verschleierten Segmenten<br />

gibt den Bildobjekten eine zusätzliche<br />

Magie, die die Neugier des Betrachters<br />

<strong>und</strong> die Auseinandersetzung mit dem<br />

Werk herausfordert.<br />

Herbert Dellwing


Weiße Faltung<br />

2003<br />

Papiermontage<br />

34 x 34 x 10 cm<br />

<strong>Gloria</strong> <strong>Brand</strong> 11


12 <strong>Gloria</strong> <strong>Brand</strong><br />

TQ3 Transparent-Quadrat<br />

2004<br />

Collage<br />

40 x 40 cm


Ein Querstapel<br />

2002<br />

Stapel<br />

28 x 60 x 4 cm<br />

<strong>Gloria</strong> <strong>Brand</strong> 13


1942 geboren in Kolbermoor<br />

1970-76 Studium an der Akademie der<br />

bildenden Künste München<br />

1985 viermonatige Arbeitsreise nach<br />

Mexiko mit einem Werkstipendium des<br />

Kunstfonds e.V., Bonn<br />

1990 Förderpreis für bildende Kunst<br />

der Stadt München<br />

lebt <strong>und</strong> arbeitet in Mailand, Apulien<br />

<strong>und</strong> München<br />

Einzelausstellungen (Auswahl)<br />

1989 Kunsthalle zu Kiel<br />

1997 Städtische Galerie Rosenheim;<br />

Heidelberger Kunstverein<br />

1998 Staatliche Kunstsammlungen,<br />

Gemäldegalerie Neue Meister, Dresden<br />

Skulpturenmuseum Glaskasten, Marl<br />

1999 Goethe House, New York<br />

2001 Biblioteca Trivulziana, Mailand;<br />

<strong>Brand</strong>enburgische Kunstsammlungen<br />

Cottbus<br />

2002 Bayerische Staatsbibliothek,<br />

München; Pfalzgalerie Kaiserslautern<br />

2003 Deutsche Forschungsgemeinschaft<br />

Bonn.<br />

Gruppenausstellungen (Auswahl)<br />

1978 Kunstverein München, »abstrakt<br />

konkret absolut«<br />

1984 Kunstverein, Hamburg, »1984 –<br />

im toten winkel«<br />

1989 Akademie der Künste, Berlin,<br />

»Ressource Kunst – die Elemente neu<br />

gesehen«<br />

1990 Heidelberger Kunstverein,<br />

»Blau – Farbe der Ferne«<br />

1991 Kunsthalle Bremen, »Bremer<br />

Kunstpreis 1991«<br />

1999 Karl Ernst Osthaus-Museum, Hagen,<br />

»Die Farbe (Rot) hat mich«<br />

2001 Kunst- <strong>und</strong> Ausstellungshalle der<br />

B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland, Bonn,<br />

»Erde – Foyer«<br />

2002 Bibliotheca Alexandrina, Alexandria,<br />

»Imagining the Book«.; Heidelberger<br />

Kunstverein, Heidelberg, »Der Berg«;<br />

2003 Hunter College / Times Square<br />

Gallery, New York, »seeing red. An international<br />

exhibition of nonobjective painting«;<br />

Haus der Kunst, München, »Große<br />

Kunstausstellung / Sonderausstellung<br />

Ehrensaal«<br />

2004 ex-Conservatorio Sant‘Anna, Lecce,<br />

»Dialettica dell‘amore. Sul Simposio di<br />

Platone«.<br />

<strong>Helmut</strong> <strong>Dirnaichner</strong><br />

Bibliografie (Auswahl)<br />

– <strong>Helmut</strong> <strong>Dirnaichner</strong>, Atla. Hg. vom<br />

Verlag Bernhard Wittenbrink<br />

München 1986<br />

– <strong>Helmut</strong> <strong>Dirnaichner</strong>, Förderpreise 1990.<br />

Monographienreihe, hg. vom<br />

Kulturreferat der Landeshauptstadt<br />

München 1990<br />

– <strong>Helmut</strong> <strong>Dirnaichner</strong>, Das Leichte <strong>und</strong><br />

das Schwere. Hg. vom Verlag für<br />

moderne Kunst, Nürnberg 1993<br />

– <strong>Helmut</strong> <strong>Dirnaichner</strong>, trasparente, Steine<br />

