03.11.2016 Aufrufe

20JAZ_001_080_opt1

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

AZ 5000 AARAU | FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />

Beilage zu 20 Jahre Aargauer Zeitung<br />

4. November 1996: Heute vor 20 Jahren erschien<br />

die erste Aargauer Zeitung. Die Ankündigung der<br />

Fusion von Aargauer Tagblatt und Badener Tagblatt<br />

überrascht die Öffentlichkeit. Die grössten Konkurrenten<br />

auf dem Aargauer Zeitungsmarkt künftig vereint?<br />

■ Verleger Peter Wanner<br />

über die Zeitungsfusion,<br />

unternehmerisch eher<br />

Aufbruch als Ankunft.<br />

■ Von Anfang an dabei:<br />

Verwaltungsräte<br />

Hans-Peter Zehnder<br />

und Philip Funk.<br />

■ «Wie war das damals,<br />

Herr Wanner?» Alles<br />

Relevante rund um die<br />

Fusion. Das Interview.<br />

■ Der Historiker Markus<br />

Somm über Josef<br />

Zehnder, «Ur-Gründer»<br />

der AZ Medien.<br />

SEITE 3 UND 4<br />

SEITE 6 UND 7<br />

SEITE 12, 13 UND 14<br />

SEITE 23 UND 24


NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 3<br />

Über<br />

allen Gipfeln<br />

ist Unruh’<br />

20 Jahre sind vorbei seit der historischen<br />

Fusion von «Aargauer Tagblatt» und «Badener<br />

Tagblatt». Es ist, als wäre es gestern geschehen.<br />

Nicht wie schnell diese 20 Jahre verflogen<br />

sind, ist das Beeindruckende, sondern wie viel<br />

sich in diesen 20 Jahren verändert hat!<br />

von<br />

Peter Wanner<br />

Verleger<br />

A<br />

ls wir die Fusion zustande<br />

gebracht hatten,<br />

dachten wir: Jetzt bricht<br />

das goldene Zeitalter an.<br />

Wir waren der Überzeugung,<br />

endlich eine starke<br />

Marktstellung erreicht zu haben.<br />

Heute müssen wir sagen, es fängt alles<br />

nochmals von vorne an, denn im<br />

Internet-Zeitalter werden die Karten<br />

neu gemischt. Vorab müssen wir mit<br />

unseren Medien die digitale Transformation<br />

bewältigen. Da stehen wir mittendrin.<br />

Ich vergleiche die Situation stets mit<br />

einer Bergtour. Jeder erfahrene Alpinist<br />

weiss, wie viel gefährlicher der Abstieg<br />

ist als der Aufstieg. Bei den Print-Medien<br />

ist das auch so. Den Aufstieg haben<br />

wir gut bewältigt und wir konnten<br />

auf Gipfelhöhe lange die Sonne geniessen.<br />

Nun hat der Abstieg begonnen,<br />

und der ist beschwerlich genug. Doch<br />

halt! Wir müssen nicht gleich ins Tal<br />

hinunter, wir müssen nur zur nächsten<br />

SAC-Hütte gelangen. Denn von dieser<br />

Hütte aus planen wir verlockende Touren,<br />

Aufstiege auf neue digitale Gipfel.<br />

FORTSETZUNG AUF SEITE 4 3. November 1996 irgendwann am Abend: Die neue AZ läuft. KEYSTONE


4 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />

NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />

FORTSETZUNG VON SEITE 3<br />

Der gute Bergsteiger gibt nie auf, er<br />

plant nach vollbrachter Tat bereits die<br />

nächste Bergtour.<br />

Was haben wir nicht alles bewegt in<br />

diesen 20 Jahren. Es gab High- und<br />

Lowlights. Gleich nach der Fusion<br />

mussten wir Dutzende von Arbeitsplätzen<br />

im defizitären Kundendruck<br />

abbauen, um unternehmerische Fitness<br />

zu erlangen. Dann kündigten wir<br />

den Inserate-Pachtvertrag mit der Publicitas,<br />

ohne unsere Partner-Verlage in<br />

Olten und Zofingen rechtlich genügend<br />

abgesichert zu haben. Es brauchte ein<br />

paar Jahre, um das Vertrauen wieder<br />

herzustellen, was insbesondere dem<br />

damaligen Verwaltungsratspräsidenten<br />

Jürg Schärer gelang.<br />

Konzentrisches Wachstum<br />

Mit dem Start der «Mittelland Zeitung»<br />

(2<strong>001</strong>) zündeten wir eine weitere<br />

Wachstums-Rakete; Zofingen, Olten<br />

und Solothurn waren mit an Bord. Im<br />

Jahr 2005 konnten wir uns an der<br />

Vogt-Schild AG (Solothurner Zeitung)<br />

mit 17,5% beteiligen, zwei Jahre später<br />

erhöhten wir die Beteiligung auf 35%,<br />

mussten aber im Gegenzug erneut eine<br />

Pacht mit der Publicitas (P) eingehen,<br />

weil wir sonst nicht an das Aktienpaket,<br />

das diese an der Vogt Schild AG<br />

hielt, herangekommen wären. Nachdem<br />

die P einen ungenügenden Job gemacht<br />

hatte und wir deswegen mit einer<br />

Schadenersatzklage drohten, konnten<br />

wir die Inserate-Pacht vorzeitig beenden.<br />

Im Jahre 2007 lancierten wir<br />

den «Sonntag» (heutige «Schweiz am<br />

Sonntag»), womit wir nationale Bedeutung<br />

erreichten, weil das Blatt mehr<br />

«Andere machten den<br />

Schirm zu oder verkauften<br />

das Unternehmen.<br />

Wir aber drückten<br />

aufs Gaspedal und<br />

waren risikofreudig.»<br />

war als nur eine siebte Ausgabe. Im<br />

gleichen Jahr gelang es, auch noch die<br />

Basellandschaftliche Zeitung an Land<br />

zu ziehen. Die vollständige Übernahme<br />

der Vogt Schild AG erfolgte dann im<br />

Jahr 2009 (die Grafik finden Sie auf Seite<br />

17).<br />

In der ersten Hälfte der vergangenen<br />

20 Jahre haben wir mit voller Kraft auf<br />

Expansion gesetzt. Die Strategie war, in<br />

konzentrischen Kreisen zu wachsen.<br />

2008 kam die Zäsur mit dem Bankrott<br />

der Lehman Brothers und der darauffolgenden<br />

Finanz- und Verschuldungskrise.<br />

Die anschliessende Inserate-Flaute<br />

zwang alle Medienunternehmen zu<br />

happigen Restrukturierungs- und Sparmassnahmen.<br />

Nachdem wir dies überstanden<br />

hatten, setzten wir die Expansion<br />

fort mit dem Kauf von Tele Züri<br />

und Tele Bärn (2011) und der Übernahme<br />

von Radio 24 (2012). Den Abschluss<br />

dieser Expansionsphase in elektronische<br />

und digitale Medien bildete<br />

Fusion: Verleger Peter Wanner, AT-VR-Präsident Arthur Gross und der designierte Chefredaktor Franz Straub (von rechts). KEYSTONE<br />

Hotel Arte Spreitenbach: Hier trafen sich Vertreter von AT und BT zu geheimen Fusionsverhandlungen.<br />

die Lancierung des Online-Portals Watson<br />

(2013/2014).<br />

Zu Anfang der 10er-Jahre setzte spürbar<br />

der digitale Strukturwandel ein.<br />

Das Nutzungsverhalten nicht nur der<br />

jungen Leute begann sich zu ändern.<br />

Auch ältere Leute haben sich damit angefreundet,<br />

die Zeitung auf dem Tablet<br />

oder auf dem Smartphone zu lesen.<br />

Hinzu kommt eine um sich greifende<br />

Gratis-Kultur: Inhalte werden kostenlos<br />

angeboten, die Bezahlschranke funktioniert<br />

nur in den wenigsten Fällen. Parallel<br />

dazu gingen die Werbeerträge bei<br />

Print-Erzeugnissen, vor allem im Bereich<br />

der Stellen- und Immobilienanzeigen,<br />

massiv zurück. Dies alles<br />

machte und macht den Medienunternehmen<br />

zu schaffen – und natürlich<br />

auch uns.<br />

PETER WANNER<br />

Und wie geht es jetzt weiter?<br />

Eigentlich könnten wir stolz sein auf<br />

das Erreichte. Andere machten den<br />

Schirm zu oder verkauften das Unternehmen,<br />

wir hingegen drückten aufs<br />

Gaspedal und waren risikofreudig. Mit<br />

250 Millionen Umsatz und gegen 1000<br />

Beschäftigten haben wir eine Unternehmensgrösse<br />

erreicht, die beachtlich<br />

ist; zudem sind wir breit diversifiziert,<br />

was von Vorteil ist. Doch was<br />

nützt uns dieses Schulterklopfen,<br />

wenn alle doch wissen möchten, wie<br />

es weitergeht?<br />

Man kann uns vorwerfen, wir hätten<br />

die digitale Revolution verschlafen. Mit<br />

der Herstellung von Inhalten könne<br />

man kein Geld mehr verdienen, nur<br />

noch mit Transaktionen auf digitalen<br />

Plattformen. Das heisst, wir hätten in<br />

Jobs- und Immobilienplattformen investieren<br />

müssen, mit denen man heute<br />

das grosse Geld macht. Die Kritik ist<br />

berechtigt. Nur wüsste ich nicht, woher<br />

wir das Geld hätten nehmen sollen.<br />

Wir hätten mindestens 100 bis<br />

200 Mio. Franken lockermachen müssen,<br />

und die waren einfach nicht vorhanden.<br />

Trotzdem darf man nicht einem unreflektierten<br />

Pessimismus verfallen.<br />

Mehr denn je sind Innovation und<br />

Kreativität gefragt. Es ist klar, dass sich<br />

Medien in Richtung digitale Plattformen<br />

bewegen müssen, auf denen mehr<br />

als nur News und Hintergrundberichte<br />

«Zeitungen werden<br />

nicht verschwinden,<br />

aber sie kommen<br />

nicht umhin, ihre<br />

Erscheinungsfrequenz<br />

zu ändern.»<br />

angeboten werden. Services, Produkte<br />

und Leserangebote aller Art müssen da<br />

feilgeboten werden, so wie früher die<br />

Zeitungen ganz selbstverständlich lokale<br />

Marktplätze waren.<br />

Und die Zeitungen selber? Sie werden<br />

nicht verschwinden, aber sie kommen<br />

nicht umhin, ihre Erscheinungsfrequenz<br />

zu ändern, d. h. sie werden<br />

nicht mehr jeden Tag erscheinen, weil<br />

die schnelle Information besser auf<br />

dem Tablet oder dem Smartphone zu<br />

haben ist. AZ Medien überlegen sich<br />

deshalb ernsthaft, an einem Tag nicht<br />

mehr als Print-Ausgabe zu erscheinen,<br />

dafür digital. Denn das Teure an der<br />

Herausgabe einer Zeitung ist nicht die<br />

Redaktion, sondern der Druck, das Papier<br />

und der Vertrieb.<br />

«Die Zukunft der Tageszeitung ist die<br />

Wochenzeitung»: Diese Aussage hat<br />

kurz vor seinem Tod der italienische<br />

Schriftsteller und frühere Journalist Umberto<br />

Eco in einem Interview mit der<br />

«Zeit» gemacht. Andernorts kommt<br />

man auf ähnliche Ideen. So hat kürzlich<br />

ein junger Medienwissenschafter, Andreas<br />

Moring aus Hamburg, gesagt: «Die<br />

gedruckte regionale Tageszeitung sollte<br />

ihre Erscheinungsweise umstellen auf<br />

zwei bis drei Tage in der Woche.»<br />

Bis es so weit ist, dürfte es noch einige<br />

Jahre dauern. Vielleicht geht es auch<br />

schneller. Es kommt ganz auf das Nutzungsverhalten<br />

der Leserinnen und Leser<br />

an. Möchten Sie noch lange eine<br />

Printausgabe in den Händen halten<br />

oder reicht es Ihnen, wenn Sie nur<br />

noch drei- oder viermal pro Woche die<br />

Zeitung im Briefkasten haben? Informieren<br />

Sie sich an anderen Tagen über<br />

digitale Geräte, womöglich mit personalisierten<br />

Push-Nachrichten?<br />

Die Reduktion der Erscheinungsfrequenz<br />

auf Papier heisst aber nicht,<br />

dass das Ende des Journalismus eingeläutet<br />

wird. Im Gegenteil! Nach wie vor<br />

sind Einordnung, Erklärung und Orientierung<br />

gefragt, journalistische Qualität,<br />

Haltung und Glaubwürdigkeit.<br />

Übersicht und Ehrlichkeit in der Information!<br />

In einer Welt, wo jedermann<br />

über Social Media seinen Senf verbreiten<br />

kann, bleibt dies die Kernaufgabe<br />

des Journalismus.


6 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />

NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />

Der medialen Aufspaltung vorgebeugt<br />

Der Verwaltungsrat des Aargauer Tagblatts war der Fusions-Idee aus politischen Überlegungen zugetan.<br />

von<br />

Hans-Peter Zehnder<br />

Unternehmer und<br />

Verwaltungsrat<br />

der AZ Medien AG<br />

M<br />

ittwoch, 17. Mai 1995:<br />

Im Rotary Club Wynenund<br />

Suhrental war Peter<br />

Wanner als Referent<br />

zur «Mediensituation<br />

im Aargau» eingeladen<br />

worden. Im Restaurant «Herberge»<br />

in Teufenthal berichtete er über die<br />

Trends in der Medienwelt. Brisant waren<br />

seine Ausführungen zur Zeitungslandschaft:<br />

Der Ostteil des Kantons würde<br />

vom Badener Tagblatt (BT) beherrscht,<br />

der Westteil vom Aargauer Tagblatt (AT)<br />

respektive der Mittelland-Zeitung. Seines<br />

Erachtens bestände die Gefahr, dass der<br />

Kanton Aargau sich medienmässig aufspalte,<br />

wenn sich die beiden Zeitungen<br />

vermehrt in Richtung Zürich respektive<br />

Zofingen oder Basel orientierten. Ein solches<br />

Szenario würde auch politisch und<br />

wirtschaftlich zu einer Aufspaltung des<br />

Kantons führen, der damit seine Identität<br />

verlöre.<br />

Nach dem Ende des Lunchs stellte<br />

ich mich bei Peter Wanner vor. Ich hatte<br />

ihn zuvor nie persönlich getroffen,<br />

jedoch von ihm bei den Beratungen im<br />

VR des AT viel gehört. Unser Gespräch<br />

dauerte etwa zehn Minuten. Die Botschaft,<br />

die ich mitnahm: Peter Wanner<br />

bedauerte, dass seitens des AT kein<br />

Wille zu einer engeren Zusammenarbeit<br />

vorhanden sei. Er würde eine<br />

solche begrüssen und deutete auch<br />

weitergehende Verbindungen an.<br />

Mir war sofort klar: Der Informationsstand,<br />

den wir im AT-VR hatten,<br />

war falsch. Denn unser Geschäftsführer<br />

berichtete immer wieder über Gespräche<br />

mit Peter Wanner, bei denen<br />

seitens des BT kein Wille zu einer engeren<br />

Zusammenarbeit erkennbar sei.<br />

«Der VR muss das führen»<br />

Als ich nach dem Lunch wieder im<br />

Büro war, rief ich umgehend Arthur<br />

Gross an, den damaligen VR-Präsidenten<br />

des AT: «Arthur, ich habe heute Peter<br />

Wanner getroffen, und er hat mir<br />

signalisiert, dass wir vom AT uns Gesprächen<br />

über eine engere Zusammenarbeit<br />

verschliessen. Wir sind bisher<br />

falsch informiert worden, nun bist du<br />

am Zug, denn dieses Thema muss der<br />

VR führen, und nicht der angestellte<br />

Direktor.»<br />

Arthur Gross rief Peter Wanner an,<br />

und beide waren sich bald einig, dass<br />

wir nun auf Stufe VR alle Formen einer<br />

engen Zusammenarbeit vertieft prüfen<br />

sollten. Arthur Gross lud mich dann<br />

Als die Zeitung noch im Schaukasten hing: Das alte AT-Gebäude an der Bahnhofstrasse in Aarau.<br />

ein, ihn zu den Arbeitsgesprächen zu<br />

begleiten, was ich gerne machte. Zum<br />

ersten Mal trafen wir uns am 14. August<br />

1995 im Hotel Arte in Spreitenbach mit<br />

Peter Wanner und Philip Funk als Vertreter<br />

des BT. Als neutraler Projektleiter<br />

war Konrad Fischer dabei, ein<br />

sehr erfahrener Wirtschaftsanwalt aus<br />

Zürich. Er stammte aus Aarau und ging<br />

«Der AT-VR war<br />

von Anfang an positiv<br />

eingestellt. Die Vision<br />

einer starken kantonalen<br />

Zeitung als politische<br />

Brückenfunktion<br />

faszinierte uns.»<br />

mit Peter Wanner in die dortige Kanti.<br />

Die Zahl der Mitglieder der Arbeitsgruppe<br />

war bewusst sehr klein gehalten<br />

worden, um so lange wie möglich<br />

höchste Geheimhaltung zu gewährleisten.<br />

Wir gaben dem Projekt den Decknamen<br />

«K».<br />

Der AT-VR war von Anfang an gegenüber<br />

der Idee einer umfassenden Fusion<br />

positiv eingestellt. Die politische Vision<br />

einer starken kantonalen Zeitung<br />

als Brückenfunktion faszinierte uns.<br />

In den meist frühmorgendlichen,<br />

zahlreichen Geheimtreffen der Arbeitsgruppe<br />

prüften wir verschiedene Formen<br />

des Zusammengehens. Neben einer<br />

vollen Fusion erörterten wir auch<br />

Formen einer Teilfusion und viele Kooperationsvarianten.<br />

Es zeigte sich<br />

aber schnell, dass eine Vollfusion die<br />

beste Konfiguration wäre.<br />

Allerdings stellte sich die Bewertungsfrage<br />

als Knackpunkt heraus. Das<br />

BT war damals ertragsstärker, denn wir<br />

Aarauer hatten vorher eine grosse Investition<br />

in den Ausbau der Akzidenzdruckerei<br />

bewilligt, was die Ertragslage<br />

anfänglich belastete.<br />

Für uns Aarauer war nur eine Fusion<br />

zu paritätischen Werten vertretbar.<br />

Obwohl die Unternehmensbewertung<br />

des BT höher als die des AT war,<br />

wussten alle genau, dass solche Berechnungen<br />

keine exakte Wissenschaft<br />

sind. Zudem dachten wir an<br />

die realpolitische Machbarkeit: «Baden<br />

übernimmt Aarau» – an der Generalversammlung<br />

(GV) des AT wäre<br />

dies mit Sicherheit kein mehrheitsfähiger<br />

Antrag gewesen.<br />

KEYSTONE<br />

Auch die ABB-Fusion war paritär<br />

Peter Wanner lenkte – nach anfänglichem<br />

Widerstand – dann schnell ein.<br />

Er führte während unserer Geheimgespräche<br />

immer wieder die ABB-Fusion<br />

als Vorbild an. Und wir erinnerten ihn,<br />

dass diese aus politischen Gründen<br />

ebenfalls eine 50:50-Fusion war.<br />

Am Freitag, dem 15. März 1996, genehmigte<br />

dann der VR AT die Fusionsverträge.<br />

Wie erwartet, löste die Bekanntgabe<br />

der Fusion starke Reaktionen<br />

aus, nicht zuletzt auch deshalb,<br />

weil die Fusionsverhandlungen bis zum<br />

Schluss geheim gehalten blieben. Eigentlich<br />

sehr erstaunlich, denn in den<br />

letzten Monaten nahm die Zahl der<br />

Projektmitarbeiter stark zu.<br />

Eine Gruppe «besorgter AT-Aktionäre»<br />

mit zahlreichen kantonalen Persönlichkeiten<br />

trat Mitte April in Erscheinung<br />

und sorgte am 3. Mai 1996<br />

an der GV in der «Krone» in Lenzburg<br />

für heisse Diskussionen. Über vier<br />

Stunden dauerte diese GV. Mit Genugtuung<br />

konnten wir dann eine Zustimmung<br />

von 82 Prozent der anwesenden<br />

Aktienstimmen erreichen.<br />

Vorausblickende Weisheit<br />

Meine persönliche Rückblende: Ein<br />

mutiges Projekt, in kurzer Zeit mit einem<br />

kleinen Team vorbereitet, wurde<br />

von den AT- und BT-Aktionären in vorausblickender<br />

Weisheit genehmigt.<br />

Denn ohne diese Fusion würden wir<br />

heute vielleicht eine Tageszeitung aus<br />

Zürich, Basel, Luzern oder Bern lesen.<br />

Ich gratuliere der az zum 20. Geburtstag<br />

und wünsche ihr alles Gute für<br />

die Zukunft.


NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 7<br />

Der Mut, es gleich<br />

«richtig zu machen»<br />

Es war ebenso wünschbar, wie es unmöglich schien: dass die<br />

beiden grossen Medienhäuser des Kantons zusammenarbeiten<br />

sollten. Aber die Situation war günstig und nach der Prüfung von<br />

unzähligen Modellen war klar: Ein Zusammenschluss auf<br />

paritätischer Basis, eine «richtige Hochzeit», war das Beste.<br />

von<br />

Philip Funk<br />

Rechtsanwalt<br />

und Verwaltungsrat<br />

der AZ Medien AG<br />

P<br />

eter Wanner, damals<br />

noch unser Nachbar in<br />

Dättwil, schaute persönlich<br />

bei mir vorbei. Das<br />

gab es nur selten, die<br />

Sache musste also wichtig<br />

sein. Wir hatten erst vor kurzem<br />

gemeinsam dem Badener Tagblatt eine<br />

moderne Holding-Struktur verpasst.<br />

Mit dieser Struktur wollten wir<br />

bereit sein, falls sich in der Medienlandschaft<br />

plötzlich Veränderungen<br />

ergeben würden.<br />

Wer hätte gedacht, dass sich diese<br />

Struktur schon sehr rasch als ausgesprochen<br />

hilfreich erweisen würde?<br />

Nun war also Peter Wanner bei mir<br />

und fragte mich, ob ich in einer äusserst<br />

geheimen Arbeitsgruppe mithelfen<br />

würde, die einen möglichen<br />

Zusammenschluss der beiden grossen<br />

Zeitungshäuser im Kanton Aargau<br />

prüfen würde.<br />

Der Wettbewerb der Regionen<br />

Eine Fusion von AT und BT schien<br />

allerdings nahezu unmöglich. Wir alle<br />

wussten um den Wettbewerb dieser<br />

beiden grossen Regionen des<br />

Kantons Aargau, West um Aarau und<br />

Ost um Baden-Wettingen, der sich in<br />

der Politik, im Spitalwesen und eben<br />

auch in der Medienlandschaft bemerkbar<br />

machte. Aber gerade deshalb<br />

würde ein Zusammenschluss<br />

der beiden Zeitungen, eine grosse<br />

Klammer für den ganzen Kanton mit<br />

seiner regionalen Vielfalt, eine einheitliche<br />

Stimme für den Kanton Aargau,<br />

so viel Sinn machen. Klar war<br />

ich bei diesem spannenden Projekt<br />

gerne dabei.<br />

Die klandestinen Treffen mussten<br />

an einem ebenso neutralen wie unverdächtigen<br />

Ort stattfinden. Die<br />

Wahl fiel schliesslich auf das Hotel<br />

Arte in Spreitenbach. Wir waren zu<br />

Beginn lediglich fünf Personen:<br />

Arthur Gross und Hans-Peter Zehnder<br />

als Vertreter des AT, Peter Wan-<br />

ner und ich selbst als Vertreter des<br />

BT und Konrad Fischer als neutraler<br />

Projektleiter. Fischer erwies sich als<br />

Glücksfall. Einerseits war er Aarauer<br />

und deshalb auf der AT-Seite gut akzeptiert,<br />

andererseits kannte ihn Peter<br />

Wanner von der Kantonsschulzeit<br />

her und so war er auch unserer<br />

Seite genehm. Er hatte kurze Zeit<br />

vorher schweizweite Berühmtheit<br />

als Rechtsvertreter von Martin Ebner<br />

in dessen epischen Auseinandersetzung<br />

mit der UBS erhalten. Bei den<br />

gemeinsamen Essen konnte er uns<br />

deshalb jeweils mit spannenden Anekdoten<br />

aus dieser Schlacht unterhalten<br />

(selbstverständlich immer unter<br />

Wahrung des Anwaltsgeheimnisses).<br />

Seine konziliante, vermittelnde<br />

Art half uns, manche Klippe zu überwinden.<br />

Die Konstellation war günstig: Das<br />

AT befand sich in einer Schwächephase,<br />

weil es durch zu forsche und<br />

wenig rentable Investitionen in die eigene<br />

Akzidenz-Druckerei an Ertragskraft<br />

verloren hatte. Das BT war zwar<br />

etwas kleiner als das AT, hatte aber<br />

«Schliesslich wurde<br />

immer klarer: Eine wirkliche<br />

Kraft würde nur<br />

von einer umfassenden<br />

Fusion der beiden Gesellschaften<br />

ausgehen.»<br />

seine Hausaufgaben bereits gemacht<br />

und war deshalb ertragsstärker.<br />

Die Arbeitsgruppe liess Bewertungen<br />

der beiden Gesellschaftsgruppen<br />

nach einheitlichen Grundsätzen erstellen,<br />

war sich aber in Anbetracht<br />

der strategischen Bedeutung des Projektes<br />

schnell einig, dass der Zusammenschluss<br />

so oder anders auf paritätischer<br />

Basis erfolgen sollte. Die Aktionäre<br />

der beiden Gesellschaften<br />

sollten also nach dem Zusammenschluss<br />

je 50 Prozent halten. Wir<br />

prüften und verwarfen unzählige Kooperationsmodelle:<br />

vertragliche Kooperation,<br />

unechte oder echte Fusion,<br />

Joint Venture, Zusammenschluss<br />

nur des Zeitungsdruckes etc.<br />

Schliesslich aber wurde immer klarer:<br />

Eine wirkliche Kraft würde nur<br />

von einer umfassenden Fusion der<br />

beiden Gesellschaften ausgehen. Um<br />

das Projekt zum Erfolg führen zu<br />

können, planten wir also die direkte<br />

Hochzeit und nicht eine Verlobung<br />

oder gar nur ein Konkubinat mit ungewissem<br />

Ausgang. Dieser Mut sollte<br />

sich bewähren.<br />

Die Geheimhaltung klappte<br />

Wie bei allen solchen Projekten<br />

üblich, wuchs die Zahl der Eingeweihten<br />

rasch an. Waren zunächst<br />

nur fünf Personen involviert, mussten<br />

je länger je mehr Arbeitsgruppen<br />

für wichtige Teilfragen gebildet werden<br />

und die Anzahl der Eingeweihten<br />

war bald nicht mehr überschaubar.<br />

Es ist deshalb speziell bemerkenswert,<br />

dass der vorgesehene Zusammenschluss<br />

bis zur offiziellen Bekanntgabe<br />

geheim gehalten werden<br />

konnte. Alle Beteiligten hatten sich<br />

an die Geheimhaltungsbestimmungen<br />

gehalten!<br />

Die Bekanntgabe der vorgesehenen<br />

Fusion schlug im Kanton Aargau ein<br />

wie eine Bombe. Unvermeidlicherweise<br />

meldete sich rasch und vehement<br />

eine Vielzahl von Bedenkenträgern<br />

und besorgten Bürgern, welche<br />

den Untergang der journalistischen<br />

Qualität und/oder der Meinungsvielfalt<br />

im Kanton Aargau<br />

herbeiredeten. Entgegen und trotz all<br />

diesen Bedenken wurde die Fusion<br />

ohne Änderungen und Abstriche wie<br />

vorgesehen umgesetzt.<br />

Die Generalversammlung des AT,<br />

damals noch im Hotel Krone in Lenzburg,<br />

dauerte bis tief in die Nacht.<br />

Unsere Delegation vom BT durfte im<br />

ersten Teil nicht dabei sein und<br />

musste stundenlang in einem Nebenraum<br />

warten, bis wir uns schliesslich<br />

den Aktionären des AT persönlich<br />

vorstellen durften.<br />

Rückblickend darf man mit Befriedigung<br />

feststellen, dass sich die<br />

damaligen Bedenken nicht bewahrheitet<br />

haben und dass das Projekt als<br />

leuchtendes Beispiel einer gelungenen<br />

Fusion gelten darf.<br />

Herzliche Gratulation der AZ zum<br />

runden Geburtstag und auch für die<br />

Zukunft alles Gute!<br />

Eines der Wahrzeichen von Baden: das BT-Hochhaus an der Bruggerstrasse.<br />

KEYSTONE


8 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />

NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />

Eher mechanisch als chemisch verbunden<br />

Ein genauerer Blick auf die Vorgeschichte der Zeitungsfusion von 1996 zeigt, dass sich die beiden Verlagshäuser<br />

in ihrer Wachstumsstrategie zuvor sehr wohl unterschieden hatten – mit Folgen bis in die Redaktion hinein<br />

von Andreas Müller<br />

Historiker, Autor<br />

von «Geschichte der<br />

politischen Presse<br />

im Aargau»<br />

A<br />

ls am 27. März 1996 auf<br />

Schloss Lenzburg die<br />

Zweckheirat der zwei<br />

schärfsten Konkurrenten<br />

auf dem Pressemarkt im<br />

Aargau bekannt gegeben<br />

wurde, da suchte man selbstverständlich<br />

das Verbindende herauszustreichen.<br />

Die Verhandlungen und der<br />

Beschluss der beiden Verwaltungsräte<br />

waren in aller Stille erfolgt. Man versuchte,<br />

die Schockstarre der Abonnentenschaft<br />

mindestens abzudämpfen.<br />

Schliesslich würden sich zwei liberale<br />

Tageszeitungen, die eine mehr im Osten,<br />

die andere mehr im Westen des<br />

Kantons beheimatet, friedlich verbinden.<br />

Der moderne Aargau, geplagt von<br />

den Gravitationskräften der grossstädtischen<br />

Zentren, benötige eine gemeinsame<br />

Tagespresse: die Spannungen und<br />

Neckereien zwischen Aarau und Baden<br />

seien von gestern und nicht mehr<br />

aktuell. So könne zusammenwachsen,<br />

was längst zusammengehöre.<br />

Abgesehen von der Eigenständigkeit<br />

des «Zofinger Tagblattes», das man damals<br />

tunlichst ausser Acht liess, ahnend,<br />

dass von dort noch einiges Ungemach<br />

auf das Fusionsprodukt wartete,<br />

war die Vorgeschichte der beiden Tagblätter<br />

so verschieden, dass sich dies<br />

auf den Charakter von Verlag und Redaktion<br />

auswirken musste. Mit einem<br />

Bild: Die Verbindung war eine mechanische,<br />

keine chemische.<br />

Titel kaufen, Standort besetzen<br />

Das Aargauer Tagblatt hatte im Vorfeld<br />

als Erfolgsrezept das Kopfblattsystem<br />

gewählt: Eine notleidende Zeitung<br />

im angrenzenden Raum wurde mit<br />

dem Mantel des AT und erweiterten Lokalteilen<br />

ausgestattet. Geschäftlich ging<br />

dies mit dem Ankauf dieser Blätter einher,<br />

sodass einige Titel auch verschwinden<br />

konnten, wenn die Kooperation zu<br />

aufwendig wurde («Seetaler»!). Kauf<br />

und Eingliederung verlangte vom Verlag<br />

Geldmittel für den Erwerb und Investitionen<br />

in erweiterte Druckanlagen.<br />

Das Badener Tagblatt hingegen versuchte,<br />

dasselbe Ziel längere Zeit mit<br />

dem alleinigen Ausbau der Redaktion<br />

zu erreichen, verbunden mit Zweigstellen<br />

an neuen Standorten. Dies<br />

zwang die Lokalblätter im Umkreis des<br />

Wanner-Blattes zu besserer Lokalberichterstattung<br />

und zur langsamen<br />

Liquidierung des inländischen und aargauischen<br />

Teils. Immer häufiger hielten<br />

sich Haushalte in diesem Kantonsteil<br />

zwei Zeitungen: das Lokal- und das Regionalblatt.<br />

Das Nachsehen hatte das<br />

Parteiblatt. Es fiel zwischen Tisch und<br />

Bank. Verleger Otto Wanner II. hat zeit<br />

seines Lebens die Gewinne aus dem<br />

Unternehmen vorab in die Redaktion<br />

eingebracht und bezüglich technischer<br />

Ausstattung sich immer nur «nach der<br />

Decke» gestreckt. Er kaufte Occasions-<br />

Maschinen; er blieb als Zeitungsmacher<br />

immer der schreibenden Zunft verbunden,<br />

die Drucktechnik war sekundär.<br />

Als selbstständiger Unternehmer hatte<br />

er freie Hand, entsprechend seiner Vorliebe<br />

zu investieren, ja, gelegentlich gar<br />

einen «Strauss» mit den mächtigen Akquisitions-Firmen<br />

auszutragen.<br />

Beiden Regionalzeitungen gelang mit<br />

ihrer jeweiligen Methode eine ungeahnte<br />

Erweiterung der Auflage: von rund<br />

10 000 von 1950 auf 60 000 vor der Fusion<br />

von 1996. Dass dabei einige Gazetten<br />

ihre Selbstständigkeit einbüssten<br />

oder die Titel verschwanden, kann niemanden<br />

erstaunen. Die Methode Wanner<br />

brachte im Vorfeld zwar mehr Bewegung<br />

ins Redaktionsteam, zeitweise<br />

fast interne Revolten, aber finanziell<br />

«Die unterschiedliche<br />

Philosophie<br />

der Zeitungen zeichnete<br />

sich in den Redaktionen<br />

ab: Der Unruhe in Baden<br />

stand die Konstanz<br />

in Aarau gegenüber.»<br />

keine Strapazen. Die Aarauer Methode<br />

war kapitalintensiv und verlangte oft<br />

wider Willen Anpassung an die Marktlage.<br />

Die Aktiengesellschaft konnte weniger<br />

spontan reagieren und musste jede<br />

Aktion abwägen.<br />

Die Fusion verband zwei Tageszeitungen<br />

mit verschiedenen Philosophien,<br />

was sich auch in den Redaktionen<br />

abgezeichnet hat: Der Unruhe in<br />

Baden stand die Konstanz in Aarau gegenüber.<br />

Die Amalgamierung war das<br />

Werk von Peter Wanner, der seit 1993<br />

den Badener Verlag führte. Und dies<br />

gelang, obwohl gleichzeitig die digitale<br />

Umstellung den Prozess belastete.<br />

Früher sieben Tageszeitungen<br />

An der Schwelle zum 20. Jahrhundert<br />

existierten im Aargau sechs Tageszeitungen:<br />

neben dem Aargauer- und<br />

Badener Tagblatt wirkten auch das<br />

Brugger- und das Zofinger Tagblatt als<br />

liberale Regionalzeitungen. Entsprechend<br />

der geografischen und historischen<br />

Topografie des Kantons deckten<br />

diese Blätter je ihr Einzugsgebiet ab.<br />

Aus den Anfängen: Wohnhaus und Druckerei Wanner, Bruggerstrasse Baden.<br />

Redaktionsalltag Aargauer Tagblatt: Kunstkritikerin Annelise Zwez und Kollege.<br />

Jungverleger Peter Wanner vor der Fusion im Büro in Baden.<br />

HO<br />

HO<br />

HO<br />

Entsprechend der parteilichen Struktur<br />

waren aber im freisinnigen Spektrum<br />

zwei weitere Tageszeitungen in den<br />

Zentren Baden und Aarau beheimatet:<br />

In Aarau bestand das Wirz-Blatt (später<br />

Keller-Blatt) «Aargauer Nachrichten»<br />

(bis 1918) und in Baden das Jäger-Blatt<br />

«Schweizer Freie Presse» (erst ab 1925<br />

BGB-Parteiblatt). Beide Tageszeitungen<br />

wollten weniger gouvernemental sein<br />

und wirkten oft unbekümmert neben<br />

der Parteilinie.<br />

Auch wenn dann 1918 das Aargauer<br />

Tagblatt sich die Aargauer Nachrichten<br />

einverleiben konnte, war schon 1912<br />

wieder ein Konkurrenz-Organ in Form<br />

der «Neuen Aargauer Zeitung» erstanden.<br />

Auch sie markierte bis 1946 kantonsweit<br />

den links-liberalen Standpunkt<br />

im Lager des Freisinns. Als dann<br />

vor dem Ersten Weltkrieg, 1911 und<br />

1912, auch die katholisch-konservative<br />

(später CVP) Parteizeitung «Aargauer<br />

Volksblatt» (Baden) und die Arbeiterpresse<br />

«Freier Aargauer» (Aarau) täglich<br />

erscheinen und ab 1925 auch die<br />

«Freie Presse» zur täglichen Bauernzeitung<br />

mutiert, so zählte der Aargau<br />

nicht weniger als sieben Tageszeitungen,<br />

die bis zum Ende des Zweiten<br />

Weltkrieges im Kanton profiliert Politik<br />

behandelten und betrieben.<br />

Der Gang aufs Land<br />

Neben den Tagblättern wirkten die<br />

Lokalzeitungen auch als Anzeiger und<br />

Forum der ländlichen Auseinandersetzung.<br />

Je expansiver die Tagblätter<br />

hier eindrangen, desto mehr wurden<br />

die kleinen Blätter genötigt, selber zu<br />

fusionieren oder das Erscheinen einzustellen.<br />

Als 1959 das Aargauer Tagblatt den<br />

Ausbau seines Lokalteiles in der Region<br />

Lenzburg ankündigte, war es um die<br />

«Lenzburger Zeitung» geschehen. Der<br />

Titel wurde dem AT verkauft und die<br />

Auflage von 2200 Abonnenten wurde<br />

abgetreten. Auf leisen Sohlen gelangte<br />

der «Seetaler» in Seengen in die Familie<br />

der AT-Kopfblätter. 1964 hatte er sich<br />

nicht nur mit dem «Lindenberger»<br />

(Fahrwangen) zusammengeschlossen,<br />

sondern schon früher – nach dem Verschwinden<br />

der «Lenzburger Zeitung» -<br />

1959 ein Kopfblatt «Lenzburger Nachrichten»<br />

lanciert. Wegen «prekären Verhältnissen»<br />

gelangten Druckerei und<br />

Zeitung mehrheitlich in die Hände der<br />

Aargauer Tagblatt AG, blieben aber vorerst<br />

als selbstständige Lokalzeitung unter<br />

dem alten Firmennamen erhalten.<br />

Am 1. 0ktober 1973 wurde anstelle des<br />

alten «Seetalers» (zweimal wöchentlich)<br />

das «Seetaler Tagblatt» ausgeliefert, das<br />

heisst, das «Aargauer Tagblatt» mit einer<br />

zusätzlichen Seite Seetal.<br />

Im Jahre 1969 war das «Brugger Tagblatt»<br />

an der Reihe. Nicht so schmerz-


NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 9<br />

los wie in Lenzburg suchte die kleinste<br />

Tageszeitung Schutz beim Aargauer<br />

Tagblatt, weil sie sich vom Badener<br />

Tagblatt bedrängt fühlte. Mit der Ansiedlung<br />

der BBC im Birrfeld war Brugg<br />

immer deutlicher ins Einzugsgebiet von<br />

Baden gelangt. Die Annäherung an Aarau<br />

sollte diese Tendenz abbremsen. So<br />

wurde das «Bruggerli» zum Kopfblatt<br />

des AT.<br />

1973 überraschte die freisinnige<br />

«Freiämter Zeitung» in Wohlen ihre Leserschaft<br />

mit dem neuen Konzept eines<br />

«Freiämter Tagblatts». Auch hinter dieser<br />

Ankündigung verbarg sich die Übernahme<br />

durch das AT. Damit hatte sich<br />

das Aarauer Unternehmen den Inseratenmarkt<br />

gegen eventuelle Konkurrenz<br />

aus Baden gesichert. Der «Wohler Anzeiger»,<br />

das CVP-Blatt von Casimir Meyer,<br />

blieb aber im Raume unteres Freiamt<br />

bestehen und wird sich später mit<br />

dem «Bremgarter Bezirks-Anzeiger»<br />

(bis 1995) vereinigen. Der Vorstoss des<br />

AT ins Freiamt veranlasste das Badener<br />

Tagblatt zum Kauf der «Freiämter<br />

Nachrichten» (1992) des Verlegers<br />

Sprüngli in Villmergen.<br />

Im Jahre 1973 wurde vom Verlag<br />

«AZ-Freier Aargauer» der Druckereibetrieb<br />

aus wirtschaftlichen Zwängen<br />

aufgegeben. Der Druckauftrag wurde<br />

dem AT übertragen, auch wenn sich<br />

die beiden Zeitungen inhaltlich nicht<br />

hold waren. Erst 1987 gab die Arbeiterzeitung<br />

ihr Erscheinen auf. In der gleichen<br />

Zeit kam auch die CVP-Zeitung<br />

«Aargauer Volksblatt» in Schwierigkeiten.<br />

Obwohl es in eigener Druckerei fabriziert<br />

wurde, musste es mit dem Badener<br />

Tagblatt einen Inseratenpool eingehen.<br />

Erst 1992 stellte auch diese Tageszeitung<br />

ihr Erscheinen ein.<br />

Inserenten wollen Reichweite<br />

Mit dem letzten Beispiel wird sichtbar,<br />

was eigentlich der Auslöser der<br />

ganzen Pressekonzentration im Aargau<br />

war: die Wandlung des Inseratenmarktes.<br />

Die grossen Inserenten und<br />

Das Büro Brugg der Aargauer Zeitung in der Brugger Altstadt.<br />

Lieferanten der Reklameseiten drängten<br />

nach Presseorganen mit einer<br />

breiten Leserschaft, und die Latte<br />

wurde sehr hoch gelegt. So löste dies<br />

einen eigentlichen Inseratenkrieg innerhalb<br />

des Aargaus aus, der teilweise<br />

auch von Angriffen aus den städtischen<br />

Zentren der Nachbarkantone<br />

begleitet wurde.<br />

Nach Meinungsverschiedenheiten<br />

kündigte Otto Wanner 1984 den Vertrag<br />

mit der Publicitas und akquirierte<br />

nun seine Inserate selber. Als Antwort<br />

lieferte Publicitas ein redigiertes Konkurrenzblatt<br />

«Aargauer Woche» gratis<br />

in alle Haushaltungen des BT-Einzugsgebietes.<br />

Zwei Jahre dauerte das Ringen,<br />

bis ein Modus Vivendi gefunden<br />

werden konnte. Doch eine neue Bedrohung<br />

ging nun von den Zürcher<br />

Verlagshäusern aus. Als Abwehr wurde<br />

die Zeitung «Der Limmattaler», Dietikon,<br />

aufgekauft, um die neutrale Zone<br />

zwischen Zürich und Baden abzudecken.<br />

Das «Zofinger Tagblatt» fürchtete auf<br />

dem Inseratenmarkt das AT als Bedrohung,<br />

denn dieser Verlag hatte mit der<br />

«Regional-Zeitung» einen Gratisanzeiger<br />

für den Westaargau lanciert. 1987 kaufte<br />

EMANUEL PER FREUDIGER<br />

daher das ZT die Druckerei Suter in<br />

Oberentfelden und damit den «Landanzeiger».<br />

Das Aargauer Tagblatt betrachtete<br />

diesen Kauf als Einbruch in seine<br />

Geschäftszone. Die Antwort des AT war<br />

die Gründung des «Aargauer Kuriers»<br />

als Gratiszeitung für den ganzen Aargau.<br />

Darauf antwortete das ZT mit dem Kauf<br />

der Druckerei Keller, Aarau, mit dem<br />

«Generalanzeiger» und traf damit den<br />

Gegner mitten ins Herz.<br />

Der aargauische Inseratenkrieg im<br />

Westen des Kantons nahm immer<br />

schärfere Formen an. Da auch der<br />

Druck aus Bern pariert werden musste,<br />

fanden sich endlich das «Oltner Tagblatt»,<br />

das «Zofinger Tagblatt» und das<br />

Aargauer Tagblatt zu einem Inseratenpool<br />

«Mittelland-Zeitung» zusammen.<br />

Der Vertrag sah auch eine redaktionelle<br />

Zusammenarbeit vor. Dieser Vertrag<br />

wurde bei der grossen Fusion 1996 völlig<br />

ignoriert, obwohl er damals noch<br />

gültig war. Diese Tatsache sollte sich<br />

nachträglich noch bitter rächen.<br />

Die dritte Bedrohung des AT ging von<br />

Basel aus. Nach der Fusion der «Basler<br />

Nachrichten» mit der «National-Zeitung»<br />

verkündete der Verlag, sein Einzugsgebiet<br />

erstrecke sich bis auf den<br />

Jurakamm, gemeint war einschliesslich<br />

des Fricktals. Diese «Kriegserklärung»<br />

löste in Aarau innert Monatsfrist die<br />

Splitzeitung «Aargauer Tagblatt, Ausgabe<br />

Fricktal» mit eigenem Lokalteil aus.<br />

Die Leidtragenden waren die Lokalblätter<br />

im Raum Rheinfelden, in Laufenburg<br />

und Frick.<br />

Im Raum Seetal gründete das Verlagshaus<br />

Kromer in Lenzburg neben<br />

dem angestammten Anzeiger neue<br />

Blätter in der oberen Talhälfte und versuchte,<br />

zwischen den konkurrierenden<br />

Tagblättern den Inseratenmarkt Aargau-Mitte<br />

zu konsolidieren.<br />

Es brauchte einen Grossen<br />

Der wirtschaftliche Kampf im aargauischen<br />

Pressewesen war gnadenlos und<br />

voller spontaner Aktionen und Massnahmen.<br />

Dass das wilde Treiben selbst<br />

nach der grossen Fusion von 1996 noch<br />

fortdauerte, beweist, wie verfahren die<br />

Situation in ihrem Vorfeld gewesen<br />

war. Im Brennpunkt der grossstädtischen<br />

Verlage konnte tatsächlich nur<br />

noch ein mindestens ebenbürtiges Organ<br />

Grenzen setzen und den aargauischen<br />

Raum verteidigen.<br />

Andreas Müller: Geschichte der politischen<br />

Presse im Aargau. 2 Bände. Verlag<br />

hier und jetzt Baden 2002, 1114 S., Fr. 78.–<br />

Mehr zur aargauischen Pressegeschichte<br />

auf den Seiten 29/30 dieser Beilage.


