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AZ 5000 AARAU | FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />
Beilage zu 20 Jahre Aargauer Zeitung<br />
4. November 1996: Heute vor 20 Jahren erschien<br />
die erste Aargauer Zeitung. Die Ankündigung der<br />
Fusion von Aargauer Tagblatt und Badener Tagblatt<br />
überrascht die Öffentlichkeit. Die grössten Konkurrenten<br />
auf dem Aargauer Zeitungsmarkt künftig vereint?<br />
■ Verleger Peter Wanner<br />
über die Zeitungsfusion,<br />
unternehmerisch eher<br />
Aufbruch als Ankunft.<br />
■ Von Anfang an dabei:<br />
Verwaltungsräte<br />
Hans-Peter Zehnder<br />
und Philip Funk.<br />
■ «Wie war das damals,<br />
Herr Wanner?» Alles<br />
Relevante rund um die<br />
Fusion. Das Interview.<br />
■ Der Historiker Markus<br />
Somm über Josef<br />
Zehnder, «Ur-Gründer»<br />
der AZ Medien.<br />
SEITE 3 UND 4<br />
SEITE 6 UND 7<br />
SEITE 12, 13 UND 14<br />
SEITE 23 UND 24
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 3<br />
Über<br />
allen Gipfeln<br />
ist Unruh’<br />
20 Jahre sind vorbei seit der historischen<br />
Fusion von «Aargauer Tagblatt» und «Badener<br />
Tagblatt». Es ist, als wäre es gestern geschehen.<br />
Nicht wie schnell diese 20 Jahre verflogen<br />
sind, ist das Beeindruckende, sondern wie viel<br />
sich in diesen 20 Jahren verändert hat!<br />
von<br />
Peter Wanner<br />
Verleger<br />
A<br />
ls wir die Fusion zustande<br />
gebracht hatten,<br />
dachten wir: Jetzt bricht<br />
das goldene Zeitalter an.<br />
Wir waren der Überzeugung,<br />
endlich eine starke<br />
Marktstellung erreicht zu haben.<br />
Heute müssen wir sagen, es fängt alles<br />
nochmals von vorne an, denn im<br />
Internet-Zeitalter werden die Karten<br />
neu gemischt. Vorab müssen wir mit<br />
unseren Medien die digitale Transformation<br />
bewältigen. Da stehen wir mittendrin.<br />
Ich vergleiche die Situation stets mit<br />
einer Bergtour. Jeder erfahrene Alpinist<br />
weiss, wie viel gefährlicher der Abstieg<br />
ist als der Aufstieg. Bei den Print-Medien<br />
ist das auch so. Den Aufstieg haben<br />
wir gut bewältigt und wir konnten<br />
auf Gipfelhöhe lange die Sonne geniessen.<br />
Nun hat der Abstieg begonnen,<br />
und der ist beschwerlich genug. Doch<br />
halt! Wir müssen nicht gleich ins Tal<br />
hinunter, wir müssen nur zur nächsten<br />
SAC-Hütte gelangen. Denn von dieser<br />
Hütte aus planen wir verlockende Touren,<br />
Aufstiege auf neue digitale Gipfel.<br />
FORTSETZUNG AUF SEITE 4 3. November 1996 irgendwann am Abend: Die neue AZ läuft. KEYSTONE
4 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />
FORTSETZUNG VON SEITE 3<br />
Der gute Bergsteiger gibt nie auf, er<br />
plant nach vollbrachter Tat bereits die<br />
nächste Bergtour.<br />
Was haben wir nicht alles bewegt in<br />
diesen 20 Jahren. Es gab High- und<br />
Lowlights. Gleich nach der Fusion<br />
mussten wir Dutzende von Arbeitsplätzen<br />
im defizitären Kundendruck<br />
abbauen, um unternehmerische Fitness<br />
zu erlangen. Dann kündigten wir<br />
den Inserate-Pachtvertrag mit der Publicitas,<br />
ohne unsere Partner-Verlage in<br />
Olten und Zofingen rechtlich genügend<br />
abgesichert zu haben. Es brauchte ein<br />
paar Jahre, um das Vertrauen wieder<br />
herzustellen, was insbesondere dem<br />
damaligen Verwaltungsratspräsidenten<br />
Jürg Schärer gelang.<br />
Konzentrisches Wachstum<br />
Mit dem Start der «Mittelland Zeitung»<br />
(2<strong>001</strong>) zündeten wir eine weitere<br />
Wachstums-Rakete; Zofingen, Olten<br />
und Solothurn waren mit an Bord. Im<br />
Jahr 2005 konnten wir uns an der<br />
Vogt-Schild AG (Solothurner Zeitung)<br />
mit 17,5% beteiligen, zwei Jahre später<br />
erhöhten wir die Beteiligung auf 35%,<br />
mussten aber im Gegenzug erneut eine<br />
Pacht mit der Publicitas (P) eingehen,<br />
weil wir sonst nicht an das Aktienpaket,<br />
das diese an der Vogt Schild AG<br />
hielt, herangekommen wären. Nachdem<br />
die P einen ungenügenden Job gemacht<br />
hatte und wir deswegen mit einer<br />
Schadenersatzklage drohten, konnten<br />
wir die Inserate-Pacht vorzeitig beenden.<br />
Im Jahre 2007 lancierten wir<br />
den «Sonntag» (heutige «Schweiz am<br />
Sonntag»), womit wir nationale Bedeutung<br />
erreichten, weil das Blatt mehr<br />
«Andere machten den<br />
Schirm zu oder verkauften<br />
das Unternehmen.<br />
Wir aber drückten<br />
aufs Gaspedal und<br />
waren risikofreudig.»<br />
war als nur eine siebte Ausgabe. Im<br />
gleichen Jahr gelang es, auch noch die<br />
Basellandschaftliche Zeitung an Land<br />
zu ziehen. Die vollständige Übernahme<br />
der Vogt Schild AG erfolgte dann im<br />
Jahr 2009 (die Grafik finden Sie auf Seite<br />
17).<br />
In der ersten Hälfte der vergangenen<br />
20 Jahre haben wir mit voller Kraft auf<br />
Expansion gesetzt. Die Strategie war, in<br />
konzentrischen Kreisen zu wachsen.<br />
2008 kam die Zäsur mit dem Bankrott<br />
der Lehman Brothers und der darauffolgenden<br />
Finanz- und Verschuldungskrise.<br />
Die anschliessende Inserate-Flaute<br />
zwang alle Medienunternehmen zu<br />
happigen Restrukturierungs- und Sparmassnahmen.<br />
Nachdem wir dies überstanden<br />
hatten, setzten wir die Expansion<br />
fort mit dem Kauf von Tele Züri<br />
und Tele Bärn (2011) und der Übernahme<br />
von Radio 24 (2012). Den Abschluss<br />
dieser Expansionsphase in elektronische<br />
und digitale Medien bildete<br />
Fusion: Verleger Peter Wanner, AT-VR-Präsident Arthur Gross und der designierte Chefredaktor Franz Straub (von rechts). KEYSTONE<br />
Hotel Arte Spreitenbach: Hier trafen sich Vertreter von AT und BT zu geheimen Fusionsverhandlungen.<br />
die Lancierung des Online-Portals Watson<br />
(2013/2014).<br />
Zu Anfang der 10er-Jahre setzte spürbar<br />
der digitale Strukturwandel ein.<br />
Das Nutzungsverhalten nicht nur der<br />
jungen Leute begann sich zu ändern.<br />
Auch ältere Leute haben sich damit angefreundet,<br />
die Zeitung auf dem Tablet<br />
oder auf dem Smartphone zu lesen.<br />
Hinzu kommt eine um sich greifende<br />
Gratis-Kultur: Inhalte werden kostenlos<br />
angeboten, die Bezahlschranke funktioniert<br />
nur in den wenigsten Fällen. Parallel<br />
dazu gingen die Werbeerträge bei<br />
Print-Erzeugnissen, vor allem im Bereich<br />
der Stellen- und Immobilienanzeigen,<br />
massiv zurück. Dies alles<br />
machte und macht den Medienunternehmen<br />
zu schaffen – und natürlich<br />
auch uns.<br />
PETER WANNER<br />
Und wie geht es jetzt weiter?<br />
Eigentlich könnten wir stolz sein auf<br />
das Erreichte. Andere machten den<br />
Schirm zu oder verkauften das Unternehmen,<br />
wir hingegen drückten aufs<br />
Gaspedal und waren risikofreudig. Mit<br />
250 Millionen Umsatz und gegen 1000<br />
Beschäftigten haben wir eine Unternehmensgrösse<br />
erreicht, die beachtlich<br />
ist; zudem sind wir breit diversifiziert,<br />
was von Vorteil ist. Doch was<br />
nützt uns dieses Schulterklopfen,<br />
wenn alle doch wissen möchten, wie<br />
es weitergeht?<br />
Man kann uns vorwerfen, wir hätten<br />
die digitale Revolution verschlafen. Mit<br />
der Herstellung von Inhalten könne<br />
man kein Geld mehr verdienen, nur<br />
noch mit Transaktionen auf digitalen<br />
Plattformen. Das heisst, wir hätten in<br />
Jobs- und Immobilienplattformen investieren<br />
müssen, mit denen man heute<br />
das grosse Geld macht. Die Kritik ist<br />
berechtigt. Nur wüsste ich nicht, woher<br />
wir das Geld hätten nehmen sollen.<br />
Wir hätten mindestens 100 bis<br />
200 Mio. Franken lockermachen müssen,<br />
und die waren einfach nicht vorhanden.<br />
Trotzdem darf man nicht einem unreflektierten<br />
Pessimismus verfallen.<br />
Mehr denn je sind Innovation und<br />
Kreativität gefragt. Es ist klar, dass sich<br />
Medien in Richtung digitale Plattformen<br />
bewegen müssen, auf denen mehr<br />
als nur News und Hintergrundberichte<br />
«Zeitungen werden<br />
nicht verschwinden,<br />
aber sie kommen<br />
nicht umhin, ihre<br />
Erscheinungsfrequenz<br />
zu ändern.»<br />
angeboten werden. Services, Produkte<br />
und Leserangebote aller Art müssen da<br />
feilgeboten werden, so wie früher die<br />
Zeitungen ganz selbstverständlich lokale<br />
Marktplätze waren.<br />
Und die Zeitungen selber? Sie werden<br />
nicht verschwinden, aber sie kommen<br />
nicht umhin, ihre Erscheinungsfrequenz<br />
zu ändern, d. h. sie werden<br />
nicht mehr jeden Tag erscheinen, weil<br />
die schnelle Information besser auf<br />
dem Tablet oder dem Smartphone zu<br />
haben ist. AZ Medien überlegen sich<br />
deshalb ernsthaft, an einem Tag nicht<br />
mehr als Print-Ausgabe zu erscheinen,<br />
dafür digital. Denn das Teure an der<br />
Herausgabe einer Zeitung ist nicht die<br />
Redaktion, sondern der Druck, das Papier<br />
und der Vertrieb.<br />
«Die Zukunft der Tageszeitung ist die<br />
Wochenzeitung»: Diese Aussage hat<br />
kurz vor seinem Tod der italienische<br />
Schriftsteller und frühere Journalist Umberto<br />
Eco in einem Interview mit der<br />
«Zeit» gemacht. Andernorts kommt<br />
man auf ähnliche Ideen. So hat kürzlich<br />
ein junger Medienwissenschafter, Andreas<br />
Moring aus Hamburg, gesagt: «Die<br />
gedruckte regionale Tageszeitung sollte<br />
ihre Erscheinungsweise umstellen auf<br />
zwei bis drei Tage in der Woche.»<br />
Bis es so weit ist, dürfte es noch einige<br />
Jahre dauern. Vielleicht geht es auch<br />
schneller. Es kommt ganz auf das Nutzungsverhalten<br />
der Leserinnen und Leser<br />
an. Möchten Sie noch lange eine<br />
Printausgabe in den Händen halten<br />
oder reicht es Ihnen, wenn Sie nur<br />
noch drei- oder viermal pro Woche die<br />
Zeitung im Briefkasten haben? Informieren<br />
Sie sich an anderen Tagen über<br />
digitale Geräte, womöglich mit personalisierten<br />
Push-Nachrichten?<br />
Die Reduktion der Erscheinungsfrequenz<br />
auf Papier heisst aber nicht,<br />
dass das Ende des Journalismus eingeläutet<br />
wird. Im Gegenteil! Nach wie vor<br />
sind Einordnung, Erklärung und Orientierung<br />
gefragt, journalistische Qualität,<br />
Haltung und Glaubwürdigkeit.<br />
Übersicht und Ehrlichkeit in der Information!<br />
In einer Welt, wo jedermann<br />
über Social Media seinen Senf verbreiten<br />
kann, bleibt dies die Kernaufgabe<br />
des Journalismus.
6 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />
Der medialen Aufspaltung vorgebeugt<br />
Der Verwaltungsrat des Aargauer Tagblatts war der Fusions-Idee aus politischen Überlegungen zugetan.<br />
von<br />
Hans-Peter Zehnder<br />
Unternehmer und<br />
Verwaltungsrat<br />
der AZ Medien AG<br />
M<br />
ittwoch, 17. Mai 1995:<br />
Im Rotary Club Wynenund<br />
Suhrental war Peter<br />
Wanner als Referent<br />
zur «Mediensituation<br />
im Aargau» eingeladen<br />
worden. Im Restaurant «Herberge»<br />
in Teufenthal berichtete er über die<br />
Trends in der Medienwelt. Brisant waren<br />
seine Ausführungen zur Zeitungslandschaft:<br />
Der Ostteil des Kantons würde<br />
vom Badener Tagblatt (BT) beherrscht,<br />
der Westteil vom Aargauer Tagblatt (AT)<br />
respektive der Mittelland-Zeitung. Seines<br />
Erachtens bestände die Gefahr, dass der<br />
Kanton Aargau sich medienmässig aufspalte,<br />
wenn sich die beiden Zeitungen<br />
vermehrt in Richtung Zürich respektive<br />
Zofingen oder Basel orientierten. Ein solches<br />
Szenario würde auch politisch und<br />
wirtschaftlich zu einer Aufspaltung des<br />
Kantons führen, der damit seine Identität<br />
verlöre.<br />
Nach dem Ende des Lunchs stellte<br />
ich mich bei Peter Wanner vor. Ich hatte<br />
ihn zuvor nie persönlich getroffen,<br />
jedoch von ihm bei den Beratungen im<br />
VR des AT viel gehört. Unser Gespräch<br />
dauerte etwa zehn Minuten. Die Botschaft,<br />
die ich mitnahm: Peter Wanner<br />
bedauerte, dass seitens des AT kein<br />
Wille zu einer engeren Zusammenarbeit<br />
vorhanden sei. Er würde eine<br />
solche begrüssen und deutete auch<br />
weitergehende Verbindungen an.<br />
Mir war sofort klar: Der Informationsstand,<br />
den wir im AT-VR hatten,<br />
war falsch. Denn unser Geschäftsführer<br />
berichtete immer wieder über Gespräche<br />
mit Peter Wanner, bei denen<br />
seitens des BT kein Wille zu einer engeren<br />
Zusammenarbeit erkennbar sei.<br />
«Der VR muss das führen»<br />
Als ich nach dem Lunch wieder im<br />
Büro war, rief ich umgehend Arthur<br />
Gross an, den damaligen VR-Präsidenten<br />
des AT: «Arthur, ich habe heute Peter<br />
Wanner getroffen, und er hat mir<br />
signalisiert, dass wir vom AT uns Gesprächen<br />
über eine engere Zusammenarbeit<br />
verschliessen. Wir sind bisher<br />
falsch informiert worden, nun bist du<br />
am Zug, denn dieses Thema muss der<br />
VR führen, und nicht der angestellte<br />
Direktor.»<br />
Arthur Gross rief Peter Wanner an,<br />
und beide waren sich bald einig, dass<br />
wir nun auf Stufe VR alle Formen einer<br />
engen Zusammenarbeit vertieft prüfen<br />
sollten. Arthur Gross lud mich dann<br />
Als die Zeitung noch im Schaukasten hing: Das alte AT-Gebäude an der Bahnhofstrasse in Aarau.<br />
ein, ihn zu den Arbeitsgesprächen zu<br />
begleiten, was ich gerne machte. Zum<br />
ersten Mal trafen wir uns am 14. August<br />
1995 im Hotel Arte in Spreitenbach mit<br />
Peter Wanner und Philip Funk als Vertreter<br />
des BT. Als neutraler Projektleiter<br />
war Konrad Fischer dabei, ein<br />
sehr erfahrener Wirtschaftsanwalt aus<br />
Zürich. Er stammte aus Aarau und ging<br />
«Der AT-VR war<br />
von Anfang an positiv<br />
eingestellt. Die Vision<br />
einer starken kantonalen<br />
Zeitung als politische<br />
Brückenfunktion<br />
faszinierte uns.»<br />
mit Peter Wanner in die dortige Kanti.<br />
Die Zahl der Mitglieder der Arbeitsgruppe<br />
war bewusst sehr klein gehalten<br />
worden, um so lange wie möglich<br />
höchste Geheimhaltung zu gewährleisten.<br />
Wir gaben dem Projekt den Decknamen<br />
«K».<br />
Der AT-VR war von Anfang an gegenüber<br />
der Idee einer umfassenden Fusion<br />
positiv eingestellt. Die politische Vision<br />
einer starken kantonalen Zeitung<br />
als Brückenfunktion faszinierte uns.<br />
In den meist frühmorgendlichen,<br />
zahlreichen Geheimtreffen der Arbeitsgruppe<br />
prüften wir verschiedene Formen<br />
des Zusammengehens. Neben einer<br />
vollen Fusion erörterten wir auch<br />
Formen einer Teilfusion und viele Kooperationsvarianten.<br />
Es zeigte sich<br />
aber schnell, dass eine Vollfusion die<br />
beste Konfiguration wäre.<br />
Allerdings stellte sich die Bewertungsfrage<br />
als Knackpunkt heraus. Das<br />
BT war damals ertragsstärker, denn wir<br />
Aarauer hatten vorher eine grosse Investition<br />
in den Ausbau der Akzidenzdruckerei<br />
bewilligt, was die Ertragslage<br />
anfänglich belastete.<br />
Für uns Aarauer war nur eine Fusion<br />
zu paritätischen Werten vertretbar.<br />
Obwohl die Unternehmensbewertung<br />
des BT höher als die des AT war,<br />
wussten alle genau, dass solche Berechnungen<br />
keine exakte Wissenschaft<br />
sind. Zudem dachten wir an<br />
die realpolitische Machbarkeit: «Baden<br />
übernimmt Aarau» – an der Generalversammlung<br />
(GV) des AT wäre<br />
dies mit Sicherheit kein mehrheitsfähiger<br />
Antrag gewesen.<br />
KEYSTONE<br />
Auch die ABB-Fusion war paritär<br />
Peter Wanner lenkte – nach anfänglichem<br />
Widerstand – dann schnell ein.<br />
Er führte während unserer Geheimgespräche<br />
immer wieder die ABB-Fusion<br />
als Vorbild an. Und wir erinnerten ihn,<br />
dass diese aus politischen Gründen<br />
ebenfalls eine 50:50-Fusion war.<br />
Am Freitag, dem 15. März 1996, genehmigte<br />
dann der VR AT die Fusionsverträge.<br />
Wie erwartet, löste die Bekanntgabe<br />
der Fusion starke Reaktionen<br />
aus, nicht zuletzt auch deshalb,<br />
weil die Fusionsverhandlungen bis zum<br />
Schluss geheim gehalten blieben. Eigentlich<br />
sehr erstaunlich, denn in den<br />
letzten Monaten nahm die Zahl der<br />
Projektmitarbeiter stark zu.<br />
Eine Gruppe «besorgter AT-Aktionäre»<br />
mit zahlreichen kantonalen Persönlichkeiten<br />
trat Mitte April in Erscheinung<br />
und sorgte am 3. Mai 1996<br />
an der GV in der «Krone» in Lenzburg<br />
für heisse Diskussionen. Über vier<br />
Stunden dauerte diese GV. Mit Genugtuung<br />
konnten wir dann eine Zustimmung<br />
von 82 Prozent der anwesenden<br />
Aktienstimmen erreichen.<br />
Vorausblickende Weisheit<br />
Meine persönliche Rückblende: Ein<br />
mutiges Projekt, in kurzer Zeit mit einem<br />
kleinen Team vorbereitet, wurde<br />
von den AT- und BT-Aktionären in vorausblickender<br />
Weisheit genehmigt.<br />
Denn ohne diese Fusion würden wir<br />
heute vielleicht eine Tageszeitung aus<br />
Zürich, Basel, Luzern oder Bern lesen.<br />
Ich gratuliere der az zum 20. Geburtstag<br />
und wünsche ihr alles Gute für<br />
die Zukunft.
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 7<br />
Der Mut, es gleich<br />
«richtig zu machen»<br />
Es war ebenso wünschbar, wie es unmöglich schien: dass die<br />
beiden grossen Medienhäuser des Kantons zusammenarbeiten<br />
sollten. Aber die Situation war günstig und nach der Prüfung von<br />
unzähligen Modellen war klar: Ein Zusammenschluss auf<br />
paritätischer Basis, eine «richtige Hochzeit», war das Beste.<br />
von<br />
Philip Funk<br />
Rechtsanwalt<br />
und Verwaltungsrat<br />
der AZ Medien AG<br />
P<br />
eter Wanner, damals<br />
noch unser Nachbar in<br />
Dättwil, schaute persönlich<br />
bei mir vorbei. Das<br />
gab es nur selten, die<br />
Sache musste also wichtig<br />
sein. Wir hatten erst vor kurzem<br />
gemeinsam dem Badener Tagblatt eine<br />
moderne Holding-Struktur verpasst.<br />
Mit dieser Struktur wollten wir<br />
bereit sein, falls sich in der Medienlandschaft<br />
plötzlich Veränderungen<br />
ergeben würden.<br />
Wer hätte gedacht, dass sich diese<br />
Struktur schon sehr rasch als ausgesprochen<br />
hilfreich erweisen würde?<br />
Nun war also Peter Wanner bei mir<br />
und fragte mich, ob ich in einer äusserst<br />
geheimen Arbeitsgruppe mithelfen<br />
würde, die einen möglichen<br />
Zusammenschluss der beiden grossen<br />
Zeitungshäuser im Kanton Aargau<br />
prüfen würde.<br />
Der Wettbewerb der Regionen<br />
Eine Fusion von AT und BT schien<br />
allerdings nahezu unmöglich. Wir alle<br />
wussten um den Wettbewerb dieser<br />
beiden grossen Regionen des<br />
Kantons Aargau, West um Aarau und<br />
Ost um Baden-Wettingen, der sich in<br />
der Politik, im Spitalwesen und eben<br />
auch in der Medienlandschaft bemerkbar<br />
machte. Aber gerade deshalb<br />
würde ein Zusammenschluss<br />
der beiden Zeitungen, eine grosse<br />
Klammer für den ganzen Kanton mit<br />
seiner regionalen Vielfalt, eine einheitliche<br />
Stimme für den Kanton Aargau,<br />
so viel Sinn machen. Klar war<br />
ich bei diesem spannenden Projekt<br />
gerne dabei.<br />
Die klandestinen Treffen mussten<br />
an einem ebenso neutralen wie unverdächtigen<br />
Ort stattfinden. Die<br />
Wahl fiel schliesslich auf das Hotel<br />
Arte in Spreitenbach. Wir waren zu<br />
Beginn lediglich fünf Personen:<br />
Arthur Gross und Hans-Peter Zehnder<br />
als Vertreter des AT, Peter Wan-<br />
ner und ich selbst als Vertreter des<br />
BT und Konrad Fischer als neutraler<br />
Projektleiter. Fischer erwies sich als<br />
Glücksfall. Einerseits war er Aarauer<br />
und deshalb auf der AT-Seite gut akzeptiert,<br />
andererseits kannte ihn Peter<br />
Wanner von der Kantonsschulzeit<br />
her und so war er auch unserer<br />
Seite genehm. Er hatte kurze Zeit<br />
vorher schweizweite Berühmtheit<br />
als Rechtsvertreter von Martin Ebner<br />
in dessen epischen Auseinandersetzung<br />
mit der UBS erhalten. Bei den<br />
gemeinsamen Essen konnte er uns<br />
deshalb jeweils mit spannenden Anekdoten<br />
aus dieser Schlacht unterhalten<br />
(selbstverständlich immer unter<br />
Wahrung des Anwaltsgeheimnisses).<br />
Seine konziliante, vermittelnde<br />
Art half uns, manche Klippe zu überwinden.<br />
Die Konstellation war günstig: Das<br />
AT befand sich in einer Schwächephase,<br />
weil es durch zu forsche und<br />
wenig rentable Investitionen in die eigene<br />
Akzidenz-Druckerei an Ertragskraft<br />
verloren hatte. Das BT war zwar<br />
etwas kleiner als das AT, hatte aber<br />
«Schliesslich wurde<br />
immer klarer: Eine wirkliche<br />
Kraft würde nur<br />
von einer umfassenden<br />
Fusion der beiden Gesellschaften<br />
ausgehen.»<br />
seine Hausaufgaben bereits gemacht<br />
und war deshalb ertragsstärker.<br />
Die Arbeitsgruppe liess Bewertungen<br />
der beiden Gesellschaftsgruppen<br />
nach einheitlichen Grundsätzen erstellen,<br />
war sich aber in Anbetracht<br />
der strategischen Bedeutung des Projektes<br />
schnell einig, dass der Zusammenschluss<br />
so oder anders auf paritätischer<br />
Basis erfolgen sollte. Die Aktionäre<br />
der beiden Gesellschaften<br />
sollten also nach dem Zusammenschluss<br />
je 50 Prozent halten. Wir<br />
prüften und verwarfen unzählige Kooperationsmodelle:<br />
vertragliche Kooperation,<br />
unechte oder echte Fusion,<br />
Joint Venture, Zusammenschluss<br />
nur des Zeitungsdruckes etc.<br />
Schliesslich aber wurde immer klarer:<br />
Eine wirkliche Kraft würde nur<br />
von einer umfassenden Fusion der<br />
beiden Gesellschaften ausgehen. Um<br />
das Projekt zum Erfolg führen zu<br />
können, planten wir also die direkte<br />
Hochzeit und nicht eine Verlobung<br />
oder gar nur ein Konkubinat mit ungewissem<br />
Ausgang. Dieser Mut sollte<br />
sich bewähren.<br />
Die Geheimhaltung klappte<br />
Wie bei allen solchen Projekten<br />
üblich, wuchs die Zahl der Eingeweihten<br />
rasch an. Waren zunächst<br />
nur fünf Personen involviert, mussten<br />
je länger je mehr Arbeitsgruppen<br />
für wichtige Teilfragen gebildet werden<br />
und die Anzahl der Eingeweihten<br />
war bald nicht mehr überschaubar.<br />
Es ist deshalb speziell bemerkenswert,<br />
dass der vorgesehene Zusammenschluss<br />
bis zur offiziellen Bekanntgabe<br />
geheim gehalten werden<br />
konnte. Alle Beteiligten hatten sich<br />
an die Geheimhaltungsbestimmungen<br />
gehalten!<br />
Die Bekanntgabe der vorgesehenen<br />
Fusion schlug im Kanton Aargau ein<br />
wie eine Bombe. Unvermeidlicherweise<br />
meldete sich rasch und vehement<br />
eine Vielzahl von Bedenkenträgern<br />
und besorgten Bürgern, welche<br />
den Untergang der journalistischen<br />
Qualität und/oder der Meinungsvielfalt<br />
im Kanton Aargau<br />
herbeiredeten. Entgegen und trotz all<br />
diesen Bedenken wurde die Fusion<br />
ohne Änderungen und Abstriche wie<br />
vorgesehen umgesetzt.<br />
Die Generalversammlung des AT,<br />
damals noch im Hotel Krone in Lenzburg,<br />
dauerte bis tief in die Nacht.<br />
Unsere Delegation vom BT durfte im<br />
ersten Teil nicht dabei sein und<br />
musste stundenlang in einem Nebenraum<br />
warten, bis wir uns schliesslich<br />
den Aktionären des AT persönlich<br />
vorstellen durften.<br />
Rückblickend darf man mit Befriedigung<br />
feststellen, dass sich die<br />
damaligen Bedenken nicht bewahrheitet<br />
haben und dass das Projekt als<br />
leuchtendes Beispiel einer gelungenen<br />
Fusion gelten darf.<br />
Herzliche Gratulation der AZ zum<br />
runden Geburtstag und auch für die<br />
Zukunft alles Gute!<br />
Eines der Wahrzeichen von Baden: das BT-Hochhaus an der Bruggerstrasse.<br />
KEYSTONE
8 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />
Eher mechanisch als chemisch verbunden<br />
Ein genauerer Blick auf die Vorgeschichte der Zeitungsfusion von 1996 zeigt, dass sich die beiden Verlagshäuser<br />
in ihrer Wachstumsstrategie zuvor sehr wohl unterschieden hatten – mit Folgen bis in die Redaktion hinein<br />
von Andreas Müller<br />
Historiker, Autor<br />
von «Geschichte der<br />
politischen Presse<br />
im Aargau»<br />
A<br />
ls am 27. März 1996 auf<br />
Schloss Lenzburg die<br />
Zweckheirat der zwei<br />
schärfsten Konkurrenten<br />
auf dem Pressemarkt im<br />
Aargau bekannt gegeben<br />
wurde, da suchte man selbstverständlich<br />
das Verbindende herauszustreichen.<br />
Die Verhandlungen und der<br />
Beschluss der beiden Verwaltungsräte<br />
waren in aller Stille erfolgt. Man versuchte,<br />
die Schockstarre der Abonnentenschaft<br />
mindestens abzudämpfen.<br />
Schliesslich würden sich zwei liberale<br />
Tageszeitungen, die eine mehr im Osten,<br />
die andere mehr im Westen des<br />
Kantons beheimatet, friedlich verbinden.<br />
Der moderne Aargau, geplagt von<br />
den Gravitationskräften der grossstädtischen<br />
Zentren, benötige eine gemeinsame<br />
Tagespresse: die Spannungen und<br />
Neckereien zwischen Aarau und Baden<br />
seien von gestern und nicht mehr<br />
aktuell. So könne zusammenwachsen,<br />
was längst zusammengehöre.<br />
Abgesehen von der Eigenständigkeit<br />
des «Zofinger Tagblattes», das man damals<br />
tunlichst ausser Acht liess, ahnend,<br />
dass von dort noch einiges Ungemach<br />
auf das Fusionsprodukt wartete,<br />
war die Vorgeschichte der beiden Tagblätter<br />
so verschieden, dass sich dies<br />
auf den Charakter von Verlag und Redaktion<br />
auswirken musste. Mit einem<br />
Bild: Die Verbindung war eine mechanische,<br />
keine chemische.<br />
Titel kaufen, Standort besetzen<br />
Das Aargauer Tagblatt hatte im Vorfeld<br />
als Erfolgsrezept das Kopfblattsystem<br />
gewählt: Eine notleidende Zeitung<br />
im angrenzenden Raum wurde mit<br />
dem Mantel des AT und erweiterten Lokalteilen<br />
ausgestattet. Geschäftlich ging<br />
dies mit dem Ankauf dieser Blätter einher,<br />
sodass einige Titel auch verschwinden<br />
konnten, wenn die Kooperation zu<br />
aufwendig wurde («Seetaler»!). Kauf<br />
und Eingliederung verlangte vom Verlag<br />
Geldmittel für den Erwerb und Investitionen<br />
in erweiterte Druckanlagen.<br />
Das Badener Tagblatt hingegen versuchte,<br />
dasselbe Ziel längere Zeit mit<br />
dem alleinigen Ausbau der Redaktion<br />
zu erreichen, verbunden mit Zweigstellen<br />
an neuen Standorten. Dies<br />
zwang die Lokalblätter im Umkreis des<br />
Wanner-Blattes zu besserer Lokalberichterstattung<br />
und zur langsamen<br />
Liquidierung des inländischen und aargauischen<br />
Teils. Immer häufiger hielten<br />
sich Haushalte in diesem Kantonsteil<br />
zwei Zeitungen: das Lokal- und das Regionalblatt.<br />
Das Nachsehen hatte das<br />
Parteiblatt. Es fiel zwischen Tisch und<br />
Bank. Verleger Otto Wanner II. hat zeit<br />
seines Lebens die Gewinne aus dem<br />
Unternehmen vorab in die Redaktion<br />
eingebracht und bezüglich technischer<br />
Ausstattung sich immer nur «nach der<br />
Decke» gestreckt. Er kaufte Occasions-<br />
Maschinen; er blieb als Zeitungsmacher<br />
immer der schreibenden Zunft verbunden,<br />
die Drucktechnik war sekundär.<br />
Als selbstständiger Unternehmer hatte<br />
er freie Hand, entsprechend seiner Vorliebe<br />
zu investieren, ja, gelegentlich gar<br />
einen «Strauss» mit den mächtigen Akquisitions-Firmen<br />
auszutragen.<br />
Beiden Regionalzeitungen gelang mit<br />
ihrer jeweiligen Methode eine ungeahnte<br />
Erweiterung der Auflage: von rund<br />
10 000 von 1950 auf 60 000 vor der Fusion<br />
von 1996. Dass dabei einige Gazetten<br />
ihre Selbstständigkeit einbüssten<br />
oder die Titel verschwanden, kann niemanden<br />
erstaunen. Die Methode Wanner<br />
brachte im Vorfeld zwar mehr Bewegung<br />
ins Redaktionsteam, zeitweise<br />
fast interne Revolten, aber finanziell<br />
«Die unterschiedliche<br />
Philosophie<br />
der Zeitungen zeichnete<br />
sich in den Redaktionen<br />
ab: Der Unruhe in Baden<br />
stand die Konstanz<br />
in Aarau gegenüber.»<br />
keine Strapazen. Die Aarauer Methode<br />
war kapitalintensiv und verlangte oft<br />
wider Willen Anpassung an die Marktlage.<br />
Die Aktiengesellschaft konnte weniger<br />
spontan reagieren und musste jede<br />
Aktion abwägen.<br />
Die Fusion verband zwei Tageszeitungen<br />
mit verschiedenen Philosophien,<br />
was sich auch in den Redaktionen<br />
abgezeichnet hat: Der Unruhe in<br />
Baden stand die Konstanz in Aarau gegenüber.<br />
Die Amalgamierung war das<br />
Werk von Peter Wanner, der seit 1993<br />
den Badener Verlag führte. Und dies<br />
gelang, obwohl gleichzeitig die digitale<br />
Umstellung den Prozess belastete.<br />
Früher sieben Tageszeitungen<br />
An der Schwelle zum 20. Jahrhundert<br />
existierten im Aargau sechs Tageszeitungen:<br />
neben dem Aargauer- und<br />
Badener Tagblatt wirkten auch das<br />
Brugger- und das Zofinger Tagblatt als<br />
liberale Regionalzeitungen. Entsprechend<br />
der geografischen und historischen<br />
Topografie des Kantons deckten<br />
diese Blätter je ihr Einzugsgebiet ab.<br />
Aus den Anfängen: Wohnhaus und Druckerei Wanner, Bruggerstrasse Baden.<br />
Redaktionsalltag Aargauer Tagblatt: Kunstkritikerin Annelise Zwez und Kollege.<br />
Jungverleger Peter Wanner vor der Fusion im Büro in Baden.<br />
HO<br />
HO<br />
HO<br />
Entsprechend der parteilichen Struktur<br />
waren aber im freisinnigen Spektrum<br />
zwei weitere Tageszeitungen in den<br />
Zentren Baden und Aarau beheimatet:<br />
In Aarau bestand das Wirz-Blatt (später<br />
Keller-Blatt) «Aargauer Nachrichten»<br />
(bis 1918) und in Baden das Jäger-Blatt<br />
«Schweizer Freie Presse» (erst ab 1925<br />
BGB-Parteiblatt). Beide Tageszeitungen<br />
wollten weniger gouvernemental sein<br />
und wirkten oft unbekümmert neben<br />
der Parteilinie.<br />
Auch wenn dann 1918 das Aargauer<br />
Tagblatt sich die Aargauer Nachrichten<br />
einverleiben konnte, war schon 1912<br />
wieder ein Konkurrenz-Organ in Form<br />
der «Neuen Aargauer Zeitung» erstanden.<br />
Auch sie markierte bis 1946 kantonsweit<br />
den links-liberalen Standpunkt<br />
im Lager des Freisinns. Als dann<br />
vor dem Ersten Weltkrieg, 1911 und<br />
1912, auch die katholisch-konservative<br />
(später CVP) Parteizeitung «Aargauer<br />
Volksblatt» (Baden) und die Arbeiterpresse<br />
«Freier Aargauer» (Aarau) täglich<br />
erscheinen und ab 1925 auch die<br />
«Freie Presse» zur täglichen Bauernzeitung<br />
mutiert, so zählte der Aargau<br />
nicht weniger als sieben Tageszeitungen,<br />
die bis zum Ende des Zweiten<br />
Weltkrieges im Kanton profiliert Politik<br />
behandelten und betrieben.<br />
Der Gang aufs Land<br />
Neben den Tagblättern wirkten die<br />
Lokalzeitungen auch als Anzeiger und<br />
Forum der ländlichen Auseinandersetzung.<br />
Je expansiver die Tagblätter<br />
hier eindrangen, desto mehr wurden<br />
die kleinen Blätter genötigt, selber zu<br />
fusionieren oder das Erscheinen einzustellen.<br />
Als 1959 das Aargauer Tagblatt den<br />
Ausbau seines Lokalteiles in der Region<br />
Lenzburg ankündigte, war es um die<br />
«Lenzburger Zeitung» geschehen. Der<br />
Titel wurde dem AT verkauft und die<br />
Auflage von 2200 Abonnenten wurde<br />
abgetreten. Auf leisen Sohlen gelangte<br />
der «Seetaler» in Seengen in die Familie<br />
der AT-Kopfblätter. 1964 hatte er sich<br />
nicht nur mit dem «Lindenberger»<br />
(Fahrwangen) zusammengeschlossen,<br />
sondern schon früher – nach dem Verschwinden<br />
der «Lenzburger Zeitung» -<br />
1959 ein Kopfblatt «Lenzburger Nachrichten»<br />
lanciert. Wegen «prekären Verhältnissen»<br />
gelangten Druckerei und<br />
Zeitung mehrheitlich in die Hände der<br />
Aargauer Tagblatt AG, blieben aber vorerst<br />
als selbstständige Lokalzeitung unter<br />
dem alten Firmennamen erhalten.<br />
Am 1. 0ktober 1973 wurde anstelle des<br />
alten «Seetalers» (zweimal wöchentlich)<br />
das «Seetaler Tagblatt» ausgeliefert, das<br />
heisst, das «Aargauer Tagblatt» mit einer<br />
zusätzlichen Seite Seetal.<br />
Im Jahre 1969 war das «Brugger Tagblatt»<br />
an der Reihe. Nicht so schmerz-
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 9<br />
los wie in Lenzburg suchte die kleinste<br />
Tageszeitung Schutz beim Aargauer<br />
Tagblatt, weil sie sich vom Badener<br />
Tagblatt bedrängt fühlte. Mit der Ansiedlung<br />
der BBC im Birrfeld war Brugg<br />
immer deutlicher ins Einzugsgebiet von<br />
Baden gelangt. Die Annäherung an Aarau<br />
sollte diese Tendenz abbremsen. So<br />
wurde das «Bruggerli» zum Kopfblatt<br />
des AT.<br />
1973 überraschte die freisinnige<br />
«Freiämter Zeitung» in Wohlen ihre Leserschaft<br />
mit dem neuen Konzept eines<br />
«Freiämter Tagblatts». Auch hinter dieser<br />
Ankündigung verbarg sich die Übernahme<br />
durch das AT. Damit hatte sich<br />
das Aarauer Unternehmen den Inseratenmarkt<br />
gegen eventuelle Konkurrenz<br />
aus Baden gesichert. Der «Wohler Anzeiger»,<br />
das CVP-Blatt von Casimir Meyer,<br />
blieb aber im Raume unteres Freiamt<br />
bestehen und wird sich später mit<br />
dem «Bremgarter Bezirks-Anzeiger»<br />
(bis 1995) vereinigen. Der Vorstoss des<br />
AT ins Freiamt veranlasste das Badener<br />
Tagblatt zum Kauf der «Freiämter<br />
Nachrichten» (1992) des Verlegers<br />
Sprüngli in Villmergen.<br />
Im Jahre 1973 wurde vom Verlag<br />
«AZ-Freier Aargauer» der Druckereibetrieb<br />
aus wirtschaftlichen Zwängen<br />
aufgegeben. Der Druckauftrag wurde<br />
dem AT übertragen, auch wenn sich<br />
die beiden Zeitungen inhaltlich nicht<br />
hold waren. Erst 1987 gab die Arbeiterzeitung<br />
ihr Erscheinen auf. In der gleichen<br />
Zeit kam auch die CVP-Zeitung<br />
«Aargauer Volksblatt» in Schwierigkeiten.<br />
Obwohl es in eigener Druckerei fabriziert<br />
wurde, musste es mit dem Badener<br />
Tagblatt einen Inseratenpool eingehen.<br />
Erst 1992 stellte auch diese Tageszeitung<br />
ihr Erscheinen ein.<br />
Inserenten wollen Reichweite<br />
Mit dem letzten Beispiel wird sichtbar,<br />
was eigentlich der Auslöser der<br />
ganzen Pressekonzentration im Aargau<br />
war: die Wandlung des Inseratenmarktes.<br />
Die grossen Inserenten und<br />
Das Büro Brugg der Aargauer Zeitung in der Brugger Altstadt.<br />
Lieferanten der Reklameseiten drängten<br />
nach Presseorganen mit einer<br />
breiten Leserschaft, und die Latte<br />
wurde sehr hoch gelegt. So löste dies<br />
einen eigentlichen Inseratenkrieg innerhalb<br />
des Aargaus aus, der teilweise<br />
auch von Angriffen aus den städtischen<br />
Zentren der Nachbarkantone<br />
begleitet wurde.<br />
Nach Meinungsverschiedenheiten<br />
kündigte Otto Wanner 1984 den Vertrag<br />
mit der Publicitas und akquirierte<br />
nun seine Inserate selber. Als Antwort<br />
lieferte Publicitas ein redigiertes Konkurrenzblatt<br />
«Aargauer Woche» gratis<br />
in alle Haushaltungen des BT-Einzugsgebietes.<br />
Zwei Jahre dauerte das Ringen,<br />
bis ein Modus Vivendi gefunden<br />
werden konnte. Doch eine neue Bedrohung<br />
ging nun von den Zürcher<br />
Verlagshäusern aus. Als Abwehr wurde<br />
die Zeitung «Der Limmattaler», Dietikon,<br />
aufgekauft, um die neutrale Zone<br />
zwischen Zürich und Baden abzudecken.<br />
Das «Zofinger Tagblatt» fürchtete auf<br />
dem Inseratenmarkt das AT als Bedrohung,<br />
denn dieser Verlag hatte mit der<br />
«Regional-Zeitung» einen Gratisanzeiger<br />
für den Westaargau lanciert. 1987 kaufte<br />
EMANUEL PER FREUDIGER<br />
daher das ZT die Druckerei Suter in<br />
Oberentfelden und damit den «Landanzeiger».<br />
Das Aargauer Tagblatt betrachtete<br />
diesen Kauf als Einbruch in seine<br />
Geschäftszone. Die Antwort des AT war<br />
die Gründung des «Aargauer Kuriers»<br />
als Gratiszeitung für den ganzen Aargau.<br />
Darauf antwortete das ZT mit dem Kauf<br />
der Druckerei Keller, Aarau, mit dem<br />
«Generalanzeiger» und traf damit den<br />
Gegner mitten ins Herz.<br />
Der aargauische Inseratenkrieg im<br />
Westen des Kantons nahm immer<br />
schärfere Formen an. Da auch der<br />
Druck aus Bern pariert werden musste,<br />
fanden sich endlich das «Oltner Tagblatt»,<br />
das «Zofinger Tagblatt» und das<br />
Aargauer Tagblatt zu einem Inseratenpool<br />
«Mittelland-Zeitung» zusammen.<br />
Der Vertrag sah auch eine redaktionelle<br />
Zusammenarbeit vor. Dieser Vertrag<br />
wurde bei der grossen Fusion 1996 völlig<br />
ignoriert, obwohl er damals noch<br />
gültig war. Diese Tatsache sollte sich<br />
nachträglich noch bitter rächen.<br />
Die dritte Bedrohung des AT ging von<br />
Basel aus. Nach der Fusion der «Basler<br />
Nachrichten» mit der «National-Zeitung»<br />
verkündete der Verlag, sein Einzugsgebiet<br />
erstrecke sich bis auf den<br />
Jurakamm, gemeint war einschliesslich<br />
des Fricktals. Diese «Kriegserklärung»<br />
löste in Aarau innert Monatsfrist die<br />
Splitzeitung «Aargauer Tagblatt, Ausgabe<br />
Fricktal» mit eigenem Lokalteil aus.<br />
Die Leidtragenden waren die Lokalblätter<br />
im Raum Rheinfelden, in Laufenburg<br />
und Frick.<br />
Im Raum Seetal gründete das Verlagshaus<br />
Kromer in Lenzburg neben<br />
dem angestammten Anzeiger neue<br />
Blätter in der oberen Talhälfte und versuchte,<br />
zwischen den konkurrierenden<br />
Tagblättern den Inseratenmarkt Aargau-Mitte<br />
zu konsolidieren.<br />
Es brauchte einen Grossen<br />
Der wirtschaftliche Kampf im aargauischen<br />
Pressewesen war gnadenlos und<br />
voller spontaner Aktionen und Massnahmen.<br />
Dass das wilde Treiben selbst<br />
nach der grossen Fusion von 1996 noch<br />
fortdauerte, beweist, wie verfahren die<br />
Situation in ihrem Vorfeld gewesen<br />
war. Im Brennpunkt der grossstädtischen<br />
Verlage konnte tatsächlich nur<br />
noch ein mindestens ebenbürtiges Organ<br />
Grenzen setzen und den aargauischen<br />
Raum verteidigen.<br />
Andreas Müller: Geschichte der politischen<br />
Presse im Aargau. 2 Bände. Verlag<br />
hier und jetzt Baden 2002, 1114 S., Fr. 78.–<br />
Mehr zur aargauischen Pressegeschichte<br />
auf den Seiten 29/30 dieser Beilage.