Lichtfelder Räume. Hg. vom Verlag für<br />

moderne Kunst, Nürnberg 1997<br />

– Hans Gercke: <strong>Helmut</strong> <strong>Dirnaichner</strong> –<br />

Sassi volanti. In: Künstler, Kritisches<br />

Lexikon der Gegenwartskunst, Ausgabe<br />

48, Heft 25, München 1999, S. 3-11<br />

– <strong>Helmut</strong> <strong>Dirnaichner</strong>, Erinnerung Erde.<br />

Hg. von Perdita von Kraft, <strong>Brand</strong>enburgische<br />

Kunstsammlungen Cottbus,<br />

2001<br />

– <strong>Helmut</strong> <strong>Dirnaichner</strong>, Terra e Cielo,<br />

a Contrappunto, Presicce, Jhrg. IX,<br />

Nr. 1 <strong>und</strong> 2, April 2001.<br />

– <strong>Helmut</strong> <strong>Dirnaichner</strong>, ante mare et<br />

terras, Künstlerbücher 1979-2001. Mit<br />

einem Werkverzeichnis bearbeitet von<br />

Annette Reich, Verlag für moderne<br />

Kunst, Nürnberg 2001<br />

– <strong>Helmut</strong> <strong>Dirnaichner</strong> / Manfred Briegel:<br />

Erinnerung Erde. Ein Interview.<br />

In: Erde. Schriftenreihe Forum, Band<br />

11, Bonn 2002, S. 126-130<br />

– Antonio Prete: Palude, azzurro – Sumpf,<br />

blau. Per <strong>Helmut</strong> <strong>Dirnaichner</strong>.<br />

Presicce 2003<br />

15


16 <strong>Helmut</strong> <strong>Dirnaichner</strong><br />

Terrae M<strong>und</strong>i<br />

2002<br />

Künstlerbuch mit 12 Doppelseiten<br />

<strong>und</strong> Text in Blindprägung<br />

23 x 46 cm<br />

Detail: mexikanische Erden<br />

Sumpferde, Zellulose<br />

Raumbezogen sind <strong>Dirnaichner</strong>s Arbeiten<br />

in mehrfacher Hinsicht: sowohl was ihre<br />

Mikrostruktur betrifft, die eine Symbiose<br />

darstellt aus kristallinen Mineralien <strong>und</strong><br />

diese bindenden ZeIlstoff-Fasern, als<br />

auch den objekthaften Charakter der<br />

so entstandenen Blätter, in denen es<br />

keinen Bildträger gibt, in denen Form,<br />

Farbe <strong>und</strong> Materie ein <strong>und</strong> dasselbe<br />

sind. (...)<br />

Keinesfalls geht es <strong>Dirnaichner</strong> bei seinem<br />

Umgang mit Erden <strong>und</strong> Steinen um<br />

'Nutzung', um die Gewinnung von Pigmenten.<br />

<strong>Dirnaichner</strong> ist kein monochromer<br />

Maler. Zwar hat sich seine Arbeit<br />

aus der <strong>Malerei</strong> entwickelt, aber sie hat<br />

deren Gattungsgrenzen längst hinter<br />

sich gelassen, weist sowohl in ihrer<br />

Mikrostruktur als auch in ihrer Präsenz<br />

im Raum objekthafte, skulpturale<br />

Qualität auf – eine <strong>Zwischen</strong>stellung<br />

mithin, auf die keiner der gängigen<br />

Gattungsbegriffe so recht zutrifft.<br />

<strong>Dirnaichner</strong>s Kunst steht somit im<br />

Kontext dessen, was in seiner Generation<br />

auf dem Gebiet der Kunst an<br />

Neuem entwickelt wurde: minimalistische<br />

Tendenzen, ein radikales Insistieren auf<br />

der Autonomie des Bildes bei gleichzeitig<br />

gesteigertem Interesse an elementaren<br />

Gegebenheiten des Natürlichen, des<br />

Materiellen, des Prozesshaften, auch an<br />

Vorgängen der Zerstörung als Element<br />

des gestalterischen Aktes, an der Dimension<br />

Zeit, überhaupt einer neuen<br />

Bedeutung des im weitesten Sinne<br />

Kontextuellen. (...)<br />

<strong>Dirnaichner</strong> beschreitet eigene, unverwechselbare<br />

Wege. Die Materie, die er<br />

bearbeitet, ist gleichzeitig Mittel <strong>und</strong><br />

Gegenstand seines Schaffens. In aller<br />

Regel handelt es sich dabei nicht um<br />

'anonyme' Materialien. Vielmehr stammen<br />

sie von Orten, die der Künstler<br />

selbst bereist <strong>und</strong> erforscht hat, sind für<br />

ihn Verdichtung <strong>und</strong> Extrakt einer<br />

Region <strong>und</strong> ihrer komplexen, mit allen<br />

Sinnen wahrgenommenen, auch gedanklich<br />

reflektierten Eigenart <strong>und</strong><br />

Geschichte, Träger von Bedeutung <strong>und</strong><br />

Erinnerung, Auslöser vielfältiger<br />

Assoziationen. (...)<br />

<strong>Dirnaichner</strong>s Arbeiten erzählen Geschichten,<br />

sind selbst – im wörtlichen<br />

Sinn – 'Ge-schichte'. Da ist zum einen<br />

die uralte Geschichte der in Jahrmillionen<br />

'geschichteten' Mineralien.<br />

<strong>Dirnaichner</strong> erzählt sie neu, öffnet den<br />

Stein, zerkleinert die Materie, um ihre<br />

Mikrostruktur zu erschliessen, erweckt<br />

aus der Zerstörung neues Leben, im<br />

wörtlichen Sinne als »Neu-Schöpfung«<br />

<strong>und</strong> »Schöpfungsgleichnis« (Paul Klee).<br />

<strong>Dirnaichner</strong>s Bildobjekte werden so vor<br />

der Wand befestigt, dass ein kleiner,<br />

dennoch spürbarer Abstand zu dieser<br />

bleibt <strong>und</strong> so eine räumliche Spannung<br />

entstehen lässt, die das Objekt zwar von<br />

der Wand trennt, diese aber gerade<br />

dadurch zum Bestandteil der Arbeit<br />

macht. Dabei werden <strong>Zwischen</strong>räume,<br />

Durchblicke – etwa bei ringförmigen<br />

Blättern – <strong>und</strong> Schattenwirkungen als<br />

gestalterische Komponenten bewusst<br />

einbezogen. (...)<br />

Das Prozesshafte von <strong>Dirnaichner</strong>s<br />

Schaffen wird – ebenso wie das Skulpturale<br />

– besonders deutlich bei der<br />

Werkgruppe der Stelen aus festem<br />

Stein, aus Bohrkernen oder auch Kunstprodukten,<br />

F<strong>und</strong>stücken, Säulenresten,<br />

Resultaten also sowohl geologischer<br />

Prozesse als auch bereits menschlicher<br />

Zurichtung, auf die der Künstler dünne<br />

Scheiben aus in Zellstoff geb<strong>und</strong>ener<br />

Mineralsubstanz oder Sumpf-Erde<br />

schichtet, so gleichsam den Prozess der<br />

Sedimentation nacherzählend im<br />

Auflösen des Festen, in der Rückführung<br />

der Materie auf den Aggregatzustand<br />

des Wandels, des Werdens <strong>und</strong> Vergehens.<br />

Der ambivalente Charakter dieser<br />

'Materia instabilis' verkörpert in sich<br />

selbst das Prozesshafte, ist fruchtbar,<br />

Leben spendend <strong>und</strong> Leben bedrohend<br />

zugleich, eine Materie, in der man sich<br />

weder stehend noch schwimmend<br />

behaupten kann – amphibische Verbindung<br />

von Erde <strong>und</strong> Wasser. (...)<br />

Das Mobile steigert <strong>Dirnaichner</strong>s Intention,<br />

das Schwere leicht zu machen,<br />

die Materie zu transformieren, in einer<br />

Weise, die über das bisher Erarbeitete<br />

weit hinausgeht. Die inhaltlichen <strong>und</strong><br />

formalen Raumbezüge der bisherigen<br />

Arbeiten werden um die Komponente<br />

der Bewegung, der Zeit, der Veränderung<br />

bereichert. Verglichen mit den<br />

unmittelbar zuvor entstandenen stelenförmigen<br />

Skulpturen könnte man auch


Apulisches Feld<br />

2000/2001<br />

Sumpferde, Lehmerde, apulische Erde, Zellulose<br />

177 x 196 cm<br />

<strong>Helmut</strong> <strong>Dirnaichner</strong><br />

17


18 <strong>Helmut</strong> <strong>Dirnaichner</strong><br />

Grüne Steine<br />

2004<br />

Verdit, Malachit, Türkis, Chrysokoll<br />

Trovato, Jaspis, Azurit, Zellulose, Holz<br />

103,5 x 99 cm<br />

von einem neuen Schritt der Synthese<br />

von <strong>Malerei</strong> <strong>und</strong> Skulptur sprechen, von<br />

zwei- <strong>und</strong> dreidimensionaler Gestaltung,<br />

doch bewegen sich, wie bereits<br />

erwähnt, im Gr<strong>und</strong>e alle Arbeiten<br />

<strong>Dirnaichner</strong>s in diesem <strong>Zwischen</strong>bereich.<br />

Das Wort »bewegen« ist dabei ganz<br />

wörtlich zu nehmen, auch wenn<br />

Bewegung in <strong>Dirnaichner</strong>s Schaffen bisher<br />

nie so explizit zum Ausdruck gebracht<br />

wurde wie in den seit 1999 entstehenden<br />

Mobiles. (...)<br />

In einem wichtigen Text weist<br />

<strong>Dirnaichner</strong> darauf hin, dass die Farben<br />

des Himmels, des Lichtes <strong>und</strong> der Luft,<br />

die gleichen sind wie die, die sich im<br />

Flüssigen <strong>und</strong> Festen manifestieren: »Die<br />

Farben, die als Mineralien verborgen<br />

unter der Erde liegen, finden sich in den<br />

Farben wieder, die über der Erde sind, in<br />

der Atmosphäre, im Himmel, im Wasser,<br />

bei den Pflanzen <strong>und</strong> Tieren«. (...)<br />

Auszüge aus: Hans Gercke, »<strong>Helmut</strong> <strong>Dirnaichner</strong> –<br />

Sassi volanti« in: »Künstler, Kritisches Lexikon der<br />

Gegenwartskunst«, Ausgabe 48, Heft 25, München<br />

1999, S. 3-11.