10 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />

NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />

Durch Fusion zum Qualitätssprung<br />

Aus der Sicht der Redaktion(en) – der erste und letzte Chefredaktor des Badener Tagblatts<br />

und der zweite Chefredaktor der Aargauer Zeitung erinnert sich.<br />

Schulterschluss: AT-Chefredaktor Franz Straub, Arthur Gross, VR-Präsident des AT, BT-Verleger Peter Wanner und BT-Chefredaktor Hans Fahrländer.<br />

KARL-HEINZ HUG<br />

von<br />

Hans Fahrländer<br />

Chefredaktor des<br />

Badener Tagblatts und<br />

der Aargauer Zeitung<br />

E<br />

s war auch für die Redaktorinnen<br />

und Redaktoren<br />

von Aargauer und Badener<br />

Tagblatt eine saftige Überraschung,<br />

als sie an jenem<br />

Mittwoch, dem 27. März<br />

1996, kurz vor der Medienkonferenz<br />

auf Schloss Lenzburg, durch ihre Vorgesetzten<br />

vom Zusammenschluss ihrer<br />

Tagblätter zur Aargauer Zeitung erfuhren.<br />

Wohl munkelte man, dass sich das<br />

Aarauer Unternehmen durch Investitionen<br />

im Druckbereich in eine heikle Lage<br />

gebracht hatte; wohl wusste man,<br />

dass das Badener Unternehmen durch<br />

Grossverlage aus Zürich bedrängt wurde.<br />

Eine Fusion in einigen Jahren<br />

schloss man deshalb nicht aus. Aber<br />

jetzt schon! Und ohne Vorankündigung!<br />

Überraschung! Die Fusions-Architekten<br />

hatten dichtgehalten und die Investigativ-Journalisten<br />

das Nachsehen.<br />

Üben in Spreitenbach<br />

Einzig die Mitglieder der Chefredaktionen<br />

waren eingeweiht, allerdings<br />

erst in der Schlussphase der Verhandlungen.<br />

Der Grundsatzbeschluss war<br />

bereits gefällt, nun ging es noch um die<br />

Details. Ich erinnere mich gut, wie wir<br />

mehrmals in ein anonymes Hotel in<br />

Spreitenbach bestellt wurden, erstens<br />

zur Information – zweitens aber zum<br />

Einüben der Kommunikation. Mit dieser<br />

war das Kommunikations-Unternehmen<br />

Stöhlker & Partner betraut<br />

worden. Beübt wurden wir von einem<br />

Kollegen: Ruedi Mäder, zuvor Wirtschaftsredaktor<br />

beim Aargauer Tag-<br />

blatt, später lange Jahre in gleicher<br />

Funktion bei der Aargauer Zeitung, hatte<br />

vorübergehend die Seiten gewechselt<br />

und war «zum Stöhlker gegangen».<br />

Er lehrte uns, wie wir die Fusion nach<br />

innen und aussen zu verkaufen hatten,<br />

natürlich mit wohldosiertem Bedauern<br />

über den Verlust des eigenen Titels,<br />

insgesamt aber mit frohgemuter Aufbruchstimmung.<br />

Eine emotionale Sache<br />

Für mich persönlich war die Fusion<br />

eine ziemlich emotionale Sache. Ich<br />

war, nach fast 150 Jahren Personalunion<br />

von Verleger und Redaktionsleiter,<br />

der erste, einzige und letzte angestellte<br />

Chefredaktor des Badener Tagblatts.<br />

Doch ich hatte von vornherein<br />

keine Chance, erster Chefredaktor des<br />

fusionierten Titels zu werden. Denn<br />

der Verleger, Peter Wanner, stammte<br />

von der Badener Seite, also war ausgemacht<br />

und Teil des Fusionsvertrages,<br />

dass der Chefredaktor von der Aarauer<br />

Seite stammte – das war AT-Chefredaktor<br />

Franz Straub. Mir blieb allerdings<br />

wenig Zeit zum Trauern: Erstens galt<br />

es, mit hohem Tempo die fusionierte<br />

Redaktion zusammenzustellen – und<br />

zweitens merkte ich bald, dass Kollege<br />

Straub seine Stellung als Nummer 1<br />

nicht über Gebühr ausnutzte: Er war<br />

ein fairer Fusions-Chef, der meinen<br />

Kolleginnen und Kollegen die gleichen<br />

Chancen einräumte wie seinen.<br />

Keine Massaker<br />

Was bedeutete diese Fusion für den<br />

Aargau – und für uns Journalistinnen<br />

und Journalisten? Kurz zuvor war die<br />

zweite Luzerner Zeitungsfusion, jene<br />

der «Luzerner Neusten Nachrichten»<br />

mit der «Luzerner Zeitung» über die<br />

Bühne gegangen. Das war nicht nur ein<br />

politisches Erdbeben, es kam auch auf<br />

den Redaktionen zu Massakern, weil<br />

die beiden Titel praktisch dasselbe Einzugsgebiet<br />

hatten. Die Massaker trafen<br />

dabei einseitig die LNN. Viele gute Journalisten<br />

mussten gehen und der LNN-<br />

Chefredaktor verliess frustriert das Unternehmen<br />

und die Branche. Bei uns<br />

lief das – zum Glück – anders ab. Das<br />

politische Massaker blieb aus, weil die<br />

beiden Tagblätter ähnlich positioniert<br />

waren: bürgerlich und FDP-nahe. Und<br />

das strukturelle Massaker blieb aus,<br />

weil das Verbreitungsgebiet nicht<br />

deckungsgleich war: Der Westaargau<br />

«gehörte» dem AT, der Ostaargau dem<br />

BT. Direkter Konkurrent war man nur<br />

in Brugg, im Fricktal und im Freiamt.<br />

«Andere Zeitungsfusionen<br />

hatten zu<br />

gesichtlosen Allerweltsblättern<br />

geführt. Die<br />

Aargauer Zeitung aber<br />

war deutlich gehaltvoller<br />

als ihre Vorgänger.»<br />

Der Prozess war dornenvoll<br />

Nach diesen insgesamt positiven Erinnerungen<br />

– keine Massaker, keine einseitig<br />

verteilten Verlierer – gehört an<br />

diese Stelle natürlich auch das Eingeständnis:<br />

Der Fusionsprozess war in<br />

den Details dornenvoll. Bei beiden Tagblättern<br />

arbeiteten in jenem Frühjahr<br />

1996 rund 60 Redaktorinnen und Redaktoren.<br />

Die Chefs von AT und BT<br />

fassten den Auftrag: Formt aus diesen<br />

120 eine schlagkräftige Redaktion von<br />

100 Leuten. Das heisst: Für rund<br />

20 Kolleginnen und Kollegen hatte es<br />

in der AZ keinen Platz. Franz Straub<br />

und ich fochten mit minutiös zusammengestellten<br />

Listen von Eignungsprofilen,<br />

Charaktertests und Stellenprozenten,<br />

verglichen und führten<br />

zahlreiche Gespräche. Am Schluss<br />

konnten wir feststellen: Es gab zwar einige<br />

Versetzungen, Prozent-Reduktionen<br />

und Zurückstufungen (zu freien<br />

Mitarbeitern), aber es gab praktisch<br />

keine Härtefälle. Die Mantelressorts<br />

durften leicht besser dotiert sein als bei<br />

den Tagblättern, die Regionalressorts<br />

in Ost und West blieben sowieso unversehrt<br />

– am meisten Haare lassen mussten<br />

die «Kampfressorts in der Mitte»,<br />

eben: Brugg, Fricktal, Freiamt.<br />

Nicht ganz reibungsloser Start<br />

Und dann erschien sie also, die erste<br />

AZ, nach einem hektischen Sommer<br />

auf den Redaktionen, am Montag,<br />

4. November 1996, mit einer Auflage<br />

von 120 000 – die Tagblätter hatten je<br />

rund 60 000, man startete in der Annahme,<br />

es gebe keine Fusionsverluste.<br />

Das Wochenende zuvor war hektisch,<br />

man war zwar gut vorbereitet, aber<br />

den Ernstfall kann man nur bedingt<br />

üben. Die «Neue» enthielt neue<br />

Ressorts, zum Beispiel «Piazza» für die<br />

Seite 2, mit einer Kolumne von Beni<br />

Thurnheer, oder «Thema» für die Seite<br />

3, das Ressort Ausland hatte viel<br />

Platz, denn am nächsten Tag waren<br />

US-Wahlen (Clinton wurde bestätigt),<br />

die Druckqualität liess noch zu wünschen<br />

übrig, der untere Rand war<br />

schmaler als der obere – und es hatte<br />

sehr viele Inserate!<br />

In drei Phasen zum Erfolg<br />

Doch mit der Start-Nummer war der<br />

Erneuerungsprozess nicht abgeschlossen,<br />

auch bei den Redaktionen nicht.<br />

Obwohl die beiden Tagblätter ähnlich<br />

getickt hatten, gab es natürlich Unterschiede<br />

in der Redaktionskultur, im Berufsverständnis,<br />

in der Arbeitsweise.<br />

Diese Kulturen mussten nun ebenfalls<br />

«fusioniert» werden. Für etliche AT-Kollegen<br />

gab es zudem einen längeren<br />

Arbeitsweg, denn der Hauptstandort<br />

der Redaktion war im «Tagblatthochhaus»<br />

in Baden.<br />

Die ersten AZ-Jahre waren geprägt<br />

von drei Phasen. Die erste Phase war<br />

jene des Zusammenwachsens. Es galt<br />

zu vermeiden, dass der Wegfall des<br />

Konkurrenten aus dem anderen Kantonsteil<br />

zu Bequemlichkeit führte. Phase<br />

2 galt der Offensive im Regionaljournalismus:<br />

Nachdem bei der Fusion einige<br />

Regionalausgaben einem drucktechnischen<br />

Engpass zum Opfer gefallen<br />

waren, wurde nach einer Investition in<br />

den Zeitungsdruck die Zahl der Regionalsplits<br />

auf zehn erhöht. Sie erschienen<br />

später quasi als eingesteckte Lokalzeitungen<br />

im Tabloidformat – es war<br />

das weltberühmte ZiZ-Konzept (ZiZ =<br />

Zeitung in der Zeitung).<br />

Phase 3 schliesslich galt der Erhöhung<br />

der nationalen Beachtung.<br />

Durch gezielten Mitteleinsatz in die nationale<br />

Recherche wurde die Zeitung<br />

aus dem Aargau plötzlich auch in Bundesbern<br />

und den übrigen Regionen<br />

wahrgenommen. Das hatte auch Auswirkungen<br />

auf den Journalisten-Markt.<br />

Plötzlich war es für Stars aus dem<br />

eitlen Zeitungsplatz Zürich eine reelle<br />

Option, im Aargau zu arbeiten. Zum<br />

5-Jahre-Jubiläum im November 2<strong>001</strong><br />

durfte man selbstbewusst bilanzieren:<br />

Dieweil anderswo Zeitungsfusionen zu<br />

gesichtslosen Allerweltsblättern geführt<br />

hatten, war im Aargau das Gegenteil<br />

passiert: Die Aargauer Zeitung war<br />

deutlich gehaltvoller als ihre Vorgänger,<br />

sie war eine offene Forumszeitung,<br />

aber mit klarem (liberalem) Profil, geschrieben<br />

und gestaltet von einem<br />

hoch motivierten Team aus hervorragenden<br />

Berufsleuten. Beste Voraussetzungen<br />

also zum Überleben in einem<br />

umkämpften Markt.


12 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />

NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />

Als in Baden das Telefon klingelte . . .<br />

Die Fusion der Aargauer Tageszeitungen Aargauer Tagblatt und Badener Tagblatt war eine Lösung, die passte. Trotzdem<br />

wurde die Öffentlichkeit überrascht, als sie schliesslich stand. BT-Verleger Peter Wanner berichtet, wie es war.<br />

VON HANS FAHRLÄNDER UND CHRISTOPH BOPP<br />

Peter Wanner, die Fusion begann<br />

mit einem Telefon . . .<br />

Peter Wanner: Wie alle Anfänge hatte<br />

auch dieser eine Vorgeschichte. Die Unternehmensleitung<br />

des Badener Tagblattes<br />

machte sich Mitte der 90er-Jahre<br />

schon Gedanken, wie es weitergehen<br />

sollte. Wer Geschäftsberichte lesen<br />

konnte, wusste, dass in Aarau beim<br />

Aargauer Tagblatt nicht alles zum Besten<br />

stand. Ich sagte vor der UL, das AT<br />

könnte ein Übernahmekandidat werden.<br />

Und da blies man zum Sturm auf<br />

Aarau?<br />

Nein, nein, so klar lagen die Dinge natürlich<br />

nicht. Aber die Unternehmensleitung<br />

empfahl mir, den Kontakt nach<br />

Aarau zu suchen. Gleichzeitig schlug<br />

die UL vor, eine eigene Strategie zu entwickeln.<br />

Also doch ein Übernahmeszenario?<br />

Es gab auch andere Möglichkeiten. Die<br />

Ausgangslage war so: Wir in Baden waren<br />

recht gut aufgestellt, wir hatten es<br />

gerade noch geschafft, die Akzidenz-<br />

Druckerei abzustossen, um im Gegenzug<br />

das Aargauer Volksblatt übernehmen<br />

zu können, und waren ein reines<br />

Zeitungsunternehmen geworden. Es<br />

ging uns relativ gut. Gleichzeitig war<br />

auch klar, dass wir irgendwann aus Baden<br />

herauswachsen mussten . . .<br />

Aber das Badener Tagblatt lief<br />

doch gut?<br />

Ja, durchaus. Und es wäre wahrscheinlich<br />

auch noch ein paar Jahre so weitergegangen<br />

mit uns in Baden. Aber rund<br />

herum war alles ziemlich in Bewegung.<br />

Einfach stillsitzen, war keine gute Strategie.<br />

Ich hatte immer das Gefühl, es<br />

könnte mal eng werden. Was tun? Es<br />

gab zwei Richtungen, in die das BT<br />

wachsen konnte: Winterthur, zusammen<br />

mit dem «Landboten» – und eben<br />

Aarau.<br />

Aber das Telefon . . .<br />

Genau, der berühmte Telefonanruf von<br />

AT-VR-Präsident Arthur Gross war zu<br />

diesem Zeitpunkt schon erfolgt, als unsere<br />

UL über eine Strategie nachdachte.<br />

Ich sagte: Gut, entwickeln wir<br />

eine Strategie. Ich durfte ja nicht sagen,<br />

dass wir schon miteinander reden.<br />

Und die UL-Strategie zielte dann auf<br />

den «Landboten» ab?<br />

Nein, zum Glück nicht. (Lacht) Auch<br />

die BT-UL kam zum Schluss, dass wir<br />

schliesslich nicht um eine Fusion im<br />

Aargau herumkommen. Aber diese Verhandlungen<br />

mit Aarau verliefen immer<br />

noch im Geheimen. Wir trafen uns in<br />

Spreitenbach, im Hotel Arte. Erstaunlich,<br />

dass das Inkognito gewahrt blieb<br />

und uns niemand entdeckt hat. Es gab<br />

etwa sechs bis sieben Verhandlungsrunden.<br />

War denn eigentlich von Anfang<br />

an klar, dass es eine 50:50-Lösung<br />

geben würde?<br />

Wir hatten uns gegenseitig bereits geeinigt,<br />

dass wir die Unternehmen von<br />

einer Treuhandgesellschaft bewerten<br />

lassen würden. Und da kam schnell<br />

heraus, dass das BT zwar etwas kleiner,<br />

aber mehr wert war. Ein paar Jahre zuvor<br />

hatten wir uns in Baden eine übersichtliche<br />

Profitcenter-Struktur verpasst<br />

mit einer transparenten Kosten-<br />

Ertrags-Rechnung. In Aarau war die<br />

Rechnungslegung veraltet, alles floss in<br />

einen Topf, die waren auch etwas überrascht,<br />

wie gross das Loch war, das die<br />

Überinvestition in den Akzidenz-/Kundendruck<br />

gerissen hatte.<br />

Peter Wanner: «Ich war felsenfest überzeugt, dass die Fusion ein Erfolg werden würde.» EMANUEL PER FREUDIGER<br />

Mit anderen Worten: Aarau musste,<br />

Baden wollte fusionieren . . .<br />

Kann man so sagen. Aber es war klar,<br />

dass politisch und gesellschaftlich nur<br />

eine 50:50-Lösung infrage kommen<br />

würde. Das AT war ja eine Publikumsgesellschaft,<br />

die Aktionäre würden einer<br />

unvorteilhaften Übernahme kaum<br />

zustimmen.<br />

Also ging alles streng paritätisch<br />

zu?<br />

Ja, mir wurde schnell klar: Wenn der<br />

Verleger aus Baden kommt, sollte der<br />

Chefredaktor aus Aarau kommen. Diesem<br />

Gedanken fiel Hans Fahrländer<br />

zum Opfer, weil Franz Straub so gesetzt<br />

war. Wir schauten immer darauf, dass<br />

die Kirche im Dorf blieb, dass es nicht<br />

nach einer Übernahme aussah. Es<br />

brauchte in den Fusionsverhandlungen<br />

ein paar bilanztechnische Massnahmen<br />

– die Beteiligungen an Radio Argovia,<br />

Tele M1 und dem Limmattaler Tagblatt<br />

auf BT-Seite wurden herausgenommen<br />

–, damit man gleichwertig fusionieren<br />

konnte. Später kaufte dann das fusionierte<br />

Unternehmen die Anteile zurück.<br />

So gab es eine ausgeglichene<br />

Rechnung, man schaute auch, dass in<br />

der Führung beide Seiten ausreichend<br />

vertreten waren.<br />

Was war eigentlich Ihr erster<br />

Gedanke, als klar wurde, dass<br />

das BT jetzt in einer Fusion<br />

verschwinden würde?<br />

Wir hatten ein paar Jahre zuvor in der<br />

Familie eine Erbteilung durchgeführt.<br />

Ich drängte darauf, dass ich 100 Prozent<br />

an der Zeitung bekomme, damit<br />

ich bei einer allfälligen Fusion nicht<br />

a priori in der Minderheit sein würde.<br />

Mein Bruder bekam die Immobilien<br />

und Wertschriften und noch etwas dazu.<br />

Sie weichen aus. Wir denken beim<br />

«Gedanken» an Ihren Vater,<br />

BT-Patron Otto Wanner . . .<br />

Ach so (lacht). Er hatte immer noch die<br />

Nutzniessung an den Aktien und musste<br />

der Fusion deshalb zustimmen.<br />

Und – was sagte er?<br />

Ich wies ihn natürlich auf die Chance<br />

hin, die wir bekommen würden. Weil<br />

das AT eine Publikumsgesellschaft war,<br />

gab es die Gelegenheit, später Aktien<br />

zuzukaufen und eine Mehrheit zu bekommen.<br />

Das leuchtete ihm schon ein.<br />

Aber er hing natürlich stark an seinem<br />

Badener Tagblatt. Andererseits fand er<br />

schon auch Gefallen an dieser Fusion.<br />

Man hätte vielleicht schon damals das<br />

Badener Tagblatt als Kopfblatt weiter<br />

bestehen lassen sollen. Das wäre zwar<br />

nicht ganz das Gleiche gewesen, aber<br />

seine Begeisterung wäre ungleich grösser<br />

gewesen. Die hielt sich jetzt in<br />

Grenzen, aber ich konnte ihn überzeugen.<br />

Eine wichtige Rolle spielte auch alt<br />

Regierungsrat Kurt Lareida, der zu meinem<br />

Vater ging – ich war nicht dabei<br />

bei diesem Gespräch – und ihn schliesslich<br />

dazu brachte, das Heft aus der<br />

Hand zu geben.<br />

Ein guter Anlass für die<br />

Generationenablösung . . .<br />

Ja, für mich war die Situation komfortabel.<br />

Die AT-Leute wollten mich als CEO<br />

und durch die innerfamiliäre Regelung<br />

wurde ich auch Mehrheitsaktionär. Und<br />

ich sah die Chance, welche ein fusioniertes<br />

Unternehmen bot.<br />

Trotzdem gab es Reibereien und<br />

Friktionen aus und in Aarau.<br />

Ja, die gab es. Ich konnte zwar an der<br />

GV auftreten und mich vorstellen. Ich<br />

weiss nicht mehr genau, was ich sagte,<br />

ich redete frei, aber der Kern war: Das<br />

wird ein grossartiges Unternehmen, die<br />

Fusion wird ein Erfolg werden. Davon<br />

war ich felsenfest überzeugt. Es überzeugte<br />

offenbar auch die Mehrheit der<br />

Anwesenden. Ein Aktionär möchte ja<br />

vor allem wissen, ob sein Papier wertmässig<br />

steigen wird. Es kam auch gut,<br />

der Kurs stieg. Trotzdem wollten viele<br />

verkaufen und ich konnte diese Aktien<br />

übernehmen.<br />

Es gab doch diese Versammlung<br />

misstrauischer Aktionäre?<br />

Ja, aber die war vorher. In Aarau gab es<br />

eine Gruppe von Leuten, die das Gefühl<br />

hatten, das AT käme da zu<br />

schlecht weg, und sie wollten die Fusion<br />

verhindern.<br />

Woher wussten denn die, was<br />

geplant war?<br />

Wir hatten die Fusion im März 1996 angekündigt,<br />

nachdem die Verwaltungsräte<br />

beider Unternehmen die Fusion<br />

beschlossen hatten – mit Vorbehalt der<br />

Zustimmung der AT-Aktionäre.<br />

Wie waren denn Ihre Gefühle nach<br />

diesen Störmanövern?<br />

Ich bekam Sukkurs von Werner Meyer<br />

von den Lagerhäusern Aarau, den ich<br />

persönlich nicht kannte. Er hatte sich<br />

«Meine Situation war<br />

komfortabel. Die AT-<br />

Leute wollten mich als<br />

CEO und ich sah die<br />

Chance für ein fusioniertes<br />

Unternehmen.»<br />

die Bilanz des AT angeschaut und befand:<br />

Die Fusion ist richtig. Diese Unterstützung<br />

war Gold wert. Werner<br />

Meyer, der Vater des heutigen Lagerhäuser-CEO<br />

Stephan Meyer, war ein angesehener<br />

Unternehmer aus Aarau und<br />

trat auch öffentlich – zum Beispiel als<br />

langjähriger Sponsor des FC Aarau – in<br />

Erscheinung. Wenn eine solche Person<br />

für die Fusion ist, hatten die Opponenten<br />

einen schweren Stand.<br />

Und die GV verlief stürmisch?<br />

Nein, man hatte es im Vorfeld fertiggebracht,<br />

die Stimmung wieder zu beruhigen.<br />

Sie verlief einigermassen ruhig.<br />

Die Ankündigung im März 1996<br />

schlug ja wie eine Bombe ein. Wider<br />

Erwarten gab es kein Leak bis<br />

zum Termin, die Öffentlichkeit ahnte<br />

nichts. War wirklich niemand<br />

eingeweiht, von der Politik, der<br />

Regierung?<br />

Zwei Tage vorher ging ich zum damaligen<br />

Regierungsrat Thomas Pfisterer<br />

und habe über ihn die aargauische Regierung<br />

in Kenntnis gesetzt.<br />

Aber in der Entscheidfindung spielte<br />

die Politik keine Rolle? Für den<br />

Kanton war das ja schon ein<br />

mittleres Erdbeben.<br />

Nein. Da war niemand involviert. Wobei<br />

man sagen muss, dass sich die Profile<br />

der beiden Zeitungen doch recht<br />

ähnlich geworden waren. Es fusionierte<br />

nicht ein konservatives mit einem liberalen<br />

Blatt – wie in Basel, als die «National-Zeitung»<br />

mit den «Basler Nachrichten»<br />

fusionierte. Das ging nicht ganz<br />

ohne Getöse und ist eigentlich bis heute<br />

nicht verdaut. Die beiden Aargauer<br />

Zeitungen waren sich politisch doch<br />

recht nahe.<br />

Und die Gebiete überlappten sich<br />

nur an wenigen Orten.<br />

Es gab die umkämpften Gebiete im<br />

Freiamt, im Fricktal, in Brugg, aber<br />

sonst passte es geografisch recht gut<br />

zusammen.<br />

Warum waren Sie so überzeugt,<br />

dass aus der Fusion ein erfolgreiches<br />

Unternehmen werden würde?<br />

Weil es unter anderem auch technisch<br />

passte. Das BT hatte einen unterschriftsreifen<br />

Vertrag mit der Wifag für<br />

eine neue Druckmaschine. Die hätte<br />

gerade noch in den BT-Keller hineingepasst<br />

– vielleicht würde sie heute<br />

noch laufen –, aber die Druck- und Versandkapazität<br />

in Aarau kam natürlich<br />

gelegen. Das ersparte uns eine grössere<br />

Investition.<br />

Wie sah die Situation in der<br />

Vermarktung aus?<br />

Da passte es weniger. Ich war ein überzeugter<br />

Anhänger der Eigenregie, das


NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 13<br />

BT hatte sich ja von der Publicitas gelöst<br />

mit guten Erfahrungen. Das AT war<br />

an die ofa verpachtet. Aber der Zufall<br />

wollte es, dass per Ende Juni eine Kündigung<br />

möglich war, andernfalls der<br />

Vertrag mehrere Jahre weiterlaufen<br />

würde. Für mich war klar, dieser Vertrag<br />

wird gekündigt.<br />

Das führte zu einigen Turbulenzen.<br />

Genau. Dieser ofa-Vertrag betraf nicht<br />

nur das AT, sondern es gab die Neue<br />

Mittelland-Zeitung, das Zofinger und<br />

das Oltner Tagblatt hatten mit dem AT<br />

eine Kooperation bei den Inseraten. Ich<br />

«Es war ein Verlust<br />

an Pressevielfalt. Ich<br />

träume heute noch von<br />

den Zeiten, als jede<br />

politische Bewegung<br />

ihr eigenes Blatt hatte.»<br />

muss zugeben, da habe ich in der Hitze<br />

des Gefechtes einen Fehler begangen.<br />

Ich hatte den Verlegern zwar mündlich<br />

mehrmals zugesichert, wir künden den<br />

Vertrag, aber für euch bleibt alles beim<br />

Alten. Denn wir machen sofort einen<br />

neuen Vertrag mit Eigenregie, wo für<br />

euch sogar mehr herausschauen wird.<br />

Doch dieses mündliche Versprechen<br />

war für die Partner nichts wert.<br />

Schliesslich landeten wir fast vor Gericht.<br />

Man hätte das schriftlich absichern<br />

müssen, mit den Verwaltungsräten<br />

juristisch wasserdicht machen.<br />

Jürg Schärer hat damals grosse Arbeit<br />

geleistet, um das Vertrauen wieder herzustellen,<br />

aber es brauchte doch zwei,<br />

drei Jahre, bis alles wieder im Lot war.<br />

VERBREITUNGSGEBIET DER AZ NORDWESTSCHWEIZ<br />

Das gelang aber erst, als auch<br />

Solothurn ins Boot kam.<br />

Richtig, das war 2<strong>001</strong>. In der Zwischenzeit<br />

hatten Olten und Zofingen mit Solothurn<br />

ein Inserate-Kombi lanciert,<br />

das aber nicht richtig funktioniert hat.<br />

Schliesslich liessen sie sich überzeugen,<br />

dass ein Zusammengehen mit der Aargauer<br />

Zeitung für alle besser wäre.<br />

Keine weiteren Fehler?<br />

Doch, aber über Fehler redet man<br />

nicht gerne.<br />

Was war denn die grösste<br />

Herausforderung?<br />

Den Kundendruck zurückzubauen. Der<br />

war ausgelegt für 60 Millionen Umsatz,<br />

man hatte mit Drittaufträgen in unrealistischer<br />

Höhe gerechnet. Wir wussten,<br />

dass wir auf die Hälfte des Umsatzes<br />

zurückfahren mussten. Sehr viele<br />

Mitarbeiter waren leider davon betroffen.<br />

Wir haben den Abbau schrittweise<br />

gemacht und versucht, die<br />

Härten einigermassen erträglich zu gestalten.<br />

Über Jahre haben wir versucht,<br />

OLTNER<br />

TAGBLATT<br />

die Druckerei in die schwarzen Zahlen<br />

zu bringen.<br />

Schliesslich erfolgreich?<br />

Nein, ehrlich gesagt, nicht ganz. Es<br />

hing auch an einer Rollen-Offset-Maschine,<br />

die nie richtig funktionierte. Sie<br />

hatte einen Zylinder-Defekt, den man<br />

aber erst ein paar Jahre später entdeckte.<br />

Die Maschine stand einfach herum<br />

und riss so die ganze Druckerei in die<br />

Verlustzone.<br />

Dann ging das Geschäft nach<br />

Derendingen.<br />

Ja, eigentlich war die Sanierung erst erfolgreich,<br />

als wir mit Vogt-Schild fusioniert<br />

hatten. Jetzt funktionierts, eine<br />

Perle von Druckerei mit rund 30 Millionen<br />

Umsatz.<br />

Zurück zur AZ-Fusion: Gestartet<br />

wurde mit einer Auflage von<br />

120 000. Das war optimistisch,<br />

denn beide Zeitungen hatten kaum<br />

mehr als 60 000 Abonnenten.<br />

Beide hatten sogar noch Luft drin. Wir<br />

mussten dann etwas zurückschrauben.<br />

Die effektive Auflage hat sich dann<br />

etwa bei 110 000 eingependelt (inklusive<br />

Limmattaler Tagblatt).<br />

Und publizistisch? Wie reagierten<br />

die Leute? Mit Monopol-Ängsten?<br />

Natürlich hatten nicht alle Freude.<br />

Wenn man zwei Zeitungen fusioniert,<br />

gibt es Verlierer. Das ist eine Verarmung<br />

der Pressevielfalt. Übrigens<br />

träume ich heute noch von den Zeiten,<br />

als jede politische Bewegung ihr eigenes<br />

Blatt hatte.<br />

Man behalf sich mit der Wortschöpfung<br />

«Vielfalt in der Zeitung».<br />

Das war mehr als ein Lippenbekenntnis.<br />

Wir hatten klar kommuniziert: Wir<br />

machen eine Forumszeitung mit liberalem<br />

Profil, die allen politischen Lagern<br />

offen steht. Das haben wir durchgezogen.<br />

Eine Zeitung soll eine Haltung<br />

haben, klar kommentieren, aber sonst<br />

offen sein und die politische Diskussion<br />

fördern.<br />

In Baden musste man immerhin<br />

den Verlust des Badener Tagblatts<br />

verdauen.<br />

Das war nicht leicht, das ist richtig.<br />

Aber es war auch an der Zeit, etwas<br />

Aufbruchstimmung zu verbreiten. Die<br />

beiden Blätter gefielen in konservativen<br />

Kreisen besser als in liberalen. Wir haben<br />

klar gesagt: Jetzt machen wir etwas<br />

Neues, eine weltoffene Aargauer Zeitung.<br />

Ich muss sagen, ich habe in der<br />

Endphase des BT auch ein bisschen gelitten,<br />

das war nicht mehr ganz meine<br />

politische Haltung.<br />

Der BT-Geist wurde fraktioniert . . .<br />

Kann man so sagen. Viele trauerten<br />

dem BT nach, viele aber auch nicht. In<br />

Aarau war auf jeden Fall der Abschiedsschmerz<br />

weniger gross. Jetzt heisst unsere<br />

Zeitung zwar Aargauer Zeitung,<br />

geredet haben die Leute aber immer<br />

noch vom Tagblatt.<br />

Immerhin mussten die Aarauer<br />

einen Badener Verleger begrüssen?<br />

Ich hatte ein bisschen Sorgen, wie man<br />

in Aarau darauf reagieren würde. Mein<br />

Glück war aber, dass ich zum letzten<br />

Jahrgang gehörte, der von Baden in die<br />

Kanti Aarau ging. Ich kannte so schon<br />

ziemlich viele Leute. Unter anderem<br />

Jahrgänger Jürg Schärer, der bereits im<br />

AT-Verwaltungsrat war.<br />

Aber das reichte noch nicht . . .<br />

Nein, das war mir auch klar. Ich bekam<br />

dann die Gelegenheit, mich den Aarauern<br />

grosszügig zu zeigen, als der<br />

FC Aarau auf der Kippe stand. Ich konn-<br />

FORTSETZUNG AUF SEITE 14


14 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />

NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />

te dem damaligen FCA-Präsidenten Michael<br />

Hunziker bei seinen Rettungsbemühungen<br />

helfen. Allerdings musste ich<br />

da ziemlich tief in den Sack greifen.<br />

Der Retter des FC Aarau wurde<br />

dann auch noch zum Aarauer<br />

Beizer . . .<br />

Da haben mir viele abgeraten. Aber<br />

man musste den Aarauern signalisieren,<br />

dass das nicht eine Fusion ist, wo<br />

schliesslich alles in Baden landet. Gut,<br />

eine Beiz namens «Einstein» im AZ-Medienhaus<br />

war einfach so eine Idee von<br />

mir, die ich nicht bereue. Man muss<br />

auch sehen, dass viele Arbeitsplätze in<br />

Aarau blieben oder dorthin verlagert<br />

wurden. Am Schluss hat Aarau bestimmt<br />

mehr profitiert als Baden.<br />

Die Liegenschaft an der Aarauer<br />

Bahnhofstrasse lag und liegt den<br />

Aarauern natürlich am Herzen.<br />

Ja, das war für die Aarauer das Aargauer<br />

Tagblatt, nicht das Produktionsgebäude<br />

in der Telli. Aber das Gebäude<br />

musste renoviert werden, und da erwies<br />

sich ein Neubau schliesslich als<br />

besser. Der Verwaltungsrat war dann<br />

aber zum Schluss gekommen, dass wir<br />

dieses Gebäude für das Unternehmen<br />

gar nicht brauchen: Nicht betriebsnotwendig,<br />

also verkaufen.<br />

Aber der Architekturwettbewerb<br />

war ja schon durchgeführt worden?<br />

Wir hatten sogar einen praktisch unterschriftsreifen<br />

Vertrag mit der Aargauischen<br />

Pensionskasse. Aber dann gab es<br />

einen merkwürdigen Zufall . . .<br />

Zufall? Bei einem Liegenschaftsdeal?<br />

Das Leben besteht aus Zufällen. (Lacht)<br />

Spass beiseite. Ich hatte oft Kontakt mit<br />

dem Berner Verleger Charles von Graffenried.<br />

Und der sagte mir bei einem<br />

Austausch: Ein solches Gebäude an<br />

bester Lage darfst du nie verkaufen. Ich<br />

sagte: Ja, aber es ist nicht betriebsnotwendig<br />

. . . – Nei, ned verchoufe . . .<br />

Und da übernahmen Sie die Liegenschaft<br />

selbst.<br />

Nein, ich ging zuerst nach Hause und<br />

fragte die Familie. Die Familie sagte<br />

auch unisono: Nein, nicht verkaufen.<br />

Da kratzte ich alles zusammen und<br />

noch ein bisschen dazu und ging zu unserem<br />

Finanzchef: Ich habe noch einen<br />

anderen Käufer als die APK. Zu gleichen<br />

Konditionen – leider hatte Finanzchef<br />

Roland Tschudi mit der APK sehr<br />

gut verhandelt. Aber anders war das<br />

nicht zu machen. So kam ich zum AZ-<br />

Medienhaus. Es hing lange an einem<br />

Faden. Aber die Familie und von Graffenried<br />

haben mich überzeugt.<br />

Und nie bereut . . .<br />

Nein, nie.<br />

FORTSETZUNG VON SEITE 13<br />

Wir sind praktisch schon bei der<br />

AZ-Medien-Expansion. Zuerst nochmals<br />

die Fusion. Was war eigentlich<br />

der grösste Knackpunkt? So reibungslos<br />

verlief die Sache ja nicht.<br />

Mittelland Zeitung wieder vereint: Die Verleger Peter Wanner (AZ), Rudolf Rentsch (SZ), Arthur Tabeling (OT) und Hans<br />

Gresch (ZT) spannen 2<strong>001</strong> zusammen.<br />

OLIVER MENGE<br />

So viele Holperer gab es gar nicht. Wir<br />

taten einen Glücksgriff mit Konrad Fischer,<br />

einem Zürcher Anwalt, der aber<br />

aus Aarau stammte, der den ganzen<br />

Prozess moderiert hatte. Ich kannte<br />

ihn von der Kanti her, er wurde dann<br />

von beiden Seiten gut akzeptiert.<br />

Er leitete das sehr gut und wirklich objektiv.<br />

Schlaflose Nächte gab es nicht?<br />

Bis zur AT-GV war halt nichts sicher. Wir<br />

hatten auch nicht mehr viel Zeit. Eigentlich<br />

waren wir nicht gut vorbereitet.<br />

Immerhin gab es einen<br />

Projektleiter.<br />

Ja, der VR wollten einen und wir fanden<br />

einen. Jürg Weber, heute Verlagschef bei<br />

der «Luzerner Zeitung». Er hatte eine<br />

schöne Software, die wunderbare Slides<br />

produzierte, auf denen zu sehen war,<br />

wer gerade was machte. Er hatte den<br />

Überblick, die anderen arbeiteten. Obwohl<br />

er seine Sache gut machte, fiel auf,<br />

dass er immer brauner wurde und unsere<br />

Leute immer bleicher.<br />

Keine kritischen Baustellen?<br />

Doch, die IT. Das haben wir etwas unterschätzt.<br />

Das AT hatte ein ablösungsreifes<br />

System, wir hatten zwar ein relativ<br />

neues, aber das war technisch nicht<br />

mehr der allerneuste Stand. Damals<br />

stellte die Zeitungsproduktion gerade<br />

von den grossen Mainframe-Systemen<br />

auf PC-basierte um. Das machte etwas<br />

Probleme, alle Aussenstellen anzuschliessen.<br />

Die Zentral-Redaktion kam<br />

aus technischen Gründen nach Baden.<br />

Solche Grossrechner zu zügeln und neu<br />

aufzustellen, war extrem riskant. Eine<br />

Herausforderung, einige Mitarbeiter<br />

krampften buchstäblich Tag und Nacht.<br />

Aber der IT-Chef sagte: Da müssen wir<br />

durch. Neue Leute einzustellen, lohnt<br />

sich nicht. Bis die eingearbeitet sind,<br />

müssen wir eh fertig sein. Ich merkte,<br />

das wird eng.<br />

Es wurde auch eng. Eine der ersten<br />

Ausgaben erschien mehrheitlich in<br />

Gelb, weil es nicht mehr gelang, die<br />

Rot- und Blau-Platten zeitgemäss zu<br />

belichten.<br />

Genau. Das war haarscharf. Das war<br />

die heikelste Geschichte. Die machte<br />

mir auch am meisten Bauchweh.<br />

Wie kam die Aufmachung an?<br />

Wir taten einen kühnen Wurf mit dem<br />

Layout. Kurt Schwerzmann verpasste<br />

uns einen typografisch attraktiven Auftritt,<br />

der vielleicht den einen oder andern<br />

Leser etwas forderte. Aber wir kamen<br />

nicht schlecht an. Man merkte,<br />

das wird neu, das wird offener. Auch<br />

die Redaktion und Produktion waren<br />

motiviert, etwas Neues auf die Beine zu<br />

stellen.<br />

Das dann schnell mit dem Laufen<br />

begann . . .<br />

Ja, lange Zeit zum Zurücklehnen hatten<br />

wir nicht. 2<strong>001</strong>/2002 brachten wir die<br />

Mittelland-Zeitung auf den Markt, zusammen<br />

mit dem Oltner und Zofinger<br />

Tagblatt und der Solothurner Zeitung.<br />

Später gab es einen heftigen Kampf mit<br />

von Graffenrieds «Berner Zeitung» um<br />

Vogt-Schild. Finanziell konnten wir da<br />

nicht mithalten, das wusste ich. So<br />

schluckte ich die Kröte mit dem Pachtvertrag<br />

mit der Publicitas, weil ich erkannte,<br />

dass das die Berner auf keinen<br />

Fall wollen.<br />

Die Kröte brachte immerhin<br />

35 Prozent an Vogt-Schild . . .<br />

Eigentlich hätte später die Vogt-Schild-<br />

Stiftung ihre 65 Prozent auch einem andern<br />

verkaufen können. Aber ich kam<br />

dadurch in den Verwaltungsrat und<br />

konnte Kontaktpflege betreiben.<br />

Schliesslich wollten die Solothurner lieber<br />

mit uns als mit den Bernern.<br />

Und die P wurden Sie auch wieder los.<br />

Das war bitter. Am Schluss mussten wir<br />

mit einer Schadenersatzklage drohen.<br />

So kamen wir immerhin nach vier Jahren<br />

wieder raus. Der Vertrag wäre eigentlich<br />

sieben Jahre gültig gewesen.<br />

Unter dem Strich hat uns das eine Menge<br />

Geld gekostet. Immerhin konnten<br />

wir dann ziemlich viel über den neu<br />

lancierten «Sonntag» abwickeln und Inserate<br />

an der P vorbei verkaufen.<br />

Solothurn gegen die Berner,<br />

das Baselbiet gegen die Basler.<br />

Auch da lief es zweistufig. Ich fällte einen<br />

Bauchentscheid und sagte zum Baselbieter<br />

Verleger Mathis Lüdin: So viel<br />

ist das Blatt wert, so viel zahlen wir. Die<br />

Konkurrenz aus Basel hingegen stieg<br />

zuerst tief ein und besserte dann immer<br />

nach. Schliesslich verlor der Basler<br />

Verleger offenbar die Nerven und sein<br />

Umfeld bedeutete: Mit dem Geld können<br />

wir dein Unternehmen auch kaputtmachen.<br />

Da wusste ich, wenn wir<br />

jetzt keine Fehler machen, bekommen<br />

wirs. Und so geschah es dann auch.<br />

So einfach lief das? Musste er denn<br />

verkaufen?<br />

Er wollte aufhören. Sein Bruder war<br />

nur an der Druckerei interessiert. Wir<br />

wollten nur die Zeitung und das Verlagsgeschäft.<br />

Und dann in Basel?<br />

Da haben wir eine Chance verpasst.<br />

Wir waren nicht rechtzeitig bereit, als<br />

die BaZ verkauft wurde.<br />

Um auch noch die BaZ einzuverleiben?<br />

Nein, eher nicht. Aber eine Splitausgabe<br />

machen, denn es war zu erwarten,<br />

dass eine Menge Abonnenten abspringen<br />

würden, wenn bekannt wird,<br />

dass die BaZ Blocher gehört. Es war<br />

dann die «Tageswoche», die von der<br />

Abbestellungswelle profitierte.<br />

Vielleicht noch zum Schluss:<br />

Mit der AZ-Fusion wurde auch<br />

eine Weiche gestellt. Vom Zeitungszum<br />

Multimediahaus.<br />

Wir waren schon vorher multimedial,<br />

Radio Argovia und Tele M1 gab es ja<br />

schon. Aber es ist schon richtig, da ist<br />

etwas in Gang gekommen. Der Konzessions-Streit<br />

mit Roger Schawinski um<br />

Radio Argovia beschäftigte mich lange.<br />

Dann verkaufte die Tamedia ihre Radio-<br />

und TV-Beteiligungen. Und ich sah<br />

die Chance: Da könnte man etwas machen<br />

mit einer Fernseh-Familie. Wir<br />

verdienen zwar noch nicht viel, aber<br />

es läuft. Wir glauben an das private<br />

Fernsehen. Im Werbemarkt geht Print<br />

zurück, Radio und TV sind stabil und<br />

online gewinnt – wenn auch nicht so<br />

viel, um die Print-Verluste zu kompensieren.<br />

Ich glaube, die Diversifikation<br />

war richtig.<br />

Und die Online-Marktplätze? Immobilien,<br />

Wohnungen, Jobs, Autos?<br />

Da kann man uns einen Vorwurf machen,<br />

dass wir da nicht dabei sind.<br />

Aber die Kriegskasse, um da mitzuspielen,<br />

hatten wir nicht. Ich weiss, dass<br />

wir etwas verpasst haben, aber ich hätte<br />

nicht gewusst, wo wir das Geld hätten<br />

hernehmen sollen.<br />

Aber für watson hatten Sie Geld?<br />

Ich bin ein Verleger, der an die Publizistik<br />

glaubt. Ich glaube immer noch daran,<br />

dass man mit Inhalten Geld verdienen<br />

kann. Bei watson legen wir noch<br />

drauf, wir geben uns noch zwei, drei<br />

Jahre. Immerhin erreichten wir von<br />

Null auf 1,2 Millionen Unique Clients<br />

binnen zweier Jahre. Jetzt müssen wir<br />

schauen, dass wir diesen Wert verdoppeln<br />

können. Aber vielleicht läuft sowieso<br />

alles anders. Eines Tages wird es<br />

nicht mehr anders gehen, als von dieser<br />

Gratiskultur wegzukommen.<br />

Eine intelligente Paywall?<br />

Vielleicht. Aber es muss auch eine Lösung<br />

geben, dass nicht mehr nur Facebook<br />

und Google Geld verdienen am<br />

Verbreiten von Inhalten, die andere<br />

produziert haben. Da muss es Lösungen<br />

geben. Dass der Staat eingreift,<br />

wäre allerdings die Ultima Ratio. Guter<br />

Journalismus muss weiterhin finanziert<br />

werden können – wie auch immer.<br />

Das ist für unsere Demokratie<br />

essenziell.<br />

Machen wir nochmals einen Versuch<br />

zum Abschluss: Die Medien-<br />

Schweiz staunt, dass ausserhalb<br />

der grossen Agglomerationen eine<br />

Erfolgsgeschichte abläuft. Ihr<br />

Kommentar zur Erfolgsgeschichte<br />

der AZ Medien?<br />

Das Geheimnis ist wahrscheinlich keines.<br />

Es braucht bloss ein bisschen<br />

Risikofreude und Kreativität. Kommt<br />

hinzu, dass wir die Gewinne immer ins<br />

Unternehmen investiert haben und so<br />

wachsen konnten. Aber man muss<br />

schon sehen: Die digitale Transformation<br />

ist eine happige Geschichte. Die alten<br />

Geschäftsmodelle funktionieren<br />

nicht mehr. Es braucht neue Ideen. Das<br />

ist eine rechte Herausforderung. Diese<br />

Kurve müssen wir kriegen. Aber wir<br />

sind breit aufgestellt und können gut<br />

reagieren.<br />

Das klingt nicht nach Aufhören.<br />

Nein, sicher nicht. Viele möchten das<br />

Unternehmen übernehmen. Aber wir<br />

behalten die Mehrheit in der Familie.<br />

Und die Jungen wollen auch weitermachen.<br />

Das freut mich ganz besonders.<br />

Jakob Vogt AG 5234 Villigen Telefon 056 284 14 16 Samstag 10–16 Uhr geöffnet<br />