10 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />
Durch Fusion zum Qualitätssprung<br />
Aus der Sicht der Redaktion(en) – der erste und letzte Chefredaktor des Badener Tagblatts<br />
und der zweite Chefredaktor der Aargauer Zeitung erinnert sich.<br />
Schulterschluss: AT-Chefredaktor Franz Straub, Arthur Gross, VR-Präsident des AT, BT-Verleger Peter Wanner und BT-Chefredaktor Hans Fahrländer.<br />
KARL-HEINZ HUG<br />
von<br />
Hans Fahrländer<br />
Chefredaktor des<br />
Badener Tagblatts und<br />
der Aargauer Zeitung<br />
E<br />
s war auch für die Redaktorinnen<br />
und Redaktoren<br />
von Aargauer und Badener<br />
Tagblatt eine saftige Überraschung,<br />
als sie an jenem<br />
Mittwoch, dem 27. März<br />
1996, kurz vor der Medienkonferenz<br />
auf Schloss Lenzburg, durch ihre Vorgesetzten<br />
vom Zusammenschluss ihrer<br />
Tagblätter zur Aargauer Zeitung erfuhren.<br />
Wohl munkelte man, dass sich das<br />
Aarauer Unternehmen durch Investitionen<br />
im Druckbereich in eine heikle Lage<br />
gebracht hatte; wohl wusste man,<br />
dass das Badener Unternehmen durch<br />
Grossverlage aus Zürich bedrängt wurde.<br />
Eine Fusion in einigen Jahren<br />
schloss man deshalb nicht aus. Aber<br />
jetzt schon! Und ohne Vorankündigung!<br />
Überraschung! Die Fusions-Architekten<br />
hatten dichtgehalten und die Investigativ-Journalisten<br />
das Nachsehen.<br />
Üben in Spreitenbach<br />
Einzig die Mitglieder der Chefredaktionen<br />
waren eingeweiht, allerdings<br />
erst in der Schlussphase der Verhandlungen.<br />
Der Grundsatzbeschluss war<br />
bereits gefällt, nun ging es noch um die<br />
Details. Ich erinnere mich gut, wie wir<br />
mehrmals in ein anonymes Hotel in<br />
Spreitenbach bestellt wurden, erstens<br />
zur Information – zweitens aber zum<br />
Einüben der Kommunikation. Mit dieser<br />
war das Kommunikations-Unternehmen<br />
Stöhlker & Partner betraut<br />
worden. Beübt wurden wir von einem<br />
Kollegen: Ruedi Mäder, zuvor Wirtschaftsredaktor<br />
beim Aargauer Tag-<br />
blatt, später lange Jahre in gleicher<br />
Funktion bei der Aargauer Zeitung, hatte<br />
vorübergehend die Seiten gewechselt<br />
und war «zum Stöhlker gegangen».<br />
Er lehrte uns, wie wir die Fusion nach<br />
innen und aussen zu verkaufen hatten,<br />
natürlich mit wohldosiertem Bedauern<br />
über den Verlust des eigenen Titels,<br />
insgesamt aber mit frohgemuter Aufbruchstimmung.<br />
Eine emotionale Sache<br />
Für mich persönlich war die Fusion<br />
eine ziemlich emotionale Sache. Ich<br />
war, nach fast 150 Jahren Personalunion<br />
von Verleger und Redaktionsleiter,<br />
der erste, einzige und letzte angestellte<br />
Chefredaktor des Badener Tagblatts.<br />
Doch ich hatte von vornherein<br />
keine Chance, erster Chefredaktor des<br />
fusionierten Titels zu werden. Denn<br />
der Verleger, Peter Wanner, stammte<br />
von der Badener Seite, also war ausgemacht<br />
und Teil des Fusionsvertrages,<br />
dass der Chefredaktor von der Aarauer<br />
Seite stammte – das war AT-Chefredaktor<br />
Franz Straub. Mir blieb allerdings<br />
wenig Zeit zum Trauern: Erstens galt<br />
es, mit hohem Tempo die fusionierte<br />
Redaktion zusammenzustellen – und<br />
zweitens merkte ich bald, dass Kollege<br />
Straub seine Stellung als Nummer 1<br />
nicht über Gebühr ausnutzte: Er war<br />
ein fairer Fusions-Chef, der meinen<br />
Kolleginnen und Kollegen die gleichen<br />
Chancen einräumte wie seinen.<br />
Keine Massaker<br />
Was bedeutete diese Fusion für den<br />
Aargau – und für uns Journalistinnen<br />
und Journalisten? Kurz zuvor war die<br />
zweite Luzerner Zeitungsfusion, jene<br />
der «Luzerner Neusten Nachrichten»<br />
mit der «Luzerner Zeitung» über die<br />
Bühne gegangen. Das war nicht nur ein<br />
politisches Erdbeben, es kam auch auf<br />
den Redaktionen zu Massakern, weil<br />
die beiden Titel praktisch dasselbe Einzugsgebiet<br />
hatten. Die Massaker trafen<br />
dabei einseitig die LNN. Viele gute Journalisten<br />
mussten gehen und der LNN-<br />
Chefredaktor verliess frustriert das Unternehmen<br />
und die Branche. Bei uns<br />
lief das – zum Glück – anders ab. Das<br />
politische Massaker blieb aus, weil die<br />
beiden Tagblätter ähnlich positioniert<br />
waren: bürgerlich und FDP-nahe. Und<br />
das strukturelle Massaker blieb aus,<br />
weil das Verbreitungsgebiet nicht<br />
deckungsgleich war: Der Westaargau<br />
«gehörte» dem AT, der Ostaargau dem<br />
BT. Direkter Konkurrent war man nur<br />
in Brugg, im Fricktal und im Freiamt.<br />
«Andere Zeitungsfusionen<br />
hatten zu<br />
gesichtlosen Allerweltsblättern<br />
geführt. Die<br />
Aargauer Zeitung aber<br />
war deutlich gehaltvoller<br />
als ihre Vorgänger.»<br />
Der Prozess war dornenvoll<br />
Nach diesen insgesamt positiven Erinnerungen<br />
– keine Massaker, keine einseitig<br />
verteilten Verlierer – gehört an<br />
diese Stelle natürlich auch das Eingeständnis:<br />
Der Fusionsprozess war in<br />
den Details dornenvoll. Bei beiden Tagblättern<br />
arbeiteten in jenem Frühjahr<br />
1996 rund 60 Redaktorinnen und Redaktoren.<br />
Die Chefs von AT und BT<br />
fassten den Auftrag: Formt aus diesen<br />
120 eine schlagkräftige Redaktion von<br />
100 Leuten. Das heisst: Für rund<br />
20 Kolleginnen und Kollegen hatte es<br />
in der AZ keinen Platz. Franz Straub<br />
und ich fochten mit minutiös zusammengestellten<br />
Listen von Eignungsprofilen,<br />
Charaktertests und Stellenprozenten,<br />
verglichen und führten<br />
zahlreiche Gespräche. Am Schluss<br />
konnten wir feststellen: Es gab zwar einige<br />
Versetzungen, Prozent-Reduktionen<br />
und Zurückstufungen (zu freien<br />
Mitarbeitern), aber es gab praktisch<br />
keine Härtefälle. Die Mantelressorts<br />
durften leicht besser dotiert sein als bei<br />
den Tagblättern, die Regionalressorts<br />
in Ost und West blieben sowieso unversehrt<br />
– am meisten Haare lassen mussten<br />
die «Kampfressorts in der Mitte»,<br />
eben: Brugg, Fricktal, Freiamt.<br />
Nicht ganz reibungsloser Start<br />
Und dann erschien sie also, die erste<br />
AZ, nach einem hektischen Sommer<br />
auf den Redaktionen, am Montag,<br />
4. November 1996, mit einer Auflage<br />
von 120 000 – die Tagblätter hatten je<br />
rund 60 000, man startete in der Annahme,<br />
es gebe keine Fusionsverluste.<br />
Das Wochenende zuvor war hektisch,<br />
man war zwar gut vorbereitet, aber<br />
den Ernstfall kann man nur bedingt<br />
üben. Die «Neue» enthielt neue<br />
Ressorts, zum Beispiel «Piazza» für die<br />
Seite 2, mit einer Kolumne von Beni<br />
Thurnheer, oder «Thema» für die Seite<br />
3, das Ressort Ausland hatte viel<br />
Platz, denn am nächsten Tag waren<br />
US-Wahlen (Clinton wurde bestätigt),<br />
die Druckqualität liess noch zu wünschen<br />
übrig, der untere Rand war<br />
schmaler als der obere – und es hatte<br />
sehr viele Inserate!<br />
In drei Phasen zum Erfolg<br />
Doch mit der Start-Nummer war der<br />
Erneuerungsprozess nicht abgeschlossen,<br />
auch bei den Redaktionen nicht.<br />
Obwohl die beiden Tagblätter ähnlich<br />
getickt hatten, gab es natürlich Unterschiede<br />
in der Redaktionskultur, im Berufsverständnis,<br />
in der Arbeitsweise.<br />
Diese Kulturen mussten nun ebenfalls<br />
«fusioniert» werden. Für etliche AT-Kollegen<br />
gab es zudem einen längeren<br />
Arbeitsweg, denn der Hauptstandort<br />
der Redaktion war im «Tagblatthochhaus»<br />
in Baden.<br />
Die ersten AZ-Jahre waren geprägt<br />
von drei Phasen. Die erste Phase war<br />
jene des Zusammenwachsens. Es galt<br />
zu vermeiden, dass der Wegfall des<br />
Konkurrenten aus dem anderen Kantonsteil<br />
zu Bequemlichkeit führte. Phase<br />
2 galt der Offensive im Regionaljournalismus:<br />
Nachdem bei der Fusion einige<br />
Regionalausgaben einem drucktechnischen<br />
Engpass zum Opfer gefallen<br />
waren, wurde nach einer Investition in<br />
den Zeitungsdruck die Zahl der Regionalsplits<br />
auf zehn erhöht. Sie erschienen<br />
später quasi als eingesteckte Lokalzeitungen<br />
im Tabloidformat – es war<br />
das weltberühmte ZiZ-Konzept (ZiZ =<br />
Zeitung in der Zeitung).<br />
Phase 3 schliesslich galt der Erhöhung<br />
der nationalen Beachtung.<br />
Durch gezielten Mitteleinsatz in die nationale<br />
Recherche wurde die Zeitung<br />
aus dem Aargau plötzlich auch in Bundesbern<br />
und den übrigen Regionen<br />
wahrgenommen. Das hatte auch Auswirkungen<br />
auf den Journalisten-Markt.<br />
Plötzlich war es für Stars aus dem<br />
eitlen Zeitungsplatz Zürich eine reelle<br />
Option, im Aargau zu arbeiten. Zum<br />
5-Jahre-Jubiläum im November 2<strong>001</strong><br />
durfte man selbstbewusst bilanzieren:<br />
Dieweil anderswo Zeitungsfusionen zu<br />
gesichtslosen Allerweltsblättern geführt<br />
hatten, war im Aargau das Gegenteil<br />
passiert: Die Aargauer Zeitung war<br />
deutlich gehaltvoller als ihre Vorgänger,<br />
sie war eine offene Forumszeitung,<br />
aber mit klarem (liberalem) Profil, geschrieben<br />
und gestaltet von einem<br />
hoch motivierten Team aus hervorragenden<br />
Berufsleuten. Beste Voraussetzungen<br />
also zum Überleben in einem<br />
umkämpften Markt.
12 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />
Als in Baden das Telefon klingelte . . .<br />
Die Fusion der Aargauer Tageszeitungen Aargauer Tagblatt und Badener Tagblatt war eine Lösung, die passte. Trotzdem<br />
wurde die Öffentlichkeit überrascht, als sie schliesslich stand. BT-Verleger Peter Wanner berichtet, wie es war.<br />
VON HANS FAHRLÄNDER UND CHRISTOPH BOPP<br />
Peter Wanner, die Fusion begann<br />
mit einem Telefon . . .<br />
Peter Wanner: Wie alle Anfänge hatte<br />
auch dieser eine Vorgeschichte. Die Unternehmensleitung<br />
des Badener Tagblattes<br />
machte sich Mitte der 90er-Jahre<br />
schon Gedanken, wie es weitergehen<br />
sollte. Wer Geschäftsberichte lesen<br />
konnte, wusste, dass in Aarau beim<br />
Aargauer Tagblatt nicht alles zum Besten<br />
stand. Ich sagte vor der UL, das AT<br />
könnte ein Übernahmekandidat werden.<br />
Und da blies man zum Sturm auf<br />
Aarau?<br />
Nein, nein, so klar lagen die Dinge natürlich<br />
nicht. Aber die Unternehmensleitung<br />
empfahl mir, den Kontakt nach<br />
Aarau zu suchen. Gleichzeitig schlug<br />
die UL vor, eine eigene Strategie zu entwickeln.<br />
Also doch ein Übernahmeszenario?<br />
Es gab auch andere Möglichkeiten. Die<br />
Ausgangslage war so: Wir in Baden waren<br />
recht gut aufgestellt, wir hatten es<br />
gerade noch geschafft, die Akzidenz-<br />
Druckerei abzustossen, um im Gegenzug<br />
das Aargauer Volksblatt übernehmen<br />
zu können, und waren ein reines<br />
Zeitungsunternehmen geworden. Es<br />
ging uns relativ gut. Gleichzeitig war<br />
auch klar, dass wir irgendwann aus Baden<br />
herauswachsen mussten . . .<br />
Aber das Badener Tagblatt lief<br />
doch gut?<br />
Ja, durchaus. Und es wäre wahrscheinlich<br />
auch noch ein paar Jahre so weitergegangen<br />
mit uns in Baden. Aber rund<br />
herum war alles ziemlich in Bewegung.<br />
Einfach stillsitzen, war keine gute Strategie.<br />
Ich hatte immer das Gefühl, es<br />
könnte mal eng werden. Was tun? Es<br />
gab zwei Richtungen, in die das BT<br />
wachsen konnte: Winterthur, zusammen<br />
mit dem «Landboten» – und eben<br />
Aarau.<br />
Aber das Telefon . . .<br />
Genau, der berühmte Telefonanruf von<br />
AT-VR-Präsident Arthur Gross war zu<br />
diesem Zeitpunkt schon erfolgt, als unsere<br />
UL über eine Strategie nachdachte.<br />
Ich sagte: Gut, entwickeln wir<br />
eine Strategie. Ich durfte ja nicht sagen,<br />
dass wir schon miteinander reden.<br />
Und die UL-Strategie zielte dann auf<br />
den «Landboten» ab?<br />
Nein, zum Glück nicht. (Lacht) Auch<br />
die BT-UL kam zum Schluss, dass wir<br />
schliesslich nicht um eine Fusion im<br />
Aargau herumkommen. Aber diese Verhandlungen<br />
mit Aarau verliefen immer<br />
noch im Geheimen. Wir trafen uns in<br />
Spreitenbach, im Hotel Arte. Erstaunlich,<br />
dass das Inkognito gewahrt blieb<br />
und uns niemand entdeckt hat. Es gab<br />
etwa sechs bis sieben Verhandlungsrunden.<br />
War denn eigentlich von Anfang<br />
an klar, dass es eine 50:50-Lösung<br />
geben würde?<br />
Wir hatten uns gegenseitig bereits geeinigt,<br />
dass wir die Unternehmen von<br />
einer Treuhandgesellschaft bewerten<br />
lassen würden. Und da kam schnell<br />
heraus, dass das BT zwar etwas kleiner,<br />
aber mehr wert war. Ein paar Jahre zuvor<br />
hatten wir uns in Baden eine übersichtliche<br />
Profitcenter-Struktur verpasst<br />
mit einer transparenten Kosten-<br />
Ertrags-Rechnung. In Aarau war die<br />
Rechnungslegung veraltet, alles floss in<br />
einen Topf, die waren auch etwas überrascht,<br />
wie gross das Loch war, das die<br />
Überinvestition in den Akzidenz-/Kundendruck<br />
gerissen hatte.<br />
Peter Wanner: «Ich war felsenfest überzeugt, dass die Fusion ein Erfolg werden würde.» EMANUEL PER FREUDIGER<br />
Mit anderen Worten: Aarau musste,<br />
Baden wollte fusionieren . . .<br />
Kann man so sagen. Aber es war klar,<br />
dass politisch und gesellschaftlich nur<br />
eine 50:50-Lösung infrage kommen<br />
würde. Das AT war ja eine Publikumsgesellschaft,<br />
die Aktionäre würden einer<br />
unvorteilhaften Übernahme kaum<br />
zustimmen.<br />
Also ging alles streng paritätisch<br />
zu?<br />
Ja, mir wurde schnell klar: Wenn der<br />
Verleger aus Baden kommt, sollte der<br />
Chefredaktor aus Aarau kommen. Diesem<br />
Gedanken fiel Hans Fahrländer<br />
zum Opfer, weil Franz Straub so gesetzt<br />
war. Wir schauten immer darauf, dass<br />
die Kirche im Dorf blieb, dass es nicht<br />
nach einer Übernahme aussah. Es<br />
brauchte in den Fusionsverhandlungen<br />
ein paar bilanztechnische Massnahmen<br />
– die Beteiligungen an Radio Argovia,<br />
Tele M1 und dem Limmattaler Tagblatt<br />
auf BT-Seite wurden herausgenommen<br />
–, damit man gleichwertig fusionieren<br />
konnte. Später kaufte dann das fusionierte<br />
Unternehmen die Anteile zurück.<br />
So gab es eine ausgeglichene<br />
Rechnung, man schaute auch, dass in<br />
der Führung beide Seiten ausreichend<br />
vertreten waren.<br />
Was war eigentlich Ihr erster<br />
Gedanke, als klar wurde, dass<br />
das BT jetzt in einer Fusion<br />
verschwinden würde?<br />
Wir hatten ein paar Jahre zuvor in der<br />
Familie eine Erbteilung durchgeführt.<br />
Ich drängte darauf, dass ich 100 Prozent<br />
an der Zeitung bekomme, damit<br />
ich bei einer allfälligen Fusion nicht<br />
a priori in der Minderheit sein würde.<br />
Mein Bruder bekam die Immobilien<br />
und Wertschriften und noch etwas dazu.<br />
Sie weichen aus. Wir denken beim<br />
«Gedanken» an Ihren Vater,<br />
BT-Patron Otto Wanner . . .<br />
Ach so (lacht). Er hatte immer noch die<br />
Nutzniessung an den Aktien und musste<br />
der Fusion deshalb zustimmen.<br />
Und – was sagte er?<br />
Ich wies ihn natürlich auf die Chance<br />
hin, die wir bekommen würden. Weil<br />
das AT eine Publikumsgesellschaft war,<br />
gab es die Gelegenheit, später Aktien<br />
zuzukaufen und eine Mehrheit zu bekommen.<br />
Das leuchtete ihm schon ein.<br />
Aber er hing natürlich stark an seinem<br />
Badener Tagblatt. Andererseits fand er<br />
schon auch Gefallen an dieser Fusion.<br />
Man hätte vielleicht schon damals das<br />
Badener Tagblatt als Kopfblatt weiter<br />
bestehen lassen sollen. Das wäre zwar<br />
nicht ganz das Gleiche gewesen, aber<br />
seine Begeisterung wäre ungleich grösser<br />
gewesen. Die hielt sich jetzt in<br />
Grenzen, aber ich konnte ihn überzeugen.<br />
Eine wichtige Rolle spielte auch alt<br />
Regierungsrat Kurt Lareida, der zu meinem<br />
Vater ging – ich war nicht dabei<br />
bei diesem Gespräch – und ihn schliesslich<br />
dazu brachte, das Heft aus der<br />
Hand zu geben.<br />
Ein guter Anlass für die<br />
Generationenablösung . . .<br />
Ja, für mich war die Situation komfortabel.<br />
Die AT-Leute wollten mich als CEO<br />
und durch die innerfamiliäre Regelung<br />
wurde ich auch Mehrheitsaktionär. Und<br />
ich sah die Chance, welche ein fusioniertes<br />
Unternehmen bot.<br />
Trotzdem gab es Reibereien und<br />
Friktionen aus und in Aarau.<br />
Ja, die gab es. Ich konnte zwar an der<br />
GV auftreten und mich vorstellen. Ich<br />
weiss nicht mehr genau, was ich sagte,<br />
ich redete frei, aber der Kern war: Das<br />
wird ein grossartiges Unternehmen, die<br />
Fusion wird ein Erfolg werden. Davon<br />
war ich felsenfest überzeugt. Es überzeugte<br />
offenbar auch die Mehrheit der<br />
Anwesenden. Ein Aktionär möchte ja<br />
vor allem wissen, ob sein Papier wertmässig<br />
steigen wird. Es kam auch gut,<br />
der Kurs stieg. Trotzdem wollten viele<br />
verkaufen und ich konnte diese Aktien<br />
übernehmen.<br />
Es gab doch diese Versammlung<br />
misstrauischer Aktionäre?<br />
Ja, aber die war vorher. In Aarau gab es<br />
eine Gruppe von Leuten, die das Gefühl<br />
hatten, das AT käme da zu<br />
schlecht weg, und sie wollten die Fusion<br />
verhindern.<br />
Woher wussten denn die, was<br />
geplant war?<br />
Wir hatten die Fusion im März 1996 angekündigt,<br />
nachdem die Verwaltungsräte<br />
beider Unternehmen die Fusion<br />
beschlossen hatten – mit Vorbehalt der<br />
Zustimmung der AT-Aktionäre.<br />
Wie waren denn Ihre Gefühle nach<br />
diesen Störmanövern?<br />
Ich bekam Sukkurs von Werner Meyer<br />
von den Lagerhäusern Aarau, den ich<br />
persönlich nicht kannte. Er hatte sich<br />
«Meine Situation war<br />
komfortabel. Die AT-<br />
Leute wollten mich als<br />
CEO und ich sah die<br />
Chance für ein fusioniertes<br />
Unternehmen.»<br />
die Bilanz des AT angeschaut und befand:<br />
Die Fusion ist richtig. Diese Unterstützung<br />
war Gold wert. Werner<br />
Meyer, der Vater des heutigen Lagerhäuser-CEO<br />
Stephan Meyer, war ein angesehener<br />
Unternehmer aus Aarau und<br />
trat auch öffentlich – zum Beispiel als<br />
langjähriger Sponsor des FC Aarau – in<br />
Erscheinung. Wenn eine solche Person<br />
für die Fusion ist, hatten die Opponenten<br />
einen schweren Stand.<br />
Und die GV verlief stürmisch?<br />
Nein, man hatte es im Vorfeld fertiggebracht,<br />
die Stimmung wieder zu beruhigen.<br />
Sie verlief einigermassen ruhig.<br />
Die Ankündigung im März 1996<br />
schlug ja wie eine Bombe ein. Wider<br />
Erwarten gab es kein Leak bis<br />
zum Termin, die Öffentlichkeit ahnte<br />
nichts. War wirklich niemand<br />
eingeweiht, von der Politik, der<br />
Regierung?<br />
Zwei Tage vorher ging ich zum damaligen<br />
Regierungsrat Thomas Pfisterer<br />
und habe über ihn die aargauische Regierung<br />
in Kenntnis gesetzt.<br />
Aber in der Entscheidfindung spielte<br />
die Politik keine Rolle? Für den<br />
Kanton war das ja schon ein<br />
mittleres Erdbeben.<br />
Nein. Da war niemand involviert. Wobei<br />
man sagen muss, dass sich die Profile<br />
der beiden Zeitungen doch recht<br />
ähnlich geworden waren. Es fusionierte<br />
nicht ein konservatives mit einem liberalen<br />
Blatt – wie in Basel, als die «National-Zeitung»<br />
mit den «Basler Nachrichten»<br />
fusionierte. Das ging nicht ganz<br />
ohne Getöse und ist eigentlich bis heute<br />
nicht verdaut. Die beiden Aargauer<br />
Zeitungen waren sich politisch doch<br />
recht nahe.<br />
Und die Gebiete überlappten sich<br />
nur an wenigen Orten.<br />
Es gab die umkämpften Gebiete im<br />
Freiamt, im Fricktal, in Brugg, aber<br />
sonst passte es geografisch recht gut<br />
zusammen.<br />
Warum waren Sie so überzeugt,<br />
dass aus der Fusion ein erfolgreiches<br />
Unternehmen werden würde?<br />
Weil es unter anderem auch technisch<br />
passte. Das BT hatte einen unterschriftsreifen<br />
Vertrag mit der Wifag für<br />
eine neue Druckmaschine. Die hätte<br />
gerade noch in den BT-Keller hineingepasst<br />
– vielleicht würde sie heute<br />
noch laufen –, aber die Druck- und Versandkapazität<br />
in Aarau kam natürlich<br />
gelegen. Das ersparte uns eine grössere<br />
Investition.<br />
Wie sah die Situation in der<br />
Vermarktung aus?<br />
Da passte es weniger. Ich war ein überzeugter<br />
Anhänger der Eigenregie, das
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 13<br />
BT hatte sich ja von der Publicitas gelöst<br />
mit guten Erfahrungen. Das AT war<br />
an die ofa verpachtet. Aber der Zufall<br />
wollte es, dass per Ende Juni eine Kündigung<br />
möglich war, andernfalls der<br />
Vertrag mehrere Jahre weiterlaufen<br />
würde. Für mich war klar, dieser Vertrag<br />
wird gekündigt.<br />
Das führte zu einigen Turbulenzen.<br />
Genau. Dieser ofa-Vertrag betraf nicht<br />
nur das AT, sondern es gab die Neue<br />
Mittelland-Zeitung, das Zofinger und<br />
das Oltner Tagblatt hatten mit dem AT<br />
eine Kooperation bei den Inseraten. Ich<br />
«Es war ein Verlust<br />
an Pressevielfalt. Ich<br />
träume heute noch von<br />
den Zeiten, als jede<br />
politische Bewegung<br />
ihr eigenes Blatt hatte.»<br />
muss zugeben, da habe ich in der Hitze<br />
des Gefechtes einen Fehler begangen.<br />
Ich hatte den Verlegern zwar mündlich<br />
mehrmals zugesichert, wir künden den<br />
Vertrag, aber für euch bleibt alles beim<br />
Alten. Denn wir machen sofort einen<br />
neuen Vertrag mit Eigenregie, wo für<br />
euch sogar mehr herausschauen wird.<br />
Doch dieses mündliche Versprechen<br />
war für die Partner nichts wert.<br />
Schliesslich landeten wir fast vor Gericht.<br />
Man hätte das schriftlich absichern<br />
müssen, mit den Verwaltungsräten<br />
juristisch wasserdicht machen.<br />
Jürg Schärer hat damals grosse Arbeit<br />
geleistet, um das Vertrauen wieder herzustellen,<br />
aber es brauchte doch zwei,<br />
drei Jahre, bis alles wieder im Lot war.<br />
VERBREITUNGSGEBIET DER AZ NORDWESTSCHWEIZ<br />
Das gelang aber erst, als auch<br />
Solothurn ins Boot kam.<br />
Richtig, das war 2<strong>001</strong>. In der Zwischenzeit<br />
hatten Olten und Zofingen mit Solothurn<br />
ein Inserate-Kombi lanciert,<br />
das aber nicht richtig funktioniert hat.<br />
Schliesslich liessen sie sich überzeugen,<br />
dass ein Zusammengehen mit der Aargauer<br />
Zeitung für alle besser wäre.<br />
Keine weiteren Fehler?<br />
Doch, aber über Fehler redet man<br />
nicht gerne.<br />
Was war denn die grösste<br />
Herausforderung?<br />
Den Kundendruck zurückzubauen. Der<br />
war ausgelegt für 60 Millionen Umsatz,<br />
man hatte mit Drittaufträgen in unrealistischer<br />
Höhe gerechnet. Wir wussten,<br />
dass wir auf die Hälfte des Umsatzes<br />
zurückfahren mussten. Sehr viele<br />
Mitarbeiter waren leider davon betroffen.<br />
Wir haben den Abbau schrittweise<br />
gemacht und versucht, die<br />
Härten einigermassen erträglich zu gestalten.<br />
Über Jahre haben wir versucht,<br />
OLTNER<br />
TAGBLATT<br />
die Druckerei in die schwarzen Zahlen<br />
zu bringen.<br />
Schliesslich erfolgreich?<br />
Nein, ehrlich gesagt, nicht ganz. Es<br />
hing auch an einer Rollen-Offset-Maschine,<br />
die nie richtig funktionierte. Sie<br />
hatte einen Zylinder-Defekt, den man<br />
aber erst ein paar Jahre später entdeckte.<br />
Die Maschine stand einfach herum<br />
und riss so die ganze Druckerei in die<br />
Verlustzone.<br />
Dann ging das Geschäft nach<br />
Derendingen.<br />
Ja, eigentlich war die Sanierung erst erfolgreich,<br />
als wir mit Vogt-Schild fusioniert<br />
hatten. Jetzt funktionierts, eine<br />
Perle von Druckerei mit rund 30 Millionen<br />
Umsatz.<br />
Zurück zur AZ-Fusion: Gestartet<br />
wurde mit einer Auflage von<br />
120 000. Das war optimistisch,<br />
denn beide Zeitungen hatten kaum<br />
mehr als 60 000 Abonnenten.<br />
Beide hatten sogar noch Luft drin. Wir<br />
mussten dann etwas zurückschrauben.<br />
Die effektive Auflage hat sich dann<br />
etwa bei 110 000 eingependelt (inklusive<br />
Limmattaler Tagblatt).<br />
Und publizistisch? Wie reagierten<br />
die Leute? Mit Monopol-Ängsten?<br />
Natürlich hatten nicht alle Freude.<br />
Wenn man zwei Zeitungen fusioniert,<br />
gibt es Verlierer. Das ist eine Verarmung<br />
der Pressevielfalt. Übrigens<br />
träume ich heute noch von den Zeiten,<br />
als jede politische Bewegung ihr eigenes<br />
Blatt hatte.<br />
Man behalf sich mit der Wortschöpfung<br />
«Vielfalt in der Zeitung».<br />
Das war mehr als ein Lippenbekenntnis.<br />
Wir hatten klar kommuniziert: Wir<br />
machen eine Forumszeitung mit liberalem<br />
Profil, die allen politischen Lagern<br />
offen steht. Das haben wir durchgezogen.<br />
Eine Zeitung soll eine Haltung<br />
haben, klar kommentieren, aber sonst<br />
offen sein und die politische Diskussion<br />
fördern.<br />
In Baden musste man immerhin<br />
den Verlust des Badener Tagblatts<br />
verdauen.<br />
Das war nicht leicht, das ist richtig.<br />
Aber es war auch an der Zeit, etwas<br />
Aufbruchstimmung zu verbreiten. Die<br />
beiden Blätter gefielen in konservativen<br />
Kreisen besser als in liberalen. Wir haben<br />
klar gesagt: Jetzt machen wir etwas<br />
Neues, eine weltoffene Aargauer Zeitung.<br />
Ich muss sagen, ich habe in der<br />
Endphase des BT auch ein bisschen gelitten,<br />
das war nicht mehr ganz meine<br />
politische Haltung.<br />
Der BT-Geist wurde fraktioniert . . .<br />
Kann man so sagen. Viele trauerten<br />
dem BT nach, viele aber auch nicht. In<br />
Aarau war auf jeden Fall der Abschiedsschmerz<br />
weniger gross. Jetzt heisst unsere<br />
Zeitung zwar Aargauer Zeitung,<br />
geredet haben die Leute aber immer<br />
noch vom Tagblatt.<br />
Immerhin mussten die Aarauer<br />
einen Badener Verleger begrüssen?<br />
Ich hatte ein bisschen Sorgen, wie man<br />
in Aarau darauf reagieren würde. Mein<br />
Glück war aber, dass ich zum letzten<br />
Jahrgang gehörte, der von Baden in die<br />
Kanti Aarau ging. Ich kannte so schon<br />
ziemlich viele Leute. Unter anderem<br />
Jahrgänger Jürg Schärer, der bereits im<br />
AT-Verwaltungsrat war.<br />
Aber das reichte noch nicht . . .<br />
Nein, das war mir auch klar. Ich bekam<br />
dann die Gelegenheit, mich den Aarauern<br />
grosszügig zu zeigen, als der<br />
FC Aarau auf der Kippe stand. Ich konn-<br />
FORTSETZUNG AUF SEITE 14
14 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />
te dem damaligen FCA-Präsidenten Michael<br />
Hunziker bei seinen Rettungsbemühungen<br />
helfen. Allerdings musste ich<br />
da ziemlich tief in den Sack greifen.<br />
Der Retter des FC Aarau wurde<br />
dann auch noch zum Aarauer<br />
Beizer . . .<br />
Da haben mir viele abgeraten. Aber<br />
man musste den Aarauern signalisieren,<br />
dass das nicht eine Fusion ist, wo<br />
schliesslich alles in Baden landet. Gut,<br />
eine Beiz namens «Einstein» im AZ-Medienhaus<br />
war einfach so eine Idee von<br />
mir, die ich nicht bereue. Man muss<br />
auch sehen, dass viele Arbeitsplätze in<br />
Aarau blieben oder dorthin verlagert<br />
wurden. Am Schluss hat Aarau bestimmt<br />
mehr profitiert als Baden.<br />
Die Liegenschaft an der Aarauer<br />
Bahnhofstrasse lag und liegt den<br />
Aarauern natürlich am Herzen.<br />
Ja, das war für die Aarauer das Aargauer<br />
Tagblatt, nicht das Produktionsgebäude<br />
in der Telli. Aber das Gebäude<br />
musste renoviert werden, und da erwies<br />
sich ein Neubau schliesslich als<br />
besser. Der Verwaltungsrat war dann<br />
aber zum Schluss gekommen, dass wir<br />
dieses Gebäude für das Unternehmen<br />
gar nicht brauchen: Nicht betriebsnotwendig,<br />
also verkaufen.<br />
Aber der Architekturwettbewerb<br />
war ja schon durchgeführt worden?<br />
Wir hatten sogar einen praktisch unterschriftsreifen<br />
Vertrag mit der Aargauischen<br />
Pensionskasse. Aber dann gab es<br />
einen merkwürdigen Zufall . . .<br />
Zufall? Bei einem Liegenschaftsdeal?<br />
Das Leben besteht aus Zufällen. (Lacht)<br />
Spass beiseite. Ich hatte oft Kontakt mit<br />
dem Berner Verleger Charles von Graffenried.<br />
Und der sagte mir bei einem<br />
Austausch: Ein solches Gebäude an<br />
bester Lage darfst du nie verkaufen. Ich<br />
sagte: Ja, aber es ist nicht betriebsnotwendig<br />
. . . – Nei, ned verchoufe . . .<br />
Und da übernahmen Sie die Liegenschaft<br />
selbst.<br />
Nein, ich ging zuerst nach Hause und<br />
fragte die Familie. Die Familie sagte<br />
auch unisono: Nein, nicht verkaufen.<br />
Da kratzte ich alles zusammen und<br />
noch ein bisschen dazu und ging zu unserem<br />
Finanzchef: Ich habe noch einen<br />
anderen Käufer als die APK. Zu gleichen<br />
Konditionen – leider hatte Finanzchef<br />
Roland Tschudi mit der APK sehr<br />
gut verhandelt. Aber anders war das<br />
nicht zu machen. So kam ich zum AZ-<br />
Medienhaus. Es hing lange an einem<br />
Faden. Aber die Familie und von Graffenried<br />
haben mich überzeugt.<br />
Und nie bereut . . .<br />
Nein, nie.<br />
FORTSETZUNG VON SEITE 13<br />
Wir sind praktisch schon bei der<br />
AZ-Medien-Expansion. Zuerst nochmals<br />
die Fusion. Was war eigentlich<br />
der grösste Knackpunkt? So reibungslos<br />
verlief die Sache ja nicht.<br />
Mittelland Zeitung wieder vereint: Die Verleger Peter Wanner (AZ), Rudolf Rentsch (SZ), Arthur Tabeling (OT) und Hans<br />
Gresch (ZT) spannen 2<strong>001</strong> zusammen.<br />
OLIVER MENGE<br />
So viele Holperer gab es gar nicht. Wir<br />
taten einen Glücksgriff mit Konrad Fischer,<br />
einem Zürcher Anwalt, der aber<br />
aus Aarau stammte, der den ganzen<br />
Prozess moderiert hatte. Ich kannte<br />
ihn von der Kanti her, er wurde dann<br />
von beiden Seiten gut akzeptiert.<br />
Er leitete das sehr gut und wirklich objektiv.<br />
Schlaflose Nächte gab es nicht?<br />
Bis zur AT-GV war halt nichts sicher. Wir<br />
hatten auch nicht mehr viel Zeit. Eigentlich<br />
waren wir nicht gut vorbereitet.<br />
Immerhin gab es einen<br />
Projektleiter.<br />
Ja, der VR wollten einen und wir fanden<br />
einen. Jürg Weber, heute Verlagschef bei<br />
der «Luzerner Zeitung». Er hatte eine<br />
schöne Software, die wunderbare Slides<br />
produzierte, auf denen zu sehen war,<br />
wer gerade was machte. Er hatte den<br />
Überblick, die anderen arbeiteten. Obwohl<br />
er seine Sache gut machte, fiel auf,<br />
dass er immer brauner wurde und unsere<br />
Leute immer bleicher.<br />
Keine kritischen Baustellen?<br />
Doch, die IT. Das haben wir etwas unterschätzt.<br />
Das AT hatte ein ablösungsreifes<br />
System, wir hatten zwar ein relativ<br />
neues, aber das war technisch nicht<br />
mehr der allerneuste Stand. Damals<br />
stellte die Zeitungsproduktion gerade<br />
von den grossen Mainframe-Systemen<br />
auf PC-basierte um. Das machte etwas<br />
Probleme, alle Aussenstellen anzuschliessen.<br />
Die Zentral-Redaktion kam<br />
aus technischen Gründen nach Baden.<br />
Solche Grossrechner zu zügeln und neu<br />
aufzustellen, war extrem riskant. Eine<br />
Herausforderung, einige Mitarbeiter<br />
krampften buchstäblich Tag und Nacht.<br />
Aber der IT-Chef sagte: Da müssen wir<br />
durch. Neue Leute einzustellen, lohnt<br />
sich nicht. Bis die eingearbeitet sind,<br />
müssen wir eh fertig sein. Ich merkte,<br />
das wird eng.<br />
Es wurde auch eng. Eine der ersten<br />
Ausgaben erschien mehrheitlich in<br />
Gelb, weil es nicht mehr gelang, die<br />
Rot- und Blau-Platten zeitgemäss zu<br />
belichten.<br />
Genau. Das war haarscharf. Das war<br />
die heikelste Geschichte. Die machte<br />
mir auch am meisten Bauchweh.<br />
Wie kam die Aufmachung an?<br />
Wir taten einen kühnen Wurf mit dem<br />
Layout. Kurt Schwerzmann verpasste<br />
uns einen typografisch attraktiven Auftritt,<br />
der vielleicht den einen oder andern<br />
Leser etwas forderte. Aber wir kamen<br />
nicht schlecht an. Man merkte,<br />
das wird neu, das wird offener. Auch<br />
die Redaktion und Produktion waren<br />
motiviert, etwas Neues auf die Beine zu<br />
stellen.<br />
Das dann schnell mit dem Laufen<br />
begann . . .<br />
Ja, lange Zeit zum Zurücklehnen hatten<br />
wir nicht. 2<strong>001</strong>/2002 brachten wir die<br />
Mittelland-Zeitung auf den Markt, zusammen<br />
mit dem Oltner und Zofinger<br />
Tagblatt und der Solothurner Zeitung.<br />
Später gab es einen heftigen Kampf mit<br />
von Graffenrieds «Berner Zeitung» um<br />
Vogt-Schild. Finanziell konnten wir da<br />
nicht mithalten, das wusste ich. So<br />
schluckte ich die Kröte mit dem Pachtvertrag<br />
mit der Publicitas, weil ich erkannte,<br />
dass das die Berner auf keinen<br />
Fall wollen.<br />
Die Kröte brachte immerhin<br />
35 Prozent an Vogt-Schild . . .<br />
Eigentlich hätte später die Vogt-Schild-<br />
Stiftung ihre 65 Prozent auch einem andern<br />
verkaufen können. Aber ich kam<br />
dadurch in den Verwaltungsrat und<br />
konnte Kontaktpflege betreiben.<br />
Schliesslich wollten die Solothurner lieber<br />
mit uns als mit den Bernern.<br />
Und die P wurden Sie auch wieder los.<br />
Das war bitter. Am Schluss mussten wir<br />
mit einer Schadenersatzklage drohen.<br />
So kamen wir immerhin nach vier Jahren<br />
wieder raus. Der Vertrag wäre eigentlich<br />
sieben Jahre gültig gewesen.<br />
Unter dem Strich hat uns das eine Menge<br />
Geld gekostet. Immerhin konnten<br />
wir dann ziemlich viel über den neu<br />
lancierten «Sonntag» abwickeln und Inserate<br />
an der P vorbei verkaufen.<br />
Solothurn gegen die Berner,<br />
das Baselbiet gegen die Basler.<br />
Auch da lief es zweistufig. Ich fällte einen<br />
Bauchentscheid und sagte zum Baselbieter<br />
Verleger Mathis Lüdin: So viel<br />
ist das Blatt wert, so viel zahlen wir. Die<br />
Konkurrenz aus Basel hingegen stieg<br />
zuerst tief ein und besserte dann immer<br />
nach. Schliesslich verlor der Basler<br />
Verleger offenbar die Nerven und sein<br />
Umfeld bedeutete: Mit dem Geld können<br />
wir dein Unternehmen auch kaputtmachen.<br />
Da wusste ich, wenn wir<br />
jetzt keine Fehler machen, bekommen<br />
wirs. Und so geschah es dann auch.<br />
So einfach lief das? Musste er denn<br />
verkaufen?<br />
Er wollte aufhören. Sein Bruder war<br />
nur an der Druckerei interessiert. Wir<br />
wollten nur die Zeitung und das Verlagsgeschäft.<br />
Und dann in Basel?<br />
Da haben wir eine Chance verpasst.<br />
Wir waren nicht rechtzeitig bereit, als<br />
die BaZ verkauft wurde.<br />
Um auch noch die BaZ einzuverleiben?<br />
Nein, eher nicht. Aber eine Splitausgabe<br />
machen, denn es war zu erwarten,<br />
dass eine Menge Abonnenten abspringen<br />
würden, wenn bekannt wird,<br />
dass die BaZ Blocher gehört. Es war<br />
dann die «Tageswoche», die von der<br />
Abbestellungswelle profitierte.<br />
Vielleicht noch zum Schluss:<br />
Mit der AZ-Fusion wurde auch<br />
eine Weiche gestellt. Vom Zeitungszum<br />
Multimediahaus.<br />
Wir waren schon vorher multimedial,<br />
Radio Argovia und Tele M1 gab es ja<br />
schon. Aber es ist schon richtig, da ist<br />
etwas in Gang gekommen. Der Konzessions-Streit<br />
mit Roger Schawinski um<br />
Radio Argovia beschäftigte mich lange.<br />
Dann verkaufte die Tamedia ihre Radio-<br />
und TV-Beteiligungen. Und ich sah<br />
die Chance: Da könnte man etwas machen<br />
mit einer Fernseh-Familie. Wir<br />
verdienen zwar noch nicht viel, aber<br />
es läuft. Wir glauben an das private<br />
Fernsehen. Im Werbemarkt geht Print<br />
zurück, Radio und TV sind stabil und<br />
online gewinnt – wenn auch nicht so<br />
viel, um die Print-Verluste zu kompensieren.<br />
Ich glaube, die Diversifikation<br />
war richtig.<br />
Und die Online-Marktplätze? Immobilien,<br />
Wohnungen, Jobs, Autos?<br />
Da kann man uns einen Vorwurf machen,<br />
dass wir da nicht dabei sind.<br />
Aber die Kriegskasse, um da mitzuspielen,<br />
hatten wir nicht. Ich weiss, dass<br />
wir etwas verpasst haben, aber ich hätte<br />
nicht gewusst, wo wir das Geld hätten<br />
hernehmen sollen.<br />
Aber für watson hatten Sie Geld?<br />
Ich bin ein Verleger, der an die Publizistik<br />
glaubt. Ich glaube immer noch daran,<br />
dass man mit Inhalten Geld verdienen<br />
kann. Bei watson legen wir noch<br />
drauf, wir geben uns noch zwei, drei<br />
Jahre. Immerhin erreichten wir von<br />
Null auf 1,2 Millionen Unique Clients<br />
binnen zweier Jahre. Jetzt müssen wir<br />
schauen, dass wir diesen Wert verdoppeln<br />
können. Aber vielleicht läuft sowieso<br />
alles anders. Eines Tages wird es<br />
nicht mehr anders gehen, als von dieser<br />
Gratiskultur wegzukommen.<br />
Eine intelligente Paywall?<br />
Vielleicht. Aber es muss auch eine Lösung<br />
geben, dass nicht mehr nur Facebook<br />
und Google Geld verdienen am<br />
Verbreiten von Inhalten, die andere<br />
produziert haben. Da muss es Lösungen<br />
geben. Dass der Staat eingreift,<br />
wäre allerdings die Ultima Ratio. Guter<br />
Journalismus muss weiterhin finanziert<br />
werden können – wie auch immer.<br />
Das ist für unsere Demokratie<br />
essenziell.<br />
Machen wir nochmals einen Versuch<br />
zum Abschluss: Die Medien-<br />
Schweiz staunt, dass ausserhalb<br />
der grossen Agglomerationen eine<br />
Erfolgsgeschichte abläuft. Ihr<br />
Kommentar zur Erfolgsgeschichte<br />
der AZ Medien?<br />
Das Geheimnis ist wahrscheinlich keines.<br />
Es braucht bloss ein bisschen<br />
Risikofreude und Kreativität. Kommt<br />
hinzu, dass wir die Gewinne immer ins<br />
Unternehmen investiert haben und so<br />
wachsen konnten. Aber man muss<br />
schon sehen: Die digitale Transformation<br />
ist eine happige Geschichte. Die alten<br />
Geschäftsmodelle funktionieren<br />
nicht mehr. Es braucht neue Ideen. Das<br />
ist eine rechte Herausforderung. Diese<br />
Kurve müssen wir kriegen. Aber wir<br />
sind breit aufgestellt und können gut<br />
reagieren.<br />
Das klingt nicht nach Aufhören.<br />
Nein, sicher nicht. Viele möchten das<br />
Unternehmen übernehmen. Aber wir<br />
behalten die Mehrheit in der Familie.<br />
Und die Jungen wollen auch weitermachen.<br />
Das freut mich ganz besonders.<br />
Jakob Vogt AG 5234 Villigen Telefon 056 284 14 16 Samstag 10–16 Uhr geöffnet<br />
www.mazda-vogt.ch
16 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />
To dream the impossible dream<br />
Der Titelsong aus «The Man of La Mancha» – der Roman von Cervantes als Musical – erweckt Parallelen zur AZ-Fusion.<br />
von<br />
Jürg Schärer<br />
Rechtsanwalt und ehemaliger<br />
Verwaltungsratspräsident<br />
der AZ Medien<br />
W<br />
enn man, wie ich gerade<br />
jetzt, auf einer sonnenüberfluteten<br />
Terrasse in<br />
Spanien sitzt, ist es wohl<br />
unvermeidlich, an Don<br />
Quixote und seinen Diener<br />
Sancho Panza zu denken. Etwas überraschender<br />
ist es aber, wenn man dann plötzlich Peter<br />
Wanner mit dem Ritter assoziiert und ihn, teilweise<br />
mit dem Schreibenden als Jorge Panza,<br />
als Don Pedro durch die Medienwelt der letzten<br />
20 Jahre reiten sieht. Die Fusion von AT<br />
und BT wurde damals wohl von den meisten<br />
als Schlussstein verstanden: causa locuta, causa<br />
finita! Don Pedro dagegen, eben erst der<br />
väterlichen Obhut entflohen, sah die Fusion<br />
als Grundstein für höhere Ziele.<br />
Sein Gesellenstück waren die Windmühlen<br />
in Zofingen und Olten, die ihm ein Dorn im<br />
Auge waren und die es flugs zu bekämpfen<br />
galt: Die Schaffung gerechter Verhältnisse war<br />
ihm dabei wichtiger als Vertragsklauseln, die<br />
die Auflösung der damaligen «Mittelland-Zeitung»<br />
eigentlich verunmöglichten. Zugegeben,<br />
der Ausritt war teuer: Die «Schlichtungsdelegation»<br />
des Verwaltungsrats, die den Canossagang<br />
nach Zofingen auf sich nahm, um<br />
dort zu erklären, dass alles ganz anders gemeint<br />
und die unzeitige Vertragskündigung<br />
zurückgenommen sei, wurde trotz der Abwesenheit<br />
des tapferen Ritters mit Schmähungen<br />
überhäuft und zog unverrichteter Dinge, dafür<br />
mit einem Prozess am Hals, wieder ab.<br />
Tröstlich ist, dass am Ende auch der streitlustige<br />
Anwalt der Gegenparteien nicht verhindern<br />
konnte, dass sich die Partner am Ende<br />
in der heutigen Aargauer Zeitung wieder<br />
zusammenfanden.<br />