Bauxit<br />

2003<br />

Bauxit, Zellulose<br />

40 x 38 cm<br />

<strong>Helmut</strong> <strong>Dirnaichner</strong><br />

19


20<br />

<strong>Helmut</strong> <strong>Dirnaichner</strong><br />

Lapislazuli<br />

1997<br />

Lapislazuli, Zellulose, Holz<br />

155 x 197 cm<br />

Palude<br />

1984<br />

Palude, Zellulose<br />

110 x 85 cm<br />

Ausstellung Centro Culturale Auditorium<br />

Milano-Vignate, »Cielo e terra«, 2002<br />

rechte Seite:<br />

Sassi volanti<br />

1998/2000<br />

11-teilig; Malachit, Auripigment, Zinnober<br />

gebranntes Elfenbein, Lapislazuli, Obsidian<br />

Bergkristall, Zellulose, Stahlstäbe<br />

je: 125 x 100 cm<br />

Ausstellung Max-Planck-Gesellschaft<br />

München, 2000


1934 geboren in Büdingen, Saar<br />

1954-56 Studium der Rechtswissenschaft<br />

in Saarbrücken <strong>und</strong> Hamburg<br />

1956-61 Studium: <strong>Malerei</strong>, Kunsterziehung,<br />

Französisch an derAkademie<br />

der Bildenden Künste, München<br />

(Professor Ernst Geitlinger), Ecole des<br />

Beaux-Arts, Toulon (Professor Olive<br />

Tamari), Universität, Aix-en-Provence <strong>und</strong><br />

am Hochschulinstitut für Kunst- <strong>und</strong><br />

Werkerziehung, Saarbrücken, (Professor<br />

Boris Kleint)<br />

1959-72 Kunsterzieher am Staatlichen<br />

Mädchen-Gymnasium in Saarbrücken<br />

1969 Mitbegründer <strong>und</strong> seither Künstlerischer<br />

Berater der Galerie St. <strong>Jo</strong>hann,<br />

Saarbrücken. Mitherausgeber der Veröffentlichungen<br />

des Verlags St. <strong>Jo</strong>hann,<br />

Saarbrücken<br />

1972-78 Akademischer Rat an der<br />

Pädagogischen Hochschule des Saarlandes<br />

(Lehre der Graphischen Gestaltung)<br />

1976-77 Gast der Deutschen Akademie<br />

Rom, Villa Massimo<br />

1978 Realisation des Projektes Hommage<br />

à El Lissitzky im Bereich der Fußgängerzone<br />

St. <strong>Jo</strong>hanner Markt, Saarbrücken<br />

1979 Professor der Fachhochschule des<br />

Saarlandes, Fachbereich Design<br />

(Lehrgebiet: Künstlerische Druckgrafik)<br />

1988 Gründungsbeauftragter der<br />

Hochschule der Bildenden Künste Saar<br />

1989-2001 Gründungsrektor <strong>und</strong><br />

Professor für <strong>Malerei</strong> an der Hochschule<br />

der Bildenden Künste Saar<br />

1991 Realisation des Wendalinus-<br />

Projektes im Stadtmuseum St. Wendel<br />

1993 Direktor des Instituts für aktuelle<br />

Kunst im Saarland an der Hochschule der<br />

Bildenden Künste Saar, Saarlouis<br />

Mitglied der neuen gruppe saar<br />

Mitglied des Deutschen Werkb<strong>und</strong>es<br />

lebt <strong>und</strong> arbeitet in Saarbrücken <strong>und</strong><br />

Wallerfangen<br />

Ausstellungen (Auswahl)<br />

1964 Galerie Elitzer, Saarbrücken<br />

1972 Galerie P. Szepan, Gelsenkirchen<br />

Deutsches Kulturinstitut, Lyon<br />

1977 Buchhandlung Saarbrücker Zeitung,<br />

Saarbrücken<br />

1978 Städtisches Museum Simeonstift,<br />

Trier<br />

1984 Italienbilder, Gouachen,<br />

Kunstverein, Marburg<br />

1991 Collagen, Gouachen, Zeichnungen<br />

<strong>und</strong> Wendalinusprojekt Raumkonzeption,<br />

Arbeiten von 1986-1991, Stadtmuseum,<br />

Mia-Münster-Haus, St. Wendel<br />

1994 Kartoncollagen <strong>und</strong> Zeichnungen,<br />

Galerie im Alten Haus, Kunstforum<br />

Seligenstadt<br />

1996,1998 Galerie JOB, Mainz<br />

1997 Galerie Grewenig, Heidelberg-<br />

Handschuhsheim<br />

1999 <strong>Jo</strong> Enzweiler im Kunstverein im<br />

Alten Schloß, Gouachen Made in Spain,<br />

Altes Schloss Dillingen<br />

<strong>Jo</strong> Enzweiler in der Stadtgalerie<br />

Saarbrücken Karton-Collagen<br />

<strong>Jo</strong> Enzweiler im Kunstverein Dillingen im<br />

Alten Schloß. Gouachen<br />

2000 <strong>Jo</strong> Enzweiler im Palazzo Albrizzi<br />

Venezia<br />

2001 <strong>Jo</strong> Enzweiler Kartoncollagen <strong>und</strong><br />

Gouachen. Ausstellung in der Sparda<br />

Bank-Württemberg eG Stuttgart,<br />

Städtische Sammlungen Neu-Ulm<br />

2004 <strong>Jo</strong> Enzweiler im Marburger<br />

Kunstverein<br />

<strong>Jo</strong> Enzweiler im Kunstverein Salzgitter<br />

Teilnahme an zahlreichen Gruppenausstellungen<br />

im In- <strong>und</strong> Ausland<br />

<strong>Jo</strong> Enzweiler<br />

Bibliografie (Auswahl):<br />

– <strong>Jo</strong> Enzweiler – Holzschnitte. Goethe-<br />

Institut Teheran 1967<br />

– <strong>Jo</strong> Enzweiler – Collagen. Städtische<br />

Kunstsammlungen. Ludwigshafen 1975<br />

– <strong>Jo</strong> Enzweiler im Schering Kunstverein<br />

Berlin, Berlin 1978<br />

– <strong>Jo</strong> Enzweiler im Kunstverein Salzgitter<br />

Collagen. Salzgitter 1979<br />

– <strong>Jo</strong> Enzweiler im Kunst- <strong>und</strong><br />

Kunstgewerbeverein Pforzheim<br />

Reuchlinhaus, 1982.<br />

– <strong>Jo</strong> Enzweiler im Kunstverein Marburg.<br />

Ausstellung »Italienbilder« Gouachen<br />

1984, Ausstellungshaus Markt 23.<br />

– <strong>Jo</strong> Enzweiler im Centre Culturel Troyes.<br />

Ausstellung Karton-Collages <strong>und</strong><br />

Zeichnungen. Maison du Boulanger.<br />

Saarbrücken 1988.<br />

– <strong>Jo</strong> Enzweiler im Stadtmuseum<br />

St. Wendel. Collagen, Gouachen,<br />

Zeichnungen, Arbeiten aus 5 Jahren<br />

1986-1991 Wendalinusprojekt<br />

Raumkonzeption mit 40 gleichen<br />

Bildern in drei zeitlichen Phasen.<br />

St. Wendel 1991<br />

– <strong>Jo</strong> Enzweiler zum 60. Geburtstag.<br />

Saarbrücken 1994.<br />

– <strong>Jo</strong> Enzweiler Karton-Collagen.<br />

Stadtgalerie Saarbrücken 1999<br />

– <strong>Jo</strong> Enzweiler im Kunstverein im Alten<br />

Schloß Dillingen. Gouachen Made in<br />

Spain. Saarbrücken 1999<br />