www.mazda-vogt.ch


16 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />

NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />

To dream the impossible dream<br />

Der Titelsong aus «The Man of La Mancha» – der Roman von Cervantes als Musical – erweckt Parallelen zur AZ-Fusion.<br />

von<br />

Jürg Schärer<br />

Rechtsanwalt und ehemaliger<br />

Verwaltungsratspräsident<br />

der AZ Medien<br />

W<br />

enn man, wie ich gerade<br />

jetzt, auf einer sonnenüberfluteten<br />

Terrasse in<br />

Spanien sitzt, ist es wohl<br />

unvermeidlich, an Don<br />

Quixote und seinen Diener<br />

Sancho Panza zu denken. Etwas überraschender<br />

ist es aber, wenn man dann plötzlich Peter<br />

Wanner mit dem Ritter assoziiert und ihn, teilweise<br />

mit dem Schreibenden als Jorge Panza,<br />

als Don Pedro durch die Medienwelt der letzten<br />

20 Jahre reiten sieht. Die Fusion von AT<br />

und BT wurde damals wohl von den meisten<br />

als Schlussstein verstanden: causa locuta, causa<br />

finita! Don Pedro dagegen, eben erst der<br />

väterlichen Obhut entflohen, sah die Fusion<br />

als Grundstein für höhere Ziele.<br />

Sein Gesellenstück waren die Windmühlen<br />

in Zofingen und Olten, die ihm ein Dorn im<br />

Auge waren und die es flugs zu bekämpfen<br />

galt: Die Schaffung gerechter Verhältnisse war<br />

ihm dabei wichtiger als Vertragsklauseln, die<br />

die Auflösung der damaligen «Mittelland-Zeitung»<br />

eigentlich verunmöglichten. Zugegeben,<br />

der Ausritt war teuer: Die «Schlichtungsdelegation»<br />

des Verwaltungsrats, die den Canossagang<br />

nach Zofingen auf sich nahm, um<br />

dort zu erklären, dass alles ganz anders gemeint<br />

und die unzeitige Vertragskündigung<br />

zurückgenommen sei, wurde trotz der Abwesenheit<br />

des tapferen Ritters mit Schmähungen<br />

überhäuft und zog unverrichteter Dinge, dafür<br />

mit einem Prozess am Hals, wieder ab.<br />

Tröstlich ist, dass am Ende auch der streitlustige<br />

Anwalt der Gegenparteien nicht verhindern<br />

konnte, dass sich die Partner am Ende<br />

in der heutigen Aargauer Zeitung wieder<br />

zusammenfanden.<br />

Ab und zu gönnte sich Don Pedro in den<br />

vergangenen 20 Jahren auch Ferien – für amtierende<br />

Chefredaktoren eine gefährliche Zeit!<br />

Denn wenn der Ritter von seiner Rosinante<br />

herabstieg und sich Zeit nahm, den nächsten<br />

Ausritt zu planen, kamen unweigerlich die<br />

Chefredaktoren ins Visier. Und so kehrte dann<br />

Don Pedro mit leuchtenden Augen zu Jorge<br />

Panza zurück und erzählte ihm mit ansteckender<br />

Begeisterung, dass er nun den idealen<br />

Chefredaktor gefunden habe: klug, mit guter<br />

Schreibe, führungsstark, bestens vernetzt und<br />

national bekannt, kurz: ein wirklicher «crack»<br />

eben (unnötig zu sagen, dass wir ausschliesslich<br />

Cracks anstellten). Der Rest der Geschichte<br />

ist rasch erzählt: Jorge Panza übernahm es,<br />

den amtierenden Chefredaktoren die gute<br />

Nachricht zu überbringen, dass sie nun nicht<br />

mehr Chefredaktoren seien, weil Don Pedro<br />

einen noch fähigeren Mann gefunden habe.<br />

Ernüchternd war es allerdings festzustellen,<br />

dass die Halbwertszeit solcher Cracks zwar<br />

unterschiedlich, aber doch einheitlich relativ<br />

kurz war: Kaum war Don Pedro wieder einmal<br />

in den Ferien gewesen oder hatte er an einem<br />

Verlegerkongress an der Bar mit einem besonders<br />

begabten Journalisten ein paar Whiskys<br />

getrunken, tauchte schon der nächste Chefredaktor<br />

am Horizont auf – diesmal «der absolute<br />

crack», wie Don Pedro mit wiederum<br />

leuchtenden Augen und ansteckender Begeisterung<br />

versicherte. Fortsetzung siehe oben –<br />

oder «affaire à suivre», wie ein ausgezeichneter<br />

Journalist der AZ jeweils seine Artikel abzuschliessen<br />

pflegte.<br />

Undenkbares auch umsetzen<br />

Es ist aber diese bewundernswerte Gabe<br />

Don Pedros, auch Undenkbares nicht nur zu<br />

denken, sondern es auch umzusetzen, die die<br />

AZ Medien zu dem machten, was sie heute<br />

sind: eine in allen Medien und Kanälen tätige<br />

erfolgreiche Gruppe, die der Nordwestschweiz<br />

von Solothurn bis nach Dietikon und von Basel<br />

bis ins Luzernische hinein ihren Stempel aufdrückt.<br />

Dazu waren mit dem Schlachtruf «to<br />

reach the unreachable star» nicht nur Windmühlen<br />

in Affoltern, Liestal, Solothurn, Bern,<br />

Basel, Lausanne und Olten beherzt anzugreifen,<br />

sondern nach epischen Schlachten auch<br />

zu erobern (verschiedene kürzere Ausritte<br />

nach Zofingen dagegen brachten nicht mehr<br />

ein als karge Picknicks . . .).<br />

Die Krönung der ritterlichen Erfolge Don<br />

Pedros ist aber zweifellos die Wiedergeburt<br />

seiner heimlichen Geliebten Dulcinea, d. h.<br />

des «Badener Tagblatts». Mit seinem hoch entwickelten<br />

Sensorium war es Don Pedro nämlich<br />

nicht entgangen, dass es dem bekanntlich<br />

weltoffenen Geist der Badener nicht länger<br />

zuzumuten war, die – man stelle sich das vor!<br />

– «Aargauer Zeitung» zu lesen. Und so wurde<br />

für einmal eine klitzekleine Ausnahme vom<br />

einheitlichen branding gemacht und den Badenern<br />

wieder ihre eigene Zeitung geschenkt<br />

– Jorge Panza, der sich gegen dieses schon lange<br />

gehegte Projekt Don Pedros immer wieder<br />

erfolgreich gewehrt hatte, konnte seine Umsetzung<br />

leider nicht mehr verhindern, war er<br />

doch altershalber vom Esel gestiegen und hatte<br />

die ritterliche Begleitung Don Pedros seinem<br />

Nachfolger überlassen.<br />

Unabhängig davon: War Don Pedro vor<br />

20 Jahren von der deutschschweizerischen<br />

Medienwelt noch herablassend als Ritter von<br />

der traurigen Gestalt belächelt worden, ist<br />

ihm heute der Respekt und die Hochachtung<br />

der Konkurrenz gewiss. Sein Credo<br />

«This is my quest to follow that star<br />

no matter how hopeless, no matter how far<br />

to fight for the right without question or pause<br />

to be willing to march into hell<br />

for that heavenly cause»<br />

wird es ihm erlauben, auch in Zukunft nicht<br />

nur Unmögliches zu träumen, sondern diese<br />

Träume auch zu realisieren. Jorge Panza<br />

wünscht ihm und den AZ Medien für die zukünftigen<br />

Ausritte dazu von Herzen alles Gute!<br />

Impressionen aus Spanien: Man landet unweigerlich beim Nationalepos «Don Quixote».<br />

THINKSTOCK


NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 17<br />

MEILENSTEINE DER AARGAUER ZEITUNG UND DER AZ MEDIEN<br />

1996 Die Aktionäre der Aargauer Tagblatt AG<br />

sagen an der Generalversammlung vom 3. Mai 1996<br />

mit eindrücklicher Mehrheit Ja zum historischen<br />

Zusammenschluss von «Aargauer Tagblatt» und<br />

«Badener Tagblatt». Arthur Gross wird Verwaltungsratspräsident,<br />

Peter Wanner wird Delegierter und<br />

CEO, Franz Straub Chefredaktor (Bild). Die<br />

Aargauer Zeitung erscheint erstmals am<br />

4. November 1996 als Tageszeitung.<br />

1998<br />

Jürg Schärer löst Arthur<br />

Gross als VR-Präsidenten ab.<br />

Franz Straub übergibt nach<br />

erfolgreichem Aufbau die<br />

redaktionelle Gesamtverantwortung<br />

an Hans Fahrländer (Bild).<br />

2000 Ausbau der<br />

Recherche-Kapazität,<br />

Einführung des<br />

Montags-Interviews.<br />

1999 Die AZ erhöht ab Februar ihre Split-Ausgaben<br />

von fünf auf neun. Der Mantelteil wird<br />

substanziell angereichert mit einer Seite «Thema»<br />

und einem Ressort Special Interest (Computer,<br />

Gesundheit, Lifestyle, Mobil, Tourismus).<br />

2<strong>001</strong>/2002<br />

Die Verlage der Aargauer Zeitung, Solothurner Zeitung, des Oltner Tagblatts und<br />

Zofinger Tagblatts geben die Gründung der Mittelland Zeitung bekannt, die Anfang<br />

2002 mit einem gemeinsamen Mantelteil erscheint. Die Aargauer Zeitung ist für<br />

die Ressorts Inland, Thema, Ausland, Kultur, Wirtschaft und Sport verantwortlich.<br />

2003<br />

Verleger und Verwaltungsrat haben sich für einen Wechsel in der Redaktionsführung<br />

entschieden. Ab Februar 2003 bilden Markus Gisler (Bild) und Peter Buri die Chefredaktion der<br />

AZ. Gisler trägt die publizistische Gesamtverantwortung und leitet die Mantelressorts.<br />

Buri ist verantwortlich für die Führungsbereiche «Aargau/Regionen» sowie «Content/Multimedia».<br />

2004 Ab 1. Mai 2004<br />

erscheinen die AZ-Regionalausgaben<br />

im Tabloid-Format.<br />

2005 Beteiligung mit 17,5% an der<br />

Vogt-Schild Holding AG. Peter Buri wird<br />

alleiniger Chefredaktor. Relaunch unter dem<br />

Motto «Noch Mehr AZ»: Einführung eines<br />

Foyer-Bundes mit Kultur- und Lifestyle-Seiten.<br />

2006<br />

Integration der<br />

Basellandschaftlichen<br />

Zeitung in den Verbund<br />

der Mittelland Zeitung.<br />

2007 Erwerb der Basellandschaftlichen Zeitung.<br />

Erhöhung der Beteiligung an der Vogt-Schild<br />

Holding AG auf 35%. AZ Medien lancieren mit<br />

den Partnern der Mittelland Zeitung den «Sonntag»,<br />

eine eigene Sonntagszeitung mit nationaler<br />

Ausstrahlung. Chefredaktor wird Patrik Müller.<br />

2012 Kauf von Radio 24.<br />

Verkauf des Langentaler Tagblatts.<br />

Neue Markenklammer<br />

«Die Nordwestschweiz».<br />

2009 Christian Dorer wird Chefredaktor<br />

der Aargauer Zeitung. Die Regionalbünde<br />

erscheinen nicht mehr im Tabloid-, sondern im<br />

Zeitungsformat. Die Vogt-Schild Medien AG<br />

geht zu 100% an AZ Medien.<br />

2010 Verleger Peter Wanner löst Jürg Schärer als VR-Präsidenten ab<br />

und übergibt die operative Führung an Christoph Bauer (Bild). Modernster<br />

Newsroom der Schweiz wird in der Telli in Aarau in Betrieb genommen. Neues<br />

Bundkonzept: Die AZ erscheint ab 1.Mai als Zwei-Bund-Zeitung. Lancierung<br />

einer «az Gesamtausgabe» mit einer einheitlichen Marken-Klammer. Jede<br />

der sechs Zeitungsmarken erhält ihr digitales Pendant in Form eines<br />

eigenen News-Portals, einer Mobile- sowie einer iPad-Applikation.<br />

2011 Lancierung der<br />

Stadtausgabe bz Basel.<br />

Kauf von Tele Züri und von<br />

Tele Bärn. Integration zu<br />

einer Senderfamilie mit Tele M1.<br />

2013 Axel Wüstmann löst<br />

Christoph Bauer als CEO ab.<br />

2014 Lancierung des online-Portals Watson.<br />

Im Oktober kehrt das «Badener Tagblatt» als<br />

Kopfblatt der Aargauer Zeitung zurück.<br />

Die az Nordwestschweiz erhält ein neues Layout.<br />

2015 Übernahme der Dietschi AG (Oltner Tagblatt). Relaunch<br />

aller az-online-Portale im Rahmen einer neuen Digital-Strategie;<br />

Ende Dezember werden 1 Mio. UC erreicht. Lancierung von TV 24.<br />

2016 Kauf des Online-Portals swissmom.ch. Lancierung von TV 25.<br />

az Nordwestschweiz und «Schweiz am Sonntag» erhalten eine<br />

einheitliche Führung. Neuer Chefredaktor wird Patrik Müller (per 1.1.2017).


18 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />

NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016


NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 19<br />

Baldegg ist in Baden überall<br />

Als die Fusion verkündet wurde, verdoppelte sich für die AT-Redaktion auf einmal der Aargau:<br />

Neben Aarau gab es jetzt noch Baden – und manche Aarauer taten sich schwer damit.<br />

von<br />

Dagmar Heuberger<br />

Ressortleiterin Ausland<br />

E<br />

s war ein Paukenschlag:<br />

Fusion! Die Nachricht vom<br />

Zusammenschluss von<br />

«Aargauer Tagblatt» und<br />

«Badener Tagblatt» zur<br />

Aargauer Zeitung platzte<br />

mitten in die Behäbigkeit der AT-Redaktion.<br />

Von wenigen Eingeweihten abgesehen,<br />

hatte niemand etwas von der<br />

bevorstehenden Revolution in der Aargauer<br />

Zeitungslandschaft geahnt.<br />

Natürlich hatte es seit Jahren Gerüchte<br />

und Spekulationen gegeben. Aber in<br />

diesen Szenarien hatten wir «ATler»<br />

uns mit der Arroganz der «Hauptstadt-<br />

Zeitung» stets in der stärkeren Position<br />

gesehen. Wie hatten wir doch über die<br />

Kolleginnen und Kollegen in Baden gelacht.<br />

Etwa als die Samstagausgabe des<br />

BT nicht erschien, weil der Seniorchef<br />

seinen 80. Geburtstag feierte und die<br />

ganze Belegschaft zu einem verlängerten<br />

Wochenende nach Zermatt eingeladen<br />

hatte. So etwas wäre uns in Aarau<br />

nicht im Traum eingefallen – ganz abgesehen<br />

davon, dass es beim AT keinen<br />

Seniorchef gab.<br />

Oder über das merkwürdige, weil<br />

zweigeteilte Text- und Produktionssystem<br />

der Badener. Viel zu kompliziert,<br />

völlig unbrauchbar, damit kann<br />

man doch keine Zeitung herstellen,<br />

spotteten wir. Dass unser eigenes System<br />

vollkommen veraltet war, war uns<br />

nicht bewusst – oder wir wollten es<br />

nicht wahrhaben.<br />

Der Dünkel der Hauptstadt<br />

Mit diesen merkwürdigen BTlern<br />

sollten wir nun also in Zukunft «gleichberechtigt»<br />

und «auf Augenhöhe» zusammenarbeiten.<br />

Doch was bedeutete<br />

das genau? Wer würde Chefredaktor<br />

werden? Wie würden die einzelnen<br />

Ressorts zusammengesetzt sein? Und<br />

vor allem: Wer würde überhaupt bei<br />

der neuen Zeitung mit dabei sein? Wer<br />

würde die Kündigung erhalten?<br />

Langsam begriffen wir den Ernst der<br />

Lage. Denn dass der Zusammenschluss<br />

Baldegg als Ausflugsziel bei Baden und das Sitzungszimmer Baldegg sind nicht dasselbe.<br />

zweier Redaktionen nicht ohne Entlassungen<br />

über die Bühne gehen würde,<br />

lag auf der Hand. Die einen reagierten<br />

nervös und verängstigt, die anderen<br />

gelassen bis gleichgültig und die<br />

Dritten versuchten hektisch, sich in eine<br />

möglichst gute Position zu manövrieren.<br />

Mir selber machte nur eine einzige<br />

Frage wirklich Sorgen: Würde die<br />

Aargauer Zeitung ihren zentralen<br />

Standort in Aarau oder in Baden haben?<br />

Ich tat mich schwer mit dem Gedanken,<br />

als eingefleischte Aarauerin in<br />

Baden zu arbeiten.<br />

Baldegg? Baldegg!<br />

Als die Wahl schliesslich doch auf die<br />

Bäderstadt fiel (man hätte es ahnen können),<br />

blieb mir nichts anderes übrig, als<br />

mich auf das tägliche Pendeln einzustellen.<br />

Die ersten Begegnungen mit dem<br />

neuen Arbeitsort waren ziemlich ernüchternd.<br />

Natürlich gab es schon vor<br />

dem Start der Aargauer Zeitung unzählige<br />

Besprechungen, Sitzungen, Konferenzen,<br />

Meetings. Die Einladung zu einer<br />

dieser Sitzungen lautete ungefähr<br />

so: «10.30 Uhr, Baden, Baldegg».<br />

Also fuhr ich mit dem Auto nach Baden<br />

und weiter auf die Baldegg, wo ich<br />

kurz vor 10.30 Uhr vor den verschlossenen<br />

Türen des Restaurants stand. Nachdem<br />

ich einige Zeit ratlos um das Gebäude<br />

getigert war,<br />

beschloss ich, nach<br />

Baden zurückzufahren.<br />

Am Empfang<br />

des BT-Hochhauses<br />

erfuhr ich, dass «Baldegg»<br />

auch die Bezeichnung<br />

eines Sitzungszimmers<br />

war.<br />

Wie hätte ich wissen<br />

sollen, dass die<br />

Sitzungsräume im BT-Hochhaus solch<br />

klangvolle geografische Namen trugen?<br />

Im AT gab es nur das «Attika», einen<br />

langgezogenen Raum, der als Verbindung<br />

zwischen dem ganz alten und dem<br />

nicht mehr ganz neuen Gebäudeteil an<br />

«Die ersten Begegnungen<br />

mit dem<br />

neuen Arbeitsort<br />

waren ziemlich<br />

ernüchternd.»<br />

der Bahnhofstrasse diente. Dort trafen<br />

sich die ATler am Morgen zum gemeinsamen<br />

Kaffeetrinken und Zeitunglesen<br />

und dort fanden auch die – seltenen –<br />

Sitzungen der Gesamtredaktion statt.<br />

Meine zweite Erfahrung mit Baden<br />

war nicht viel erfreulicher: Eine Fahrt<br />

über die Autobahn bei Nebel und im<br />

WALTER SCHWAGER<br />

strömenden Regen.<br />

Inmitten von Wasserfontänen<br />

und Gischtwolken<br />

fragte ich<br />

mich, ob ich mir diese<br />

Fahrt ins trübe,<br />

unfreundliche Baden<br />

in Zukunft jeden Tag<br />

antun wollte.<br />

Als die Aargauer Zeitung<br />

die ersten Startschwierigkeiten<br />

und Kinderkrankheiten<br />

überwunden hatte, war es Frühling geworden.<br />

Meine teilweise ebenfalls skeptischen<br />

Aarauer Kollegen und ich begannen<br />

uns mit der Bäderstadt anzufreunden.<br />

Wir entdeckten die Restaurants<br />

und Gartenbeizen rund um das<br />

BT-Hochhaus und gönnten uns dort regelmässig<br />

gemeinsame Mittagessen. Wer<br />

mit dem Zug kam, schätzte die Nähe der<br />

Redaktion zum Bahnhof. Ich empfand<br />

Baden als eindeutig weltoffener, internationaler,<br />

multikultureller als Aarau.<br />

Ein Umzug kam natürlich trotzdem<br />

nicht infrage, aber ich lernte, die Stadt<br />

zu mögen – und fast ein wenig zu lieben.<br />

Die Badenfahrt im Sommer 1997 mit der<br />

az-Beiz «Titanic» und den ersten Auftritten<br />

der Band az-Ton versöhnte die Aarauer<br />

endgültig mit Baden.<br />

Doch 2010 hiess es: zurück nach Aarau,<br />

in die Telli. Es war ein Kulturschock,<br />

obwohl wir im «schönsten<br />

Newsroom der Schweiz» arbeiten: Im<br />

Industrieviertel, weit weg vom Bahnhof,<br />

in der kulinarischen Wüste. Die Redaktion<br />

– inzwischen gab es längst keine<br />

ATler und BTler mehr, sondern nur<br />

noch AZler – dachte an Aufstand und<br />

Revolution. Auch ich – die eingefleischte<br />

Aarauerin und Telli-Bewohnerin.


20 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />

NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />

Verblüffung, Ärger, Besorgnis, Einsicht<br />

Das Aargauer Tagblatt war eine Publikumsgesellschaft mit Vinkulierungsklausel, viele Aktionäre ahnten nicht,<br />

dass ihr Unternehmen finanziell nicht mehr so gut aufgestellt war, und versuchten, die Fusion zu verhindern.<br />

von Peter Buri<br />

stv. Chefredaktor des<br />

Aargauer Tagblatts<br />

und Chefredaktor der<br />

Aargauer Zeitung<br />

O<br />

ft sind es kleinere Dinge<br />

und Anzeichen, die<br />

Grosses ankünden und<br />

sich im Rückblick zu einem<br />

Mosaik zusammenfügen.<br />

Im November<br />

1995 erkundigte sich der Verleger des<br />

Aargauer Tagblatts (AT) bei der Redaktion,<br />

ob man das defekte Fax-Gerät, mit<br />

dem die Redaktion ihre Manuskripte<br />

von der Bahnhofstrasse in die Setzerei<br />

in der Telli übermittelte, wirklich nicht<br />

erst im neuen Geschäftsjahr ersetzen<br />

könne. Ein paar Monate vorher hatte<br />

sich der Verwaltungsratspräsident gegenüber<br />

der AT-Chefredaktion bei einem<br />

«konspirativen» Treffen im Hotel<br />

Arte in Olten beunruhigt gezeigt über<br />

den wirtschaftlichen Zustand der Aargauer<br />

Tagblatt AG. Er legte dar, dass<br />

der Verwaltungsrat von der Geschäftsleitung<br />

keine transparenten Zahlen erhalte.<br />

Man orte Handlungsbedarf. Bei<br />

dieser Gelegenheit tönte er auch an,<br />

dass man Gespräche mit Baden führe.<br />

Als dann beim frugalen Weihnachtshöck<br />

(Chäschüechli und Wein) der Verleger<br />

in seinen zur Routine gewordenen<br />

Sparappellen dazu aufforderte,<br />

den Gürtel nochmals ein paar Löcher<br />

enger zu schnallen, verdichteten sich<br />

die kleinen Zeichen langsam, aber sicher<br />

zur beunruhigenden Erkenntnis,<br />

dass die fetten Jahre für das AT wohl<br />

endgültig vorbei waren.<br />

In den 70er- und 80er-Jahren hatten<br />

die beiden Zeitungshäuser Aargauer<br />

Tagblatt und Badener Tagblatt – über<br />

alles gesehen – eine wirtschaftliche Blütezeit<br />

erlebt. Sie wuchsen im Gleichschritt.<br />

AT und BT liessen mit ihren erfolgreichen<br />

Regional- und Kopfblattstrategien<br />

die andern Tageszeitungen<br />

im Kanton hinter sich und vereitelten<br />

gleichzeitig Aargauer Expansionspläne<br />

von Zürcher oder Basler Zeitungen. Anfang<br />

90er-Jahre lag der grosse und<br />

letztlich auch entscheidende Unterschied<br />

im unternehmerischen Selbstverständnis<br />

der beiden Häuser, in der<br />

strategischen Entwicklung und Ausrichtung<br />

ihrer Geschäftsfelder. Das AT<br />

verwandelte sich zunehmend in eine<br />

Druckereifirma, in welcher Zeitungen,<br />

Zeitschriften und Beilagen vom Management<br />

vor allem als «Maschinenfutter»<br />

begriffen wurden. Das BT setzte<br />

dagegen konsequent auf publizistische<br />

und verlegerische Aktivitäten, betrieb<br />

ein aktives Marketing und baute sein<br />

Politprominenz an der AT-GV: Damalige Nationalräte Christian Speck (vorne) und Ernst Hasler, Ständerat Maximilian Reimann (Mitte).<br />

Marktgebiet stetig aus. Das Haus Wanner<br />

begann zudem mit Radio Argovia<br />

und Rüsler TV neue Medienfelder zu<br />

erschliessen; die Druckinfrastruktur<br />

wurde als technisches Mittel zum verlegerischen<br />

Zweck angeschaut und aufs<br />

Notwendigste reduziert.<br />

Eine verhängnisvolle Gross- beziehungsweise<br />

Fehlinvestition in den Maschinenpark<br />

brachte – in Kombination<br />

mit einer Konjunkturschwäche – Mitte<br />

90er-Jahre die Aargauer Tagblatt AG in<br />

eine Schieflage. Und beim BT wurde eine<br />

wichtige Personalie immer mehr zur<br />

Belastung: Der Generationen- und Führungswechsel<br />

in der Badener Verlegerfamilie<br />

Wanner von Vater Otto zu Sohn<br />

Peter zog sich in die Länge. In dieser<br />

Konstellation wurden aus ersten, unverbindlichen<br />

Sondierungs- bald ernsthafte<br />

Fusionsgespräche und schliesslich<br />

erfolgreiche Verhandlungen. Am<br />

26. März 1996 konnten auf Schloss<br />

Lenzburg der staunenden Öffentlichkeit<br />

die Aargauer Zeitungsfusionspläne<br />

offiziell verkündet werden.<br />

Verblüffung wird zu Besorgnis<br />

Bei einigen Aktionären der Aargauer<br />

Tagblatt AG wich die Verblüffung über<br />

den Zusammenschluss mit dem Familienunternehmen<br />

Badener Tagblatt<br />

Holding AG bald einmal Besorgnis und<br />

Verärgerung. Der Zürcher Wirtschaftsanwalt<br />

Rudolf P. Schaub schrieb am<br />

4. April 1996 im Namen einer «Gruppe<br />

besorgter Aktionäre» an mindestens<br />

150 Mitaktionäre des AT einen Brief<br />

und forderte sie auf, an der Generalversammlung<br />

vom 3. Mai 1996 gegen die<br />

Fusion zu stimmen, falls der AT-Verwaltungsrat<br />

nicht befriedigende Informationen<br />

zu diversen Fragen liefere. Wer<br />

damals Schaub die vertraulichen Adressen<br />

zur Verfügung stellte, ist bis heute<br />

nicht bekannt.<br />

Ein Hauptpunkt der Kritik betraf die<br />

neuen Besitzverhältnisse: Die Aargauer<br />

MICHAEL KUPFERSCHMIDT/KEYSTONE<br />

Tagblatt AG zählte rund 400 Einzelaktionäre,<br />

wobei niemand mehr als<br />

5 Prozent eigene und fremde Aktienstimmen<br />

auf sich vereinigen durfte. Mit<br />

dem vorgeschlagenen Fusionsvertrag<br />

wurde die Familie Wanner Mehrheitsaktionärin<br />

des neuen Unternehmens.<br />

Weiter kritisierten die oppositionellen<br />

Aktionäre die vermeintlich stark zugunsten<br />

des BT ausgefallene Bewertung<br />

der Unternehmenswerte. Sie wähnten<br />

die Aargauer Tagblatt AG als die stärkere<br />

oder zumindest ebenbürtige<br />

Fusionspartnerin. Weiter forderte die<br />

Gruppe einen besseren Minderheitenschutz<br />

für die Kleinaktionäre. Die Opposition<br />

bedeutete eine reelle Gefahr<br />

für die Fusionspläne, musste doch an<br />

der AT-Generalversammlung vom<br />

3. Mai 1996 ein Quorum von zwei Dritteln<br />

der Aktienstimmen erreicht werden.<br />

Organisiert wurde der AT-Widerstand<br />

von SVP-Ständerat Maximilian Reimann,<br />

SVP-Nationalrat Christian Speck,<br />

vom Suhrer Unternehmer Samuel<br />

Wehrli sowie Lagerhäuser-Chef Werner<br />

Meyer. Sie hatten auch Rudolf P.<br />

Schaub mandatiert, wobei es nach geschlagener<br />

Schlacht – dem Vernehmen<br />

nach – noch einige gruppeninterne Nebengeräusche<br />

gegeben haben soll bis<br />

zur Begleichung des Anwaltshonorars<br />

von 45 000 Franken. Einen anderen<br />

Sturm im Wasserglas verursachte Maximilian<br />

Reimann, der zu dieser Zeit im<br />

Dienste der Aargauer Tagblatt AG eine<br />

viel beachtete Finanzkolumne schrieb.<br />

Er hatte ein paar Wochen vor der<br />

Fusionsbekanntgabe heimlich fünf AT-<br />

Aktien an Peter Wanner, den schärfsten<br />

Konkurrenten seines Arbeitgebers, verkauft.<br />

Am 16. April 1996 kam es zum grossen<br />

«Showdown»: Rund 120 Personen<br />

leisteten der Einladung der oppositionellen<br />

Aktionärsgruppe zu einer Informations-<br />

und Diskussionsveranstaltung


NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 21<br />

Folge. «Obwohl gestern Dienstagabend<br />

im Restaurant Zum Schützen in Aarau<br />

verbal teilweise recht scharf geschossen<br />

wurde, waren die wahren Ziele und<br />

Absichten im rhetorischen Pulverdampf<br />

nicht immer klar auszumachen»,<br />

resümierte das AT in seiner<br />

Berichterstattung. Die Diskussion im<br />

«Schützen»-Saal wogte hin und her. Vor<br />

allem an den grossen Unterschieden<br />

bei der Unternehmensbewertung erhitzten<br />

sich die Gemüter (BT 60,5 Millionen;<br />

AT nur 20,9 Millionen). Ein ehemaliger<br />

AT-Finanzchef wunderte sich,<br />

was mit den zu seiner Zeit geäufneten<br />

stillen Reserven passiert sei. Nach und<br />

nach kristallisierten sich zwei Hauptaspekte<br />

heraus: Die wirtschaftlichen Probleme<br />

der Aargauer Tagblatt AG, die offenbar<br />

viel grösser waren, als man erahnen<br />

konnte, sowie das Umdenken in<br />

der Wirtschaftswelt bezüglich Unternehmensbewertungen,<br />

dass die (künftige)<br />

Ertragskraft viel gewichtiger ist als<br />

der Substanzwert.<br />

Finanzlage «nicht gesund»<br />

Die Versammlung im «Schützen»<br />

nahm – auf diese beiden Punkte bezogen<br />

– eine Wendung, als AT-Aktionär<br />

Werner Meyer einen von ihm privat engagierten<br />

Bücherexperten vorstellte.<br />

Werner Käser, Mitglied der Geschäftsleitung<br />

der Aarauer thv Treuhand AG,<br />

analysierte aus neutraler Warte die<br />

wirtschaftliche Situation der Aargauer<br />

Tagblatt AG. Basierend auf den offiziellen<br />

Unterlagen, kam er zum Schluss,<br />

dass die Finanzlage des Unternehmens<br />

«nicht gesund» sei. Der Anteil des Eigenkapitals<br />

sei in den letzten Jahren<br />

unter 20 Prozent gesunken und das Anlagevermögen<br />

müsse zunehmend mit<br />

kurzfristigem Fremdkapital finanziert<br />

werden. Dieses Statement und die Ankündigung<br />

von AT-Verwaltungsrat Professor<br />

Dr. Georg Müller, dass die AT-Aktionäre<br />

vor der Generalversammlung<br />

nochmals ausführlich informiert würden,<br />

beruhigte die Geister etwas und<br />

AT-Aktionär Samuel Wehrli.<br />

MICHAEL KUPFERSCHMIDT/KEYSTONE<br />

verbreitete auch unter den oppositionellen<br />

Aktionären eine gewisse Nachdenklichkeit.<br />

Der AT-Verwaltungsrat hielt Wort und<br />

informierte am 22. April 1996 die AT-<br />

Aktionäre mit einem neunseitigen Brief<br />

in bemerkenswerter Offenheit und<br />

Schonungslosigkeit über den «dringenden<br />

internen Handlungsbedarf» bei der<br />

Aargauer Tagblatt AG. Einerseits gehe<br />

es als «zentrale Aufgabe» um die Ablösung<br />

der gegenwärtigen Unternehmensleitung<br />

und andererseits um eine<br />

Sanierung des mit einer «hohen Fremdverschuldung»<br />

belasteten Unternehmens.<br />

Weiter erhielten alle AT-Aktionäre<br />

vom neuen Verwaltungsrat der künftigen<br />

«Aargauer Zeitung AG» die Garantie,<br />

ihre Aktien bis zum 31. August 1996<br />

für 2952 Franken<br />

verkaufen zu können;<br />

zum gleichen<br />

Preis wie sie BT-Verleger<br />

Peter Wanner<br />

verrechnet wurden.<br />

Diese Offerte erwies<br />

sich als äusserst geschickter<br />

Schachzug,<br />

schenkten doch<br />

viele AT-Aktionäre<br />

der öffentlichen<br />

Empfehlung eines Finanzexperten<br />

Glauben, dass sie für ihre Papiere nie<br />

mehr einen solch hohen Preis erhalten<br />

würden. Der (designierte) Mehrheitsaktionär<br />

Peter Wanner konnte so seine<br />

Anteile problemlos ausbauen, ohne<br />

sich Vorwürfe gefallen lassen zu müssen,<br />

er strebe die totale Machtübernahme<br />

an. Viele AT-Aktionäre bereuten im<br />

Nachhinein zutiefst, für 2952 Franken<br />

verkauft zu haben – als der AZ-Aktienkurs<br />

zeitweilig weiter über<br />

10 000 Franken hinausschoss.<br />

Der verbesserte Minderheitenschutz<br />

und die Informationsoffensive des AT-<br />

Verwaltungsrats zeigten Wirkung. Die<br />

oppositionellen Aktionäre signalisierten<br />

am 24. April 1996 im AT Gesprächsbereitschaft<br />

(SVP-Nationalrat Christian<br />

«Die Fusion eröffnet<br />

beiden Redaktionen<br />

echte und<br />

beflügelnde Zukunftsperspektiven.»<br />

AT-Chefredaktor Franz Straub<br />

zu kritischen Aktionären<br />

Speck: «An einem Scherbenhaufen ist<br />

niemand interessiert.») Kurz vor der<br />

entscheidenden Generalversammlung<br />

am 3. Mai 1996 in der «Krone» in Lenzburg<br />

strich man die Segel ganz und verzichtete<br />

offiziell auf eine Nein-Empfehlung<br />

zur Fusion. Mitentscheidend seien<br />

vertrauensbildende Gespräche mit dem<br />

neuen Mehrheitsaktionär gewesen, begründete<br />

die Gruppe ihr Einlenken.<br />

Ohne Peter Wanner, der über die erforderlichen<br />

Sachkenntnisse und Führungseigenschaften<br />

zu verfügen scheine,<br />

müsste die unerlässliche rasche Lösung<br />

der Probleme der Aargauer Tagblatt<br />

AG als äusserst fraglich eingeschätzt<br />

werden.<br />

Damit war der Weg frei für die<br />

Aargauer Zeitungsfusion. An der denkwürdigen<br />

Generalversammlung<br />

vom<br />

3. Mai 1996 wurde<br />

zwar nochmals – im<br />

Sinne einer Seelenhygiene<br />

– etwas Vergangenheitsbewältigung<br />

betrieben, die<br />

meisten Votanten<br />

blickten jedoch mit<br />

Hoffnung und Zuversicht<br />

in die Zukunft.<br />

Dr. Franz Straub, AT-Chefredaktor und<br />

designierter erster Chefredaktor der<br />

«Aargauer Zeitung», betonte nochmals<br />

die publizistische und verlegerische<br />

Notwendigkeit und bezeichnete den<br />

Zusammenschluss auch aus redaktioneller<br />

Sicht als sinnvoll: «Die Fusion eröffnet<br />

beiden Redaktionen echte und<br />

beflügelnde Zukunftsperspektiven.»<br />

Nach vier Stunden folgten die AT-Aktionäre<br />

mit einer komfortablen Mehrheit<br />

von über vier Fünfteln den Fusionsanträgen<br />

des Verwaltungsrats. Das AT<br />

schloss seine Berichterstattung mit einem<br />

Zitat von Aktionär Beat Roggen,<br />

der einen Schlusspunkt hinter alle Diskussionen<br />

setzte: «Lieber zu 50 Prozent<br />

an einer guten Sache beteiligt sein als<br />

zu 100 Prozent an einer halbbatzigen».


22 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />

NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />

Die Nationalbahn war sein Schicksal<br />

Aufstieg und Fall eines grossen Journalisten: Josef Zehnder, Urahn und Gründer der Mediendynastie Wanner,<br />

engagierte sich als Stadtammann für die Nationalbahn und legte sich in seiner Zeitung mit den mächtigen Hoteliers an.<br />

von<br />

Markus Somm<br />

Historiker, Verleger<br />

und Chefredaktor<br />

der Basler Zeitung<br />

ke» oder «Speichellecker». Die Zeitung<br />

etablierte sich in jenen Tagen als einflussreichstes<br />

Blatt des Ostaargaus.<br />

Nach etlichen Fusionen sind daraus die<br />

AZ Medien entsprungen. Ihr aktueller<br />

Besitzer, Peter Wanner, ist der Ur-Ur-<br />

Enkel von Josef Zehnder.<br />

J<br />

osef Zehnder, Gründer, Verleger,<br />

Chefredaktor und Chefkommentator<br />

des Badener<br />

Tagblattes hat sich immer als<br />

alles gesehen: als Unternehmer,<br />

Politiker und als Journalist.<br />

Sein Blatt setzte er hemmungslos<br />

ein, um seine Gegner zu bekämpfen –<br />

und er hatte viele davon –, sein Unternehmen<br />

setzte er jedem Risiko aus,<br />

wenn die Politik ihm das zu erfordern<br />

schien, aber auch seine politische Zukunft<br />

war ihm gleichgültig, wenn es um<br />

eine höhere Sache ging. Diese höhere<br />

Sache – an der er scheitern sollte – war<br />

die Nationalbahn. 1878 ging sie bankrott.<br />

Wenig erinnert heute an dieses<br />

grösste Debakel der schweizerischen<br />

Wirtschaftsgeschichte vor der Swissair<br />

– in Baden vielleicht der kuriose Bahnhof<br />

Baden Oberstadt, den niemand versteht,<br />

in Dättwil ein weiterer Bahnhof,<br />

der niemandem nützt – sonst ist alles<br />

vergessen. Zehnder aber – er vergass<br />

diese vermaledeite Bahn wohl nie.<br />

Rest der Schweiz gegen Escher<br />

Anfang der 1870er-Jahre hatten sich<br />

die Winterthurer Demokraten vorgenommen,<br />

ihren grössten Gegner, den<br />

Zürcher Staatsmann und Unternehmer<br />

Alfred Escher, nicht bloss politisch zu<br />

erledigen, sondern auch wirtschaftlich:<br />

Deshalb planten sie eine Bahn vom Bodensee<br />

an den Genfer See, deren Verlauf<br />

erstens wo immer möglich der Luftlinie<br />

folgen sollte, und zweitens das verhasste<br />

Zürich links liegen liess. Damit<br />

wollte man die dominante Nordostbahn,<br />

deren Dreh- und Angelpunkt Zürich<br />

war, aus dem Markt drängen. Die<br />

Nordostbahn wurde von Escher beherrscht<br />

– wie zu diesem Zeitpunkt das<br />

halbe Land.<br />

Die Luftlinie. Kürzer, schneller, besser.<br />

Weil das auf dem Papier so berückend<br />

aussah, gelang es den Winterthurern, all<br />

jene Städte zu gewinnen, die sich bisher<br />

vom Eisenbahnbau vernachlässigt sahen,<br />

viele dieser Orte lagen im Aargau: Zofingen,<br />

Lenzburg, Mellingen beteiligten sich<br />

mit Enthusiasmus an der neuen Bahn –<br />

am Ende machte sogar Baden mit. Dass<br />

das geschah, war merkwürdig, dass es so<br />

weit kam, lag an Josef Zehnder. Denn in<br />

Baden konnte von Enthusiasmus keine<br />

Rede sein: Die Nationalbahn spaltete die<br />

Stadt. Politische Karrieren strahlten mit<br />

der Nationalbahn – und sie zerschellten<br />

an der Nationalbahn.<br />

Ein Virtuose der Beschimpfung<br />

Josef Zehnder, 1810 in Birmenstorf als<br />

Sohn eines Lehrers, Gemeindeammanns<br />

und Kleinbauern geboren,<br />

liess sich ebenfalls zum Lehrer ausbilden,<br />

da er aber mit dem ersten Lohn<br />

seine Eltern und die vielen Geschwister<br />

unterstützen musste, war er auf eine<br />

Nebenbeschäftigung angewiesen und<br />

erlernte deshalb auch das Buchbinden,<br />

dann das Drucken. Schon 1835 gründete<br />

er in Baden eine Druckerei. Bald<br />

folgte eine erste Zeitung, und Zehnder<br />

machte sich auf den Weg, einer der<br />

wichtigsten Verleger des Kantons zu<br />

werden. Immer freisinnig, zuerst auf<br />

dem linken, radikalen Flügel, dann<br />

eher auf dem rechten, liberalen, immer<br />

hoch politisiert, prägte er seine Zeitungen<br />

auf eine Art und Weise, die unverkennbar<br />

blieb, weil ausgeprägt aggressiv<br />

und meinungsstark. Er selber war<br />

ein glänzender Polemiker, er schuf sich<br />

gute Freunde und noch bösere Feinde.<br />

Besonders die Katholisch-Konservativen<br />

verziehen ihm, dem Katholiken,<br />

nie, mit welcher Vehemenz er Kirche,<br />

Papst, «Lügenapostel» und die Priester<br />

als «Dunkelmänner des Schwarzen Erdteils»<br />

tagtäglich vernichtete. Polemiker?<br />

Er war ein Virtuose der Beschimpfung.<br />

In Zehnders Zeitungen war es ganz normal,<br />

dass übelste Attacken als Artikel,<br />

öfter noch als Inserate, erschienen:<br />

«Lügner», «Schmarotzer», «Kreatur»,<br />

«Schuft», «Verleumder», «feiger Schur-<br />

«Wir Bewohner im Baderbiet<br />

und im Reusstale<br />

leben nicht<br />

im Hottentottenlande;<br />

wir sind nicht die Heloten<br />

des obern Aargaus.»<br />

«Nationalbahn aushudeln?»<br />

Wenn die Winterthurer in Baden einen<br />

Vorkämpfer für ihr Nationalbahn-<br />

Projekt gesucht hatten, dann fanden sie<br />

ihn in Josef Zehnder, der seit einigen<br />

Jahren auch Stadtammann war. Der gewaltige<br />

Mann war sogleich Feuer und<br />

Flamme. Im Kampf, der bald in der<br />

Stadt entbrannte, waren die meisten<br />

Hoteliers auf der anderen Seite und<br />

misstrauten Josef Zehnder – was ihn dazu<br />

verleitete, sie, die Herren des Kurorts,<br />

die informelle Elite, offen anzugreifen,<br />

was für einen Stadtammann<br />

doch eher ungewöhnlich war:<br />

«Unsere sog. Noblesse, welche sich etwas<br />

darauf zu gute tut, mit und ohne<br />

Aktien in der Gunst der Nordostbahn<br />

zu stehen und die Nationalbahn mit<br />

ihren Gönnern auszuhudeln, sollte sodann<br />

nie vergessen, dass auch in Baden<br />

eine Solidarität der Interessen gepflegt<br />

werden muss, wenn nicht Hader<br />

und Feindschaft entstehen soll.<br />

Was haben die Stadt, die Vorstadt<br />

und die Halde davon, wenn der<br />

Schwerpunkt der Entwickelung des<br />

Ortes vor das Bruggertor, an die Badhalde,<br />

ins Hasel und nach den Bädern<br />

hin verlegt wird? Will man die anderen<br />

Stadtteile veröden lassen und sie<br />

gleichzeitig nötigen, Hunderttausende<br />

zu Gunsten zunächst der Bäder<br />

und der Badhalde zahlen zu helfen?»<br />

Entweder man war für ihn – oder gegen<br />

ihn. Wegen der Nationalbahn<br />

brach er selbst mit den Liberalen. Als<br />

die «NZZ», das Organ der Escher-Liberalen,<br />

die Idee der Nationalbahn –<br />

selbstverständlich – verwarf, ging Zehnder<br />

auf die ehemaligen Verbündeten<br />

los:<br />

«Es ist eine plumpe Tendenzlüge, dass<br />

bezüglich des Baues die Nationalbahn<br />

zu den schwierigsten der Schweiz


NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 23<br />

zählt! – Es gehört ein raffiniertes<br />

Strauchrittertalent dazu, die Ansätze<br />

der Nationalbahn als ‹windig›<br />

zu bezeichnen! – Das behaupten<br />

wir fest, wenn es um die Finanzen<br />

des Kritikasters so lumpig<br />

steht, wie um seinen Charakter<br />

und seine politische Ehrlichkeit, so<br />

würde ihm kein Mensch einen Centime<br />

anvertrauen. Wir Bewohner<br />

im Baderbiet und im Reusstale leben<br />

nicht im Hottentottenlande;<br />

wir sind nicht die Heloten des<br />

obern Aargaus».<br />

In Baden war die Auseinandersetzung<br />

zu einem Bürgerkrieg verkommen.<br />

Im Kern drehte sich der<br />

Konflikt um die Tatsache, dass besonders<br />

die Hoteliers sich als saturiert<br />

betrachteten, was die Verkehrsanbindung<br />

ihrer Bäder anbelangte. Sie hatten<br />

die Spanischbrötlibahn einst entschlossen<br />

unterstützt, weil sie um<br />

deren positive Wirkung auf ihr<br />

Geschäft wussten. Aber wozu eine<br />

weitere Bahn?<br />

Zehnder kämpfte, Zehnder lockte,<br />

Zehnder polterte. Zwei Gemeindeversammlungen<br />

waren erforderlich,<br />

um zu entscheiden, ob Baden sich an<br />

der Nationalbahn beteiligen sollte,<br />

man traf sich am 16. März und am<br />

30. Juni 1873. Wenige Stunden vor<br />

dieser entscheidenden Sitzung richtete<br />

das Badener Tagblatt ein letztes<br />

Mal die Artillerie auf alle Gegner:<br />

«Die Geschäftsleute, die Handwerker<br />

und Arbeiter wissen schon<br />

längst, wie viel sie von diesen Herren<br />

zu erwarten haben, und es ist<br />

ohne neue Empfehlung bekannt,<br />

wie gut es allzeit die Herren ‹Vertreter<br />

des Handelsstandes› mit der<br />

Einwohnerschaft und namentlich<br />

mit uns, Hudelpack, mitunter auch<br />

Plebs und Bettelvolk tituliert, das<br />

nicht aus den Renten lebt, gemeint<br />

haben.»<br />

Baden, Bahnhof Oberstadt: Die Proportionen betonen die Wichtigkeit des Gebäudes. -<br />

Bahnhof Dättwil: Typisch für die Nationalbahn – das Dorf ist woanders.l<br />

DIETER MINDER<br />

WALTER SCHWAGER:<br />

Hudelpack? Bettelvolk? So beschrieb<br />

sich der Stadtammann von<br />

Baden und mächtige Verleger<br />

höchstpersönlich. Ob das jemand<br />

ernst nahm? Offensichtlich: Nachdem<br />

die Badener heftig über eine<br />

Beteiligung an der Nationalbahn gestritten<br />

hatten, beschloss die Einwohnergemeinde<br />

im Juni 1873 mit<br />

200 gegen 147 Stimmen im Sinn von<br />

Josef Zehnder. Baden kaufte für eine<br />

halbe Million Franken Aktien der<br />

Nationalbahn, – das war weniger als<br />

Winterthur oder Zofingen, aber<br />

immer noch einer der höchsten Beträge,<br />

den die Stadt je gesprochen<br />

hatte.<br />

Vielleicht hat<br />

die Menschen an<br />

der Nationalbahn<br />

nichts mehr fasziniert,<br />

als die Idee<br />

ihrer Promotoren,<br />

das Mittelland auf<br />

dem kürzesten<br />

Weg zu durchkreuzen.<br />

Tatsächlich<br />

lag darin ihr<br />

Verhängnis. Ohne Rücksicht auf die<br />

Topografie verlegten die Ingenieure<br />

die Eisenbahnschienen, sie durchquerten<br />

die Täler, statt ihnen zu folgen,<br />

was etliche Brückenbauten erforderte,<br />

und sie durchschnitten das<br />

Gelände, als ob es keine Hügel gäbe.<br />

Kein Wunder explodierten die Kosten.<br />

Die Manager der Nationalbahn<br />

verlangten immer mehr Geld – acht<br />

Millionen Franken betrug das Aktienkapital<br />

der Nationalbahn inzwischen,<br />

doch neun weitere Millionen<br />

fehlten.<br />

Da es nicht mehr infrage kam, eine<br />

Obligation zu vernünftigen Konditionen<br />

auf dem Markt zu platzieren,<br />

mussten die Städte ein zweites Mal<br />

einspringen, und zwar indem sie die<br />

Obligation mit einer «solidarischen<br />

Garantie» absicherten, wobei ein geheimer<br />

Schlüssel festlegte, wie viel<br />

«Der Zusammenbruch<br />

der Nationalbahn<br />

war der bisher<br />

grösste Bankrott der<br />

Schweizer Wirtschaftsgeschichte.»<br />

davon die jeweilige Stadt zu übernehmen<br />

hatte. Sollte die Bahn scheitern,<br />

musste Baden damit rechnen,<br />

mit fast zwei Millionen Franken verschuldet<br />

zu sein – zur damaligen Zeit<br />

ein schwindelerregender Betrag.<br />

Am 15. Oktober 1877 wurde der<br />

Prestigeabschnitt Baden-Winterthur<br />

eröffnet. Um möglichst viel Publikum<br />

anzuziehen, bot man die erste<br />

Reise gratis an, sodass die neue<br />

Bahn geradezu gestürmt wurde.<br />

2400 Passagiere liessen sich von<br />

Winterthur nach Baden fahren. Es<br />

sollte ein Rekord sein – und für immer<br />

bleiben. In den folgenden Tagen<br />

sassen einmal<br />

zwei Passagiere<br />

im Zug, in einem<br />

späteren zehn: Es<br />

war eine Katastrophe.<br />

Vier Monate später<br />

brach das Unternehmen<br />

zusammen.<br />

Es war<br />

der bisher grösste<br />

Bankrott der<br />

Schweizer Wirtschaftsgeschichte.<br />

Und Baden, die kleine Bäderstadt,<br />

war faktisch zahlungsunfähig. Auf<br />

Jahre hinaus war es zum Schuldendienst<br />

verdammt. Baden zahlte 1935<br />

die letzte Rate von Fr. 15 292.65 zurück.<br />

1890, unmittelbar vor der<br />

Gründung der BBC, die alles ändern<br />

sollte, flossen 41 Prozent sämtlicher<br />

Ausgaben der Gemeinde in den<br />

Schuldendienst.<br />

Nachdem die Nationalbahn kollabiert<br />

war, sah sich Josef Zehnder<br />

1880 gezwungen, als Stadtammann<br />

zurückzutreten. Er war siebzig. Zwar<br />

blieb er Verleger des Badener Tagblattes<br />

und damit einflussreich, was<br />

er in einem Leitartikel kurz nach seinem<br />

Rückzug etwas zu auffällig beschwor,<br />

doch politisch war seine<br />

Karriere zu Ende; menschlich erholte<br />

er sich nicht mehr. 1896 starb er.


FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />

Beilage zu 20 Jahre Aargauer Zeitung<br />

3. November 1996: Es ist so weit. Die erste Nummer<br />

der Aargauer Zeitung wird gedruckt. Am Montag,<br />

4. November 1996, hatten die Abonnenten sie<br />

im Briefkasten. Damit bekam der Aargau die erste<br />

Zeitung, die das gesamte Gebiet des Kantons abdeckt.<br />

■ Christian Dorer,<br />

AZ-Chefredaktor, über<br />

wachsende Leserzahlen<br />

und Einnahmen.<br />

■ Patrik Müller,<br />

Chefredaktor «Schweiz<br />

am Sonntag», über<br />

Journalismus morgen.<br />

■ Peter Buri, Sprecher<br />

der AG-Regierung, über<br />

die Klammerfunktion<br />

der Aargauer Zeitung.<br />

■ AZ-Redaktoren<br />

(diverse) über (Fusions-)<br />

Erlebnisse, die der Leser<br />

nicht mitbekam.<br />

SEITE 27<br />

SEITE 28<br />

SEITE 31<br />

SEITE 34, 35, 36, 38 UND 39


NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 27<br />

Warum mehr Menschen als je AZ lesen<br />

Der Medienwandel bringt es ans Licht: Das Problem der Verlage sind nicht die fehlenden Leser,<br />

sondern die fehlenden Einnahmen. Im Print sinken sie rasant, online steigen sie nur langsam.<br />

von<br />

Christian Dorer<br />

Chefredaktor der<br />

Aargauer Zeitung<br />

A<br />

ls ich Anfang 2009 Chefredaktor<br />

der Aargauer<br />

Zeitung wurde, war sie<br />

ausschliesslich ein gedrucktes<br />

Blatt. Wir Journalisten<br />

dachten in Anzahl<br />

Zeitungsseiten, die zu füllen waren,<br />

und in Abschlusszeiten, bis das Tageswerk<br />

vollendet sein musste.<br />

Heute, acht Jahre später, ist die Aargauer<br />

Zeitung nach wie vor ein gedrucktes<br />

Blatt. Sie ist aber auch ein Online-Portal<br />

und eine App, sie ist auf<br />

Facebook, Twitter, Instagram und anderen<br />

sozialen Medien präsent, sie berichtet<br />

rund um die Uhr in Texten, Bildern,<br />

Videos, Grafiken, Livetickern,<br />

Cards, Quiz etc. Wir denken in verschiedenen<br />

Kanälen, Redaktionsschluss<br />

ist immer und nie.<br />

Die digitale Revolution hat die Medienbranche<br />

voll erfasst – mit ungewissem<br />

Ausgang. Die Entwicklung geht rasant.<br />

Junge Menschen wechseln ganz<br />

selbstverständlich von Facebook zu Instagram<br />

zu Snapchat zu irgendwas<br />

noch Neuerem. Man kann sich nicht<br />

vorstellen, dass diese Generation, die<br />

mit Smartphones und sozialen Medien<br />

aufgewachsen ist, irgendwann zu einer<br />

Tageszeitung aus Papier greifen wird,<br />

um das tägliche Informationsbedürfnis<br />

zu stillen.<br />

Das ist die schlechte Nachricht für<br />

uns Zeitungsmacher. Die gute Nachricht:<br />

Was wir täglich an Inhalten produzieren,<br />

ist gefragt wie noch nie, wie<br />

ein Blick auf die Leserzahlen zeigt:<br />

■ 2009 hatte die AZ<br />

auf Papier 415 000 Leser.<br />

■ 2016 hat sie noch 364 000 Leser.<br />

Das macht fast 50 000 weniger. Digital<br />

aber konnte dieser Verlust mehr als<br />

wettgemacht werden:<br />

■ 2009 hatte die AZ 103 000 Unique<br />

Users pro Monat, also Nutzer des Online-Angebots.<br />

■ 2016 sind es 758 000!<br />

Unter dem Strich resultiert ein sattes<br />

Plus. Richtig dramatisch wäre die Lage,<br />

wenn das, was wir Journalisten machen,<br />

nicht mehr gefragt wäre. Wir<br />

aber erreichen so viele Menschen wie<br />

noch nie – und zwar auch junge, diese<br />

jedoch auf den neuen Kanälen.<br />

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier,<br />

und so zeigt die Erfahrung: Wer sich<br />

Simone Morger ist die Video-Redaktorin im AZ-Newsroom.<br />

«Wir erreichen so viele<br />

Menschen wie noch nie –<br />

und zwar auch junge,<br />

diese jedoch<br />

auf den neuen Kanälen.»<br />

die Lektüre einer gedruckten Zeitung<br />

gewohnt ist, der wechselt selten auf<br />

elektronische Kanäle, und wenn, dann<br />

ergänzend. Die Anzahl Abo-Abbestellungen<br />

bei der AZ ist seit Jahren konstant<br />

– und der häufigste Grund ist der<br />

Tod des Abonnenten aus Altersgründen.<br />

Leider kommen nicht gleich<br />

viele neue Abonnenten nach, sodass<br />

Jahr für Jahr ein leichtes Minus resultiert.<br />

Online und vor allem mobile verzeichnet<br />

die AZ ein starkes Wachstum.<br />

Das hängt mit dem erweiterten Angebot<br />

zusammen, aber auch mit der technischen<br />

Entwicklung:<br />

■ 2009 gab es in der Schweiz um die<br />

250 000 Smartphones.<br />

■ 2016 sind es 4,9 Millionen.<br />

Wir Journalisten möchten vor allem<br />

gelesen werden. Ob auf Papier oder<br />

digital, ist egal. Gleichzeitig muss eine<br />

Zeitung auch profitabel sein, und da<br />

liegt die Krux: Im Print sinken die Einnahmen<br />

rasant, digital steigen sie nur<br />

langsam.<br />

Einst waren Zeitungen quasi Gelddruckmaschinen:<br />

Klassische Inserate,<br />

Stelleninserate, Fahrzeugmarkt, Immobilienmarkt,<br />

Todesanzeigen – all das<br />

spielte sich ausschliesslich in den gedruckten<br />

Zeitungen ab, weil es keine<br />

Alternativen gab. Online aber buhlen<br />

auch Google und Facebook um<br />

Anzeigenerlöse, und auf dem Handy<br />

hat noch niemand ein Anzeigenmodell<br />

gefunden, das wirklich gut funktioniert<br />

und das der Nutzer nicht als lästig empfindet.<br />

Wenn die Anzahl Inserate abnimmt,<br />

so wird der Abonnent auch finanziell<br />

gesehen umso wichtiger:<br />

■ 2009 stammten 52 Prozent der Einnahmen<br />

aus Inseraten und 48 Prozent<br />

aus Abonnements.<br />

■ 2016 stammten noch 43 Prozent aus<br />

Inseraten und 57 Prozent aus Abonnements.<br />

SANDRA ARDIZZONE<br />

Gut möglich, dass sich diese Entwicklung<br />

fortsetzt, dass also der Leser noch<br />

mehr für seine Zeitung zahlen muss als<br />

bisher. Eine interessante Überlegung ist<br />

auch die folgende: Würden alle Abonnenten<br />

ihre Zeitung als E-Paper lesen,<br />

würden zwei Drittel aller Kosten wegfallen<br />

– so viel machen Druck und Vertrieb<br />

aus. Dann könnte eine Zeitung<br />

gänzlich ohne Inserate oder gänzlich<br />

ohne Abo-Einnahmen auskommen. Die<br />

kanadische Tageszeitung «La Presse»<br />

hat diesen Schritt gewagt: Sie hat ihre<br />

Erscheinungsweise im Print sukzessive<br />

verringert. Heute ist sie eine reine E-Paper-Zeitung.<br />

Sie ist finanziell gesund<br />

und hat mehr Leser denn je in ihrer Geschichte.<br />

Die Arbeit des Journalisten ist<br />

anspruchsvoller geworden<br />

Wie auch immer die Zukunft aussieht<br />

– die neuen technischen Möglichkeiten<br />

haben die Arbeit von uns Journalisten<br />

bereits grundlegend verändert. Wenn<br />

der Grosse Rat ein umstrittenes Geschäft<br />

behandelt, so gibt es auf<br />

www.aargauerzeitung.ch einen Liveticker<br />

dazu, ebenso bei einem bedeutenden<br />

Fussballspiel oder einer brisanten<br />

Medienkonferenz. Von jedem Journalisten<br />

wird heute erwartet, dass er<br />

bei News schnellstmöglich einen kurzen<br />

Text online first schreibt, dass er<br />

ein einfaches Video und eine Bildergalerie<br />

machen kann.<br />

Die AZ hat aber auch neue Jobs geschaffen<br />

und beschäftigt heute zum<br />

Beispiel eine Videojournalistin und eine<br />

Social-Media-Redaktorin. Denn es<br />

reicht längst nicht mehr, einfach den<br />

Text aus der gedruckten Zeitung online<br />

zu stellen – es braucht eigene Inhalte<br />

für online, die die neuen technischen<br />

Möglichkeiten nutzen. Wichtiger geworden<br />

ist auch der Austausch mit<br />

Tele M1, das Videos liefert, die online<br />

gut laufen. Und dann muss das Ganze<br />

im Netz über soziale Medien vermarktet<br />

werden, damit die Inhalte diejenigen<br />

Menschen erreichen, die es interessiert,<br />

zum Beispiel über Facebook-Gruppen.<br />

Wer weiterkommen will, muss<br />

sich selber kannibalisieren<br />

Das tönt vielleicht alles simpel – für<br />

eine Redaktion ist es ein Paradigmenwechsel.<br />

Die Ressortleiter müssen entscheiden,<br />

ob ein Thema sofort online<br />

geht oder erst am nächsten Morgen.<br />

Ein Journalist muss heute nicht nur bis<br />

Redaktionsschluss einen Text schreiben<br />

können, sondern rasch auf allen Kanälen<br />

präsent sein. Gleichzeitig ist, wie<br />

fast überall in der Wirtschaft, der<br />

Druck gestiegen; die einzelnen Teams<br />

sind kleiner, die Anforderungen grösser<br />

und die Aufgaben zahlreicher geworden.<br />

Zu Beginn gab es auf der Redaktion<br />

auch Widerstand gegen den digitalen<br />

Wandel, denn das multimediale Arbeiten<br />

bedeutet zuerst einmal eine Zusatzbelastung<br />

und ein Abschiednehmen<br />

von jahrelangen Gewohnheiten. Und<br />

immer wieder kam das Argument: Wir<br />

kannibalisieren uns selber, wenn man<br />

unsere Arbeit auch kostenlos online findet.<br />

Keine Alternative<br />

Das mag stimmen. Doch wir haben<br />

keine Alternative. Innovative, erfolgreiche<br />

Firmen beweisen, dass man sich<br />

selber kannibalisieren muss, um weiterzukommen<br />

– sonst macht es ein anderer<br />

und der einstige Platzhirsch ist<br />

weg vom Fenster. Der technische Fortschritt<br />

lässt sich nicht aufhalten. Und<br />

wenn nicht die AZ das beste digitale<br />

Angebot für den Aargau bietet, dann<br />

tut es früher oder später ein anderer.<br />

So funktioniert die Marktwirtschaft.<br />

Sie besagt aber auch: Wo ein Bedürfnis<br />

ist, ist auch ein Markt. Und da die Inhalte<br />

der Aargauer Zeitung gefragt sind<br />

wie nie, wird sich auch ein Geschäftsmodell<br />

für die digitale Welt etablieren.


28 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />

NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />

Den Gratis-Fluch besiegen<br />

Die Schweiz am Sonntag suchte im Silicon Valley nach Innovationen auch für die Medienbranche.<br />

Doch ob die Rettung von dort kommt, ist fraglich.<br />

von<br />

Patrik Müller<br />

Chefredaktor der<br />

Schweiz am Sonntag<br />

W<br />

enn man das Rad<br />

der Zeit nur zurückdrehen<br />

könnte! Diese<br />

Sehnsucht würde<br />

man überall erwarten,<br />

nur an einem<br />

Ort nicht: im Silicon Valley. Doch ausgerechnet<br />

dort begegnete sie uns, als<br />

wir mit der «Schweiz am Sonntag»-Redaktion<br />

für unsere jährliche Spezialausgabe<br />

im Tal der digitalen Revolution<br />

unterwegs waren. Wir hatten das Privileg,<br />

John Hennessy zu treffen, den legendären<br />

Präsidenten der Stanford-<br />

Universität. Seine berühmtesten Studenten<br />

waren Larry Page und Sergey<br />

Brin – die Jungs, die Google gründeten.<br />

Die beiden kamen mit der Idee einer<br />

ausgeklügelten Suchmaschine zuerst zu<br />

ihrem Professor, und Hennessy erkannte<br />

das Potenzial sofort. Er half bei der<br />

Finanzierung des Start-ups und ist bis<br />

heute Vizepräsident des Verwaltungsrats<br />

von Google.<br />

Dieser John Hennessy also, ein überschwänglicher,<br />

einnehmender Mann,<br />

der glaubt, jedes Problem der Welt mit<br />

der richtigen Idee lösen zu können,<br />

wurde in unserem Interview auf einmal<br />

sehnsüchtig. Er sagte: «Wir haben einen<br />

grossen Fehler begangen. Die Welt<br />

wäre heute ein anderer Ort, wenn es<br />

uns gelungen wäre, in der Frühphase<br />

des Internets ein gutes Zahlungssystem<br />

für Inhalte zu schaffen.» Und weiter:<br />

«Damals wäre es einfacher gewesen,<br />

die Gratiskultur gar nicht erst aufkommen<br />

zu lassen. Wir hätten einen Weg<br />

finden müssen, wie man schnell und<br />

effektiv für Inhalte wie einen Zeitungsartikel<br />

bezahlt.» Es war das einzige<br />

Thema, bei dem Daueroptimist Hennessy<br />

nicht lächelte. Er sagte auch: «Ich<br />

mache mir Sorgen um den Relevanz-<br />

Gehalt im Netz. Was ist das Netz ohne<br />

echte Inhalte wirklich wert?»<br />

Journalismus braucht Leute<br />

Nun, die Ursünde ist passiert, die<br />

Gratiskultur ist da. Bei AZ Medien und<br />

wahrscheinlich in jedem Medienhaus<br />

der Welt lautet die zentrale Frage: Wie<br />

finanzieren wir Journalismus in Zukunft?<br />

Wer sie im Silicon Valley stellt,<br />

wird bisweilen verwirrt angeschaut.<br />

Man befasst sich dort mit der Besiedelung<br />

des Mars, mit der Lösung aller<br />

Verkehrs- und Energieprobleme, ja mit<br />

dem ewigen Leben. Doch Journalismus?<br />

Er interessiert eher am Rande.<br />

Zwar gibt es jede Menge Innovationen<br />

im Medienbereich. Bei diesen geht es<br />

aber fast immer um die Aufbereitung,<br />

Darstellung und Weiterverbreitung bereits<br />

vorhandener Informationen. Nicht<br />

um deren Erstproduktion, also um das,<br />

was den Journalistenberuf ausmacht.<br />

«Das ist viel zu teuer, und Nachrichten<br />

sind ohnehin im Überfluss vorhanden»,<br />

sagte uns ein Manager von Matter, einem<br />

Start-up-Accelerator, der Jungunternehmen<br />

fördert: «Man kann so<br />

viele tolle Dinge ohne viel Personal machen,<br />

mit zwei bis vier Leuten. Das<br />

geht im Journalismus leider nicht.» Er<br />

verwies auf den Fotodienst Instagram:<br />

«Der hatte nur 12 Mitarbeiter, als er für<br />

1 Milliarde US-Dollar verkauft wurde.»<br />

Aggregation statt Produktion: Das ist<br />

die Devise im Silicon Valley, ob es um<br />

Musik, Film, Fahrdienste oder eben um<br />

Nachrichten geht.<br />

Interessanterweise hat die Medienlandschaft<br />

der US-Westküste nicht von<br />

der Innovationskraft des Silicon Valleys<br />

«Aggregation statt Produktion:<br />

Das ist die Devise<br />

im Silicon Valley, ob es<br />

um Musik, Film, Taxidienste<br />

oder News geht.»<br />

John Hennessy, Präsident der Stanford University und Vizepräsident von Google.<br />

Die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin waren seine Studenten. PATRICK ZÜST<br />

profitiert. Der wichtigsten Zeitung,<br />

dem «San Francisco Chronicle», geht es<br />

chronisch schlecht. Die national bedeutenden<br />

Medien erscheinen an der Ostküste:<br />

Der «New York Times» ist es gelungen,<br />

für ihr Online-Angebot eine einigermassen<br />

funktionierende Paywall<br />

zu errichten. Ebenso dem «Wall Street<br />

Journal». Auf europäische oder gar<br />

schweizerische Verhältnisse lassen sich<br />

diese Abo-Modelle aber kaum übertragen,<br />

denn die beiden US-Zeitungen erreichen<br />

in der Weltsprache Englisch ein<br />

globales Publikum, was zu einer respektablen<br />

Anzahl zahlungswilliger<br />

Nutzer führt. Versuche von Bezahlschranken<br />

auf dem kleinen Deutschschweizer<br />

Markt, wie sie die «NZZ» und<br />

der «Tages-Anzeiger» gestartet haben,<br />

sind wenig erbaulich. Damit die Seitenabrufe<br />

nicht dramatisch zurückgehen,<br />

wurden die Paywalls nach und nach<br />

wieder löchriger gemacht. Innovative<br />

oder gar disruptive Ideen hat man sich<br />

von der «Washington Post» erhofft, als<br />

der Internet-Milliardär Jeff Bezos, der<br />

Gründer von Amazon, das Blatt übernommen<br />

hat. Doch auch er kocht im<br />

Mediengeschäft bislang nur mit Wasser.<br />

In den USA fliessen mittlerweile von<br />

1 Werbe-Dollar 85 Cent an Facebook<br />

und Google. Die restlichen 15 Cent müssen<br />

sich alle – wirklich alle – anderen<br />

Medien aufteilen. Mit wem man im Valley<br />

auch spricht, in einem Punkt ist<br />

man sich einig: Medien, die sich nicht<br />

an ein sehr enges Zielpublikum richten,<br />

sondern wie Zeitungen an grundsätzlich<br />

alle Menschen in einer Region,<br />

werden früher oder später kaum mehr<br />

Werbung haben, weil die Streuverluste<br />

zu hoch sind. Das Fazit: Noch mehr als<br />

heute werden künftig die Leser und<br />

nicht die Anzeigenkunden den Journalismus<br />

finanzieren. Früher oder später<br />

wohl auch im Netz; man wird die<br />

Ursünde überwinden müssen. Edwy<br />

Plenel, der Gründer des französischen<br />

Newsportals Médiapart, sagte am<br />

SwissMediaForum, es sei grossartig,<br />

wenn die Leser und nicht die Werbung<br />

den Journalismus bezahlen, denn das<br />

bedeute Unabhängigkeit. «Seul nos lecteurs<br />

peuvent nous acheter», ist sein<br />

Motto («nur unsere Leser können uns<br />

kaufen»). Auch das angekündigte neue<br />

Online-Magazin, das Journalisten um<br />

Christof Moser («Schweiz am Sonntag»)<br />

und Constantin Seibt («Tages-Anzeiger»)<br />

gründen wollen, soll ganz ohne<br />

Werbung auskommen.<br />

Leser sollen entscheiden<br />

Bei AZ Medien ist unser Ziel, durch<br />

Abonnenten- wie durch Werbeerträge<br />

auch künftig genügend Mittel für guten<br />

Journalismus zu generieren – und Kosten<br />

vor allem dort einzusparen, wo es<br />

nicht den Journalismus schwächt. Beispielsweise<br />

beim Papier, beim Druck,<br />

beim Vertrieb. Werden wir in Zukunft<br />

noch jeden Tag Zeitung drucken oder<br />

an einem oder mehreren Tagen digitale<br />

Ausgaben publizieren? Das ist die grosse<br />

Frage. Letztlich werden sie die Leser<br />

mit ihrem Nutzungsverhalten und ihrer<br />

Zahlungsbereitschaft beantworten (siehe<br />

dazu auch das Interview auf den beiden<br />

Seiten 50 und 51).<br />

Die Verlage – so viel kann man im Silicon<br />

Valley lernen – werden neue Dinge<br />

ausprobieren müssen, auch nach dem<br />

Prinzip «Versuch und Irrtum». In den<br />

Büros des Start-up-Spezialisten Matter<br />

hängen zwei Imperative auf Plakaten an<br />

der Wand: «Be scrappy!», was bedeutet,<br />

dass man eine Idee kämpferisch und auf<br />

seine eigene Art umsetzen und dabei etwas<br />

riskieren sollte. Und «Pivot!», was<br />

wörtlich Dreh- oder Angelpunkt heisst<br />

und womit die Jungunternehmen aufgefordert<br />

werden, ihre Geschäftsidee dauernd<br />

wieder umzudrehen und ihr Businessmodell<br />

zu verändern.<br />

Kampfes- und Experimentierlust: Davon<br />

kann man sich in Kalifornien anstecken<br />

lassen. Doch ob die Rettung<br />

des Journalismus von dort kommt, ist<br />

eher zweifelhaft. Die Ideen – die müssen<br />

wir schon selber haben.


NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 29<br />

In der Pressegeschichte ist alles drin<br />

Für den Aargau ist es fast ein Allgemeinplatz: Die aargauische Pressegeschichte ist gleichzeitig die umfangreichste<br />

und ausführlichste Darstellung der Aargauer Politik, vor allem der Entwicklung der Parteien.<br />

von Andreas Müller<br />

Historiker, Autor<br />

von «Geschichte der<br />

politischen Presse<br />

im Aargau»<br />

S<br />

eit die politischen Parteien<br />

als organisierte Vereine in<br />

Erscheinung treten, benutzten<br />

sie die Presseorgane als<br />

Verkünder, als Werbemittel,<br />

Diskussionsforen und Sammelstelle<br />

für Mitglieder. Die frühesten<br />

Zeitungen des Kantons, also aus der<br />

Zeit vor 1848, wiesen sich schon als<br />

Wortführer der verschiedensten Meinungen<br />

und Weltanschauungen aus. In<br />

diesen Blättern kristallisierten sich bereits<br />

politische Strömungen heraus: Leserkreise<br />

schlossen oder trennten sich.<br />

Schnell entstanden dann neue Presseorgane,<br />

wenn die politische Linie eines<br />

Blattes vom Gewohnten abwich. Die<br />

Toleranz war im jungen Aargau kaum<br />

vorhanden, die Debattierlust erlahmte<br />

rasch; die Verketzerung des Andersdenkenden<br />

war rasch vollzogen. Neue<br />

Sammelbecken entstanden und damit<br />

auch Gegenzeitungen. Die Unduldsamkeit<br />

und Gesprächsverweigerung führte<br />

schliesslich auch zu Klosterstreit und<br />

Sonderbundskrieg.<br />

Selbst die Siegerseite von 1848 konnte<br />

ihre Reihen im Aargau nicht schliessen.<br />

Als Fortschrittspartei stand sie den<br />

konservativen Föderalisten gegenüber.<br />

Während die Letzteren als «geschunde-<br />

ne Minderheit» scheinbar geschlossen<br />

auftraten und dies in ihrer Meinungspresse<br />

auch bezeugten, waren die Gewinner<br />

des Krieges von Anfang an in<br />

verschiedene Lager gespalten. Als Radikale<br />

und Liberale wiesen sie im Aargau<br />

graduelle Unterschiede in der Auffassung<br />

des Freiheitsbegriffs auf. So meldeten<br />

sich auch gleichenorts verschiedene<br />

Zeitungen zu Wort und standen<br />

sich in Sachfragen oft unversöhnlich<br />

gegenüber. Damit entwickelten sich politische<br />

Vereine mit Statuten und Strukturen;<br />

damit auch offizielle Zeitungen,<br />

Parteiorgane.<br />

Mit dem Eisenbahnbau in der<br />

Schweiz spalteten sich – wie in den<br />

Nachbarkantonen – die Demokraten<br />

ab, eine weitere volksnahe Bewegung,<br />

die im ländlichen Milieu grosses Ansehen<br />

genoss und eigene Ziele und Projekte<br />

verfolgte. Auch damit entstanden<br />

Vereine mit eigenem Sprachrohr.<br />

Journalistische Schwerarbeiter<br />

Neben den Politikern als Leitfiguren<br />

erscheinen nun ihre Begleiter, die Journalisten,<br />

auf der Bühne. Sie waren<br />

meist markante und knorrige Charaktere,<br />

genauso wie die ersten Zeitungsmacher<br />

im Aargau vor 1848, dazu waren<br />

sie parteipolitisch eingebunden und linientreu.<br />

Viele traten im Grossrat selber<br />

als Redner auf oder sie dominierten<br />

das Dorf- oder Ortsgeschehen.<br />

Die Redaktoren, auf Unabhängigkeit<br />

bedacht, waren zwar Meinungsmacher<br />

in ihren Blättern im Sinne der Partei,<br />

meist unerschrocken und bissig, aber<br />

sie waren – auch wenn sie eine Partei-<br />

Etikette im Zeitungskopf trugen – keine<br />

Lakaien. Sie waren Besitzer ihres Unternehmens,<br />

Verleger, Reporter, Kommentator,<br />

Setzer, Drucker und Aushängeschild<br />

ihrer Akzidenzdruckerei. Da<br />

der Verleger als Journalist sowieso bei<br />

allen Veranstaltungen präsent sein<br />

musste, wirkte er – je nach brisanten<br />

«Da der Verleger als<br />

Journalist sowieso an<br />

allen Veranstaltungen<br />

präsent war, wirkte er in<br />

seiner Gemeinde auch<br />

als Politiker aktiv mit.»<br />

Themen – in seiner Gemeinde als Politiker<br />

aktiv mit. Da es kaum Agenturen<br />

gab, welche die Arbeit erleichterten,<br />

schrieb er alles Lokale selber, das Fernere<br />

bezog er als sogenannte Scherenschnitte<br />

aus städtischen Tagblättern.<br />

Wie er mit diesem Aufwand an Arbeitsstunden<br />

auf seine Kosten kam, das wissen<br />

die Götter.<br />

Um die Jahrhundertwende, das<br />

heisst um 1900, waren alle politischen<br />

Richtungen nach Vereinsrecht organisiert,<br />

auch die Katholisch-Konservativen,<br />

der Grütliverein und daraus hervorgehend<br />

die Sozialdemokratische<br />

Partei. (Ab 1918 trat dann auch die Bauern-<br />

und Bürgerpartei als selbstständige<br />

Organisation auf ). Bei allen Gruppierungen<br />

gab es «Offizielle Parteiorgane»,<br />

dazu parteinahe Blätter: Aber alle im<br />

Aargau waren finanziell eigenständige<br />

Unternehmen oder unabhängige Genossenschaften.<br />

Reine Parteiblätter waren<br />

nur die Vereinsorgane im engeren<br />

Sinne. Dennoch sah man dem Inseratenteil<br />

an, wer zum Freundeskreis der<br />

Zeitung gehörte. Insofern kamen auch<br />

die freien Verleger nicht ohne Zuwendungen<br />

aus.<br />

Das Geld brachte die Druckerei<br />

Die Presselandschaft des Aargaus<br />

entsprach der geografischen und historischen<br />

Topografie des Kantons. Neben<br />

den städtischen Zentren Aarau und Baden<br />

waren alle Bezirke mit mehreren<br />

Zeitungstiteln versehen. Dass Aarau<br />

und Baden zeitweise drei Tageszeitungen<br />

neben kleineren Anzeigern beherbergten<br />

und alle Verleger ihr Auskommen<br />

fanden, war meist der Akzidenzdruckerei<br />

zu verdanken: das Ansehen<br />

und die Reklamewirkung des Zeitungstitels<br />

lockten geschäftliche Aufträge in<br />

Fülle an.<br />

Die Blätter in den Bezirkshauptorten<br />

und den grösseren Landgemeinden kamen<br />

zwei- bis dreimal die Woche heraus.<br />

Auch diese mussten meist eine örtliche<br />

Konkurrenz ertragen, denn eine<br />

einzige parteigebundene Stimme war<br />

in keinem Bezirk zu ertragen. Oft traten<br />

diese Organe besonders heftig auf,<br />

denn ihre Besitzer waren meist als<br />

Idealisten oder weltanschaulich Engagierte<br />

mehr an politischem Erfolg und<br />

Ansehen als an materiellem Gewinn interessiert.<br />

Hier spielten sich auch die<br />

örtlichen sachpolitischen Schlachten<br />

ab, die auch an Versammlungen im<br />

Saal des grössten Gasthauses ausgetragen<br />

wurden (normalerweise 200 bis<br />

500 Teilnehmer). Dass fast alle Wirtschaften<br />

in Kleinstädten und Dörfern<br />

parteilich zugeordnet werden konnten,<br />

liess sich an den aufgelegten Zeitungen<br />

ablesen. Die Männer in den Vereinen<br />

turnten, sangen, schossen und musizierten<br />

parteilich getrennt. Daher waren<br />

die politischen Veranstaltungen so<br />

hitzig, weil die kontroversen Meinungen<br />

in der Lokalpresse erst nach der<br />

persönlichen Begegnung ausgetragen<br />

wurden.<br />

Die Zeit der Parteipresse<br />

Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts<br />

bezeichnet man in der Pressegeschichte<br />

mit Recht als Zeit der Parteipresse.<br />

Die meisten städtischen Tageszeitungen<br />

waren freisinnigen Ursprungs,<br />

stammten aus Aarau, Baden und Zofingen,<br />

und sie waren Gründungen des<br />

19. Jahrhunderts; nur das «Brugger Tagblatt»<br />

kam erst 1907 dazu. Sie vertraten<br />

bei allen Schattierungen freisinniger<br />

Politik (zwei Tageszeitungen in Aarau,<br />

zwei in Baden) eine Wirtschaftspolitik,<br />

die der Arbeitgeberschaft und dem Gewerbe<br />

nahe war. Sie verkörperten aller<br />

Konkurrenz zum Trotz, den geltenden<br />

Status quo, die Kontinuität. Da alle diese<br />

Zeitungen der eigenen Stadt und Region<br />

dienen wollten, war der Streit un-<br />

FORTSETZUNG AUF SEITE 30


30 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />

NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />

So wurden einst Zeitungen hergestellt: Ein Blick in den Druckereisaal des Badener Tagblatts an der Bruggerstrasse in Baden Anfang der 30er-Jahre.<br />

ZIPSER/ARCHIV WANNER<br />

FORTSETZUNG VON SEITE 29<br />

ter ihnen ein ideeller. Keine besass eine<br />

kantonsweite Ausstrahlung. Und das<br />

sollte so bleiben.<br />

Ein Abbild der Sozialstruktur<br />

Die neue staatspolitische Tagespresse<br />

im Aargau, gegründet vor und in<br />

der Zeit des Ersten Weltkrieges, entstammte<br />

der neuen Sozialstruktur: Die<br />

organisierte Arbeitnehmerschaft meldete<br />

sich zu Wort. Die Arbeiterpresse<br />

«Freier Aargauer», mit Geburtsjahr<br />

1906, geht vom Streik der Aarauer Typografen<br />

(1904/05) aus. Aarau wird daher<br />

ihre Heimat bleiben. Die Katholisch-Konservative<br />

Zeitung (KK, später<br />

CVP) entsteht als «Badener Volksblatt»<br />

1895, nach der Enzyklika von Papst<br />

Leo XIII. (1891). Sie gab der Arbeiterschaft<br />

um den katholischen Arbeiterverein<br />

dreimal die Woche eine Stimme.<br />

Aus diesem Vorläufer entsteht 1911<br />

die Tageszeitung «Aargauer Volksblatt»,<br />

die daher im Standort Baden<br />

verankert blieb und nun der ganzen<br />

Partei, nicht nur den Christlichsozialen<br />

diente.<br />

Fast gleichzeitig, nämlich 1912, wollte<br />

auch die Angestelltenschaft («Stehkragenproletariat»)<br />

ihre Presse haben.<br />

Die Genossenschaft «Neue Aargauer<br />

Zeitung» lancierte ebenfalls eine Tageszeitung.<br />

Kaderleute, Beamte und<br />

kaufmännische Angestellte fanden sich<br />

weder durch die sozialistische noch<br />

durch die christlichsoziale Presse vertreten.<br />

Der Sitz dieser Zeitung war Aarau.<br />

Alle Tageszeitung der Arbeitnehmerschaft<br />

wiesen überregionalen Charakter<br />

auf und waren auf das ganze Kantonsgebiet<br />

ausgerichtet.<br />

Und dazu gesellte sich schon seit<br />

Mitte des 19. Jahrhunderts die Lokalpresse.<br />

Üblicherweise dominierten in<br />

jedem Bezirk zwei Zeitungen der beiden<br />

wichtigsten politischen Parteien<br />

das Feld. Massgebend war die politische<br />

Haltung des Verlegers, der ja<br />

auch für den Inhalt verantwortlich<br />

zeichnete. Sie erschienen zwei- bis<br />

dreimal die Woche. Meist dienten daneben<br />

noch neutrale Wochenblätter<br />

als «Anzeiger» der lokalen Information.<br />

Alle Blätter verfügten über eine<br />

leistungsfähige Druckerei, die dem örtlichen<br />

Geschäftsleben diente und dem<br />

Verleger oft die materielle Grundlage<br />

lieferte, sich das kostspielige Nachrichtenblatt<br />

überhaupt leisten zu können.<br />

Das «Echo vom Homberg», Reinach,<br />

war eindeutig fabrikantenfreundlich,<br />

das «Wynentaler Blatt», Menziken,<br />

eher Bauern-, Gewerbe- und Arbeiterzeitung.<br />

Daneben diente der «Kulmer<br />

Anzeiger» dem untern Teil des Tales.<br />

So präsentierte sich die Lage im Bezirk<br />

Kulm. Sämtliche ländliche Bezirke waren<br />

ähnlich strukturiert. Im Ostaargau<br />

verlief die Trennungslinie meist zwischen<br />

KK und liberaler Haltung, im<br />

Westaargau eher zwischen sozialen<br />

Gruppierungen.<br />

BGB-Zeitung mischte Presse auf<br />

Dabei ist zu beachten, dass die<br />

Gründung der «Bauern-, Gewerbe- und<br />

Bürgerpartei» (BGB; 1919, heute SVP)<br />

mit ihrer Tageszeitung die Presse kantonsweit<br />

aufmischte. Das frühere Blatt<br />

des freisinnigen Rheinbundes, die<br />

«Freie Schweizer Presse» in Baden,<br />

wurde umgestaltet in die BGB-Parteipresse.<br />

Später, als «Aargauische Bauern-<br />

und Bürgerzeitung», war sie ab<br />

1938 zwar nur dreimal wöchentlich erschienen.<br />

Erst ab 1969 wurde sie als<br />

«Neue Bürger-Zeitung» wieder Tagblatt,<br />

nun aber nur als Kopfblatt der<br />

«Neuen Berner Zeitung» mit Aargauer<br />

Teil.<br />

Die Abonnenten-Treue der Mitglieder<br />

wurde auch bei den Bauern zusehends<br />

lockerer. So hielt man auch im<br />

Bauernhaushalt nur noch eine möglichst<br />

neutrale Tageszeitung und daneben<br />

das bäuerliche Fachorgan vom<br />

Verband aus Brugg. So erübrigte sich<br />

die Parteipresse. Ab 1972 war sie nur<br />

noch eine Beilage zum «Aargauer Tagblatt».<br />

1978 wurde selbst diese eingestellt.<br />

Schon früher, nämlich 1947, hatte die<br />

«Neue Aargauer Zeitung» der Angestellten<br />

ihren Geist aufgegeben. Dies war<br />

nach dem Zweiten Weltkrieg das erste<br />

Anzeichen, dass die Parteipresse allgemein<br />

auf dem absteigenden Ast sass.<br />

Zwar konnte sich der «Freie Aargauer»<br />

noch bis 1987 halten, das «Aargauer<br />

Volksblatt» sogar bis 1992. Die Erstere<br />

verschwand ohne Nachfolge; die Letztere<br />

verband sich mit einem Deal – als<br />

Gegenleistung wurde die Akzidenzdruckerei<br />

von der Firma Wanner übernommen<br />

– mit dem «Badener Tagblatt».<br />

Aber beide Parteiorgane hatten<br />

schon vorher jahrelang um ihre Existenz<br />

gekämpft.<br />

Andreas Müller: Geschichte der politischen<br />

Presse im Aargau. 2 Bände. Verlag<br />

hier und jetzt Baden 2002. 1114 S.;<br />

Fr. 78.–.


NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 31<br />

Mit der Aargauer Zeitung erhielt<br />

der Aargau endlich eine starke Stimme<br />

1803 fügte Napoleon den Kanton Aargau zusammen. Die vier Teile behielten ihr regionales Gewicht. Bis 1996, als<br />

Aargauer Tagblatt und Badener Tagblatt fusionierten, gab es keine Zeitung, die das ganze Kantonsgebiet abdeckte.<br />

von<br />

Peter Buri<br />

Sprecher des<br />

Regierungsrates<br />

des Kantons Aargau<br />

«Unter ‹Zwang zur<br />

Grösse› verstand man<br />

primär Auflage- und<br />

Leserzahl im Hinblick<br />

auf das Werbegeschäft.»<br />

A<br />

usgerechnet AZ!», mokierte<br />

sich das «Zofinger<br />

Tagblatt» im April 1996<br />

nach Bekanntwerden der<br />

Aargauer Pressefusion<br />

über das offizielle Kürzel<br />

der neuen Zeitung; AZ sei doch das Label<br />

der SP- und Gewerkschaftspresse.<br />

Dabei war natürlich auch in der Thutstadt<br />

klar, dass das «A» für Aargau<br />

stand. Vermutlich schwang gerade deshalb<br />

bei dieser etwas speziellen «AZ»-<br />

Kritik aus der Wetterecke des Kantons<br />

auch ein wenig Unmut und Unbehagen<br />

über das neue, grosse und (besonders<br />

suspekt!) gesamtkantonal ausgerichtete<br />

Mediengebilde mit. Denn mit der AZ<br />

wurde die bisher regional wohl ausbalancierte<br />

Aargauer Zeitungslandschaft<br />

neu gestaltet.<br />

Diese kleine Kürzelepisode zeigt,<br />

dass die Aargauer Zeitung und den<br />

Kanton Aargau von Anfang an eine spezielle<br />

Wechselbeziehung verbindet. Eine<br />

Liaison, die weit über das Anekdotische<br />

hinausgeht. Einerseits erhielt der<br />

Aargau am 4. November 1996 zum ersten<br />

Mal in seiner 193-jährigen Geschichte<br />

eine Tageszeitung, die das ganze<br />

Kantonsgebiet abdeckte. Anderseits widerspiegelt<br />

sich in der AZ-Geburt ein<br />

historisch begründetes Merkmal, man<br />

könnte sagen: Markenzeichen des Kantons<br />

Aargau – der Regionalismus. Er<br />

wurde quasi mit dem Stempel auf der<br />

Mediationsakte in das von Napoleon<br />

aus vier Teilen künstlich zusammengefügte<br />

Staatsgebilde eingeprägt.<br />

Die verlegerisch-publizistische Überwindung<br />

dieser inneren Kantonsgrenzen<br />

war 1996 der Nukleus der spektakulären<br />

Zeitungsfusion. Wohl vor allem<br />

auch deshalb, weil der Zusammenschluss<br />

von «Aargauer Tagblatt» (AT)<br />

und «Badener Tagblatt» (BT) allgemein<br />

als ein Ding der Unmöglichkeit erachtet<br />

wurde. Viele Kenner und Beobachter<br />

der Medien- und besonders der komplexen<br />

Regionalverhältnisse im Rüebliland<br />

glaubten eher an eine Fusion der<br />

katholischen und der reformierten Kirche<br />

als an ein Zusammengehen von AT<br />

und BT, von «Aarau» und «Baden».<br />

Folgerichtig spielten in den Anfängen<br />

der AZ der Aargau und das Aargauische<br />

die zentrale Rolle in der Kommunikation<br />

und Konzeption des Produkts.<br />

«Aargauer Zeitung – Die Stimme des<br />

Aargaus» verkündete der offizielle Fusionsprospekt<br />

am 27. März 1996. «Eine<br />

starke Zeitung für den Kanton ohne Mitte»,<br />

kommentierte die NZZ einen Tag<br />

später den Zusammenschluss von AT<br />

und BT. «Eine starke Stimme für den<br />

Aargau» warb im November 1996 der<br />

Verlag Abonnenten und Inserenten.<br />

Und «Stimme für den Aargau» lautete<br />

die Schlagzeile auf der Titelseite der ersten<br />

AZ-Ausgabe vom 4. November 1996.<br />

Die Aargauer Zeitungsfusion wurde<br />

vor allem mit dem «Zwang zur Grösse»<br />

begründet. Damit waren primär die<br />

Auflage- und Leserzahl gemeint beziehungsweise<br />

das von ihnen abhängige<br />

Werbegeschäft. Nachdem die AZ-Führung<br />

eine paar Tage nach der Fusions-<br />

Auch die Plakatwerbung merkte, dass jetzt gesamtkantonale Wahrzeichen und Symbole verwendet werden konnten.<br />

bekanntgabe etwas voreilig und auf etwas<br />

unfeine Art die «Mittelland-Zeitung»-Kooperation<br />

von «Aargauer Tagblatt»,<br />

«Zofinger Tagblatt» und «Oltner<br />

Tagblatt» einseitig aufgekündigt hatte,<br />

war es im November 1996 mehr oder<br />

weniger das Kantonsgebiet, das die so<br />

wichtige neue Grösse repräsentierte.<br />

Dementsprechend hatte die «Aargauness»<br />

in den ersten AZ-Jahren einen<br />

sehr hohen verlegerischen, publizistischen<br />

und politischen Stellenwert.<br />

AT und BT vermochten sich in den<br />

70er- und 80er-Jahren mit ähnlich gelagerten<br />

Regionalstrategien von den anderen<br />

Tages- und Regionalzeitungen im<br />

Aargau loszulösen und bildeten im<br />

West- beziehungsweise Ostaargau je ein<br />

Schwergewicht. Das Wachstum erfolgte<br />

über zugekaufte und neu lancierte Regionalausgaben<br />

oder Kopfblätter mit<br />

einheitlichem «Mantel» und individualisierten<br />

Regionalteilen. Mitte der 90er-<br />

Jahre verfügten AT und BT zusammen<br />

über mehr als ein Dutzend solcher Ausgaben.<br />

Überwindung des Regiönligeistes<br />

Bei der Konzeption der ersten AZ<br />

wurde die Zahl der Regionalausgaben<br />

auf vier reduziert: Aargau Ost, Aargau<br />

West, Freiamt und Fricktal. Im Gegenzug<br />

erhielt der Kantonsteil eine entsprechende<br />

Aufwertung mit einem eigenen<br />

Bund mit Auftaktseite. Der Start<br />

der Aargauer Zeitung weckte denn<br />

auch bei gesamtkantonal denkenden,<br />

fühlenden, agierenden und politisierenden<br />

Aargauerinnen und Aargauern<br />

gewisse Hoffnungen, den «Regiönligeist»<br />

zumindest teilweise überwinden<br />

zu können.<br />

AT und BT verfügten zwar je über<br />

Kantonalressorts, die sich gewissermassen<br />

einer kantonalpolitischen Gesamtsicht<br />

verpflichtet fühlten (im regierungs-<br />

und verwaltungsnahen Aarau<br />

noch etwas ausgeprägter als in Baden),<br />

aber gleichwohl halt nur die Stimme eines<br />

halben Kantonsteils waren. Mit der<br />

AZ entstand das erste richtige gesamtkantonale<br />

Aargau-Ressort. Damit wurde<br />

auch in der Berichterstattung und<br />

Kommentierung eine neue Distanz zu<br />

den politischen Institutionen der Kantonsverwaltung<br />

geschaffen.<br />

Die Aargauer Zeitungsfusion führte<br />

nicht nur zu einem emanzipierteren<br />

und (noch) unabhängigeren oder kritischeren<br />

kantonalpolitischen Journalismus,<br />

als ihn AT und BT betrieben. Sie<br />

gab dem Kanton auch auf nationaler<br />

Ebene publizistisch ein neues Gewicht.<br />

Kommentare aus dem Aargau<br />

wurden häufiger in der Presseschau zitiert,<br />

Bundesräte und Bundesverwaltung<br />

entdeckten die AZ als neue Plattform.<br />

Dieser Effekt ist auch mit der Weiterentwicklung<br />

der Aargauer Zeitung zu<br />

einem interkantonalen Regionalzeitungsverbund<br />

nicht verloren gegangen.<br />

Denn trotz mehreren Versuchen,<br />

das Mehrkantone-Gemenge mit einem<br />

passenden Label geografisch-heimatlich<br />

passend zu verorten (Wiederbelebung<br />

«Mittelland-Zeitung», Neukreation<br />

«az Nordwestschweiz»), ist<br />

die Aargauer Zeitung als Label auf nationaler<br />

Ebene klar und eindeutig das<br />

Flaggschiff geblieben.<br />

Immer noch «innere Stimme»<br />

Für den Aargau selbst wirkt die Aargauer<br />

Zeitung auch 20 Jahre nach ihrer<br />

Gründung und der seither erfolgten<br />

markanten Ausweitung des Marktgebiets<br />

nach wie vor als wichtige «innere<br />

Stimme». Dabei sehen sich Macher<br />

und Besitzer der Zeitung publizistisch<br />

und verlegerisch vor ähnliche Herausforderungen<br />

gestellt, wie sie in der<br />

Kantonal- und Regionalpolitik zu bewältigen<br />

sind. Es geht um das Spannungsfeld,<br />

als grosses Ganzes, ob Kanton<br />

oder Zeitungsprodukt, möglichst<br />

homogen, kraftvoll, überzeugend und<br />

effizient aus einer Position der Stärke<br />

gegen aussen wirken zu können – und<br />

gleichzeitig gegen innen die Ansprüche<br />

und Erwartungen, Befindlichkeiten<br />

und Empfindlichkeiten der starken Regionen<br />

zu berücksichtigen und zu bedienen.<br />

Mehr und weniger Splitausgaben<br />

In der Kantonalpolitik stellen sich<br />

diese Herausforderungen vor allem<br />

dann, wenn es um Zentralisierungsrespektive<br />

Strukturthemen geht, zum<br />

Beispiel in der Gesundheits- bzw. Spitalpolitik<br />

oder bei Standortkonzepten<br />

für kantonale Schulen. Und bei der<br />

Aargauer Zeitung kommt zum Beispiel<br />

die Zahl und Ausgestaltung der<br />

«Der Titel ‹Aargauer<br />

Zeitung› hat bis jetzt alle<br />

konzeptionellen Überlegungen<br />

zur Markenstrategie<br />

überlebt.»<br />

Splitausgaben der regionalen Quadratur<br />

des kantonalen Kreises gleich. Der<br />

AZ-Titelfächer wurde seit 1996 vor allem<br />

mit Blick auf Leser- und Anzeigenmarkt<br />

mehrfach weit aufgespannt<br />

– und unter dem Druck der konjunkturellen<br />

und strukturellen Herausforderungen<br />

(digitale Revolution, Gratiskultur)<br />

wieder zusammengefaltet.<br />

1999 wurde er zum Beispiel mit dem<br />

«Zeitung in der Zeitung»-Konzept auf<br />

nicht weniger als elf Ausgaben ausgedehnt;<br />

heute werden noch fünf Ausgaben<br />

angeboten, lediglich eine mehr<br />

als 1996.<br />

WERBEAGENTUR WYLER<br />

Der Kanton hat zwar in der heutigen<br />

AZ keine kantonale Auftaktseite mehr,<br />

das Ressort Aargau mit starkem kantonalpolitischem<br />

Fokus ist zumindest geblieben.<br />

Auch der Titel «Aargauer<br />

Zeitung» hat bis jetzt alle konzeptionellen<br />

Überlegungen zur Markenstrategie<br />

überlebt: solche in Richtung radikaler<br />

Vereinheitlichung, aber auch solche<br />

in Richtung konsequenter Regionalisierung<br />

oder gar Lokalisierung (der markenpolitische<br />

Sünden- und Rückfall<br />

«Badener Tagblatt» bildet bisher die<br />

einzige, vor allem sentimental begründete<br />

Ausnahme).<br />

Es ist verständlich, dass man sich bei<br />

regionalen Tageszeitungen wie der AZ<br />

angesichts der immensen strukturellen<br />

und wirtschaftlichen Herausforderungen<br />

immer wieder neu Gedanken machen<br />

muss, wie es in und nach den Zeiten<br />

des dramatischen Umbruchs weitergehen<br />

soll: Als reine E-Paper-Ausgabe?<br />

Als Kompaktzeitung mit starken<br />

Onlinebezügen? Als Dienstag-bis-Sonntag-Zeitung<br />

ohne Montagausgabe? Oder<br />

gar als Lokalblattverbund?<br />

Im Web: Lokal, regional, kantonal<br />

Wertvolle und vielleicht etwas zuversichtlich<br />

stimmende Hinweise<br />

könnten die in den letzten 20 Jahren<br />

markant ausgebauten Onlineaktivitäten<br />

(www.aargauerzeitung.ch & Co.) geben.<br />

Die Statistiken zeigen, dass bei den<br />

Nutzerinnen und Nutzern lokale, regionale<br />

und kantonale Geschichten (im Internet<br />

fliessen selbst die sonst im Aargau<br />

fast unüberwindlichen Gemeindeund<br />

Regionalgrenzen ineinander) mit<br />

Abstand am besten ankommen. Und<br />

welchen Stellenwert wird der Kanton<br />

Aargau in 20 Jahren im az-Konglomerat<br />

haben? Immerhin ist zu vermerken,<br />

dass auch das kleine «a» im «az»-Kürzel<br />

immer noch für den Aargau und das<br />

Aargauische steht.


34 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />

NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />

Berühmter als «lorem ipsum»*<br />

Von der Zeitnot und der Not eines Faktenblattes, eine tolle Geschichte zu schreiben.<br />

von<br />

Roman Würsch<br />

1997: Abschluss<br />

2016: Chef vom Dienst<br />

U<br />

m 7.23 Uhr schellte beim<br />

Abschlussverantwortlichen<br />

des Vorabends das<br />

antiquarische Wählscheibentelefon<br />

neben<br />

dem Bett. Der Schreck<br />

war gross und wurde noch grösser, als<br />

sich auf der anderen Seite ein merklich<br />

enervierter Peter Buri meldete – damals<br />

der Chef vom Dienst.<br />

«Was war gestern Nacht los?» war seine<br />

Frage. Und ohne auf die Antwort zu<br />

warten, fuhr er fort «. . . der Frontkommentar<br />

ist mit Blindtext in der Zeitung!»<br />

Wäre der Abschlussverantwortliche<br />

nicht noch im Bett gelegen, wäre er<br />

wohl massiv ins Taumeln geraten. In<br />

seinem Kopf herrschte nur eine dumpfe,<br />

grosse Leere.<br />

Grosskampftag im Newsroom<br />

Es war der Abschluss am Dienstagabend.<br />

Für den grossen Stress sorgte<br />

die Sitzung des Grossen Rates, die auf<br />

der Frontseite und drei Aargau-Seiten<br />

ausgebreitet wurde. Zudem war auch<br />

der Frontkommentar der Ratssitzung<br />

gewidmet. Und alles musste um 21.30<br />

für die Fernausgabe fertig sein. Wollte<br />

man versuchen, diese Anordnung grafisch<br />

als lineare Optimierung darzustellen,<br />

würden sich die Geraden wohl nie<br />

schneiden. Das Erreichen der Zielvorgaben<br />

war stets kritisch.<br />

Die Abschlusszeit musste zwingend<br />

eingehalten werden, weil die Herstellung<br />

und Übermittlung einer Seite von<br />

Baden nach Aarau vor 20 Jahren 20 Minuten<br />

beanspruchen konnte. Ein rigoroses<br />

Abschlussregime garantierte in<br />

der Regel den pünktlichen Andruck im<br />

Druckzentrum in der Telli.<br />

Produzieren durchs Nadelöhr<br />

Eine Seite mit Farbbild benötigt im<br />

Zeitungsdruck vier Druckplatten: für jede<br />

Druckfarbe eine Platte. In der damaligen<br />

Not mit den Abschlusszeiten hatte<br />

man sich zunutze gemacht, dass die<br />

Farbanteile auch einzeln belichtet und<br />

nach Aarau geschickt werden konnten.<br />

In der Praxis hiess das, die Farbplatten<br />

wurden schon mal vorausgeschickt und<br />

die Platte mit dem Text nachgeliefert.<br />

Die Methode hatte aber einen Haken:<br />

Auf der besagten Platte durfte kein Artikel<br />

leer sein, weil sich die Komposition<br />

ansonsten verschoben hätte.<br />

So nahm am Abend des 12. Mai 1997<br />

das Verhängnis seinen Lauf: Der Kommentar<br />

für die Frontseite war um 21.20<br />

Uhr noch immer nicht bereit. Alle übrigen<br />

Texte und Bilder waren hingegen<br />

fertig. Also beschloss die Mannschaft –<br />

in leicht gereizter Stimmung –, besagtes<br />

Szenario mit dem Nachliefern der<br />

Schwarzplatte anzuwenden.<br />

Die Vorlage aus dem Musterbuch<br />

In dieser Situation erhielt die Abschlussredaktorin<br />

den Auftrag, einen<br />

Blindtext in die Kommentarspalte zu<br />

setzen. Dem aus dem umfangreichen<br />

Musterbuch bestens bekannten Autor<br />

«Wütold Bömbli» oblag es, für den Füllertext<br />

geradezustehen. Als Alternative<br />

hätte auch Herbert D. Bakel um ein<br />

paar Zeilen gefragt werden können.<br />

Angeregt durch den Namen Bömbli,<br />

entstand der Satz, dem es wie kaum<br />

einem zweiten (leider) in der Geschichte<br />

der AZ zu Berühmtheit gereichte:<br />

«Es bömbelet so schön, wenn<br />

AZ’s Bömben bömbeln.» Angesichts<br />

dessen, dass der Chefredaktor oder<br />

gar der Verleger Objekte des Blindtextes<br />

hätten sein können, muss der Text<br />

als gelungen bezeichnet werden und<br />

hat die Urheber vor dem Schlimmsten<br />

bewahrt. Über die Sinnhaftigkeit wollen<br />

wir nicht nachdenken – vielleicht<br />

Dada?<br />

Und irgendwie schaffte es aber die<br />

Platte mit dem Blindtext in die Druckmaschine<br />

und die richtige Fassung<br />

blieb im Nadelöhr hängen.<br />

Krisensitzung beim Verleger<br />

Peter Buri, der den Abschlussverantwortlichen<br />

bezüglich der Verbreitung<br />

des Blindtextkommentars lange im unklaren<br />

liess, handelte umgehend: Noch<br />

in der Krisensitzung mit Chefredaktion,<br />

Verlagsleiter und Verleger erliess er ein<br />

Blindtextverbot. Mit der Information,<br />

dass der Blindtext «nur» die Empfänger<br />

der Fernausgabe erreichte – worunter<br />

aber zum Beispiel alle Abonnenten im<br />

Bundeshaus waren –, begann sich der<br />

Kopf des Abschlussverantwortlichen<br />

langsam wieder mit geordneten Denksequenzen<br />

zu füllen.<br />

Dass diese Panne Mediengeschichte<br />

schreiben würde und verschiedene Zeitungen,<br />

Radio und Fernsehen den Fall<br />

aufgriffen, war für die Beteiligten eher<br />

erstaunlich. Noch erstaunlicher war,<br />

was daraus konstruiert worden ist.<br />

Der Erscheinungstag, der 13. Mai, ist<br />

der Geburtstag des damaligen Chefredaktors<br />

Franz Straub. Aus diesem Zusammenhang<br />

fabulierte das Nachrichtenmagazin<br />

«Facts» eine Geschichte<br />

über Sabotagen in Unternehmen. Die<br />

Geschichte war so sauber recherchiert,<br />

dass nicht mal der Name Wütold korrekt<br />

geschrieben war beziehungsweise<br />

Wutold eben besser zur Geschichte<br />

passte. Zitat:<br />

«. . . Der unbekannte Saboteur verging<br />

sich ausgerechnet an der Lieblingskolumne<br />

des Chefs. Im Kommentar<br />

auf der Frontseite publizierte<br />

der Anonymitäter in einem Teil der<br />

Auflage unter dem Pseudonym «Wutold<br />

Bömbli, Bombay» einen einzigen,<br />

x-fach wiederholten Satz, . . .».<br />

Was geschah danach<br />

Für die junge Zeitung unglücklich<br />

war natürlich der durch den Titel genährte<br />

Verdacht, das Klima in der fusionierten<br />

Redaktion sei belastet durch<br />

das Gefälle zwischen Badener Geist<br />

und Aarauer Bürokratie. Das war nicht<br />

so: In der Anspielung steckte nichts anderes<br />

als der Ärger über die verspätete<br />

Abgabe des Frontkommentars.<br />

Wenig später wurde mit Glück ein<br />

Verstoss gegen das Blindtextverbot<br />

noch rechtzeitig entdeckt und entschärft.<br />

Die Bildlegende auf der Kulturseite<br />

wäre auch auf der Boulevardseite<br />

«A bis Z» nicht passend gewesen und<br />

ist auch heute noch nicht zitierfähig.<br />

Das antiquarische Wählscheibentelefon<br />

steht längst nicht mehr neben dem<br />

Bett des Abschlussverantwortlichen.<br />

Seine liebste Website heisst www.blindtextgenerator.de.<br />

Übrigens: Der richtige<br />

Kommentartitel hiess «Ein teures Versäumnis»<br />

und handelte von Familienzulagen,<br />

die der Kanton nachzahlen<br />

musste.<br />

*lorem ipsum dolor sit amet, consetetur<br />

sadipscing elitr» ist ein häufig verwendeter<br />

Blindtext, auch Füllertext genannt, in<br />

Pseudolatein.


NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 35<br />

Und die Hagenbuchs blieben gesund<br />

Die (allmähliche) Entdeckung der Konvergenz – 2005 schrieben die AZ Medien mit dem Projekt «Alltag» ein kleines<br />

Stück Schweizer Mediengeschichte: Familie Hagenbuch während neun Monaten täglich auf allen Kanälen.<br />

von<br />

Jörg Meier<br />

Autor, damals<br />

Projektleiter «Alltag»<br />

S<br />

ind Sie wahnsinnig geworden?»,<br />

fragte Peter Studer,<br />

damals Präsident des Presserates,<br />

als ihn 2004 eine Delegation<br />

der AZ fragte, was<br />

er vom geplanten Projekt<br />

«Alltag» halte. Es war die Zeit, als es<br />

sich bereits deutlich abzeichnete, dass<br />

es sinnvoll wäre, wenn Print, Online,<br />

Fernsehen und Radio innerhalb der AZ<br />

Medien zusammenarbeiten könnten.<br />

Die Frage war einzig, wie denn das geschehen<br />

könnte. Der Newsroom war<br />

noch nicht erfunden, die einzelnen Medien<br />

waren an verschiedenen Standorten<br />

im Kanton fest eingerichtet,<br />

arbeiteten nach unterschiedlichen Konzepten.<br />

Ziel des Projekts «Alltag» war es, dass<br />

sich alle Medien der AZ über längere<br />

Zeit mit dem gleichen Thema beschäftigen<br />

und einander gegenseitig bei der<br />

«Dass man 2005 beim<br />

Projekt ‹Alltag› schon<br />

äusserst ‹konvergent› gearbeitet<br />

hatte, konnte niemand<br />

wissen;<br />

der Begriff war von der<br />

Medienwissenschaft<br />

noch gar nicht besetzt.»<br />

Arbeit unterstützen; jedes Medium sollte<br />

dabei seine spezifischen Stärken ausspielen.<br />

Das Thema war der scheinbar<br />

unspektakuläre Alltag der Bauernfamilie<br />

Hagenbuch aus dem Weiler Werd<br />

bei Rottenschwil.<br />

Leben mit den Hagenbuchs<br />

Nach intensiver Planung und gründlichen<br />

Abwägungen der Projektgruppe<br />

gab Verleger Peter Wanner grünes<br />

Licht, unter einer Bedingung: Das Projekt<br />

musste selbsttragend sein. Es gelang,<br />

Partner aus der Wirtschaft für das<br />

Projekt zu begeistern und so die Finanzierung<br />

sicherzustellen.<br />

Im Frühjahr 2005 bezog die erste<br />

kleine Multimedia-Redaktion in der Geschichte<br />

von AZ Medien ein kleines Büro<br />

im achten Stock des BT-Hochhauses<br />

in Baden. Bald erfolgte die Ausschreibung,<br />

gesucht war eine Aargauer Familie,<br />

die bereit war, neun Monate lang<br />

den ganzen Aargau an ihrem Leben teilhaben<br />

zu lassen. 60 Familien meldeten<br />

«Alltag»: Die Familie Hagenbuch-Tresch: Franz Hagenbuch, Simon Hagenbuch, Niklaus Hagenbuch, Sebastian Hagenbuch, Esther Tresch Hagenbuch.<br />

sich; in einem interaktiven Casting entschieden<br />

sich die Fachjury unter Leitung<br />

von Röbi Koller und das Publikum<br />

schliesslich für die fünf Hagenbuchs.<br />

Vom 1. Juni 2005 an bildeten Aargauer<br />

Zeitung, Aargauer Woche, Radio Argovia,<br />

Tele M1, azonline und alltag.ch<br />

multimedial und interaktiv den Alltag<br />

der Hagenbuchs ab. Sie taten dies möglichst<br />

respektvoll, unspektakulär und<br />

ohne Inszenierung: Sie erzählten von<br />

der Wanderung nach Soglio, von der<br />

vergeblichen Lehrstellensuche des<br />

4. Bezlers, zeigten den Bauern im Stall<br />

bei den Munis, die Mutter beim Salatrüsten<br />

in der Küche; Enttäuschung,<br />

Freude, Leid und Trauer waren echt,<br />

oft überraschend und nie planbar.<br />

Rasch waren die Hagenbuchs im ganzen<br />

Kanton bekannt. Und sie polarisierten.<br />

Dennoch – oder gerade deswegen –<br />

nahm die Bevölkerung im Aargau regen<br />

Anteil am Leben der Familie. Die multimediale<br />

Berichterstattung gefiel; der älteste<br />

Hagenbuch-Sohn hatte bereits damals<br />

einen viel beachteten eigenen Alltag-Blog.<br />

«Alltag» wird prämiert<br />

Aber auch national sorgte «Alltag»<br />

für Aufmerksamkeit. Das Schweizer<br />

Fernsehen berichtete über die Hagenbuchs;<br />

der «Sonntags-Blick» übernahm<br />

und publizierte gar 25 «Alltag»-Folgen.<br />

Die Sendung «Alltag» auf Tele M1 wurde<br />

im August 2005 mit dem nationalen<br />

Fernsehpreis «TV Star» für das innovativste<br />

Format ausgezeichnet.<br />

Neu war die Einbindung von kommerziellen<br />

Partnern in eine journalistische<br />

Serie. Dabei wurde konsequent<br />

deklariert, wer etwa die Hagenbuchs<br />

nach Tirol eingeladen oder wer ihnen<br />

die neue Waschmaschine finanziert<br />

hatte. Die Zusammenarbeit mit verschiedenen<br />

Partnern ermöglichte es,<br />

auch für das Aargauer Publikum attraktive<br />

Angebote zu entwickeln. So gab es<br />

bei «Le Shop» ein «Alltag»-Brot und eine<br />

«Alltag»-Wurst zu kaufen; nach Adelboden<br />

lockten preiswerte Hotelferien<br />

für die ganze Familie; und die «Alltag»-<br />

Waschkurse für Männer waren ein Renner.<br />

Rund 12 500 Aargauerinnen und<br />

Aargauer reisten auch mit dem «Raus<br />

aus dem Alltag»-Ticket äusserst günstig<br />

ins Tessin.<br />

ANDRÉ ALBRECHT<br />

Nach neun Monaten und 231 Folgen<br />

in der Aargauer Zeitung ging die Serie<br />

Ende Februar 2016 planmässig zu Ende.<br />

Es war ein gutes Ende. Die Hagenbuchs<br />

verschwanden aus dem Fokus<br />

der Medien, lebten gesund und zufrieden<br />

weiter ohne jegliche mediale Folgeschäden.<br />

Die multimediale und interaktive<br />

Langzeitbeobachtung des Mikrokosmos<br />

Familie brachte den AZ Medien<br />

wertvolle Erfahrungen und neue Erkenntnisse<br />

über die Möglichkeiten und<br />

Chancen interaktiver und multimedialer<br />

Zusammenarbeit.<br />

Dass man bereits damals äusserst<br />

«konvergent» gearbeitet hatte, konnte<br />

niemand wissen; der Begriff war zu jener<br />

Zeit von der Medienwissenschaft<br />

noch gar nicht besetzt.


36 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />

NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />

Spalte ist kein Weissraum mit Text drin<br />

Früher passierte jeden Tag genau so viel, wie in der Zeitung Platz hatte. Dann kamen die Zeitungsgestalter und<br />

verpassten der Zeitung ein Layout. Und spätestens seither haben die Journalisten und Redaktoren Platzprobleme.<br />

von<br />

Christoph Bopp<br />

Autor, und damals dabei<br />

G<br />

eflügelte Worte tragen<br />

den Stempel ihrer Herkunft.<br />

Einer edlen, wenn<br />

Goethe und Schiller in<br />

den «Xenien» zusammen<br />

über die Kollegen<br />

schimpfen. Oder einer unbekannten,<br />

aber dennoch wahren, wenn der Journalist<br />

und Redaktor spöttisch sagte:<br />

«Hier wäre Platz für Ihre Notizen.» Gemeint<br />

ist der sogenannte «Weissraum».<br />

Der tauchte langsam auf in den Zeiten,<br />

als man die «Aargauer Zeitung» aus der<br />

Taufe hob. Das Layout sollte «luftig und<br />

locker» sein – nebst vielem anderem.<br />

Dafür hatte der Zeitungsgestalter Kurt<br />

Schwerzmann, welcher der AZ das Layout<br />

verpasste, ein ausgeklügeltes Konzept.<br />

Er teilte die Seite vertikal nicht einfach<br />

nur in fünf Spalten auf, sondern<br />

unterlegte ihr ein Raster, das jede Spalte<br />

noch einmal in sechs virtuelle Spalten<br />

unterteilte. Und eine äussere – nach Bedarf<br />

links oder rechts – dieser unsichtbaren<br />

Spalten wurde nicht bedruckt:<br />

Das war der Weissraum.<br />

Das führte auf den damaligen Computersystemen<br />

zu Umsetzungsproblemen,<br />

denn die Programmierer mussten<br />

ja von etwas ausgehen und nahmen damals<br />

noch an, dass die Spaltenbreite<br />

Kein Wunder, müssen die Jugendlichen Wohnraum besetzen, wenn ihnen einfach eine Spalte weggenommen wird. AZ 4. 11. 1996<br />

etwas ziemlich Sakrosanktes war. Also<br />

musste man mit Tricks arbeiten. Das<br />

damalige ATEX-System, auf dem die AZ<br />

produzierte wurde, bot das in Form eines<br />

Sternchens «*», mit dem man die<br />

Anzahl der Spalten verändern konnte.<br />

Am Sonntag, 3. November 1996, war<br />

die Stimmung auf der Aarauer Lokalredaktion<br />

zwar immer noch locker und<br />

luftig, aber doch schon etwas gespannt.<br />

«Kein Platz mehr auf einer Seite mit<br />

diesem modernen Layout-Zeugs»,<br />

schimpfte der damalige Aarau-Chef<br />

Balz Bruder. Und: «Schau dir doch diese<br />

Löcher an im Textverlauf!» – Löcher?<br />

Die sollte es eigentlich nicht geben,<br />

Weissraum hin oder her. «Zeig mal.»<br />

Der Text sah tatsächlich komisch aus.<br />

Was war passiert? «Balz, wo hast du<br />

deine fünfte Spalte?» – «Fünfte Spalte,<br />

was, hier doch», blaffte der – angesichts<br />

des nahenden Redaktionsschlusses –<br />

schon etwas genervte Lokalchef. Er<br />

wies auf die fünf Spalten seines Artikels.<br />

Die waren wirklich da. Nur hatte<br />

er im Layoutsystem mit dem ominösen<br />

Sternchen-Befehl seiner Seite 4-Spaltigkeit<br />

befohlen und seine fünf Spalten<br />

auf eigentlich nur vier verteilt.<br />

«Man weiss nicht recht,<br />

ist jetzt nur die Schrift<br />

schräg und dafür<br />

der Inhalt grotesk –<br />

oder ist es umgekehrt?»<br />

BT-Kabarettist Edgar Zimmermann<br />

zum neuen AZ-Layout<br />

Dieses Sternchen hatte er nicht gesehen,<br />

vielleicht gab es danach andere.<br />

Balz und die Kollegen jedenfalls waren<br />

froh um ihre Spalte plus – das gab doch<br />

ein bisschen Platz mehr und man soll<br />

immer das Gute sehen – und tippten all<br />

das wieder rein, was sie vorher gekürzt<br />

hatten. Um sie nicht zu stören, entfernte<br />

man sich schnell und ausreichend.<br />

Der Streit um die Kursivschrift brachte<br />

– Kurt Schwerzmann hatte sie für den<br />

Lead vorgesehen und wollte sie nicht im<br />

Kommentar – BT-Kabarettist Edgar Zimmermann<br />

noch ein nettes geflügeltes<br />

Wort ein: «Man weiss nicht recht, ist<br />

jetzt die Schrift schräg und der Inhalt<br />

grotesk oder umgekehrt?» Unwiderlegbares<br />

Argument: «In der NZZ war noch<br />

jeder Kommentar kursiv.»


38 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />

NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />

Das Warten vor dem PC<br />

reichte für ein Stück Pizza<br />

Es gibt den Alltag und es gibt das Abenteuer. Manchmal wird es sogar noch<br />

struber. Das ist, wenn Fusion angesagt ist, aber lange doch nichts passiert.<br />

Und es dann schliesslich so hektisch wird, dass nur noch Selbsthilfe hilft.<br />

von<br />

Toni Widmer<br />

Ressortleiter Freiamt<br />

und Fusions-Teilnehmer<br />

E<br />

s waren Berufskollegen. Wir<br />

sahen sie fast täglich, sassen<br />

mit ihnen abendelang an irgendeinem<br />

Anlass am gleichen<br />

Tisch und manchmal auch<br />

noch etwas länger. Aber<br />

Freunde waren wir nicht. Wir von den<br />

Freiämter Nachrichten (die Freiämter Ausgabe<br />

des Badener Tagblatts) und sie vom<br />

Freiämter Tagblatt (die Freiämter Regionalausgabe<br />

des Aargauer Tagblatts) waren<br />

Konkurrenten. Erbitterte Konkurrenten.<br />

Auf beiden Seiten war die Freude jeweils<br />

gross, wenn «die Anderen» ein wichtiges<br />

Ereignis verpasst hatten und man somit einen<br />

sogenannten «Primeur» verbuchen<br />

konnte.<br />

Von Wanners Zahltag kauften wir uns<br />

Kleider und Lebensmittel, bezahlten die<br />

Steuern, den Mietzins sowie Reifen und<br />

Benzin für das Auto. Aber gelebt haben wir<br />

vom Erfolg – von den (damals noch) stetig<br />

steigenden Abo-Zahlen und der Gewissheit,<br />

den «Anderen» ab und zu gezeigt zu<br />

haben, dass wir ebenso gut waren wie sie.<br />

Wenn nicht besser.<br />

Dann kam jener Tag. Wir hatten geahnt,<br />

dass er irgendeinmal kommen würde. Aber<br />

wir hatten ihn nicht so schnell erwartet.<br />

Wohl oder übel mussten wir jetzt Freunde<br />

werden, mit den «Andern» vom Freiämter<br />

Tagblatt. Oder zumindest von Berufs- zu<br />

Arbeitskollegen.<br />

Zusammenrücken bitte<br />

Wir vom Badener Tagblatt, beziehungsweise<br />

den Freiämter Nachrichten, hatten<br />

bisher relativ feudal residiert. In einem<br />

Haus der Raiffeisenbank, unmittelbar<br />

neben deren Hauptsitz am Stegmattweg in<br />

Wohlen. Es gab genügend Parkplätze,<br />

einen Gartensitzplatz und für alle Redaktorinnen<br />

und Redaktoren ein Einzelbüro. Die<br />

Redaktion des Freiämter Tagblatts war im<br />

Vergleich dazu eine Bruchbude. Somit war<br />

bald klar, dass wir zusammenrücken mussten.<br />

Die Einzelbüros waren Vergangenheit,<br />

Zweier-Büros die Regel und Dreier-Büros<br />

gab es auch. Wir waren uns gewohnt, dass<br />

uns niemand zuhörte, wenn wir heikle<br />

Recherchen-Telefone führten. Jetzt sollten<br />

die «Anderen» plötzlich mitbekommen,<br />

wer mit wem und auf welche Weise wir uns<br />

bisher unseren gelegentlichen Informationsvorsprung<br />

verschafft hatten. Unvorstellbar.<br />

Ab jenem Tag blieben uns sechs Monate<br />

bis zur ersten Ausgabe der neuen Zeitung.<br />

Zuerst passierte lange gar nichts, dann einige<br />

Zeit fast gar nichts und schliesslich wurde<br />

es hektisch. Als endlich klar war, wer im<br />

neuen Team noch willkommen war, begann<br />

die Annäherung. Am Tag setzten wir<br />

uns zusammen, machten Konzepte und<br />

schmiedeten Pläne. Am Abend versuchten<br />

wir, uns an den Anlässen gegenseitig abzulenken,<br />

damit wir vom Geschehen mehr<br />

mitbekamen und unsere Berichte anderntags<br />

ein paar (unwichtige) Fakten mehr enthielten.<br />

Es gab ein neues Redaktionssystem. Es<br />

hiess ENL oder LNE oder war es NEL? Es<br />

gab für jeden Arbeitsplatz einen neuen<br />

Computer, einen neuen Bildschirm, eine<br />

neue Tastatur, eine neue Maus und für die<br />

«Anderen» auch ein neues Telefon. Die Möbel<br />

wurden irgendwie zusammengesucht.<br />

Wo bleiben die Computer?<br />

Zwei Wochen bevor es losging, waren die<br />

Büros im Wohler Hauptsitz eingerichtet. Es<br />

gab genügend Bürotische, genügend Bürostühle<br />

und etwas weniger genügend Ablageflächen.<br />

Wir wussten, wer mit wem künftig<br />

das Büro teilte und wer für die Ausgabe<br />

der Aargauer Zeitung vom 4. November<br />

1996 welchen Artikel schreiben wollte.<br />

Schreiben, ja, gut, aber womit?<br />

Der Hauptsitz der Aargauer Zeitung Freiamt neben der Raiffeisenbank. Beide<br />

Gebäude wurden vor knapp fünf Jahren abgerissen und haben dem Neubau der Raiffeisenbank Platz gemacht.<br />

FELIX WEY<br />

Die Informatikabteilung war hoffnungslos<br />

überlastet. Wir hatten weder neue<br />

Computer, noch neue Bildschirme und<br />

auch keine neuen Tastaturen, nur die Mäuse<br />

waren schon da. Im Keller.<br />

EDV-Erfahrung und Renault Espace<br />

Zum Glück gab es bei uns einen Redaktionskollegen<br />

mit EDV-Erfahrung sowie einen<br />

anderen mit Renault Espace und<br />

(Tanz-Musik-)Anhänger. Damit holten wir<br />

in Baden unsere neuen Computer ab. Die<br />

reine Menge an Material war schon imponierend.<br />

Damit wir (trotz Anhänger) alles<br />

auf einmal transportieren konnten, lag ein<br />

Bildschirm vor dem Beifahrersitz und ein<br />

zweiter auf den Knien<br />

des Beifahrers. Die Polizei<br />

hat uns nicht erwischt.<br />

Eingerichtet und verkabelt<br />

haben wir das Informatik-Equipment<br />

ebenfalls selber. Erschwerend<br />

dabei war,<br />

dass die alte Einrichtung<br />

noch bis zum Freitag<br />

vor dem alles entscheidenden<br />

Sonntag,<br />

3. November (dem ersten<br />

az-Produktionstag), funktionieren<br />

musste. Die Nächte sind kurz geworden,<br />

damals am Stegmattweg 3 in Wohlen. Weil<br />

die neue EDV erst am Tag X scharfgemacht<br />

werden konnte, testeten und schulten wir<br />

das neue System auf der Treppe im Gang.<br />

Dort gab es einen EDV-Anschluss, der<br />

schon nach dem neuen Konzept funktionierte.<br />

Überlastete Leitungen<br />

Dann kam er, der grosse Tag. Wir hatten<br />

uns seriös vorbereitet, die EDV-Anlage am<br />

Samstag scharfgeschaltet und alles ausgiebig<br />

getestet. Doch am Sonntag ging<br />

nichts mehr. Die EDV-Leitungen waren, wie<br />

unser erfahrener Kollege schon Tage zuvor<br />

befürchtet hatte, hoffnungslos überlastet.<br />

So sassen wir denn am frühen Abend vor<br />

dem Bildschirm, schickten einen Text zum<br />

«Es dauerte Tage, bis<br />

wir die Zeitung normal<br />

produzieren konnten.<br />

Wir haben es geschafft<br />

und im Rückblick<br />

war es eine zwar<br />

intensive, aber<br />

spannende Zeit.»<br />

Rechnen und warteten und warteten endlos,<br />

bis wir endlich sahen, ob dieser Text<br />

jetzt zwei Zeilen zu lang, drei Zeilen zu<br />

kurz oder eben doch genau richtig lang<br />

war. Die Wartezeiten vor dem Bildschirm<br />

hatten ihr Gutes. Es reichte jeweils bequem<br />

für ein Stück Pizza. Etwas später spülten<br />

wir mit Rotwein nach. Das beruhigte.<br />

Schliesslich wurden wir doch noch fertig<br />

und schafften es gerade so knapp nach<br />

Hause, bevor unsere Frauen wieder aufstehen<br />

mussten. Die meisten von ihnen<br />

hatten sich dazu verpflichtet, am Montag,<br />

5. November, an irgendeinem Bahnhof in<br />

der Region die neue Aargauer Zeitung an<br />

den Mann oder die Frau zu bringen.<br />

Wir hätten locker noch<br />

zusammen frühstücken<br />

können. Bis die wegen<br />

des EDV-Zusammenbruchs<br />

mit grosser Verspätung<br />

angelieferten<br />

Zeitungen auf den Bahnhöfen<br />

waren, ging damals<br />

in Wohlen schon<br />

bald wieder der Mond<br />

auf.<br />

Es dauerte Tage, bis wir<br />

die Aargauer Zeitung einigermassen<br />

normal<br />

produzieren konnten. Und es dauerte Monate,<br />

bis unsere ehemaligen Kolleginnen<br />

und Kollegen von der Konkurrenz zu<br />

Freunden wurden. Aber wir haben es geschafft<br />

und im Rückblick war es eine zwar<br />

sehr intensive und aufreibende, aber auch<br />

eine sehr spannende Zeit.<br />

Stolz, bei der Geburt dabei zu sein<br />

Das Benzin für die damalige Extra-Fahrt<br />

mit Espace und Anhänger nach Baden und<br />

zurück hat uns Peter Wanner bis heute<br />

nicht bezahlt. Und auch die Überstunden<br />

für die Einrichtung der neuen EDV-Anlage<br />

nicht entschädigt. Allerdings: Wir haben<br />

ihm auch beides nie in Rechnung gestellt.<br />

Unsere Entschädigung war der Stolz, bei<br />

der Geburt der Aargauer Zeitung dabei zu<br />

sein und künftig zu einem Teil von ihr werden<br />

zu dürfen.<br />

12% Rabatt<br />

Gegen Abgabe dieses Inserats<br />

erhalten Sie auf unsere Netto-Preise 12% Rabatt<br />

Herzlich willkommen bei<br />

Mac Baby, Fabrikweg 16, 5033 Buchs<br />

Gültig bis 31. 12. 2016<br />

Nicht kumulierbar


FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />

Beilage zu 20 Jahre Aargauer Zeitung<br />

Heute: Der Journalismus wird multimedial. Aus den<br />

Rasterpunkten des Print-Zeitalters sind die Computer-<br />

Pixel der Digital-Ära geworden. Im Newsroom der<br />

AZ Medien werden Regionalfernsehen, Online-Plattform<br />

und die Printzeitung zusammen produziert.<br />

■ Axel Wüstmann,<br />

CEO der AZ Medien,<br />

über die Zukunft der<br />

gedruckten Zeitung.<br />

■ Wer ist heute dabei bei<br />

der Aargauer Zeitung?<br />

Die Macherinnen und<br />

Macher.<br />

■ Ein Tag im Newsroom.<br />

Videos, Bilder, Grafiken,<br />

Texte – wie die Storys<br />

erzählt werden können.<br />

■ Urs Saxer und Kaspar<br />

Hemmeler über neue<br />

Rechtsprobleme der<br />

Mediengesellschaft.<br />

SEITE 43 UND 44<br />

SEITE 45, 46 UND 47<br />

SEITE 52 UND 53<br />

SEITE 58, 62 UND 63


NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 43<br />

Hat die Zeitung Zukunft?<br />

Die Zeitung ist herausgefordert wie noch nie. Aber sie hat ihre Chance, wenn sie sich auf das,<br />

was sie unterscheidet, konzentriert und höheren Ansprüchen nachkommt.<br />

von<br />

Axel Wüstmann<br />

CEO der AZ Medien<br />

W<br />

ie sieht die Zeitung<br />

der Zukunft aus? Es<br />

ist sprichwörtlich<br />

die «1-Million-US-<br />

Dollar-Frage» oder<br />

gar die «1-Milliarde-<br />

US-Dollar-Frage», bedenkt man die<br />

Grösse der Unternehmungen weltweit,<br />

die sich mit dieser Frage beschäftigen.<br />

Und keiner weiss es genau. Jeff Jarvis,<br />

ein amerikanischer Medien-Guru, der<br />

Bücher über Google schreibt und deshalb<br />

weiss, was Google tun würde, rät<br />

den Zeitungsunternehmen auf dieser<br />

Welt, doch einfach ein Datum festzulegen,<br />

an welchem die letzte Zeitung herausgegeben<br />

wird. Dann hätte man wieder<br />

ein Ziel. Wenn es nur so einfach<br />

wäre.<br />

Vor knapp 200 Jahren, als der Druck<br />

sündhaft teuer und eine Wissenschaft<br />

wie die heutige Entwicklung des<br />

Google-Algorithmus war, haben findige<br />

Pioniere begonnen, kleine Anzeigen auf<br />

Papier zu drucken und dieses Papier in<br />

Gaststätten und an öffentlichen Plätzen<br />

zu verteilen. Es war das erste Mal, dass<br />

Firmennamen mehr Menschen erreichen<br />

konnten, als durch das Türschild<br />

am Firmensitz oder durch Mundpropaganda.<br />

Es gab kein Radio, kein<br />

TV und das Internet war 200 Jahre entfernt.<br />

Es war der Beginn der Werbeindustrie.<br />

Damit diese Anzeigen auch<br />

gelesen wurden, haben diese Pioniere<br />

«Mehr Seiten, mehr Werbung,<br />

mehr Auflage, mehr<br />

Geschichten. So ging es<br />

mit der Zeitung<br />

über 150 Jahre nahezu<br />

kontinuierlich nach oben.»<br />

Meldungen der Gemeinden und Städte<br />

mit aufgenommen. Also Themen von<br />

allgemeiner Relevanz. Mit der fortschreitenden<br />

technologischen Entwicklung,<br />

den sinkenden Herstellungs- und<br />

Transportkosten und der steigenden<br />

Nachfrage nach Werbeplätzen ist daraus<br />

dann sukzessive das Tageszeitungsmodell<br />

geworden. Täglich erscheinend,<br />

im Abonnement, mehrere Bünde thematisch<br />

sortiert. Der Journalismus, die<br />

Kunst, Geschichten zu erzählen und zu<br />

wissen, wann, was von allgemeinem Interesse<br />

ist, war geboren. Und aus den<br />

Pionierunternehmungen wurden florierende<br />

Zeitungsunternehmen. Mehr Seiten,<br />

mehr Werbung, mehr Auflage,<br />

mehr Geschichten. So ging es über<br />

150 Jahre nahezu kontinuierlich nach<br />

oben. Die Zeitung wurde zum Massenmedium.<br />

Entertainment ist im Fernsehen<br />

Die erste echte Herausforderung kam<br />

mit dem Fernsehen. Ein Medium, das<br />

Entertainment – nahezu kostenlos – in<br />

höchster Qualität ins Wohnzimmer<br />

bringt. Und die Leseanstrengung vergessen<br />

macht. Viel wichtiger noch, ein<br />

Medium, das für die Werbeindustrie<br />

wie geschaffen war. Anzeigen bewegten<br />

sich. Geschichten konnten erzählt werden.<br />

Die Werbeindustrie sprach schnell<br />

von emotionaler Aufladung der Marken.<br />

Insbesondere die privaten TV-Sender<br />

dienen heute in erster Linie als<br />

Transporteur von Werbung. Filme und<br />

Serien werden daraufhin entwickelt.<br />

Ganze Sender basieren auf der zielgruppenspezifischen<br />

Ansprache von<br />

Konsumenten. TV hat mit diesem werbezentrierten<br />

Modell die Zeitung als<br />

Massenmedium an der Spitze abgelöst.<br />

Der durchschnittliche Schweizer schaut<br />

Die ersten 30 Jahre des 20. Jahrhunderts waren wirtschaftliche Krisenjahre, trotzdem wuchsen damals die Zeitungen.<br />