Ab und zu gönnte sich Don Pedro in den<br />
vergangenen 20 Jahren auch Ferien – für amtierende<br />
Chefredaktoren eine gefährliche Zeit!<br />
Denn wenn der Ritter von seiner Rosinante<br />
herabstieg und sich Zeit nahm, den nächsten<br />
Ausritt zu planen, kamen unweigerlich die<br />
Chefredaktoren ins Visier. Und so kehrte dann<br />
Don Pedro mit leuchtenden Augen zu Jorge<br />
Panza zurück und erzählte ihm mit ansteckender<br />
Begeisterung, dass er nun den idealen<br />
Chefredaktor gefunden habe: klug, mit guter<br />
Schreibe, führungsstark, bestens vernetzt und<br />
national bekannt, kurz: ein wirklicher «crack»<br />
eben (unnötig zu sagen, dass wir ausschliesslich<br />
Cracks anstellten). Der Rest der Geschichte<br />
ist rasch erzählt: Jorge Panza übernahm es,<br />
den amtierenden Chefredaktoren die gute<br />
Nachricht zu überbringen, dass sie nun nicht<br />
mehr Chefredaktoren seien, weil Don Pedro<br />
einen noch fähigeren Mann gefunden habe.<br />
Ernüchternd war es allerdings festzustellen,<br />
dass die Halbwertszeit solcher Cracks zwar<br />
unterschiedlich, aber doch einheitlich relativ<br />
kurz war: Kaum war Don Pedro wieder einmal<br />
in den Ferien gewesen oder hatte er an einem<br />
Verlegerkongress an der Bar mit einem besonders<br />
begabten Journalisten ein paar Whiskys<br />
getrunken, tauchte schon der nächste Chefredaktor<br />
am Horizont auf – diesmal «der absolute<br />
crack», wie Don Pedro mit wiederum<br />
leuchtenden Augen und ansteckender Begeisterung<br />
versicherte. Fortsetzung siehe oben –<br />
oder «affaire à suivre», wie ein ausgezeichneter<br />
Journalist der AZ jeweils seine Artikel abzuschliessen<br />
pflegte.<br />
Undenkbares auch umsetzen<br />
Es ist aber diese bewundernswerte Gabe<br />
Don Pedros, auch Undenkbares nicht nur zu<br />
denken, sondern es auch umzusetzen, die die<br />
AZ Medien zu dem machten, was sie heute<br />
sind: eine in allen Medien und Kanälen tätige<br />
erfolgreiche Gruppe, die der Nordwestschweiz<br />
von Solothurn bis nach Dietikon und von Basel<br />
bis ins Luzernische hinein ihren Stempel aufdrückt.<br />
Dazu waren mit dem Schlachtruf «to<br />
reach the unreachable star» nicht nur Windmühlen<br />
in Affoltern, Liestal, Solothurn, Bern,<br />
Basel, Lausanne und Olten beherzt anzugreifen,<br />
sondern nach epischen Schlachten auch<br />
zu erobern (verschiedene kürzere Ausritte<br />
nach Zofingen dagegen brachten nicht mehr<br />
ein als karge Picknicks . . .).<br />
Die Krönung der ritterlichen Erfolge Don<br />
Pedros ist aber zweifellos die Wiedergeburt<br />
seiner heimlichen Geliebten Dulcinea, d. h.<br />
des «Badener Tagblatts». Mit seinem hoch entwickelten<br />
Sensorium war es Don Pedro nämlich<br />
nicht entgangen, dass es dem bekanntlich<br />
weltoffenen Geist der Badener nicht länger<br />
zuzumuten war, die – man stelle sich das vor!<br />
– «Aargauer Zeitung» zu lesen. Und so wurde<br />
für einmal eine klitzekleine Ausnahme vom<br />
einheitlichen branding gemacht und den Badenern<br />
wieder ihre eigene Zeitung geschenkt<br />
– Jorge Panza, der sich gegen dieses schon lange<br />
gehegte Projekt Don Pedros immer wieder<br />
erfolgreich gewehrt hatte, konnte seine Umsetzung<br />
leider nicht mehr verhindern, war er<br />
doch altershalber vom Esel gestiegen und hatte<br />
die ritterliche Begleitung Don Pedros seinem<br />
Nachfolger überlassen.<br />
Unabhängig davon: War Don Pedro vor<br />
20 Jahren von der deutschschweizerischen<br />
Medienwelt noch herablassend als Ritter von<br />
der traurigen Gestalt belächelt worden, ist<br />
ihm heute der Respekt und die Hochachtung<br />
der Konkurrenz gewiss. Sein Credo<br />
«This is my quest to follow that star<br />
no matter how hopeless, no matter how far<br />
to fight for the right without question or pause<br />
to be willing to march into hell<br />
for that heavenly cause»<br />
wird es ihm erlauben, auch in Zukunft nicht<br />
nur Unmögliches zu träumen, sondern diese<br />
Träume auch zu realisieren. Jorge Panza<br />
wünscht ihm und den AZ Medien für die zukünftigen<br />
Ausritte dazu von Herzen alles Gute!<br />
Impressionen aus Spanien: Man landet unweigerlich beim Nationalepos «Don Quixote».<br />
THINKSTOCK
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 17<br />
MEILENSTEINE DER AARGAUER ZEITUNG UND DER AZ MEDIEN<br />
1996 Die Aktionäre der Aargauer Tagblatt AG<br />
sagen an der Generalversammlung vom 3. Mai 1996<br />
mit eindrücklicher Mehrheit Ja zum historischen<br />
Zusammenschluss von «Aargauer Tagblatt» und<br />
«Badener Tagblatt». Arthur Gross wird Verwaltungsratspräsident,<br />
Peter Wanner wird Delegierter und<br />
CEO, Franz Straub Chefredaktor (Bild). Die<br />
Aargauer Zeitung erscheint erstmals am<br />
4. November 1996 als Tageszeitung.<br />
1998<br />
Jürg Schärer löst Arthur<br />
Gross als VR-Präsidenten ab.<br />
Franz Straub übergibt nach<br />
erfolgreichem Aufbau die<br />
redaktionelle Gesamtverantwortung<br />
an Hans Fahrländer (Bild).<br />
2000 Ausbau der<br />
Recherche-Kapazität,<br />
Einführung des<br />
Montags-Interviews.<br />
1999 Die AZ erhöht ab Februar ihre Split-Ausgaben<br />
von fünf auf neun. Der Mantelteil wird<br />
substanziell angereichert mit einer Seite «Thema»<br />
und einem Ressort Special Interest (Computer,<br />
Gesundheit, Lifestyle, Mobil, Tourismus).<br />
2<strong>001</strong>/2002<br />
Die Verlage der Aargauer Zeitung, Solothurner Zeitung, des Oltner Tagblatts und<br />
Zofinger Tagblatts geben die Gründung der Mittelland Zeitung bekannt, die Anfang<br />
2002 mit einem gemeinsamen Mantelteil erscheint. Die Aargauer Zeitung ist für<br />
die Ressorts Inland, Thema, Ausland, Kultur, Wirtschaft und Sport verantwortlich.<br />
2003<br />
Verleger und Verwaltungsrat haben sich für einen Wechsel in der Redaktionsführung<br />
entschieden. Ab Februar 2003 bilden Markus Gisler (Bild) und Peter Buri die Chefredaktion der<br />
AZ. Gisler trägt die publizistische Gesamtverantwortung und leitet die Mantelressorts.<br />
Buri ist verantwortlich für die Führungsbereiche «Aargau/Regionen» sowie «Content/Multimedia».<br />
2004 Ab 1. Mai 2004<br />
erscheinen die AZ-Regionalausgaben<br />
im Tabloid-Format.<br />
2005 Beteiligung mit 17,5% an der<br />
Vogt-Schild Holding AG. Peter Buri wird<br />
alleiniger Chefredaktor. Relaunch unter dem<br />
Motto «Noch Mehr AZ»: Einführung eines<br />
Foyer-Bundes mit Kultur- und Lifestyle-Seiten.<br />
2006<br />
Integration der<br />
Basellandschaftlichen<br />
Zeitung in den Verbund<br />
der Mittelland Zeitung.<br />
2007 Erwerb der Basellandschaftlichen Zeitung.<br />
Erhöhung der Beteiligung an der Vogt-Schild<br />
Holding AG auf 35%. AZ Medien lancieren mit<br />
den Partnern der Mittelland Zeitung den «Sonntag»,<br />
eine eigene Sonntagszeitung mit nationaler<br />
Ausstrahlung. Chefredaktor wird Patrik Müller.<br />
2012 Kauf von Radio 24.<br />
Verkauf des Langentaler Tagblatts.<br />
Neue Markenklammer<br />
«Die Nordwestschweiz».<br />
2009 Christian Dorer wird Chefredaktor<br />
der Aargauer Zeitung. Die Regionalbünde<br />
erscheinen nicht mehr im Tabloid-, sondern im<br />
Zeitungsformat. Die Vogt-Schild Medien AG<br />
geht zu 100% an AZ Medien.<br />
2010 Verleger Peter Wanner löst Jürg Schärer als VR-Präsidenten ab<br />
und übergibt die operative Führung an Christoph Bauer (Bild). Modernster<br />
Newsroom der Schweiz wird in der Telli in Aarau in Betrieb genommen. Neues<br />
Bundkonzept: Die AZ erscheint ab 1.Mai als Zwei-Bund-Zeitung. Lancierung<br />
einer «az Gesamtausgabe» mit einer einheitlichen Marken-Klammer. Jede<br />
der sechs Zeitungsmarken erhält ihr digitales Pendant in Form eines<br />
eigenen News-Portals, einer Mobile- sowie einer iPad-Applikation.<br />
2011 Lancierung der<br />
Stadtausgabe bz Basel.<br />
Kauf von Tele Züri und von<br />
Tele Bärn. Integration zu<br />
einer Senderfamilie mit Tele M1.<br />
2013 Axel Wüstmann löst<br />
Christoph Bauer als CEO ab.<br />
2014 Lancierung des online-Portals Watson.<br />
Im Oktober kehrt das «Badener Tagblatt» als<br />
Kopfblatt der Aargauer Zeitung zurück.<br />
Die az Nordwestschweiz erhält ein neues Layout.<br />
2015 Übernahme der Dietschi AG (Oltner Tagblatt). Relaunch<br />
aller az-online-Portale im Rahmen einer neuen Digital-Strategie;<br />
Ende Dezember werden 1 Mio. UC erreicht. Lancierung von TV 24.<br />
2016 Kauf des Online-Portals swissmom.ch. Lancierung von TV 25.<br />
az Nordwestschweiz und «Schweiz am Sonntag» erhalten eine<br />
einheitliche Führung. Neuer Chefredaktor wird Patrik Müller (per 1.1.2017).
18 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 19<br />
Baldegg ist in Baden überall<br />
Als die Fusion verkündet wurde, verdoppelte sich für die AT-Redaktion auf einmal der Aargau:<br />
Neben Aarau gab es jetzt noch Baden – und manche Aarauer taten sich schwer damit.<br />
von<br />
Dagmar Heuberger<br />
Ressortleiterin Ausland<br />
E<br />
s war ein Paukenschlag:<br />
Fusion! Die Nachricht vom<br />
Zusammenschluss von<br />
«Aargauer Tagblatt» und<br />
«Badener Tagblatt» zur<br />
Aargauer Zeitung platzte<br />
mitten in die Behäbigkeit der AT-Redaktion.<br />
Von wenigen Eingeweihten abgesehen,<br />
hatte niemand etwas von der<br />
bevorstehenden Revolution in der Aargauer<br />
Zeitungslandschaft geahnt.<br />
Natürlich hatte es seit Jahren Gerüchte<br />
und Spekulationen gegeben. Aber in<br />
diesen Szenarien hatten wir «ATler»<br />
uns mit der Arroganz der «Hauptstadt-<br />
Zeitung» stets in der stärkeren Position<br />
gesehen. Wie hatten wir doch über die<br />
Kolleginnen und Kollegen in Baden gelacht.<br />
Etwa als die Samstagausgabe des<br />
BT nicht erschien, weil der Seniorchef<br />
seinen 80. Geburtstag feierte und die<br />
ganze Belegschaft zu einem verlängerten<br />
Wochenende nach Zermatt eingeladen<br />
hatte. So etwas wäre uns in Aarau<br />
nicht im Traum eingefallen – ganz abgesehen<br />
davon, dass es beim AT keinen<br />
Seniorchef gab.<br />
Oder über das merkwürdige, weil<br />
zweigeteilte Text- und Produktionssystem<br />
der Badener. Viel zu kompliziert,<br />
völlig unbrauchbar, damit kann<br />
man doch keine Zeitung herstellen,<br />
spotteten wir. Dass unser eigenes System<br />
vollkommen veraltet war, war uns<br />
nicht bewusst – oder wir wollten es<br />
nicht wahrhaben.<br />
Der Dünkel der Hauptstadt<br />
Mit diesen merkwürdigen BTlern<br />
sollten wir nun also in Zukunft «gleichberechtigt»<br />
und «auf Augenhöhe» zusammenarbeiten.<br />
Doch was bedeutete<br />
das genau? Wer würde Chefredaktor<br />
werden? Wie würden die einzelnen<br />
Ressorts zusammengesetzt sein? Und<br />
vor allem: Wer würde überhaupt bei<br />
der neuen Zeitung mit dabei sein? Wer<br />
würde die Kündigung erhalten?<br />
Langsam begriffen wir den Ernst der<br />
Lage. Denn dass der Zusammenschluss<br />
Baldegg als Ausflugsziel bei Baden und das Sitzungszimmer Baldegg sind nicht dasselbe.<br />
zweier Redaktionen nicht ohne Entlassungen<br />
über die Bühne gehen würde,<br />
lag auf der Hand. Die einen reagierten<br />
nervös und verängstigt, die anderen<br />
gelassen bis gleichgültig und die<br />
Dritten versuchten hektisch, sich in eine<br />
möglichst gute Position zu manövrieren.<br />
Mir selber machte nur eine einzige<br />
Frage wirklich Sorgen: Würde die<br />
Aargauer Zeitung ihren zentralen<br />
Standort in Aarau oder in Baden haben?<br />
Ich tat mich schwer mit dem Gedanken,<br />
als eingefleischte Aarauerin in<br />
Baden zu arbeiten.<br />
Baldegg? Baldegg!<br />
Als die Wahl schliesslich doch auf die<br />
Bäderstadt fiel (man hätte es ahnen können),<br />
blieb mir nichts anderes übrig, als<br />
mich auf das tägliche Pendeln einzustellen.<br />
Die ersten Begegnungen mit dem<br />
neuen Arbeitsort waren ziemlich ernüchternd.<br />
Natürlich gab es schon vor<br />
dem Start der Aargauer Zeitung unzählige<br />
Besprechungen, Sitzungen, Konferenzen,<br />
Meetings. Die Einladung zu einer<br />
dieser Sitzungen lautete ungefähr<br />
so: «10.30 Uhr, Baden, Baldegg».<br />
Also fuhr ich mit dem Auto nach Baden<br />
und weiter auf die Baldegg, wo ich<br />
kurz vor 10.30 Uhr vor den verschlossenen<br />
Türen des Restaurants stand. Nachdem<br />
ich einige Zeit ratlos um das Gebäude<br />
getigert war,<br />
beschloss ich, nach<br />
Baden zurückzufahren.<br />
Am Empfang<br />
des BT-Hochhauses<br />
erfuhr ich, dass «Baldegg»<br />
auch die Bezeichnung<br />
eines Sitzungszimmers<br />
war.<br />
Wie hätte ich wissen<br />
sollen, dass die<br />
Sitzungsräume im BT-Hochhaus solch<br />
klangvolle geografische Namen trugen?<br />
Im AT gab es nur das «Attika», einen<br />
langgezogenen Raum, der als Verbindung<br />
zwischen dem ganz alten und dem<br />
nicht mehr ganz neuen Gebäudeteil an<br />
«Die ersten Begegnungen<br />
mit dem<br />
neuen Arbeitsort<br />
waren ziemlich<br />
ernüchternd.»<br />
der Bahnhofstrasse diente. Dort trafen<br />
sich die ATler am Morgen zum gemeinsamen<br />
Kaffeetrinken und Zeitunglesen<br />
und dort fanden auch die – seltenen –<br />
Sitzungen der Gesamtredaktion statt.<br />
Meine zweite Erfahrung mit Baden<br />
war nicht viel erfreulicher: Eine Fahrt<br />
über die Autobahn bei Nebel und im<br />
WALTER SCHWAGER<br />
strömenden Regen.<br />
Inmitten von Wasserfontänen<br />
und Gischtwolken<br />
fragte ich<br />
mich, ob ich mir diese<br />
Fahrt ins trübe,<br />
unfreundliche Baden<br />
in Zukunft jeden Tag<br />
antun wollte.<br />
Als die Aargauer Zeitung<br />
die ersten Startschwierigkeiten<br />
und Kinderkrankheiten<br />
überwunden hatte, war es Frühling geworden.<br />
Meine teilweise ebenfalls skeptischen<br />
Aarauer Kollegen und ich begannen<br />
uns mit der Bäderstadt anzufreunden.<br />
Wir entdeckten die Restaurants<br />
und Gartenbeizen rund um das<br />
BT-Hochhaus und gönnten uns dort regelmässig<br />
gemeinsame Mittagessen. Wer<br />
mit dem Zug kam, schätzte die Nähe der<br />
Redaktion zum Bahnhof. Ich empfand<br />
Baden als eindeutig weltoffener, internationaler,<br />
multikultureller als Aarau.<br />
Ein Umzug kam natürlich trotzdem<br />
nicht infrage, aber ich lernte, die Stadt<br />
zu mögen – und fast ein wenig zu lieben.<br />
Die Badenfahrt im Sommer 1997 mit der<br />
az-Beiz «Titanic» und den ersten Auftritten<br />
der Band az-Ton versöhnte die Aarauer<br />
endgültig mit Baden.<br />
Doch 2010 hiess es: zurück nach Aarau,<br />
in die Telli. Es war ein Kulturschock,<br />
obwohl wir im «schönsten<br />
Newsroom der Schweiz» arbeiten: Im<br />
Industrieviertel, weit weg vom Bahnhof,<br />
in der kulinarischen Wüste. Die Redaktion<br />
– inzwischen gab es längst keine<br />
ATler und BTler mehr, sondern nur<br />
noch AZler – dachte an Aufstand und<br />
Revolution. Auch ich – die eingefleischte<br />
Aarauerin und Telli-Bewohnerin.
20 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />
Verblüffung, Ärger, Besorgnis, Einsicht<br />
Das Aargauer Tagblatt war eine Publikumsgesellschaft mit Vinkulierungsklausel, viele Aktionäre ahnten nicht,<br />
dass ihr Unternehmen finanziell nicht mehr so gut aufgestellt war, und versuchten, die Fusion zu verhindern.<br />
von Peter Buri<br />
stv. Chefredaktor des<br />
Aargauer Tagblatts<br />
und Chefredaktor der<br />
Aargauer Zeitung<br />
O<br />
ft sind es kleinere Dinge<br />
und Anzeichen, die<br />
Grosses ankünden und<br />
sich im Rückblick zu einem<br />
Mosaik zusammenfügen.<br />
Im November<br />
1995 erkundigte sich der Verleger des<br />
Aargauer Tagblatts (AT) bei der Redaktion,<br />
ob man das defekte Fax-Gerät, mit<br />
dem die Redaktion ihre Manuskripte<br />
von der Bahnhofstrasse in die Setzerei<br />
in der Telli übermittelte, wirklich nicht<br />
erst im neuen Geschäftsjahr ersetzen<br />
könne. Ein paar Monate vorher hatte<br />
sich der Verwaltungsratspräsident gegenüber<br />
der AT-Chefredaktion bei einem<br />
«konspirativen» Treffen im Hotel<br />
Arte in Olten beunruhigt gezeigt über<br />
den wirtschaftlichen Zustand der Aargauer<br />
Tagblatt AG. Er legte dar, dass<br />
der Verwaltungsrat von der Geschäftsleitung<br />
keine transparenten Zahlen erhalte.<br />
Man orte Handlungsbedarf. Bei<br />
dieser Gelegenheit tönte er auch an,<br />
dass man Gespräche mit Baden führe.<br />
Als dann beim frugalen Weihnachtshöck<br />
(Chäschüechli und Wein) der Verleger<br />
in seinen zur Routine gewordenen<br />
Sparappellen dazu aufforderte,<br />
den Gürtel nochmals ein paar Löcher<br />
enger zu schnallen, verdichteten sich<br />
die kleinen Zeichen langsam, aber sicher<br />
zur beunruhigenden Erkenntnis,<br />
dass die fetten Jahre für das AT wohl<br />
endgültig vorbei waren.<br />
In den 70er- und 80er-Jahren hatten<br />
die beiden Zeitungshäuser Aargauer<br />
Tagblatt und Badener Tagblatt – über<br />
alles gesehen – eine wirtschaftliche Blütezeit<br />
erlebt. Sie wuchsen im Gleichschritt.<br />
AT und BT liessen mit ihren erfolgreichen<br />
Regional- und Kopfblattstrategien<br />
die andern Tageszeitungen<br />
im Kanton hinter sich und vereitelten<br />
gleichzeitig Aargauer Expansionspläne<br />
von Zürcher oder Basler Zeitungen. Anfang<br />
90er-Jahre lag der grosse und<br />
letztlich auch entscheidende Unterschied<br />
im unternehmerischen Selbstverständnis<br />
der beiden Häuser, in der<br />
strategischen Entwicklung und Ausrichtung<br />
ihrer Geschäftsfelder. Das AT<br />
verwandelte sich zunehmend in eine<br />
Druckereifirma, in welcher Zeitungen,<br />
Zeitschriften und Beilagen vom Management<br />
vor allem als «Maschinenfutter»<br />
begriffen wurden. Das BT setzte<br />
dagegen konsequent auf publizistische<br />
und verlegerische Aktivitäten, betrieb<br />
ein aktives Marketing und baute sein<br />
Politprominenz an der AT-GV: Damalige Nationalräte Christian Speck (vorne) und Ernst Hasler, Ständerat Maximilian Reimann (Mitte).<br />
Marktgebiet stetig aus. Das Haus Wanner<br />
begann zudem mit Radio Argovia<br />
und Rüsler TV neue Medienfelder zu<br />
erschliessen; die Druckinfrastruktur<br />
wurde als technisches Mittel zum verlegerischen<br />
Zweck angeschaut und aufs<br />
Notwendigste reduziert.<br />
Eine verhängnisvolle Gross- beziehungsweise<br />
Fehlinvestition in den Maschinenpark<br />
brachte – in Kombination<br />
mit einer Konjunkturschwäche – Mitte<br />
90er-Jahre die Aargauer Tagblatt AG in<br />
eine Schieflage. Und beim BT wurde eine<br />
wichtige Personalie immer mehr zur<br />
Belastung: Der Generationen- und Führungswechsel<br />
in der Badener Verlegerfamilie<br />
Wanner von Vater Otto zu Sohn<br />
Peter zog sich in die Länge. In dieser<br />
Konstellation wurden aus ersten, unverbindlichen<br />
Sondierungs- bald ernsthafte<br />
Fusionsgespräche und schliesslich<br />
erfolgreiche Verhandlungen. Am<br />
26. März 1996 konnten auf Schloss<br />
Lenzburg der staunenden Öffentlichkeit<br />
die Aargauer Zeitungsfusionspläne<br />
offiziell verkündet werden.<br />
Verblüffung wird zu Besorgnis<br />
Bei einigen Aktionären der Aargauer<br />
Tagblatt AG wich die Verblüffung über<br />
den Zusammenschluss mit dem Familienunternehmen<br />
Badener Tagblatt<br />
Holding AG bald einmal Besorgnis und<br />
Verärgerung. Der Zürcher Wirtschaftsanwalt<br />
Rudolf P. Schaub schrieb am<br />
4. April 1996 im Namen einer «Gruppe<br />
besorgter Aktionäre» an mindestens<br />
150 Mitaktionäre des AT einen Brief<br />
und forderte sie auf, an der Generalversammlung<br />
vom 3. Mai 1996 gegen die<br />
Fusion zu stimmen, falls der AT-Verwaltungsrat<br />
nicht befriedigende Informationen<br />
zu diversen Fragen liefere. Wer<br />
damals Schaub die vertraulichen Adressen<br />
zur Verfügung stellte, ist bis heute<br />
nicht bekannt.<br />
Ein Hauptpunkt der Kritik betraf die<br />
neuen Besitzverhältnisse: Die Aargauer<br />
MICHAEL KUPFERSCHMIDT/KEYSTONE<br />
Tagblatt AG zählte rund 400 Einzelaktionäre,<br />
wobei niemand mehr als<br />
5 Prozent eigene und fremde Aktienstimmen<br />
auf sich vereinigen durfte. Mit<br />
dem vorgeschlagenen Fusionsvertrag<br />
wurde die Familie Wanner Mehrheitsaktionärin<br />
des neuen Unternehmens.<br />
Weiter kritisierten die oppositionellen<br />
Aktionäre die vermeintlich stark zugunsten<br />
des BT ausgefallene Bewertung<br />
der Unternehmenswerte. Sie wähnten<br />
die Aargauer Tagblatt AG als die stärkere<br />
oder zumindest ebenbürtige<br />
Fusionspartnerin. Weiter forderte die<br />
Gruppe einen besseren Minderheitenschutz<br />
für die Kleinaktionäre. Die Opposition<br />
bedeutete eine reelle Gefahr<br />
für die Fusionspläne, musste doch an<br />
der AT-Generalversammlung vom<br />
3. Mai 1996 ein Quorum von zwei Dritteln<br />
der Aktienstimmen erreicht werden.<br />
Organisiert wurde der AT-Widerstand<br />
von SVP-Ständerat Maximilian Reimann,<br />
SVP-Nationalrat Christian Speck,<br />
vom Suhrer Unternehmer Samuel<br />
Wehrli sowie Lagerhäuser-Chef Werner<br />
Meyer. Sie hatten auch Rudolf P.<br />
Schaub mandatiert, wobei es nach geschlagener<br />
Schlacht – dem Vernehmen<br />
nach – noch einige gruppeninterne Nebengeräusche<br />
gegeben haben soll bis<br />
zur Begleichung des Anwaltshonorars<br />
von 45 000 Franken. Einen anderen<br />
Sturm im Wasserglas verursachte Maximilian<br />
Reimann, der zu dieser Zeit im<br />
Dienste der Aargauer Tagblatt AG eine<br />
viel beachtete Finanzkolumne schrieb.<br />
Er hatte ein paar Wochen vor der<br />
Fusionsbekanntgabe heimlich fünf AT-<br />
Aktien an Peter Wanner, den schärfsten<br />
Konkurrenten seines Arbeitgebers, verkauft.<br />
Am 16. April 1996 kam es zum grossen<br />
«Showdown»: Rund 120 Personen<br />
leisteten der Einladung der oppositionellen<br />
Aktionärsgruppe zu einer Informations-<br />
und Diskussionsveranstaltung
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 21<br />
Folge. «Obwohl gestern Dienstagabend<br />
im Restaurant Zum Schützen in Aarau<br />
verbal teilweise recht scharf geschossen<br />
wurde, waren die wahren Ziele und<br />
Absichten im rhetorischen Pulverdampf<br />
nicht immer klar auszumachen»,<br />
resümierte das AT in seiner<br />
Berichterstattung. Die Diskussion im<br />
«Schützen»-Saal wogte hin und her. Vor<br />
allem an den grossen Unterschieden<br />
bei der Unternehmensbewertung erhitzten<br />
sich die Gemüter (BT 60,5 Millionen;<br />
AT nur 20,9 Millionen). Ein ehemaliger<br />
AT-Finanzchef wunderte sich,<br />
was mit den zu seiner Zeit geäufneten<br />
stillen Reserven passiert sei. Nach und<br />
nach kristallisierten sich zwei Hauptaspekte<br />
heraus: Die wirtschaftlichen Probleme<br />
der Aargauer Tagblatt AG, die offenbar<br />
viel grösser waren, als man erahnen<br />
konnte, sowie das Umdenken in<br />
der Wirtschaftswelt bezüglich Unternehmensbewertungen,<br />
dass die (künftige)<br />
Ertragskraft viel gewichtiger ist als<br />
der Substanzwert.<br />
Finanzlage «nicht gesund»<br />
Die Versammlung im «Schützen»<br />
nahm – auf diese beiden Punkte bezogen<br />
– eine Wendung, als AT-Aktionär<br />
Werner Meyer einen von ihm privat engagierten<br />
Bücherexperten vorstellte.<br />
Werner Käser, Mitglied der Geschäftsleitung<br />
der Aarauer thv Treuhand AG,<br />
analysierte aus neutraler Warte die<br />
wirtschaftliche Situation der Aargauer<br />
Tagblatt AG. Basierend auf den offiziellen<br />
Unterlagen, kam er zum Schluss,<br />
dass die Finanzlage des Unternehmens<br />
«nicht gesund» sei. Der Anteil des Eigenkapitals<br />
sei in den letzten Jahren<br />
unter 20 Prozent gesunken und das Anlagevermögen<br />
müsse zunehmend mit<br />
kurzfristigem Fremdkapital finanziert<br />
werden. Dieses Statement und die Ankündigung<br />
von AT-Verwaltungsrat Professor<br />
Dr. Georg Müller, dass die AT-Aktionäre<br />
vor der Generalversammlung<br />
nochmals ausführlich informiert würden,<br />
beruhigte die Geister etwas und<br />
AT-Aktionär Samuel Wehrli.<br />
MICHAEL KUPFERSCHMIDT/KEYSTONE<br />
verbreitete auch unter den oppositionellen<br />
Aktionären eine gewisse Nachdenklichkeit.<br />
Der AT-Verwaltungsrat hielt Wort und<br />
informierte am 22. April 1996 die AT-<br />
Aktionäre mit einem neunseitigen Brief<br />
in bemerkenswerter Offenheit und<br />
Schonungslosigkeit über den «dringenden<br />
internen Handlungsbedarf» bei der<br />
Aargauer Tagblatt AG. Einerseits gehe<br />
es als «zentrale Aufgabe» um die Ablösung<br />
der gegenwärtigen Unternehmensleitung<br />
und andererseits um eine<br />
Sanierung des mit einer «hohen Fremdverschuldung»<br />
belasteten Unternehmens.<br />
Weiter erhielten alle AT-Aktionäre<br />
vom neuen Verwaltungsrat der künftigen<br />
«Aargauer Zeitung AG» die Garantie,<br />
ihre Aktien bis zum 31. August 1996<br />
für 2952 Franken<br />
verkaufen zu können;<br />
zum gleichen<br />
Preis wie sie BT-Verleger<br />
Peter Wanner<br />
verrechnet wurden.<br />
Diese Offerte erwies<br />
sich als äusserst geschickter<br />
Schachzug,<br />
schenkten doch<br />
viele AT-Aktionäre<br />
der öffentlichen<br />
Empfehlung eines Finanzexperten<br />
Glauben, dass sie für ihre Papiere nie<br />
mehr einen solch hohen Preis erhalten<br />
würden. Der (designierte) Mehrheitsaktionär<br />
Peter Wanner konnte so seine<br />
Anteile problemlos ausbauen, ohne<br />
sich Vorwürfe gefallen lassen zu müssen,<br />
er strebe die totale Machtübernahme<br />
an. Viele AT-Aktionäre bereuten im<br />
Nachhinein zutiefst, für 2952 Franken<br />
verkauft zu haben – als der AZ-Aktienkurs<br />
zeitweilig weiter über<br />
10 000 Franken hinausschoss.<br />
Der verbesserte Minderheitenschutz<br />
und die Informationsoffensive des AT-<br />
Verwaltungsrats zeigten Wirkung. Die<br />
oppositionellen Aktionäre signalisierten<br />
am 24. April 1996 im AT Gesprächsbereitschaft<br />
(SVP-Nationalrat Christian<br />
«Die Fusion eröffnet<br />
beiden Redaktionen<br />
echte und<br />
beflügelnde Zukunftsperspektiven.»<br />
AT-Chefredaktor Franz Straub<br />
zu kritischen Aktionären<br />
Speck: «An einem Scherbenhaufen ist<br />
niemand interessiert.») Kurz vor der<br />
entscheidenden Generalversammlung<br />
am 3. Mai 1996 in der «Krone» in Lenzburg<br />
strich man die Segel ganz und verzichtete<br />
offiziell auf eine Nein-Empfehlung<br />
zur Fusion. Mitentscheidend seien<br />
vertrauensbildende Gespräche mit dem<br />
neuen Mehrheitsaktionär gewesen, begründete<br />
die Gruppe ihr Einlenken.<br />
Ohne Peter Wanner, der über die erforderlichen<br />
Sachkenntnisse und Führungseigenschaften<br />
zu verfügen scheine,<br />
müsste die unerlässliche rasche Lösung<br />
der Probleme der Aargauer Tagblatt<br />
AG als äusserst fraglich eingeschätzt<br />
werden.<br />
Damit war der Weg frei für die<br />
Aargauer Zeitungsfusion. An der denkwürdigen<br />
Generalversammlung<br />
vom<br />
3. Mai 1996 wurde<br />
zwar nochmals – im<br />
Sinne einer Seelenhygiene<br />
– etwas Vergangenheitsbewältigung<br />
betrieben, die<br />
meisten Votanten<br />
blickten jedoch mit<br />
Hoffnung und Zuversicht<br />
in die Zukunft.<br />
Dr. Franz Straub, AT-Chefredaktor und<br />
designierter erster Chefredaktor der<br />
«Aargauer Zeitung», betonte nochmals<br />
die publizistische und verlegerische<br />
Notwendigkeit und bezeichnete den<br />
Zusammenschluss auch aus redaktioneller<br />
Sicht als sinnvoll: «Die Fusion eröffnet<br />
beiden Redaktionen echte und<br />
beflügelnde Zukunftsperspektiven.»<br />
Nach vier Stunden folgten die AT-Aktionäre<br />
mit einer komfortablen Mehrheit<br />
von über vier Fünfteln den Fusionsanträgen<br />
des Verwaltungsrats. Das AT<br />
schloss seine Berichterstattung mit einem<br />
Zitat von Aktionär Beat Roggen,<br />
der einen Schlusspunkt hinter alle Diskussionen<br />
setzte: «Lieber zu 50 Prozent<br />
an einer guten Sache beteiligt sein als<br />
zu 100 Prozent an einer halbbatzigen».
22 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />
Die Nationalbahn war sein Schicksal<br />
Aufstieg und Fall eines grossen Journalisten: Josef Zehnder, Urahn und Gründer der Mediendynastie Wanner,<br />
engagierte sich als Stadtammann für die Nationalbahn und legte sich in seiner Zeitung mit den mächtigen Hoteliers an.<br />
von<br />
Markus Somm<br />
Historiker, Verleger<br />
und Chefredaktor<br />
der Basler Zeitung<br />
ke» oder «Speichellecker». Die Zeitung<br />
etablierte sich in jenen Tagen als einflussreichstes<br />
Blatt des Ostaargaus.<br />
Nach etlichen Fusionen sind daraus die<br />
AZ Medien entsprungen. Ihr aktueller<br />
Besitzer, Peter Wanner, ist der Ur-Ur-<br />
Enkel von Josef Zehnder.<br />
J<br />
osef Zehnder, Gründer, Verleger,<br />
Chefredaktor und Chefkommentator<br />
des Badener<br />
Tagblattes hat sich immer als<br />
alles gesehen: als Unternehmer,<br />
Politiker und als Journalist.<br />
Sein Blatt setzte er hemmungslos<br />
ein, um seine Gegner zu bekämpfen –<br />
und er hatte viele davon –, sein Unternehmen<br />
setzte er jedem Risiko aus,<br />
wenn die Politik ihm das zu erfordern<br />
schien, aber auch seine politische Zukunft<br />
war ihm gleichgültig, wenn es um<br />
eine höhere Sache ging. Diese höhere<br />
Sache – an der er scheitern sollte – war<br />
die Nationalbahn. 1878 ging sie bankrott.<br />
Wenig erinnert heute an dieses<br />
grösste Debakel der schweizerischen<br />
Wirtschaftsgeschichte vor der Swissair<br />
– in Baden vielleicht der kuriose Bahnhof<br />
Baden Oberstadt, den niemand versteht,<br />
in Dättwil ein weiterer Bahnhof,<br />
der niemandem nützt – sonst ist alles<br />
vergessen. Zehnder aber – er vergass<br />
diese vermaledeite Bahn wohl nie.<br />
Rest der Schweiz gegen Escher<br />
Anfang der 1870er-Jahre hatten sich<br />
die Winterthurer Demokraten vorgenommen,<br />
ihren grössten Gegner, den<br />
Zürcher Staatsmann und Unternehmer<br />
Alfred Escher, nicht bloss politisch zu<br />
erledigen, sondern auch wirtschaftlich:<br />
Deshalb planten sie eine Bahn vom Bodensee<br />
an den Genfer See, deren Verlauf<br />
erstens wo immer möglich der Luftlinie<br />
folgen sollte, und zweitens das verhasste<br />
Zürich links liegen liess. Damit<br />
wollte man die dominante Nordostbahn,<br />
deren Dreh- und Angelpunkt Zürich<br />
war, aus dem Markt drängen. Die<br />
Nordostbahn wurde von Escher beherrscht<br />
– wie zu diesem Zeitpunkt das<br />
halbe Land.<br />
Die Luftlinie. Kürzer, schneller, besser.<br />
Weil das auf dem Papier so berückend<br />
aussah, gelang es den Winterthurern, all<br />
jene Städte zu gewinnen, die sich bisher<br />
vom Eisenbahnbau vernachlässigt sahen,<br />
viele dieser Orte lagen im Aargau: Zofingen,<br />
Lenzburg, Mellingen beteiligten sich<br />
mit Enthusiasmus an der neuen Bahn –<br />
am Ende machte sogar Baden mit. Dass<br />
das geschah, war merkwürdig, dass es so<br />
weit kam, lag an Josef Zehnder. Denn in<br />
Baden konnte von Enthusiasmus keine<br />
Rede sein: Die Nationalbahn spaltete die<br />
Stadt. Politische Karrieren strahlten mit<br />
der Nationalbahn – und sie zerschellten<br />
an der Nationalbahn.<br />
Ein Virtuose der Beschimpfung<br />
Josef Zehnder, 1810 in Birmenstorf als<br />
Sohn eines Lehrers, Gemeindeammanns<br />
und Kleinbauern geboren,<br />
liess sich ebenfalls zum Lehrer ausbilden,<br />
da er aber mit dem ersten Lohn<br />
seine Eltern und die vielen Geschwister<br />
unterstützen musste, war er auf eine<br />
Nebenbeschäftigung angewiesen und<br />
erlernte deshalb auch das Buchbinden,<br />
dann das Drucken. Schon 1835 gründete<br />
er in Baden eine Druckerei. Bald<br />
folgte eine erste Zeitung, und Zehnder<br />
machte sich auf den Weg, einer der<br />
wichtigsten Verleger des Kantons zu<br />
werden. Immer freisinnig, zuerst auf<br />
dem linken, radikalen Flügel, dann<br />
eher auf dem rechten, liberalen, immer<br />
hoch politisiert, prägte er seine Zeitungen<br />
auf eine Art und Weise, die unverkennbar<br />
blieb, weil ausgeprägt aggressiv<br />
und meinungsstark. Er selber war<br />
ein glänzender Polemiker, er schuf sich<br />
gute Freunde und noch bösere Feinde.<br />
Besonders die Katholisch-Konservativen<br />
verziehen ihm, dem Katholiken,<br />
nie, mit welcher Vehemenz er Kirche,<br />
Papst, «Lügenapostel» und die Priester<br />
als «Dunkelmänner des Schwarzen Erdteils»<br />
tagtäglich vernichtete. Polemiker?<br />
Er war ein Virtuose der Beschimpfung.<br />
In Zehnders Zeitungen war es ganz normal,<br />
dass übelste Attacken als Artikel,<br />
öfter noch als Inserate, erschienen:<br />
«Lügner», «Schmarotzer», «Kreatur»,<br />
«Schuft», «Verleumder», «feiger Schur-<br />
«Wir Bewohner im Baderbiet<br />
und im Reusstale<br />
leben nicht<br />
im Hottentottenlande;<br />
wir sind nicht die Heloten<br />
des obern Aargaus.»<br />
«Nationalbahn aushudeln?»<br />
Wenn die Winterthurer in Baden einen<br />
Vorkämpfer für ihr Nationalbahn-<br />
Projekt gesucht hatten, dann fanden sie<br />
ihn in Josef Zehnder, der seit einigen<br />
Jahren auch Stadtammann war. Der gewaltige<br />
Mann war sogleich Feuer und<br />
Flamme. Im Kampf, der bald in der<br />
Stadt entbrannte, waren die meisten<br />
Hoteliers auf der anderen Seite und<br />
misstrauten Josef Zehnder – was ihn dazu<br />
verleitete, sie, die Herren des Kurorts,<br />
die informelle Elite, offen anzugreifen,<br />
was für einen Stadtammann<br />
doch eher ungewöhnlich war:<br />
«Unsere sog. Noblesse, welche sich etwas<br />
darauf zu gute tut, mit und ohne<br />
Aktien in der Gunst der Nordostbahn<br />
zu stehen und die Nationalbahn mit<br />
ihren Gönnern auszuhudeln, sollte sodann<br />
nie vergessen, dass auch in Baden<br />
eine Solidarität der Interessen gepflegt<br />
werden muss, wenn nicht Hader<br />
und Feindschaft entstehen soll.<br />
Was haben die Stadt, die Vorstadt<br />
und die Halde davon, wenn der<br />
Schwerpunkt der Entwickelung des<br />
Ortes vor das Bruggertor, an die Badhalde,<br />
ins Hasel und nach den Bädern<br />
hin verlegt wird? Will man die anderen<br />
Stadtteile veröden lassen und sie<br />
gleichzeitig nötigen, Hunderttausende<br />
zu Gunsten zunächst der Bäder<br />
und der Badhalde zahlen zu helfen?»<br />
Entweder man war für ihn – oder gegen<br />
ihn. Wegen der Nationalbahn<br />
brach er selbst mit den Liberalen. Als<br />
die «NZZ», das Organ der Escher-Liberalen,<br />
die Idee der Nationalbahn –<br />
selbstverständlich – verwarf, ging Zehnder<br />
auf die ehemaligen Verbündeten<br />
los:<br />
«Es ist eine plumpe Tendenzlüge, dass<br />
bezüglich des Baues die Nationalbahn<br />
zu den schwierigsten der Schweiz
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 23<br />
zählt! – Es gehört ein raffiniertes<br />
Strauchrittertalent dazu, die Ansätze<br />
der Nationalbahn als ‹windig›<br />
zu bezeichnen! – Das behaupten<br />
wir fest, wenn es um die Finanzen<br />
des Kritikasters so lumpig<br />
steht, wie um seinen Charakter<br />
und seine politische Ehrlichkeit, so<br />
würde ihm kein Mensch einen Centime<br />
anvertrauen. Wir Bewohner<br />
im Baderbiet und im Reusstale leben<br />
nicht im Hottentottenlande;<br />
wir sind nicht die Heloten des<br />
obern Aargaus».<br />
In Baden war die Auseinandersetzung<br />
zu einem Bürgerkrieg verkommen.<br />
Im Kern drehte sich der<br />
Konflikt um die Tatsache, dass besonders<br />
die Hoteliers sich als saturiert<br />
betrachteten, was die Verkehrsanbindung<br />
ihrer Bäder anbelangte. Sie hatten<br />
die Spanischbrötlibahn einst entschlossen<br />
unterstützt, weil sie um<br />
deren positive Wirkung auf ihr<br />
Geschäft wussten. Aber wozu eine<br />
weitere Bahn?<br />
Zehnder kämpfte, Zehnder lockte,<br />
Zehnder polterte. Zwei Gemeindeversammlungen<br />
waren erforderlich,<br />
um zu entscheiden, ob Baden sich an<br />
der Nationalbahn beteiligen sollte,<br />
man traf sich am 16. März und am<br />
30. Juni 1873. Wenige Stunden vor<br />
dieser entscheidenden Sitzung richtete<br />
das Badener Tagblatt ein letztes<br />
Mal die Artillerie auf alle Gegner:<br />
«Die Geschäftsleute, die Handwerker<br />
und Arbeiter wissen schon<br />
längst, wie viel sie von diesen Herren<br />
zu erwarten haben, und es ist<br />
ohne neue Empfehlung bekannt,<br />
wie gut es allzeit die Herren ‹Vertreter<br />
des Handelsstandes› mit der<br />
Einwohnerschaft und namentlich<br />
mit uns, Hudelpack, mitunter auch<br />
Plebs und Bettelvolk tituliert, das<br />
nicht aus den Renten lebt, gemeint<br />
haben.»<br />
Baden, Bahnhof Oberstadt: Die Proportionen betonen die Wichtigkeit des Gebäudes. -<br />
Bahnhof Dättwil: Typisch für die Nationalbahn – das Dorf ist woanders.l<br />
DIETER MINDER<br />
WALTER SCHWAGER:<br />
Hudelpack? Bettelvolk? So beschrieb<br />
sich der Stadtammann von<br />
Baden und mächtige Verleger<br />
höchstpersönlich. Ob das jemand<br />
ernst nahm? Offensichtlich: Nachdem<br />
die Badener heftig über eine<br />
Beteiligung an der Nationalbahn gestritten<br />
hatten, beschloss die Einwohnergemeinde<br />
im Juni 1873 mit<br />
200 gegen 147 Stimmen im Sinn von<br />
Josef Zehnder. Baden kaufte für eine<br />
halbe Million Franken Aktien der<br />
Nationalbahn, – das war weniger als<br />
Winterthur oder Zofingen, aber<br />
immer noch einer der höchsten Beträge,<br />
den die Stadt je gesprochen<br />
hatte.<br />
Vielleicht hat<br />
die Menschen an<br />
der Nationalbahn<br />
nichts mehr fasziniert,<br />
als die Idee<br />
ihrer Promotoren,<br />
das Mittelland auf<br />
dem kürzesten<br />
Weg zu durchkreuzen.<br />
Tatsächlich<br />
lag darin ihr<br />
Verhängnis. Ohne Rücksicht auf die<br />
Topografie verlegten die Ingenieure<br />
die Eisenbahnschienen, sie durchquerten<br />
die Täler, statt ihnen zu folgen,<br />
was etliche Brückenbauten erforderte,<br />
und sie durchschnitten das<br />
Gelände, als ob es keine Hügel gäbe.<br />
Kein Wunder explodierten die Kosten.<br />
Die Manager der Nationalbahn<br />
verlangten immer mehr Geld – acht<br />
Millionen Franken betrug das Aktienkapital<br />
der Nationalbahn inzwischen,<br />
doch neun weitere Millionen<br />
fehlten.<br />
Da es nicht mehr infrage kam, eine<br />
Obligation zu vernünftigen Konditionen<br />
auf dem Markt zu platzieren,<br />
mussten die Städte ein zweites Mal<br />
einspringen, und zwar indem sie die<br />
Obligation mit einer «solidarischen<br />
Garantie» absicherten, wobei ein geheimer<br />
Schlüssel festlegte, wie viel<br />
«Der Zusammenbruch<br />
der Nationalbahn<br />
war der bisher<br />
grösste Bankrott der<br />
Schweizer Wirtschaftsgeschichte.»<br />
davon die jeweilige Stadt zu übernehmen<br />
hatte. Sollte die Bahn scheitern,<br />
musste Baden damit rechnen,<br />
mit fast zwei Millionen Franken verschuldet<br />
zu sein – zur damaligen Zeit<br />
ein schwindelerregender Betrag.<br />
Am 15. Oktober 1877 wurde der<br />
Prestigeabschnitt Baden-Winterthur<br />
eröffnet. Um möglichst viel Publikum<br />
anzuziehen, bot man die erste<br />
Reise gratis an, sodass die neue<br />
Bahn geradezu gestürmt wurde.<br />
2400 Passagiere liessen sich von<br />
Winterthur nach Baden fahren. Es<br />
sollte ein Rekord sein – und für immer<br />
bleiben. In den folgenden Tagen<br />
sassen einmal<br />
zwei Passagiere<br />
im Zug, in einem<br />
späteren zehn: Es<br />
war eine Katastrophe.<br />
Vier Monate später<br />
brach das Unternehmen<br />
zusammen.<br />
Es war<br />
der bisher grösste<br />
Bankrott der<br />
Schweizer Wirtschaftsgeschichte.<br />
Und Baden, die kleine Bäderstadt,<br />
war faktisch zahlungsunfähig. Auf<br />
Jahre hinaus war es zum Schuldendienst<br />
verdammt. Baden zahlte 1935<br />
die letzte Rate von Fr. 15 292.65 zurück.<br />
1890, unmittelbar vor der<br />
Gründung der BBC, die alles ändern<br />
sollte, flossen 41 Prozent sämtlicher<br />
Ausgaben der Gemeinde in den<br />
Schuldendienst.<br />
Nachdem die Nationalbahn kollabiert<br />
war, sah sich Josef Zehnder<br />
1880 gezwungen, als Stadtammann<br />
zurückzutreten. Er war siebzig. Zwar<br />
blieb er Verleger des Badener Tagblattes<br />
und damit einflussreich, was<br />
er in einem Leitartikel kurz nach seinem<br />
Rückzug etwas zu auffällig beschwor,<br />
doch politisch war seine<br />
Karriere zu Ende; menschlich erholte<br />
er sich nicht mehr. 1896 starb er.