– <strong>Jo</strong> Enzweiler im Gespräch mit<br />

Monika Bugs. Saarbrücken 1999<br />

– <strong>Jo</strong> Enzweiler im Palazzo Albrizzi<br />

Venezia. Saarbrücken 2000<br />

– <strong>Jo</strong> Enzweiler Karton-Collagen <strong>und</strong><br />

Gouachen. Sparda-Bank Baden-<br />

Württemberg <strong>und</strong> Städtische<br />

Sammlungen Neu-Ulm. Saarbrücken<br />

2001<br />

– <strong>Jo</strong> Enzweiler im Marburger Kunstverein.<br />

Saarbrücken 2004<br />

23


24 <strong>Jo</strong> Enzweiler<br />

Das Erfinden von optischen Notaten für<br />

visuelle Singstimmen*<br />

Wollte man, meine Damen <strong>und</strong> Herrn,<br />

dem Titel der Ausstellung »<strong>Jo</strong> Enzweiler,<br />

Zeichnungen, Reliefdrucke, Papierschnitte«<br />

einen gleichsam klingenden Untertitel hinzufügen,<br />

– er müsste lauten: »Das Erfinden<br />

von optischen Notaten für visuelle Singstimmen«.<br />

In einem ausführlichen Interview zu Werdegang<br />

<strong>und</strong> Werk des Künstlers vom 9. März<br />

1999 formuliert <strong>Jo</strong> Enzweiler seinen außergewöhnlichen<br />

künstlerischen Ansatz mit<br />

den schlichten Worten: »(…) daraus könnte<br />

man doch eine ganze Bilderwelt entwickeln«.<br />

Mit diesen wenigen Worten des<br />

Künstlers wird, dem Prinzip der Einfachheit<br />

folgend, ein gestalterisches Konzept angedeutet,<br />

das sage <strong>und</strong> schreibe aus nicht<br />

mehr als drei in unserem Alltag geläufigen<br />

Handlungen mit dem Material Karton<br />

besteht: reißen, schneiden, anordnen!<br />

Ihnen diesen ebenso konsequenten wie<br />

artistisch radikalen Ansatz vor Augen zu<br />

führen, ist Thema meiner Eröffnungsrede.<br />

Lassen Sie mich, um diesen Ansatz auch<br />

gebührend würdigen zu können, mit<br />

einem klitzekleinen Kolleg in Sachen<br />

neuerer Kunsttheorie beginnen.<br />

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

erscheint Kunsttheoretikern wie Ästhetikern<br />

Schönheit keine notwendige Eigenschaft<br />

von Bildkunst mehr zu sein, ja, krasser<br />

noch, ihnen ist sogar die »Ausschaltung<br />

des Schönheitsbegriffs« nahezu gleichgültig.<br />

Die Frage nach der Schönheit indessen<br />

wird durch die Frage nach dem Stil ersetzt.<br />

Im Gefolge der Stiluntersuchungen sehen<br />

Theoretiker es nicht mehr als ihre vorrangige<br />

Aufgabe an, zwischen Kunstbild <strong>und</strong> Gebrauchsbild<br />

zu unterscheiden. Konsequenz:<br />

Die künstlerisch-praktische wie wissenschaftlich-theoretische<br />

Arbeit konzentriert<br />

sich mehr <strong>und</strong> mehr auf den Bildbegriff.<br />

In ihrer künstlerisch-praktischen Arbeit<br />

fängt Bildkunst an, das Bild selbst zum<br />

Thema zu machen.<br />

Die wissenschaftliche Debatte um den<br />

inneren Zusammenhang (den Intext) des<br />

Bildes eröffnet mit aller Konsequenz der<br />

große Wiener Kunsthistoriker Alois Riegl.<br />

Sein Forschungsinteresse zielt auf die gliedernde<br />

Verbindung der in den einzelnen<br />

Bildpartien dargestellten Gegenstände mit<br />

allen übrigen Einrichtungen <strong>und</strong> Eigenschaften<br />

des Bildes.<br />

Im Zuge der Kunstwende um 1900 nun<br />

sind es die Künstler selbst, die die Bildthematik<br />

zunehmend in den Vordergr<strong>und</strong><br />

ihrer Arbeit rücken, das heißt, die Richtung<br />

der Untersuchungen ist in diesem Fall<br />

eine sich nach <strong>und</strong> nach verstärkende Bewegung<br />

von unten nach oben, von der<br />

künstlerischen Praxis in die ihr nachfolgende<br />

wissenschaftliche Praxis, die sich heutzutage<br />

auf den beschwerlichen Weg gemacht<br />

hat, allgemeine Bildwissenschaft zu werden.<br />

Von hier aus gesehen ziehen künstlerisches<br />

Handeln <strong>und</strong> wissenschaftliches Handeln<br />

an einem Strang, indem beide als die<br />

unsere Kulturentwicklung dominierenden<br />

Tätigkeiten nicht nur ihr jeweils eigenes<br />

Feld abzustecken suchen, sondern jede<br />

von beiden die eigene Disziplin von<br />

Anfang an zu begründen <strong>und</strong> zu verteidigen<br />

bemüht ist.<br />

Der historische von künstlerischer Seite<br />

aus geführte Streit um das ‘richtige’<br />

Verständnis des Bildes <strong>und</strong> damit des<br />

Bildbegriffs hat ein Datum: 1912!<br />

1912 nämlich spitzt sich der Gr<strong>und</strong>lagenstreit<br />

um den Bildbegriff zu zwischen Max<br />

Beckmann auf der Seite der Traditionalisten<br />

<strong>und</strong> Franz Marc auf der Seite<br />

der Abstraktionisten. Durch die gesteigerte<br />

Dynamik künstlerischer Praxis sind die<br />

Formen der bildlichen Repräsentation<br />

immer deutlicher in die Krise geraten.<br />

Vorreiter für die sich anschließende<br />

Gr<strong>und</strong>lagenforschung im Bereich Bild wird<br />

schließlich <strong>und</strong> bleibt bis heute die Konkrete<br />

Kunst in ihren formellen wie informellen<br />

Ausprägungen, Spielarten <strong>und</strong><br />

Nuancen.<br />

Soweit, meine Damen <strong>und</strong> Herrn, die hier<br />

ein wenig flüchtig ausgefallene Skizze<br />

dessen, was an Richtungen insbesondere<br />

in der Bildkunst seit der Klassischen<br />

Moderne ausgearbeitet wurde <strong>und</strong> nach<br />

wie vor Bestand hat – vom Kubismus <strong>und</strong><br />

Expressionismus über das Bauhaus bis zu<br />

den verzweigten Ansätzen gegenwärtiger<br />

Bildkunst, die »Fotografie nach der Fotografie«<br />

eingeschlossen. Auch das von<br />

<strong>Jo</strong> Enzweiler erf<strong>und</strong>ene bildnerische<br />

Konzept ist hier zuhause. Es gehört zu der<br />

Spielart, die die formelle <strong>und</strong> informelle<br />

Ausrichtung der Konkreten Kunst miteinander<br />

