s'Magazin usm Ländle, 30. Oktober 2016
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FORTSETZUNG<br />
HOSPIZ<br />
Fotos: Mathis Fotografie<br />
aus diesemStrom des Alltags herausgerissen<br />
werden. Andem Tag nach<br />
meiner Diagnose – ich kann mich<br />
noch sehr gut erinnern –habe ich die<br />
Welt mit völlig anderen Augen gesehen.<br />
Wie haben Sie die Welt in dieser Zeit<br />
wahrgenommen?<br />
Wieohne diesenSchleier, denwir oft<br />
vor unseren Augen tragen vielleicht<br />
auch, um Dinge erträglicher zumachen.<br />
Ein unverschleierter Blick war<br />
das damals.<br />
Ist die Trennung der Krankenhauswelt<br />
undder anderenWelt nicht auch brutal?<br />
Das Thema wird völlig an den Rand<br />
gedrängt. Aber nicht nur das, ich habe<br />
manchmal das Gefühl, dass dabei sogarzwei<br />
unterschiedlicheZeitsysteme<br />
aneinandervorbeigehen. EinBeispiel:<br />
Im normalen Alltagkann ein Tag unheimlich<br />
schnell vergehen. Kaum hat<br />
er angefangen, ist erschon wieder zu<br />
Ende. Wenn man krankist, dannkann<br />
ein Tagschierunendlich werden.<br />
In anderen Kulturen hat der Tod einen<br />
anderen Stellenwert.Wodurch?<br />
Da geht es wohl auch um den Deutungsrahmen,inden<br />
man das Sterben<br />
hineinstellt. Ineiner deutlich säkular<br />
geprägten Welt kann das schwieriger<br />
sein, denn die eine Frage bleibt ja:<br />
„Was kommt danach?“<br />
Gibt es in Ihrer Arbeit auch Momente<br />
der Freude?<br />
Palliativstationen stellen sich viele<br />
Menschen als dunkle, düstere Orte<br />
vor, woalles nur depressiv durch die<br />
Gänge schleicht. In Wirklichkeit<br />
herrscht dort viel Humor. Dass man<br />
keine Maske mehr tragen muss, setzt<br />
viel Energie frei, gibt eine gewisse<br />
Leichtigkeit. Daskann natürlich auch<br />
Galgenhumor sein. Mein Großvater<br />
hat gesagt:„Ich weiß schon, wie es um<br />
mich steht. Aber weißt du, ich lebe<br />
eben so gern.“<br />
Oft werden Personen, die schwer krank<br />
sind, nur noch als Sterbende gesehen.<br />
STECK<br />
BRIEF<br />
Karl Bitschnau wurde 1961imKlostertal/Vorarlberggeboren.<br />
Nach der Maturaging er für ein Jahr in die USA.Schließlich absolvierte<br />
er die Akademie für Sozialarbiet.Seit 1996 leitet er<br />
das Hospiz Vorarlberg. Er lebt in Hohenems, ist verheiratet<br />
und Vater dreier Kinder.<br />
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Eine Art Umwertung.<br />
Sterbendesind Lebende. Dasvergisst<br />
man oft. Damuss man Gelegenheit<br />
bieten, amnormalen Leben teilzuhaben,<br />
soweit das eben möglich ist. Das<br />
wünschen sich auch die meisten. Das<br />
Umfeld ist so getrimmt, dass man irgendwannnur<br />
nocheinen Sterbenden<br />
sieht. Dasist für die Betroffenen nicht<br />
sehr erbaulich. Es machen natürlich<br />
auch Zuschreibungen wie Diagnosen<br />
etwas mit den Betroffenen: Ich hatte<br />
mindestens ein halbes Jahr Krebszelleninmir.<br />
Ich habeauch gemerkt, dass<br />
etwasmit mir nicht stimmt,mein Umfeld<br />
ist aber ganz normalmit mir umgegangen.<br />
In dem Moment, an dem<br />
die Diagnose da war, konnte fast niemand<br />
mehr ein normales Gespräch<br />
mit mir führen. Es war aber nicht die<br />
Krankheit, sondern die Diagnose. Die<br />
hatden Unterschiedgemacht.<br />
Wie könnte man denn dieses Thema in<br />
der Gesellschaft besser unterbringen?<br />
Es ist ein schwieriges Thema, und es<br />
wird ein schwieriges Thema bleiben.<br />
Wenn wir nicht gerade dazu gezwungen<br />
sind, wollen wir das Fenster zu<br />
diesem Thema immer schnellstmöglich<br />
wieder schließen. Das macht es<br />
natürlich schwer, im öffentlichen Bewusstsein<br />
zu bleiben. DieEnergie, die<br />
wir brauchen, um das Sterben auszublenden,<br />
ist riesig. Wenn wir die anders<br />
einsetzen würden, könnten wir<br />
irrsinnig viel bewegen. Auch ich habe<br />
das Sterben verdrängt, irgendwann<br />
hatte ich aber keine Wahl mehr, als<br />
mich zu konfrontieren. Das hat unheimlich<br />
viel Energiefreigesetzt.<br />
Welche Rolle spielt ein Feiertag wie Allerheiligen<br />
in der Gesellschaft?<br />
Manchmal staune ich, wie stark symbolgesteuert<br />
wirsind. Allerheiligen ist<br />
für viele Menschenein Türöffner, die<br />
Trauer zuzulassen. Da wird es den<br />
Menschen auch zugestanden. Und<br />
wennabends derFriedhof vollerbrennender<br />
Kerzen ist, dann hat das auch<br />
berührende Kraft.<br />
Die Arbeit,die Sie leisten, ist zwiespältig<br />
bewertet.Braucht es dafür Mut?<br />
Es gibtdiesenSpruch:„Es braucht immer<br />
ein wenig mehr Mut als Angst.“<br />
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