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />
Beilage zu 20 Jahre Aargauer Zeitung<br />
3. November 1996: Es ist so weit. Die erste Nummer<br />
der Aargauer Zeitung wird gedruckt. Am Montag,<br />
4. November 1996, hatten die Abonnenten sie<br />
im Briefkasten. Damit bekam der Aargau die erste<br />
Zeitung, die das gesamte Gebiet des Kantons abdeckt.<br />
■ Christian Dorer,<br />
AZ-Chefredaktor, über<br />
wachsende Leserzahlen<br />
und Einnahmen.<br />
■ Patrik Müller,<br />
Chefredaktor «Schweiz<br />
am Sonntag», über<br />
Journalismus morgen.<br />
■ Peter Buri, Sprecher<br />
der AG-Regierung, über<br />
die Klammerfunktion<br />
der Aargauer Zeitung.<br />
■ AZ-Redaktoren<br />
(diverse) über (Fusions-)<br />
Erlebnisse, die der Leser<br />
nicht mitbekam.<br />
SEITE 27<br />
SEITE 28<br />
SEITE 31<br />
SEITE 34, 35, 36, 38 UND 39
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 27<br />
Warum mehr Menschen als je AZ lesen<br />
Der Medienwandel bringt es ans Licht: Das Problem der Verlage sind nicht die fehlenden Leser,<br />
sondern die fehlenden Einnahmen. Im Print sinken sie rasant, online steigen sie nur langsam.<br />
von<br />
Christian Dorer<br />
Chefredaktor der<br />
Aargauer Zeitung<br />
A<br />
ls ich Anfang 2009 Chefredaktor<br />
der Aargauer<br />
Zeitung wurde, war sie<br />
ausschliesslich ein gedrucktes<br />
Blatt. Wir Journalisten<br />
dachten in Anzahl<br />
Zeitungsseiten, die zu füllen waren,<br />
und in Abschlusszeiten, bis das Tageswerk<br />
vollendet sein musste.<br />
Heute, acht Jahre später, ist die Aargauer<br />
Zeitung nach wie vor ein gedrucktes<br />
Blatt. Sie ist aber auch ein Online-Portal<br />
und eine App, sie ist auf<br />
Facebook, Twitter, Instagram und anderen<br />
sozialen Medien präsent, sie berichtet<br />
rund um die Uhr in Texten, Bildern,<br />
Videos, Grafiken, Livetickern,<br />
Cards, Quiz etc. Wir denken in verschiedenen<br />
Kanälen, Redaktionsschluss<br />
ist immer und nie.<br />
Die digitale Revolution hat die Medienbranche<br />
voll erfasst – mit ungewissem<br />
Ausgang. Die Entwicklung geht rasant.<br />
Junge Menschen wechseln ganz<br />
selbstverständlich von Facebook zu Instagram<br />
zu Snapchat zu irgendwas<br />
noch Neuerem. Man kann sich nicht<br />
vorstellen, dass diese Generation, die<br />
mit Smartphones und sozialen Medien<br />
aufgewachsen ist, irgendwann zu einer<br />
Tageszeitung aus Papier greifen wird,<br />
um das tägliche Informationsbedürfnis<br />
zu stillen.<br />
Das ist die schlechte Nachricht für<br />
uns Zeitungsmacher. Die gute Nachricht:<br />
Was wir täglich an Inhalten produzieren,<br />
ist gefragt wie noch nie, wie<br />
ein Blick auf die Leserzahlen zeigt:<br />
■ 2009 hatte die AZ<br />
auf Papier 415 000 Leser.<br />
■ 2016 hat sie noch 364 000 Leser.<br />
Das macht fast 50 000 weniger. Digital<br />
aber konnte dieser Verlust mehr als<br />
wettgemacht werden:<br />
■ 2009 hatte die AZ 103 000 Unique<br />
Users pro Monat, also Nutzer des Online-Angebots.<br />
■ 2016 sind es 758 000!<br />
Unter dem Strich resultiert ein sattes<br />
Plus. Richtig dramatisch wäre die Lage,<br />
wenn das, was wir Journalisten machen,<br />
nicht mehr gefragt wäre. Wir<br />
aber erreichen so viele Menschen wie<br />
noch nie – und zwar auch junge, diese<br />
jedoch auf den neuen Kanälen.<br />
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier,<br />
und so zeigt die Erfahrung: Wer sich<br />
Simone Morger ist die Video-Redaktorin im AZ-Newsroom.<br />
«Wir erreichen so viele<br />
Menschen wie noch nie –<br />
und zwar auch junge,<br />
diese jedoch<br />
auf den neuen Kanälen.»<br />
die Lektüre einer gedruckten Zeitung<br />
gewohnt ist, der wechselt selten auf<br />
elektronische Kanäle, und wenn, dann<br />
ergänzend. Die Anzahl Abo-Abbestellungen<br />
bei der AZ ist seit Jahren konstant<br />
– und der häufigste Grund ist der<br />
Tod des Abonnenten aus Altersgründen.<br />
Leider kommen nicht gleich<br />
viele neue Abonnenten nach, sodass<br />
Jahr für Jahr ein leichtes Minus resultiert.<br />
Online und vor allem mobile verzeichnet<br />
die AZ ein starkes Wachstum.<br />
Das hängt mit dem erweiterten Angebot<br />
zusammen, aber auch mit der technischen<br />
Entwicklung:<br />
■ 2009 gab es in der Schweiz um die<br />
250 000 Smartphones.<br />
■ 2016 sind es 4,9 Millionen.<br />
Wir Journalisten möchten vor allem<br />
gelesen werden. Ob auf Papier oder<br />
digital, ist egal. Gleichzeitig muss eine<br />
Zeitung auch profitabel sein, und da<br />
liegt die Krux: Im Print sinken die Einnahmen<br />
rasant, digital steigen sie nur<br />
langsam.<br />
Einst waren Zeitungen quasi Gelddruckmaschinen:<br />
Klassische Inserate,<br />
Stelleninserate, Fahrzeugmarkt, Immobilienmarkt,<br />
Todesanzeigen – all das<br />
spielte sich ausschliesslich in den gedruckten<br />
Zeitungen ab, weil es keine<br />
Alternativen gab. Online aber buhlen<br />
auch Google und Facebook um<br />
Anzeigenerlöse, und auf dem Handy<br />
hat noch niemand ein Anzeigenmodell<br />
gefunden, das wirklich gut funktioniert<br />
und das der Nutzer nicht als lästig empfindet.<br />
Wenn die Anzahl Inserate abnimmt,<br />
so wird der Abonnent auch finanziell<br />
gesehen umso wichtiger:<br />
■ 2009 stammten 52 Prozent der Einnahmen<br />
aus Inseraten und 48 Prozent<br />
aus Abonnements.<br />
■ 2016 stammten noch 43 Prozent aus<br />
Inseraten und 57 Prozent aus Abonnements.<br />
SANDRA ARDIZZONE<br />
Gut möglich, dass sich diese Entwicklung<br />
fortsetzt, dass also der Leser noch<br />
mehr für seine Zeitung zahlen muss als<br />
bisher. Eine interessante Überlegung ist<br />
auch die folgende: Würden alle Abonnenten<br />
ihre Zeitung als E-Paper lesen,<br />
würden zwei Drittel aller Kosten wegfallen<br />
– so viel machen Druck und Vertrieb<br />
aus. Dann könnte eine Zeitung<br />
gänzlich ohne Inserate oder gänzlich<br />
ohne Abo-Einnahmen auskommen. Die<br />
kanadische Tageszeitung «La Presse»<br />
hat diesen Schritt gewagt: Sie hat ihre<br />
Erscheinungsweise im Print sukzessive<br />
verringert. Heute ist sie eine reine E-Paper-Zeitung.<br />
Sie ist finanziell gesund<br />
und hat mehr Leser denn je in ihrer Geschichte.<br />
Die Arbeit des Journalisten ist<br />
anspruchsvoller geworden<br />
Wie auch immer die Zukunft aussieht<br />
– die neuen technischen Möglichkeiten<br />
haben die Arbeit von uns Journalisten<br />
bereits grundlegend verändert. Wenn<br />
der Grosse Rat ein umstrittenes Geschäft<br />
behandelt, so gibt es auf<br />
www.aargauerzeitung.ch einen Liveticker<br />
dazu, ebenso bei einem bedeutenden<br />
Fussballspiel oder einer brisanten<br />
Medienkonferenz. Von jedem Journalisten<br />
wird heute erwartet, dass er<br />
bei News schnellstmöglich einen kurzen<br />
Text online first schreibt, dass er<br />
ein einfaches Video und eine Bildergalerie<br />
machen kann.<br />
Die AZ hat aber auch neue Jobs geschaffen<br />
und beschäftigt heute zum<br />
Beispiel eine Videojournalistin und eine<br />
Social-Media-Redaktorin. Denn es<br />
reicht längst nicht mehr, einfach den<br />
Text aus der gedruckten Zeitung online<br />
zu stellen – es braucht eigene Inhalte<br />
für online, die die neuen technischen<br />
Möglichkeiten nutzen. Wichtiger geworden<br />
ist auch der Austausch mit<br />
Tele M1, das Videos liefert, die online<br />
gut laufen. Und dann muss das Ganze<br />
im Netz über soziale Medien vermarktet<br />
werden, damit die Inhalte diejenigen<br />
Menschen erreichen, die es interessiert,<br />
zum Beispiel über Facebook-Gruppen.<br />
Wer weiterkommen will, muss<br />
sich selber kannibalisieren<br />
Das tönt vielleicht alles simpel – für<br />
eine Redaktion ist es ein Paradigmenwechsel.<br />
Die Ressortleiter müssen entscheiden,<br />
ob ein Thema sofort online<br />
geht oder erst am nächsten Morgen.<br />
Ein Journalist muss heute nicht nur bis<br />
Redaktionsschluss einen Text schreiben<br />
können, sondern rasch auf allen Kanälen<br />
präsent sein. Gleichzeitig ist, wie<br />
fast überall in der Wirtschaft, der<br />
Druck gestiegen; die einzelnen Teams<br />
sind kleiner, die Anforderungen grösser<br />
und die Aufgaben zahlreicher geworden.<br />
Zu Beginn gab es auf der Redaktion<br />
auch Widerstand gegen den digitalen<br />
Wandel, denn das multimediale Arbeiten<br />
bedeutet zuerst einmal eine Zusatzbelastung<br />
und ein Abschiednehmen<br />
von jahrelangen Gewohnheiten. Und<br />
immer wieder kam das Argument: Wir<br />
kannibalisieren uns selber, wenn man<br />
unsere Arbeit auch kostenlos online findet.<br />
Keine Alternative<br />
Das mag stimmen. Doch wir haben<br />
keine Alternative. Innovative, erfolgreiche<br />
Firmen beweisen, dass man sich<br />
selber kannibalisieren muss, um weiterzukommen<br />
– sonst macht es ein anderer<br />
und der einstige Platzhirsch ist<br />
weg vom Fenster. Der technische Fortschritt<br />
lässt sich nicht aufhalten. Und<br />
wenn nicht die AZ das beste digitale<br />
Angebot für den Aargau bietet, dann<br />
tut es früher oder später ein anderer.<br />
So funktioniert die Marktwirtschaft.<br />
Sie besagt aber auch: Wo ein Bedürfnis<br />
ist, ist auch ein Markt. Und da die Inhalte<br />
der Aargauer Zeitung gefragt sind<br />
wie nie, wird sich auch ein Geschäftsmodell<br />
für die digitale Welt etablieren.
28 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />
Den Gratis-Fluch besiegen<br />
Die Schweiz am Sonntag suchte im Silicon Valley nach Innovationen auch für die Medienbranche.<br />
Doch ob die Rettung von dort kommt, ist fraglich.<br />
von<br />
Patrik Müller<br />
Chefredaktor der<br />
Schweiz am Sonntag<br />
W<br />
enn man das Rad<br />
der Zeit nur zurückdrehen<br />
könnte! Diese<br />
Sehnsucht würde<br />
man überall erwarten,<br />
nur an einem<br />
Ort nicht: im Silicon Valley. Doch ausgerechnet<br />
dort begegnete sie uns, als<br />
wir mit der «Schweiz am Sonntag»-Redaktion<br />
für unsere jährliche Spezialausgabe<br />
im Tal der digitalen Revolution<br />
unterwegs waren. Wir hatten das Privileg,<br />
John Hennessy zu treffen, den legendären<br />
Präsidenten der Stanford-<br />
Universität. Seine berühmtesten Studenten<br />
waren Larry Page und Sergey<br />
Brin – die Jungs, die Google gründeten.<br />
Die beiden kamen mit der Idee einer<br />
ausgeklügelten Suchmaschine zuerst zu<br />
ihrem Professor, und Hennessy erkannte<br />
das Potenzial sofort. Er half bei der<br />
Finanzierung des Start-ups und ist bis<br />
heute Vizepräsident des Verwaltungsrats<br />
von Google.<br />
Dieser John Hennessy also, ein überschwänglicher,<br />
einnehmender Mann,<br />
der glaubt, jedes Problem der Welt mit<br />
der richtigen Idee lösen zu können,<br />
wurde in unserem Interview auf einmal<br />
sehnsüchtig. Er sagte: «Wir haben einen<br />
grossen Fehler begangen. Die Welt<br />
wäre heute ein anderer Ort, wenn es<br />
uns gelungen wäre, in der Frühphase<br />
des Internets ein gutes Zahlungssystem<br />
für Inhalte zu schaffen.» Und weiter:<br />
«Damals wäre es einfacher gewesen,<br />
die Gratiskultur gar nicht erst aufkommen<br />
zu lassen. Wir hätten einen Weg<br />
finden müssen, wie man schnell und<br />
effektiv für Inhalte wie einen Zeitungsartikel<br />
bezahlt.» Es war das einzige<br />
Thema, bei dem Daueroptimist Hennessy<br />
nicht lächelte. Er sagte auch: «Ich<br />
mache mir Sorgen um den Relevanz-<br />
Gehalt im Netz. Was ist das Netz ohne<br />
echte Inhalte wirklich wert?»<br />
Journalismus braucht Leute<br />
Nun, die Ursünde ist passiert, die<br />
Gratiskultur ist da. Bei AZ Medien und<br />
wahrscheinlich in jedem Medienhaus<br />
der Welt lautet die zentrale Frage: Wie<br />
finanzieren wir Journalismus in Zukunft?<br />
Wer sie im Silicon Valley stellt,<br />
wird bisweilen verwirrt angeschaut.<br />
Man befasst sich dort mit der Besiedelung<br />
des Mars, mit der Lösung aller<br />
Verkehrs- und Energieprobleme, ja mit<br />
dem ewigen Leben. Doch Journalismus?<br />
Er interessiert eher am Rande.<br />
Zwar gibt es jede Menge Innovationen<br />
im Medienbereich. Bei diesen geht es<br />
aber fast immer um die Aufbereitung,<br />
Darstellung und Weiterverbreitung bereits<br />
vorhandener Informationen. Nicht<br />
um deren Erstproduktion, also um das,<br />
was den Journalistenberuf ausmacht.<br />
«Das ist viel zu teuer, und Nachrichten<br />
sind ohnehin im Überfluss vorhanden»,<br />
sagte uns ein Manager von Matter, einem<br />
Start-up-Accelerator, der Jungunternehmen<br />
fördert: «Man kann so<br />
viele tolle Dinge ohne viel Personal machen,<br />
mit zwei bis vier Leuten. Das<br />
geht im Journalismus leider nicht.» Er<br />
verwies auf den Fotodienst Instagram:<br />
«Der hatte nur 12 Mitarbeiter, als er für<br />
1 Milliarde US-Dollar verkauft wurde.»<br />
Aggregation statt Produktion: Das ist<br />
die Devise im Silicon Valley, ob es um<br />
Musik, Film, Fahrdienste oder eben um<br />
Nachrichten geht.<br />
Interessanterweise hat die Medienlandschaft<br />
der US-Westküste nicht von<br />
der Innovationskraft des Silicon Valleys<br />
«Aggregation statt Produktion:<br />
Das ist die Devise<br />
im Silicon Valley, ob es<br />
um Musik, Film, Taxidienste<br />
oder News geht.»<br />
John Hennessy, Präsident der Stanford University und Vizepräsident von Google.<br />
Die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin waren seine Studenten. PATRICK ZÜST<br />
profitiert. Der wichtigsten Zeitung,<br />
dem «San Francisco Chronicle», geht es<br />
chronisch schlecht. Die national bedeutenden<br />
Medien erscheinen an der Ostküste:<br />
Der «New York Times» ist es gelungen,<br />
für ihr Online-Angebot eine einigermassen<br />
funktionierende Paywall<br />
zu errichten. Ebenso dem «Wall Street<br />
Journal». Auf europäische oder gar<br />
schweizerische Verhältnisse lassen sich<br />
diese Abo-Modelle aber kaum übertragen,<br />
denn die beiden US-Zeitungen erreichen<br />
in der Weltsprache Englisch ein<br />
globales Publikum, was zu einer respektablen<br />
Anzahl zahlungswilliger<br />
Nutzer führt. Versuche von Bezahlschranken<br />
auf dem kleinen Deutschschweizer<br />
Markt, wie sie die «NZZ» und<br />
der «Tages-Anzeiger» gestartet haben,<br />
sind wenig erbaulich. Damit die Seitenabrufe<br />
nicht dramatisch zurückgehen,<br />
wurden die Paywalls nach und nach<br />
wieder löchriger gemacht. Innovative<br />
oder gar disruptive Ideen hat man sich<br />
von der «Washington Post» erhofft, als<br />
der Internet-Milliardär Jeff Bezos, der<br />
Gründer von Amazon, das Blatt übernommen<br />
hat. Doch auch er kocht im<br />
Mediengeschäft bislang nur mit Wasser.<br />
In den USA fliessen mittlerweile von<br />
1 Werbe-Dollar 85 Cent an Facebook<br />
und Google. Die restlichen 15 Cent müssen<br />
sich alle – wirklich alle – anderen<br />
Medien aufteilen. Mit wem man im Valley<br />
auch spricht, in einem Punkt ist<br />
man sich einig: Medien, die sich nicht<br />
an ein sehr enges Zielpublikum richten,<br />
sondern wie Zeitungen an grundsätzlich<br />
alle Menschen in einer Region,<br />
werden früher oder später kaum mehr<br />
Werbung haben, weil die Streuverluste<br />
zu hoch sind. Das Fazit: Noch mehr als<br />
heute werden künftig die Leser und<br />
nicht die Anzeigenkunden den Journalismus<br />
finanzieren. Früher oder später<br />
wohl auch im Netz; man wird die<br />
Ursünde überwinden müssen. Edwy<br />
Plenel, der Gründer des französischen<br />
Newsportals Médiapart, sagte am<br />
SwissMediaForum, es sei grossartig,<br />
wenn die Leser und nicht die Werbung<br />
den Journalismus bezahlen, denn das<br />
bedeute Unabhängigkeit. «Seul nos lecteurs<br />
peuvent nous acheter», ist sein<br />
Motto («nur unsere Leser können uns<br />
kaufen»). Auch das angekündigte neue<br />
Online-Magazin, das Journalisten um<br />
Christof Moser («Schweiz am Sonntag»)<br />
und Constantin Seibt («Tages-Anzeiger»)<br />
gründen wollen, soll ganz ohne<br />
Werbung auskommen.<br />
Leser sollen entscheiden<br />
Bei AZ Medien ist unser Ziel, durch<br />
Abonnenten- wie durch Werbeerträge<br />
auch künftig genügend Mittel für guten<br />
Journalismus zu generieren – und Kosten<br />
vor allem dort einzusparen, wo es<br />
nicht den Journalismus schwächt. Beispielsweise<br />
beim Papier, beim Druck,<br />
beim Vertrieb. Werden wir in Zukunft<br />
noch jeden Tag Zeitung drucken oder<br />
an einem oder mehreren Tagen digitale<br />
Ausgaben publizieren? Das ist die grosse<br />
Frage. Letztlich werden sie die Leser<br />
mit ihrem Nutzungsverhalten und ihrer<br />
Zahlungsbereitschaft beantworten (siehe<br />
dazu auch das Interview auf den beiden<br />
Seiten 50 und 51).<br />
Die Verlage – so viel kann man im Silicon<br />
Valley lernen – werden neue Dinge<br />
ausprobieren müssen, auch nach dem<br />
Prinzip «Versuch und Irrtum». In den<br />
Büros des Start-up-Spezialisten Matter<br />
hängen zwei Imperative auf Plakaten an<br />
der Wand: «Be scrappy!», was bedeutet,<br />
dass man eine Idee kämpferisch und auf<br />
seine eigene Art umsetzen und dabei etwas<br />
riskieren sollte. Und «Pivot!», was<br />
wörtlich Dreh- oder Angelpunkt heisst<br />
und womit die Jungunternehmen aufgefordert<br />
werden, ihre Geschäftsidee dauernd<br />
wieder umzudrehen und ihr Businessmodell<br />
zu verändern.<br />
Kampfes- und Experimentierlust: Davon<br />
kann man sich in Kalifornien anstecken<br />
lassen. Doch ob die Rettung<br />
des Journalismus von dort kommt, ist<br />
eher zweifelhaft. Die Ideen – die müssen<br />
wir schon selber haben.
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 29<br />
In der Pressegeschichte ist alles drin<br />
Für den Aargau ist es fast ein Allgemeinplatz: Die aargauische Pressegeschichte ist gleichzeitig die umfangreichste<br />
und ausführlichste Darstellung der Aargauer Politik, vor allem der Entwicklung der Parteien.<br />
von Andreas Müller<br />
Historiker, Autor<br />
von «Geschichte der<br />
politischen Presse<br />
im Aargau»<br />
S<br />
eit die politischen Parteien<br />
als organisierte Vereine in<br />
Erscheinung treten, benutzten<br />
sie die Presseorgane als<br />
Verkünder, als Werbemittel,<br />
Diskussionsforen und Sammelstelle<br />
für Mitglieder. Die frühesten<br />
Zeitungen des Kantons, also aus der<br />
Zeit vor 1848, wiesen sich schon als<br />
Wortführer der verschiedensten Meinungen<br />
und Weltanschauungen aus. In<br />
diesen Blättern kristallisierten sich bereits<br />
politische Strömungen heraus: Leserkreise<br />
schlossen oder trennten sich.<br />
Schnell entstanden dann neue Presseorgane,<br />
wenn die politische Linie eines<br />
Blattes vom Gewohnten abwich. Die<br />
Toleranz war im jungen Aargau kaum<br />
vorhanden, die Debattierlust erlahmte<br />
rasch; die Verketzerung des Andersdenkenden<br />
war rasch vollzogen. Neue<br />
Sammelbecken entstanden und damit<br />
auch Gegenzeitungen. Die Unduldsamkeit<br />
und Gesprächsverweigerung führte<br />
schliesslich auch zu Klosterstreit und<br />
Sonderbundskrieg.<br />
Selbst die Siegerseite von 1848 konnte<br />
ihre Reihen im Aargau nicht schliessen.<br />
Als Fortschrittspartei stand sie den<br />
konservativen Föderalisten gegenüber.<br />
Während die Letzteren als «geschunde-<br />
ne Minderheit» scheinbar geschlossen<br />
auftraten und dies in ihrer Meinungspresse<br />
auch bezeugten, waren die Gewinner<br />
des Krieges von Anfang an in<br />
verschiedene Lager gespalten. Als Radikale<br />
und Liberale wiesen sie im Aargau<br />
graduelle Unterschiede in der Auffassung<br />
des Freiheitsbegriffs auf. So meldeten<br />
sich auch gleichenorts verschiedene<br />
Zeitungen zu Wort und standen<br />
sich in Sachfragen oft unversöhnlich<br />
gegenüber. Damit entwickelten sich politische<br />
Vereine mit Statuten und Strukturen;<br />
damit auch offizielle Zeitungen,<br />
Parteiorgane.<br />
Mit dem Eisenbahnbau in der<br />
Schweiz spalteten sich – wie in den<br />
Nachbarkantonen – die Demokraten<br />
ab, eine weitere volksnahe Bewegung,<br />
die im ländlichen Milieu grosses Ansehen<br />
genoss und eigene Ziele und Projekte<br />
verfolgte. Auch damit entstanden<br />
Vereine mit eigenem Sprachrohr.<br />
Journalistische Schwerarbeiter<br />
Neben den Politikern als Leitfiguren<br />
erscheinen nun ihre Begleiter, die Journalisten,<br />
auf der Bühne. Sie waren<br />
meist markante und knorrige Charaktere,<br />
genauso wie die ersten Zeitungsmacher<br />
im Aargau vor 1848, dazu waren<br />
sie parteipolitisch eingebunden und linientreu.<br />
Viele traten im Grossrat selber<br />
als Redner auf oder sie dominierten<br />
das Dorf- oder Ortsgeschehen.<br />
Die Redaktoren, auf Unabhängigkeit<br />
bedacht, waren zwar Meinungsmacher<br />
in ihren Blättern im Sinne der Partei,<br />
meist unerschrocken und bissig, aber<br />
sie waren – auch wenn sie eine Partei-<br />
Etikette im Zeitungskopf trugen – keine<br />
Lakaien. Sie waren Besitzer ihres Unternehmens,<br />
Verleger, Reporter, Kommentator,<br />
Setzer, Drucker und Aushängeschild<br />
ihrer Akzidenzdruckerei. Da<br />
der Verleger als Journalist sowieso bei<br />
allen Veranstaltungen präsent sein<br />
musste, wirkte er – je nach brisanten<br />
«Da der Verleger als<br />
Journalist sowieso an<br />
allen Veranstaltungen<br />
präsent war, wirkte er in<br />
seiner Gemeinde auch<br />
als Politiker aktiv mit.»<br />
Themen – in seiner Gemeinde als Politiker<br />
aktiv mit. Da es kaum Agenturen<br />
gab, welche die Arbeit erleichterten,<br />
schrieb er alles Lokale selber, das Fernere<br />
bezog er als sogenannte Scherenschnitte<br />
aus städtischen Tagblättern.<br />
Wie er mit diesem Aufwand an Arbeitsstunden<br />
auf seine Kosten kam, das wissen<br />
die Götter.<br />
Um die Jahrhundertwende, das<br />
heisst um 1900, waren alle politischen<br />
Richtungen nach Vereinsrecht organisiert,<br />
auch die Katholisch-Konservativen,<br />
der Grütliverein und daraus hervorgehend<br />
die Sozialdemokratische<br />
Partei. (Ab 1918 trat dann auch die Bauern-<br />
und Bürgerpartei als selbstständige<br />
Organisation auf ). Bei allen Gruppierungen<br />
gab es «Offizielle Parteiorgane»,<br />
dazu parteinahe Blätter: Aber alle im<br />
Aargau waren finanziell eigenständige<br />
Unternehmen oder unabhängige Genossenschaften.<br />
Reine Parteiblätter waren<br />
nur die Vereinsorgane im engeren<br />
Sinne. Dennoch sah man dem Inseratenteil<br />
an, wer zum Freundeskreis der<br />
Zeitung gehörte. Insofern kamen auch<br />
die freien Verleger nicht ohne Zuwendungen<br />
aus.<br />
Das Geld brachte die Druckerei<br />
Die Presselandschaft des Aargaus<br />
entsprach der geografischen und historischen<br />
Topografie des Kantons. Neben<br />
den städtischen Zentren Aarau und Baden<br />
waren alle Bezirke mit mehreren<br />
Zeitungstiteln versehen. Dass Aarau<br />
und Baden zeitweise drei Tageszeitungen<br />
neben kleineren Anzeigern beherbergten<br />
und alle Verleger ihr Auskommen<br />
fanden, war meist der Akzidenzdruckerei<br />
zu verdanken: das Ansehen<br />
und die Reklamewirkung des Zeitungstitels<br />
lockten geschäftliche Aufträge in<br />
Fülle an.<br />
Die Blätter in den Bezirkshauptorten<br />
und den grösseren Landgemeinden kamen<br />
zwei- bis dreimal die Woche heraus.<br />
Auch diese mussten meist eine örtliche<br />
Konkurrenz ertragen, denn eine<br />
einzige parteigebundene Stimme war<br />
in keinem Bezirk zu ertragen. Oft traten<br />
diese Organe besonders heftig auf,<br />
denn ihre Besitzer waren meist als<br />
Idealisten oder weltanschaulich Engagierte<br />
mehr an politischem Erfolg und<br />
Ansehen als an materiellem Gewinn interessiert.<br />
Hier spielten sich auch die<br />
örtlichen sachpolitischen Schlachten<br />
ab, die auch an Versammlungen im<br />
Saal des grössten Gasthauses ausgetragen<br />
wurden (normalerweise 200 bis<br />
500 Teilnehmer). Dass fast alle Wirtschaften<br />
in Kleinstädten und Dörfern<br />
parteilich zugeordnet werden konnten,<br />
liess sich an den aufgelegten Zeitungen<br />
ablesen. Die Männer in den Vereinen<br />
turnten, sangen, schossen und musizierten<br />
parteilich getrennt. Daher waren<br />
die politischen Veranstaltungen so<br />
hitzig, weil die kontroversen Meinungen<br />
in der Lokalpresse erst nach der<br />
persönlichen Begegnung ausgetragen<br />
wurden.<br />
Die Zeit der Parteipresse<br />
Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts<br />
bezeichnet man in der Pressegeschichte<br />
mit Recht als Zeit der Parteipresse.<br />
Die meisten städtischen Tageszeitungen<br />
waren freisinnigen Ursprungs,<br />
stammten aus Aarau, Baden und Zofingen,<br />
und sie waren Gründungen des<br />
19. Jahrhunderts; nur das «Brugger Tagblatt»<br />
kam erst 1907 dazu. Sie vertraten<br />
bei allen Schattierungen freisinniger<br />
Politik (zwei Tageszeitungen in Aarau,<br />
zwei in Baden) eine Wirtschaftspolitik,<br />
die der Arbeitgeberschaft und dem Gewerbe<br />
nahe war. Sie verkörperten aller<br />
Konkurrenz zum Trotz, den geltenden<br />
Status quo, die Kontinuität. Da alle diese<br />
Zeitungen der eigenen Stadt und Region<br />
dienen wollten, war der Streit un-<br />
FORTSETZUNG AUF SEITE 30
30 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />
So wurden einst Zeitungen hergestellt: Ein Blick in den Druckereisaal des Badener Tagblatts an der Bruggerstrasse in Baden Anfang der 30er-Jahre.<br />
ZIPSER/ARCHIV WANNER<br />
FORTSETZUNG VON SEITE 29<br />
ter ihnen ein ideeller. Keine besass eine<br />
kantonsweite Ausstrahlung. Und das<br />
sollte so bleiben.<br />
Ein Abbild der Sozialstruktur<br />
Die neue staatspolitische Tagespresse<br />
im Aargau, gegründet vor und in<br />
der Zeit des Ersten Weltkrieges, entstammte<br />
der neuen Sozialstruktur: Die<br />
organisierte Arbeitnehmerschaft meldete<br />
sich zu Wort. Die Arbeiterpresse<br />
«Freier Aargauer», mit Geburtsjahr<br />
1906, geht vom Streik der Aarauer Typografen<br />
(1904/05) aus. Aarau wird daher<br />
ihre Heimat bleiben. Die Katholisch-Konservative<br />
Zeitung (KK, später<br />
CVP) entsteht als «Badener Volksblatt»<br />
1895, nach der Enzyklika von Papst<br />
Leo XIII. (1891). Sie gab der Arbeiterschaft<br />
um den katholischen Arbeiterverein<br />
dreimal die Woche eine Stimme.<br />
Aus diesem Vorläufer entsteht 1911<br />
die Tageszeitung «Aargauer Volksblatt»,<br />
die daher im Standort Baden<br />
verankert blieb und nun der ganzen<br />
Partei, nicht nur den Christlichsozialen<br />
diente.<br />
Fast gleichzeitig, nämlich 1912, wollte<br />
auch die Angestelltenschaft («Stehkragenproletariat»)<br />
ihre Presse haben.<br />
Die Genossenschaft «Neue Aargauer<br />
Zeitung» lancierte ebenfalls eine Tageszeitung.<br />
Kaderleute, Beamte und<br />
kaufmännische Angestellte fanden sich<br />
weder durch die sozialistische noch<br />
durch die christlichsoziale Presse vertreten.<br />
Der Sitz dieser Zeitung war Aarau.<br />
Alle Tageszeitung der Arbeitnehmerschaft<br />
wiesen überregionalen Charakter<br />
auf und waren auf das ganze Kantonsgebiet<br />
ausgerichtet.<br />
Und dazu gesellte sich schon seit<br />
Mitte des 19. Jahrhunderts die Lokalpresse.<br />
Üblicherweise dominierten in<br />
jedem Bezirk zwei Zeitungen der beiden<br />
wichtigsten politischen Parteien<br />
das Feld. Massgebend war die politische<br />
Haltung des Verlegers, der ja<br />
auch für den Inhalt verantwortlich<br />
zeichnete. Sie erschienen zwei- bis<br />
dreimal die Woche. Meist dienten daneben<br />
noch neutrale Wochenblätter<br />
als «Anzeiger» der lokalen Information.<br />
Alle Blätter verfügten über eine<br />
leistungsfähige Druckerei, die dem örtlichen<br />
Geschäftsleben diente und dem<br />
Verleger oft die materielle Grundlage<br />
lieferte, sich das kostspielige Nachrichtenblatt<br />
überhaupt leisten zu können.<br />
Das «Echo vom Homberg», Reinach,<br />
war eindeutig fabrikantenfreundlich,<br />
das «Wynentaler Blatt», Menziken,<br />
eher Bauern-, Gewerbe- und Arbeiterzeitung.<br />
Daneben diente der «Kulmer<br />
Anzeiger» dem untern Teil des Tales.<br />
So präsentierte sich die Lage im Bezirk<br />
Kulm. Sämtliche ländliche Bezirke waren<br />
ähnlich strukturiert. Im Ostaargau<br />
verlief die Trennungslinie meist zwischen<br />
KK und liberaler Haltung, im<br />
Westaargau eher zwischen sozialen<br />
Gruppierungen.<br />
BGB-Zeitung mischte Presse auf<br />
Dabei ist zu beachten, dass die<br />
Gründung der «Bauern-, Gewerbe- und<br />
Bürgerpartei» (BGB; 1919, heute SVP)<br />
mit ihrer Tageszeitung die Presse kantonsweit<br />
aufmischte. Das frühere Blatt<br />
des freisinnigen Rheinbundes, die<br />
«Freie Schweizer Presse» in Baden,<br />
wurde umgestaltet in die BGB-Parteipresse.<br />
Später, als «Aargauische Bauern-<br />
und Bürgerzeitung», war sie ab<br />
1938 zwar nur dreimal wöchentlich erschienen.<br />
Erst ab 1969 wurde sie als<br />
«Neue Bürger-Zeitung» wieder Tagblatt,<br />
nun aber nur als Kopfblatt der<br />
«Neuen Berner Zeitung» mit Aargauer<br />
Teil.<br />
Die Abonnenten-Treue der Mitglieder<br />
wurde auch bei den Bauern zusehends<br />
lockerer. So hielt man auch im<br />
Bauernhaushalt nur noch eine möglichst<br />
neutrale Tageszeitung und daneben<br />
das bäuerliche Fachorgan vom<br />
Verband aus Brugg. So erübrigte sich<br />
die Parteipresse. Ab 1972 war sie nur<br />
noch eine Beilage zum «Aargauer Tagblatt».<br />
1978 wurde selbst diese eingestellt.<br />
Schon früher, nämlich 1947, hatte die<br />
«Neue Aargauer Zeitung» der Angestellten<br />
ihren Geist aufgegeben. Dies war<br />
nach dem Zweiten Weltkrieg das erste<br />
Anzeichen, dass die Parteipresse allgemein<br />
auf dem absteigenden Ast sass.<br />
Zwar konnte sich der «Freie Aargauer»<br />
noch bis 1987 halten, das «Aargauer<br />
Volksblatt» sogar bis 1992. Die Erstere<br />
verschwand ohne Nachfolge; die Letztere<br />
verband sich mit einem Deal – als<br />
Gegenleistung wurde die Akzidenzdruckerei<br />
von der Firma Wanner übernommen<br />
– mit dem «Badener Tagblatt».<br />
Aber beide Parteiorgane hatten<br />
schon vorher jahrelang um ihre Existenz<br />
gekämpft.<br />
Andreas Müller: Geschichte der politischen<br />
Presse im Aargau. 2 Bände. Verlag<br />
hier und jetzt Baden 2002. 1114 S.;<br />
Fr. 78.–.