verschränkt – <strong>und</strong> das mit erheblichem<br />

künstlerischen Gewinn.<br />

In dem von mir bereits erwähnten<br />

Interview antwortet <strong>Jo</strong> Enzweiler auf die<br />

zentrale Frage seiner Geprächspartnerin<br />

Monika Bugs: »Was fasziniert Sie persönlich<br />

an der Konkreten Kunst?« in drei – von<br />

mir zusammengefaßten – Punkten:<br />

(i) Die »Konzeption der Konkreten Kunst«<br />

hat »den Kunstbegriff entschieden ausgeweitet«.<br />

(ii) Die Konkrete Kunst ist eins »der wichtigsten<br />

Phänomene des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts«.<br />

(iii) Die Konkrete Kunst hat durch die<br />

Praxis sehr unterschiedlicher künstlerischer<br />

Temperamente die »reine Lehre« hinter<br />

sich gelassen.<br />

Und dann schildert der Künstler den verblüffenden<br />

Vorgang einer visuellen Entdeckung,<br />

die sich seinem alltäglichen,<br />

noch vorkünstlerischen Handeln verdankt:<br />

»Ich habe irgendwann ein großes Stück<br />

Karton für eine bestimmte Handlung,<br />

nicht einmal künstlerische Handlung, auseinandergerissen<br />

<strong>und</strong> habe die beiden<br />

Rißformen nicht sofort weiterverarbeitet,<br />

habe die vor mich hingelegt <strong>und</strong> nach<br />

einem Tag durch Zufall das Produkt wiedergesehen,<br />

<strong>und</strong> gesehen, welche malerische<br />

Vielfalt darin steckt. Ich habe das angeschaut<br />

(…) <strong>und</strong> habe das weiter liegen<br />

lassen, fast ein halbes Jahr, dann habe ich<br />

immer wieder draufgeschaut <strong>und</strong> überlegt:<br />

daraus könnte man doch eine ganze<br />

Bilderwelt entwickeln.«<br />

In den Vorgang des visuellen Entdeckens<br />

<strong>und</strong> Erfindens mischen sich Nachdenklichkeit<br />

<strong>und</strong> Selbstkritik. »Dann«, fährt<br />

Enzweiler fort, »schien mir das aber zu<br />

primitiv <strong>und</strong> zu einfach, ich habe gedacht,<br />

das haben schon tausend Leute gemacht,<br />

in der Tat haben das ja auch schon sehr<br />

viele Künstler gemacht«. Diese selbstkritischen<br />

Einlassungen des Künstlers führen<br />

schließlich zur kreativen Wende: »dann<br />

habe ich es aber aufgeklebt: mit dem<br />

Moment, wo der abgerissene Karton aufgeklebt<br />

war, ergab sich noch stärker diese<br />

Bedeutung der Vielschichtigkeit <strong>und</strong> der<br />

Farbigkeit. Dann habe ich plötzlich gedacht:<br />

so, jetzt arbeitest du daran <strong>und</strong> habe so<br />

im Laufe der Jahre gesehen, wie reich<br />

diese Welt ist.«<br />

Die sich dem Handeln verdankende selbstkritische<br />

Reflexion auf das Selbstgemachte<br />

festigt das künstlerische Konzept <strong>und</strong> eröffnet<br />

zugleich damit den Gestaltungsspielraum<br />

für ein bildliches wie bildnerisches


ohne Titel<br />

Karton-Collage<br />

50 x 30 x 4,5 cm<br />

2003<br />

ohne Titel<br />

Karton-Collage<br />

50 x 30 x 4,5 cm<br />

2003<br />

ohne Titel<br />

Karton-Collage<br />

50 x 30 x 4,5 cm<br />

2003<br />

<strong>Jo</strong> Enzweiler<br />

25


26 <strong>Jo</strong> Enzweiler<br />

Sichtbarmachen einer »ganzen Bilderwelt«,<br />

die wir hier, meine Damen <strong>und</strong><br />

Herrn, gemeinsam an ausgewählten<br />

Beispielen aus Zeichnung, Reliefdruck<br />

<strong>und</strong> Papierschnitt eingehend betrachten<br />

<strong>und</strong> erkennend genießen können.<br />

Seinen drei Ausgangshandlungen reißen,<br />

schneiden, anordnen hat <strong>Jo</strong> Enzweiler im<br />

Prozess der bildnerischen Gestaltung eine<br />

weitere, die Ausgangshandlungen übergreifende<br />

Handlung hinzugefügt: Aus<br />

derselben Art Karton, aus dem er die<br />

Formen reißt, stellt er einen Bildträger her,<br />

den Gitter bzw. Raster mit viereckigen,<br />

quadratischen oder rechteckigen, Elementen<br />

als Einzelfelder seriell bedecken; sie<br />

dienen ihm als ‘Platzhalter’ für die<br />

Wiederholung von Aktualisierungen verschiedener<br />

Rissformen als Füllung, die an<br />

Ort <strong>und</strong> Stelle ihr eigenes Leben auch<br />

gegen rechte Winkel zu führen wissen.<br />

Sie treten untereinander als ähnlich auf,<br />

gleichen sich aber keineswegs wie ein Ei<br />

dem anderen. Sie sind, genauer gesagt,<br />

variante Aktualisierungen desselben<br />

Rissschemas bzw. desselben grafischen<br />

Schemas, z.B. dann, wenn der Künstler<br />

in seinen Zeichnungen dem gewählten<br />

Bildträger gleichsam ein Strichnetz überwirft,<br />

das die Gitterstruktur von Haus aus<br />

mitbringt. Das syntaktische Prinzip der<br />

anfangs recht strengen seriellen Gliederung<br />

hat <strong>Jo</strong> Enzweiler inzwischen teils durchgreifend<br />

variiert <strong>und</strong> in all seinen<br />

Werkgruppen dennoch gleichermaßen<br />

eindrücklich zur Geltung gebracht.<br />

Der Gr<strong>und</strong>satz ‘Einheit in der Mannigfaltigkeit’,<br />

meine Damen <strong>und</strong> Herrn, ist<br />

die bildnerische Basis für die »ganze Bilderwelt«<br />

des Künstlers. Sie geht aus von der<br />

Teil-Ganzes-Relation, für die die Präsentation<br />

der Figur-Gr<strong>und</strong>-Relation (Positiv-<br />

Negativform-Relation) immer wieder<br />

augenfällig gemacht wird <strong>und</strong> die für<br />

unsere gesamte Wahrnehmung unhintergehbar<br />

ist. Diesen Sachverhalt hervorzuheben<br />

ist <strong>Jo</strong> Enzweiler in seinen Arbeiten<br />

von Anfang an gelungen durch die einfache<br />

Handlung des Aufklebens von Einzelformen<br />

auf einen Gr<strong>und</strong>. Auf diesen, meines<br />

Wissens bisher im Werk von <strong>Jo</strong> Enzweiler<br />

nur wenig bedachten Gr<strong>und</strong>satz von der<br />

Einheit in der Mannigfaltigkeit möchte<br />