heute etwa 130 Minuten Fernsehen im<br />

Tag, in den Nachbarländern sind es<br />

deutlich über 200 Minuten. Die Lesezeit<br />

für eine Zeitung beträgt heute wie<br />

gestern etwa 30 Minuten.<br />

TV hat die Zeitung damit zwar vor eine<br />

grosse Herausforderung gestellt,<br />

aber zum Glück nur in Teilen. Entertainment<br />

ist im TV. Das darf man sagen.<br />

Fussball lesen ist einfach nicht so spannend<br />

wie ein Champions League Spiel<br />

des FC Basel im Fernsehen live zu verfolgen.<br />

Der politische Text hingegen,<br />

der investigative Bericht, das einordnende<br />

Interview ist nach wie vor in<br />

der Zeitung. Warum? Weil ein geschriebener<br />

Text besser für das Erfassen<br />

komplizierter Zusammenhänge geeignet<br />

ist als bewegte Bilder. Vor allem,<br />

weil die Geschwindigkeit nicht vorgegeben<br />

ist. Der Leser bestimmt, ob er die<br />

Zeile noch einmal lesen möchte. Der<br />

Film läuft. Hinzu kommt, dass TV-Produktionen<br />

teuer sind. Insbesondere<br />

Nachrichten. Es gibt heute auf der Welt<br />

so gut wie keinen privaten TV-Sender,<br />

der mit Nachrichten Geld verdient.<br />

Vertiefung ist in der Zeitung<br />

Der Zeitung wurde das Entertainment<br />

also genommen, aber viele Funktionen<br />

blieben erhalten. Wichtige<br />

Funktionen wie die der Information,<br />

Orientierung, Einordnung aber auch<br />

spezielle Werbeformen wie etwa das<br />

Ausliefern von Beilagen und vor allem<br />

die spezielle Form der Kleinanzeigen,<br />

der sogenannten Rubriken.<br />

Mit der Geburtsstunde des Internets<br />

stehen die Zeitungen vor der grössten<br />

Herausforderung überhaupt. Anders<br />

als das Fernsehen kann das Internet<br />

alles. Sprichwörtlich alles! Es kann<br />

Briefe übertragen. Es kann Texte übertragen.<br />

Es kann Filme übertragen. Es<br />

kann Werbung übertragen. Jeder kann<br />

veröffentlichen. Man kann alles finden,<br />

was man jemals gesucht hat und noch<br />

viel mehr. Und das alles nahezu ohne<br />

Kosten. Das Angebot explodiert täglich.<br />

Alle Zeitungen sind heute online. Alle<br />

Werbekampagnen sowieso. Und vor allem<br />

die Kleinanzeigen haben mit dem<br />

Internet ihr Medium gefunden. Was<br />

heisst das für die Zeitung?<br />

Innerhalb von 20 Jahren hat eine Industrie<br />

mit dem nahezu vollständigen<br />

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG/KEYSTONE<br />

Verlust der Rubrikenanzeigen einen<br />

Drittel ihrer Erlöse verloren. Und von<br />

den verbliebenen Abonnements- und<br />

Werbeerlösen ebenfalls einen Teil.<br />

Nachdem das Internet und die meisten<br />

Inhalte nahezu kostenlos sind, versteht<br />

der Leser nur schwer, warum er für ein<br />

Jahresabonnement für eine Zeitung<br />

über 400 Franken zahlen soll – übrigens<br />

gleich viel, wie die Billag-Gebühr.<br />

Und der Werbetreibende vergleicht zusehends<br />

Wirkung und Effizienz seiner<br />

Kampagnen zwischen TV, Print und online.<br />

Ergo wird die Zeitungsbranche kleiner.<br />

Entertainment im Fernsehen, Rubriken<br />

und Nutzwert im Internet – Enter-<br />

FORTSETZUNG AUF SEITE 44


44 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />

NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />

FORTSETZUNG VON SEITE 43<br />

tainment dank Breitband ebenso. Was<br />

bleibt?<br />

■ Es bleibt für die Zeitung nach wie vor<br />

das Lesen von komplizierteren Zusammenhängen,<br />

Hintergründen, politischen<br />

und gesellschaftlichen Berichten,<br />

die durch die auf Werbefinanzierung<br />

fixierten elektronischen<br />

Medien in ihrer Flüchtigkeit nicht erbracht<br />

werden.<br />

■ Es bleibt auch<br />

die Orientierungsfunktion.<br />

Das Internet ist<br />

in grossen Teilen<br />

ein Suchmedium.<br />

Wenn<br />

ich aber nicht<br />

weiss, was ich<br />

suchen soll, ist<br />

das Internet wenig<br />

hilfreich. Es ist unendlich und<br />

man kann sich leicht darin verlieren.<br />

Die Orientierung durch den Journalismus<br />

und die Marke einer Zeitung<br />

heisst nicht mehr, als die Themen zu<br />

setzen. Wann findet die Abstimmung<br />

zur Masseneinwanderung statt? Wer<br />

sagt was dazu? Es geht um die öffentliche<br />

Debatte. Das Agenda Setting. Eine<br />

wichtige Funktion für die Gesellschaft,<br />

die so noch kein Medium ersetzen<br />

konnte.<br />

■ Die Zeitung wird also exklusiver. Sie<br />

wird bewusster konsumiert werden,<br />

von denjenigen, die sich vertieft informieren<br />

wollen. Der Anspruch an<br />

«Das Web ist unendlich,<br />

Print ist es nicht. Es ist<br />

genau dieser Nachteil<br />

des Webs, der Print und<br />

der Zeitung zum Vorteil<br />

gereicht.»<br />

den Inhalt steigt ständig, weil er<br />

mehr liefern muss, als dies von den<br />

elektronischen Medien bereits getan<br />

wurde. Die Zeitung wird sich auf die<br />

Werbetreibenden und die Kampagnen<br />

fokussieren müssen, die genau<br />

diese Zielgruppe ansprechen wollen.<br />

Apple, die Marke, die in den letzten<br />

Jahren wuchs als gäbe es kein Morgen,<br />

kommuniziert nahezu vollständig<br />

offline. Grosse Plakate zeigen die<br />

silbrig glänzenden Produkte und in<br />

Konsumtempeln werden dem Kaufinteressenten<br />

neben<br />

Gucci vor Augen<br />

geführt, weshalb<br />

er 100 Franken<br />

mehr berappen<br />

muss als bei der<br />

Konkurrenz. Online<br />

Banner überlässt<br />

Apple den<br />

Telekom-Unternehmen.<br />

Gestiegene Ansprüche<br />

Die Zeitung wird also kleiner und<br />

gleichzeitig steigt der Anspruch an ihre<br />

Macher. An die Journalisten, Chefredaktoren<br />

und Verleger. Vor allem in<br />

der Phase, in der die Zukunft noch so<br />

unklar ist wie heute.<br />

Schliesslich wird sich ein Zeitungshaus<br />

dann doch irgendwann die Frage<br />

von Jeff Jarvis stellen müssen, wann erscheint<br />

die letzte Ausgabe gedruckt. Es<br />

wird dann der Fall sein, wenn die Zeitungsmarken,<br />

die Inhalte und deren<br />

Aufbereitung auch digital so einzigartig<br />

sind, dass eine grössere Zahl von Menschen<br />

sich diese leisten wollen. Wenn<br />

die Werbeindustrie auch die letzten<br />

Ein Inserat erreicht die Leserinnen und Leser überall.<br />

Doch das ist nur einer der vielen Vorzüge von Inseraten, beworben von Laurie Morard<br />

und Bettina Klossner. Eine Aktion der Schweizer Presse in Zusammenarbeit mit<br />

dem Kreativnachwuchs der Schweizer Werbeagenturen. www.schweizerpresse.ch<br />

2003 lancierte der Verband Schweizer Presse eine neue Plakatkampagne<br />

«Das kann nur ein Inserat». Das Print-Inserat hat Vorzüge, die witzige Kombination<br />

von Text und Bild zum Beispiel, die kein anderes Werbemittel bietet.<br />

Vorteile von Print ersetzt hat und<br />

gleichzeitig die Darstellungsformen<br />

digital so gut geworden sind, dass diese<br />

das Papier obsolet machen. Und das<br />

wird noch eine Weile dauern.<br />

Die Zeitung wird exklusiver<br />

Ich möchte ein letztes Beispiel bemühen.<br />

Das Coop-Magazin erscheint heute<br />

in einer Auflage von 2,4 Millionen Exemplaren.<br />

Es liegt in nahezu jedem<br />

Haushalt auf dem Küchentisch. Auf die<br />

Frage an Joos Suter, wie viel Auflage er<br />

in 10 Jahren druckt, antwortet er:<br />

«2,4 Millionen Exemplare.» Das klingt<br />

zunächst verwunderlich. Weshalb nicht<br />

das Geld sparen, wenn es auch eine<br />

App tut? Ganz einfach: weil die App in<br />

der Unendlichkeit des Internets versinkt.<br />

Selbst die Push-Nachricht auf<br />

dem iPhone, die sagt «Nutz mich, lies<br />

mich» reicht nicht mehr aus, die Aufmerksamkeit<br />

in dieser Unendlichkeit<br />

für das Coop-Magazin sicherzustellen.<br />

Es ist genau dieser Nachteil des Webs,<br />

der Print und der Zeitung zum Vorteil<br />

gereicht. Print ist nicht unendlich.<br />

Die Zeitung wird also kleiner, es wird<br />

vermutlich weniger verschiedene geben,<br />

sie erscheint in dieser Übergangsphase<br />

vielleicht nicht mehr jeden Tag –<br />

auch der Briefkasten wird irgendwann<br />

einmal nicht mehr jeden Tag beliefert.<br />

Die Zeitung wird exklusiver und Printund<br />

Online-Inhalte werden sich zunehmend<br />

unterscheiden. Vor allem wird<br />

die Zeitung journalistisch höheren Ansprüchen<br />

genügen müssen, um in diesem<br />

neuen Zeitalter bestehen zu können.<br />

Und die erfolgreichen Verleger<br />

werden wieder Pioniere und müssen<br />

sich neu erfinden.


NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 45<br />

Die Macher der Aargauer Zeitung<br />

CHEFREDAKTION<br />

INLAND- UND BUNDESHAUSREDAKTION<br />

AUSLAND<br />

Christian Dorer<br />

Chefredaktor<br />

bis 31.12.2016<br />

Patrik Müller<br />

Chefredaktor<br />

ab 01.01.2017<br />

Rolf<br />

Cavalli<br />

Stv. Chefredaktor<br />

Andreas<br />

Schaffner<br />

Stv. Chefredaktor<br />

Roman<br />

Würsch<br />

Chef vom Dienst<br />

Doris<br />

Kleck<br />

Co-Ressortleiterin<br />

Anna<br />

Wanner<br />

Co-Ressortleiterin<br />

Dennis<br />

Bühler<br />

Redaktor<br />

Antonio<br />

Fumagalli<br />

Redaktor<br />

Henry<br />

Habegger<br />

Redaktor<br />

Jonas<br />

Schmid<br />

Redaktor<br />

Dagmar<br />

Heuberger<br />

Ressortleiterin<br />

WIRTSCHAFT<br />

LEBEN & WISSEN<br />

REPORTER<br />

Andreas<br />

Möckli<br />

Ressortleiter<br />

Tommaso<br />

Manzin<br />

Stv. Ressortleiter<br />

Fabian<br />

Hock<br />

Redaktor<br />

Roman<br />

Seiler<br />

Redaktor<br />

Raffael<br />

Schuppisser<br />

Ressortleiter<br />

Alexandra<br />

Fitz<br />

Stv. Ressortleiterin<br />

Christoph<br />

Bopp<br />

Redaktor<br />

Sabine<br />

Kuster<br />

Redaktorin<br />

Max<br />

Dohner<br />

Autor<br />

Daniel<br />

Fuchs<br />

Reporter<br />

Samuel<br />

Schumacher<br />

Reporter<br />

KULTUR<br />

SPORT<br />

Stefan<br />

Künzli<br />

Ressortleiter<br />

Benno<br />

Tuchschmid<br />

Stv. Ressortleiter<br />

Sabine<br />

Altorfer<br />

Redaktorin<br />

Anna<br />

Kardos<br />

Redaktorin<br />

Pedro<br />

Lenz<br />

Redaktor<br />

Anne-Sophie<br />

Scholl<br />

Redaktorin<br />

Etienne<br />

Wuillemin<br />

Ressortleiter<br />

Rainer<br />

Sommerhalder<br />

Stv. Ressortleiter<br />

Dean<br />

Fuss<br />

Redaktor<br />

Silvan<br />

Hartmann<br />

Redaktor<br />

Marcel<br />

Kuchta<br />

Redaktor<br />

Ruedi<br />

Kuhn<br />

Redaktor<br />

Sébastian<br />

Lavoyer<br />

Redaktor<br />

SPORT<br />

BILDREDAKTION<br />

KORREKTORAT<br />

Martin<br />

Probst<br />

Redaktor<br />

François<br />

Schmid-Bechtel<br />

Autor<br />

Sebastian<br />

Wendel<br />

Redaktor<br />

Bernhard<br />

Vesco<br />

Ressortleiter<br />

Marius<br />

Rinderknecht<br />

Bildredaktor<br />

Sandra<br />

Ardizzone<br />

Fotografin<br />

Chris<br />

Iseli<br />

Fotograf<br />

Alex<br />

Spichale<br />

Fotograf<br />

Hans<br />

Maurer<br />

Teamleiter<br />

Verena<br />

Herzog<br />

Korrektorin<br />

Brigitte<br />

Meierhofer<br />

Korrektorin<br />

Doris<br />

Schneider<br />

Korrektorin<br />

PRODUKTION<br />

Martin<br />

Moser<br />

Leiter Produktion<br />

Guido<br />

Savian<br />

Stv. Leiter<br />

Micha<br />

Wernli<br />

Stv. Leiter<br />

Barbara<br />

Adank<br />

Produzentin<br />

Walter<br />

Brunner<br />

Produzent<br />

Stefanie<br />

Bucher<br />

Produzentin<br />

Heinz<br />

Härdi<br />

Leserbriefredaktor<br />

Alex<br />

Jegge<br />

Produzent<br />

Ciril<br />

Kammermann<br />

Produzent<br />

Peter<br />

Krattiger<br />

Produzent<br />

Martin<br />

Prazak<br />

Produzent<br />

Lory<br />

Roebuck<br />

Produzent<br />

Pia<br />

Schüpbach<br />

Produzentin<br />

Stefan<br />

Stalder<br />

Produzent<br />

PRODUKTION<br />

LAYOUT / GRAFIK<br />

REDAKTIONELLE ASSISTENZ<br />

Simon<br />

Steiner<br />

Produzent<br />

Samuel<br />

Thomi<br />

Produzent<br />

Michael<br />

Wehrle<br />

Produzent<br />

Pat<br />

Schneider<br />

Art Director<br />

Armin<br />

Wäger<br />

Layouter<br />

Marco<br />

Tancredi<br />

Infografiker<br />

Ivo<br />

Tuchschmid<br />

Leiter<br />

Tiziana<br />

Belci<br />

Assistentin<br />

Manuel<br />

Egli<br />

Assistent<br />

Antonia<br />

Imondi<br />

Assistentin<br />

VERLAG AZ AARGAUER ZEITUNG / AZ NORDWESTSCHWEIZ<br />

Dietrich<br />

Berg<br />

Geschäftsführer<br />

Zaira Noro<br />

Leiterin<br />

Marketing<br />

Paolo Placa<br />

Leiter<br />

Werbemarkt<br />

Alexandra<br />

Heiniger Leiterin<br />

Anzeigenverkauf<br />

Urs<br />

Lüpold<br />

Key Account<br />

Vita<br />

de Prisco<br />

Kundenberaterin<br />

Kaspar<br />

Gruber<br />

Kundenberater<br />

Pascal<br />

Bischof<br />

Kundenberater<br />

Robert<br />

Kämpf<br />

Kundenberater<br />

Monika<br />

Schor<br />

Kundenberaterin<br />

Michael<br />

Huber<br />

Kundenberater<br />

Roberto<br />

Coluccia<br />

Kundenberater<br />

Michael<br />

Schär<br />

Ass. Back-Office<br />

Noemi<br />

Freiermuth<br />

Ass. Back-Office


46 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />

NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />

Die Macher der Aargauer Zeitung<br />

AARGAU<br />

Fabian<br />

Hägler<br />

Ressortleiter<br />

Mathias<br />

Küng<br />

Stv. Ressortleiter<br />

Peter<br />

Brühwiler<br />

Redaktor<br />

Manuel<br />

Bühlmann<br />

Redaktor<br />

Mario<br />

Fuchs<br />

Redaktor<br />

Jörg<br />

Meier<br />

Redaktor<br />

Urs<br />

Moser<br />

Redaktor<br />

AARGAU WEST<br />

Urs<br />

Helbling<br />

Ressortleiter<br />

Nadja<br />

Rohner<br />

Stv. Ressortleiterin<br />

Pascal<br />

Meier<br />

Reporter<br />

Rahel<br />

Plüss<br />

Redaktorin<br />

Wynental<br />

Katja<br />

Schlegel<br />

Redaktorin Aarau<br />

Ruth<br />

Steiner<br />

Redaktorin<br />

Lenzburg-Seetal<br />

Fritz<br />

Thut<br />

Redaktor<br />

Lenzburg-Seetal<br />

Ueli<br />

Wild<br />

Redaktor Aarau<br />

Christine<br />

Wullschleger<br />

Redaktorin<br />

Suhrental<br />

FRICK<br />

Thomas<br />

Wehrli<br />

Ressortleiter<br />

Marc<br />

Fischer<br />

Stv. Ressortleiter<br />

Nadine<br />

Böni<br />

Redaktorin<br />

Dennis<br />

Kalt<br />

Redaktor<br />

ONLINE<br />

Jürg<br />

Krebs<br />

Desk-Chef<br />

Maria<br />

Brehmer<br />

Social-Media-<br />

Redaktorin<br />

Elia<br />

Diehl<br />

Redaktor<br />

Lea<br />

Durrer<br />

Redaktorin<br />

Simone<br />

Morger<br />

Video-Redaktorin<br />

Lukas<br />

Scherrer<br />

Redaktor<br />

Franziska<br />

Zambach<br />

Redaktorin<br />

Christoph<br />

Zehnder<br />

Redaktor<br />

Philipp<br />

Zimmermann<br />

Redaktor


NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 47<br />

Die Macher der Aargauer Zeitung<br />

AARGAU OST<br />

Martin<br />

Rupf<br />

Ressortleiter<br />

Roman<br />

Huber<br />

Stv. Ressortleiter<br />

Andreas<br />

Fretz<br />

Redaktor Zurzach<br />

Sabina<br />

Galbiati<br />

Redaktorin<br />

Pirmin<br />

Kramer<br />

Redaktor<br />

Carla<br />

Stampfli<br />

Redaktorin<br />

Daniel<br />

Weissenbrunner<br />

Redaktor Zurzach<br />

BRUGG<br />

FREIAMT<br />

Claudia<br />

Meier<br />

Ressortleiterin<br />

Michael<br />

Hunziker<br />

Redaktor<br />

Janine<br />

Müller<br />

Redaktorin<br />

Toni<br />

Widmer<br />

Ressortleiter<br />

Dominic<br />

Kobelt<br />

Stv. Ressortleiter<br />

Walter<br />

Christen<br />

Redaktor<br />

Eddy<br />

Schambron<br />

Redaktor Muri<br />

Andrea<br />

Weibel<br />

Redaktorin<br />

EVENT-UNIT<br />

Jan<br />

Lüthy<br />

Leiter<br />

Donatella<br />

Bettinelli<br />

Barbara<br />

Reinmann<br />

Marcel<br />

Siegrist<br />

Theres<br />

Stalder-Frei<br />

STAGIAIRES<br />

Sven<br />

Altermatt<br />

Andreas<br />

Fahrländer<br />

Stefanie<br />

Garcia-Lainez<br />

Lina<br />

Giusto<br />

Janine<br />

Gloor<br />

Nicola<br />

Imfeld<br />

Noemi<br />

Landolt<br />

Deborah<br />

Onnis<br />

Fabio<br />

Vonarburg


Für Immobilien RE/MAX<br />

Baden 056 200 90 00<br />

Berikon<br />

<br />

056 511 10 10<br />

<br />

Brugg 056 250 48 48<br />

<br />

Frick 062 871 11 19<br />

Lenzburg <br />

062 892 10 90<br />

Wohlen 056 621 31 11<br />

<br />

Meine Immobilie. Mein Zuhause.


NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 49<br />

Schlagzeilen<br />

der ersten AZ-Ausgabe<br />

am 4. November 1996<br />

KOMMENTAR<br />

Frau Lüscher fordert<br />

den ultimativen Faktencheck<br />

Frau Lüscher hat wieder angerufen.<br />

Sie wolle zum Jubiläum gratulieren,<br />

sagte sie, sie habe die<br />

Aargauer Zeitung seit dem ersten<br />

Tage abonniert, und sie müsse also<br />

schon sagen: Grundsätzlich sei das eine<br />

gute Zeitung. Sie möchte keine andere.<br />

Auch die Zustellung klappe in letzter<br />

Zeit perfekt. Und dass die Zeitung in<br />

den letzten Jahren dünner geworden<br />

sei, komme ihr gerade recht; sie habe<br />

sowieso nie alles lesen können. Und sie<br />

hoffe schon, dass es die az noch lange<br />

gebe.<br />

von Jörg Meier<br />

Ich sagte, dass ich das auch hoffe, auch<br />

aus ganz persönlichem Interesse.<br />

vorstellen, davon hätte ich schon mal<br />

gehört. Manchmal glaube ich sogar, den<br />

Polderhorn, der sie früher immer besucht<br />

hat, den gibt es auch nicht. Den<br />

haben Sie doch erfunden.»<br />

So sprach Frau Lüscher und sie sagte<br />

weiter, sie möchte jetzt einfach wissen,<br />

ob das wirklich alles wahr sei, was ich<br />

da ständig in den «Meiereien» schreiben<br />

täte. Leicht angriffig tönte die sonst so<br />

nette Frau Lüscher.<br />

Ich war überrascht. Mit einer Diskussion<br />

über postfaktischen Journalismus in<br />

den Meiereien hatte ich nicht gerechnet.<br />

Das mit dem Jurakamuff war einfach zu<br />

erklären: Es ist höchst selten sichtbar,<br />

weil es unsichtbar wird, sobald es sich<br />

beobachtet fühlt. Also ist es per se sehr<br />

schwierig, das Tier in den dichten Jurawäldern,<br />

wo es sich meistens aufhält, zu<br />

entdecken; im tief hängenden Herbstnebel<br />

erst recht.<br />

Aber ein paar Sachen müsse sie schon<br />

ansprechen, fuhr Frau Lüscher fort. Es<br />

störe sie, dass nun auch die az bei diesem<br />

postfaktischen Zeugs mitmache<br />

und Sachen schriebe, die höchstens<br />

halb wahr sind.<br />

Wie sie denn das genau meine, fragte<br />

ich Frau Lüscher.<br />

«Gerade Sie sind so einer», sagte sie, das<br />

sei kein Vorwurf, aber es falle ihr halt<br />

einfach auf: «Sie erzählen immer wieder<br />

so Geschichten, bei denen man nicht<br />

weiss, ob man sie glauben soll. Nur<br />

schon, was sie andauernd und immer<br />

wieder mit Schwaderloch anstellen, das<br />

geht gar nicht. Oder Sie haben mehrmals<br />

behauptet, es gebe ein Tier mit Namen<br />

Jurakamuff. Das kann ich mir nicht<br />

«Ich weiss jetzt, wie ich herausfinden<br />

kann, ob das stimmt, was Sie geschrieben<br />

haben», sagte Frau Lüscher.<br />

«Wie wollen Sie das machen?», fragte<br />

ich.<br />

«Es gibt nur eine Möglichkeit»,<br />

antwortete Frau Lüscher. «Ich will<br />

einen Faktencheck!»<br />

«Einen Faktencheck?», fragte ich.<br />

«Genau.»<br />

«Und wie soll der konkret aussehen?»<br />

«Ich verlange ultimativ ein Treffen mit<br />

Polderhorn im Restaurant Bahnhof in<br />

Schwaderloch mit anschliessender<br />

Dorfbesichtigung», sagte Frau Lüscher.<br />

«Kein Problem», antwortete ich.<br />

Doch das war gelogen.


50 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />

NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />

«Die gedruckte Zeitung<br />

wird aufgewertet»<br />

Der deutsche Medienforscher Andreas Moring plädiert dafür, dass Tageszeitungen nicht mehr<br />

täglich auf Papier erscheinen. Genau das werde ihr Überleben sichern, ist er überzeugt.<br />

Heute ist Zeitungstag, bisher war jeder Tag Zeitungstag – in Zukunft werden es vielleicht nur noch Dienstag, Donnerstag und Samstag sein, schlägt Medienwissenschafter Andreas Moring vor.<br />

CHRIS ISELI<br />

VON PATRIK MÜLLER<br />

Herr Moring, bis ins Jahr 1969<br />

erschien die «Neue Zürcher<br />

Zeitung» dreimal täglich. Heute<br />

stellen Sie sogar die tägliche<br />

Erscheinungsweise von Tageszeitungen<br />

infrage. Warum?<br />

Andreas Moring: Vor gut einem halben<br />

Jahrhundert gab es noch kein Privatfernsehen,<br />

kein Privatradio, kein Internet,<br />

keine Smartphones, kein Streaming,<br />

keine Social Networks, keine<br />

Messenger-Apps. Es gab also faktisch<br />

keine echten Alternativen zur gedruckten<br />

Zeitung. Weder für Leser, noch für<br />

die Werbewirtschaft. Das ist heute anders.<br />

Das Angebot an medialen Konsummöglichkeiten<br />

ist unüberschaubar<br />

gross. Dabei ist das Zeitbudget der<br />

Menschen für den Medienkonsum heute<br />

so hoch wie nie.<br />

«Bei weniger<br />

Erscheinungstagen muss<br />

ich den Kunden natürlich<br />

zur Kompensation<br />

ein gutes Online- und<br />

Mobilangebot bieten.»<br />

Also mehr Zeit für die Medien. Aber<br />

trotzdem bleibt nicht genügend<br />

Zeit, um täglich Zeitung zu lesen?<br />

Die tägliche gedruckte Zeitung leidet<br />

am stärksten in diesem Wettbewerb.<br />

Die erwähnten Alternativen erfüllen<br />

aus Kundensicht, salopp gesagt, die<br />

Jobs der Tageszeitung viel besser. Und<br />

auch für die Werbewirtschaft gibt es<br />

andere Kanäle und Plattformen. Will<br />

die Zeitung weiter in diesem Wettbewerb<br />

stehen, wird sie verlieren. Deshalb<br />

ist es Zeit, anders zu denken. Erscheint<br />

die Zeitung nur noch an zwei<br />

oder drei Tagen pro Woche auf Papier,<br />

und bringt sie die täglichen News bloss<br />

noch online, kann die Zeitung als Printprodukt<br />

ihre Stärken wieder ausspielen.<br />

Für welche Tage würden Sie sich<br />

entscheiden?<br />

Ich denke, Dienstag, Donnerstag und<br />

Samstag sind sinnvoll.<br />

Zeitungsleser sind Gewohnheitstiere.<br />

Könnten sie sich am Ende nicht<br />

daran gewöhnen, überhaupt keine<br />

Zeitung mehr zu haben?<br />

Wenn man genauer auf den Zeitungskonsum<br />

schaut, dann sieht man, dass<br />

die typischen Zeitungsabonnenten<br />

schon heute ihre Zeitung nur an zwei<br />

bis drei Tagen in der Woche wirklich<br />

nutzen, also länger als 15 bis 20 Minuten<br />

lesen. Wenn ich als Verlag umstelle<br />

auf weniger Erscheinungstage, dann<br />

muss ich den Kunden natürlich gleichzeitig<br />

ein gutes Online- und Mobilangebot<br />

bieten: die gedruckte Zeitung als<br />

hintergründiges Qualitätsprodukt – und<br />

die täglichen News für den schnellen<br />

Überblick online, Mobil und über Social-Media-Kanäle.<br />

Das alles am besten<br />

in einem Paketangebot zu einem Preis.<br />

Die gedruckte Zeitung wird so für die<br />

Leser sogar aufgewertet und steigt in<br />

der Wertschätzung. Deswegen sehe ich<br />

keine Gefahr, dass Kunden auf das<br />

Printprodukt verzichten würden.<br />

Was macht Sie da so sicher?<br />

Wir sehen den positiven Effekt ja auch<br />

bei den guten Auflagen und Verkaufszahlen<br />

für die Samstags- und Sonntagsausgaben<br />

von Zeitungen und von Wochenzeitungen<br />

wie der «Zeit». Für Ver-


NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 51<br />

lage hat ein integriertes Print-Online-<br />

Modell zudem den Vorteil, die Kunden<br />

öfter und umfassender zu erreichen<br />

und eine bessere Kundenbeziehung zu<br />

ihnen aufzubauen.<br />

Müsste der Abonnementpreis sinken,<br />

wenn die Zeitung nicht mehr<br />

täglich in den Briefkasten kommt?<br />

Ich plädiere für die beschriebene Paketlösung:<br />

ein Abopreis, Zugang zu allen<br />

Angeboten der Zeitungsmarke von<br />

Papier über Web bis hin zu Apps und<br />

Social Media. Da könnte ich sogar einen<br />

höheren Preis verlangen als bei<br />

heutigen reinen Zeitungsabos. Und<br />

selbst wenn ich den Preis für das Paketangebot<br />

auf Höhe des Printabopreises<br />

belassen würde, gäbe es wegen<br />

der geringeren Kosten für Druck, Logistik<br />

und Auslieferung immer noch einen<br />

attraktiven Gewinn.<br />

Eine Zeitung, die nicht täglich<br />

erscheint, müsste ihr inhaltliches<br />

Konzept ändern. Wie stellen Sie<br />

sich das vor?<br />

Das Printprodukt muss weg vom Anspruch,<br />

aktuelle Nachrichten bieten zu<br />

wollen. Das können andere Medien<br />

viel besser und umfangreicher. Print<br />

kann und muss gute Recherche bieten,<br />

unterhaltsame und spannende Geschichten,<br />

Erklärungen und Einordnungen,<br />

muss Plattform sein für Meinungsstreit<br />

und Debatten, muss die<br />

Rolle der vierten Gewalt in der Gesellschaft<br />

ausfüllen. Das sind Dinge, die<br />

sie mit Apps, Messenger-Diensten oder<br />

über Instagram, Twitter, Facebook &<br />

Co. nicht hinbekommen. Eine Zeitung<br />

kann das – aber nicht im täglichen Produktionsrhythmus.<br />

Das ist am Ende inhaltliche<br />

Qualität und ein echtes Alleinstellungsmerkmal,<br />

das bei der angesprochenen<br />

riesigen Angebotsvielfalt<br />

überlebenswichtig ist.<br />

Was tun, wenn an einem Tag ein<br />

Grossereignis stattfindet – etwa<br />

ANDREAS MORING<br />

● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●<br />

Andreas Moring lehrt in Hamburg<br />

an der Business & IT School BiTS<br />

und leitet dort den Studiengang<br />

Medien- und Kommunikationsmanagement.<br />

Er promovierte zum<br />

Dr. phil. und ist diplomierter Volksund<br />

Betriebswirtschafter. Nach<br />

seinem Studium absolvierte er<br />

zwei Jahre lang eine Ausbildung<br />

an der Axel Springer Akademie<br />

und war danach für das grösste<br />

deutsche Verlagshaus tätig.<br />

ein Terroranschlag – und am<br />

darauffolgenden Tag keine Zeitung<br />

vorgesehen ist?<br />

Dann können Sie ein Extra-Blatt drucken.<br />

Aber das würde ich gar nicht<br />

mal als zwangsläufig ansehen. Über<br />

Websites, Apps und Social Media und<br />

aktuelle Nachrichten und Videos erreiche<br />

ich die Menschen bei solchen Lagen<br />

doch viel besser und schneller. Es<br />

wartet doch auch heute keiner in solchen<br />

Situationen auf die Zeitung am<br />

nächsten Morgen; sondern die Menschen<br />

schalten Radio und Fernsehen<br />

ein, informieren sich im Netz und über<br />

ihr Smartphone. Am liebsten bei<br />

glaubwürdigen Marken, zum Beispiel<br />

ihrer Zeitungsmarke. Wenn die Printzeitung<br />

nun nicht am nächsten, sondern<br />

am übernächsten Tag erscheint,<br />

kann sie wiederum ihre Stärken ausspielen<br />

und hintergründiger und erklärender<br />

berichten.<br />

Was würde es für das digitale<br />

Angebot des Verlags bedeuten?<br />

Das digitale Angebot muss das machen,<br />

was es am besten kann: Aktuell<br />

und schnell berichten – im Netz, mobil<br />

und über Social Media. Dafür brauche<br />

ich Spezialisten, die das können und<br />

sich darauf konzentrieren, keine<br />

Crossmedia-Newsroom-Redaktoren,<br />

die alles machen sollen, aber es gar<br />

nicht können. Dazu muss ich nicht einmal<br />

Personal aufstocken, sondern<br />

kann viele Aufgaben von freien Mitarbeitern<br />

für bestimmte Aufgaben und<br />

Kanäle machen lassen.<br />

Bezahl-Modelle im Netz funktionieren<br />

bei regionalen Zeitungen bislang<br />

nirgends wirklich. Würde Ihr<br />

Modell Paid Content begünstigen?<br />

Die Zahlungsbereitschaft ist in Onlinemärkten<br />

extrem gering. Zudem gibt es<br />

im Regionalen kaum wirklich exklusive<br />

Nachrichten, für die Kunden online<br />

ein Abo abschliessen würden. Menschen<br />

zahlen im Netz eigentlich nur in<br />

Ausnahmen für Inhalte, zum Beispiel,<br />

wenn es beruflich absolut notwendig<br />

ist. Sie zahlen online für konkrete Problemlösungen,<br />

Bequemlichkeit und<br />

Personalisierung. Ich kenne keine Regionalzeitung,<br />

die das ihren Kunden<br />

bietet. Es ist also nicht allein der Inhalt,<br />

der bei Menschen eine Zahlungsbereitschaft<br />

erzeugt. Es sind immer<br />

bestimmte weitere Dienstleistungen<br />

und ein einfaches Handling.<br />

Worin liegt die Chance?<br />

Bei Paketangeboten. Ich bin mir sicher,<br />

dass mein Modell als Paketangebot<br />

aus Print und Online – aufgewertet<br />

mit zusätzlichen Services – besser laufen<br />

wird als die ziemlich einfallslose<br />

Paywall. Zudem muss man auch überlegen,<br />

ob in der richtigen Währung bei<br />

«Ich bin sicher, dass<br />

mein Modell als Paketangebot<br />

aus Print und<br />

Online – mit zusätzlichen<br />

Services – besser laufen<br />

wird als eine Paywall.»<br />

den aktuellen Paywall-Modellen abgerechnet<br />

wird. Wie wäre es, wenn Kunden<br />

nicht in Franken oder Euro bezahlen,<br />

sondern in Daten? Daraus könnte<br />

man indirekte Monetarisierungsmodelle<br />

bauen, die auch besser funktionieren<br />

würden als die Paywall-Versuche,<br />

die wir heute sehen. Die sind<br />

selbst nach mehreren Jahren noch<br />

weit vom lohnenden Geschäft entfernt,<br />

und sie werden in ihrer jetzigen<br />

Gestalt auch nie dahin kommen.<br />

Wie lange wird es aus Ihrer Sicht<br />

noch gedruckte Zeitungen geben?<br />

Noch sehr lange. Aber im Regionalen<br />

und Lokalen eben nicht mehr als tägliche<br />

Ausgabe.<br />

20 Jahre<br />

Aargauer Zeitung<br />

Beilage zur az Aargauer Zeitung<br />

und Badener Tagblatt<br />

vom 4. November 2016<br />

Herausgeberin:<br />

AZ Zeitungen AG<br />

az Aargauer Zeitung<br />

Neumattstrasse 1, 5<strong>001</strong> Aarau<br />

Verleger:<br />

Peter Wanner<br />

Redaktion: Sven Altermatt, Sabine Altorfer,<br />

Christoph Bopp, Rolf Cavalli, Max Dohner,<br />

Christian Dorer, Fabian Hägler, Dagmar Heuberger,<br />

Jörg Meier, Patrik Müller, Anna Wanner,<br />

Toni Widmer, Roman Würsch<br />

Gestaltung: Pat Schneider<br />

Bildredaktion: Bernhard Vesco,<br />

Marius Rinderknecht<br />

Fotografen: Sandra Ardizzone, Chris Iseli,<br />

Alex Spichale, Silvan Wegmann (Karikatur):<br />

Produktion: Christoph Bopp, Martin Moser,<br />

Micha Wernli (Grafik)<br />

Autoren: Peter Wanner, Kaspar Hemmeler,<br />

Hans-Peter Zehnder, Philip Funk, Andreas Müller,<br />

Hans Fahrländer,Jürg Schärer, Peter Buri,<br />

Markus Somm,Axel Wüstmann, Urs Saxer,<br />

Hermann Burger.<br />

Verkauf: Paolo Placa, Alexandra Heiniger<br />

Koordination: Noemi Freiermuth<br />

Verlag:<br />

«az Nordwestschweiz»,<br />

Neumattstrasse 1, 5<strong>001</strong> Aarau<br />

Geschäftsführer: Dietrich Berg<br />

Leiter Werbemarkt National: Paolo Placa<br />

Leiterin Marketing: Zaira Noro<br />

Druck:<br />

Mittelland Zeitungsdruck AG,<br />

Neumattstrasse 1, 5<strong>001</strong> Aarau<br />

Leitung: Urs Binkert<br />

Telefon 058 200 42 70 | Fax 058 200 42 71<br />

E-Mail: zeitungsdruck@azmedien.ch<br />

Eine Publikation der<br />

Verbreitete Auflage: 72 429 Ex. (WEMF 2016)<br />

Davon verkaufte Auflage: 66 337 Ex. (WEMF 2016)<br />

Die «az Aargauer Zeitung» ist Mitglied der<br />

«az Nordwestschweiz»<br />

Verbreitete Auflage: 155 716 Ex. (WEMF 2016)<br />

Davon verkaufte Auflage: 143 882 Ex. (WEMF 2016)<br />

Leser: 364 000 (MACH Basic 2016-2)<br />

Copyright Herausgeberin


52 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />

NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />

6.00 Uhr<br />

Hellwach! Der Online-<br />

Frühdienstler ist der<br />

Allererste im Newsroom.<br />

Er aktualisiert<br />

die Websites der az mit<br />

den besten Storys des<br />

Morgens und den<br />

News der Nacht.<br />

10.00 Uhr<br />

Die Videoredaktorin instruiert Mitarbeiterinnen<br />

in Ausbildung. Ohne Einsatz von Bewegtbild<br />

geht heute fast nichts mehr auf Reportage.<br />

7.00 Uhr<br />

Neuer Tag, neue Geschichten: Während die<br />

aktuelle Zeitung bereits im Briefkasten der<br />

Abonnenten ist, nimmt der az-Newsroom in<br />

der Telli Aarau Fahrt auf.<br />

8.30 Uhr<br />

Was bewegt den Aargau heute?<br />

Die Regionenbüros schalten sich<br />

zur Telefonkonferenz zusammen.<br />

Baden (im Bild), Aarau, Freiamt,<br />

Brugg und Frick besprechen die<br />

Themen des Tages.<br />

FOTOS: SANDRA ARDIZZONE<br />

Wie es pulsiert<br />

im az-Newsroom<br />

15.00 Uhr<br />

Der Text ist fast fertig. Der<br />

Reporter sucht nur noch nach<br />

dem passenden Titel für seine<br />

Recherche, bevor die erste<br />

Version online geht.<br />

Aus der Redaktionsstube ist ein hochmoderner Newsroom<br />

geworden, in dem multimedial produziert wird.<br />

12.00 Uhr<br />

Der Infografiker visualisiert<br />

seine Ideen im Skizzenbuch,<br />

bevor er die Grafiken am<br />

Bildschirm umsetzt.<br />

von Rolf Cavalli<br />

stv. Chefredaktor,<br />

Chef Digitale Medien und<br />

Leiter Aargau/Regionen<br />

Die Zeiten, als Telegramme ratterten und<br />

Schreibmaschinen klapperten, sind auf den Redaktionen<br />

natürlich längst vorbei. Der technologische<br />

Wandel hat sich aber in den letzten Jahren<br />

nochmals derart beschleunigt, dass es einem<br />

Journalisten schnell mal schwindlig werden<br />

kann. Während wir an der Morgensitzung konferieren<br />

und uns überlegen, wie wir ein Thema<br />

weiterentwickeln, wird dieses von Leserinnen<br />

und Lesern in den sozialen Medien bereits diskutiert,<br />

News und Analysen dazu verlinkt, geteilt<br />

und bewertet. Das alles fast immer auf dem Handy<br />

notabene. Die digitale Revolution verändert<br />

so fast alles, was einen Redaktionsalltag angeht.<br />

Wir arbeiten heute weitgehend konvergent. Das<br />

heisst: Die Ressorts, allen voran in den Regionen,<br />

beliefern Online und Zeitungsausgabe gleichermassen.<br />

Das macht die Arbeit anspruchsvoller,<br />

die Abläufe komplexer. Neue Jobprofile sind<br />

entstanden. Eine Videoredaktorin ist im Newsroom<br />

2016 genauso wenig wegzudenken wie die<br />

Social-Media-Redaktorin, die unsere Artikel via<br />

Facebook, Twitter & Co. verbreitet und die Leser-Diskussionen<br />

moderiert.<br />

Je vielschichtiger die Medienwelt, desto wichtiger<br />

werden die einzelnen Fachleute im Newsroom:<br />

Der Autor, der für Lesegenuss sorgt; der<br />

Art Director, der die Zeitung inszeniert; der<br />

Website-Manager, der zum richtigen Zeitpunkt<br />

die richtige Story online schaltet; die Redaktoren,<br />

welche ihre Region aus dem Effeff kennen<br />

und viele mehr. Sie alle sind der Puls in einem<br />

der – das können wir selbstbewusst sagen – modernsten<br />

und schönsten Newsrooms Europas.<br />

14.00 Uhr<br />

Der az-Fotograf im Einsatz.<br />

Noch vor Ort schickt<br />

er erste Bilder in den<br />

Newsroom, bevors zum<br />

nächsten Auftrag geht.<br />

17.30 Uhr<br />

Kurz vor der Sendung: In der<br />

Maske wird die TV-Moderatorin<br />

auf die Newssendung von Tele M1<br />

vorbereitet. Auch die TV-Studios<br />

sind im Newsroom integriert.<br />

23.00 Uhr<br />

Der Abschlussproduzent<br />

kontrolliert nochmals<br />

alles, bevor er<br />

die letzte Seite freigibt.<br />

Jetzt ist die Druckerei<br />

am Zug.<br />

16.30 Uhr<br />

Die sogenannten Mantel-Ressorts (überregionale<br />

Themen) treffen sich zur zweiten<br />

Tagessitzung. Hier entscheidet sich, was<br />

wie auf die Frontseite kommt.<br />

19.00 Uhr<br />

Der letzte Schliff. Die Tageschefs<br />

begutachten auf der Videowand die schon<br />

fast fertigen Zeitungsseiten, bevor das<br />

Produkt in die Schlussproduktion geht.


TAG DER OFFENEN TÜR<br />

Samstag, 19. 11. 2016, und Samstag, 26. 11. 2016<br />

jeweils von 10.00 bis 14.00 Uhr<br />

HERZLICH WILLKOMMEN IM GAUTSCHI-PARK<br />

Ihr neues Zuhause in Reinach AG<br />

Exzellenter Wohnkomfort, viel Grün, Licht und Sonne in der parkähnlichen Anlage.<br />

In der renovierten und denkmalgeschützten Gautschi-Villa warten ein Kindergarten,<br />

ein Abenteuerspielplatz und ein modernes Restaurant sowie fünf neue Mietwohnungen<br />

auf die neuen Bewohner. Der Gautschi-<br />

Park ist verkehrsfrei gestaltet. Die Einstellhalle<br />

mit 80 Plätzen bietet ausreichend<br />

Platz für Autos, Mofas und Velos. Hier erhält<br />

das Leben eine ganz neue Qualität.<br />

Kommen Sie vorbei, wir haben zwei Musterwohnungen<br />

für Sie eingerichtet.<br />

25 Eigentumswohnungen<br />

von 3½ Zimmer bis 5½ Zimmer<br />

ab CHF 375 000.–<br />

6 Reiheneinfamilienhäuser<br />

ab CHF 612 000.–<br />

Einstellhallenplätze je CHF 30 000.–<br />

Wir freuen uns auf Ihre Kontaktnahme und<br />

auf Ihren Besuch.


NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 55<br />

Nie sind sich Leser und Redaktion näher<br />

Im Sommer wandert die az mit Lesern und Promis durch die Region – das Leserwandern hat bereits Tradition.<br />

von<br />

Sven Altermatt<br />

«Mister Leserwandern»<br />

J<br />

eden Wochentag in den Sommerferien<br />

eine abwechslungsreiche<br />

und überraschende<br />

Wanderung, Sehenswürdigkeiten,<br />

prominente Gäste. Es<br />

braucht weder eine Anmeldung<br />

noch ein Auto für die Anfahrt.<br />

Das ist das Leserwandern der «Aargauer<br />

Zeitung» und ihrer Schwesterzeitungen.<br />

Während fünf Wochen tauschen<br />

Redaktoren ihren Schreibtisch gegen<br />

die freie Natur – und treffen beim Wandern<br />

auf Leserinnen und Leser. Mit ihnen<br />

diskutieren, plaudern oder streiten<br />

sie auch mal. Und entdecken unterwegs<br />

so einmalige Orte wie die Linde<br />

von Linn, die Festung von Aarburg<br />

oder den Erdmannlistein.<br />

Was vor sechs Jahren als einmalige<br />

Sommeraktion geplant war, hat sich im<br />

Aargau zu einer Tradition entwickelt.<br />

Wohl nie ist die Beziehung zwischen<br />

den Lesern und ihrer Tageszeitung inniger<br />

als beim Leserwandern. Wenn ein<br />

Teilnehmer auf den Jurahöhen von<br />

«meinem Leibblatt» erzählt, dann<br />

scheint das zuerst einmal aus der Zeit<br />

gefallen. Der Begriff umreisst allerdings<br />

nicht nur die Nähe, sondern gibt der<br />

Zeitung auch eine soziale Dimension.<br />

Diese lebt von und mit ihren Lesern, ihren<br />

Anregungen und ihrer Kritik.<br />

Auf einer Etappe wandern bis zu 360 Leute mit. PATRICK ZÜST Auch den Jüngsten gefällts. ALEX SPICHALE Wandern mit Hund? Wandern mit Lama! PATRICK ZÜST<br />

Unterwegs bleibt auch mal Zeit für ein Nickerchen. TOM ULRICH Wanderer mit Fan-Shirt. BRUNO KISSLING Der Aargau lockt Wanderer mit vielfältiger Natur. PATRICK ZÜST


NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 57<br />

Eine Plattform<br />

für Künstlerinnen<br />

und Künstler<br />

1998<br />

Scuola e Teatro<br />

Dimitri<br />

2<strong>001</strong><br />

Hugo Suter<br />

1999<br />

Flamencos<br />

en route<br />

2002<br />

Franz Hohler<br />

2000<br />

Egon Ammann<br />

2003<br />

Ruedi<br />

Häusermann<br />

Der Kulturpreis der AZ Medien hat eigentlich<br />

nicht den Anspruch, auch der Aargauer<br />

Kulturpreis zu sein, aber den Ruf hat er schon.<br />

2004<br />

Sonja und<br />

Roger Kaysel<br />

2005<br />

Klaus Merz<br />

2006<br />

Samir<br />

von<br />

Sabine Altorfer<br />

Jurypräsidentin<br />

J<br />

ubiläen können nachwirken.<br />

Wenn man denn etwas Nachhaltiges<br />

schafft und nicht nur<br />

jubiliert. Der Kulturpreis der<br />

AZ Medien verdankt seine<br />

Entstehung dem Jubiläum<br />

«150 Jahre Tagespresse im Aargau».<br />

Nicht Konkurrenz, sondern Ergänzung<br />

zur Aargauer Kulturförderung<br />

sollte er sein und wurde doch von Beginn<br />

an ohne geografische Scheuklappen<br />

verliehen.<br />

So konnte die Scuola Dimitri 1998<br />

den ersten Preis entgegennehmen,<br />

später auch Verleger Egon Ammann<br />

(in dessen Verlag viele Aargauer Autoren<br />

und Autorinnen erschienen). Ausgezeichnet<br />

wurden in diesem 18-jährigen<br />

Engagement aber auch Aargauer<br />

Eigengewächse und Exportschlager:<br />

Theatermann Ruedi Häusermann, der<br />

so oft in Berlin wie in Lenzburg arbeitet,<br />

Brigitta Luisa Merki, die in Baden<br />

Flamenco neu denkt und tanzt, oder<br />

Klaus Merz, der aus dem Wynental<br />

Weltliteratur liefert.<br />

Den Kulturpreis der AZ Medien zu<br />

bekommen, heisst Geld, eine Feier<br />

und – so wichtig wie logisch – auch eine<br />

mediale Plattform zu erhalten. So<br />

erfuhren die AZ-Leserinnen etwa,<br />

dass Samir und Sabine Boss nicht nur<br />

gute Filme drehen, sondern Aargauer<br />

Wurzeln haben, warum für die Weltklasse-Cellistin<br />

Sol Gabetta die Nordwestschweiz<br />

oder für Pedro Lenz Olten<br />

die richtige Homebase sind.<br />

2017 gibts ihn wieder<br />

Satzungen für den Preis wurden nie<br />

geschrieben, nie Sparten vorgegeben.<br />

Die Freiheit der Jury war stets beneidenswert<br />

gross, ihre Entscheidungsfindung<br />

umso spannender. Ausgerechnet<br />

2016, im Jubiläumsjahr der AZ,<br />

wurde der Kulturpreis nun Opfer einer<br />

Sparrunde. Aber ab 2017 gebe es ihn<br />

wieder, das Versprechen von Verleger<br />

Peter Wanner macht die Schreibende<br />

hier gerne publik.<br />

2008<br />

Sol Gabetta<br />

2011<br />

Andreas Fleck<br />

2014<br />

Dieter Ammann<br />

2009<br />

Beat Zoderer<br />

2012<br />

Pedro Lenz<br />

2015<br />

Sabine Boss<br />

2010<br />

Max Lässer<br />

2013<br />

Massimo Rocchi<br />

2007 und 2016<br />

wurde der<br />

Kulturpreis<br />

nicht verliehen<br />

Mehr Erfolg und grössere Verkaufschancen<br />

dank professioneller Gesprächsführung!<br />

Die Kommunikation mit den Kunden ist ein kritischer<br />

Erfolgsfaktor für jede Unternehmung. Professionelles<br />

Gesprächsverhalten steigert den Umsatz und die<br />

Kundenzufriedenheit. Grund genug, auch hier höchste<br />

Massstäbe anzulegen.<br />

Schnitter Consulting ist Ihr erfahrener Partner für<br />

Telefontraining und Verkaufsschulungen, die Sie und<br />

Ihre Mitarbeiter in kurzer Zeit zu versierten Profis am<br />

Telefon und im Verkauf machen.<br />

Darüber hinaus können Sie auch einfach externe<br />

Spezialisten für Ihre telefonische Kommunikation<br />

einsetzen: Der Schnitter Terminierungs-Service sorgt<br />

in Ihrem Namen für einen überzeugenden Auftritt am<br />

Telefon, ob für Erstkontakte, Terminvereinbarungen<br />

oder auch die Pflege bestehender Kundenbeziehungen.<br />

Setzen Sie auf Kompetenz<br />

und Qualität – setzen Sie auf<br />

Schnitter Consulting.<br />

Unsere Schulungsmodule<br />

Von der Akquisition über die Terminierung bis<br />

hin zum aktiven Verkaufen bieten wir Ihnen eine<br />

komplette, massgeschneiderte Lösung an.<br />

• Das 1 × 1 des erfolgreichen Telefonierens<br />

• Die Reklamationsannahme<br />

• Die Einwandbehandlung<br />

• Die Verkaufstechniken<br />

• Typengerechte Kommunikation<br />

• Persönliche Performance<br />

Wir bieten – Sie wählen<br />

• Einzellektionen<br />

• Seminare und Workshops<br />

(extern und innerbetrieblich)<br />

• Coaching und Trainings im Kontext,<br />

direkt am Arbeitsplatz<br />

Schnitter Terminierungs-Service<br />

• Telefonische Erstkontakte herstellen<br />

• Telefonkommunikation mit bestehenden Kunden<br />

• Terminvereinbarungen für den Aussendienst<br />

Adresse Kontakt Internet<br />

Untere Bächlen 6 056 675 31 31 www.schnitterconsulting.ch<br />

5630 Muri info@schnitterconsulting.ch<br />

Zum 20-Jahr Jubiläum der az Aargauer Zeitung gewähren wir Ihnen 20% Prozent auf ein Seminar.<br />

Gültig bis März 2017


58 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />

NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />

Medienpolitik muss in die Verfassung<br />

Angesichts der digitalen Revolution führt kein Weg an einer politischen Grundsatzdebatte vorbei.<br />

von Urs Saxer<br />

Professor für<br />

Medienrecht (u.a.) an<br />

der Universität Zürich<br />

B<br />

undesrätin Leuthard plant<br />

ein Mediengesetz. Dies ist<br />

ein mehr als überfälliger<br />

Schritt. Denn die digitale<br />

Revolution pflügt die Medienlandschaft<br />

derart um,<br />

dass kaum ein Stein auf dem anderen<br />

bleibt, was nicht ohne Einfluss auf die<br />

rechtlichen Rahmenbedingungen bleiben<br />

kann.<br />

Die technologische Entwicklung<br />

sprengt – so scheint es – jegliche Grenzen,<br />

die Grenzen von Ländern, von<br />

Mediengattungen, von Branchen, der<br />

involvierten Unternehmungen, insbesondere<br />

aber der Vorstellungskraft darüber,<br />

wohin die Reise geht. Als Folge<br />

der Konvergenz greifen alle Mediengattungen<br />

ineinander über: Es kann immer<br />

weniger zwischen Print, Radio und<br />

Fernsehen sowie Online unterschieden<br />

werden. Auf Online-Plattformen kommen<br />

alle diese Gattungen zusammen.<br />

Die Konvergenz verlangt eine hohe<br />

Investitions- und Risikobereitschaft der<br />

Medienunternehmungen, um auf allen<br />

möglichen Kanälen und Vektoren gegenüber<br />

mächtigen Konkurrenten wie<br />

der SRG sowie der Milliardenkonzerne<br />

Google und Facebook mithalten zu<br />

können, dies mit einem sehr ungewissen<br />

«return on investment». Zugleich<br />

sind die Medienschaffenden in der Flexibilität<br />

ihrer Arbeitsgestaltung immer<br />

stärker gefordert.<br />

Die Rolle des Staates<br />

Entsprechend verunsichert ist die<br />

traditionelle Medienwelt: Ihr Business<br />

Case ist tagtäglich grossen Belastungen<br />

ausgesetzt. Das bekommen die Medienkonsumenten,<br />

die Medienschaffenden<br />

und auch die Politik zu spüren. Was ist<br />

in diesem auch demokratierelevanten<br />

Prozess die Rolle des Staates? Im Zentrum<br />

stehen zwei in der Verfassung garantierte<br />

Freiheitsrechte: die Medienfreiheit<br />

und die Wirtschaftsfreiheit.<br />

Diese Grundrechte schaffen auf Verfassungsstufe<br />

einen publizistischen und<br />

wirtschaftlichen Freiraum für die Medien,<br />

aufgrund dessen mediale Eigenständigkeit<br />

und Selbstverantwortung<br />

die Regel, staatliche Interventionen<br />

demgegenüber die rechtfertigungsbedürftige<br />

Ausnahme darstellen. Für<br />

den Rundfunk gelten allerdings besondere<br />

Regeln. Nach dem über dreissigjährigen<br />

Radio- und Fernsehartikel der<br />

Verfassung erfüllen Radio und Fernsehen<br />

eine besondere Aufgabe im öf-<br />

Bundesrätin Leuthard plant ein Mediengesetz. Ohne Verfassungsbasis? ALEX SPICHALE<br />

fentlichen Interesse, einen Service public,<br />

weswegen sie besonders geregelt<br />

sind und auch in die Pflicht genommen<br />

werden können. Am deutlichsten zeigt<br />

sich dies in der privilegierten Stellung<br />

der SRG, welche auf der Basis einer gesetzlichen<br />

Konzession für die Grundversorgung<br />

bei Radio und Fernsehen<br />

verantwortlich ist und dafür Empfangsgebühren<br />

in einem Ausmass erhält, von<br />

denen private Rundfunkbetreiber nur<br />

träumen können.<br />

Eine Verfassungsbasis fehlt<br />

Der Bund hat eine ausdrückliche Verfassungsgrundlage<br />

für eine Rundfunkpolitik.<br />

Gilt dies auch für eine Pressepolitik?<br />

Wer unsere Bundesverfassung<br />

liest, wird keine entsprechenden Kompetenzen<br />

finden. Vereinzelte Zuständigkeiten<br />

werden aus dem Postregal<br />

mit Bezug auf die finanzielle Förderung<br />

der Postzustellung abgeleitet. Für eine<br />

allgemeine Pressepolitik des Bundes<br />

«Im Zentrum sollten<br />

Massnahmen stehen, die<br />

es allen Medien erlauben,<br />

die derzeit turbulenten<br />

Zeiten möglichst unbeschadet<br />

zu überstehen.»<br />

gibt es demgegenüber keine Verfassungsbasis.<br />

Dies gilt erst recht für eine allgemeine<br />

Medienpolitik. Der Bund hat auch<br />

keine allgemeine Internet-Zuständigkeit,<br />

sondern kann nur in einzelnen Bereichen<br />

mit dem Internet zusammenhängende<br />

Frage regeln. Beispiele sind<br />

der Datenschutz, das Strafrecht oder<br />

der Staatsschutz, wo Probleme verbunden<br />

mit dem Internet eine sehr wichtige<br />

Rolle spielen.<br />

Allerdings vertreten einzelne Stimmen<br />

die Auffassung, aus dem Radiound<br />

Fernsehartikel ergebe sich eine umfassende<br />

Zuständigkeit für Online-Normierungen.<br />

Begründet wird dies damit,<br />

dass nach dem Verfassungswortlaut<br />

auch die Regelung sogenannt «anderer<br />

Formen der fernmeldetechnischen Verbreitung<br />

von Darbietungen und Informationen»<br />

eine Bundeszuständigkeit ist.<br />

Daraus soll sich namentlich eine Bundeszuständigkeit<br />

zur Regelung medienrelevanter<br />

Internetaktivitäten ergeben.<br />

Dieser Auffassung ist zum Beispiel der<br />

frühere Direktor des Bundesamtes für<br />

Kommunikation und aktuelle Direktor<br />

des Bundesamtes für Justiz, einer juristisch<br />

zentralen Schaltstelle der Bundesverwaltung<br />

unter anderem auch im Gesetzgebungsprozess.<br />

Daraus ergäben sich unter anderem<br />

auch für die SRG die von der Verfassung<br />

nicht behinderte Möglichkeit, ihre<br />

Online-Aktivitäten zu einem zentralen,<br />

von den Rundfunkaktivitäten völlig unabhängigen,<br />

aber trotzdem gebührenfinanzierten<br />

Angebot auszubauen. Dies<br />

könnte natürlich die entsprechenden<br />

Angebote der privaten Verleger konkurrenzieren<br />

und letztere in Kombination<br />

mit den über die Plattform abrufbaren<br />

audiovisuellen Eigenproduktionen problemlos<br />

übertrumpfen.<br />

Die Schweiz kennt zwar keine umfassende<br />

Verfassungsgerichtsbarkeit. Ein<br />

Mediengesetz könnte daher ungestraft<br />

auf eine unzureichende Verfassungsbasis<br />

abgestützt werden und wäre<br />

trotzdem gültig. Sieht man von den<br />

rechtlichen Bedenken ab, erheben sich<br />

dagegen aber zwei prinzipielle Einwände,<br />

welche vor allem demokratisch-politischer<br />

Natur sind.<br />

Von digitaler Revolution überholt<br />

Diese leiten sich aus der Überlegung<br />

ab, dass der Verfassungsgeber vor über<br />

30 Jahren zwar durchaus für technische<br />

Neuerungen offen war, aber nicht<br />

ansatzweise an eine digitale Revolution<br />

dachte, welche die Unterscheidungen<br />

zwischen den Mediengattungen einebnen<br />

und regulatorisch völlig neue Voraussetzungen<br />

schaffen würde. Der<br />

Verfassungsgeber dachte damals vielmehr<br />

an Erscheinungen, welche publizistisch<br />

sowie demokratie-relevant von<br />

untergeordneter Bedeutung waren wie<br />

beispielsweise den Teletext.<br />

Das ist in den gesellschaftlichen, politischen<br />

und wirtschaftlichen Auswirkungen<br />

der digitalen Revolution nicht<br />

ansatzweise vergleichbar. Daraus leitet<br />

sich der zweite Einwand ab: Die digitale<br />

Revolution verlangt einen neuen Verfassungskonsens<br />

über die medienpolitischen<br />

Grundlagen, denn diese Revolution<br />

ist viel zu bedeutsam, als dass sich<br />

ihre regulatorische Bewältigung auf eine<br />

über 30-jährige Verfassungsbestimmung<br />

stützen könnte. Medienpolitik in<br />

der Schweiz braucht also eine neue<br />

Verfassungslegitimation, ja überhaupt<br />

eine Verfassungsgrundlage, welche derzeit<br />

nicht existiert.<br />

Es führt daher kein Weg an einer politischen<br />

Grundsatzdebatte vorbei, so<br />

mühselig dies auch sein mag. Letztlich<br />

geht es um die verfassungslegitime, demokratische<br />

Verankerung von Medienpolitik.<br />

Bei dieser Diskussion werden<br />

die unterschiedlichsten politischen<br />

Ordnungsvorstellungen aufeinanderprallen,<br />

reichend von Neo- und Ordoliberalen<br />

bis zu solchen, welche in den<br />

Medien Institutionen zur Verwirklichung<br />

demokratischer Gemeinwohlkonzepte<br />

erblicken.<br />

Auch wenn zum Beispiel zwischen<br />

den Vorstellungen der SVP und der SP<br />

enorm breite Abgründe klaffen, werden<br />

sich diese Parteien genauso wie andere<br />

bei der Entwicklung von Konzepten und<br />

Leitbildern nicht über die den Medienbereich<br />

prägenden Megatrends hinwegmogeln<br />

können. Also unter anderem,<br />

über die Digitalisierung, die Konvergenz,<br />

die Internationalisierung, die<br />

Kommerzialisierung und die Dominanz<br />

von Technik und Unterhaltung. Diese<br />

Trends werden auch für eine Mediengesetzgebung<br />

bestimmend sein. Eine zentrale<br />

Frage wird hierbei sein, inwieweit<br />

diese Trends nachvollzogen werden<br />

müssen, inwieweit deren Folgen gemildert<br />

und inwieweit gegenläufige Positionen<br />

festgelegt werden können.<br />

Es ist völlig richtig: Die Medien müssen<br />

angesichts der Konvergenz, wenn<br />

immer möglich, in einem einheitlichen<br />

Gesetz geregelt werden. Nur schon deswegen<br />

ist das Projekt eines Mediengesetzes<br />

folgerichtig und wichtig. Dabei<br />

ist erneut zu fragen, was die Rolle des<br />

Staates ist. Sicherlich ist die demokratiepolitische<br />

Dimension von wesentlicher<br />

Bedeutung. Im Zentrum sollten<br />

darüber hinaus auch Massnahmen stehen,<br />

welche es möglichst allen Medien<br />

erlauben, die derzeit turbulenten Zeiten<br />

bei der Anpassung an die digitale<br />

Welt möglichst unbeschadet zu überstehen.<br />

Vieles kann für alle Medien gemeinsam<br />

geregelt werden, anderes braucht<br />

nach wie vor gattungsspezifische Bestimmungen.<br />

Eine zentrale Frage ist<br />

der Service public. Wer erbringt ihn,<br />

und wie wird er finanziert? Sollen auch<br />

Plattformen privater Verleger finanziell<br />

unterstützt werden? Was ist die Rolle<br />

der SRG? Was sind ihre Aktivitäten, wo<br />

sind die Grenzen?<br />

Wie dem auch sei: Ohne hinreichende<br />

Verfassungsgrundlage ist eine allgemeine<br />

Mediengesetzgebung rechtsstaatlich<br />

und politisch nicht genügend<br />

abgesichert.


Zu verkaufen in Hallwil<br />

4½-Zimmer-Eigentumswohnung<br />

Kaufpreis Fr. 450000.–<br />

Garagenplatz Fr. 27000.–<br />

Wohnfläche 135 m 2<br />

Stockwerk 1. OG<br />

Baujahr 1996, renoviert 2010<br />

Bezug ab 1. 3. 2017<br />

Weitere Infos finden Sie unter www.rothplanung.ch<br />

Roth Bau + Planungs AG<br />

Schanzweg 6 | 5724 Dürrenäsch<br />

062 767 61 61 | info@rothplanung.ch<br />

Schmiedeeisen und Edelstahl<br />

Moosweg 3· 5615 Fahrwangen<br />

Tel. 056 676 60 50<br />

info@rupp-metalltrend<br />

• Aluminium Design Carports www.rupp-metalltrend.ch<br />

• Geländer<br />

• Tore<br />

• Zäune<br />

• Verglasungen<br />

• allg. Metallbauarbeiten


60 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />

NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />

Quiz: Besser leben mit «20 Jahre AZ»<br />

Beantworten Sie die Fragen (möglichst korrekt), spielen Sie mit den angebotenen Text-Bausteinen und Sie erhalten<br />

einen flotten Vierzeiler, der Ihr Leben verändern kann – aber nicht muss, wenn Sie denn schon . . .<br />

VON CHRISTOPH BOPP<br />

Z<br />

ur Einleitung: 20 Jahre<br />

sind eine lange Zeit. Da<br />

geht einiges vergessen, vieles<br />

was klar war, wird fragil,<br />

fast alles, was fragil<br />

war, verfestigt sich.<br />

So dürfen wir auch von den Lesern<br />

dieser Beilage eine gefestigte (20 Jahre<br />

sollten da etwas ausmachen) Persönlichkeit<br />

erwarten, die nicht gleich aufgibt,<br />

wenn Redaktorinnen und Redaktoren<br />

nicht ausreichend redigieren, Autoren<br />

nicht genug Auto fahren und Korrektoren<br />

ihren Job an der Schule nicht<br />

gleich an den Nagel hängen.<br />

Das Quiz ist nicht schwer, aber die Gebrauchsanweisung<br />

sollte man schon lesen<br />

(dafür hats nichts Kleingedrucktes).<br />

Zuerst die Fragen:<br />

tatatatatatatatataaaaaaaaaa!<br />

1. In welchem Hotel wurden die<br />

konspirativen Sitzungen des<br />

fusionsvorbereitenden Ausschusses<br />

durchgeführt?<br />

■ Hotel Wahnsinn, Schwaderloch B<br />

■ Novotel Flughafen<br />

Z<br />

■ Hotel Arte, Spreitenbach<br />

I<br />

2. Wie viele Chefredaktoren hatte<br />

das BT während seiner Geschichte<br />

(Mitglieder der Verlegerfamilie ausgenommen)?<br />

■ 5<br />

N<br />

■ 1<br />

C<br />

■ das hats nie gegeben<br />

O<br />

3. Mit wem ging Peter Wanner nicht<br />

zur Schule? (nicht alle waren in derselben<br />

Klasse, aber alle am gleichen<br />

Institut)<br />

■ Doris Leuthard<br />

X<br />

■ Jürg Schärer<br />

H<br />

■ Konrad Fischer<br />

W<br />

4. Was sagt man über Michi<br />

Wanner?<br />

■ hat einen starken linken Fuss<br />

■ verliert nie (oder selten) die Ruhe<br />

■ hat das niedrigste Golf-Handicap<br />

der Wanner-Familie<br />

Q<br />

X<br />

5. Mit welchem Grossprojekt stürzte<br />

der Ur-Gründer der AZ Medien,<br />

Josef Zehnder, die Stadt Baden<br />

in Schulden?<br />

■ mit der Nationalbahn<br />

V<br />

■ er erfand die Badenfahrt<br />

A<br />

■ mit dem ABB-Merger<br />

F<br />

6. Wie hiess die Aargauer Familie,<br />

die einem grossflächigen Medien-<br />

Experiment unterzogen wurde?<br />

■ Giezendanner<br />

■ Kummer<br />

■ Hagenbuch<br />

E<br />

G<br />

K<br />

M<br />

7. Wie hiess der berühmteste (berühmt-berüchtigste)<br />

AZ-Kolumnist<br />

und Kommentator mit Vornamen?<br />

■ Viktor<br />

U<br />

■ Andreas<br />

P<br />

■ Wütold (oder Wutold, ahd.) X<br />

8. Was ist kein Badener Restaurant<br />

oder Ausflugsort? (Ennetbaden zählen<br />

wir – touristisch – grosszügig zu<br />

Baden)<br />

■ Baregg<br />

L<br />

■ Baldegg<br />

G<br />

■ Hertenstein<br />

N<br />

9. Was war die grösste Konzession<br />

des Badeners Peter Wanner an die<br />

Kantonshauptstadt Aarau?<br />

■ Er nannte sein Restaurant<br />

«Einstein» und nicht «Titanic» X<br />

■ er wurde Mitglied des KTV T<br />

■ er nahm am Maienzug-Bankett teil Y<br />

Bonusfrage (die Antwort findet sich weder<br />

beim Googeln im Internet noch in<br />

dieser Beilage – dafür verraten wir, dass<br />

die richtige Buchstabenfolge, die noch<br />

nicht die eigentliche Lösung ist, mit<br />

diesem Buchstaben beginnt)<br />

10. Welche Band forderte an der<br />

Badenfahrt 1997 das eigentlich noch<br />

BT-fixierte Badener Publikum erstmals<br />

zu «AZ»-Rufen heraus?<br />

■ azton<br />

M<br />

■ Rabatz für die Katz<br />

J<br />

■ The Roaring Sixties<br />

S<br />

Es geht jetzt so weiter (das Leben<br />

und das Lesen dieser Beilage sind halt<br />

kein Zuckerschlecken):<br />

Schritt 1: Schreiben Sie jetzt die Buchstaben,<br />

die zu den richtigen Antworten<br />

gehören einfach mal in die Kästchen<br />

Schritt 3 (Schritt 2 lassen wir aus): Versuchen<br />

Sie, die gefundenen Buchstaben<br />

(sind es Buchstaben?) in eine sinnvolle<br />

Reihenfolge zu bringen – genau:<br />

es fängt mit «M» an und wenn Sie «cum<br />

grano salis» vorgehen, ist es leicht.<br />

Schritt 4: Schreiben Sie jetzt die richtige<br />

Folge (von was auch immer) so hin:<br />

War Bonus: gibt nix<br />

gibt ein Verb<br />

gibt ein Adverbiale<br />

gibt ein Tempo<br />

gibt ein Adverbiale<br />

gibt ein Nomen<br />

gibt ein Verb<br />

gibt ein Tempo<br />

gibt ein Nomen<br />

gibt ein Nomen<br />

Verben: besorg dir – wirst du<br />

Adverbialia: des Morgens – am Frühstückstisch<br />

Tempos/Tempi: schleunigst – nicht<br />

mehr<br />

Nomina/Nomens: Abo – Azett – Gazett<br />

Schritt 5: Einsetzen des Materials in<br />

die Rohform des Gedichts:<br />

(Verb) - (Adverbiale) - (Tempo) froh<br />

(Adverbiale) ohne (Nomen)’,<br />

(Verb) - (Tempo) ein (Nomen)<br />

Am besten der (Nomen)<br />

Schritt 6: Reimschema und Rhythmus<br />

kontrollieren (sollte perfekt sein). Der<br />

Vierzeiler reimt und stolpert, dass es eine<br />

Freude ist.<br />

Schritt 7: Schulterklopfen (sich selbst<br />

oder jemand anderem)<br />

Die Lösung<br />

Was, gewinnen wollen Sie auch noch<br />

etwas? Schämen Sie sich nicht, Sie Materialist?<br />

Oder gehören Sie gar zu den<br />

Schlaumeiern, die gemerkt haben, dass<br />

man die ganzen Fragen für die Lösung<br />

gar nicht braucht? Die Idee stammt halt<br />

vom Verlag: Nach 20 Jahren AZ gibt es<br />

keine offenen Fragen mehr.<br />

Schritt 1: ICXXVMXLXM<br />

Schritt 3: MCMLXXXXVI = 1996<br />

Schritt 4: Wirst du -- des Morgens --<br />

nicht mehr -- am Frühstückstisch -- Gazett<br />

-- besorg dir -- schleunigst -- Abo<br />

--Azett<br />

Schritt 5:<br />

Wirst du des Morgens nicht mehr froh<br />

am Frühstückstisch ohne Gazett’,<br />

besorg dir schleunigst ein Abo<br />

am besten der Azett.


62 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />

NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />

Das Zauberwort heisst Social Media<br />

Die Medienwelt verändert sich schneller, als vielen klassischen Medienunternehmen lieb ist. Ein Grund dafür ist das<br />

verstärkte Aufkommen von Social Media Netzwerken. Wie reagieren die Medienunternehmen und die Politik darauf?<br />

von<br />

Kaspar Hemmeler<br />

Rechtsanwalt und VR<br />

der AZ Medien AG<br />

«Die Werbung wandert<br />

ab von den klassischen<br />

Medien in Social-Media-<br />

Netzwerke.»<br />

W<br />

elches sind die wertvollsten<br />

Marken der<br />

Welt? Nach neuesten<br />

Erhebungen<br />

sind dies Apple<br />

(178 Milliarden US-<br />

Dollar) und Google (133 Milliarden US-<br />

Dollar). Die Marke mit dem höchsten<br />

Wertzuwachs dieses Jahr ist allerdings<br />

das Social Media Netzwerk Facebook.<br />

Mit einer enormen Steigerung des Markenwertes<br />

von 48 Prozent prescht Facebook<br />

auf Rang 15 des Rankings vor (Markenwert<br />

32 Milliarden US-Dollar). Die<br />

Euphorie im Silicon Valley ist ungebremst.<br />

Snapchat steht kurz vor dem<br />

Börsengang mit einem geschätzten<br />

Marktwert von 25 Milliarden US-Dollar.<br />

Noch im Jahr 2013 wurde der Wert des<br />

Unternehmens auf 3 Milliarden US-Dollar<br />

geschätzt. Das sind schwindelerregende<br />

Zahlen. Die 250 Millionen US-Dollar,<br />

die Jeff Bezos 2013 für die Traditionszeitung<br />

«Washington Post» bezahlt<br />

hat, muten da geradezu mickrig an. Diese<br />

Zahlen drücken deutlich aus, wo die<br />

Zukunft im Mediengeschäft angesiedelt<br />

ist: Social Media heisst das Zauberwort.<br />

Der Wert von Nutzerdaten<br />

Social Media ist kein fauler Zauber.<br />

Die Macht von Google, Facebook & Co.<br />

ist ganz real zu spüren. Die Geschäftsmodelle<br />

von Social-Media-Netzwerken<br />

setzen klassische Medienhäuser weltweit<br />

unter Druck. Google, Facebook &<br />

Co. leben genauso von Werbung wie<br />

die traditionellen Mediengattungen Zeitung,<br />

TV und Radio. Nur profitieren Social-Media-Netzwerke<br />

bereits heute im<br />

grossen Stil von den digitalen Nutzerdaten<br />

ihrer Kunden. Das ist attraktiv,<br />

denn Werbetreibende können auf diese<br />

Weise ganz bestimmte Zielgruppen ansprechen.<br />

«Targeted Advertising»<br />

nennt man das. So ist es für Facebook<br />

mit seinen 1,7 Milliarden Nutzern möglich,<br />

in jeden Werbemarkt der Welt vorzudringen.<br />

Die Werbung wandert ab<br />

von den klassischen Medien in Social-<br />

Media-Netzwerke.<br />

Social Media ist kein fauler Zauber. Mit ihren Geschäftsmodellen setzen sie die klassischen Medienhäuser stark unter Druck.<br />

THINKSTOCK


NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 63<br />

Facebook gewinnt zunehmend Bedeutung<br />

im publizistischen Bereich.<br />

So ist Facebook heute auch ein Fernsehkanal.<br />

Ein spezieller, denn der<br />

Smartphone-Nutzer ist auf diesem Kanal<br />

Produzent und Zuschauer zugleich.<br />

Zudem begünstigen die von<br />

Facebook eingesetzten Algorithmen<br />

seit Kurzem die Verbreitung von Videos.<br />

Facebook ist im aktuellen US-<br />

Wahlkampf ein wichtiger Anbieter<br />

menkomplex gehört auch die Frage, ob<br />

die SRG sich an Admeira beteiligen<br />

darf. Die Bundesverfassung enthält in<br />

Art. 93 das Gebot der Rücksichtnahme<br />

der SRG auf andere Medien. Eine Rücksichtnahme<br />

war in den letzten Jahren<br />

beim gebührenfinanzierten Senderausbau<br />

der SRG nicht zu erkennen. Das<br />

Uvek hat Admeira zunächst zugelassen.<br />

Nun hat das Bundesverwaltungsgericht<br />

das Departement gestoppt. Admeira<br />

muss nochmals beurteilt werden.<br />

«Eine zu mächtige SRG<br />

schwächt die privaten<br />

Medienhäuser. Deren<br />

Investitionen in den<br />

Schweizer Medienmarkt<br />

sind dringend nötig.»<br />

von News. Viele US-Wähler beziehen<br />

ihre Informationen über Social-Media-Netzwerke.<br />

Die erste Fernsehdebatte<br />

zwischen den beiden Präsidentschaftskandidaten<br />

haben 55 Millionen<br />

Zuschauer via Facebook verfolgt. Und<br />

Facebook animiert die US-Bürger sogar,<br />

sich für die Wahlen registrieren<br />

zu lassen – mit signifikantem Erfolg<br />

und Vorteil für Hillary Clinton. Ihre<br />

Wähler sind nämlich Facebook-Nutzer.<br />

Auch in der Schweiz gelangen immer<br />

mehr Menschen via Social Media<br />

zu News. Neben dem wirtschaftlichen<br />

nimmt also auch der publizistische<br />

Einfluss von Facebook zu.<br />

Die mächtige Stellung der SRG<br />

Diese Entwicklung wirft politische<br />

Fragen auf. Der Markt der elektronischen<br />

Medien (Radio und TV) ist in der<br />

Schweiz stark reguliert und die Debatte<br />

über die Gesetzgebung im Radiound<br />

Fernsehbereich derzeit in vollem<br />

Gang. Der Bundesrat sieht erstaunlicherweise<br />

wenig Handlungsbedarf. In<br />

seinem Bericht zum audio-visuellen<br />

Der Facebook-Auftritt der Aargauer Zeitung.<br />

Service public hält er an einer mächtigen<br />

SRG fest. So soll die SRG auch in<br />

Zukunft gleich viel Geld erhalten wie<br />

bisher – 1,2 Milliarden Franken jährlich.<br />

Dazu kommen Werbeeinnahmen<br />

von 400 Millionen Franken. Mit ihrem<br />

in den letzten Jahren stets gewachsenen<br />

Budget hat die SRG immer wieder<br />

auf Trends reagiert und ihr Programm<br />

auf 24 Radio- und TV-Sender und diverse<br />

Online-Angebote ausgebaut. Der<br />

Marktanteil der SRG TV-Sender beträgt<br />

je nach Region zwischen 28,7 und 33,6<br />

Prozent. Im Radio-Bereich liegt er sogar<br />

zwischen 64,6 und 80,4 Prozent.<br />

Schranken scheint es für die SRG<br />

keine zu geben. Als Antwort auf den<br />

digitalen Wandel soll sie sich nach Auffassung<br />

des Eidgenössischen Departements<br />

für Umwelt, Verkehr, Energie<br />

und Kommunikation (Uvek) sogar<br />

noch mit Swisscom und Ringier an der<br />

Vermarktungsgesellschaft Admeira beteiligen<br />

können. In dieser Formation<br />

wollen die Staatskonzerne SRG und<br />

Swisscom Werbetreibenden Targeted<br />

Advertising anbieten und den Social-<br />

Media-Netzwerken aus den USA die<br />

Stirn bieten.<br />

Das ist an sich keine schlechte Idee.<br />

Unklar ist nur, was mit den privaten<br />

Medienhäusern geschieht, die nicht auf<br />

eine vom Staat finanzierte Nutzerbasis<br />

zurückgreifen können. Rein betriebswirtschaftlich<br />

ist das Verhalten der SRG<br />

vielleicht nachvollziehbar. Doch ist eine<br />

solche Privilegierung der SRG auch ordnungspolitisch<br />

erwünscht?<br />

Schranken sind nötig<br />

Soll die SRG nicht primär dort tätig<br />

sein, wo Angebote privater Medien<br />

nicht genügen? Die Verleger stehen hinter<br />

dem Grundversorgungsauftrag der<br />

SRG. Sie verlangen aber von der Politik<br />

zu Recht eine Klärung, was zum öffentlich<br />

finanzierten Service public gehört<br />

und wie sich die SRG am Markt verhalten<br />

darf. Schranken sind nötig. Eine zu<br />

mächtige SRG schwächt die privaten<br />

Medienhäuser. Deren Investitionen in<br />

den Schweizer Medienmarkt sind dringend<br />

nötig, wenn die Medienvielfalt<br />

nicht abnehmen soll. In diesen The-<br />

«2+2»-Regel nicht mehr haltbar<br />

Vom Gesetzgeber ebenfalls zu hinterfragen<br />

ist die im Radio- und Fernsehgesetz<br />

enthaltene «2+2 Regel». Nach dieser<br />

Regel ist es untersagt, mehr als zwei<br />

regionale TV- oder Radiosender zu kontrollieren.<br />

Angesichts der sinkenden<br />

Werbeeinnahmen in den klassischen<br />

Mediengattungen, dem Aufkommen<br />

von Social-Media-Netzwerken und der<br />

Sender- und Programmvielfalt der<br />

marktmächtigen SRG ist diese von der<br />

digitalen Revolution längst überholte<br />

Norm nicht mehr haltbar. Die Privaten<br />

brauchen in diesem Punkt gleich lange<br />

Spiesse wie die SRG. Auch sie sollen<br />

mehr als zwei konzessionierte Radiooder<br />

TV-Sender betreiben dürfen. Die<br />

«2+2 Regel» muss gestrichen werden.<br />

Gesetzgeber muss Weichen stellen<br />

Die Zeichen der Zeit sind unverkennbar:<br />

Die Medienwelt ist im Wandel. Dieser<br />

Wandel stellt private Medienunternehmen<br />

global vor grosse Herausforderungen.<br />

Das gilt speziell für die Schweiz<br />

mit ihren kleinen sprachregionalen Medienmärkten.<br />

Es bieten sich aber auch<br />

Chancen. Die AZ Medien sehen ihre<br />

Chancen weiterhin im publizistischen<br />

Bereich. Gegen den Trend investiert<br />

das Unternehmen weiterhin in Inhalte.<br />

Aber nicht nur die Verleger, auch der<br />

Gesetzgeber ist jetzt gefordert. Er muss<br />

die Weichen stellen, damit hierzulande<br />

die Medienvielfalt weiterhin gewährleistet<br />

ist.


FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />

Beilage zu 20 Jahre Aargauer Zeitung<br />

Wie weiter? Die fünfte Generation der Zehnder-<br />

Wanner-Dynastie will AZ Medien auch in die Zukunft<br />

führen. Die gedruckte Aargauer Zeitung wird es noch<br />

eine Weile geben. Aber die Digitalisierung der Medienwelt<br />

ist für die Medienhäuser eine Herausforderung.<br />

■ Michael und Florian<br />

Wanner werden von<br />

ihrer Schwester Anna<br />

«gegrillt». Das Interview.<br />

■ Gratulationen zum<br />

20-Jahr-Jubiläum der<br />

Aargauer Zeitung. Glückund<br />

andere Wünsche.<br />

■ Der Schriftsteller<br />

Hermann Burger über<br />

den Lokaljournalismus<br />

im Aargauer Tagblatt.<br />

■ «Als ich die Seite(n)<br />

wechselte»: Nur Autor<br />

Max Dohner war in<br />

beiden Redaktionen.<br />

SEITE 67 UND 68<br />

SEITE 70, 71, 72 UND 73<br />

SEITE 74<br />

SEITE 77


NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 67<br />

«Wir sind mit Medienerzeugnissen aufgewachsen»: Michael, Anna und Florian Wanner – die fünfte Generation.<br />

«Verwalten wäre schlecht – wir wollen<br />

unternehmerischen Weg weiterführen»<br />

Sie sind die fünfte Generation: Michael, Anna und Florian Wanner, die Kinder von Maja und Verleger Peter Wanner.<br />

Sie wollen im Familienunternehmen die Tradition weiter führen. Was gerade nicht heisst, alles so zu lassen, wie es ist.<br />

VON ANNA WANNER (INTERVIEW)<br />

UND ALEX SPICHALE (FOTOS)<br />

J<br />

osef Zehnder, der streitbare<br />

Politiker, Drucker, Journalist<br />

und Verleger, stand am Anfang<br />

der Medientradition der Familie<br />

Wanner. Er verkaufte sein<br />

Unternehmen an seinen Enkel<br />

Otto Wanner I. Auf ihn folgten Eugen<br />

und Otto Wanner II. Er ist der Grossvater<br />

von Michael, Anna und Florian<br />

Wanner, die sich anschicken, in die<br />

Fussstapfen von Vater Peter Wanner zu<br />

treten. Ihre Schwester Caroline ist Ärztin.<br />

Die anderen drei wollen aber ins<br />

Mediengeschäft einsteigen. Michael<br />

und Florian im Management, Anna in<br />

der Publizistik. So mussten sich die<br />

Brüder von der Schwester, mittlerweile<br />

Co-Leiterin der Bundeshausredaktion<br />

der Aargauer Zeitung, «grillen» lassen.<br />

Vor einem Jahr habt ihr beide<br />

operative Führungspositionen im<br />

Unternehmen übernommen. Wann<br />

kommt es zum «Hosenlupf» – wann<br />

übernimmt die junge Generation?<br />

Michael: Wichtiger als wann, ist, dass<br />

es einen gibt: Wenn wir die Verantwortung<br />

übernehmen, müssen wir auch<br />

handeln können.<br />

Florian: Wir müssen unterscheiden<br />

zwischen strategischen sowie medienpolitischen<br />

Aufgaben des Verlegers und<br />

den operativen Aufgaben. Die Abgrenzung<br />

muss klar sein, sonst wird es<br />

schwierig.<br />

Michael: Der «Hosenlupf» ist insofern<br />

längst im Gange: Peter hat die operative<br />

Führung ja bereits 2009 abgegeben.<br />

Funkt Peter immer noch drein?<br />

Michael: Das wird er auch weiterhin<br />

tun – und das ist gut so. Er kennt das<br />

Unternehmen am besten und hat viel<br />

Erfahrung. Wir wären blöd, wenn wir<br />

dieses Wissen nicht nutzen würden.<br />

Florian: Als Verleger hat er die Aufgabe,<br />

Inputs zu geben. Das ist wichtig. Bei<br />

alltäglichen Aufgaben sollte er sich hingegen<br />

raushalten.<br />

Das klingt nicht nach Hosenlupf . . .<br />

Michael: Ein Generationenwechsel<br />

passiert ja nicht von heute auf morgen.<br />

Jetzt haben Florian und ich erst einmal<br />

Verantwortung für einzelne Geschäfte<br />

übernommen und dort Herausforderungen<br />

zu bewältigen. Zudem besteht<br />

keine Eile. Wir haben ein gut funktionierendes<br />

Management-Team bei AZ<br />

Medien.<br />

Werdet ihr das Unternehmen<br />

gemeinsam führen?<br />

Michael: Das entscheiden ja am Ende<br />

nicht wir. Aber wir wollen beide Verantwortung<br />

übernehmen und können<br />

uns grundsätzlich vorstellen, die Zukunft<br />

von AZ Medien gemeinsam zu gestalten.<br />

«1996 war Print noch ein<br />

Wachstumsmarkt. Die<br />

Fusion war ein mutiger<br />

Schritt nach vorne.<br />

Das hat uns erlaubt,<br />

weiter zu wachsen.»<br />

Florian: Das ist ein grosser Vorteil: Wir<br />

können die Aufgaben auf zwei Schultern<br />

verteilen und uns gegenseitig unterstützen.<br />

Oder es bricht ein Konkurrenzkampf<br />

aus und ihr streitet<br />

miteinander.<br />

Michael: Natürlich braucht es auch da<br />

eine klare Rollenverteilung. Aber ich<br />

sehe die Konstellation als Chance. Wir<br />

haben unterschiedliche Kompetenzen<br />

und Persönlichkeiten – und ergänzen<br />

uns sehr gut.<br />

Wie?<br />

Florian: Michael hat starke analytische<br />

Fähigkeiten und bewahrt stets die Ruhe<br />

. . .<br />

. . . im Gegensatz zu dir, Florian?<br />

Florian: Ja. Ich zeige gerne mal Emotionen.<br />

Michael: Florian hat eine grosse Leidenschaft<br />

und eine Begeisterungsfähigkeit,<br />

die ich sehr schätze. Wir ergänzen<br />

uns auch inhaltlich. Ich habe journalistisch<br />

mehr Erfahrung, Florian im Verkauf.<br />

Der grösste Wert aber ist Vertrauen<br />

– jemanden zu haben, auf den<br />

man sich verlassen kann.<br />

Florian: Schwierig sind Entscheide<br />

dann, wenn kein vollständiges Vertrauen<br />

vorhanden ist. Wenn Zweifel bestehen,<br />

ob das Gegenüber auch im besten<br />

Interesse des Unternehmens handelt<br />

oder ob es einfach an seiner eigenen<br />

Karriere bastelt. Diese Situation<br />

gibt es bei uns nicht.<br />

Die Fusion zwischen AT und BT<br />

galt als nahezu epochales Ereignis.<br />

Das kann man sich heute kaum<br />

mehr vorstellen.<br />

Michael: 1996 war Print noch ein<br />

Wachstumsmarkt. Die Fusion war ein<br />

mutiger Schritt nach vorne. Damit haben<br />

wir eine kritische Grösse erreicht,<br />

die es uns erlaubt hat, weiter zu investieren<br />

und zu wachsen. Heute ist Print<br />

am Schrumpfen und die Konsolidierung<br />

geschieht aus der Defensive.<br />

Sind überhaupt vergleichbare<br />

Schritte heute noch denkbar?<br />

Florian: Im Printmarkt sind weitere<br />

Konsolidierungen der natürliche Fortgang.<br />

Im Digitalbereich oder im Bereich<br />

der neuen Medien ist noch viel<br />

Neues möglich – etwa ein neuartiges<br />

Produkt.<br />

Ein neues Produkt wie das von<br />

Journalisten lancierte Projekt R?<br />

Michael: Zum Beispiel. Ich freue mich<br />

über die Investition in ein journalistisches<br />

Produkt. Zum Geschäftsmodell<br />

hat man bisher noch nicht viel erfahren.<br />

Darauf bin ich gespannt.<br />

Peter hat mit dem Aufbau von<br />

Radio, Fernsehen und digitalen<br />

Medien vorausschauend investiert<br />

und wichtige Grundsteine gelegt.<br />

FORTSETZUNG AUF SEITE 68


68 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />

NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />

FORTSETZUNG VON SEITE 67<br />

Bleibt euch mehr als die<br />

Verwaltung seines Erbes?<br />

Michael: Verwalten wäre ganz<br />

schlecht. Was bisher zum Erfolg geführt<br />

hat – und was die DNA des Unternehmens<br />

ausmacht: Peter hat das Erreichte<br />

nie einfach verwaltet und sich<br />

hohe Dividenden ausbezahlt, sondern<br />

Gewinne reinvestiert und neue Risiken<br />

genommen, um weiter zu wachsen.<br />

Das ist der unternehmerische Weg, den<br />

wir weiterführen müssen. Er ist fürs<br />

Überleben notwendig.<br />

Florian: Mit der Bewältigung der<br />

Digitalisierung sind wir noch nicht so<br />

weit, wie andere Schweizer Medienhäuser.<br />

Wenn wir nur verwalten, werden<br />

wir schnell abgehängt.<br />

Was muss besser werden?<br />

Florian: Die regional starken Marken,<br />

die wir haben, müssen wir weiter<br />

pushen. In Zeiten der Globalisierung<br />

wird die Verbundenheit zur Scholle erhalten<br />

bleiben. Und zwar egal, ob TV,<br />

Radio oder Print – oder ein Online-Portal.<br />

Im Regionalen liegen unsere Chancen<br />

und unsere Stärken, diese müssen<br />

wir aber besser nützen.<br />

Wo hinken wir in der Digitalisierung<br />

den anderen Medienhäusern<br />

hinterher?<br />

Michael: Wir müssen unterscheiden<br />

zwischen zwei Aufgaben. Zum einen:<br />

Wie können wir das alte Geschäft aus<br />

dem Print in die digitale Welt transformieren?<br />

Da sind wir zwar noch lange<br />

nicht am Ziel, aber im Branchenvergleich<br />

ordentlich unterwegs. Bei der<br />

zweiten Aufgabe, rein digitale Geschäftsmodelle<br />

zu entwickeln, sind wir<br />

noch nicht so weit.<br />

Kannst du das erklären?<br />

Michael: Den Einstieg ins digitale Geschäft<br />

haben alle Verlagshäuser verschlafen.<br />

Im Gegensatz zu den grösseren<br />

Wettbewerbern hatten wir einfach<br />

nicht die Kriegskasse, um für mehrere<br />

hundert Millionen Franken ein profitables<br />

Digitalgeschäft hinzuzukaufen –<br />

wie Tamedia etwa bei jobs.ch oder Ricardo.<br />

Der Werbemarkt bricht jedes Jahr<br />

stärker ein. Wie lässt sich der Journalismus<br />

in Zukunft finanzieren?<br />

Michael: Das ist das grosse, ungelöste<br />

Rätsel. Ich bin aber überzeugt, dass es<br />

auch in Zukunft eine Nachfrage für gut<br />

gemachten Journalismus geben wird,<br />

speziell im Regionalen. Wie das<br />

Geschäftsmodell dann einmal aussehen<br />

wird, ist noch nicht klar. Es wird sich –<br />

wie die Zeitung früher auch – auf<br />

mehrere Einnahmequellen abstützen<br />

müssen.<br />

Florian: Nur mit Bannerwerbung für<br />

Reichweite und Klickzahlen kann man<br />

die Vielfältigkeit, die der Journalismus<br />

braucht, nicht finanzieren. Positiv ist<br />

immerhin die Entwicklung, dass sich<br />

die Konsumenten langsam wieder daran<br />

gewöhnen, für Inhalte im Internet<br />

Geld zu bezahlen. Das war am Anfang<br />

anders . . .<br />

«Was muss besser werden?» – Fragen von Journalistin Anna an Radio-24-Geschäftsführer Florian und Michael Wanner, Geschäftsführer von Watson.<br />