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 31<br />
Mit der Aargauer Zeitung erhielt<br />
der Aargau endlich eine starke Stimme<br />
1803 fügte Napoleon den Kanton Aargau zusammen. Die vier Teile behielten ihr regionales Gewicht. Bis 1996, als<br />
Aargauer Tagblatt und Badener Tagblatt fusionierten, gab es keine Zeitung, die das ganze Kantonsgebiet abdeckte.<br />
von<br />
Peter Buri<br />
Sprecher des<br />
Regierungsrates<br />
des Kantons Aargau<br />
«Unter ‹Zwang zur<br />
Grösse› verstand man<br />
primär Auflage- und<br />
Leserzahl im Hinblick<br />
auf das Werbegeschäft.»<br />
A<br />
usgerechnet AZ!», mokierte<br />
sich das «Zofinger<br />
Tagblatt» im April 1996<br />
nach Bekanntwerden der<br />
Aargauer Pressefusion<br />
über das offizielle Kürzel<br />
der neuen Zeitung; AZ sei doch das Label<br />
der SP- und Gewerkschaftspresse.<br />
Dabei war natürlich auch in der Thutstadt<br />
klar, dass das «A» für Aargau<br />
stand. Vermutlich schwang gerade deshalb<br />
bei dieser etwas speziellen «AZ»-<br />
Kritik aus der Wetterecke des Kantons<br />
auch ein wenig Unmut und Unbehagen<br />
über das neue, grosse und (besonders<br />
suspekt!) gesamtkantonal ausgerichtete<br />
Mediengebilde mit. Denn mit der AZ<br />
wurde die bisher regional wohl ausbalancierte<br />
Aargauer Zeitungslandschaft<br />
neu gestaltet.<br />
Diese kleine Kürzelepisode zeigt,<br />
dass die Aargauer Zeitung und den<br />
Kanton Aargau von Anfang an eine spezielle<br />
Wechselbeziehung verbindet. Eine<br />
Liaison, die weit über das Anekdotische<br />
hinausgeht. Einerseits erhielt der<br />
Aargau am 4. November 1996 zum ersten<br />
Mal in seiner 193-jährigen Geschichte<br />
eine Tageszeitung, die das ganze<br />
Kantonsgebiet abdeckte. Anderseits widerspiegelt<br />
sich in der AZ-Geburt ein<br />
historisch begründetes Merkmal, man<br />
könnte sagen: Markenzeichen des Kantons<br />
Aargau – der Regionalismus. Er<br />
wurde quasi mit dem Stempel auf der<br />
Mediationsakte in das von Napoleon<br />
aus vier Teilen künstlich zusammengefügte<br />
Staatsgebilde eingeprägt.<br />
Die verlegerisch-publizistische Überwindung<br />
dieser inneren Kantonsgrenzen<br />
war 1996 der Nukleus der spektakulären<br />
Zeitungsfusion. Wohl vor allem<br />
auch deshalb, weil der Zusammenschluss<br />
von «Aargauer Tagblatt» (AT)<br />
und «Badener Tagblatt» (BT) allgemein<br />
als ein Ding der Unmöglichkeit erachtet<br />
wurde. Viele Kenner und Beobachter<br />
der Medien- und besonders der komplexen<br />
Regionalverhältnisse im Rüebliland<br />
glaubten eher an eine Fusion der<br />
katholischen und der reformierten Kirche<br />
als an ein Zusammengehen von AT<br />
und BT, von «Aarau» und «Baden».<br />
Folgerichtig spielten in den Anfängen<br />
der AZ der Aargau und das Aargauische<br />
die zentrale Rolle in der Kommunikation<br />
und Konzeption des Produkts.<br />
«Aargauer Zeitung – Die Stimme des<br />
Aargaus» verkündete der offizielle Fusionsprospekt<br />
am 27. März 1996. «Eine<br />
starke Zeitung für den Kanton ohne Mitte»,<br />
kommentierte die NZZ einen Tag<br />
später den Zusammenschluss von AT<br />
und BT. «Eine starke Stimme für den<br />
Aargau» warb im November 1996 der<br />
Verlag Abonnenten und Inserenten.<br />
Und «Stimme für den Aargau» lautete<br />
die Schlagzeile auf der Titelseite der ersten<br />
AZ-Ausgabe vom 4. November 1996.<br />
Die Aargauer Zeitungsfusion wurde<br />
vor allem mit dem «Zwang zur Grösse»<br />
begründet. Damit waren primär die<br />
Auflage- und Leserzahl gemeint beziehungsweise<br />
das von ihnen abhängige<br />
Werbegeschäft. Nachdem die AZ-Führung<br />
eine paar Tage nach der Fusions-<br />
Auch die Plakatwerbung merkte, dass jetzt gesamtkantonale Wahrzeichen und Symbole verwendet werden konnten.<br />
bekanntgabe etwas voreilig und auf etwas<br />
unfeine Art die «Mittelland-Zeitung»-Kooperation<br />
von «Aargauer Tagblatt»,<br />
«Zofinger Tagblatt» und «Oltner<br />
Tagblatt» einseitig aufgekündigt hatte,<br />
war es im November 1996 mehr oder<br />
weniger das Kantonsgebiet, das die so<br />
wichtige neue Grösse repräsentierte.<br />
Dementsprechend hatte die «Aargauness»<br />
in den ersten AZ-Jahren einen<br />
sehr hohen verlegerischen, publizistischen<br />
und politischen Stellenwert.<br />
AT und BT vermochten sich in den<br />
70er- und 80er-Jahren mit ähnlich gelagerten<br />
Regionalstrategien von den anderen<br />
Tages- und Regionalzeitungen im<br />
Aargau loszulösen und bildeten im<br />
West- beziehungsweise Ostaargau je ein<br />
Schwergewicht. Das Wachstum erfolgte<br />
über zugekaufte und neu lancierte Regionalausgaben<br />
oder Kopfblätter mit<br />
einheitlichem «Mantel» und individualisierten<br />
Regionalteilen. Mitte der 90er-<br />
Jahre verfügten AT und BT zusammen<br />
über mehr als ein Dutzend solcher Ausgaben.<br />
Überwindung des Regiönligeistes<br />
Bei der Konzeption der ersten AZ<br />
wurde die Zahl der Regionalausgaben<br />
auf vier reduziert: Aargau Ost, Aargau<br />
West, Freiamt und Fricktal. Im Gegenzug<br />
erhielt der Kantonsteil eine entsprechende<br />
Aufwertung mit einem eigenen<br />
Bund mit Auftaktseite. Der Start<br />
der Aargauer Zeitung weckte denn<br />
auch bei gesamtkantonal denkenden,<br />
fühlenden, agierenden und politisierenden<br />
Aargauerinnen und Aargauern<br />
gewisse Hoffnungen, den «Regiönligeist»<br />
zumindest teilweise überwinden<br />
zu können.<br />
AT und BT verfügten zwar je über<br />
Kantonalressorts, die sich gewissermassen<br />
einer kantonalpolitischen Gesamtsicht<br />
verpflichtet fühlten (im regierungs-<br />
und verwaltungsnahen Aarau<br />
noch etwas ausgeprägter als in Baden),<br />
aber gleichwohl halt nur die Stimme eines<br />
halben Kantonsteils waren. Mit der<br />
AZ entstand das erste richtige gesamtkantonale<br />
Aargau-Ressort. Damit wurde<br />
auch in der Berichterstattung und<br />
Kommentierung eine neue Distanz zu<br />
den politischen Institutionen der Kantonsverwaltung<br />
geschaffen.<br />
Die Aargauer Zeitungsfusion führte<br />
nicht nur zu einem emanzipierteren<br />
und (noch) unabhängigeren oder kritischeren<br />
kantonalpolitischen Journalismus,<br />
als ihn AT und BT betrieben. Sie<br />
gab dem Kanton auch auf nationaler<br />
Ebene publizistisch ein neues Gewicht.<br />
Kommentare aus dem Aargau<br />
wurden häufiger in der Presseschau zitiert,<br />
Bundesräte und Bundesverwaltung<br />
entdeckten die AZ als neue Plattform.<br />
Dieser Effekt ist auch mit der Weiterentwicklung<br />
der Aargauer Zeitung zu<br />
einem interkantonalen Regionalzeitungsverbund<br />
nicht verloren gegangen.<br />
Denn trotz mehreren Versuchen,<br />
das Mehrkantone-Gemenge mit einem<br />
passenden Label geografisch-heimatlich<br />
passend zu verorten (Wiederbelebung<br />
«Mittelland-Zeitung», Neukreation<br />
«az Nordwestschweiz»), ist<br />
die Aargauer Zeitung als Label auf nationaler<br />
Ebene klar und eindeutig das<br />
Flaggschiff geblieben.<br />
Immer noch «innere Stimme»<br />
Für den Aargau selbst wirkt die Aargauer<br />
Zeitung auch 20 Jahre nach ihrer<br />
Gründung und der seither erfolgten<br />
markanten Ausweitung des Marktgebiets<br />
nach wie vor als wichtige «innere<br />
Stimme». Dabei sehen sich Macher<br />
und Besitzer der Zeitung publizistisch<br />
und verlegerisch vor ähnliche Herausforderungen<br />
gestellt, wie sie in der<br />
Kantonal- und Regionalpolitik zu bewältigen<br />
sind. Es geht um das Spannungsfeld,<br />
als grosses Ganzes, ob Kanton<br />
oder Zeitungsprodukt, möglichst<br />
homogen, kraftvoll, überzeugend und<br />
effizient aus einer Position der Stärke<br />
gegen aussen wirken zu können – und<br />
gleichzeitig gegen innen die Ansprüche<br />
und Erwartungen, Befindlichkeiten<br />
und Empfindlichkeiten der starken Regionen<br />
zu berücksichtigen und zu bedienen.<br />
Mehr und weniger Splitausgaben<br />
In der Kantonalpolitik stellen sich<br />
diese Herausforderungen vor allem<br />
dann, wenn es um Zentralisierungsrespektive<br />
Strukturthemen geht, zum<br />
Beispiel in der Gesundheits- bzw. Spitalpolitik<br />
oder bei Standortkonzepten<br />
für kantonale Schulen. Und bei der<br />
Aargauer Zeitung kommt zum Beispiel<br />
die Zahl und Ausgestaltung der<br />
«Der Titel ‹Aargauer<br />
Zeitung› hat bis jetzt alle<br />
konzeptionellen Überlegungen<br />
zur Markenstrategie<br />
überlebt.»<br />
Splitausgaben der regionalen Quadratur<br />
des kantonalen Kreises gleich. Der<br />
AZ-Titelfächer wurde seit 1996 vor allem<br />
mit Blick auf Leser- und Anzeigenmarkt<br />
mehrfach weit aufgespannt<br />
– und unter dem Druck der konjunkturellen<br />
und strukturellen Herausforderungen<br />
(digitale Revolution, Gratiskultur)<br />
wieder zusammengefaltet.<br />
1999 wurde er zum Beispiel mit dem<br />
«Zeitung in der Zeitung»-Konzept auf<br />
nicht weniger als elf Ausgaben ausgedehnt;<br />
heute werden noch fünf Ausgaben<br />
angeboten, lediglich eine mehr<br />
als 1996.<br />
WERBEAGENTUR WYLER<br />
Der Kanton hat zwar in der heutigen<br />
AZ keine kantonale Auftaktseite mehr,<br />
das Ressort Aargau mit starkem kantonalpolitischem<br />
Fokus ist zumindest geblieben.<br />
Auch der Titel «Aargauer<br />
Zeitung» hat bis jetzt alle konzeptionellen<br />
Überlegungen zur Markenstrategie<br />
überlebt: solche in Richtung radikaler<br />
Vereinheitlichung, aber auch solche<br />
in Richtung konsequenter Regionalisierung<br />
oder gar Lokalisierung (der markenpolitische<br />
Sünden- und Rückfall<br />
«Badener Tagblatt» bildet bisher die<br />
einzige, vor allem sentimental begründete<br />
Ausnahme).<br />
Es ist verständlich, dass man sich bei<br />
regionalen Tageszeitungen wie der AZ<br />
angesichts der immensen strukturellen<br />
und wirtschaftlichen Herausforderungen<br />
immer wieder neu Gedanken machen<br />
muss, wie es in und nach den Zeiten<br />
des dramatischen Umbruchs weitergehen<br />
soll: Als reine E-Paper-Ausgabe?<br />
Als Kompaktzeitung mit starken<br />
Onlinebezügen? Als Dienstag-bis-Sonntag-Zeitung<br />
ohne Montagausgabe? Oder<br />
gar als Lokalblattverbund?<br />
Im Web: Lokal, regional, kantonal<br />
Wertvolle und vielleicht etwas zuversichtlich<br />
stimmende Hinweise<br />
könnten die in den letzten 20 Jahren<br />
markant ausgebauten Onlineaktivitäten<br />
(www.aargauerzeitung.ch & Co.) geben.<br />
Die Statistiken zeigen, dass bei den<br />
Nutzerinnen und Nutzern lokale, regionale<br />
und kantonale Geschichten (im Internet<br />
fliessen selbst die sonst im Aargau<br />
fast unüberwindlichen Gemeindeund<br />
Regionalgrenzen ineinander) mit<br />
Abstand am besten ankommen. Und<br />
welchen Stellenwert wird der Kanton<br />
Aargau in 20 Jahren im az-Konglomerat<br />
haben? Immerhin ist zu vermerken,<br />
dass auch das kleine «a» im «az»-Kürzel<br />
immer noch für den Aargau und das<br />
Aargauische steht.
34 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />
Berühmter als «lorem ipsum»*<br />
Von der Zeitnot und der Not eines Faktenblattes, eine tolle Geschichte zu schreiben.<br />
von<br />
Roman Würsch<br />
1997: Abschluss<br />
2016: Chef vom Dienst<br />
U<br />
m 7.23 Uhr schellte beim<br />
Abschlussverantwortlichen<br />
des Vorabends das<br />
antiquarische Wählscheibentelefon<br />
neben<br />
dem Bett. Der Schreck<br />
war gross und wurde noch grösser, als<br />
sich auf der anderen Seite ein merklich<br />
enervierter Peter Buri meldete – damals<br />
der Chef vom Dienst.<br />
«Was war gestern Nacht los?» war seine<br />
Frage. Und ohne auf die Antwort zu<br />
warten, fuhr er fort «. . . der Frontkommentar<br />
ist mit Blindtext in der Zeitung!»<br />
Wäre der Abschlussverantwortliche<br />
nicht noch im Bett gelegen, wäre er<br />
wohl massiv ins Taumeln geraten. In<br />
seinem Kopf herrschte nur eine dumpfe,<br />
grosse Leere.<br />
Grosskampftag im Newsroom<br />
Es war der Abschluss am Dienstagabend.<br />
Für den grossen Stress sorgte<br />
die Sitzung des Grossen Rates, die auf<br />
der Frontseite und drei Aargau-Seiten<br />
ausgebreitet wurde. Zudem war auch<br />
der Frontkommentar der Ratssitzung<br />
gewidmet. Und alles musste um 21.30<br />
für die Fernausgabe fertig sein. Wollte<br />
man versuchen, diese Anordnung grafisch<br />
als lineare Optimierung darzustellen,<br />
würden sich die Geraden wohl nie<br />
schneiden. Das Erreichen der Zielvorgaben<br />
war stets kritisch.<br />
Die Abschlusszeit musste zwingend<br />
eingehalten werden, weil die Herstellung<br />
und Übermittlung einer Seite von<br />
Baden nach Aarau vor 20 Jahren 20 Minuten<br />
beanspruchen konnte. Ein rigoroses<br />
Abschlussregime garantierte in<br />
der Regel den pünktlichen Andruck im<br />
Druckzentrum in der Telli.<br />
Produzieren durchs Nadelöhr<br />
Eine Seite mit Farbbild benötigt im<br />
Zeitungsdruck vier Druckplatten: für jede<br />
Druckfarbe eine Platte. In der damaligen<br />
Not mit den Abschlusszeiten hatte<br />
man sich zunutze gemacht, dass die<br />
Farbanteile auch einzeln belichtet und<br />
nach Aarau geschickt werden konnten.<br />
In der Praxis hiess das, die Farbplatten<br />
wurden schon mal vorausgeschickt und<br />
die Platte mit dem Text nachgeliefert.<br />
Die Methode hatte aber einen Haken:<br />
Auf der besagten Platte durfte kein Artikel<br />
leer sein, weil sich die Komposition<br />
ansonsten verschoben hätte.<br />
So nahm am Abend des 12. Mai 1997<br />
das Verhängnis seinen Lauf: Der Kommentar<br />
für die Frontseite war um 21.20<br />
Uhr noch immer nicht bereit. Alle übrigen<br />
Texte und Bilder waren hingegen<br />
fertig. Also beschloss die Mannschaft –<br />
in leicht gereizter Stimmung –, besagtes<br />
Szenario mit dem Nachliefern der<br />
Schwarzplatte anzuwenden.<br />
Die Vorlage aus dem Musterbuch<br />
In dieser Situation erhielt die Abschlussredaktorin<br />
den Auftrag, einen<br />
Blindtext in die Kommentarspalte zu<br />
setzen. Dem aus dem umfangreichen<br />
Musterbuch bestens bekannten Autor<br />
«Wütold Bömbli» oblag es, für den Füllertext<br />
geradezustehen. Als Alternative<br />
hätte auch Herbert D. Bakel um ein<br />
paar Zeilen gefragt werden können.<br />
Angeregt durch den Namen Bömbli,<br />
entstand der Satz, dem es wie kaum<br />
einem zweiten (leider) in der Geschichte<br />
der AZ zu Berühmtheit gereichte:<br />
«Es bömbelet so schön, wenn<br />
AZ’s Bömben bömbeln.» Angesichts<br />
dessen, dass der Chefredaktor oder<br />
gar der Verleger Objekte des Blindtextes<br />
hätten sein können, muss der Text<br />
als gelungen bezeichnet werden und<br />
hat die Urheber vor dem Schlimmsten<br />
bewahrt. Über die Sinnhaftigkeit wollen<br />
wir nicht nachdenken – vielleicht<br />
Dada?<br />
Und irgendwie schaffte es aber die<br />
Platte mit dem Blindtext in die Druckmaschine<br />
und die richtige Fassung<br />
blieb im Nadelöhr hängen.<br />
Krisensitzung beim Verleger<br />
Peter Buri, der den Abschlussverantwortlichen<br />
bezüglich der Verbreitung<br />
des Blindtextkommentars lange im unklaren<br />
liess, handelte umgehend: Noch<br />
in der Krisensitzung mit Chefredaktion,<br />
Verlagsleiter und Verleger erliess er ein<br />
Blindtextverbot. Mit der Information,<br />
dass der Blindtext «nur» die Empfänger<br />
der Fernausgabe erreichte – worunter<br />
aber zum Beispiel alle Abonnenten im<br />
Bundeshaus waren –, begann sich der<br />
Kopf des Abschlussverantwortlichen<br />
langsam wieder mit geordneten Denksequenzen<br />
zu füllen.<br />
Dass diese Panne Mediengeschichte<br />
schreiben würde und verschiedene Zeitungen,<br />
Radio und Fernsehen den Fall<br />
aufgriffen, war für die Beteiligten eher<br />
erstaunlich. Noch erstaunlicher war,<br />
was daraus konstruiert worden ist.<br />
Der Erscheinungstag, der 13. Mai, ist<br />
der Geburtstag des damaligen Chefredaktors<br />
Franz Straub. Aus diesem Zusammenhang<br />
fabulierte das Nachrichtenmagazin<br />
«Facts» eine Geschichte<br />
über Sabotagen in Unternehmen. Die<br />
Geschichte war so sauber recherchiert,<br />
dass nicht mal der Name Wütold korrekt<br />
geschrieben war beziehungsweise<br />
Wutold eben besser zur Geschichte<br />
passte. Zitat:<br />
«. . . Der unbekannte Saboteur verging<br />
sich ausgerechnet an der Lieblingskolumne<br />
des Chefs. Im Kommentar<br />
auf der Frontseite publizierte<br />
der Anonymitäter in einem Teil der<br />
Auflage unter dem Pseudonym «Wutold<br />
Bömbli, Bombay» einen einzigen,<br />
x-fach wiederholten Satz, . . .».<br />
Was geschah danach<br />
Für die junge Zeitung unglücklich<br />
war natürlich der durch den Titel genährte<br />
Verdacht, das Klima in der fusionierten<br />
Redaktion sei belastet durch<br />
das Gefälle zwischen Badener Geist<br />
und Aarauer Bürokratie. Das war nicht<br />
so: In der Anspielung steckte nichts anderes<br />
als der Ärger über die verspätete<br />
Abgabe des Frontkommentars.<br />
Wenig später wurde mit Glück ein<br />
Verstoss gegen das Blindtextverbot<br />
noch rechtzeitig entdeckt und entschärft.<br />
Die Bildlegende auf der Kulturseite<br />
wäre auch auf der Boulevardseite<br />
«A bis Z» nicht passend gewesen und<br />
ist auch heute noch nicht zitierfähig.<br />
Das antiquarische Wählscheibentelefon<br />
steht längst nicht mehr neben dem<br />
Bett des Abschlussverantwortlichen.<br />
Seine liebste Website heisst www.blindtextgenerator.de.<br />
Übrigens: Der richtige<br />
Kommentartitel hiess «Ein teures Versäumnis»<br />
und handelte von Familienzulagen,<br />
die der Kanton nachzahlen<br />
musste.<br />
*lorem ipsum dolor sit amet, consetetur<br />
sadipscing elitr» ist ein häufig verwendeter<br />
Blindtext, auch Füllertext genannt, in<br />
Pseudolatein.
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 35<br />
Und die Hagenbuchs blieben gesund<br />
Die (allmähliche) Entdeckung der Konvergenz – 2005 schrieben die AZ Medien mit dem Projekt «Alltag» ein kleines<br />
Stück Schweizer Mediengeschichte: Familie Hagenbuch während neun Monaten täglich auf allen Kanälen.<br />
von<br />
Jörg Meier<br />
Autor, damals<br />
Projektleiter «Alltag»<br />
S<br />
ind Sie wahnsinnig geworden?»,<br />
fragte Peter Studer,<br />
damals Präsident des Presserates,<br />
als ihn 2004 eine Delegation<br />
der AZ fragte, was<br />
er vom geplanten Projekt<br />
«Alltag» halte. Es war die Zeit, als es<br />
sich bereits deutlich abzeichnete, dass<br />
es sinnvoll wäre, wenn Print, Online,<br />
Fernsehen und Radio innerhalb der AZ<br />
Medien zusammenarbeiten könnten.<br />
Die Frage war einzig, wie denn das geschehen<br />
könnte. Der Newsroom war<br />
noch nicht erfunden, die einzelnen Medien<br />
waren an verschiedenen Standorten<br />
im Kanton fest eingerichtet,<br />
arbeiteten nach unterschiedlichen Konzepten.<br />
Ziel des Projekts «Alltag» war es, dass<br />
sich alle Medien der AZ über längere<br />
Zeit mit dem gleichen Thema beschäftigen<br />
und einander gegenseitig bei der<br />
«Dass man 2005 beim<br />
Projekt ‹Alltag› schon<br />
äusserst ‹konvergent› gearbeitet<br />
hatte, konnte niemand<br />
wissen;<br />
der Begriff war von der<br />
Medienwissenschaft<br />
noch gar nicht besetzt.»<br />
Arbeit unterstützen; jedes Medium sollte<br />
dabei seine spezifischen Stärken ausspielen.<br />
Das Thema war der scheinbar<br />
unspektakuläre Alltag der Bauernfamilie<br />
Hagenbuch aus dem Weiler Werd<br />
bei Rottenschwil.<br />
Leben mit den Hagenbuchs<br />
Nach intensiver Planung und gründlichen<br />
Abwägungen der Projektgruppe<br />
gab Verleger Peter Wanner grünes<br />
Licht, unter einer Bedingung: Das Projekt<br />
musste selbsttragend sein. Es gelang,<br />
Partner aus der Wirtschaft für das<br />
Projekt zu begeistern und so die Finanzierung<br />
sicherzustellen.<br />
Im Frühjahr 2005 bezog die erste<br />
kleine Multimedia-Redaktion in der Geschichte<br />
von AZ Medien ein kleines Büro<br />
im achten Stock des BT-Hochhauses<br />
in Baden. Bald erfolgte die Ausschreibung,<br />
gesucht war eine Aargauer Familie,<br />
die bereit war, neun Monate lang<br />
den ganzen Aargau an ihrem Leben teilhaben<br />
zu lassen. 60 Familien meldeten<br />
«Alltag»: Die Familie Hagenbuch-Tresch: Franz Hagenbuch, Simon Hagenbuch, Niklaus Hagenbuch, Sebastian Hagenbuch, Esther Tresch Hagenbuch.<br />
sich; in einem interaktiven Casting entschieden<br />
sich die Fachjury unter Leitung<br />
von Röbi Koller und das Publikum<br />
schliesslich für die fünf Hagenbuchs.<br />
Vom 1. Juni 2005 an bildeten Aargauer<br />
Zeitung, Aargauer Woche, Radio Argovia,<br />
Tele M1, azonline und alltag.ch<br />
multimedial und interaktiv den Alltag<br />
der Hagenbuchs ab. Sie taten dies möglichst<br />
respektvoll, unspektakulär und<br />
ohne Inszenierung: Sie erzählten von<br />
der Wanderung nach Soglio, von der<br />
vergeblichen Lehrstellensuche des<br />
4. Bezlers, zeigten den Bauern im Stall<br />
bei den Munis, die Mutter beim Salatrüsten<br />
in der Küche; Enttäuschung,<br />
Freude, Leid und Trauer waren echt,<br />
oft überraschend und nie planbar.<br />
Rasch waren die Hagenbuchs im ganzen<br />
Kanton bekannt. Und sie polarisierten.<br />
Dennoch – oder gerade deswegen –<br />
nahm die Bevölkerung im Aargau regen<br />
Anteil am Leben der Familie. Die multimediale<br />
Berichterstattung gefiel; der älteste<br />
Hagenbuch-Sohn hatte bereits damals<br />
einen viel beachteten eigenen Alltag-Blog.<br />
«Alltag» wird prämiert<br />
Aber auch national sorgte «Alltag»<br />
für Aufmerksamkeit. Das Schweizer<br />
Fernsehen berichtete über die Hagenbuchs;<br />
der «Sonntags-Blick» übernahm<br />
und publizierte gar 25 «Alltag»-Folgen.<br />
Die Sendung «Alltag» auf Tele M1 wurde<br />
im August 2005 mit dem nationalen<br />
Fernsehpreis «TV Star» für das innovativste<br />
Format ausgezeichnet.<br />
Neu war die Einbindung von kommerziellen<br />
Partnern in eine journalistische<br />
Serie. Dabei wurde konsequent<br />
deklariert, wer etwa die Hagenbuchs<br />
nach Tirol eingeladen oder wer ihnen<br />
die neue Waschmaschine finanziert<br />
hatte. Die Zusammenarbeit mit verschiedenen<br />
Partnern ermöglichte es,<br />
auch für das Aargauer Publikum attraktive<br />
Angebote zu entwickeln. So gab es<br />
bei «Le Shop» ein «Alltag»-Brot und eine<br />
«Alltag»-Wurst zu kaufen; nach Adelboden<br />
lockten preiswerte Hotelferien<br />
für die ganze Familie; und die «Alltag»-<br />
Waschkurse für Männer waren ein Renner.<br />
Rund 12 500 Aargauerinnen und<br />
Aargauer reisten auch mit dem «Raus<br />
aus dem Alltag»-Ticket äusserst günstig<br />
ins Tessin.<br />
ANDRÉ ALBRECHT<br />
Nach neun Monaten und 231 Folgen<br />
in der Aargauer Zeitung ging die Serie<br />
Ende Februar 2016 planmässig zu Ende.<br />
Es war ein gutes Ende. Die Hagenbuchs<br />
verschwanden aus dem Fokus<br />
der Medien, lebten gesund und zufrieden<br />
weiter ohne jegliche mediale Folgeschäden.<br />
Die multimediale und interaktive<br />
Langzeitbeobachtung des Mikrokosmos<br />
Familie brachte den AZ Medien<br />
wertvolle Erfahrungen und neue Erkenntnisse<br />
über die Möglichkeiten und<br />
Chancen interaktiver und multimedialer<br />
Zusammenarbeit.<br />
Dass man bereits damals äusserst<br />
«konvergent» gearbeitet hatte, konnte<br />
niemand wissen; der Begriff war zu jener<br />
Zeit von der Medienwissenschaft<br />
noch gar nicht besetzt.
36 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />
Spalte ist kein Weissraum mit Text drin<br />
Früher passierte jeden Tag genau so viel, wie in der Zeitung Platz hatte. Dann kamen die Zeitungsgestalter und<br />
verpassten der Zeitung ein Layout. Und spätestens seither haben die Journalisten und Redaktoren Platzprobleme.<br />
von<br />
Christoph Bopp<br />
Autor, und damals dabei<br />
G<br />
eflügelte Worte tragen<br />
den Stempel ihrer Herkunft.<br />
Einer edlen, wenn<br />
Goethe und Schiller in<br />
den «Xenien» zusammen<br />
über die Kollegen<br />
schimpfen. Oder einer unbekannten,<br />
aber dennoch wahren, wenn der Journalist<br />
und Redaktor spöttisch sagte:<br />
«Hier wäre Platz für Ihre Notizen.» Gemeint<br />
ist der sogenannte «Weissraum».<br />
Der tauchte langsam auf in den Zeiten,<br />
als man die «Aargauer Zeitung» aus der<br />
Taufe hob. Das Layout sollte «luftig und<br />
locker» sein – nebst vielem anderem.<br />
Dafür hatte der Zeitungsgestalter Kurt<br />
Schwerzmann, welcher der AZ das Layout<br />
verpasste, ein ausgeklügeltes Konzept.<br />
Er teilte die Seite vertikal nicht einfach<br />
nur in fünf Spalten auf, sondern<br />
unterlegte ihr ein Raster, das jede Spalte<br />
noch einmal in sechs virtuelle Spalten<br />
unterteilte. Und eine äussere – nach Bedarf<br />
links oder rechts – dieser unsichtbaren<br />
Spalten wurde nicht bedruckt:<br />
Das war der Weissraum.<br />
Das führte auf den damaligen Computersystemen<br />
zu Umsetzungsproblemen,<br />
denn die Programmierer mussten<br />
ja von etwas ausgehen und nahmen damals<br />
noch an, dass die Spaltenbreite<br />
Kein Wunder, müssen die Jugendlichen Wohnraum besetzen, wenn ihnen einfach eine Spalte weggenommen wird. AZ 4. 11. 1996<br />
etwas ziemlich Sakrosanktes war. Also<br />
musste man mit Tricks arbeiten. Das<br />
damalige ATEX-System, auf dem die AZ<br />
produzierte wurde, bot das in Form eines<br />
Sternchens «*», mit dem man die<br />
Anzahl der Spalten verändern konnte.<br />
Am Sonntag, 3. November 1996, war<br />
die Stimmung auf der Aarauer Lokalredaktion<br />
zwar immer noch locker und<br />
luftig, aber doch schon etwas gespannt.<br />
«Kein Platz mehr auf einer Seite mit<br />
diesem modernen Layout-Zeugs»,<br />
schimpfte der damalige Aarau-Chef<br />
Balz Bruder. Und: «Schau dir doch diese<br />
Löcher an im Textverlauf!» – Löcher?<br />
Die sollte es eigentlich nicht geben,<br />
Weissraum hin oder her. «Zeig mal.»<br />
Der Text sah tatsächlich komisch aus.<br />
Was war passiert? «Balz, wo hast du<br />
deine fünfte Spalte?» – «Fünfte Spalte,<br />
was, hier doch», blaffte der – angesichts<br />
des nahenden Redaktionsschlusses –<br />
schon etwas genervte Lokalchef. Er<br />
wies auf die fünf Spalten seines Artikels.<br />
Die waren wirklich da. Nur hatte<br />
er im Layoutsystem mit dem ominösen<br />
Sternchen-Befehl seiner Seite 4-Spaltigkeit<br />
befohlen und seine fünf Spalten<br />
auf eigentlich nur vier verteilt.<br />
«Man weiss nicht recht,<br />
ist jetzt nur die Schrift<br />
schräg und dafür<br />
der Inhalt grotesk –<br />
oder ist es umgekehrt?»<br />
BT-Kabarettist Edgar Zimmermann<br />
zum neuen AZ-Layout<br />
Dieses Sternchen hatte er nicht gesehen,<br />
vielleicht gab es danach andere.<br />
Balz und die Kollegen jedenfalls waren<br />
froh um ihre Spalte plus – das gab doch<br />
ein bisschen Platz mehr und man soll<br />
immer das Gute sehen – und tippten all<br />
das wieder rein, was sie vorher gekürzt<br />
hatten. Um sie nicht zu stören, entfernte<br />
man sich schnell und ausreichend.<br />
Der Streit um die Kursivschrift brachte<br />
– Kurt Schwerzmann hatte sie für den<br />
Lead vorgesehen und wollte sie nicht im<br />
Kommentar – BT-Kabarettist Edgar Zimmermann<br />
noch ein nettes geflügeltes<br />
Wort ein: «Man weiss nicht recht, ist<br />
jetzt die Schrift schräg und der Inhalt<br />
grotesk oder umgekehrt?» Unwiderlegbares<br />
Argument: «In der NZZ war noch<br />
jeder Kommentar kursiv.»
38 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />
Das Warten vor dem PC<br />
reichte für ein Stück Pizza<br />
Es gibt den Alltag und es gibt das Abenteuer. Manchmal wird es sogar noch<br />
struber. Das ist, wenn Fusion angesagt ist, aber lange doch nichts passiert.<br />
Und es dann schliesslich so hektisch wird, dass nur noch Selbsthilfe hilft.<br />
von<br />
Toni Widmer<br />
Ressortleiter Freiamt<br />
und Fusions-Teilnehmer<br />
E<br />
s waren Berufskollegen. Wir<br />
sahen sie fast täglich, sassen<br />
mit ihnen abendelang an irgendeinem<br />
Anlass am gleichen<br />
Tisch und manchmal auch<br />
noch etwas länger. Aber<br />
Freunde waren wir nicht. Wir von den<br />
Freiämter Nachrichten (die Freiämter Ausgabe<br />
des Badener Tagblatts) und sie vom<br />
Freiämter Tagblatt (die Freiämter Regionalausgabe<br />
des Aargauer Tagblatts) waren<br />
Konkurrenten. Erbitterte Konkurrenten.<br />
Auf beiden Seiten war die Freude jeweils<br />
gross, wenn «die Anderen» ein wichtiges<br />
Ereignis verpasst hatten und man somit einen<br />
sogenannten «Primeur» verbuchen<br />
konnte.<br />
Von Wanners Zahltag kauften wir uns<br />
Kleider und Lebensmittel, bezahlten die<br />
Steuern, den Mietzins sowie Reifen und<br />
Benzin für das Auto. Aber gelebt haben wir<br />
vom Erfolg – von den (damals noch) stetig<br />
steigenden Abo-Zahlen und der Gewissheit,<br />
den «Anderen» ab und zu gezeigt zu<br />
haben, dass wir ebenso gut waren wie sie.<br />
Wenn nicht besser.<br />
Dann kam jener Tag. Wir hatten geahnt,<br />
dass er irgendeinmal kommen würde. Aber<br />
wir hatten ihn nicht so schnell erwartet.<br />
Wohl oder übel mussten wir jetzt Freunde<br />
werden, mit den «Andern» vom Freiämter<br />
Tagblatt. Oder zumindest von Berufs- zu<br />
Arbeitskollegen.<br />
Zusammenrücken bitte<br />
Wir vom Badener Tagblatt, beziehungsweise<br />
den Freiämter Nachrichten, hatten<br />
bisher relativ feudal residiert. In einem<br />
Haus der Raiffeisenbank, unmittelbar<br />
neben deren Hauptsitz am Stegmattweg in<br />
Wohlen. Es gab genügend Parkplätze,<br />
einen Gartensitzplatz und für alle Redaktorinnen<br />
und Redaktoren ein Einzelbüro. Die<br />
Redaktion des Freiämter Tagblatts war im<br />
Vergleich dazu eine Bruchbude. Somit war<br />
bald klar, dass wir zusammenrücken mussten.<br />
Die Einzelbüros waren Vergangenheit,<br />
Zweier-Büros die Regel und Dreier-Büros<br />
gab es auch. Wir waren uns gewohnt, dass<br />
uns niemand zuhörte, wenn wir heikle<br />
Recherchen-Telefone führten. Jetzt sollten<br />
die «Anderen» plötzlich mitbekommen,<br />
wer mit wem und auf welche Weise wir uns<br />
bisher unseren gelegentlichen Informationsvorsprung<br />
verschafft hatten. Unvorstellbar.<br />
Ab jenem Tag blieben uns sechs Monate<br />
bis zur ersten Ausgabe der neuen Zeitung.<br />
Zuerst passierte lange gar nichts, dann einige<br />
Zeit fast gar nichts und schliesslich wurde<br />
es hektisch. Als endlich klar war, wer im<br />
neuen Team noch willkommen war, begann<br />
die Annäherung. Am Tag setzten wir<br />
uns zusammen, machten Konzepte und<br />
schmiedeten Pläne. Am Abend versuchten<br />
wir, uns an den Anlässen gegenseitig abzulenken,<br />
damit wir vom Geschehen mehr<br />
mitbekamen und unsere Berichte anderntags<br />
ein paar (unwichtige) Fakten mehr enthielten.<br />
Es gab ein neues Redaktionssystem. Es<br />
hiess ENL oder LNE oder war es NEL? Es<br />
gab für jeden Arbeitsplatz einen neuen<br />
Computer, einen neuen Bildschirm, eine<br />
neue Tastatur, eine neue Maus und für die<br />
«Anderen» auch ein neues Telefon. Die Möbel<br />
wurden irgendwie zusammengesucht.<br />
Wo bleiben die Computer?<br />
Zwei Wochen bevor es losging, waren die<br />
Büros im Wohler Hauptsitz eingerichtet. Es<br />
gab genügend Bürotische, genügend Bürostühle<br />
und etwas weniger genügend Ablageflächen.<br />
Wir wussten, wer mit wem künftig<br />
das Büro teilte und wer für die Ausgabe<br />
der Aargauer Zeitung vom 4. November<br />
1996 welchen Artikel schreiben wollte.<br />
Schreiben, ja, gut, aber womit?<br />
Der Hauptsitz der Aargauer Zeitung Freiamt neben der Raiffeisenbank. Beide<br />
Gebäude wurden vor knapp fünf Jahren abgerissen und haben dem Neubau der Raiffeisenbank Platz gemacht.<br />
FELIX WEY<br />
Die Informatikabteilung war hoffnungslos<br />
überlastet. Wir hatten weder neue<br />
Computer, noch neue Bildschirme und<br />
auch keine neuen Tastaturen, nur die Mäuse<br />
waren schon da. Im Keller.<br />
EDV-Erfahrung und Renault Espace<br />
Zum Glück gab es bei uns einen Redaktionskollegen<br />
mit EDV-Erfahrung sowie einen<br />
anderen mit Renault Espace und<br />
(Tanz-Musik-)Anhänger. Damit holten wir<br />
in Baden unsere neuen Computer ab. Die<br />
reine Menge an Material war schon imponierend.<br />
Damit wir (trotz Anhänger) alles<br />
auf einmal transportieren konnten, lag ein<br />
Bildschirm vor dem Beifahrersitz und ein<br />
zweiter auf den Knien<br />
des Beifahrers. Die Polizei<br />
hat uns nicht erwischt.<br />
Eingerichtet und verkabelt<br />
haben wir das Informatik-Equipment<br />
ebenfalls selber. Erschwerend<br />
dabei war,<br />
dass die alte Einrichtung<br />
noch bis zum Freitag<br />
vor dem alles entscheidenden<br />
Sonntag,<br />
3. November (dem ersten<br />
az-Produktionstag), funktionieren<br />
musste. Die Nächte sind kurz geworden,<br />
damals am Stegmattweg 3 in Wohlen. Weil<br />
die neue EDV erst am Tag X scharfgemacht<br />
werden konnte, testeten und schulten wir<br />
das neue System auf der Treppe im Gang.<br />
Dort gab es einen EDV-Anschluss, der<br />
schon nach dem neuen Konzept funktionierte.<br />
Überlastete Leitungen<br />
Dann kam er, der grosse Tag. Wir hatten<br />
uns seriös vorbereitet, die EDV-Anlage am<br />
Samstag scharfgeschaltet und alles ausgiebig<br />
getestet. Doch am Sonntag ging<br />
nichts mehr. Die EDV-Leitungen waren, wie<br />
unser erfahrener Kollege schon Tage zuvor<br />
befürchtet hatte, hoffnungslos überlastet.<br />
So sassen wir denn am frühen Abend vor<br />
dem Bildschirm, schickten einen Text zum<br />
«Es dauerte Tage, bis<br />
wir die Zeitung normal<br />
produzieren konnten.<br />
Wir haben es geschafft<br />
und im Rückblick<br />
war es eine zwar<br />
intensive, aber<br />
spannende Zeit.»<br />
Rechnen und warteten und warteten endlos,<br />
bis wir endlich sahen, ob dieser Text<br />
jetzt zwei Zeilen zu lang, drei Zeilen zu<br />
kurz oder eben doch genau richtig lang<br />
war. Die Wartezeiten vor dem Bildschirm<br />
hatten ihr Gutes. Es reichte jeweils bequem<br />
für ein Stück Pizza. Etwas später spülten<br />
wir mit Rotwein nach. Das beruhigte.<br />
Schliesslich wurden wir doch noch fertig<br />
und schafften es gerade so knapp nach<br />
Hause, bevor unsere Frauen wieder aufstehen<br />
mussten. Die meisten von ihnen<br />
hatten sich dazu verpflichtet, am Montag,<br />
5. November, an irgendeinem Bahnhof in<br />
der Region die neue Aargauer Zeitung an<br />
den Mann oder die Frau zu bringen.<br />
Wir hätten locker noch<br />
zusammen frühstücken<br />
können. Bis die wegen<br />
des EDV-Zusammenbruchs<br />
mit grosser Verspätung<br />
angelieferten<br />
Zeitungen auf den Bahnhöfen<br />
waren, ging damals<br />
in Wohlen schon<br />
bald wieder der Mond<br />
auf.<br />
Es dauerte Tage, bis wir<br />
die Aargauer Zeitung einigermassen<br />
normal<br />
produzieren konnten. Und es dauerte Monate,<br />
bis unsere ehemaligen Kolleginnen<br />
und Kollegen von der Konkurrenz zu<br />
Freunden wurden. Aber wir haben es geschafft<br />
und im Rückblick war es eine zwar<br />
sehr intensive und aufreibende, aber auch<br />
eine sehr spannende Zeit.<br />
Stolz, bei der Geburt dabei zu sein<br />
Das Benzin für die damalige Extra-Fahrt<br />
mit Espace und Anhänger nach Baden und<br />
zurück hat uns Peter Wanner bis heute<br />
nicht bezahlt. Und auch die Überstunden<br />
für die Einrichtung der neuen EDV-Anlage<br />
nicht entschädigt. Allerdings: Wir haben<br />
ihm auch beides nie in Rechnung gestellt.<br />
Unsere Entschädigung war der Stolz, bei<br />
der Geburt der Aargauer Zeitung dabei zu<br />
sein und künftig zu einem Teil von ihr werden<br />
zu dürfen.<br />
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Gegen Abgabe dieses Inserats<br />
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Herzlich willkommen bei<br />
Mac Baby, Fabrikweg 16, 5033 Buchs<br />
Gültig bis 31. 12. 2016<br />
Nicht kumulierbar
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />
Beilage zu 20 Jahre Aargauer Zeitung<br />
Heute: Der Journalismus wird multimedial. Aus den<br />
Rasterpunkten des Print-Zeitalters sind die Computer-<br />
Pixel der Digital-Ära geworden. Im Newsroom der<br />
AZ Medien werden Regionalfernsehen, Online-Plattform<br />
und die Printzeitung zusammen produziert.<br />
■ Axel Wüstmann,<br />
CEO der AZ Medien,<br />
über die Zukunft der<br />
gedruckten Zeitung.<br />
■ Wer ist heute dabei bei<br />
der Aargauer Zeitung?<br />
Die Macherinnen und<br />
Macher.<br />
■ Ein Tag im Newsroom.<br />
Videos, Bilder, Grafiken,<br />
Texte – wie die Storys<br />
erzählt werden können.<br />
■ Urs Saxer und Kaspar<br />
Hemmeler über neue<br />
Rechtsprobleme der<br />
Mediengesellschaft.<br />
SEITE 43 UND 44<br />
SEITE 45, 46 UND 47<br />
SEITE 52 UND 53<br />
SEITE 58, 62 UND 63
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 43<br />
Hat die Zeitung Zukunft?<br />
Die Zeitung ist herausgefordert wie noch nie. Aber sie hat ihre Chance, wenn sie sich auf das,<br />
was sie unterscheidet, konzentriert und höheren Ansprüchen nachkommt.<br />
von<br />
Axel Wüstmann<br />
CEO der AZ Medien<br />
W<br />
ie sieht die Zeitung<br />
der Zukunft aus? Es<br />
ist sprichwörtlich<br />
die «1-Million-US-<br />
Dollar-Frage» oder<br />
gar die «1-Milliarde-<br />
US-Dollar-Frage», bedenkt man die<br />
Grösse der Unternehmungen weltweit,<br />
die sich mit dieser Frage beschäftigen.<br />
Und keiner weiss es genau. Jeff Jarvis,<br />
ein amerikanischer Medien-Guru, der<br />
Bücher über Google schreibt und deshalb<br />
weiss, was Google tun würde, rät<br />
den Zeitungsunternehmen auf dieser<br />
Welt, doch einfach ein Datum festzulegen,<br />
an welchem die letzte Zeitung herausgegeben<br />
wird. Dann hätte man wieder<br />
ein Ziel. Wenn es nur so einfach<br />
wäre.<br />
Vor knapp 200 Jahren, als der Druck<br />
sündhaft teuer und eine Wissenschaft<br />
wie die heutige Entwicklung des<br />
Google-Algorithmus war, haben findige<br />
Pioniere begonnen, kleine Anzeigen auf<br />
Papier zu drucken und dieses Papier in<br />
Gaststätten und an öffentlichen Plätzen<br />
zu verteilen. Es war das erste Mal, dass<br />
Firmennamen mehr Menschen erreichen<br />
konnten, als durch das Türschild<br />
am Firmensitz oder durch Mundpropaganda.<br />
Es gab kein Radio, kein<br />
TV und das Internet war 200 Jahre entfernt.<br />
Es war der Beginn der Werbeindustrie.<br />
Damit diese Anzeigen auch<br />
gelesen wurden, haben diese Pioniere<br />
«Mehr Seiten, mehr Werbung,<br />
mehr Auflage, mehr<br />
Geschichten. So ging es<br />
mit der Zeitung<br />
über 150 Jahre nahezu<br />
kontinuierlich nach oben.»<br />
Meldungen der Gemeinden und Städte<br />
mit aufgenommen. Also Themen von<br />
allgemeiner Relevanz. Mit der fortschreitenden<br />
technologischen Entwicklung,<br />
den sinkenden Herstellungs- und<br />
Transportkosten und der steigenden<br />
Nachfrage nach Werbeplätzen ist daraus<br />
dann sukzessive das Tageszeitungsmodell<br />
geworden. Täglich erscheinend,<br />
im Abonnement, mehrere Bünde thematisch<br />
sortiert. Der Journalismus, die<br />
Kunst, Geschichten zu erzählen und zu<br />
wissen, wann, was von allgemeinem Interesse<br />
ist, war geboren. Und aus den<br />
Pionierunternehmungen wurden florierende<br />
Zeitungsunternehmen. Mehr Seiten,<br />
mehr Werbung, mehr Auflage,<br />
mehr Geschichten. So ging es über<br />
150 Jahre nahezu kontinuierlich nach<br />
oben. Die Zeitung wurde zum Massenmedium.<br />
Entertainment ist im Fernsehen<br />
Die erste echte Herausforderung kam<br />
mit dem Fernsehen. Ein Medium, das<br />
Entertainment – nahezu kostenlos – in<br />
höchster Qualität ins Wohnzimmer<br />
bringt. Und die Leseanstrengung vergessen<br />
macht. Viel wichtiger noch, ein<br />
Medium, das für die Werbeindustrie<br />
wie geschaffen war. Anzeigen bewegten<br />
sich. Geschichten konnten erzählt werden.<br />
Die Werbeindustrie sprach schnell<br />
von emotionaler Aufladung der Marken.<br />
Insbesondere die privaten TV-Sender<br />
dienen heute in erster Linie als<br />
Transporteur von Werbung. Filme und<br />
Serien werden daraufhin entwickelt.<br />
Ganze Sender basieren auf der zielgruppenspezifischen<br />
Ansprache von<br />
Konsumenten. TV hat mit diesem werbezentrierten<br />
Modell die Zeitung als<br />
Massenmedium an der Spitze abgelöst.<br />
Der durchschnittliche Schweizer schaut<br />
Die ersten 30 Jahre des 20. Jahrhunderts waren wirtschaftliche Krisenjahre, trotzdem wuchsen damals die Zeitungen.<br />
heute etwa 130 Minuten Fernsehen im<br />
Tag, in den Nachbarländern sind es<br />
deutlich über 200 Minuten. Die Lesezeit<br />
für eine Zeitung beträgt heute wie<br />
gestern etwa 30 Minuten.<br />
TV hat die Zeitung damit zwar vor eine<br />
grosse Herausforderung gestellt,<br />
aber zum Glück nur in Teilen. Entertainment<br />
ist im TV. Das darf man sagen.<br />
Fussball lesen ist einfach nicht so spannend<br />
wie ein Champions League Spiel<br />
des FC Basel im Fernsehen live zu verfolgen.<br />
Der politische Text hingegen,<br />
der investigative Bericht, das einordnende<br />
Interview ist nach wie vor in<br />
der Zeitung. Warum? Weil ein geschriebener<br />
Text besser für das Erfassen<br />
komplizierter Zusammenhänge geeignet<br />
ist als bewegte Bilder. Vor allem,<br />
weil die Geschwindigkeit nicht vorgegeben<br />
ist. Der Leser bestimmt, ob er die<br />
Zeile noch einmal lesen möchte. Der<br />
Film läuft. Hinzu kommt, dass TV-Produktionen<br />
teuer sind. Insbesondere<br />
Nachrichten. Es gibt heute auf der Welt<br />
so gut wie keinen privaten TV-Sender,<br />
der mit Nachrichten Geld verdient.<br />
Vertiefung ist in der Zeitung<br />
Der Zeitung wurde das Entertainment<br />
also genommen, aber viele Funktionen<br />
blieben erhalten. Wichtige<br />
Funktionen wie die der Information,<br />
Orientierung, Einordnung aber auch<br />
spezielle Werbeformen wie etwa das<br />
Ausliefern von Beilagen und vor allem<br />
die spezielle Form der Kleinanzeigen,<br />
der sogenannten Rubriken.<br />
Mit der Geburtsstunde des Internets<br />
stehen die Zeitungen vor der grössten<br />
Herausforderung überhaupt. Anders<br />
als das Fernsehen kann das Internet<br />
alles. Sprichwörtlich alles! Es kann<br />
Briefe übertragen. Es kann Texte übertragen.<br />
Es kann Filme übertragen. Es<br />
kann Werbung übertragen. Jeder kann<br />
veröffentlichen. Man kann alles finden,<br />
was man jemals gesucht hat und noch<br />
viel mehr. Und das alles nahezu ohne<br />
Kosten. Das Angebot explodiert täglich.<br />
Alle Zeitungen sind heute online. Alle<br />
Werbekampagnen sowieso. Und vor allem<br />
die Kleinanzeigen haben mit dem<br />
Internet ihr Medium gefunden. Was<br />
heisst das für die Zeitung?<br />
Innerhalb von 20 Jahren hat eine Industrie<br />
mit dem nahezu vollständigen<br />
SÜDDEUTSCHE ZEITUNG/KEYSTONE<br />
Verlust der Rubrikenanzeigen einen<br />
Drittel ihrer Erlöse verloren. Und von<br />
den verbliebenen Abonnements- und<br />
Werbeerlösen ebenfalls einen Teil.<br />
Nachdem das Internet und die meisten<br />
Inhalte nahezu kostenlos sind, versteht<br />
der Leser nur schwer, warum er für ein<br />
Jahresabonnement für eine Zeitung<br />
über 400 Franken zahlen soll – übrigens<br />
gleich viel, wie die Billag-Gebühr.<br />
Und der Werbetreibende vergleicht zusehends<br />
Wirkung und Effizienz seiner<br />
Kampagnen zwischen TV, Print und online.<br />
Ergo wird die Zeitungsbranche kleiner.<br />
Entertainment im Fernsehen, Rubriken<br />
und Nutzwert im Internet – Enter-<br />
FORTSETZUNG AUF SEITE 44
44 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />
FORTSETZUNG VON SEITE 43<br />
tainment dank Breitband ebenso. Was<br />
bleibt?<br />
■ Es bleibt für die Zeitung nach wie vor<br />
das Lesen von komplizierteren Zusammenhängen,<br />
Hintergründen, politischen<br />
und gesellschaftlichen Berichten,<br />
die durch die auf Werbefinanzierung<br />
fixierten elektronischen<br />
Medien in ihrer Flüchtigkeit nicht erbracht<br />
werden.<br />
■ Es bleibt auch<br />
die Orientierungsfunktion.<br />
Das Internet ist<br />
in grossen Teilen<br />
ein Suchmedium.<br />
Wenn<br />
ich aber nicht<br />
weiss, was ich<br />
suchen soll, ist<br />
das Internet wenig<br />
hilfreich. Es ist unendlich und<br />
man kann sich leicht darin verlieren.<br />
Die Orientierung durch den Journalismus<br />
und die Marke einer Zeitung<br />
heisst nicht mehr, als die Themen zu<br />
setzen. Wann findet die Abstimmung<br />
zur Masseneinwanderung statt? Wer<br />
sagt was dazu? Es geht um die öffentliche<br />
Debatte. Das Agenda Setting. Eine<br />
wichtige Funktion für die Gesellschaft,<br />
die so noch kein Medium ersetzen<br />
konnte.<br />
■ Die Zeitung wird also exklusiver. Sie<br />
wird bewusster konsumiert werden,<br />
von denjenigen, die sich vertieft informieren<br />
wollen. Der Anspruch an<br />
«Das Web ist unendlich,<br />
Print ist es nicht. Es ist<br />
genau dieser Nachteil<br />
des Webs, der Print und<br />
der Zeitung zum Vorteil<br />
gereicht.»<br />
den Inhalt steigt ständig, weil er<br />
mehr liefern muss, als dies von den<br />
elektronischen Medien bereits getan<br />
wurde. Die Zeitung wird sich auf die<br />
Werbetreibenden und die Kampagnen<br />
fokussieren müssen, die genau<br />
diese Zielgruppe ansprechen wollen.<br />
Apple, die Marke, die in den letzten<br />
Jahren wuchs als gäbe es kein Morgen,<br />
kommuniziert nahezu vollständig<br />
offline. Grosse Plakate zeigen die<br />
silbrig glänzenden Produkte und in<br />
Konsumtempeln werden dem Kaufinteressenten<br />
neben<br />
Gucci vor Augen<br />
geführt, weshalb<br />
er 100 Franken<br />
mehr berappen<br />
muss als bei der<br />
Konkurrenz. Online<br />
Banner überlässt<br />
Apple den<br />
Telekom-Unternehmen.<br />
Gestiegene Ansprüche<br />
Die Zeitung wird also kleiner und<br />
gleichzeitig steigt der Anspruch an ihre<br />
Macher. An die Journalisten, Chefredaktoren<br />
und Verleger. Vor allem in<br />
der Phase, in der die Zukunft noch so<br />
unklar ist wie heute.<br />
Schliesslich wird sich ein Zeitungshaus<br />
dann doch irgendwann die Frage<br />
von Jeff Jarvis stellen müssen, wann erscheint<br />
die letzte Ausgabe gedruckt. Es<br />
wird dann der Fall sein, wenn die Zeitungsmarken,<br />
die Inhalte und deren<br />
Aufbereitung auch digital so einzigartig<br />
sind, dass eine grössere Zahl von Menschen<br />
sich diese leisten wollen. Wenn<br />
die Werbeindustrie auch die letzten<br />
Ein Inserat erreicht die Leserinnen und Leser überall.<br />
Doch das ist nur einer der vielen Vorzüge von Inseraten, beworben von Laurie Morard<br />
und Bettina Klossner. Eine Aktion der Schweizer Presse in Zusammenarbeit mit<br />
dem Kreativnachwuchs der Schweizer Werbeagenturen. www.schweizerpresse.ch<br />
2003 lancierte der Verband Schweizer Presse eine neue Plakatkampagne<br />
«Das kann nur ein Inserat». Das Print-Inserat hat Vorzüge, die witzige Kombination<br />
von Text und Bild zum Beispiel, die kein anderes Werbemittel bietet.<br />
Vorteile von Print ersetzt hat und<br />
gleichzeitig die Darstellungsformen<br />
digital so gut geworden sind, dass diese<br />
das Papier obsolet machen. Und das<br />
wird noch eine Weile dauern.<br />
Die Zeitung wird exklusiver<br />
Ich möchte ein letztes Beispiel bemühen.<br />
Das Coop-Magazin erscheint heute<br />
in einer Auflage von 2,4 Millionen Exemplaren.<br />
Es liegt in nahezu jedem<br />
Haushalt auf dem Küchentisch. Auf die<br />
Frage an Joos Suter, wie viel Auflage er<br />
in 10 Jahren druckt, antwortet er:<br />
«2,4 Millionen Exemplare.» Das klingt<br />
zunächst verwunderlich. Weshalb nicht<br />
das Geld sparen, wenn es auch eine<br />
App tut? Ganz einfach: weil die App in<br />
der Unendlichkeit des Internets versinkt.<br />
Selbst die Push-Nachricht auf<br />
dem iPhone, die sagt «Nutz mich, lies<br />
mich» reicht nicht mehr aus, die Aufmerksamkeit<br />
in dieser Unendlichkeit<br />
für das Coop-Magazin sicherzustellen.<br />
Es ist genau dieser Nachteil des Webs,<br />
der Print und der Zeitung zum Vorteil<br />
gereicht. Print ist nicht unendlich.<br />
Die Zeitung wird also kleiner, es wird<br />
vermutlich weniger verschiedene geben,<br />
sie erscheint in dieser Übergangsphase<br />
vielleicht nicht mehr jeden Tag –<br />
auch der Briefkasten wird irgendwann<br />
einmal nicht mehr jeden Tag beliefert.<br />
Die Zeitung wird exklusiver und Printund<br />
Online-Inhalte werden sich zunehmend<br />
unterscheiden. Vor allem wird<br />
die Zeitung journalistisch höheren Ansprüchen<br />
genügen müssen, um in diesem<br />
neuen Zeitalter bestehen zu können.<br />
Und die erfolgreichen Verleger<br />
werden wieder Pioniere und müssen<br />
sich neu erfinden.