ich abschließend noch mit einigen kurzen<br />

Bemerkungen eingehen – natürlich ebenfalls<br />

aus der Produktionsperspektive.<br />

Der Gr<strong>und</strong>satz ‘Einheit in der Mannigfaltigkeit’<br />

hat im wesentlichen zwei<br />

Wurzeln, die beide für Enzweilers Werk<br />

von großer Bedeutung sind: die klassische<br />

Kunsttheorie einerseits <strong>und</strong> die der Psychologie<br />

zugehörende Gestalttheorie<br />

andererseits. In der klassischen Kunsttheorie<br />

geht es um Mannigfaltigkeit der<br />

Teile im Hinblick auf ein einheitstiftendes<br />

Ganzes, in welchem die Mannigfaltigkeit<br />

der Teile selbst eine stets klare (lat. clara),<br />

noch nicht aber deutliche (lat. distincta)<br />

sinnlich-erkennende Betrachtung ermöglicht.<br />

Die Ordnung der Teile verdankt sich<br />

dem jeweiligen Ganzen <strong>und</strong> verweist auf<br />

das Ganze, insoweit es von den Teilen vertreten<br />

wird.<br />

In der Gestalttheorie geht es ebenfalls<br />

um die Einheit in der Mannigfaltigkeit.<br />

Doch die eigenständige »Gestaltqualität«<br />

der Einheit lässt sich nicht auf die Qualitäten<br />

der einzelnen Teile der Mannigfaltigkeit<br />

reduzieren. Dem klassischen Beispiel<br />

der Gestalttheorie zufolge, das von ihrem<br />

Gründungsvater Christian von Ehrenfels<br />

stammt, sind die Töne einer Melodie durch<br />

das einheitstiftende Prinzip der Melodie<br />

organisiert, wobei sich die Melodie <strong>und</strong><br />

ihr Verlauf nicht auf die in ihr vorkommenden<br />

Töne zurückführen lässt.<br />

Was, meine Damen <strong>und</strong> Herrn, bedeutet<br />

das für die variierenden Gitter- bzw. Rasterformen<br />

in den einzelnen Werkgruppen des<br />

Künstlers <strong>Jo</strong> Enzweiler?<br />

Die einheitstiftende, organisierende Kraft<br />

des Bildes nach Größe, Format <strong>und</strong> sequenzieller<br />

Gliederung, <strong>und</strong> damit seine<br />

eigenständige »Gestaltqualität« eingeschlossen,<br />

ist unbestritten. Doch, bedenken<br />

Sie, dass, insofern diese »Gestaltqualität«<br />

des Ganzen nicht auf die Qualitäten der<br />

einzelnen Teile des Bildes zu reduzieren<br />

ist, für diese einzelnen Teile des Bildes<br />

sogar ein eigenständiger visueller Spielraum<br />

eröffnet wird, der sich den Qualitäten<br />

der einzelnen bildnerischen Aktualisierungen<br />

selber verdankt. Diese selbstständigen<br />

visuellen Qualitäten der Teile,<br />

den einzelnen Gittern <strong>und</strong> ihren variablen<br />

Füllungen geschuldet, lassen sich, synästhetisch<br />

gesprochen, wie optische Notate für<br />

visuelle Singstimmen entziffern.<br />

Dietfried Gerhardus<br />

*Der vorliegende Text ist meine Rede zur Eröffnung<br />

der Ausstellung »<strong>Jo</strong> Enzweiler, Zeichnungen, Reliefdrucke,<br />

Papierschnitte« am 16.05.2004 in Schloß<br />

Salder, Salzgitter. Der Rededuktus wurde weitgehend<br />

beibehalten.<br />

ohne Titel<br />

1999<br />

Karton-Collage<br />

35 x 35 x 5 cm<br />

ohne Titel<br />

1999<br />

Karton-Collage<br />

35 x 35 x 5 cm


Blick ins Atelier<br />

mit zwei Karton-Collagen<br />

im Format 200 x 90 x 2 cm<br />

aus dem Jahr 2003/2004<br />

<strong>Jo</strong> Enzweiler<br />

27


28 <strong>Jo</strong> Enzweiler<br />

ohne Titel<br />

2002<br />

Karton-Collage<br />

41 x 41 x 4,5 cm<br />

ohne Titel<br />

2003<br />

Karton-Collage<br />

54 x 54 x 4,5 cm<br />

ohne Titel<br />

2002<br />

Karton-Collage<br />

41 x 41 x 4,5 cm<br />

ohne Titel<br />

2003<br />

Karton-Collage<br />

54 x 54 x 4,5 cm<br />

ohne Titel<br />

2003<br />

Karton-Collage<br />

54 x 54 x 4,5 cm<br />

ohne Titel<br />

2003<br />

Karton-Collage<br />

54 x 54 x 4,5 cm


ohne Titel<br />

2003<br />

Karton-Collage<br />

35 x 35 x 5 cm<br />

<strong>Jo</strong> Enzweiler<br />

29


1947 geboren in Yono-Shi, Japan<br />

1968 Studium an der Kunstschule Tokio<br />

(bis 1972)<br />

1972 Europareise <strong>und</strong> Niederlassung in<br />

Deutschland<br />

1973 Studium an der Staatlichen<br />

Akademie der Bildenden Künste Stuttgart<br />

bei Paul Uwe Dreyer (bis 1979)<br />

1979 Stipendium der Kunststiftung<br />

Baden-Württemberg (bis 1981)<br />

1985 Mitglied des Deutschen<br />

Künstlerb<strong>und</strong>es<br />

1987 Stipendium des Kunstfonds e.V.,<br />

Bonn<br />

1992-2001 lebt <strong>und</strong> arbeitet in<br />

Deutschland (Frankfurt/Main) <strong>und</strong> Japan<br />

(Toganashi)<br />

2003 verstorben am 6. März in Togane<br />

Einzelausstellungen (Auswahl)<br />

1977 Galerie Kolczynski, Stuttgart<br />

1979 Produzentengalerie München<br />

Galerie Beatrix Wilhelm, Leonberg<br />

1980 Kunststiftung Baden-Württemberg,<br />

Stuttgart<br />

1982 Galerie Marlisa Hotz, Karlsruhe:<br />

Galerie Beatrix Wilhelm, Leonberg<br />

1983 Unac Tokyo, Tokyo<br />

Art Club + Kunstforum, Freiburg<br />

1984 Galerie Hofstee, Frankfurt am Main<br />

1985 Unac Tokyo, Tokyo<br />

Gesellschaft der Fre<strong>und</strong>e junger Kunst<br />

e.V., Baden-Baden<br />

Forum Stadtsparkasse<br />

Frankfurt a.M<br />

1986 Galerie Zeitlupe, Heidenheim<br />

1988 Gesellschaft für Kunst <strong>und</strong><br />

Gestaltung e.V., Bonn<br />

Galerie Beatrix Wilhelm, Stuttgart<br />

1989, 1990 Unac Tokyo, Tokyo<br />

1993 Galerie Zeitlupe, Heidenheim<br />

Nukem-Projekt, Alzenau<br />

1997 Museum für Moderne Kunst,<br />

Mittelhof<br />

Projekt für die Deutsche Börse AG,<br />

Frankfurt am Main<br />

Galerie Friedrich Müller, Japan Art,<br />

Frankfurt am Main<br />

2000 Art Space Rashinban, Tokyo<br />

2001 Art Space Rashinban, Tokyo<br />

Galerie Friedrich Müller, Japan Art,<br />

Frankfurt am Main<br />

2002 Amano Galerie, Osaka<br />

2003 UNAC salon, Tokyo<br />

Ausstellungsbeteiligungen (Auswahl)<br />

1978 Staatliche Akademie der Bildenden<br />

Künste Stuttgart »Drei Konkrete«<br />

1979 – 1984 Jahresausstellungen des<br />

Deutschen Künstlerb<strong>und</strong>es<br />

1979/81 Forum Junger Kunst<br />

1981 Neue Darmstädter Sezession,<br />

Darmstadt<br />

1981/82 Neue Tendenzen der Zeichnung,<br />

Dimension 81, Berlin <strong>und</strong> Düsseldorf<br />

1982 11 Künstler der Neuen Darmstädter<br />

Sezession, Mannheim<br />

1983 Klasse Dreyer, Alpirsbach<br />

Drei Atelier-Portraits, Sindelfingen<br />

1984 Ausstellung mit Reizo Akiyama,<br />

Gesellschaft der Fre<strong>und</strong>e junger Kunst<br />

e.V., Baden-Baden<br />

1985 Kunstverein Schwetzingen<br />

1984/86 Frankfurter Künstler, Kunstverein<br />

Frankfurt am Main<br />

1986 Dynamik Beherrschen, Kunstverein<br />

Frankfurt am Main (3. Preis)<br />

Koichi Nasu<br />

drei dimensionen, Japanisches<br />

Kulturinstitut Köln<br />

1988 »Drei aus Japan« Städtische Galerie<br />

Wendlingen, Jahresausstellung des<br />

Deutschen Künstlerb<strong>und</strong>es, Stuttgart<br />

1991 Galerie Ostertag, Frankfurt am Main<br />

1992 Galerie Ostertag, Frankfurt am Main<br />

1994 Galerie Beatrix Wilhelm, Stuttgart<br />

Stadt Bilder, Galerie im Karmeliter Kloster,<br />

Frankfurt am Main<br />

1995 Degagement, Das Haus der Kunst<br />

der Stadt Brünn<br />

1996 Degagement, Galerie Václava Spály<br />

Prag<br />

Zeichnen, Germanisches Nationalmuseum<br />

Nürnberg<br />

2001 Spica Museum, Tokyo<br />

Bibliografie<br />

– Arbeiten von 1973 bis 1978 verschiedene<br />

Kataloge<br />

– Koichi Nasu: Formen der Unabsichtlichkeit.<br />

Katalogtext - Produzentengalerie,<br />

München, 1979<br />

– Jürgen Morschel: Konsensus mit dem<br />

Ich. In: Süddeutsche Zeitung 51, vom<br />

02.03.1979, S. 13<br />

– Hanne Weskott: Koichi Nasu. In:<br />

Kunstforum international Band. 34.<br />

April 1979, S. 234<br />

– Günther Wirth: Koichi Nasu. In: Kunst<br />

im Deutschen Südwesten von 1945 bis<br />

zur Gegenwart Hatje. 1982, S. 238<br />

– Masaomi Unagami: Gesuchte Grenzlinie.<br />

In: Kikan Art. Nr. 102, Tokyo, 1983<br />

– Irmtraud Schaarschmidt-Richter:<br />

Kunstbrief aus Tokyo. In: Das<br />

Kunstwerk, April 1983, S. 55<br />

– Masaomi Unagami: Grenz der Lyrik. In:<br />

Rokugatsu no kaze (zweimonatliche<br />

Zeitschrift von Unac Tokyo) Nr. 51, 1983<br />

– Irmtraud Schaarschmidt-Richter: Koichi<br />

Nasu. Katalogtext – Forum<br />

Stadtsparkasse Frankfurt am Main 1985<br />

– Klaus Staudt: Koichi Nasu. Katalogtext:<br />

Galerie Beatrix Wilhelm, 1988<br />

– Sachiko Shikata: Neue Welt von Koichi<br />

Nasu entsteht im Austausch mit seiner<br />

Umgebung. In: Rokugatsu no kaze<br />

Nr. 101, 1990<br />

– Kurt Leonhard: New Art in Europe.<br />

In: Nike Nr. 41, S. 12 & 13, 1992<br />

– Koichi <strong>und</strong> Taeko Nasu: Dialog in einem<br />

Atelier. In: Rokugatsu no kaze<br />

Nr. 175-176, 2003<br />

– Koichi Nasu: Hinaus über die Grenze,<br />

Nasu Koichi 2002-03<br />

31


32 Koichi Nasu<br />

11.7.90<br />

Aquarell auf Papier<br />

118,8 x 83,8 cm<br />

⁄»Nicht daran denken?<br />

Nicht zurückschaun zum Ursprung?<br />

Wenn ich’s nur könnte!«<br />

Kobayashi Issa (1763-1827)<br />

An Symmetrie erinnernde Asymmetrie:<br />

Sachte sich überschneidende Linien trennen,<br />

einer Diagonalen gleich, sandfarbene<br />

Fläche von tiefem Blau. Ein einfaches<br />

Querformat. Dass es ein Querformat ist,<br />

erkennt man am Datum <strong>und</strong> an der<br />

Signatur im rechten unteren Eck: 18. 9. 95<br />

steht dort geschrieben <strong>und</strong> darunter der<br />

Name des Künstlers. So hat er es entschieden.<br />

Doch man mag es drehen, wie<br />

man will. Es ins Hochformat wenden oder<br />

auf den Kopf. Stets bewahrt es sein<br />

Gleichgewicht, seine Harmonie. Still ist es,<br />

zart <strong>und</strong> eigentlich leer. Und dennoch<br />

enthält es ein kleines Universum.<br />

Da ist Spannung verborgen. Eine heitere<br />

Spannung zwischen den Linien <strong>und</strong> den<br />

Flächen, zwischen dem Blau <strong>und</strong> dem<br />

Sand, ja sogar zwischen der von Bildrand<br />

zu Bildrand so entschieden sich gebenden<br />

schwarzen Linie <strong>und</strong> den beiden anderen,<br />

die einander entgegengesetzt, sich für die<br />

Richtungsänderung im Rechten Winkel<br />

entschieden haben. Das sind die Kräfte,<br />

die (neben seiner Schönheit) das Bild in<br />

der Fläche beleben.<br />

Doch da ist noch mehr. Und dieses<br />

»mehr« kann man erahnen, wenn man<br />

aufmerksam geworden ist auf eine gewisse<br />

»Unwirklichkeit« der Farbe. Da ist ein leises<br />

Changieren. Nicht flimmernd. Eher<br />

nebelhaft entrückt. Auf jeden Fall ist es<br />

nicht greifbar. Man wird es verstehen,<br />

wenn man erfährt, wie Koichi Nasu gearbeitet<br />

hat an seiner Bilderwelt, welche die<br />

Kunstgeschichte, für mein Gefühl, etwas<br />

voreilig in die Schublade der Konkreten<br />

<strong>Malerei</strong> abgelegt hat.<br />

Durch einen feinen Kunstgriff ist es Koichi<br />

Nasu gelungen, in seinen Bildern einen<br />

Hauch der Zeit einzufangen. Er bannte sie<br />

mit feinstem Reispapier (washi), das er<br />

auf gleichmäßig aquarellierte Flächen aufbrachte.<br />

Er wusch es mit flachem, wassergetränkten<br />

Pinsel <strong>und</strong> gab ihm gegebenenfalls<br />

einen neuen Farbton, der dann wieder<br />

überdeckt <strong>und</strong> gewaschen wurde. So<br />

formte <strong>und</strong> färbte eine Schicht stets die<br />

nächste mit. Die Arbeitsprozesse kamen,<br />

fließend abgestuft, übereinander zu liegen.