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 45<br />
Die Macher der Aargauer Zeitung<br />
CHEFREDAKTION<br />
INLAND- UND BUNDESHAUSREDAKTION<br />
AUSLAND<br />
Christian Dorer<br />
Chefredaktor<br />
bis 31.12.2016<br />
Patrik Müller<br />
Chefredaktor<br />
ab 01.01.2017<br />
Rolf<br />
Cavalli<br />
Stv. Chefredaktor<br />
Andreas<br />
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Co-Ressortleiterin<br />
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Fotograf<br />
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Brigitte<br />
Meierhofer<br />
Korrektorin<br />
Doris<br />
Schneider<br />
Korrektorin<br />
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Moser<br />
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Guido<br />
Savian<br />
Stv. Leiter<br />
Micha<br />
Wernli<br />
Stv. Leiter<br />
Barbara<br />
Adank<br />
Produzentin<br />
Walter<br />
Brunner<br />
Produzent<br />
Stefanie<br />
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Produzentin<br />
Heinz<br />
Härdi<br />
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Alex<br />
Jegge<br />
Produzent<br />
Ciril<br />
Kammermann<br />
Produzent<br />
Peter<br />
Krattiger<br />
Produzent<br />
Martin<br />
Prazak<br />
Produzent<br />
Lory<br />
Roebuck<br />
Produzent<br />
Pia<br />
Schüpbach<br />
Produzentin<br />
Stefan<br />
Stalder<br />
Produzent<br />
PRODUKTION<br />
LAYOUT / GRAFIK<br />
REDAKTIONELLE ASSISTENZ<br />
Simon<br />
Steiner<br />
Produzent<br />
Samuel<br />
Thomi<br />
Produzent<br />
Michael<br />
Wehrle<br />
Produzent<br />
Pat<br />
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Tancredi<br />
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Ivo<br />
Tuchschmid<br />
Leiter<br />
Tiziana<br />
Belci<br />
Assistentin<br />
Manuel<br />
Egli<br />
Assistent<br />
Antonia<br />
Imondi<br />
Assistentin<br />
VERLAG AZ AARGAUER ZEITUNG / AZ NORDWESTSCHWEIZ<br />
Dietrich<br />
Berg<br />
Geschäftsführer<br />
Zaira Noro<br />
Leiterin<br />
Marketing<br />
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Leiter<br />
Werbemarkt<br />
Alexandra<br />
Heiniger Leiterin<br />
Anzeigenverkauf<br />
Urs<br />
Lüpold<br />
Key Account<br />
Vita<br />
de Prisco<br />
Kundenberaterin<br />
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Pascal<br />
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Kundenberater<br />
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Kundenberaterin<br />
Michael<br />
Huber<br />
Kundenberater<br />
Roberto<br />
Coluccia<br />
Kundenberater<br />
Michael<br />
Schär<br />
Ass. Back-Office<br />
Noemi<br />
Freiermuth<br />
Ass. Back-Office
46 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />
Die Macher der Aargauer Zeitung<br />
AARGAU<br />
Fabian<br />
Hägler<br />
Ressortleiter<br />
Mathias<br />
Küng<br />
Stv. Ressortleiter<br />
Peter<br />
Brühwiler<br />
Redaktor<br />
Manuel<br />
Bühlmann<br />
Redaktor<br />
Mario<br />
Fuchs<br />
Redaktor<br />
Jörg<br />
Meier<br />
Redaktor<br />
Urs<br />
Moser<br />
Redaktor<br />
AARGAU WEST<br />
Urs<br />
Helbling<br />
Ressortleiter<br />
Nadja<br />
Rohner<br />
Stv. Ressortleiterin<br />
Pascal<br />
Meier<br />
Reporter<br />
Rahel<br />
Plüss<br />
Redaktorin<br />
Wynental<br />
Katja<br />
Schlegel<br />
Redaktorin Aarau<br />
Ruth<br />
Steiner<br />
Redaktorin<br />
Lenzburg-Seetal<br />
Fritz<br />
Thut<br />
Redaktor<br />
Lenzburg-Seetal<br />
Ueli<br />
Wild<br />
Redaktor Aarau<br />
Christine<br />
Wullschleger<br />
Redaktorin<br />
Suhrental<br />
FRICK<br />
Thomas<br />
Wehrli<br />
Ressortleiter<br />
Marc<br />
Fischer<br />
Stv. Ressortleiter<br />
Nadine<br />
Böni<br />
Redaktorin<br />
Dennis<br />
Kalt<br />
Redaktor<br />
ONLINE<br />
Jürg<br />
Krebs<br />
Desk-Chef<br />
Maria<br />
Brehmer<br />
Social-Media-<br />
Redaktorin<br />
Elia<br />
Diehl<br />
Redaktor<br />
Lea<br />
Durrer<br />
Redaktorin<br />
Simone<br />
Morger<br />
Video-Redaktorin<br />
Lukas<br />
Scherrer<br />
Redaktor<br />
Franziska<br />
Zambach<br />
Redaktorin<br />
Christoph<br />
Zehnder<br />
Redaktor<br />
Philipp<br />
Zimmermann<br />
Redaktor
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 47<br />
Die Macher der Aargauer Zeitung<br />
AARGAU OST<br />
Martin<br />
Rupf<br />
Ressortleiter<br />
Roman<br />
Huber<br />
Stv. Ressortleiter<br />
Andreas<br />
Fretz<br />
Redaktor Zurzach<br />
Sabina<br />
Galbiati<br />
Redaktorin<br />
Pirmin<br />
Kramer<br />
Redaktor<br />
Carla<br />
Stampfli<br />
Redaktorin<br />
Daniel<br />
Weissenbrunner<br />
Redaktor Zurzach<br />
BRUGG<br />
FREIAMT<br />
Claudia<br />
Meier<br />
Ressortleiterin<br />
Michael<br />
Hunziker<br />
Redaktor<br />
Janine<br />
Müller<br />
Redaktorin<br />
Toni<br />
Widmer<br />
Ressortleiter<br />
Dominic<br />
Kobelt<br />
Stv. Ressortleiter<br />
Walter<br />
Christen<br />
Redaktor<br />
Eddy<br />
Schambron<br />
Redaktor Muri<br />
Andrea<br />
Weibel<br />
Redaktorin<br />
EVENT-UNIT<br />
Jan<br />
Lüthy<br />
Leiter<br />
Donatella<br />
Bettinelli<br />
Barbara<br />
Reinmann<br />
Marcel<br />
Siegrist<br />
Theres<br />
Stalder-Frei<br />
STAGIAIRES<br />
Sven<br />
Altermatt<br />
Andreas<br />
Fahrländer<br />
Stefanie<br />
Garcia-Lainez<br />
Lina<br />
Giusto<br />
Janine<br />
Gloor<br />
Nicola<br />
Imfeld<br />
Noemi<br />
Landolt<br />
Deborah<br />
Onnis<br />
Fabio<br />
Vonarburg
Für Immobilien RE/MAX<br />
Baden 056 200 90 00<br />
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<br />
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NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 49<br />
Schlagzeilen<br />
der ersten AZ-Ausgabe<br />
am 4. November 1996<br />
KOMMENTAR<br />
Frau Lüscher fordert<br />
den ultimativen Faktencheck<br />
Frau Lüscher hat wieder angerufen.<br />
Sie wolle zum Jubiläum gratulieren,<br />
sagte sie, sie habe die<br />
Aargauer Zeitung seit dem ersten<br />
Tage abonniert, und sie müsse also<br />
schon sagen: Grundsätzlich sei das eine<br />
gute Zeitung. Sie möchte keine andere.<br />
Auch die Zustellung klappe in letzter<br />
Zeit perfekt. Und dass die Zeitung in<br />
den letzten Jahren dünner geworden<br />
sei, komme ihr gerade recht; sie habe<br />
sowieso nie alles lesen können. Und sie<br />
hoffe schon, dass es die az noch lange<br />
gebe.<br />
von Jörg Meier<br />
Ich sagte, dass ich das auch hoffe, auch<br />
aus ganz persönlichem Interesse.<br />
vorstellen, davon hätte ich schon mal<br />
gehört. Manchmal glaube ich sogar, den<br />
Polderhorn, der sie früher immer besucht<br />
hat, den gibt es auch nicht. Den<br />
haben Sie doch erfunden.»<br />
So sprach Frau Lüscher und sie sagte<br />
weiter, sie möchte jetzt einfach wissen,<br />
ob das wirklich alles wahr sei, was ich<br />
da ständig in den «Meiereien» schreiben<br />
täte. Leicht angriffig tönte die sonst so<br />
nette Frau Lüscher.<br />
Ich war überrascht. Mit einer Diskussion<br />
über postfaktischen Journalismus in<br />
den Meiereien hatte ich nicht gerechnet.<br />
Das mit dem Jurakamuff war einfach zu<br />
erklären: Es ist höchst selten sichtbar,<br />
weil es unsichtbar wird, sobald es sich<br />
beobachtet fühlt. Also ist es per se sehr<br />
schwierig, das Tier in den dichten Jurawäldern,<br />
wo es sich meistens aufhält, zu<br />
entdecken; im tief hängenden Herbstnebel<br />
erst recht.<br />
Aber ein paar Sachen müsse sie schon<br />
ansprechen, fuhr Frau Lüscher fort. Es<br />
störe sie, dass nun auch die az bei diesem<br />
postfaktischen Zeugs mitmache<br />
und Sachen schriebe, die höchstens<br />
halb wahr sind.<br />
Wie sie denn das genau meine, fragte<br />
ich Frau Lüscher.<br />
«Gerade Sie sind so einer», sagte sie, das<br />
sei kein Vorwurf, aber es falle ihr halt<br />
einfach auf: «Sie erzählen immer wieder<br />
so Geschichten, bei denen man nicht<br />
weiss, ob man sie glauben soll. Nur<br />
schon, was sie andauernd und immer<br />
wieder mit Schwaderloch anstellen, das<br />
geht gar nicht. Oder Sie haben mehrmals<br />
behauptet, es gebe ein Tier mit Namen<br />
Jurakamuff. Das kann ich mir nicht<br />
«Ich weiss jetzt, wie ich herausfinden<br />
kann, ob das stimmt, was Sie geschrieben<br />
haben», sagte Frau Lüscher.<br />
«Wie wollen Sie das machen?», fragte<br />
ich.<br />
«Es gibt nur eine Möglichkeit»,<br />
antwortete Frau Lüscher. «Ich will<br />
einen Faktencheck!»<br />
«Einen Faktencheck?», fragte ich.<br />
«Genau.»<br />
«Und wie soll der konkret aussehen?»<br />
«Ich verlange ultimativ ein Treffen mit<br />
Polderhorn im Restaurant Bahnhof in<br />
Schwaderloch mit anschliessender<br />
Dorfbesichtigung», sagte Frau Lüscher.<br />
«Kein Problem», antwortete ich.<br />
Doch das war gelogen.
50 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />
«Die gedruckte Zeitung<br />
wird aufgewertet»<br />
Der deutsche Medienforscher Andreas Moring plädiert dafür, dass Tageszeitungen nicht mehr<br />
täglich auf Papier erscheinen. Genau das werde ihr Überleben sichern, ist er überzeugt.<br />
Heute ist Zeitungstag, bisher war jeder Tag Zeitungstag – in Zukunft werden es vielleicht nur noch Dienstag, Donnerstag und Samstag sein, schlägt Medienwissenschafter Andreas Moring vor.<br />
CHRIS ISELI<br />
VON PATRIK MÜLLER<br />
Herr Moring, bis ins Jahr 1969<br />
erschien die «Neue Zürcher<br />
Zeitung» dreimal täglich. Heute<br />
stellen Sie sogar die tägliche<br />
Erscheinungsweise von Tageszeitungen<br />
infrage. Warum?<br />
Andreas Moring: Vor gut einem halben<br />
Jahrhundert gab es noch kein Privatfernsehen,<br />
kein Privatradio, kein Internet,<br />
keine Smartphones, kein Streaming,<br />
keine Social Networks, keine<br />
Messenger-Apps. Es gab also faktisch<br />
keine echten Alternativen zur gedruckten<br />
Zeitung. Weder für Leser, noch für<br />
die Werbewirtschaft. Das ist heute anders.<br />
Das Angebot an medialen Konsummöglichkeiten<br />
ist unüberschaubar<br />
gross. Dabei ist das Zeitbudget der<br />
Menschen für den Medienkonsum heute<br />
so hoch wie nie.<br />
«Bei weniger<br />
Erscheinungstagen muss<br />
ich den Kunden natürlich<br />
zur Kompensation<br />
ein gutes Online- und<br />
Mobilangebot bieten.»<br />
Also mehr Zeit für die Medien. Aber<br />
trotzdem bleibt nicht genügend<br />
Zeit, um täglich Zeitung zu lesen?<br />
Die tägliche gedruckte Zeitung leidet<br />
am stärksten in diesem Wettbewerb.<br />
Die erwähnten Alternativen erfüllen<br />
aus Kundensicht, salopp gesagt, die<br />
Jobs der Tageszeitung viel besser. Und<br />
auch für die Werbewirtschaft gibt es<br />
andere Kanäle und Plattformen. Will<br />
die Zeitung weiter in diesem Wettbewerb<br />
stehen, wird sie verlieren. Deshalb<br />
ist es Zeit, anders zu denken. Erscheint<br />
die Zeitung nur noch an zwei<br />
oder drei Tagen pro Woche auf Papier,<br />
und bringt sie die täglichen News bloss<br />
noch online, kann die Zeitung als Printprodukt<br />
ihre Stärken wieder ausspielen.<br />
Für welche Tage würden Sie sich<br />
entscheiden?<br />
Ich denke, Dienstag, Donnerstag und<br />
Samstag sind sinnvoll.<br />
Zeitungsleser sind Gewohnheitstiere.<br />
Könnten sie sich am Ende nicht<br />
daran gewöhnen, überhaupt keine<br />
Zeitung mehr zu haben?<br />
Wenn man genauer auf den Zeitungskonsum<br />
schaut, dann sieht man, dass<br />
die typischen Zeitungsabonnenten<br />
schon heute ihre Zeitung nur an zwei<br />
bis drei Tagen in der Woche wirklich<br />
nutzen, also länger als 15 bis 20 Minuten<br />
lesen. Wenn ich als Verlag umstelle<br />
auf weniger Erscheinungstage, dann<br />
muss ich den Kunden natürlich gleichzeitig<br />
ein gutes Online- und Mobilangebot<br />
bieten: die gedruckte Zeitung als<br />
hintergründiges Qualitätsprodukt – und<br />
die täglichen News für den schnellen<br />
Überblick online, Mobil und über Social-Media-Kanäle.<br />
Das alles am besten<br />
in einem Paketangebot zu einem Preis.<br />
Die gedruckte Zeitung wird so für die<br />
Leser sogar aufgewertet und steigt in<br />
der Wertschätzung. Deswegen sehe ich<br />
keine Gefahr, dass Kunden auf das<br />
Printprodukt verzichten würden.<br />
Was macht Sie da so sicher?<br />
Wir sehen den positiven Effekt ja auch<br />
bei den guten Auflagen und Verkaufszahlen<br />
für die Samstags- und Sonntagsausgaben<br />
von Zeitungen und von Wochenzeitungen<br />
wie der «Zeit». Für Ver-
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 51<br />
lage hat ein integriertes Print-Online-<br />
Modell zudem den Vorteil, die Kunden<br />
öfter und umfassender zu erreichen<br />
und eine bessere Kundenbeziehung zu<br />
ihnen aufzubauen.<br />
Müsste der Abonnementpreis sinken,<br />
wenn die Zeitung nicht mehr<br />
täglich in den Briefkasten kommt?<br />
Ich plädiere für die beschriebene Paketlösung:<br />
ein Abopreis, Zugang zu allen<br />
Angeboten der Zeitungsmarke von<br />
Papier über Web bis hin zu Apps und<br />
Social Media. Da könnte ich sogar einen<br />
höheren Preis verlangen als bei<br />
heutigen reinen Zeitungsabos. Und<br />
selbst wenn ich den Preis für das Paketangebot<br />
auf Höhe des Printabopreises<br />
belassen würde, gäbe es wegen<br />
der geringeren Kosten für Druck, Logistik<br />
und Auslieferung immer noch einen<br />
attraktiven Gewinn.<br />
Eine Zeitung, die nicht täglich<br />
erscheint, müsste ihr inhaltliches<br />
Konzept ändern. Wie stellen Sie<br />
sich das vor?<br />
Das Printprodukt muss weg vom Anspruch,<br />
aktuelle Nachrichten bieten zu<br />
wollen. Das können andere Medien<br />
viel besser und umfangreicher. Print<br />
kann und muss gute Recherche bieten,<br />
unterhaltsame und spannende Geschichten,<br />
Erklärungen und Einordnungen,<br />
muss Plattform sein für Meinungsstreit<br />
und Debatten, muss die<br />
Rolle der vierten Gewalt in der Gesellschaft<br />
ausfüllen. Das sind Dinge, die<br />
sie mit Apps, Messenger-Diensten oder<br />
über Instagram, Twitter, Facebook &<br />
Co. nicht hinbekommen. Eine Zeitung<br />
kann das – aber nicht im täglichen Produktionsrhythmus.<br />
Das ist am Ende inhaltliche<br />
Qualität und ein echtes Alleinstellungsmerkmal,<br />
das bei der angesprochenen<br />
riesigen Angebotsvielfalt<br />
überlebenswichtig ist.<br />
Was tun, wenn an einem Tag ein<br />
Grossereignis stattfindet – etwa<br />
ANDREAS MORING<br />
● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●<br />
Andreas Moring lehrt in Hamburg<br />
an der Business & IT School BiTS<br />
und leitet dort den Studiengang<br />
Medien- und Kommunikationsmanagement.<br />
Er promovierte zum<br />
Dr. phil. und ist diplomierter Volksund<br />
Betriebswirtschafter. Nach<br />
seinem Studium absolvierte er<br />
zwei Jahre lang eine Ausbildung<br />
an der Axel Springer Akademie<br />
und war danach für das grösste<br />
deutsche Verlagshaus tätig.<br />
ein Terroranschlag – und am<br />
darauffolgenden Tag keine Zeitung<br />
vorgesehen ist?<br />
Dann können Sie ein Extra-Blatt drucken.<br />
Aber das würde ich gar nicht<br />
mal als zwangsläufig ansehen. Über<br />
Websites, Apps und Social Media und<br />
aktuelle Nachrichten und Videos erreiche<br />
ich die Menschen bei solchen Lagen<br />
doch viel besser und schneller. Es<br />
wartet doch auch heute keiner in solchen<br />
Situationen auf die Zeitung am<br />
nächsten Morgen; sondern die Menschen<br />
schalten Radio und Fernsehen<br />
ein, informieren sich im Netz und über<br />
ihr Smartphone. Am liebsten bei<br />
glaubwürdigen Marken, zum Beispiel<br />
ihrer Zeitungsmarke. Wenn die Printzeitung<br />
nun nicht am nächsten, sondern<br />
am übernächsten Tag erscheint,<br />
kann sie wiederum ihre Stärken ausspielen<br />
und hintergründiger und erklärender<br />
berichten.<br />
Was würde es für das digitale<br />
Angebot des Verlags bedeuten?<br />
Das digitale Angebot muss das machen,<br />
was es am besten kann: Aktuell<br />
und schnell berichten – im Netz, mobil<br />
und über Social Media. Dafür brauche<br />
ich Spezialisten, die das können und<br />
sich darauf konzentrieren, keine<br />
Crossmedia-Newsroom-Redaktoren,<br />
die alles machen sollen, aber es gar<br />
nicht können. Dazu muss ich nicht einmal<br />
Personal aufstocken, sondern<br />
kann viele Aufgaben von freien Mitarbeitern<br />
für bestimmte Aufgaben und<br />
Kanäle machen lassen.<br />
Bezahl-Modelle im Netz funktionieren<br />
bei regionalen Zeitungen bislang<br />
nirgends wirklich. Würde Ihr<br />
Modell Paid Content begünstigen?<br />
Die Zahlungsbereitschaft ist in Onlinemärkten<br />
extrem gering. Zudem gibt es<br />
im Regionalen kaum wirklich exklusive<br />
Nachrichten, für die Kunden online<br />
ein Abo abschliessen würden. Menschen<br />
zahlen im Netz eigentlich nur in<br />
Ausnahmen für Inhalte, zum Beispiel,<br />
wenn es beruflich absolut notwendig<br />
ist. Sie zahlen online für konkrete Problemlösungen,<br />
Bequemlichkeit und<br />
Personalisierung. Ich kenne keine Regionalzeitung,<br />
die das ihren Kunden<br />
bietet. Es ist also nicht allein der Inhalt,<br />
der bei Menschen eine Zahlungsbereitschaft<br />
erzeugt. Es sind immer<br />
bestimmte weitere Dienstleistungen<br />
und ein einfaches Handling.<br />
Worin liegt die Chance?<br />
Bei Paketangeboten. Ich bin mir sicher,<br />
dass mein Modell als Paketangebot<br />
aus Print und Online – aufgewertet<br />
mit zusätzlichen Services – besser laufen<br />
wird als die ziemlich einfallslose<br />
Paywall. Zudem muss man auch überlegen,<br />
ob in der richtigen Währung bei<br />
«Ich bin sicher, dass<br />
mein Modell als Paketangebot<br />
aus Print und<br />
Online – mit zusätzlichen<br />
Services – besser laufen<br />
wird als eine Paywall.»<br />
den aktuellen Paywall-Modellen abgerechnet<br />
wird. Wie wäre es, wenn Kunden<br />
nicht in Franken oder Euro bezahlen,<br />
sondern in Daten? Daraus könnte<br />
man indirekte Monetarisierungsmodelle<br />
bauen, die auch besser funktionieren<br />
würden als die Paywall-Versuche,<br />
die wir heute sehen. Die sind<br />
selbst nach mehreren Jahren noch<br />
weit vom lohnenden Geschäft entfernt,<br />
und sie werden in ihrer jetzigen<br />
Gestalt auch nie dahin kommen.<br />
Wie lange wird es aus Ihrer Sicht<br />
noch gedruckte Zeitungen geben?<br />
Noch sehr lange. Aber im Regionalen<br />
und Lokalen eben nicht mehr als tägliche<br />
Ausgabe.<br />
20 Jahre<br />
Aargauer Zeitung<br />
Beilage zur az Aargauer Zeitung<br />
und Badener Tagblatt<br />
vom 4. November 2016<br />
Herausgeberin:<br />
AZ Zeitungen AG<br />
az Aargauer Zeitung<br />
Neumattstrasse 1, 5<strong>001</strong> Aarau<br />
Verleger:<br />
Peter Wanner<br />
Redaktion: Sven Altermatt, Sabine Altorfer,<br />
Christoph Bopp, Rolf Cavalli, Max Dohner,<br />
Christian Dorer, Fabian Hägler, Dagmar Heuberger,<br />
Jörg Meier, Patrik Müller, Anna Wanner,<br />
Toni Widmer, Roman Würsch<br />
Gestaltung: Pat Schneider<br />
Bildredaktion: Bernhard Vesco,<br />
Marius Rinderknecht<br />
Fotografen: Sandra Ardizzone, Chris Iseli,<br />
Alex Spichale, Silvan Wegmann (Karikatur):<br />
Produktion: Christoph Bopp, Martin Moser,<br />
Micha Wernli (Grafik)<br />
Autoren: Peter Wanner, Kaspar Hemmeler,<br />
Hans-Peter Zehnder, Philip Funk, Andreas Müller,<br />
Hans Fahrländer,Jürg Schärer, Peter Buri,<br />
Markus Somm,Axel Wüstmann, Urs Saxer,<br />
Hermann Burger.<br />
Verkauf: Paolo Placa, Alexandra Heiniger<br />
Koordination: Noemi Freiermuth<br />
Verlag:<br />
«az Nordwestschweiz»,<br />
Neumattstrasse 1, 5<strong>001</strong> Aarau<br />
Geschäftsführer: Dietrich Berg<br />
Leiter Werbemarkt National: Paolo Placa<br />
Leiterin Marketing: Zaira Noro<br />
Druck:<br />
Mittelland Zeitungsdruck AG,<br />
Neumattstrasse 1, 5<strong>001</strong> Aarau<br />
Leitung: Urs Binkert<br />
Telefon 058 200 42 70 | Fax 058 200 42 71<br />
E-Mail: zeitungsdruck@azmedien.ch<br />
Eine Publikation der<br />
Verbreitete Auflage: 72 429 Ex. (WEMF 2016)<br />
Davon verkaufte Auflage: 66 337 Ex. (WEMF 2016)<br />
Die «az Aargauer Zeitung» ist Mitglied der<br />
«az Nordwestschweiz»<br />
Verbreitete Auflage: 155 716 Ex. (WEMF 2016)<br />
Davon verkaufte Auflage: 143 882 Ex. (WEMF 2016)<br />
Leser: 364 000 (MACH Basic 2016-2)<br />
Copyright Herausgeberin
52 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />
6.00 Uhr<br />
Hellwach! Der Online-<br />
Frühdienstler ist der<br />
Allererste im Newsroom.<br />
Er aktualisiert<br />
die Websites der az mit<br />
den besten Storys des<br />
Morgens und den<br />
News der Nacht.<br />
10.00 Uhr<br />
Die Videoredaktorin instruiert Mitarbeiterinnen<br />
in Ausbildung. Ohne Einsatz von Bewegtbild<br />
geht heute fast nichts mehr auf Reportage.<br />
7.00 Uhr<br />
Neuer Tag, neue Geschichten: Während die<br />
aktuelle Zeitung bereits im Briefkasten der<br />
Abonnenten ist, nimmt der az-Newsroom in<br />
der Telli Aarau Fahrt auf.<br />
8.30 Uhr<br />
Was bewegt den Aargau heute?<br />
Die Regionenbüros schalten sich<br />
zur Telefonkonferenz zusammen.<br />
Baden (im Bild), Aarau, Freiamt,<br />
Brugg und Frick besprechen die<br />
Themen des Tages.<br />
FOTOS: SANDRA ARDIZZONE<br />
Wie es pulsiert<br />
im az-Newsroom<br />
15.00 Uhr<br />
Der Text ist fast fertig. Der<br />
Reporter sucht nur noch nach<br />
dem passenden Titel für seine<br />
Recherche, bevor die erste<br />
Version online geht.<br />
Aus der Redaktionsstube ist ein hochmoderner Newsroom<br />
geworden, in dem multimedial produziert wird.<br />
12.00 Uhr<br />
Der Infografiker visualisiert<br />
seine Ideen im Skizzenbuch,<br />
bevor er die Grafiken am<br />
Bildschirm umsetzt.<br />
von Rolf Cavalli<br />
stv. Chefredaktor,<br />
Chef Digitale Medien und<br />
Leiter Aargau/Regionen<br />
Die Zeiten, als Telegramme ratterten und<br />
Schreibmaschinen klapperten, sind auf den Redaktionen<br />
natürlich längst vorbei. Der technologische<br />
Wandel hat sich aber in den letzten Jahren<br />
nochmals derart beschleunigt, dass es einem<br />
Journalisten schnell mal schwindlig werden<br />
kann. Während wir an der Morgensitzung konferieren<br />
und uns überlegen, wie wir ein Thema<br />
weiterentwickeln, wird dieses von Leserinnen<br />
und Lesern in den sozialen Medien bereits diskutiert,<br />
News und Analysen dazu verlinkt, geteilt<br />
und bewertet. Das alles fast immer auf dem Handy<br />
notabene. Die digitale Revolution verändert<br />
so fast alles, was einen Redaktionsalltag angeht.<br />
Wir arbeiten heute weitgehend konvergent. Das<br />
heisst: Die Ressorts, allen voran in den Regionen,<br />
beliefern Online und Zeitungsausgabe gleichermassen.<br />
Das macht die Arbeit anspruchsvoller,<br />
die Abläufe komplexer. Neue Jobprofile sind<br />
entstanden. Eine Videoredaktorin ist im Newsroom<br />
2016 genauso wenig wegzudenken wie die<br />
Social-Media-Redaktorin, die unsere Artikel via<br />
Facebook, Twitter & Co. verbreitet und die Leser-Diskussionen<br />
moderiert.<br />
Je vielschichtiger die Medienwelt, desto wichtiger<br />
werden die einzelnen Fachleute im Newsroom:<br />
Der Autor, der für Lesegenuss sorgt; der<br />
Art Director, der die Zeitung inszeniert; der<br />
Website-Manager, der zum richtigen Zeitpunkt<br />
die richtige Story online schaltet; die Redaktoren,<br />
welche ihre Region aus dem Effeff kennen<br />
und viele mehr. Sie alle sind der Puls in einem<br />
der – das können wir selbstbewusst sagen – modernsten<br />
und schönsten Newsrooms Europas.<br />
14.00 Uhr<br />
Der az-Fotograf im Einsatz.<br />
Noch vor Ort schickt<br />
er erste Bilder in den<br />
Newsroom, bevors zum<br />
nächsten Auftrag geht.<br />
17.30 Uhr<br />
Kurz vor der Sendung: In der<br />
Maske wird die TV-Moderatorin<br />
auf die Newssendung von Tele M1<br />
vorbereitet. Auch die TV-Studios<br />
sind im Newsroom integriert.<br />
23.00 Uhr<br />
Der Abschlussproduzent<br />
kontrolliert nochmals<br />
alles, bevor er<br />
die letzte Seite freigibt.<br />
Jetzt ist die Druckerei<br />
am Zug.<br />
16.30 Uhr<br />
Die sogenannten Mantel-Ressorts (überregionale<br />
Themen) treffen sich zur zweiten<br />
Tagessitzung. Hier entscheidet sich, was<br />
wie auf die Frontseite kommt.<br />
19.00 Uhr<br />
Der letzte Schliff. Die Tageschefs<br />
begutachten auf der Videowand die schon<br />
fast fertigen Zeitungsseiten, bevor das<br />
Produkt in die Schlussproduktion geht.
TAG DER OFFENEN TÜR<br />
Samstag, 19. 11. 2016, und Samstag, 26. 11. 2016<br />
jeweils von 10.00 bis 14.00 Uhr<br />
HERZLICH WILLKOMMEN IM GAUTSCHI-PARK<br />
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ein Abenteuerspielplatz und ein modernes Restaurant sowie fünf neue Mietwohnungen<br />
auf die neuen Bewohner. Der Gautschi-<br />
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Wir freuen uns auf Ihre Kontaktnahme und<br />
auf Ihren Besuch.
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 55<br />
Nie sind sich Leser und Redaktion näher<br />
Im Sommer wandert die az mit Lesern und Promis durch die Region – das Leserwandern hat bereits Tradition.<br />
von<br />
Sven Altermatt<br />
«Mister Leserwandern»<br />
J<br />
eden Wochentag in den Sommerferien<br />
eine abwechslungsreiche<br />
und überraschende<br />
Wanderung, Sehenswürdigkeiten,<br />
prominente Gäste. Es<br />
braucht weder eine Anmeldung<br />
noch ein Auto für die Anfahrt.<br />
Das ist das Leserwandern der «Aargauer<br />
Zeitung» und ihrer Schwesterzeitungen.<br />
Während fünf Wochen tauschen<br />
Redaktoren ihren Schreibtisch gegen<br />
die freie Natur – und treffen beim Wandern<br />
auf Leserinnen und Leser. Mit ihnen<br />
diskutieren, plaudern oder streiten<br />
sie auch mal. Und entdecken unterwegs<br />
so einmalige Orte wie die Linde<br />
von Linn, die Festung von Aarburg<br />
oder den Erdmannlistein.<br />
Was vor sechs Jahren als einmalige<br />
Sommeraktion geplant war, hat sich im<br />
Aargau zu einer Tradition entwickelt.<br />
Wohl nie ist die Beziehung zwischen<br />
den Lesern und ihrer Tageszeitung inniger<br />
als beim Leserwandern. Wenn ein<br />
Teilnehmer auf den Jurahöhen von<br />
«meinem Leibblatt» erzählt, dann<br />
scheint das zuerst einmal aus der Zeit<br />
gefallen. Der Begriff umreisst allerdings<br />
nicht nur die Nähe, sondern gibt der<br />
Zeitung auch eine soziale Dimension.<br />
Diese lebt von und mit ihren Lesern, ihren<br />
Anregungen und ihrer Kritik.<br />
Auf einer Etappe wandern bis zu 360 Leute mit. PATRICK ZÜST Auch den Jüngsten gefällts. ALEX SPICHALE Wandern mit Hund? Wandern mit Lama! PATRICK ZÜST<br />
Unterwegs bleibt auch mal Zeit für ein Nickerchen. TOM ULRICH Wanderer mit Fan-Shirt. BRUNO KISSLING Der Aargau lockt Wanderer mit vielfältiger Natur. PATRICK ZÜST
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 57<br />
Eine Plattform<br />
für Künstlerinnen<br />
und Künstler<br />
1998<br />
Scuola e Teatro<br />
Dimitri<br />
2<strong>001</strong><br />
Hugo Suter<br />
1999<br />
Flamencos<br />
en route<br />
2002<br />
Franz Hohler<br />
2000<br />
Egon Ammann<br />
2003<br />
Ruedi<br />
Häusermann<br />
Der Kulturpreis der AZ Medien hat eigentlich<br />
nicht den Anspruch, auch der Aargauer<br />
Kulturpreis zu sein, aber den Ruf hat er schon.<br />
2004<br />
Sonja und<br />
Roger Kaysel<br />
2005<br />
Klaus Merz<br />
2006<br />
Samir<br />
von<br />
Sabine Altorfer<br />
Jurypräsidentin<br />
J<br />
ubiläen können nachwirken.<br />
Wenn man denn etwas Nachhaltiges<br />
schafft und nicht nur<br />
jubiliert. Der Kulturpreis der<br />
AZ Medien verdankt seine<br />
Entstehung dem Jubiläum<br />
«150 Jahre Tagespresse im Aargau».<br />
Nicht Konkurrenz, sondern Ergänzung<br />
zur Aargauer Kulturförderung<br />
sollte er sein und wurde doch von Beginn<br />
an ohne geografische Scheuklappen<br />
verliehen.<br />
So konnte die Scuola Dimitri 1998<br />
den ersten Preis entgegennehmen,<br />
später auch Verleger Egon Ammann<br />
(in dessen Verlag viele Aargauer Autoren<br />
und Autorinnen erschienen). Ausgezeichnet<br />
wurden in diesem 18-jährigen<br />
Engagement aber auch Aargauer<br />
Eigengewächse und Exportschlager:<br />
Theatermann Ruedi Häusermann, der<br />
so oft in Berlin wie in Lenzburg arbeitet,<br />
Brigitta Luisa Merki, die in Baden<br />
Flamenco neu denkt und tanzt, oder<br />
Klaus Merz, der aus dem Wynental<br />
Weltliteratur liefert.<br />
Den Kulturpreis der AZ Medien zu<br />
bekommen, heisst Geld, eine Feier<br />
und – so wichtig wie logisch – auch eine<br />
mediale Plattform zu erhalten. So<br />
erfuhren die AZ-Leserinnen etwa,<br />
dass Samir und Sabine Boss nicht nur<br />
gute Filme drehen, sondern Aargauer<br />
Wurzeln haben, warum für die Weltklasse-Cellistin<br />
Sol Gabetta die Nordwestschweiz<br />
oder für Pedro Lenz Olten<br />
die richtige Homebase sind.<br />
2017 gibts ihn wieder<br />
Satzungen für den Preis wurden nie<br />
geschrieben, nie Sparten vorgegeben.<br />
Die Freiheit der Jury war stets beneidenswert<br />
gross, ihre Entscheidungsfindung<br />
umso spannender. Ausgerechnet<br />
2016, im Jubiläumsjahr der AZ,<br />
wurde der Kulturpreis nun Opfer einer<br />
Sparrunde. Aber ab 2017 gebe es ihn<br />
wieder, das Versprechen von Verleger<br />
Peter Wanner macht die Schreibende<br />
hier gerne publik.<br />
2008<br />
Sol Gabetta<br />
2011<br />
Andreas Fleck<br />
2014<br />
Dieter Ammann<br />
2009<br />
Beat Zoderer<br />
2012<br />
Pedro Lenz<br />
2015<br />
Sabine Boss<br />
2010<br />
Max Lässer<br />
2013<br />
Massimo Rocchi<br />
2007 und 2016<br />
wurde der<br />
Kulturpreis<br />
nicht verliehen<br />
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58 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />
Medienpolitik muss in die Verfassung<br />
Angesichts der digitalen Revolution führt kein Weg an einer politischen Grundsatzdebatte vorbei.<br />
von Urs Saxer<br />
Professor für<br />
Medienrecht (u.a.) an<br />
der Universität Zürich<br />
B<br />
undesrätin Leuthard plant<br />
ein Mediengesetz. Dies ist<br />
ein mehr als überfälliger<br />
Schritt. Denn die digitale<br />
Revolution pflügt die Medienlandschaft<br />
derart um,<br />
dass kaum ein Stein auf dem anderen<br />
bleibt, was nicht ohne Einfluss auf die<br />
rechtlichen Rahmenbedingungen bleiben<br />
kann.<br />
Die technologische Entwicklung<br />
sprengt – so scheint es – jegliche Grenzen,<br />
die Grenzen von Ländern, von<br />
Mediengattungen, von Branchen, der<br />
involvierten Unternehmungen, insbesondere<br />
aber der Vorstellungskraft darüber,<br />
wohin die Reise geht. Als Folge<br />
der Konvergenz greifen alle Mediengattungen<br />
ineinander über: Es kann immer<br />
weniger zwischen Print, Radio und<br />
Fernsehen sowie Online unterschieden<br />
werden. Auf Online-Plattformen kommen<br />
alle diese Gattungen zusammen.<br />
Die Konvergenz verlangt eine hohe<br />
Investitions- und Risikobereitschaft der<br />
Medienunternehmungen, um auf allen<br />
möglichen Kanälen und Vektoren gegenüber<br />
mächtigen Konkurrenten wie<br />
der SRG sowie der Milliardenkonzerne<br />
Google und Facebook mithalten zu<br />
können, dies mit einem sehr ungewissen<br />
«return on investment». Zugleich<br />
sind die Medienschaffenden in der Flexibilität<br />
ihrer Arbeitsgestaltung immer<br />
stärker gefordert.<br />
Die Rolle des Staates<br />
Entsprechend verunsichert ist die<br />
traditionelle Medienwelt: Ihr Business<br />
Case ist tagtäglich grossen Belastungen<br />
ausgesetzt. Das bekommen die Medienkonsumenten,<br />
die Medienschaffenden<br />
und auch die Politik zu spüren. Was ist<br />
in diesem auch demokratierelevanten<br />
Prozess die Rolle des Staates? Im Zentrum<br />
stehen zwei in der Verfassung garantierte<br />
Freiheitsrechte: die Medienfreiheit<br />
und die Wirtschaftsfreiheit.<br />
Diese Grundrechte schaffen auf Verfassungsstufe<br />
einen publizistischen und<br />
wirtschaftlichen Freiraum für die Medien,<br />
aufgrund dessen mediale Eigenständigkeit<br />
und Selbstverantwortung<br />
die Regel, staatliche Interventionen<br />
demgegenüber die rechtfertigungsbedürftige<br />
Ausnahme darstellen. Für<br />
den Rundfunk gelten allerdings besondere<br />
Regeln. Nach dem über dreissigjährigen<br />
Radio- und Fernsehartikel der<br />
Verfassung erfüllen Radio und Fernsehen<br />
eine besondere Aufgabe im öf-<br />
Bundesrätin Leuthard plant ein Mediengesetz. Ohne Verfassungsbasis? ALEX SPICHALE<br />
fentlichen Interesse, einen Service public,<br />
weswegen sie besonders geregelt<br />
sind und auch in die Pflicht genommen<br />
werden können. Am deutlichsten zeigt<br />
sich dies in der privilegierten Stellung<br />
der SRG, welche auf der Basis einer gesetzlichen<br />
Konzession für die Grundversorgung<br />
bei Radio und Fernsehen<br />
verantwortlich ist und dafür Empfangsgebühren<br />
in einem Ausmass erhält, von<br />
denen private Rundfunkbetreiber nur<br />
träumen können.<br />
Eine Verfassungsbasis fehlt<br />
Der Bund hat eine ausdrückliche Verfassungsgrundlage<br />
für eine Rundfunkpolitik.<br />
Gilt dies auch für eine Pressepolitik?<br />
Wer unsere Bundesverfassung<br />
liest, wird keine entsprechenden Kompetenzen<br />
finden. Vereinzelte Zuständigkeiten<br />
werden aus dem Postregal<br />
mit Bezug auf die finanzielle Förderung<br />
der Postzustellung abgeleitet. Für eine<br />
allgemeine Pressepolitik des Bundes<br />
«Im Zentrum sollten<br />
Massnahmen stehen, die<br />
es allen Medien erlauben,<br />
die derzeit turbulenten<br />
Zeiten möglichst unbeschadet<br />
zu überstehen.»<br />
gibt es demgegenüber keine Verfassungsbasis.<br />
Dies gilt erst recht für eine allgemeine<br />
Medienpolitik. Der Bund hat auch<br />
keine allgemeine Internet-Zuständigkeit,<br />
sondern kann nur in einzelnen Bereichen<br />
mit dem Internet zusammenhängende<br />
Frage regeln. Beispiele sind<br />
der Datenschutz, das Strafrecht oder<br />
der Staatsschutz, wo Probleme verbunden<br />
mit dem Internet eine sehr wichtige<br />
Rolle spielen.<br />
Allerdings vertreten einzelne Stimmen<br />
die Auffassung, aus dem Radiound<br />
Fernsehartikel ergebe sich eine umfassende<br />
Zuständigkeit für Online-Normierungen.<br />
Begründet wird dies damit,<br />
dass nach dem Verfassungswortlaut<br />
auch die Regelung sogenannt «anderer<br />
Formen der fernmeldetechnischen Verbreitung<br />
von Darbietungen und Informationen»<br />
eine Bundeszuständigkeit ist.<br />
Daraus soll sich namentlich eine Bundeszuständigkeit<br />
zur Regelung medienrelevanter<br />
Internetaktivitäten ergeben.<br />
Dieser Auffassung ist zum Beispiel der<br />
frühere Direktor des Bundesamtes für<br />
Kommunikation und aktuelle Direktor<br />
des Bundesamtes für Justiz, einer juristisch<br />
zentralen Schaltstelle der Bundesverwaltung<br />
unter anderem auch im Gesetzgebungsprozess.<br />
Daraus ergäben sich unter anderem<br />
auch für die SRG die von der Verfassung<br />
nicht behinderte Möglichkeit, ihre<br />
Online-Aktivitäten zu einem zentralen,<br />
von den Rundfunkaktivitäten völlig unabhängigen,<br />
aber trotzdem gebührenfinanzierten<br />
Angebot auszubauen. Dies<br />
könnte natürlich die entsprechenden<br />
Angebote der privaten Verleger konkurrenzieren<br />
und letztere in Kombination<br />
mit den über die Plattform abrufbaren<br />
audiovisuellen Eigenproduktionen problemlos<br />
übertrumpfen.<br />
Die Schweiz kennt zwar keine umfassende<br />
Verfassungsgerichtsbarkeit. Ein<br />
Mediengesetz könnte daher ungestraft<br />
auf eine unzureichende Verfassungsbasis<br />
abgestützt werden und wäre<br />
trotzdem gültig. Sieht man von den<br />
rechtlichen Bedenken ab, erheben sich<br />
dagegen aber zwei prinzipielle Einwände,<br />
welche vor allem demokratisch-politischer<br />
Natur sind.<br />
Von digitaler Revolution überholt<br />
Diese leiten sich aus der Überlegung<br />
ab, dass der Verfassungsgeber vor über<br />
30 Jahren zwar durchaus für technische<br />
Neuerungen offen war, aber nicht<br />
ansatzweise an eine digitale Revolution<br />
dachte, welche die Unterscheidungen<br />
zwischen den Mediengattungen einebnen<br />
und regulatorisch völlig neue Voraussetzungen<br />
schaffen würde. Der<br />
Verfassungsgeber dachte damals vielmehr<br />
an Erscheinungen, welche publizistisch<br />
sowie demokratie-relevant von<br />
untergeordneter Bedeutung waren wie<br />
beispielsweise den Teletext.<br />
Das ist in den gesellschaftlichen, politischen<br />
und wirtschaftlichen Auswirkungen<br />
der digitalen Revolution nicht<br />
ansatzweise vergleichbar. Daraus leitet<br />
sich der zweite Einwand ab: Die digitale<br />
Revolution verlangt einen neuen Verfassungskonsens<br />
über die medienpolitischen<br />
Grundlagen, denn diese Revolution<br />
ist viel zu bedeutsam, als dass sich<br />
ihre regulatorische Bewältigung auf eine<br />
über 30-jährige Verfassungsbestimmung<br />
stützen könnte. Medienpolitik in<br />
der Schweiz braucht also eine neue<br />
Verfassungslegitimation, ja überhaupt<br />
eine Verfassungsgrundlage, welche derzeit<br />
nicht existiert.<br />
Es führt daher kein Weg an einer politischen<br />
Grundsatzdebatte vorbei, so<br />
mühselig dies auch sein mag. Letztlich<br />
geht es um die verfassungslegitime, demokratische<br />
Verankerung von Medienpolitik.<br />
Bei dieser Diskussion werden<br />
die unterschiedlichsten politischen<br />
Ordnungsvorstellungen aufeinanderprallen,<br />
reichend von Neo- und Ordoliberalen<br />
bis zu solchen, welche in den<br />
Medien Institutionen zur Verwirklichung<br />
demokratischer Gemeinwohlkonzepte<br />
erblicken.<br />
Auch wenn zum Beispiel zwischen<br />
den Vorstellungen der SVP und der SP<br />
enorm breite Abgründe klaffen, werden<br />
sich diese Parteien genauso wie andere<br />
bei der Entwicklung von Konzepten und<br />
Leitbildern nicht über die den Medienbereich<br />
prägenden Megatrends hinwegmogeln<br />
können. Also unter anderem,<br />
über die Digitalisierung, die Konvergenz,<br />
die Internationalisierung, die<br />
Kommerzialisierung und die Dominanz<br />
von Technik und Unterhaltung. Diese<br />
Trends werden auch für eine Mediengesetzgebung<br />
bestimmend sein. Eine zentrale<br />
Frage wird hierbei sein, inwieweit<br />
diese Trends nachvollzogen werden<br />
müssen, inwieweit deren Folgen gemildert<br />
und inwieweit gegenläufige Positionen<br />
festgelegt werden können.<br />
Es ist völlig richtig: Die Medien müssen<br />
angesichts der Konvergenz, wenn<br />
immer möglich, in einem einheitlichen<br />
Gesetz geregelt werden. Nur schon deswegen<br />
ist das Projekt eines Mediengesetzes<br />
folgerichtig und wichtig. Dabei<br />
ist erneut zu fragen, was die Rolle des<br />
Staates ist. Sicherlich ist die demokratiepolitische<br />
Dimension von wesentlicher<br />
Bedeutung. Im Zentrum sollten<br />
darüber hinaus auch Massnahmen stehen,<br />
welche es möglichst allen Medien<br />
erlauben, die derzeit turbulenten Zeiten<br />
bei der Anpassung an die digitale<br />
Welt möglichst unbeschadet zu überstehen.<br />
Vieles kann für alle Medien gemeinsam<br />
geregelt werden, anderes braucht<br />
nach wie vor gattungsspezifische Bestimmungen.<br />
Eine zentrale Frage ist<br />
der Service public. Wer erbringt ihn,<br />
und wie wird er finanziert? Sollen auch<br />
Plattformen privater Verleger finanziell<br />
unterstützt werden? Was ist die Rolle<br />
der SRG? Was sind ihre Aktivitäten, wo<br />
sind die Grenzen?<br />
Wie dem auch sei: Ohne hinreichende<br />
Verfassungsgrundlage ist eine allgemeine<br />
Mediengesetzgebung rechtsstaatlich<br />
und politisch nicht genügend<br />
abgesichert.
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60 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />
Quiz: Besser leben mit «20 Jahre AZ»<br />
Beantworten Sie die Fragen (möglichst korrekt), spielen Sie mit den angebotenen Text-Bausteinen und Sie erhalten<br />
einen flotten Vierzeiler, der Ihr Leben verändern kann – aber nicht muss, wenn Sie denn schon . . .<br />
VON CHRISTOPH BOPP<br />
Z<br />
ur Einleitung: 20 Jahre<br />
sind eine lange Zeit. Da<br />
geht einiges vergessen, vieles<br />
was klar war, wird fragil,<br />
fast alles, was fragil<br />
war, verfestigt sich.<br />
So dürfen wir auch von den Lesern<br />
dieser Beilage eine gefestigte (20 Jahre<br />
sollten da etwas ausmachen) Persönlichkeit<br />
erwarten, die nicht gleich aufgibt,<br />
wenn Redaktorinnen und Redaktoren<br />
nicht ausreichend redigieren, Autoren<br />
nicht genug Auto fahren und Korrektoren<br />
ihren Job an der Schule nicht<br />
gleich an den Nagel hängen.<br />
Das Quiz ist nicht schwer, aber die Gebrauchsanweisung<br />
sollte man schon lesen<br />
(dafür hats nichts Kleingedrucktes).<br />
Zuerst die Fragen:<br />
tatatatatatatatataaaaaaaaaa!<br />
1. In welchem Hotel wurden die<br />
konspirativen Sitzungen des<br />
fusionsvorbereitenden Ausschusses<br />
durchgeführt?<br />
■ Hotel Wahnsinn, Schwaderloch B<br />
■ Novotel Flughafen<br />
Z<br />
■ Hotel Arte, Spreitenbach<br />
I<br />
2. Wie viele Chefredaktoren hatte<br />
das BT während seiner Geschichte<br />
(Mitglieder der Verlegerfamilie ausgenommen)?<br />
■ 5<br />
N<br />
■ 1<br />
C<br />
■ das hats nie gegeben<br />
O<br />
3. Mit wem ging Peter Wanner nicht<br />
zur Schule? (nicht alle waren in derselben<br />
Klasse, aber alle am gleichen<br />
Institut)<br />
■ Doris Leuthard<br />
X<br />
■ Jürg Schärer<br />
H<br />
■ Konrad Fischer<br />
W<br />
4. Was sagt man über Michi<br />
Wanner?<br />
■ hat einen starken linken Fuss<br />
■ verliert nie (oder selten) die Ruhe<br />
■ hat das niedrigste Golf-Handicap<br />
der Wanner-Familie<br />
Q<br />
X<br />
5. Mit welchem Grossprojekt stürzte<br />
der Ur-Gründer der AZ Medien,<br />
Josef Zehnder, die Stadt Baden<br />
in Schulden?<br />
■ mit der Nationalbahn<br />
V<br />
■ er erfand die Badenfahrt<br />
A<br />
■ mit dem ABB-Merger<br />
F<br />
6. Wie hiess die Aargauer Familie,<br />
die einem grossflächigen Medien-<br />
Experiment unterzogen wurde?<br />
■ Giezendanner<br />
■ Kummer<br />
■ Hagenbuch<br />
E<br />
G<br />
K<br />
M<br />
7. Wie hiess der berühmteste (berühmt-berüchtigste)<br />
AZ-Kolumnist<br />
und Kommentator mit Vornamen?<br />
■ Viktor<br />
U<br />
■ Andreas<br />
P<br />
■ Wütold (oder Wutold, ahd.) X<br />
8. Was ist kein Badener Restaurant<br />
oder Ausflugsort? (Ennetbaden zählen<br />
wir – touristisch – grosszügig zu<br />
Baden)<br />
■ Baregg<br />
L<br />
■ Baldegg<br />
G<br />
■ Hertenstein<br />
N<br />
9. Was war die grösste Konzession<br />
des Badeners Peter Wanner an die<br />
Kantonshauptstadt Aarau?<br />
■ Er nannte sein Restaurant<br />
«Einstein» und nicht «Titanic» X<br />
■ er wurde Mitglied des KTV T<br />
■ er nahm am Maienzug-Bankett teil Y<br />
Bonusfrage (die Antwort findet sich weder<br />
beim Googeln im Internet noch in<br />
dieser Beilage – dafür verraten wir, dass<br />
die richtige Buchstabenfolge, die noch<br />
nicht die eigentliche Lösung ist, mit<br />
diesem Buchstaben beginnt)<br />
10. Welche Band forderte an der<br />
Badenfahrt 1997 das eigentlich noch<br />
BT-fixierte Badener Publikum erstmals<br />
zu «AZ»-Rufen heraus?<br />
■ azton<br />
M<br />
■ Rabatz für die Katz<br />
J<br />
■ The Roaring Sixties<br />
S<br />
Es geht jetzt so weiter (das Leben<br />
und das Lesen dieser Beilage sind halt<br />
kein Zuckerschlecken):<br />
Schritt 1: Schreiben Sie jetzt die Buchstaben,<br />
die zu den richtigen Antworten<br />
gehören einfach mal in die Kästchen<br />
Schritt 3 (Schritt 2 lassen wir aus): Versuchen<br />
Sie, die gefundenen Buchstaben<br />
(sind es Buchstaben?) in eine sinnvolle<br />
Reihenfolge zu bringen – genau:<br />
es fängt mit «M» an und wenn Sie «cum<br />
grano salis» vorgehen, ist es leicht.<br />
Schritt 4: Schreiben Sie jetzt die richtige<br />
Folge (von was auch immer) so hin:<br />
War Bonus: gibt nix<br />
gibt ein Verb<br />
gibt ein Adverbiale<br />
gibt ein Tempo<br />
gibt ein Adverbiale<br />
gibt ein Nomen<br />
gibt ein Verb<br />
gibt ein Tempo<br />
gibt ein Nomen<br />
gibt ein Nomen<br />
Verben: besorg dir – wirst du<br />
Adverbialia: des Morgens – am Frühstückstisch<br />
Tempos/Tempi: schleunigst – nicht<br />
mehr<br />
Nomina/Nomens: Abo – Azett – Gazett<br />
Schritt 5: Einsetzen des Materials in<br />
die Rohform des Gedichts:<br />
(Verb) - (Adverbiale) - (Tempo) froh<br />
(Adverbiale) ohne (Nomen)’,<br />
(Verb) - (Tempo) ein (Nomen)<br />
Am besten der (Nomen)<br />
Schritt 6: Reimschema und Rhythmus<br />
kontrollieren (sollte perfekt sein). Der<br />
Vierzeiler reimt und stolpert, dass es eine<br />
Freude ist.<br />
Schritt 7: Schulterklopfen (sich selbst<br />
oder jemand anderem)<br />
Die Lösung<br />
Was, gewinnen wollen Sie auch noch<br />
etwas? Schämen Sie sich nicht, Sie Materialist?<br />
Oder gehören Sie gar zu den<br />
Schlaumeiern, die gemerkt haben, dass<br />
man die ganzen Fragen für die Lösung<br />
gar nicht braucht? Die Idee stammt halt<br />
vom Verlag: Nach 20 Jahren AZ gibt es<br />
keine offenen Fragen mehr.<br />
Schritt 1: ICXXVMXLXM<br />
Schritt 3: MCMLXXXXVI = 1996<br />
Schritt 4: Wirst du -- des Morgens --<br />
nicht mehr -- am Frühstückstisch -- Gazett<br />
-- besorg dir -- schleunigst -- Abo<br />
--Azett<br />
Schritt 5:<br />
Wirst du des Morgens nicht mehr froh<br />
am Frühstückstisch ohne Gazett’,<br />
besorg dir schleunigst ein Abo<br />
am besten der Azett.
62 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />
Das Zauberwort heisst Social Media<br />
Die Medienwelt verändert sich schneller, als vielen klassischen Medienunternehmen lieb ist. Ein Grund dafür ist das<br />
verstärkte Aufkommen von Social Media Netzwerken. Wie reagieren die Medienunternehmen und die Politik darauf?<br />
von<br />
Kaspar Hemmeler<br />
Rechtsanwalt und VR<br />
der AZ Medien AG<br />
«Die Werbung wandert<br />
ab von den klassischen<br />
Medien in Social-Media-<br />
Netzwerke.»<br />
W<br />
elches sind die wertvollsten<br />
Marken der<br />
Welt? Nach neuesten<br />
Erhebungen<br />
sind dies Apple<br />
(178 Milliarden US-<br />
Dollar) und Google (133 Milliarden US-<br />
Dollar). Die Marke mit dem höchsten<br />
Wertzuwachs dieses Jahr ist allerdings<br />
das Social Media Netzwerk Facebook.<br />
Mit einer enormen Steigerung des Markenwertes<br />
von 48 Prozent prescht Facebook<br />
auf Rang 15 des Rankings vor (Markenwert<br />
32 Milliarden US-Dollar). Die<br />
Euphorie im Silicon Valley ist ungebremst.<br />
Snapchat steht kurz vor dem<br />
Börsengang mit einem geschätzten<br />
Marktwert von 25 Milliarden US-Dollar.<br />
Noch im Jahr 2013 wurde der Wert des<br />
Unternehmens auf 3 Milliarden US-Dollar<br />
geschätzt. Das sind schwindelerregende<br />
Zahlen. Die 250 Millionen US-Dollar,<br />
die Jeff Bezos 2013 für die Traditionszeitung<br />
«Washington Post» bezahlt<br />
hat, muten da geradezu mickrig an. Diese<br />
Zahlen drücken deutlich aus, wo die<br />
Zukunft im Mediengeschäft angesiedelt<br />
ist: Social Media heisst das Zauberwort.<br />
Der Wert von Nutzerdaten<br />
Social Media ist kein fauler Zauber.<br />
Die Macht von Google, Facebook & Co.<br />
ist ganz real zu spüren. Die Geschäftsmodelle<br />
von Social-Media-Netzwerken<br />
setzen klassische Medienhäuser weltweit<br />
unter Druck. Google, Facebook &<br />
Co. leben genauso von Werbung wie<br />
die traditionellen Mediengattungen Zeitung,<br />
TV und Radio. Nur profitieren Social-Media-Netzwerke<br />
bereits heute im<br />
grossen Stil von den digitalen Nutzerdaten<br />
ihrer Kunden. Das ist attraktiv,<br />
denn Werbetreibende können auf diese<br />
Weise ganz bestimmte Zielgruppen ansprechen.<br />
«Targeted Advertising»<br />
nennt man das. So ist es für Facebook<br />
mit seinen 1,7 Milliarden Nutzern möglich,<br />
in jeden Werbemarkt der Welt vorzudringen.<br />
Die Werbung wandert ab<br />
von den klassischen Medien in Social-<br />
Media-Netzwerke.<br />
Social Media ist kein fauler Zauber. Mit ihren Geschäftsmodellen setzen sie die klassischen Medienhäuser stark unter Druck.<br />
THINKSTOCK
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 63<br />
Facebook gewinnt zunehmend Bedeutung<br />
im publizistischen Bereich.<br />
So ist Facebook heute auch ein Fernsehkanal.<br />
Ein spezieller, denn der<br />
Smartphone-Nutzer ist auf diesem Kanal<br />
Produzent und Zuschauer zugleich.<br />
Zudem begünstigen die von<br />
Facebook eingesetzten Algorithmen<br />
seit Kurzem die Verbreitung von Videos.<br />
Facebook ist im aktuellen US-<br />
Wahlkampf ein wichtiger Anbieter<br />
menkomplex gehört auch die Frage, ob<br />
die SRG sich an Admeira beteiligen<br />
darf. Die Bundesverfassung enthält in<br />
Art. 93 das Gebot der Rücksichtnahme<br />
der SRG auf andere Medien. Eine Rücksichtnahme<br />
war in den letzten Jahren<br />
beim gebührenfinanzierten Senderausbau<br />
der SRG nicht zu erkennen. Das<br />
Uvek hat Admeira zunächst zugelassen.<br />
Nun hat das Bundesverwaltungsgericht<br />
das Departement gestoppt. Admeira<br />
muss nochmals beurteilt werden.<br />
«Eine zu mächtige SRG<br />
schwächt die privaten<br />
Medienhäuser. Deren<br />
Investitionen in den<br />
Schweizer Medienmarkt<br />
sind dringend nötig.»<br />
von News. Viele US-Wähler beziehen<br />
ihre Informationen über Social-Media-Netzwerke.<br />
Die erste Fernsehdebatte<br />
zwischen den beiden Präsidentschaftskandidaten<br />
haben 55 Millionen<br />
Zuschauer via Facebook verfolgt. Und<br />
Facebook animiert die US-Bürger sogar,<br />
sich für die Wahlen registrieren<br />
zu lassen – mit signifikantem Erfolg<br />
und Vorteil für Hillary Clinton. Ihre<br />
Wähler sind nämlich Facebook-Nutzer.<br />
Auch in der Schweiz gelangen immer<br />
mehr Menschen via Social Media<br />
zu News. Neben dem wirtschaftlichen<br />
nimmt also auch der publizistische<br />
Einfluss von Facebook zu.<br />
Die mächtige Stellung der SRG<br />
Diese Entwicklung wirft politische<br />
Fragen auf. Der Markt der elektronischen<br />
Medien (Radio und TV) ist in der<br />
Schweiz stark reguliert und die Debatte<br />
über die Gesetzgebung im Radiound<br />
Fernsehbereich derzeit in vollem<br />
Gang. Der Bundesrat sieht erstaunlicherweise<br />
wenig Handlungsbedarf. In<br />
seinem Bericht zum audio-visuellen<br />
Der Facebook-Auftritt der Aargauer Zeitung.<br />
Service public hält er an einer mächtigen<br />
SRG fest. So soll die SRG auch in<br />
Zukunft gleich viel Geld erhalten wie<br />
bisher – 1,2 Milliarden Franken jährlich.<br />
Dazu kommen Werbeeinnahmen<br />
von 400 Millionen Franken. Mit ihrem<br />
in den letzten Jahren stets gewachsenen<br />
Budget hat die SRG immer wieder<br />
auf Trends reagiert und ihr Programm<br />
auf 24 Radio- und TV-Sender und diverse<br />
Online-Angebote ausgebaut. Der<br />
Marktanteil der SRG TV-Sender beträgt<br />
je nach Region zwischen 28,7 und 33,6<br />
Prozent. Im Radio-Bereich liegt er sogar<br />
zwischen 64,6 und 80,4 Prozent.<br />
Schranken scheint es für die SRG<br />
keine zu geben. Als Antwort auf den<br />
digitalen Wandel soll sie sich nach Auffassung<br />
des Eidgenössischen Departements<br />
für Umwelt, Verkehr, Energie<br />
und Kommunikation (Uvek) sogar<br />
noch mit Swisscom und Ringier an der<br />
Vermarktungsgesellschaft Admeira beteiligen<br />
können. In dieser Formation<br />
wollen die Staatskonzerne SRG und<br />
Swisscom Werbetreibenden Targeted<br />
Advertising anbieten und den Social-<br />
Media-Netzwerken aus den USA die<br />
Stirn bieten.<br />
Das ist an sich keine schlechte Idee.<br />
Unklar ist nur, was mit den privaten<br />
Medienhäusern geschieht, die nicht auf<br />
eine vom Staat finanzierte Nutzerbasis<br />
zurückgreifen können. Rein betriebswirtschaftlich<br />
ist das Verhalten der SRG<br />
vielleicht nachvollziehbar. Doch ist eine<br />
solche Privilegierung der SRG auch ordnungspolitisch<br />
erwünscht?<br />
Schranken sind nötig<br />
Soll die SRG nicht primär dort tätig<br />
sein, wo Angebote privater Medien<br />
nicht genügen? Die Verleger stehen hinter<br />
dem Grundversorgungsauftrag der<br />
SRG. Sie verlangen aber von der Politik<br />
zu Recht eine Klärung, was zum öffentlich<br />
finanzierten Service public gehört<br />
und wie sich die SRG am Markt verhalten<br />
darf. Schranken sind nötig. Eine zu<br />
mächtige SRG schwächt die privaten<br />
Medienhäuser. Deren Investitionen in<br />
den Schweizer Medienmarkt sind dringend<br />
nötig, wenn die Medienvielfalt<br />
nicht abnehmen soll. In diesen The-<br />
«2+2»-Regel nicht mehr haltbar<br />
Vom Gesetzgeber ebenfalls zu hinterfragen<br />
ist die im Radio- und Fernsehgesetz<br />
enthaltene «2+2 Regel». Nach dieser<br />
Regel ist es untersagt, mehr als zwei<br />
regionale TV- oder Radiosender zu kontrollieren.<br />
Angesichts der sinkenden<br />
Werbeeinnahmen in den klassischen<br />
Mediengattungen, dem Aufkommen<br />
von Social-Media-Netzwerken und der<br />
Sender- und Programmvielfalt der<br />
marktmächtigen SRG ist diese von der<br />
digitalen Revolution längst überholte<br />
Norm nicht mehr haltbar. Die Privaten<br />
brauchen in diesem Punkt gleich lange<br />
Spiesse wie die SRG. Auch sie sollen<br />
mehr als zwei konzessionierte Radiooder<br />
TV-Sender betreiben dürfen. Die<br />
«2+2 Regel» muss gestrichen werden.<br />
Gesetzgeber muss Weichen stellen<br />
Die Zeichen der Zeit sind unverkennbar:<br />
Die Medienwelt ist im Wandel. Dieser<br />
Wandel stellt private Medienunternehmen<br />
global vor grosse Herausforderungen.<br />
Das gilt speziell für die Schweiz<br />
mit ihren kleinen sprachregionalen Medienmärkten.<br />
Es bieten sich aber auch<br />
Chancen. Die AZ Medien sehen ihre<br />
Chancen weiterhin im publizistischen<br />
Bereich. Gegen den Trend investiert<br />
das Unternehmen weiterhin in Inhalte.<br />
Aber nicht nur die Verleger, auch der<br />
Gesetzgeber ist jetzt gefordert. Er muss<br />
die Weichen stellen, damit hierzulande<br />
die Medienvielfalt weiterhin gewährleistet<br />
ist.
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />
Beilage zu 20 Jahre Aargauer Zeitung<br />
Wie weiter? Die fünfte Generation der Zehnder-<br />
Wanner-Dynastie will AZ Medien auch in die Zukunft<br />
führen. Die gedruckte Aargauer Zeitung wird es noch<br />
eine Weile geben. Aber die Digitalisierung der Medienwelt<br />
ist für die Medienhäuser eine Herausforderung.<br />
■ Michael und Florian<br />
Wanner werden von<br />
ihrer Schwester Anna<br />
«gegrillt». Das Interview.<br />
■ Gratulationen zum<br />
20-Jahr-Jubiläum der<br />
Aargauer Zeitung. Glückund<br />
andere Wünsche.<br />
■ Der Schriftsteller<br />
Hermann Burger über<br />
den Lokaljournalismus<br />
im Aargauer Tagblatt.<br />
■ «Als ich die Seite(n)<br />
wechselte»: Nur Autor<br />
Max Dohner war in<br />
beiden Redaktionen.<br />
SEITE 67 UND 68<br />
SEITE 70, 71, 72 UND 73<br />
SEITE 74<br />
SEITE 77
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 67<br />
«Wir sind mit Medienerzeugnissen aufgewachsen»: Michael, Anna und Florian Wanner – die fünfte Generation.<br />
«Verwalten wäre schlecht – wir wollen<br />
unternehmerischen Weg weiterführen»<br />
Sie sind die fünfte Generation: Michael, Anna und Florian Wanner, die Kinder von Maja und Verleger Peter Wanner.<br />
Sie wollen im Familienunternehmen die Tradition weiter führen. Was gerade nicht heisst, alles so zu lassen, wie es ist.<br />
VON ANNA WANNER (INTERVIEW)<br />
UND ALEX SPICHALE (FOTOS)<br />
J<br />
osef Zehnder, der streitbare<br />
Politiker, Drucker, Journalist<br />
und Verleger, stand am Anfang<br />
der Medientradition der Familie<br />
Wanner. Er verkaufte sein<br />
Unternehmen an seinen Enkel<br />
Otto Wanner I. Auf ihn folgten Eugen<br />
und Otto Wanner II. Er ist der Grossvater<br />
von Michael, Anna und Florian<br />
Wanner, die sich anschicken, in die<br />
Fussstapfen von Vater Peter Wanner zu<br />
treten. Ihre Schwester Caroline ist Ärztin.<br />
Die anderen drei wollen aber ins<br />
Mediengeschäft einsteigen. Michael<br />
und Florian im Management, Anna in<br />
der Publizistik. So mussten sich die<br />
Brüder von der Schwester, mittlerweile<br />
Co-Leiterin der Bundeshausredaktion<br />
der Aargauer Zeitung, «grillen» lassen.<br />
Vor einem Jahr habt ihr beide<br />
operative Führungspositionen im<br />
Unternehmen übernommen. Wann<br />
kommt es zum «Hosenlupf» – wann<br />
übernimmt die junge Generation?<br />
Michael: Wichtiger als wann, ist, dass<br />
es einen gibt: Wenn wir die Verantwortung<br />
übernehmen, müssen wir auch<br />
handeln können.<br />
Florian: Wir müssen unterscheiden<br />
zwischen strategischen sowie medienpolitischen<br />
Aufgaben des Verlegers und<br />
den operativen Aufgaben. Die Abgrenzung<br />
muss klar sein, sonst wird es<br />
schwierig.<br />
Michael: Der «Hosenlupf» ist insofern<br />
längst im Gange: Peter hat die operative<br />
Führung ja bereits 2009 abgegeben.<br />
Funkt Peter immer noch drein?<br />
Michael: Das wird er auch weiterhin<br />
tun – und das ist gut so. Er kennt das<br />
Unternehmen am besten und hat viel<br />
Erfahrung. Wir wären blöd, wenn wir<br />
dieses Wissen nicht nutzen würden.<br />
Florian: Als Verleger hat er die Aufgabe,<br />
Inputs zu geben. Das ist wichtig. Bei<br />
alltäglichen Aufgaben sollte er sich hingegen<br />
raushalten.<br />
Das klingt nicht nach Hosenlupf . . .<br />
Michael: Ein Generationenwechsel<br />
passiert ja nicht von heute auf morgen.<br />
Jetzt haben Florian und ich erst einmal<br />
Verantwortung für einzelne Geschäfte<br />
übernommen und dort Herausforderungen<br />
zu bewältigen. Zudem besteht<br />
keine Eile. Wir haben ein gut funktionierendes<br />
Management-Team bei AZ<br />
Medien.<br />
Werdet ihr das Unternehmen<br />
gemeinsam führen?<br />
Michael: Das entscheiden ja am Ende<br />
nicht wir. Aber wir wollen beide Verantwortung<br />
übernehmen und können<br />
uns grundsätzlich vorstellen, die Zukunft<br />
von AZ Medien gemeinsam zu gestalten.<br />
«1996 war Print noch ein<br />
Wachstumsmarkt. Die<br />
Fusion war ein mutiger<br />
Schritt nach vorne.<br />
Das hat uns erlaubt,<br />
weiter zu wachsen.»<br />
Florian: Das ist ein grosser Vorteil: Wir<br />
können die Aufgaben auf zwei Schultern<br />
verteilen und uns gegenseitig unterstützen.<br />
Oder es bricht ein Konkurrenzkampf<br />
aus und ihr streitet<br />
miteinander.<br />
Michael: Natürlich braucht es auch da<br />
eine klare Rollenverteilung. Aber ich<br />
sehe die Konstellation als Chance. Wir<br />
haben unterschiedliche Kompetenzen<br />
und Persönlichkeiten – und ergänzen<br />
uns sehr gut.<br />
Wie?<br />
Florian: Michael hat starke analytische<br />
Fähigkeiten und bewahrt stets die Ruhe<br />
. . .<br />
. . . im Gegensatz zu dir, Florian?<br />
Florian: Ja. Ich zeige gerne mal Emotionen.<br />
Michael: Florian hat eine grosse Leidenschaft<br />
und eine Begeisterungsfähigkeit,<br />
die ich sehr schätze. Wir ergänzen<br />
uns auch inhaltlich. Ich habe journalistisch<br />
mehr Erfahrung, Florian im Verkauf.<br />
Der grösste Wert aber ist Vertrauen<br />
– jemanden zu haben, auf den<br />
man sich verlassen kann.<br />
Florian: Schwierig sind Entscheide<br />
dann, wenn kein vollständiges Vertrauen<br />
vorhanden ist. Wenn Zweifel bestehen,<br />
ob das Gegenüber auch im besten<br />
Interesse des Unternehmens handelt<br />
oder ob es einfach an seiner eigenen<br />
Karriere bastelt. Diese Situation<br />
gibt es bei uns nicht.<br />
Die Fusion zwischen AT und BT<br />
galt als nahezu epochales Ereignis.<br />
Das kann man sich heute kaum<br />
mehr vorstellen.<br />
Michael: 1996 war Print noch ein<br />
Wachstumsmarkt. Die Fusion war ein<br />
mutiger Schritt nach vorne. Damit haben<br />
wir eine kritische Grösse erreicht,<br />
die es uns erlaubt hat, weiter zu investieren<br />
und zu wachsen. Heute ist Print<br />
am Schrumpfen und die Konsolidierung<br />
geschieht aus der Defensive.<br />
Sind überhaupt vergleichbare<br />
Schritte heute noch denkbar?<br />
Florian: Im Printmarkt sind weitere<br />
Konsolidierungen der natürliche Fortgang.<br />
Im Digitalbereich oder im Bereich<br />
der neuen Medien ist noch viel<br />
Neues möglich – etwa ein neuartiges<br />
Produkt.<br />
Ein neues Produkt wie das von<br />
Journalisten lancierte Projekt R?<br />
Michael: Zum Beispiel. Ich freue mich<br />
über die Investition in ein journalistisches<br />
Produkt. Zum Geschäftsmodell<br />
hat man bisher noch nicht viel erfahren.<br />
Darauf bin ich gespannt.<br />
Peter hat mit dem Aufbau von<br />
Radio, Fernsehen und digitalen<br />
Medien vorausschauend investiert<br />
und wichtige Grundsteine gelegt.<br />
FORTSETZUNG AUF SEITE 68
68 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />
FORTSETZUNG VON SEITE 67<br />
Bleibt euch mehr als die<br />
Verwaltung seines Erbes?<br />
Michael: Verwalten wäre ganz<br />
schlecht. Was bisher zum Erfolg geführt<br />
hat – und was die DNA des Unternehmens<br />
ausmacht: Peter hat das Erreichte<br />
nie einfach verwaltet und sich<br />
hohe Dividenden ausbezahlt, sondern<br />
Gewinne reinvestiert und neue Risiken<br />
genommen, um weiter zu wachsen.<br />
Das ist der unternehmerische Weg, den<br />
wir weiterführen müssen. Er ist fürs<br />
Überleben notwendig.<br />
Florian: Mit der Bewältigung der<br />
Digitalisierung sind wir noch nicht so<br />
weit, wie andere Schweizer Medienhäuser.<br />
Wenn wir nur verwalten, werden<br />
wir schnell abgehängt.<br />
Was muss besser werden?<br />
Florian: Die regional starken Marken,<br />
die wir haben, müssen wir weiter<br />
pushen. In Zeiten der Globalisierung<br />
wird die Verbundenheit zur Scholle erhalten<br />
bleiben. Und zwar egal, ob TV,<br />
Radio oder Print – oder ein Online-Portal.<br />
Im Regionalen liegen unsere Chancen<br />
und unsere Stärken, diese müssen<br />
wir aber besser nützen.<br />
Wo hinken wir in der Digitalisierung<br />
den anderen Medienhäusern<br />
hinterher?<br />
Michael: Wir müssen unterscheiden<br />
zwischen zwei Aufgaben. Zum einen:<br />
Wie können wir das alte Geschäft aus<br />
dem Print in die digitale Welt transformieren?<br />
Da sind wir zwar noch lange<br />
nicht am Ziel, aber im Branchenvergleich<br />
ordentlich unterwegs. Bei der<br />
zweiten Aufgabe, rein digitale Geschäftsmodelle<br />
zu entwickeln, sind wir<br />
noch nicht so weit.<br />
Kannst du das erklären?<br />
Michael: Den Einstieg ins digitale Geschäft<br />
haben alle Verlagshäuser verschlafen.<br />
Im Gegensatz zu den grösseren<br />
Wettbewerbern hatten wir einfach<br />
nicht die Kriegskasse, um für mehrere<br />
hundert Millionen Franken ein profitables<br />
Digitalgeschäft hinzuzukaufen –<br />
wie Tamedia etwa bei jobs.ch oder Ricardo.<br />
Der Werbemarkt bricht jedes Jahr<br />
stärker ein. Wie lässt sich der Journalismus<br />
in Zukunft finanzieren?<br />
Michael: Das ist das grosse, ungelöste<br />
Rätsel. Ich bin aber überzeugt, dass es<br />
auch in Zukunft eine Nachfrage für gut<br />
gemachten Journalismus geben wird,<br />
speziell im Regionalen. Wie das<br />
Geschäftsmodell dann einmal aussehen<br />
wird, ist noch nicht klar. Es wird sich –<br />
wie die Zeitung früher auch – auf<br />
mehrere Einnahmequellen abstützen<br />
müssen.<br />
Florian: Nur mit Bannerwerbung für<br />
Reichweite und Klickzahlen kann man<br />
die Vielfältigkeit, die der Journalismus<br />
braucht, nicht finanzieren. Positiv ist<br />
immerhin die Entwicklung, dass sich<br />
die Konsumenten langsam wieder daran<br />
gewöhnen, für Inhalte im Internet<br />
Geld zu bezahlen. Das war am Anfang<br />
anders . . .<br />
«Was muss besser werden?» – Fragen von Journalistin Anna an Radio-24-Geschäftsführer Florian und Michael Wanner, Geschäftsführer von Watson.<br />
. . . wer bezahlt für Inhalte?<br />
Florian: Spotify, Netflix, für beide zahle<br />
ich ein Abo. Das sind Inhalte. Dann<br />
hat die «Bild»-Zeitung in Deutschland<br />
eine geschlossene Paywall eingeführt.<br />
Das sind neue Wege. Ob sie für alle<br />
funktionieren, lässt sich nicht abschätzen.<br />
Es ist ein Wandel in der Einstellung,<br />
alles gratis beziehen zu können.<br />