12.8.94 A<br />

Graphit <strong>und</strong> Papier auf Nessel<br />

75 x 60 cm<br />

12.8.94 B<br />

Graphit <strong>und</strong> Papier auf Nessel<br />

75 x 60 cm<br />

Koichi Nasu<br />

33


34 Koichi Nasu<br />

26.3.2001<br />

Aquarell auf Papier auf Aluminium<br />

21,3 x 29,7 cm


Und beim Betrachten sieht man durch sie<br />

hindurch ein wenig in die Vergangenheit<br />

der Bildschöpfung hinein. Und damit auch<br />

in den eingefangenen Zeitabschnitt.<br />

Die Gestaltwerdung der Bildflächen selbst<br />

basiert hier nicht auf einer mathematischen<br />

Berechnung oder auf einem von vorneherein<br />

festgelegten Kanon der Proportionen.<br />

Die rhythmische Korrespondenz<br />

der einzelnen Partien des Bildes, der unterschiedlichen<br />

Farbwerte <strong>und</strong> der Linien<br />

fügt sich ganz unwillkürlich, von sicherer<br />

Hand geführt, »von selbst« zu dem jeweiligen<br />

Werk. So hat Koichi Nasu immer<br />

wieder scheinbar zufällig zu einer Harmonie<br />

in der Bildstruktur gef<strong>und</strong>en, wie sie rechnerisch<br />

nicht genauer hätte erarbeitet werden<br />

können. Die Linienführung <strong>und</strong> das<br />

von ihr mitbestimmte Gewicht der gleichmäßig<br />

aufgebrachten Farben, geben miteinander<br />

dem Bild seine Erscheinungsform<br />

<strong>und</strong> damit seine Harmonie. Linien<br />

bestimmen die (meistens drei-eckige)<br />

Gestalt <strong>und</strong> die Größe der verschiedenen<br />

Farbfelder. Mit Wachsstift gezeichnete<br />

Linien halten Farbbereiche voneinander<br />

fern, die daraufhin in Korrespondenz<br />

zueinander finden. Schwarze Tuschelinien<br />

setzen Akzente.<br />

In seiner Bilderwelt, zu der er großenteils<br />

fern seiner Heimat fand, scheint mir<br />

Koichi Nasu für sich auf sympathische<br />

Weise künstlerische Ausdruckskraft, Spiel<br />

<strong>und</strong> jenes Phänomen miteinander verb<strong>und</strong>en<br />

zu haben, das Kobayashi Issa in seinen<br />

Versen einst als »Ursprung« bezeichnet<br />

hat. Äußerlich wird das bestätigt durch<br />

seine Verwendung des japanischen<br />

Papiers, das seinen Bildern die Einmaligkeit<br />

ihrer Farbwirkung ermöglichte. Ganz im<br />

Inneren klingt es an durch die schmucklose<br />

Schlichtheit, die sein Werk auszeichnet;<br />

durch die Tiefe <strong>und</strong> durch die innere<br />

Ruhe, die es spürbar werden lässt; durch<br />

die anfangs bereits festgestellte Asymmetrie<br />

<strong>und</strong> durch die selbstverständliche Natürlichkeit<br />

(shizen) seiner Arbeitsweise, eben<br />

durch das oben erwähnte »von selbst«,<br />

das schon seit Jahrh<strong>und</strong>erten ein ganz<br />

besonderes Merkmal eines der Wege der<br />

ostasiatischen <strong>Malerei</strong> darstellt.<br />

Peter-Cornell Richter<br />

25.9.89<br />

Aquarell auf Papier auf Karton<br />

20.12.2001<br />

Aquarell <strong>und</strong> Tusche auf Papier<br />

auf Aluminium<br />

42 x 29,8 cm<br />

Koichi Nasu<br />

35


36 Koichi Nasu<br />

10.08.96<br />

Objekt. Aquarell auf Papier<br />

auf Holz<br />

14,5 x 67,0 cm


Koichi Nasu<br />

37


38 Koichi Nasu<br />

10.8.2001<br />

Aquarell <strong>und</strong> Tusche auf Papier<br />

auf Aluminium<br />

42 x 30 cm


10.9.95<br />

Aquarell auf Papier<br />

47,5 x 32,5 cm<br />

Koichi Nasu<br />

39


40 Autoren Impressum<br />

Prof. Dr. Herbert Dellwing<br />

geboren 1940<br />

Studium der Kunstgeschichte in Frankfurt<br />

am Main, München, Venedig<br />

lebte 1964-74 mit Forschungsaufträgen<br />

zur Kunstgeschichte in Italien<br />

(Venedig, Florenz)<br />

Promotion 1967<br />

seit 1975 Konservator im Landesamt für<br />

Denkmalpflege Rheinland-Pfalz in Speyer<br />

<strong>und</strong> Mainz<br />

1979 Habilitation <strong>und</strong> Beginn der Lehrtätigkeit<br />

an der Universität Frankfurt<br />

1983 Professor an der Universität Mainz,<br />

1987 an der Universität des Saarlandes,<br />

seit 1991 wieder an der Universität<br />

Frankfurt<br />

Autor zahlreicher Bücher zur italienischen<br />

<strong>und</strong> deutschen Kunst mit Schwerpunkten<br />

im späten Mittelalter <strong>und</strong> in der Moderne<br />

Prof. Dr. Dietfried Gerhardus<br />

geboren 1938<br />

Studium der Philosophie, Germanistik<br />

(Neuere deutsche Literaturwissenschaft),<br />

Linguistik, Kunstwissenschaft an den<br />

Universitäten Münster <strong>und</strong> Konstanz<br />

1968 Promotion; 1969-70 Projektleiter<br />

der Forschungsgruppe »Kunst <strong>und</strong><br />

Geschichte« in Konstanz<br />

1970-74 wissenschaftlicher Assistent am<br />

Philosophischen Institut der Universität<br />

Hamburg (Lehrstuhl Prof. K. Lorenz)<br />

seit 1975 Akademischer Rat/Oberrat in<br />

der Forschung am Philosophischen Institut<br />

der Universität des Saarlandes mit den<br />

Forschungsschwerpunkten: Zeichen-,<br />

Sprachphilosophie (speziell pikturale<br />

Repräsentationstheorie); Wissenschaftstheorie<br />

der zeichenverstehenden Wissenschaften;<br />

Handlungstheorie (speziell:<br />

Poiesistheorie); Kunstphilosophie<br />

1977-1980 Leiter (mit K. Lorenz) des DFG<br />

Forschungsprojektes »Wissenschaftssprache<br />

versus Umgangssprache«<br />

seit 1991 Lehrbeauftragter an der HBKsaar<br />

seit 2003 Honorarprofessor an der<br />

HBKsaar für Kunstphilosophie, philosophische<br />

Ästhetik, Zeichenphilosophie<br />

Aus den Forschungsschwerpunkten<br />

zahlreiche Buch- (teils mit Maly Gerhardus)<br />

<strong>und</strong> Aufsatzveröffentlichungen<br />

(u.a. Enzyklopädie-Artikel)<br />

Prof. Hans Gercke<br />

geboren 1941<br />

Studien der Kunstgeschichte <strong>und</strong> Musikwissenschaft<br />

in Heidelberg <strong>und</strong> Padua,<br />

publizistische Tätigkeit, mehrere Jahre<br />

Feuilletonredakteur<br />

seit 1979 Direktor des Heidelberger<br />

Kunstvereins. Mitglied IKG<br />

(Internationales Künstler Gremium) <strong>und</strong><br />

IKT (International Association of Curators<br />

of Contemporary Art). Wichtige<br />

Ausstellungen: Prinzhorn-Sammlung,<br />

Angebote zur Wahrnehmung, Der Baum,<br />

Blau – Farbe der Ferne, Der Berg u.a.<br />

Zahlreiche Publikationen vorwiegend zur<br />

zeitgenössischen Kunst <strong>und</strong> Architektur<br />

(Kataloge, Zeitschriftenartikel, Kirchenführer,<br />

Kunstreiseführer), Lehrauftrag für<br />

zeitgenössische Kunst an der Pädagogischen<br />

Hochschule Heidelberg<br />

seit 2003 Honorarprofessor<br />

Peter-Cornell Richter<br />

geboren 1936<br />

Studium der japanischen Kulturgeschichte,<br />

Philosophie <strong>und</strong> Literatur bei Prof.<br />

Horst Hammitzsch an der Universität<br />

München. Aus der engen persönlichen<br />

Verbindung mit Horst Hammitzsch entstand<br />

1983 das gemeinsame Buch<br />

»Über den Hügel hinaus«<br />

Nach Verlagsarbeit (Lektorat <strong>und</strong> Typographie)<br />

wurde die Photographie zu<br />

Beginn der siebziger Jahre zum Beruf.<br />

Daneben Autor verschiedener Kulturzeitschriften<br />

<strong>und</strong> Feuilletons: Westermanns<br />

Monatshefte (Braunschweig, München),<br />

Foglio (Köln), Aufbau (New York), Basler<br />

Zeitung.<br />

Zusammenarbeit mit Georg Stefan Troller<br />

1977 erste Begegnung mit Willi Moegle,<br />

dem Senior der Photographie in der<br />

damaligen BRD, der zum Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong><br />

Mentor wurde<br />

Aufbau <strong>und</strong> Lehre der Fachrichtung<br />

Künstlerische Photographie an der<br />

Pädagogischen Hochschule in Freiburg<br />

von 1972 bis 1993<br />

Vorlesungen <strong>und</strong> Vorträge zu Themen aus<br />

der Photographie- <strong>und</strong> Kunstgeschichte<br />

Herausgeber:<br />

Historisches Museum Hanau,<br />

Schloss Philippsruhe<br />

Kunstverein Speyer, Kulturhof Flachsgasse<br />

Konzeption: <strong>Jo</strong> Enzweiler,<br />

Institut für aktuelle Kunst im Saarland<br />

Redaktion: Claudia Maas<br />

Gestaltung: Valérie Hendrich<br />

Bildnachweis:<br />

Atelier b: S. 8-13<br />

Barbara Bauer-Nuding: S. 7<br />

Carsten Clüsserrath: S. 22, 24-29<br />

Friedrich Müller: S. 30<br />

Marcus Müller: S. 32-39<br />

Francesco Radino: S. 14, 16-19<br />

Dirk Rausch: S. 23<br />

Schambeck, Schmitt: S. 21<br />

Tobias Stier: S. 6<br />

Paolo Vandrasch: S. 20<br />

© Künstler, Autoren <strong>und</strong> Institut für<br />

aktuelle Kunst im Saarland<br />

© <strong>Helmut</strong> <strong>Dirnaichner</strong>,<br />

VG Bildkunst, Bonn 2004<br />

Auflage: 1000<br />

Druck: Krüger Druck+Verlag GmbH,<br />

Dillingen<br />

Verlag: St. <strong>Jo</strong>hann, Saarbrücken<br />

ISBN: 3-928596-86-1<br />

Saarbrücken 2004<br />

Der Druck wurde ermöglicht durch<br />

Historisches Museum Hanau,<br />

Kunstverein Speyer <strong>und</strong><br />

Galerie Friedrich Müller Japan Art,<br />

Frankfurt am Main


<strong>Zwischen</strong><br />

<strong>Gloria</strong> <strong>Brand</strong><br />

<strong>Malerei</strong><br />

<strong>Helmut</strong> <strong>Dirnaichner</strong><br />

<strong>und</strong><br />

<strong>Jo</strong> Enzweiler<br />

Objekt<br />

Koichi Nasu

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