Kennt ihr noch jemanden in<br />
unserem Alter, der eine Zeitung<br />
abonniert hat?<br />
Florian: Nein. Klassische Printtitel<br />
nicht, eher Special-Interest-Magazine.<br />
Michael: Ich kenne Einzelne.<br />
Nervt euch das?<br />
Michael: Es ist müssig, sich darüber zu<br />
ärgern. Es ist eine Entwicklung, mit der<br />
wir umgehen müssen.<br />
Lest ihr selbst Zeitung?<br />
Michael: Ja, sehr gerne sogar. Ich mag<br />
die Haptik und dass es ein abgeschlossenes<br />
Produkt ist. Ich komme aber<br />
hauptsächlich am Wochenende zum<br />
ausführlichen Lesen.<br />
Florian: Ich blättere eher in Zeitungen.<br />
Und ich stosse dabei regelmässig auf Informationen,<br />
die ich bei Newsportalen<br />
verpasse, weil dort nur sichtbar ist, was<br />
am besten klickt. Eine Zeitung gibt ein<br />
viel umfassenderes Bild.<br />
Eure Ausbildung sowie die Berufserfahrung<br />
hat euch Tür und Tor für<br />
lukrative Jobs geöffnet. Banker,<br />
Berater, Anwalt. Wieso Medien?<br />
Michael: Weil es eine Riesenchance<br />
ist, ins eigene Unternehmen einzusteigen,<br />
Verantwortung zu übernehmen<br />
und gestalten zu können. Zudem<br />
habe ich eine grosse Leidenschaft für<br />
journalistische Produkte. Wir sind damit<br />
aufgewachsen. Heute scheint es<br />
wichtiger denn je, guten Journalismus<br />
zu erhalten. Da haben wir als Verlag<br />
auch eine gesellschaftspolitische Verantwortung.<br />
«Beim Zeitungsblättern<br />
stosse ich regelmässig<br />
auf Informationen, die ich<br />
bei Newsportalen verpasse,<br />
weil dort nur sichtbar<br />
ist, was am besten klickt.»<br />
Lockte das grosse Geld denn nie?<br />
Florian: Es ist kein Geheimnis, dass<br />
sich in anderen Branchen mehr Geld<br />
verdienen liesse. Doch die Chance zu<br />
erhalten, so früh Verantwortung zu<br />
übernehmen, ist einmalig. Und dieses<br />
Vertrauen zu spüren, spornt an. Faszinierend<br />
an der Branche ist die Rolle,<br />
welche die Medien in einer Demokratie<br />
einnehmen: Aufklärung und<br />
Einordnung.<br />
Michael: Aber natürlich haben wir<br />
auch das Ziel, Geld zu verdienen. Wir<br />
befinden uns in einer Transformations-Phase,<br />
die mit sehr viel Unsicherheit<br />
verbunden ist. Wenn wir alleine<br />
aufs Geld schauen würden, könnten<br />
wir den Laden verkaufen und in Immobilien<br />
investieren.<br />
Die Branche hat eine Zukunft?<br />
Florian: Sicher!<br />
Aller Pessimismus über rücklaufende<br />
Werbezahlen sind Schwarzmalerei?<br />
Michael: Nein. Der Strukturwandel ist<br />
in vollem Gange. Ich gehe davon aus,<br />
dass Print nicht ganz verschwinden<br />
wird. Aber es wird neue Modelle brauchen<br />
und neue Einnahmequellen, um<br />
Journalismus zu finanzieren. Und es<br />
gibt ja auch gute Nachrichten – etwa<br />
dass Medien mehr Menschen erreichen<br />
können als je zuvor.<br />
Florian: Unser Vorteil ist, dass wir<br />
sehr gut aufgestellt sind: Im Print sind<br />
wir stark, im Fernsehen wachsen wir<br />
und Radio hält sich konsequent. Radio<br />
ist das Medium, das am wenigsten<br />
unter der Digitalisierung leidet. Wir<br />
reden zwar in Bezug auf den Medienmarkt<br />
von einem kleinen Teil, aber er<br />
ist wichtig fürs Unternehmen.<br />
Läuft es bei Radio 24 gut?<br />
Florian: Auch das Radiomachen hat<br />
bessere Zeiten gesehen. Aber wir verdienen<br />
damit Geld.<br />
Watson befindet sich noch immer<br />
in der Aufbauphase. Wie lange<br />
dauert es noch, bis das Projekt<br />
fliegt – oder bis der Geldhahn<br />
zugedreht wird?<br />
Michael: Wir ziehen es durch. Wir<br />
brauchen etwas länger als ursprünglich<br />
geplant. Aber das Produkt ist gut und<br />
wir sind schon weit gekommen. Jetzt<br />
haben wir ein paar Weichen gestellt,<br />
von denen wir uns schnelleres Wachstum<br />
erhoffen.<br />
Welche?<br />
Michael: Wir investieren ins Marketing,<br />
entwickeln neue Produkte und<br />
bauen Video aus – Letzteres ist vor allem<br />
kommerziell interessant.<br />
Welche Medien habt ihr heute<br />
bereits konsumiert?<br />
Florian: Radio, Watson und diverse soziale<br />
Medien.<br />
Facebook?<br />
Florian: Instagram, Facebook und<br />
Snapchat.<br />
Michael: Ich starte am morgen jeweils<br />
mit Watson, lese die AZ auf dem Tablet<br />
und an guten Tagen die gedruckte NZZ.<br />
Zwischendurch nutze ich Facebook.<br />
Ausführlich lese ich am Wochenende.<br />
Und abends? Schaut ihr noch fern?<br />
Florian: Selten.<br />
Michael: Fussball und zeitverschoben<br />
die «Tagesschau».<br />
Garage FAES AG, 5727 Oberkulm – www.garagefaes.ch – 062 768 20 20<br />
062 835 60 66, garage-rebmann-aarau.ch
70 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />
Happy Birthday:<br />
Gratulationen zum<br />
20. Geburtstag<br />
Der Schriftsteller, die Musikerin, der Komiker,<br />
die Ständerätin und der Aargauer des Jahres:<br />
Persönlichkeiten aus dem Aargau sagen, was<br />
sie an der AZ schätzen und was sie sich von<br />
ihrer Zeitung für die Zukunft wünschen.<br />
HO<br />
«Ich nütze heute zwar auch online die<br />
Nachrichten, habe aber nach wie vor<br />
die Aargauer Zeitung und den Wohler<br />
Anzeiger abonniert, denn Zeitunglesen<br />
auf Papier finde ich immer noch<br />
gemütlicher. Dass die nächsten Generationen<br />
diese Beziehung zur Zeitung<br />
nicht mehr haben werden, das liegt in<br />
der Natur des ständigen Wandels. Ich<br />
werde aber noch längere Zeit beide<br />
Kanäle nutzen, das ist mein Geburtstagsgeschenk<br />
an die AZ.»<br />
Peach Weber Komiker<br />
«Die AZ ist für mich als Aargauer<br />
Staatsschreiberin natürlich Pflichtlektüre.<br />
Meist bereitet sie auch Lesevergnügen.<br />
Die AZ ist die erste Zeitung,<br />
die ich frühmorgens auf das iPad lade<br />
– und das will etwas heissen. Im Zeitungskopf<br />
auf der Titelseite steht Aargauer<br />
Zeitung. Für mich ist die Lektüre<br />
der AZ umso interessanter, desto<br />
mehr über den Aargau und vor allem<br />
die aargauische Kantonalpolitik darin<br />
zu lesen ist. Ich finde auch, dass der<br />
Kanton Aargau als Namenspate der<br />
AZ eigentlich einen eigenen, kantonalen<br />
Bundauftakt verdient hätte.»<br />
«Die AZ ist für mich Pflichtlektüre.<br />
Wer sich für Politik und<br />
Wirtschaft im Aargau interessiert,<br />
kommt an der AZ nicht<br />
vorbei. Sie informiert verständlich,<br />
was bei uns und in<br />
der Welt läuft. Der Aargau und<br />
das Mittelland brauchen eine<br />
eigenständige Stimme.»<br />
Daniel Knecht<br />
Präsident<br />
Aargauische<br />
Industrie- und<br />
Handelskammer<br />
Vincenza Trivigno Aargauer Staatsschreiberin<br />
CHRIS ISELI<br />
ALEX SPICHALE
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 71<br />
SANDRA ARDIZZONE<br />
«Exakt vor 20 Jahren, als<br />
die AZ aus der Taufe gehoben<br />
wurde, bin ich in den<br />
Aargau gezogen. Die AZ<br />
verbindet als einziges Printmedium<br />
im Kanton alle<br />
Regionen. Weil auch wir in<br />
allen Aargauer Regionen<br />
verankert sind, lese ich<br />
mein «Heimblatt» täglich<br />
via Tablet und regelmässig<br />
auch die Printversion. Die<br />
AZ gefällt mir gut, weil sie<br />
sich stetig wandelt. Ich bin<br />
überzeugt, dass sie auch in<br />
Zukunft dank gutem Journalismus<br />
in gedruckter und<br />
digitaler Form erfolgreich<br />
sein wird.»<br />
Roland Herrmann<br />
CEO Neue Aargauer Bank<br />
ALEX SPICHALE<br />
«Die Aargauer Zeitung<br />
überzeugt tagtäglich mit<br />
fundierten Informationen<br />
aus den Regionen. Ich gratuliere<br />
den Machern für die<br />
aus meiner Sicht gelungene<br />
Einbindung der Zeitung in<br />
die weiteren Medien der<br />
AZ-Gruppe. Ich wünsche<br />
der Zeitung weiterhin viel<br />
Mut und Erfolg bei der Verbindung<br />
der physischen<br />
und digitalen Welt!»<br />
Pascal Koradi Direktionspräsident<br />
Aargauische Kantonalbank<br />
SANDRA ARDIZZONE<br />
«Ich erinnere mich sehr<br />
gut an die ‹Geburt› der<br />
Aargauer Zeitung, die<br />
zeitlich exakt mit meinem<br />
Einstieg in die<br />
Politik zusammenfällt.<br />
Ob während meiner<br />
Zeit im Badener Einwohnerrat,<br />
im Grossen<br />
Rat, im National- oder<br />
aktuell im Ständerat:<br />
Die AZ war und blieb<br />
Bestandteil der wichtigsten<br />
Tageslektüre.<br />
Nicht zuletzt deshalb,<br />
weil darin nebst News<br />
aus der grossen weiten<br />
Welt und nationalen<br />
Schlagzeilen auch die<br />
Geschehnisse vor der<br />
eigenen Haustür ihren<br />
Platz finden: die Aktualitäten<br />
in den<br />
Regionen und<br />
Quartieren.»<br />
Pascale Bruderer Ständerätin
72 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 73<br />
«Was wünscht man einer<br />
20-Jährigen? Ernsthafte<br />
Konkurrenz. Damit man<br />
jeden Morgen beim Kaffee<br />
nicht aus schierer Not in ihr<br />
blättert, sondern weil sie<br />
die Beste ist. Ausgereift<br />
im Wettbewerb.»<br />
Susanne Hochuli abtretende<br />
Regierungsrätin<br />
Vor dem Winter<br />
«Gern winke ich der AZ schnell und herbstlich<br />
hinterher und hoffe, dass sie sich nie<br />
wieder in so kalte Zeiten ‹zurückbuchstabiert›,<br />
wie es die Siebziger- und Achtzigerjahre<br />
gewesen sind. (Auch wenn ihr Kulturteil<br />
damals noch ergiebiger war!) –<br />
In diesem Sinn und mit dem heftigen<br />
Wunsch, unsere Zeitung vermöge in Zukunft<br />
noch klarer und mutiger zu unterscheiden<br />
zwischen politischer Arbeit und lärmiger<br />
Betriebsamkeit: Alles Gute!»<br />
Klaus Merz Schriftsteller<br />
OLIVER MENGE<br />
«Die AZ ist für den Aargauer<br />
wie der Walliser Bote für<br />
den Walliser. Von Leuten<br />
gemacht, die über den<br />
Tellerrand schauen und<br />
nicht nur links von rechts<br />
unterscheiden können.<br />
Ich gratuliere.»<br />
Sina Sängerin<br />
«Die AZ ist für mich und für alle<br />
aargauischen Unternehmen<br />
eine enorm wichtige Informations-<br />
und Geschäftsplattform.<br />
Ich wünsche mir, dass<br />
die AZ weiterhin DIE Tageszeitung<br />
für die KMU in allen Regionen<br />
bleibt. Vielen Dank für<br />
die wertvollen Publikationen<br />
und herzliche Gratulation!»<br />
SANDRA ARDIZZONE<br />
Rocco Umbescheidt<br />
Aargauer des Jahres 2015<br />
«Ich lese die<br />
Aargauer Zeitung<br />
täglich bei der<br />
Arbeit an der Höheren<br />
Fachschule<br />
Gesundheit und<br />
Soziales in Aarau<br />
und verfolge so<br />
das Zeitgeschehen.<br />
Zuweilen nutze ich auch die App<br />
und lese Artikel online. Inhaltlich fokussiere<br />
ich neben dem internationalen Teil<br />
auf die Lokalnachrichten und den Sportteil.<br />
Ich wünsche der Aargauer Zeitung,<br />
dass sie auch in Zukunft unabhängigen,<br />
kritischen und fundierten Journalismus<br />
im Sinne der Bevölkerung umsetzen<br />
kann. Bei globaler Betrachtung der Medienlandschaft<br />
ist Meinungsfreiheit ein<br />
Gut, das nicht selbstverständlich ist, und<br />
ein unerlässlicher Beitrag für eine demokratische<br />
und gebildete Gesellschaft.»<br />
ALEX SPICHALE<br />
«Die Aargauer Zeitung hat bei mir zu Hause<br />
seit 20 Jahren einen festen Platz auf<br />
dem Zmorgetisch. Die neusten Nachrichten<br />
lese ich auch täglich unterwegs vom<br />
Natel aus. Die AZ informiert vertieft und<br />
unabhängig, und sie deckt die Aargauer<br />
Regionen wie auch unseren Kanton als<br />
Ganzes ab. Für die Meinungsbildung der<br />
Aargauerinnen und Aargauer – mich eingeschlossen<br />
– hat die AZ damit einen unschätzbaren<br />
Wert. Ich wünsche dem Unternehmen<br />
und seinen Mitarbeitenden<br />
weiterhin viel Erfolg und dass sie<br />
in der bisherigen journalistischen<br />
Qualität auch in Zukunft<br />
die wichtige Funktion als gesamtaargauische<br />
Informationsquelle<br />
wahrnehmen und<br />
sich gesamtschweizerisch<br />
Gehör verschaffen.»<br />
Roland Brogli abtretender Regierungsrat<br />
ALEX SPICHALE<br />
SANDRA ARDIZZONE<br />
HO<br />
Kurt Schmid Präsident Aargauischer<br />
Gewerbeverband
74 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />
Barzels Universalroman<br />
Der Schriftsteller Hermann Burger war Kulturredaktor beim Aargauer Tagblatt und eine wichtige Stimme der modernen<br />
Schweizer Literatur. Nachhall seiner Zeit auf der AT-Redaktion findet sich im Nachlassroman «Lokalbericht». Ein Auszug.<br />
VON HERMANN BURGER<br />
A<br />
b und zu stelle ich mir eine unerlaubte<br />
Gewissensfrage, zum Beispiel:<br />
Wen beneidest du am meisten<br />
in der Stadt? Keine Frage,<br />
weil die Antwort täglich in der<br />
Tageszeitung erscheint. Lokalredaktor<br />
zu sein, ist ein wundervoller Beruf.<br />
Ich möchte ein ganzes Leben lang Ferien<br />
haben, um ein ganzes Leben lang auf die<br />
Lokalseite einer städtischen Tageszeitung angewiesen<br />
zu sein. Aus südlicher Distanz liest<br />
sich das Lokale einer unbedeutenden Stadt<br />
wie der spannendste Kriminalroman mit<br />
365 Fortsetzungen im Jahr. Die Fortsetzung<br />
folgt bis in alle Ewigkeit. Der Lokalredaktor<br />
Barzel ist in meinen Augen der glücklichste,<br />
weil unbewussteste Schriftsteller der Welt. Er<br />
trägt ein riesiges Mosaik aus kleinsten, buntesten<br />
Steinchen zusammen, ohne an die Illusion<br />
eines Gesamtplanes zu glauben. Und dabei fallen<br />
ihm die grössten Perlen in den Schoss, sofern<br />
ein Mann für einmal einen Schoss haben<br />
darf. Mal schreibt er über die Jahresversammlung<br />
der Philatelisten, mal über die Fahnenübergabe<br />
bei der Blechmusik, mal über den<br />
Kaninchenzüchterverein. Kulturelles verträgt<br />
sich neben Banalem. Er sammelt Splitter und<br />
Anekdoten, schiebt eine Betrachtung über unsere<br />
Eidechsen ein, wärmt alte Bräuche auf,<br />
und immer findet sich im Archiv ein malerisches<br />
Altstadtbild. Wie es früher einmal war.<br />
Altvertraut und immer wieder schön. Als man<br />
in der Rathausgasse noch am Brunnen<br />
waschen konnte. Eine wischende Frau verführt<br />
zum Aphorismus: Morgentoilette in der<br />
Pelzgasse. Seinen alten Reiz behalten hat der<br />
Blick von der Zinne auf die Giebel der Haldenhäuser.<br />
Dann wieder nackte Gegenwart: Unzucht<br />
im Pissoir des Oberturmes, dreistündige<br />
Sitzung des Einwohnerrates, Sommerzeit – Jugendfestzeit.<br />
Oder Zukunftsvision: Welchen<br />
Altstadtblock werden die Parkplätze morgen<br />
verschlingen? Wie werden die Kadetten in<br />
zehn Jahren daherkommen? Wo führt die Gewässerverschmutzung<br />
hin? Wer wird nach Annahme<br />
der Schwarzenbach-Initiative die Tiere<br />
im Wildpark Roggenhausen füttern? Also ein<br />
Durcheinander, Gewurstel, Mischmasch, Potpourri,<br />
Tohuwabohu, Sammelsurium, eine<br />
Menkenke? Nach Professor Kleinert und Felix<br />
Neidthammer nicht mehr und nicht weniger<br />
als ein definitionsgerechter Nouveau Roman<br />
mit allen Raffinessen: Wechsel des Standortes,<br />
Herumturnen in Zeiten und Zeitformen, Anführungszeichen-Stil,<br />
der sich selber nicht<br />
ernst nimmt, keine Handlung, gebrochene<br />
Form, nichtige Aussage und kollektive Autorschaft.<br />
Denn Barzel schreibt natürlich nicht alles<br />
selber. Darüber hinaus hält sich dieser Roman<br />
an modernste Erscheinungspraktiken. Er<br />
erreicht täglich mindestens 30 000 Leser,<br />
ohne dass sie in die Buchhandlung laufen müssen.<br />
Er ist billig. Die Druckfehler sind einkalkuliert,<br />
und die Erlaubnis zum Abdruck ist gestattet.<br />
Er wirbt mit Schlagzeilen aus der Politik<br />
und aus der Sportwelt unauffällig für sich.<br />
Hermann Burger (1942–1989).<br />
YVONNE BÖHLER<br />
Er bewältigt Gegenwart und Vergangenheit. Er<br />
ist wegwerfbar, der erste Wegwerfroman. Er<br />
wird nicht interpretiert und nicht bekrittelt. Er<br />
baut die Leserbriefe ein. Er ist zu allem hinzu<br />
noch ein Schlüsselroman. Er ist obszön, verlogen,<br />
mystisch und wahr zugleich. Er ist poesievoll,<br />
hochdramatisch und langweilig episch.<br />
Man kann ihn von hinten nach vorn und von<br />
vorne nach hinten lesen. Oder man kann ihn<br />
überhaupt nicht lesen und ist dennoch über<br />
seinen Inhalt informiert, weil er sich täglich ereignet,<br />
nicht nur im Schildkrötenkopf Barzels,<br />
auf den Strassen, Gassen und Gässchen. Er<br />
touchiert alle grossen Themen der Zeit, von<br />
der Militärdienstverweigerung bis zur Zifferblattrenovation<br />
des Oberturms. Er ist Liebesund<br />
Eheroman ohn’ Unterlass, Nachttischlektüre<br />
für Ihn und für Sie, Kinder lesen ihn<br />
oder falzen Schiffchenmützen daraus und tragen<br />
ihn nicht im, sondern auf dem Kopf. Regierungsräte<br />
vertreiben sich die Zeit damit, und<br />
Professoren putzen sich, zumindest auf den<br />
Toiletten des alten Schulhauses, den Hintern<br />
damit, kurz: Barzel schreibt und lässt schreiben<br />
den Universalroman, von dem jeder<br />
Schriftsteller träumt, der im «Mann ohne Eigenschaften»<br />
und in «Zettels Traum» vergeblich<br />
angestrebt wird, weil zu dick, zu teuer, zu<br />
gescheit, zu unlesbar und was weiss ich alles.<br />
Und das Beneidenswerteste wie gesagt: Barzel<br />
ist sich dessen nicht einmal bewusst, hat keine<br />
Zahnschmerzen von Neidthammerschen Wurzelbehandlungen,<br />
kennt keine Honorarsorgen<br />
und keinen Ideenausfall, denn er notiert die<br />
Geschichte auf, die das Leben schreibt. Er<br />
muss nicht auf die Suche nach dem Stil gehen,<br />
weil ihn der Stil buchstäblich heimsucht und<br />
mit allen Wassern wäscht. Er kennt keine Hürde<br />
mit der Aufschrift: So kann man heute nicht<br />
mehr schreiben, denn seine Kunst hat es nicht<br />
nötig, von können zu kommen. Sie leitet sich<br />
in höchst eigenwilliger Etymologie von kunterbunt<br />
ab. Wissen Sie, fragt der Duden, dass<br />
«kunterbunt» etwas mit Kontrapunkt zu tun<br />
hat? Barzels Kunst ist die Kunst des Kontrapunkts.<br />
Sie ist wortwörtlich gegen den Punkt,<br />
überhaupt gegen Satzzeichen. Sie ergiesst sich<br />
endlos wie ein Strom, wie der Strom des Lebens<br />
selbst. Darum mein Geheimtipp: Das Jahresabonnement<br />
der Tageszeitung kostet nur<br />
Fr. 53.–. Zählen Sie einmal Ihre Romane zusammen<br />
und rechnen Sie aus, welche Summe<br />
sie verschlungen haben, ohne im geringsten<br />
der Übersicht, Handlichkeit und Omnivalenz<br />
dieses Universalromans zu entsprechen.<br />
Hermann Burger: Lokalbericht. Aus dem Nachlass<br />
herausgegeben von Peter Dängeli, Magnus<br />
Wieland, Irmgard M. Wirtz und Simon Zumsteg.<br />
Zürich: Edition Voldemeer, 2016.<br />
Der Text ist auch abrufbar in der Beta-Version<br />
open access online: www.lokalbericht.ch.<br />
Hermann Burger (1942–1989) war Germanist und<br />
Schriftsteller. Ab 1975 war er als Privatdozent für<br />
deutsche Literatur an der ETH Zürich und als<br />
Feuilletonredaktor beim Aargauer Tagblatt tätig.<br />
Sein bekanntester Roman ist «Schilten» (1976).
Mittagsbuffet<br />
à discrétion<br />
Montag bis Freitag<br />
nur Fr. 20.–<br />
Lunchbox Fr. 12.–<br />
Fr. + Sa. Abendbuffet<br />
Fr. 39.50.–<br />
à la carte<br />
Restaurant Kormasutra<br />
Bahnhofstrasse 57 · 5000 Aarau<br />
Tel. 062 824 04 00<br />
www.kormasutraaarau.ch
76 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />
«Erster Blick in die Aargauer Zeitung»<br />
Was Schülerinnen und Schülern 1996 zu diesem Thema einfällt
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 77<br />
Wie ein Söldner ewig Kameraden klopfen<br />
Bei zwei kleinräumigen Zeitungen war es verwunderlich, dass nur ein Journalist zum «Tagblätter-Swinger» wurde.<br />
Nämlich vom BT zum AT wechselte, dann zurück ins gleiche Büro, fortan mit AZ-Logo. Logischerweise ein Zürcher.<br />
von<br />
Max Dohner<br />
Autor<br />
E<br />
inzig lebendig erschien an<br />
jenem fernen und allerersten<br />
Tag nur ein Engel.<br />
Heute stört es niemanden<br />
mehr, wenn rundum alle<br />
hocken wie flügellahme Krähen. Wenn<br />
Augen erloschen ins Vakuum glasen –<br />
das heisst aufs Handy. Vor dem glazialen<br />
iPhone-Zeitalter aber wirkten manche<br />
Leute auch nicht frischer.<br />
Freiwillig konnte einen – gerade noch<br />
als jugendlich durchzuwinkenden –<br />
Hallodri jedenfalls nichts verlocken, in<br />
einen solchen trüben Kreis zu treten.<br />
Aber wenn sich eine Türe öffnet, worin<br />
ein ernstes Gremium stumm den Novizen<br />
erwartet, tritt man demütig ein:<br />
Der Fuss geht über eine Schwelle, das<br />
Gefühl über eine Klippe.<br />
übernehmen. Und fortan, nicht anders<br />
als ein alter Eidgenoss, wie ein Söldner,<br />
als «ATler» nun halt den «BTlern» publizistisch<br />
auf die Rübe zu geben, sich<br />
nichts weiter als professionell zu verhalten<br />
in diesem fröhlichen Metier.<br />
Und in der Mitte ein schwarzes<br />
Telefon aus gutem altem Bakelit<br />
Umso verblüffter war ich, als sich<br />
Kollegen vom BT dann doch einmal humorlos<br />
zeigten. Ein AT-Gerichtsreporter<br />
und ich standen auf vom Tisch in irgendeiner<br />
«Eintracht» oder «Sonne»,<br />
wo wir mit unseren Freunden vom BT<br />
während irgendeines «Jahrhundert-Prozesses»<br />
den Pausenkafi geschlürft und<br />
das Gipfeli reihum gereicht hatten. «So,<br />
jetzt gehen wir wieder BTler klopfen»,<br />
sagte einer von uns vernehmlich, was<br />
uns nach Meinung jener, ebenso laut,<br />
in die Nähe eines Körperteils brachte,<br />
das mit «A» begann wie AT.<br />
Von solchen «Herausforderungen»<br />
ahnte der Novize nichts, als er an jenem<br />
fraglichen Montag in Aarau jenen<br />
gipsgrauen Redaktionsraum betrat und<br />
auf eine bleiern ernste Runde traf, mit<br />
«Das AT war der<br />
publizistische Salon des<br />
ausgelaugten Aarauer<br />
Freisinns, hors-sol, gern<br />
intellektuell. Kein Krethiund-Plethi-Forum<br />
wie<br />
das BT, gern provinziell.»<br />
«In irgendeiner ‹Eintracht›<br />
oder ‹Sonne› sass man<br />
mit der Konkurrenz<br />
zusammen und liess<br />
Gipfeli reihum laufen, ehe<br />
eine Seite dann trotzdem<br />
den Humor verlor.»<br />
Das war der Kreis der AT-Redaktion,<br />
an seiner montäglichen Wochenplanung.<br />
Und der Engel hiess – natürlich –<br />
Eva: jung, langbeinig, schön. Die Augen<br />
himmelblau, das Wesen beschwingt, im<br />
Lächeln etwas kokett Siegesgewisses,<br />
etwas irgendwie Französisches.<br />
Eva war die Sensation, der Novize,<br />
zehn Jahre älter, kaum der Notiz wert.<br />
Wirkte ohnehin seriöser, einen Neuling<br />
nicht allzu warm zu begrüssen.<br />
Schliesslich war das die ehrwürdige Redaktion<br />
des ehrwürdigen AT und kein<br />
Partyclub. Trotz abgetretener Teppiche<br />
und verblichener Tapete der publizistische<br />
Salon des ausgelaugten Aarauer<br />
Freisinns: hors-sol, aber gern intellektuell.<br />
Kein Krethi-und-Plethi-Forum wie<br />
das BT: lokal agil, gern provinziell.<br />
Zwei «Kulturen», vermengt mit<br />
«Feu sacré» zu einer «Familie»<br />
Nun kam der Novize aber gerade von<br />
Baden nach Aarau, was selten genug<br />
geschah. Wusste also, dass die beiden<br />
«verschiedenen Kulturen» sich auf zwei<br />
Der Autor vor – egal wie vielen – Jahren, im «Print» geblieben, zwischen den späteren TV-Moderatorinnen Susanne Wille und<br />
Eva Wannenmacher.<br />
AZ-ARCHIV/ROLF JENNI<br />
Ebenen völlig glichen: im regionalen<br />
Dünkel und in der Alterseinbildung.<br />
War in Aarau der erste Vorwitz stärker,<br />
so war’s beim BT die gockelhafte Anciennität,<br />
Junge nie wirklich anzuhören,<br />
es sei denn, sie rührten denselben<br />
Kalten-Krieg-Quark an wie die Alten.<br />
Das AT war einen Tick liberaler, das BT<br />
einen Tick anarchischer. Man hätte darum<br />
beides ruhig auch vor der Fusion<br />
mal vertauschen können, ohne dass<br />
sich vermutlich «die Kulturen» grundlegend<br />
verändert hätten.<br />
Nicht zuletzt das erleichterte am Ende<br />
die Fusion: die «AZ-Familie», wofür<br />
unter anderem ein Samstag geopfert<br />
werden musste, um gemeinsam das<br />
«Feu sacré» zu zünden.<br />
Nebenher führte das zur stillen Rückkehr<br />
des einzigen Tagblätter-Swingers<br />
ins exakt gleiche Badener Büro, woraus<br />
er einst abgezogen worden war. Solchen<br />
Erfahrungen muss man dankbar<br />
sein; sie führen zu einer Lebenserheiterung,<br />
die sich durch keine noch so<br />
schrullige Wendung des Schicksals je<br />
wieder eintrüben lässt.<br />
Als Novize wusste man damals natürlich,<br />
was sich gehört: die Vorurteile der<br />
jeweiligen Redaktion ungefiltert zu<br />
einem schwarzen Telefon in der Mitte.<br />
Zehn Männer, ein Tribunal. Aber, wie<br />
man sofort spürte, nicht mit einheitlichem<br />
Urteil. Das schuf Platz – und Freiheit<br />
–, hier mit seiner Arbeit skeptisch,<br />
dort ermutigend eingeschätzt zu werden.<br />
Darüber tauschten wir beiden Neulinge<br />
uns anschliessend aus, einesteils<br />
fluchtartig, anderseits gwundrig und<br />
amüsiert, im Kafi «Brändli»: Eva, mein<br />
Einstiegsengel, und ich, der Veteran gegen<br />
Nervenflattern. Schon nach einer<br />
Woche bekam die AT-Runde Gesichter,<br />
bekam vor allem Kontur, Handschrift<br />
und Charakter.<br />
Salü, Theo und Hermann, Henri le<br />
Tireur, salü Franz … vor allem Oski, der<br />
es als das Vernünftigste der Welt ansah,<br />
eine Zeitungsseite integral mit Bleisatz<br />
zu füllen, nur mit Wörtern. Schliesslich<br />
werde eine Zeitung von intelligenten<br />
Leuten gelesen, die sich, anders als<br />
Kinder, nicht an Bildern delektieren. In<br />
der Freizeit spielte Oski Bratsche.<br />
Heute ist alles anders – und alles andere<br />
unvergessen.
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NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />
Wer schon einmal zwei Tode<br />
gestorben ist, kann der länger leben?<br />
Die «richtige» Zeitung bot möglichst viel und Vielfältiges, damit umso mehr Leute sie lasen. Das machte sie interessant<br />
für Breitseitenwerbung. Heute ist das nicht mehr angesagt. Sie erhielt deshalb auch schon einen «Nachruf».<br />
von<br />
Christoph Bopp<br />
Autor<br />
«Digitalisierung»<br />
bedeutet nur, dass wir<br />
jetzt alle kleine Geräte<br />
in den Händen oder<br />
im Hosensack haben.»<br />
D<br />
ie Zeitung hats – wir wissen<br />
es längst – schwer. Einige<br />
sagen zudem: Sie ist<br />
so schwer getroffen, dass<br />
sie praktisch tot ist. Andere<br />
sagen sogar: Sie ist<br />
zwei Tode gestorben. (Davon unten<br />
mehr.) Wer hat die Zeitung umgebracht?<br />
Die Digitalisierung. Eine Antwort,<br />
die schlüssig klingt, aber nach Erklärung<br />
verlangt. Was heisst «Digitalisierung»?<br />
– Die offensichtlichste Antwort<br />
ist aber die falschmöglichste. Die<br />
Welt ist nicht etwa «digital» geworden.<br />
Etwas ist nicht entweder «digital» oder<br />
«analog», sondern es kommt darauf an,<br />
wie man hinschaut. Ob die Welt in der<br />
tiefsten Wahrnehmung in diskrete Einzelteile<br />
zerschnitten werden kann oder<br />
ob es da einfach als Kontinuum dahinblubbert<br />
– niemand weiss es. Auch die<br />
gescheitesten Physiker nicht.<br />
«Digitalisierung» scheint eine Art Veränderung<br />
zu bezeichnen. Es ist aber<br />
nicht eine grundlegende Veränderung<br />
unseres Verständnisses – dass wir es<br />
jetzt besser wüssten –, sondern einfach<br />
eine Frage der Praxis. «Digitalisierung»,<br />
so dürften junge Leute antworten, die<br />
nicht auf den Mund gefallen sind, hat<br />
etwas mit Computern zu tun. Klar. Die<br />
Computer haben aber nicht etwas mit<br />
der Welt angestellt oder mit der Realität,<br />
wovon wir nichts mitbekommen<br />
hätten. Es ist einfach so, dass wir jetzt<br />
alle solche Geräte in den Händen oder<br />
im Hosensack haben.<br />
Und warum tragen wir die mit uns<br />
herum? Sie sind unübertreffbar praktisch,<br />
weil sie «Medien» sind. Diese Geräte<br />
erfüllen die vier Aufgaben der Medien<br />
mit wenig Platz- und sonstigem<br />
Aufwand perfekt: Sie können speichern<br />
(und wiedergeben), übertragen, rechnen<br />
und kommunizieren.<br />
Digitalisierung ist Gerätewelt<br />
So betrachtet, ist «Digitalisierung» entweder<br />
trivial oder dann wieder ein sehr<br />
komplexes Phänomen. Trivial ist die Erklärung<br />
des Erfolgs der Smartphones und<br />
Co., dass es bisher nichts Derartiges gab.<br />
Es gab relativ unhandliche Geräte für<br />
Speichern (geschrieben – und gelesen –<br />
wird schon sehr lang), für Übertragen (ein<br />
sehr handliches Gerät war lange das<br />
Buch) – Rechnen und Kommunizieren<br />
sind dagegen Medienleistungen, für die es<br />
erst seit kurzem Geräte gibt. Trivial ist<br />
auch, dass es schlicht keinen Sinn hat,<br />
sich gegen dieses Universalgerät aufzulehnen.<br />
Da geht viel mehr vorher kaputt, bevor<br />
sie verschwinden.<br />
Und ebenso trivial ist es jetzt, den<br />
Tod der Zeitung (oder sagen wir mal:<br />
ihre Gefährdung) durch die kleinen<br />
Freunde im Hosensack zu erklären.<br />
Wer bündelt schon gerne Altpapier? –<br />
Ja, es ist klar, es gibt sympathischere<br />
Fragen: Der Gang zum Briefkasten am<br />
Morgen – eine sehr anmächelige Handlung;<br />
Kaffee und das Gipfeli und das Papier<br />
in der Hand – ein Inbegriff von Gemütlichkeit.<br />
Aber dem Geklapper der<br />
Hufe zu lauschen, ist auch gemütsberuhigend.<br />
Trotzdem haben wir Autos –<br />
KARIKATUR: SILVAN WEGMANN
NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 79<br />
und Velos. Und fahren gut damit.<br />
Fahren und Lesen sind doch zweierlei?<br />
Beim Fahren ahnt man, was die<br />
Nostalgie ist. Kutsche ist o. k., aber dem<br />
ursprünglichen Zweck, schnell von A<br />
nach B zu kommen, dient das Autofahren<br />
besser. Beim Lesen ist der Zweck<br />
nicht so einfach anzugeben. Ja, lesen ist,<br />
Informationen zur Kenntnis zu nehmen,<br />
um gescheiter zu werden. Nicht<br />
gerade falsch, aber ein ziemlich beschränkter<br />
Zweck.<br />
Zeitung lesen hat einen unbestreitbaren<br />
Vorteil. Man weiss, dass man damit<br />
irgendwann fertig ist. Ob man alles liest<br />
oder nur selektiv, ist nicht so wichtig.<br />
Denn die Zeitung «führt» den Leser, indem<br />
sie ihm nur das bringt, was relevant<br />
ist (oder von einer Redaktion dafür<br />
gehalten wird), und sie bringt es<br />
ihm auf eine Weise, die es ihm leicht<br />
macht, das Mass der Relevanz einzuschätzen.<br />
Das Lesen der Zeitung ist –<br />
im Idealfall – ein gesteuerter Prozess<br />
und der Gewohnheitsleser weiss, wie<br />
er mit ihm umgehen muss, damit das<br />
Resultat seinen Ansprüchen genügt.<br />
Der Mensch – ein neugieriges Tier<br />
Und warum funktioniert das überhaupt?<br />
Es ist manchmal nicht ungefährlich,<br />
auf Fragen dieser Art einfach eine<br />
anthropologische Grundkonstante anzugeben,<br />
aber hier scheint es erlaubt:<br />
Der Mensch ist ein neugieriges, ein<br />
newssüchtiges und durchaus auch wissensbegieriges<br />
Wesen.<br />
Diese Konstante ist wenigstens in der<br />
Geschichte der Zeitung durchaus am<br />
Werk gewesen. Nach der Erfindung des<br />
Buchdrucks – zuvor kursierten allerdings<br />
schon allerlei von Hand geschriebene<br />
Zettel – dauerte es keine 100 Jahre,<br />
bis die ersten Zeitungen erschienen.<br />
Sie dienten fast ausschliesslich der<br />
Übertragungsfunktion: Abdrucken und<br />
verteilen. News und Meldungen wurden<br />
mehr oder weniger unverändert<br />
ins Blatt gerückt. Und die Kriege, die<br />
Europa im 16. und 17. Jahrhundert<br />
heimsuchten, boten News genug. Wer<br />
auf politische oder ähnliche Wirkung<br />
erpicht war, verliess sich eher aufs<br />
Flugblatt – oder dann auf die Kanzel.<br />
Die Reklame schuf die Zeitung<br />
Die Zeitung als Ort der Debatte war eine<br />
Sache, die mit der Aufklärung aufkam.<br />
Wer wen befördert hat, die geistige<br />
Strömung das Printprodukt oder umgekehrt,<br />
ist schwer zu sagen. Den Impuls<br />
zur modernen Zeitung mit Ressortstruktur<br />
und dergleichen gab aber die<br />
Reklame. Lokale Information, lokale Reklame<br />
– das ist klar. Aber dass Auflage<br />
auch Reichweite bedeutete, das wurde<br />
erst klar, als es Inserenten gab, die mehr<br />
bezahlten, je mehr Leute angesprochen<br />
wurden. Die Zeitung musste also danach<br />
trachten, möglichst viel zu bieten,<br />
um viel Publikum zu erreichen.<br />
Damit wären wir beim Geschäftsmodell.<br />
«Richtige» Zeitungen wurden<br />
schon immer mit dem Inserateeinkommen<br />
finanziert und nur zweitrangig mit<br />
den Aboerträgen. Heute sagen die Verleger:<br />
Mit dem, was die Leute zu bezahlen<br />
bereit sind, kann man Journalismus<br />
kaum finanzieren.<br />
Wie Reklame wirkt, ist zwar auch eine<br />
schwierige Frage. Heute scheint die<br />
allgemeingültige Auffassung zu sein,<br />
dass personalisierte Werbung besser<br />
ist. Sie ist «effizient». Die Zeiten der<br />
Breitseitenwerbung – «one size fits all»<br />
– sind vorbei. Für die meisten Werber<br />
sind die Zeitungen nicht mehr interessant.<br />
Es gibt geeignetere Möglichkeiten,<br />
Konsumenten gezielt anzusprechen.<br />
Das ist der «eine Tod» der Zeitung.<br />
Sie ist kein Geschäftsmodell mehr. Vielleicht<br />
wird es immer Leute geben, die<br />
für bedrucktes Papier zahlen, aber es<br />
werden wohl immer weniger sein. Und<br />
die unheilvolle Schraube ist ja schon<br />
lange im Gang: Weil die Verleger weniger<br />
einnehmen, müssen sie sparen und<br />
die Zeitung wird inhaltlich und äusserlich<br />
dünner, was sie weniger attraktiv<br />
macht, und so weiter.<br />
Und was wäre der «andere Tod», den<br />
die Zeitung gestorben ist? Die Rede<br />
vom «doppelten Tod» stammt vom<br />
österreichischen Publizisten Michael<br />
Fleischhacker. Er hat der Zeitung gar<br />
einen «Nachruf» geschrieben. Dort<br />
stellt er dem anderen Daseinszweck,<br />
den viele der Zeitung zuschreiben,<br />
ebenfalls den Totenschein aus. Zeitungen<br />
sind keine «vierte» oder gar «fünfte<br />
Gewalt» im demokratischen Staat. Das<br />
sei «eine idealisierte Fiktion».<br />
Man tut gut daran, dies einmal zur<br />
Kenntnis zu nehmen und allfällige Verteidigungsreflexe<br />
zu unterdrücken. Die<br />
Gewaltentrennung sollte ja der Kontrolle<br />
der Staatsmacht dienen. Diese muss<br />
nicht einmal demokratisch kontrolliert<br />
«Weniger einnehmen<br />
heisst sparen, das macht<br />
die Zeitung inhaltlich und<br />
äusserlich dünner und<br />
weniger attraktiv - voilà<br />
die Unheilsschraube.»<br />
oder gesteuert sein. Jetzt soll der Staat<br />
diese «vierte Gewalt» am Leben erhalten,<br />
wenn es die Konsumenten – oder<br />
die Bürger – nicht mehr tun? Natürlich<br />
ist es weiterhin wichtig, den Mächtigen,<br />
Amtsträgern und sonstigen Politikern<br />
auf die Finger zu schauen. Aber kann<br />
das nur die gedruckte Zeitung tun?<br />
Ebenso schwierig einzuschätzen ist<br />
die soziale Funktion der Zeitung: Sie sei,<br />
sagte der Dramatiker Arthur Miller, «das<br />
Gespräch der Nation mit sich selbst» –<br />
oder anders: die (Selbst-)Reflexion der<br />
Gesellschaft. Der Journalismus hält der<br />
Gesellschaft den Spiegel vor, dass sie<br />
sich erkennt – und allenfalls ändert.<br />
Als Wunsch ist das höchst plausibel.<br />
Aber die Beobachtung der Medienrealität<br />
ergibt einen anderen Befund. Journalismus<br />
scheint – wenn schon Reflexion<br />
– dann eher die eigene zu sein. Redaktionen<br />
geben stolz an, wie oft sie in<br />
anderen Medien zitiert wurden. Was<br />
sollten Journalisten eigentlich tun? «Die<br />
Wahrheit» schreiben? Man wird den<br />
Eindruck nicht los, dass es Publikationen<br />
gibt, die sich eher damit befassen,<br />
die «eigene Wahrheit» gegen die der anderen<br />
aufzurichten.<br />
Die Gutenberg-Galaxis<br />
Am meisten gegen die These von der<br />
«vierten Gewalt» spricht das Nutzungsverhalten.<br />
Das Reden von der «Mediendemokratie»<br />
ist nicht grundlos. Das Mediensystem<br />
ist ein selbstreferenzielles<br />
System, das heisst, es wird bei Gebrauch<br />
immer plausibler und immer<br />
stärker. Die Regeln werden gemacht<br />
und man bedient sich ihrer. Das wissen<br />
vor allem diejenigen, welche in den Medien<br />
vorkommen wollen: Stars und Politiker.<br />
Und die Konsumenten sprechen<br />
dem Schrillen und Auffälligen zu. Also<br />
mehr davon für beide.<br />
Bevor wir die Schuld an der ganzen<br />
Misere endgültig den Lesern zuschieben,<br />
weil sie einfach nicht einsehen<br />
wollen, was sie wirklich wollen sollten,<br />
treten wir einen Schritt zurück. Die Krise<br />
der Zeitung ist ein Symptom. Zeitungen<br />
sind ein Phänomen der frühen<br />
Neuzeit. Mit ihnen erscheint erstmals<br />
ein Medium, dessen Medialität klar erkennbar<br />
ist. Sie waren das erste Massenmedium.<br />
Schriftlichkeit war allerdings<br />
schon Platon suspekt. «Philosophische<br />
Schau», theoria, und Text – das<br />
verträgt sich schlecht. Aber die Dichter<br />
und Sänger einfach rausschmeissen?<br />
Die Leute wollen die Lieder hören.<br />
Denn ein Schicksal im Lied – das ist geordnete<br />
Wirklichkeit. Wenn der irrende<br />
Odysseus bei den Phäaken von seinen<br />
Irrfahrten erzählt, irrt da nichts mehr.<br />
Das ist mehr als Schein und Literatur.<br />
Von Marshall MacLuhan stammt die<br />
Prägung «Gutenberg-Galaxis». Und er<br />
meint damit, die Ära des Textes, der linearen<br />
Erzählung. Ein Buch liest man<br />
von vorn nach hinten, eines folgt dem<br />
anderen. Das mächtigste Welterklärungsinstrument<br />
ist die Kausalität: Alles<br />
ist Wirkung einer Ursache und wird<br />
selber wieder Ursache. Dieses Welterklärungsmodell<br />
findet zu sich selbst<br />
bei den Heroen der Naturwissenschaft:<br />
Bacon, Galilei, Newton und all die, die<br />
dann auf ihren Schultern stehen.<br />
MacLuhan sprach schon in den<br />
1960er-Jahren vom «global village». Die<br />
Welt wird zum Dorf. Die wohlgeordnete<br />
lineare Schriftlichkeit löst sich wieder auf<br />
ins beliebige Geschwätz des Marktplatzes.<br />
Promis und Proleten und Potentaten<br />
– alles zusammen und zugleich.<br />
Mittlerweile spricht man von einer<br />
«Gutenberg-Paranthesis» und meint,<br />
dass die rund 400 Jahre nur eine Zwischenepoche<br />
gewesen sind. So wie der<br />
Westfälische Frieden den Nationalstaat<br />
hervorgebracht hat, der jetzt – trotz allen<br />
gegenteiligen Beschwörungen – an<br />
seine Grenzen gekommen ist, ist auch<br />
das lineare Modell in der Wissenschaft<br />
nicht mehr vorherrschend. Und die<br />
neuen Medien sind klar nichtlinear.<br />
Das klingt wirklich wie ein Todesurteil<br />
für die Zeitung und für den Journalismus.<br />
Vielleicht sollten wir uns<br />
aber doch auf die anthropologische<br />
Grundkonstante zurückbesinnen. «Seit<br />
ein Gespräch wir sind», befand schon<br />
Hölderlin, «und hören können voneinander»,<br />
wollen wir das wohl auch in<br />
Zukunft. Vielleicht wird sich der Journalismus<br />
als «kluger öffentlicher Gesprächspartner»<br />
neu erfinden können.<br />
«Öffentlichkeit», demokratisch-deliberatives<br />
Räsonnement, das scheint zwar<br />
ein höchst prekäres Gebilde. Aber man<br />
darf die Hoffnung nicht aufgeben, dass<br />
auch töggelnde Finger einmal zur Ruhe<br />
kommen. Aber wie man jemanden dazu<br />
bringt, dafür zu bezahlen – diese<br />
Frage ist noch ziemlich weit von einer<br />
Antwort entfernt. Vielleicht muss dafür<br />
neben dem linearen Textmodell auch<br />
das Geldmodell der Wirtschaft an Wirksamkeit<br />
verlieren?