. . . wer bezahlt für Inhalte?<br />

Florian: Spotify, Netflix, für beide zahle<br />

ich ein Abo. Das sind Inhalte. Dann<br />

hat die «Bild»-Zeitung in Deutschland<br />

eine geschlossene Paywall eingeführt.<br />

Das sind neue Wege. Ob sie für alle<br />

funktionieren, lässt sich nicht abschätzen.<br />

Es ist ein Wandel in der Einstellung,<br />

alles gratis beziehen zu können.<br />

Kennt ihr noch jemanden in<br />

unserem Alter, der eine Zeitung<br />

abonniert hat?<br />

Florian: Nein. Klassische Printtitel<br />

nicht, eher Special-Interest-Magazine.<br />

Michael: Ich kenne Einzelne.<br />

Nervt euch das?<br />

Michael: Es ist müssig, sich darüber zu<br />

ärgern. Es ist eine Entwicklung, mit der<br />

wir umgehen müssen.<br />

Lest ihr selbst Zeitung?<br />

Michael: Ja, sehr gerne sogar. Ich mag<br />

die Haptik und dass es ein abgeschlossenes<br />

Produkt ist. Ich komme aber<br />

hauptsächlich am Wochenende zum<br />

ausführlichen Lesen.<br />

Florian: Ich blättere eher in Zeitungen.<br />

Und ich stosse dabei regelmässig auf Informationen,<br />

die ich bei Newsportalen<br />

verpasse, weil dort nur sichtbar ist, was<br />

am besten klickt. Eine Zeitung gibt ein<br />

viel umfassenderes Bild.<br />

Eure Ausbildung sowie die Berufserfahrung<br />

hat euch Tür und Tor für<br />

lukrative Jobs geöffnet. Banker,<br />

Berater, Anwalt. Wieso Medien?<br />

Michael: Weil es eine Riesenchance<br />

ist, ins eigene Unternehmen einzusteigen,<br />

Verantwortung zu übernehmen<br />

und gestalten zu können. Zudem<br />

habe ich eine grosse Leidenschaft für<br />

journalistische Produkte. Wir sind damit<br />

aufgewachsen. Heute scheint es<br />

wichtiger denn je, guten Journalismus<br />

zu erhalten. Da haben wir als Verlag<br />

auch eine gesellschaftspolitische Verantwortung.<br />

«Beim Zeitungsblättern<br />

stosse ich regelmässig<br />

auf Informationen, die ich<br />

bei Newsportalen verpasse,<br />

weil dort nur sichtbar<br />

ist, was am besten klickt.»<br />

Lockte das grosse Geld denn nie?<br />

Florian: Es ist kein Geheimnis, dass<br />

sich in anderen Branchen mehr Geld<br />

verdienen liesse. Doch die Chance zu<br />

erhalten, so früh Verantwortung zu<br />

übernehmen, ist einmalig. Und dieses<br />

Vertrauen zu spüren, spornt an. Faszinierend<br />

an der Branche ist die Rolle,<br />

welche die Medien in einer Demokratie<br />

einnehmen: Aufklärung und<br />

Einordnung.<br />

Michael: Aber natürlich haben wir<br />

auch das Ziel, Geld zu verdienen. Wir<br />

befinden uns in einer Transformations-Phase,<br />

die mit sehr viel Unsicherheit<br />

verbunden ist. Wenn wir alleine<br />

aufs Geld schauen würden, könnten<br />

wir den Laden verkaufen und in Immobilien<br />

investieren.<br />

Die Branche hat eine Zukunft?<br />

Florian: Sicher!<br />

Aller Pessimismus über rücklaufende<br />

Werbezahlen sind Schwarzmalerei?<br />

Michael: Nein. Der Strukturwandel ist<br />

in vollem Gange. Ich gehe davon aus,<br />

dass Print nicht ganz verschwinden<br />

wird. Aber es wird neue Modelle brauchen<br />

und neue Einnahmequellen, um<br />

Journalismus zu finanzieren. Und es<br />

gibt ja auch gute Nachrichten – etwa<br />

dass Medien mehr Menschen erreichen<br />

können als je zuvor.<br />

Florian: Unser Vorteil ist, dass wir<br />

sehr gut aufgestellt sind: Im Print sind<br />

wir stark, im Fernsehen wachsen wir<br />

und Radio hält sich konsequent. Radio<br />

ist das Medium, das am wenigsten<br />

unter der Digitalisierung leidet. Wir<br />

reden zwar in Bezug auf den Medienmarkt<br />

von einem kleinen Teil, aber er<br />

ist wichtig fürs Unternehmen.<br />

Läuft es bei Radio 24 gut?<br />

Florian: Auch das Radiomachen hat<br />

bessere Zeiten gesehen. Aber wir verdienen<br />

damit Geld.<br />

Watson befindet sich noch immer<br />

in der Aufbauphase. Wie lange<br />

dauert es noch, bis das Projekt<br />

fliegt – oder bis der Geldhahn<br />

zugedreht wird?<br />

Michael: Wir ziehen es durch. Wir<br />

brauchen etwas länger als ursprünglich<br />

geplant. Aber das Produkt ist gut und<br />

wir sind schon weit gekommen. Jetzt<br />

haben wir ein paar Weichen gestellt,<br />

von denen wir uns schnelleres Wachstum<br />

erhoffen.<br />

Welche?<br />

Michael: Wir investieren ins Marketing,<br />

entwickeln neue Produkte und<br />

bauen Video aus – Letzteres ist vor allem<br />

kommerziell interessant.<br />

Welche Medien habt ihr heute<br />

bereits konsumiert?<br />

Florian: Radio, Watson und diverse soziale<br />

Medien.<br />

Facebook?<br />

Florian: Instagram, Facebook und<br />

Snapchat.<br />

Michael: Ich starte am morgen jeweils<br />

mit Watson, lese die AZ auf dem Tablet<br />

und an guten Tagen die gedruckte NZZ.<br />

Zwischendurch nutze ich Facebook.<br />

Ausführlich lese ich am Wochenende.<br />

Und abends? Schaut ihr noch fern?<br />

Florian: Selten.<br />

Michael: Fussball und zeitverschoben<br />

die «Tagesschau».<br />

Garage FAES AG, 5727 Oberkulm – www.garagefaes.ch – 062 768 20 20<br />

062 835 60 66, garage-rebmann-aarau.ch


70 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />

NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />

Happy Birthday:<br />

Gratulationen zum<br />

20. Geburtstag<br />

Der Schriftsteller, die Musikerin, der Komiker,<br />

die Ständerätin und der Aargauer des Jahres:<br />

Persönlichkeiten aus dem Aargau sagen, was<br />

sie an der AZ schätzen und was sie sich von<br />

ihrer Zeitung für die Zukunft wünschen.<br />

HO<br />

«Ich nütze heute zwar auch online die<br />

Nachrichten, habe aber nach wie vor<br />

die Aargauer Zeitung und den Wohler<br />

Anzeiger abonniert, denn Zeitunglesen<br />

auf Papier finde ich immer noch<br />

gemütlicher. Dass die nächsten Generationen<br />

diese Beziehung zur Zeitung<br />

nicht mehr haben werden, das liegt in<br />

der Natur des ständigen Wandels. Ich<br />

werde aber noch längere Zeit beide<br />

Kanäle nutzen, das ist mein Geburtstagsgeschenk<br />

an die AZ.»<br />

Peach Weber Komiker<br />

«Die AZ ist für mich als Aargauer<br />

Staatsschreiberin natürlich Pflichtlektüre.<br />

Meist bereitet sie auch Lesevergnügen.<br />

Die AZ ist die erste Zeitung,<br />

die ich frühmorgens auf das iPad lade<br />

– und das will etwas heissen. Im Zeitungskopf<br />

auf der Titelseite steht Aargauer<br />

Zeitung. Für mich ist die Lektüre<br />

der AZ umso interessanter, desto<br />

mehr über den Aargau und vor allem<br />

die aargauische Kantonalpolitik darin<br />

zu lesen ist. Ich finde auch, dass der<br />

Kanton Aargau als Namenspate der<br />

AZ eigentlich einen eigenen, kantonalen<br />

Bundauftakt verdient hätte.»<br />

«Die AZ ist für mich Pflichtlektüre.<br />

Wer sich für Politik und<br />

Wirtschaft im Aargau interessiert,<br />

kommt an der AZ nicht<br />

vorbei. Sie informiert verständlich,<br />

was bei uns und in<br />

der Welt läuft. Der Aargau und<br />

das Mittelland brauchen eine<br />

eigenständige Stimme.»<br />

Daniel Knecht<br />

Präsident<br />

Aargauische<br />

Industrie- und<br />

Handelskammer<br />

Vincenza Trivigno Aargauer Staatsschreiberin<br />

CHRIS ISELI<br />

ALEX SPICHALE


NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 71<br />

SANDRA ARDIZZONE<br />

«Exakt vor 20 Jahren, als<br />

die AZ aus der Taufe gehoben<br />

wurde, bin ich in den<br />

Aargau gezogen. Die AZ<br />

verbindet als einziges Printmedium<br />

im Kanton alle<br />

Regionen. Weil auch wir in<br />

allen Aargauer Regionen<br />

verankert sind, lese ich<br />

mein «Heimblatt» täglich<br />

via Tablet und regelmässig<br />

auch die Printversion. Die<br />

AZ gefällt mir gut, weil sie<br />

sich stetig wandelt. Ich bin<br />

überzeugt, dass sie auch in<br />

Zukunft dank gutem Journalismus<br />

in gedruckter und<br />

digitaler Form erfolgreich<br />

sein wird.»<br />

Roland Herrmann<br />

CEO Neue Aargauer Bank<br />

ALEX SPICHALE<br />

«Die Aargauer Zeitung<br />

überzeugt tagtäglich mit<br />

fundierten Informationen<br />

aus den Regionen. Ich gratuliere<br />

den Machern für die<br />

aus meiner Sicht gelungene<br />

Einbindung der Zeitung in<br />

die weiteren Medien der<br />

AZ-Gruppe. Ich wünsche<br />

der Zeitung weiterhin viel<br />

Mut und Erfolg bei der Verbindung<br />

der physischen<br />

und digitalen Welt!»<br />

Pascal Koradi Direktionspräsident<br />

Aargauische Kantonalbank<br />

SANDRA ARDIZZONE<br />

«Ich erinnere mich sehr<br />

gut an die ‹Geburt› der<br />

Aargauer Zeitung, die<br />

zeitlich exakt mit meinem<br />

Einstieg in die<br />

Politik zusammenfällt.<br />

Ob während meiner<br />

Zeit im Badener Einwohnerrat,<br />

im Grossen<br />

Rat, im National- oder<br />

aktuell im Ständerat:<br />

Die AZ war und blieb<br />

Bestandteil der wichtigsten<br />

Tageslektüre.<br />

Nicht zuletzt deshalb,<br />

weil darin nebst News<br />

aus der grossen weiten<br />

Welt und nationalen<br />

Schlagzeilen auch die<br />

Geschehnisse vor der<br />

eigenen Haustür ihren<br />

Platz finden: die Aktualitäten<br />

in den<br />

Regionen und<br />

Quartieren.»<br />

Pascale Bruderer Ständerätin


72 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />

NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />

NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 73<br />

«Was wünscht man einer<br />

20-Jährigen? Ernsthafte<br />

Konkurrenz. Damit man<br />

jeden Morgen beim Kaffee<br />

nicht aus schierer Not in ihr<br />

blättert, sondern weil sie<br />

die Beste ist. Ausgereift<br />

im Wettbewerb.»<br />

Susanne Hochuli abtretende<br />

Regierungsrätin<br />

Vor dem Winter<br />

«Gern winke ich der AZ schnell und herbstlich<br />

hinterher und hoffe, dass sie sich nie<br />

wieder in so kalte Zeiten ‹zurückbuchstabiert›,<br />

wie es die Siebziger- und Achtzigerjahre<br />

gewesen sind. (Auch wenn ihr Kulturteil<br />

damals noch ergiebiger war!) –<br />

In diesem Sinn und mit dem heftigen<br />

Wunsch, unsere Zeitung vermöge in Zukunft<br />

noch klarer und mutiger zu unterscheiden<br />

zwischen politischer Arbeit und lärmiger<br />

Betriebsamkeit: Alles Gute!»<br />

Klaus Merz Schriftsteller<br />

OLIVER MENGE<br />

«Die AZ ist für den Aargauer<br />

wie der Walliser Bote für<br />

den Walliser. Von Leuten<br />

gemacht, die über den<br />

Tellerrand schauen und<br />

nicht nur links von rechts<br />

unterscheiden können.<br />

Ich gratuliere.»<br />

Sina Sängerin<br />

«Die AZ ist für mich und für alle<br />

aargauischen Unternehmen<br />

eine enorm wichtige Informations-<br />

und Geschäftsplattform.<br />

Ich wünsche mir, dass<br />

die AZ weiterhin DIE Tageszeitung<br />

für die KMU in allen Regionen<br />

bleibt. Vielen Dank für<br />

die wertvollen Publikationen<br />

und herzliche Gratulation!»<br />

SANDRA ARDIZZONE<br />

Rocco Umbescheidt<br />

Aargauer des Jahres 2015<br />

«Ich lese die<br />

Aargauer Zeitung<br />

täglich bei der<br />

Arbeit an der Höheren<br />

Fachschule<br />

Gesundheit und<br />

Soziales in Aarau<br />

und verfolge so<br />

das Zeitgeschehen.<br />

Zuweilen nutze ich auch die App<br />

und lese Artikel online. Inhaltlich fokussiere<br />

ich neben dem internationalen Teil<br />

auf die Lokalnachrichten und den Sportteil.<br />

Ich wünsche der Aargauer Zeitung,<br />

dass sie auch in Zukunft unabhängigen,<br />

kritischen und fundierten Journalismus<br />

im Sinne der Bevölkerung umsetzen<br />

kann. Bei globaler Betrachtung der Medienlandschaft<br />

ist Meinungsfreiheit ein<br />

Gut, das nicht selbstverständlich ist, und<br />

ein unerlässlicher Beitrag für eine demokratische<br />

und gebildete Gesellschaft.»<br />

ALEX SPICHALE<br />

«Die Aargauer Zeitung hat bei mir zu Hause<br />

seit 20 Jahren einen festen Platz auf<br />

dem Zmorgetisch. Die neusten Nachrichten<br />

lese ich auch täglich unterwegs vom<br />

Natel aus. Die AZ informiert vertieft und<br />

unabhängig, und sie deckt die Aargauer<br />

Regionen wie auch unseren Kanton als<br />

Ganzes ab. Für die Meinungsbildung der<br />

Aargauerinnen und Aargauer – mich eingeschlossen<br />

– hat die AZ damit einen unschätzbaren<br />

Wert. Ich wünsche dem Unternehmen<br />

und seinen Mitarbeitenden<br />

weiterhin viel Erfolg und dass sie<br />

in der bisherigen journalistischen<br />

Qualität auch in Zukunft<br />

die wichtige Funktion als gesamtaargauische<br />

Informationsquelle<br />

wahrnehmen und<br />

sich gesamtschweizerisch<br />

Gehör verschaffen.»<br />

Roland Brogli abtretender Regierungsrat<br />

ALEX SPICHALE<br />

SANDRA ARDIZZONE<br />

HO<br />

Kurt Schmid Präsident Aargauischer<br />

Gewerbeverband


74 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />

NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />

Barzels Universalroman<br />

Der Schriftsteller Hermann Burger war Kulturredaktor beim Aargauer Tagblatt und eine wichtige Stimme der modernen<br />

Schweizer Literatur. Nachhall seiner Zeit auf der AT-Redaktion findet sich im Nachlassroman «Lokalbericht». Ein Auszug.<br />

VON HERMANN BURGER<br />

A<br />

b und zu stelle ich mir eine unerlaubte<br />

Gewissensfrage, zum Beispiel:<br />

Wen beneidest du am meisten<br />

in der Stadt? Keine Frage,<br />

weil die Antwort täglich in der<br />

Tageszeitung erscheint. Lokalredaktor<br />

zu sein, ist ein wundervoller Beruf.<br />

Ich möchte ein ganzes Leben lang Ferien<br />

haben, um ein ganzes Leben lang auf die<br />

Lokalseite einer städtischen Tageszeitung angewiesen<br />

zu sein. Aus südlicher Distanz liest<br />

sich das Lokale einer unbedeutenden Stadt<br />

wie der spannendste Kriminalroman mit<br />

365 Fortsetzungen im Jahr. Die Fortsetzung<br />

folgt bis in alle Ewigkeit. Der Lokalredaktor<br />

Barzel ist in meinen Augen der glücklichste,<br />

weil unbewussteste Schriftsteller der Welt. Er<br />

trägt ein riesiges Mosaik aus kleinsten, buntesten<br />

Steinchen zusammen, ohne an die Illusion<br />

eines Gesamtplanes zu glauben. Und dabei fallen<br />

ihm die grössten Perlen in den Schoss, sofern<br />

ein Mann für einmal einen Schoss haben<br />

darf. Mal schreibt er über die Jahresversammlung<br />

der Philatelisten, mal über die Fahnenübergabe<br />

bei der Blechmusik, mal über den<br />

Kaninchenzüchterverein. Kulturelles verträgt<br />

sich neben Banalem. Er sammelt Splitter und<br />

Anekdoten, schiebt eine Betrachtung über unsere<br />

Eidechsen ein, wärmt alte Bräuche auf,<br />

und immer findet sich im Archiv ein malerisches<br />

Altstadtbild. Wie es früher einmal war.<br />

Altvertraut und immer wieder schön. Als man<br />

in der Rathausgasse noch am Brunnen<br />

waschen konnte. Eine wischende Frau verführt<br />

zum Aphorismus: Morgentoilette in der<br />

Pelzgasse. Seinen alten Reiz behalten hat der<br />

Blick von der Zinne auf die Giebel der Haldenhäuser.<br />

Dann wieder nackte Gegenwart: Unzucht<br />

im Pissoir des Oberturmes, dreistündige<br />

Sitzung des Einwohnerrates, Sommerzeit – Jugendfestzeit.<br />

Oder Zukunftsvision: Welchen<br />

Altstadtblock werden die Parkplätze morgen<br />

verschlingen? Wie werden die Kadetten in<br />

zehn Jahren daherkommen? Wo führt die Gewässerverschmutzung<br />

hin? Wer wird nach Annahme<br />

der Schwarzenbach-Initiative die Tiere<br />

im Wildpark Roggenhausen füttern? Also ein<br />

Durcheinander, Gewurstel, Mischmasch, Potpourri,<br />

Tohuwabohu, Sammelsurium, eine<br />

Menkenke? Nach Professor Kleinert und Felix<br />

Neidthammer nicht mehr und nicht weniger<br />

als ein definitionsgerechter Nouveau Roman<br />

mit allen Raffinessen: Wechsel des Standortes,<br />

Herumturnen in Zeiten und Zeitformen, Anführungszeichen-Stil,<br />

der sich selber nicht<br />

ernst nimmt, keine Handlung, gebrochene<br />

Form, nichtige Aussage und kollektive Autorschaft.<br />

Denn Barzel schreibt natürlich nicht alles<br />

selber. Darüber hinaus hält sich dieser Roman<br />

an modernste Erscheinungspraktiken. Er<br />

erreicht täglich mindestens 30 000 Leser,<br />

ohne dass sie in die Buchhandlung laufen müssen.<br />

Er ist billig. Die Druckfehler sind einkalkuliert,<br />

und die Erlaubnis zum Abdruck ist gestattet.<br />

Er wirbt mit Schlagzeilen aus der Politik<br />

und aus der Sportwelt unauffällig für sich.<br />

Hermann Burger (1942–1989).<br />

YVONNE BÖHLER<br />

Er bewältigt Gegenwart und Vergangenheit. Er<br />

ist wegwerfbar, der erste Wegwerfroman. Er<br />

wird nicht interpretiert und nicht bekrittelt. Er<br />

baut die Leserbriefe ein. Er ist zu allem hinzu<br />

noch ein Schlüsselroman. Er ist obszön, verlogen,<br />

mystisch und wahr zugleich. Er ist poesievoll,<br />

hochdramatisch und langweilig episch.<br />

Man kann ihn von hinten nach vorn und von<br />

vorne nach hinten lesen. Oder man kann ihn<br />

überhaupt nicht lesen und ist dennoch über<br />

seinen Inhalt informiert, weil er sich täglich ereignet,<br />

nicht nur im Schildkrötenkopf Barzels,<br />

auf den Strassen, Gassen und Gässchen. Er<br />

touchiert alle grossen Themen der Zeit, von<br />

der Militärdienstverweigerung bis zur Zifferblattrenovation<br />

des Oberturms. Er ist Liebesund<br />

Eheroman ohn’ Unterlass, Nachttischlektüre<br />

für Ihn und für Sie, Kinder lesen ihn<br />

oder falzen Schiffchenmützen daraus und tragen<br />

ihn nicht im, sondern auf dem Kopf. Regierungsräte<br />

vertreiben sich die Zeit damit, und<br />

Professoren putzen sich, zumindest auf den<br />

Toiletten des alten Schulhauses, den Hintern<br />

damit, kurz: Barzel schreibt und lässt schreiben<br />

den Universalroman, von dem jeder<br />

Schriftsteller träumt, der im «Mann ohne Eigenschaften»<br />

und in «Zettels Traum» vergeblich<br />

angestrebt wird, weil zu dick, zu teuer, zu<br />

gescheit, zu unlesbar und was weiss ich alles.<br />

Und das Beneidenswerteste wie gesagt: Barzel<br />

ist sich dessen nicht einmal bewusst, hat keine<br />

Zahnschmerzen von Neidthammerschen Wurzelbehandlungen,<br />

kennt keine Honorarsorgen<br />

und keinen Ideenausfall, denn er notiert die<br />

Geschichte auf, die das Leben schreibt. Er<br />

muss nicht auf die Suche nach dem Stil gehen,<br />

weil ihn der Stil buchstäblich heimsucht und<br />

mit allen Wassern wäscht. Er kennt keine Hürde<br />

mit der Aufschrift: So kann man heute nicht<br />

mehr schreiben, denn seine Kunst hat es nicht<br />

nötig, von können zu kommen. Sie leitet sich<br />

in höchst eigenwilliger Etymologie von kunterbunt<br />

ab. Wissen Sie, fragt der Duden, dass<br />

«kunterbunt» etwas mit Kontrapunkt zu tun<br />

hat? Barzels Kunst ist die Kunst des Kontrapunkts.<br />

Sie ist wortwörtlich gegen den Punkt,<br />

überhaupt gegen Satzzeichen. Sie ergiesst sich<br />

endlos wie ein Strom, wie der Strom des Lebens<br />

selbst. Darum mein Geheimtipp: Das Jahresabonnement<br />

der Tageszeitung kostet nur<br />

Fr. 53.–. Zählen Sie einmal Ihre Romane zusammen<br />

und rechnen Sie aus, welche Summe<br />

sie verschlungen haben, ohne im geringsten<br />

der Übersicht, Handlichkeit und Omnivalenz<br />

dieses Universalromans zu entsprechen.<br />

Hermann Burger: Lokalbericht. Aus dem Nachlass<br />

herausgegeben von Peter Dängeli, Magnus<br />

Wieland, Irmgard M. Wirtz und Simon Zumsteg.<br />

Zürich: Edition Voldemeer, 2016.<br />

Der Text ist auch abrufbar in der Beta-Version<br />

open access online: www.lokalbericht.ch.<br />

Hermann Burger (1942–1989) war Germanist und<br />

Schriftsteller. Ab 1975 war er als Privatdozent für<br />

deutsche Literatur an der ETH Zürich und als<br />

Feuilletonredaktor beim Aargauer Tagblatt tätig.<br />

Sein bekanntester Roman ist «Schilten» (1976).


Mittagsbuffet<br />

à discrétion<br />

Montag bis Freitag<br />

nur Fr. 20.–<br />

Lunchbox Fr. 12.–<br />

Fr. + Sa. Abendbuffet<br />

Fr. 39.50.–<br />

à la carte<br />

Restaurant Kormasutra<br />

Bahnhofstrasse 57 · 5000 Aarau<br />

Tel. 062 824 04 00<br />

www.kormasutraaarau.ch


76 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />

NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />

«Erster Blick in die Aargauer Zeitung»<br />

Was Schülerinnen und Schülern 1996 zu diesem Thema einfällt


NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 77<br />

Wie ein Söldner ewig Kameraden klopfen<br />

Bei zwei kleinräumigen Zeitungen war es verwunderlich, dass nur ein Journalist zum «Tagblätter-Swinger» wurde.<br />

Nämlich vom BT zum AT wechselte, dann zurück ins gleiche Büro, fortan mit AZ-Logo. Logischerweise ein Zürcher.<br />

von<br />

Max Dohner<br />

Autor<br />

E<br />

inzig lebendig erschien an<br />

jenem fernen und allerersten<br />

Tag nur ein Engel.<br />

Heute stört es niemanden<br />

mehr, wenn rundum alle<br />

hocken wie flügellahme Krähen. Wenn<br />

Augen erloschen ins Vakuum glasen –<br />

das heisst aufs Handy. Vor dem glazialen<br />

iPhone-Zeitalter aber wirkten manche<br />

Leute auch nicht frischer.<br />

Freiwillig konnte einen – gerade noch<br />

als jugendlich durchzuwinkenden –<br />

Hallodri jedenfalls nichts verlocken, in<br />

einen solchen trüben Kreis zu treten.<br />

Aber wenn sich eine Türe öffnet, worin<br />

ein ernstes Gremium stumm den Novizen<br />

erwartet, tritt man demütig ein:<br />

Der Fuss geht über eine Schwelle, das<br />

Gefühl über eine Klippe.<br />

übernehmen. Und fortan, nicht anders<br />

als ein alter Eidgenoss, wie ein Söldner,<br />

als «ATler» nun halt den «BTlern» publizistisch<br />

auf die Rübe zu geben, sich<br />

nichts weiter als professionell zu verhalten<br />

in diesem fröhlichen Metier.<br />

Und in der Mitte ein schwarzes<br />

Telefon aus gutem altem Bakelit<br />

Umso verblüffter war ich, als sich<br />

Kollegen vom BT dann doch einmal humorlos<br />

zeigten. Ein AT-Gerichtsreporter<br />

und ich standen auf vom Tisch in irgendeiner<br />

«Eintracht» oder «Sonne»,<br />

wo wir mit unseren Freunden vom BT<br />

während irgendeines «Jahrhundert-Prozesses»<br />

den Pausenkafi geschlürft und<br />

das Gipfeli reihum gereicht hatten. «So,<br />

jetzt gehen wir wieder BTler klopfen»,<br />

sagte einer von uns vernehmlich, was<br />

uns nach Meinung jener, ebenso laut,<br />

in die Nähe eines Körperteils brachte,<br />

das mit «A» begann wie AT.<br />

Von solchen «Herausforderungen»<br />

ahnte der Novize nichts, als er an jenem<br />

fraglichen Montag in Aarau jenen<br />

gipsgrauen Redaktionsraum betrat und<br />

auf eine bleiern ernste Runde traf, mit<br />

«Das AT war der<br />

publizistische Salon des<br />

ausgelaugten Aarauer<br />

Freisinns, hors-sol, gern<br />

intellektuell. Kein Krethiund-Plethi-Forum<br />

wie<br />

das BT, gern provinziell.»<br />

«In irgendeiner ‹Eintracht›<br />

oder ‹Sonne› sass man<br />

mit der Konkurrenz<br />

zusammen und liess<br />

Gipfeli reihum laufen, ehe<br />

eine Seite dann trotzdem<br />

den Humor verlor.»<br />

Das war der Kreis der AT-Redaktion,<br />

an seiner montäglichen Wochenplanung.<br />

Und der Engel hiess – natürlich –<br />

Eva: jung, langbeinig, schön. Die Augen<br />

himmelblau, das Wesen beschwingt, im<br />

Lächeln etwas kokett Siegesgewisses,<br />

etwas irgendwie Französisches.<br />

Eva war die Sensation, der Novize,<br />

zehn Jahre älter, kaum der Notiz wert.<br />

Wirkte ohnehin seriöser, einen Neuling<br />

nicht allzu warm zu begrüssen.<br />

Schliesslich war das die ehrwürdige Redaktion<br />

des ehrwürdigen AT und kein<br />

Partyclub. Trotz abgetretener Teppiche<br />

und verblichener Tapete der publizistische<br />

Salon des ausgelaugten Aarauer<br />

Freisinns: hors-sol, aber gern intellektuell.<br />

Kein Krethi-und-Plethi-Forum wie<br />

das BT: lokal agil, gern provinziell.<br />

Zwei «Kulturen», vermengt mit<br />

«Feu sacré» zu einer «Familie»<br />

Nun kam der Novize aber gerade von<br />

Baden nach Aarau, was selten genug<br />

geschah. Wusste also, dass die beiden<br />

«verschiedenen Kulturen» sich auf zwei<br />

Der Autor vor – egal wie vielen – Jahren, im «Print» geblieben, zwischen den späteren TV-Moderatorinnen Susanne Wille und<br />

Eva Wannenmacher.<br />

AZ-ARCHIV/ROLF JENNI<br />

Ebenen völlig glichen: im regionalen<br />

Dünkel und in der Alterseinbildung.<br />

War in Aarau der erste Vorwitz stärker,<br />

so war’s beim BT die gockelhafte Anciennität,<br />

Junge nie wirklich anzuhören,<br />

es sei denn, sie rührten denselben<br />

Kalten-Krieg-Quark an wie die Alten.<br />

Das AT war einen Tick liberaler, das BT<br />

einen Tick anarchischer. Man hätte darum<br />

beides ruhig auch vor der Fusion<br />

mal vertauschen können, ohne dass<br />

sich vermutlich «die Kulturen» grundlegend<br />

verändert hätten.<br />

Nicht zuletzt das erleichterte am Ende<br />

die Fusion: die «AZ-Familie», wofür<br />

unter anderem ein Samstag geopfert<br />

werden musste, um gemeinsam das<br />

«Feu sacré» zu zünden.<br />

Nebenher führte das zur stillen Rückkehr<br />

des einzigen Tagblätter-Swingers<br />

ins exakt gleiche Badener Büro, woraus<br />

er einst abgezogen worden war. Solchen<br />

Erfahrungen muss man dankbar<br />

sein; sie führen zu einer Lebenserheiterung,<br />

die sich durch keine noch so<br />

schrullige Wendung des Schicksals je<br />

wieder eintrüben lässt.<br />

Als Novize wusste man damals natürlich,<br />

was sich gehört: die Vorurteile der<br />

jeweiligen Redaktion ungefiltert zu<br />

einem schwarzen Telefon in der Mitte.<br />

Zehn Männer, ein Tribunal. Aber, wie<br />

man sofort spürte, nicht mit einheitlichem<br />

Urteil. Das schuf Platz – und Freiheit<br />

–, hier mit seiner Arbeit skeptisch,<br />

dort ermutigend eingeschätzt zu werden.<br />

Darüber tauschten wir beiden Neulinge<br />

uns anschliessend aus, einesteils<br />

fluchtartig, anderseits gwundrig und<br />

amüsiert, im Kafi «Brändli»: Eva, mein<br />

Einstiegsengel, und ich, der Veteran gegen<br />

Nervenflattern. Schon nach einer<br />

Woche bekam die AT-Runde Gesichter,<br />

bekam vor allem Kontur, Handschrift<br />

und Charakter.<br />

Salü, Theo und Hermann, Henri le<br />

Tireur, salü Franz … vor allem Oski, der<br />

es als das Vernünftigste der Welt ansah,<br />

eine Zeitungsseite integral mit Bleisatz<br />

zu füllen, nur mit Wörtern. Schliesslich<br />

werde eine Zeitung von intelligenten<br />

Leuten gelesen, die sich, anders als<br />

Kinder, nicht an Bildern delektieren. In<br />

der Freizeit spielte Oski Bratsche.<br />

Heute ist alles anders – und alles andere<br />

unvergessen.


78 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG<br />

NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016<br />

Wer schon einmal zwei Tode<br />

gestorben ist, kann der länger leben?<br />

Die «richtige» Zeitung bot möglichst viel und Vielfältiges, damit umso mehr Leute sie lasen. Das machte sie interessant<br />

für Breitseitenwerbung. Heute ist das nicht mehr angesagt. Sie erhielt deshalb auch schon einen «Nachruf».<br />

von<br />

Christoph Bopp<br />

Autor<br />

«Digitalisierung»<br />

bedeutet nur, dass wir<br />

jetzt alle kleine Geräte<br />

in den Händen oder<br />

im Hosensack haben.»<br />

D<br />

ie Zeitung hats – wir wissen<br />

es längst – schwer. Einige<br />

sagen zudem: Sie ist<br />

so schwer getroffen, dass<br />

sie praktisch tot ist. Andere<br />

sagen sogar: Sie ist<br />

zwei Tode gestorben. (Davon unten<br />

mehr.) Wer hat die Zeitung umgebracht?<br />

Die Digitalisierung. Eine Antwort,<br />

die schlüssig klingt, aber nach Erklärung<br />

verlangt. Was heisst «Digitalisierung»?<br />

– Die offensichtlichste Antwort<br />

ist aber die falschmöglichste. Die<br />

Welt ist nicht etwa «digital» geworden.<br />

Etwas ist nicht entweder «digital» oder<br />

«analog», sondern es kommt darauf an,<br />

wie man hinschaut. Ob die Welt in der<br />

tiefsten Wahrnehmung in diskrete Einzelteile<br />

zerschnitten werden kann oder<br />

ob es da einfach als Kontinuum dahinblubbert<br />

– niemand weiss es. Auch die<br />

gescheitesten Physiker nicht.<br />

«Digitalisierung» scheint eine Art Veränderung<br />

zu bezeichnen. Es ist aber<br />

nicht eine grundlegende Veränderung<br />

unseres Verständnisses – dass wir es<br />

jetzt besser wüssten –, sondern einfach<br />

eine Frage der Praxis. «Digitalisierung»,<br />

so dürften junge Leute antworten, die<br />

nicht auf den Mund gefallen sind, hat<br />

etwas mit Computern zu tun. Klar. Die<br />

Computer haben aber nicht etwas mit<br />

der Welt angestellt oder mit der Realität,<br />

wovon wir nichts mitbekommen<br />

hätten. Es ist einfach so, dass wir jetzt<br />

alle solche Geräte in den Händen oder<br />

im Hosensack haben.<br />

Und warum tragen wir die mit uns<br />

herum? Sie sind unübertreffbar praktisch,<br />

weil sie «Medien» sind. Diese Geräte<br />

erfüllen die vier Aufgaben der Medien<br />

mit wenig Platz- und sonstigem<br />

Aufwand perfekt: Sie können speichern<br />

(und wiedergeben), übertragen, rechnen<br />

und kommunizieren.<br />

Digitalisierung ist Gerätewelt<br />

So betrachtet, ist «Digitalisierung» entweder<br />

trivial oder dann wieder ein sehr<br />

komplexes Phänomen. Trivial ist die Erklärung<br />

des Erfolgs der Smartphones und<br />

Co., dass es bisher nichts Derartiges gab.<br />

Es gab relativ unhandliche Geräte für<br />

Speichern (geschrieben – und gelesen –<br />

wird schon sehr lang), für Übertragen (ein<br />

sehr handliches Gerät war lange das<br />

Buch) – Rechnen und Kommunizieren<br />

sind dagegen Medienleistungen, für die es<br />

erst seit kurzem Geräte gibt. Trivial ist<br />

auch, dass es schlicht keinen Sinn hat,<br />

sich gegen dieses Universalgerät aufzulehnen.<br />

Da geht viel mehr vorher kaputt, bevor<br />

sie verschwinden.<br />

Und ebenso trivial ist es jetzt, den<br />

Tod der Zeitung (oder sagen wir mal:<br />

ihre Gefährdung) durch die kleinen<br />

Freunde im Hosensack zu erklären.<br />

Wer bündelt schon gerne Altpapier? –<br />

Ja, es ist klar, es gibt sympathischere<br />

Fragen: Der Gang zum Briefkasten am<br />

Morgen – eine sehr anmächelige Handlung;<br />

Kaffee und das Gipfeli und das Papier<br />

in der Hand – ein Inbegriff von Gemütlichkeit.<br />

Aber dem Geklapper der<br />

Hufe zu lauschen, ist auch gemütsberuhigend.<br />

Trotzdem haben wir Autos –<br />

KARIKATUR: SILVAN WEGMANN


NORDWESTSCHWEIZ<br />

FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 79<br />

und Velos. Und fahren gut damit.<br />

Fahren und Lesen sind doch zweierlei?<br />

Beim Fahren ahnt man, was die<br />

Nostalgie ist. Kutsche ist o. k., aber dem<br />

ursprünglichen Zweck, schnell von A<br />

nach B zu kommen, dient das Autofahren<br />

besser. Beim Lesen ist der Zweck<br />

nicht so einfach anzugeben. Ja, lesen ist,<br />

Informationen zur Kenntnis zu nehmen,<br />

um gescheiter zu werden. Nicht<br />

gerade falsch, aber ein ziemlich beschränkter<br />

Zweck.<br />

Zeitung lesen hat einen unbestreitbaren<br />

Vorteil. Man weiss, dass man damit<br />

irgendwann fertig ist. Ob man alles liest<br />

oder nur selektiv, ist nicht so wichtig.<br />

Denn die Zeitung «führt» den Leser, indem<br />

sie ihm nur das bringt, was relevant<br />

ist (oder von einer Redaktion dafür<br />

gehalten wird), und sie bringt es<br />

ihm auf eine Weise, die es ihm leicht<br />

macht, das Mass der Relevanz einzuschätzen.<br />

Das Lesen der Zeitung ist –<br />

im Idealfall – ein gesteuerter Prozess<br />

und der Gewohnheitsleser weiss, wie<br />

er mit ihm umgehen muss, damit das<br />

Resultat seinen Ansprüchen genügt.<br />

Der Mensch – ein neugieriges Tier<br />

Und warum funktioniert das überhaupt?<br />

Es ist manchmal nicht ungefährlich,<br />

auf Fragen dieser Art einfach eine<br />

anthropologische Grundkonstante anzugeben,<br />

aber hier scheint es erlaubt:<br />

Der Mensch ist ein neugieriges, ein<br />

newssüchtiges und durchaus auch wissensbegieriges<br />

Wesen.<br />

Diese Konstante ist wenigstens in der<br />

Geschichte der Zeitung durchaus am<br />

Werk gewesen. Nach der Erfindung des<br />

Buchdrucks – zuvor kursierten allerdings<br />

schon allerlei von Hand geschriebene<br />

Zettel – dauerte es keine 100 Jahre,<br />

bis die ersten Zeitungen erschienen.<br />

Sie dienten fast ausschliesslich der<br />

Übertragungsfunktion: Abdrucken und<br />

verteilen. News und Meldungen wurden<br />

mehr oder weniger unverändert<br />

ins Blatt gerückt. Und die Kriege, die<br />

Europa im 16. und 17. Jahrhundert<br />

heimsuchten, boten News genug. Wer<br />

auf politische oder ähnliche Wirkung<br />

erpicht war, verliess sich eher aufs<br />

Flugblatt – oder dann auf die Kanzel.<br />

Die Reklame schuf die Zeitung<br />

Die Zeitung als Ort der Debatte war eine<br />

Sache, die mit der Aufklärung aufkam.<br />

Wer wen befördert hat, die geistige<br />

Strömung das Printprodukt oder umgekehrt,<br />

ist schwer zu sagen. Den Impuls<br />

zur modernen Zeitung mit Ressortstruktur<br />

und dergleichen gab aber die<br />

Reklame. Lokale Information, lokale Reklame<br />

– das ist klar. Aber dass Auflage<br />

auch Reichweite bedeutete, das wurde<br />

erst klar, als es Inserenten gab, die mehr<br />

bezahlten, je mehr Leute angesprochen<br />

wurden. Die Zeitung musste also danach<br />

trachten, möglichst viel zu bieten,<br />

um viel Publikum zu erreichen.<br />

Damit wären wir beim Geschäftsmodell.<br />

«Richtige» Zeitungen wurden<br />

schon immer mit dem Inserateeinkommen<br />

finanziert und nur zweitrangig mit<br />

den Aboerträgen. Heute sagen die Verleger:<br />

Mit dem, was die Leute zu bezahlen<br />

bereit sind, kann man Journalismus<br />

kaum finanzieren.<br />

Wie Reklame wirkt, ist zwar auch eine<br />

schwierige Frage. Heute scheint die<br />

allgemeingültige Auffassung zu sein,<br />

dass personalisierte Werbung besser<br />

ist. Sie ist «effizient». Die Zeiten der<br />

Breitseitenwerbung – «one size fits all»<br />

– sind vorbei. Für die meisten Werber<br />

sind die Zeitungen nicht mehr interessant.<br />

Es gibt geeignetere Möglichkeiten,<br />

Konsumenten gezielt anzusprechen.<br />

Das ist der «eine Tod» der Zeitung.<br />

Sie ist kein Geschäftsmodell mehr. Vielleicht<br />

wird es immer Leute geben, die<br />

für bedrucktes Papier zahlen, aber es<br />

werden wohl immer weniger sein. Und<br />

die unheilvolle Schraube ist ja schon<br />

lange im Gang: Weil die Verleger weniger<br />

einnehmen, müssen sie sparen und<br />

die Zeitung wird inhaltlich und äusserlich<br />

dünner, was sie weniger attraktiv<br />

macht, und so weiter.<br />

Und was wäre der «andere Tod», den<br />

die Zeitung gestorben ist? Die Rede<br />

vom «doppelten Tod» stammt vom<br />

österreichischen Publizisten Michael<br />

Fleischhacker. Er hat der Zeitung gar<br />

einen «Nachruf» geschrieben. Dort<br />

stellt er dem anderen Daseinszweck,<br />

den viele der Zeitung zuschreiben,<br />

ebenfalls den Totenschein aus. Zeitungen<br />

sind keine «vierte» oder gar «fünfte<br />

Gewalt» im demokratischen Staat. Das<br />

sei «eine idealisierte Fiktion».<br />

Man tut gut daran, dies einmal zur<br />

Kenntnis zu nehmen und allfällige Verteidigungsreflexe<br />

zu unterdrücken. Die<br />

Gewaltentrennung sollte ja der Kontrolle<br />

der Staatsmacht dienen. Diese muss<br />

nicht einmal demokratisch kontrolliert<br />

«Weniger einnehmen<br />

heisst sparen, das macht<br />

die Zeitung inhaltlich und<br />

äusserlich dünner und<br />

weniger attraktiv - voilà<br />

die Unheilsschraube.»<br />

oder gesteuert sein. Jetzt soll der Staat<br />

diese «vierte Gewalt» am Leben erhalten,<br />

wenn es die Konsumenten – oder<br />

die Bürger – nicht mehr tun? Natürlich<br />

ist es weiterhin wichtig, den Mächtigen,<br />

Amtsträgern und sonstigen Politikern<br />

auf die Finger zu schauen. Aber kann<br />

das nur die gedruckte Zeitung tun?<br />

Ebenso schwierig einzuschätzen ist<br />

die soziale Funktion der Zeitung: Sie sei,<br />

sagte der Dramatiker Arthur Miller, «das<br />

Gespräch der Nation mit sich selbst» –<br />

oder anders: die (Selbst-)Reflexion der<br />

Gesellschaft. Der Journalismus hält der<br />

Gesellschaft den Spiegel vor, dass sie<br />

sich erkennt – und allenfalls ändert.<br />

Als Wunsch ist das höchst plausibel.<br />

Aber die Beobachtung der Medienrealität<br />

ergibt einen anderen Befund. Journalismus<br />

scheint – wenn schon Reflexion<br />

– dann eher die eigene zu sein. Redaktionen<br />

geben stolz an, wie oft sie in<br />

anderen Medien zitiert wurden. Was<br />

sollten Journalisten eigentlich tun? «Die<br />

Wahrheit» schreiben? Man wird den<br />

Eindruck nicht los, dass es Publikationen<br />

gibt, die sich eher damit befassen,<br />

die «eigene Wahrheit» gegen die der anderen<br />

aufzurichten.<br />

Die Gutenberg-Galaxis<br />

Am meisten gegen die These von der<br />

«vierten Gewalt» spricht das Nutzungsverhalten.<br />

Das Reden von der «Mediendemokratie»<br />

ist nicht grundlos. Das Mediensystem<br />

ist ein selbstreferenzielles<br />

System, das heisst, es wird bei Gebrauch<br />

immer plausibler und immer<br />

stärker. Die Regeln werden gemacht<br />

und man bedient sich ihrer. Das wissen<br />

vor allem diejenigen, welche in den Medien<br />

vorkommen wollen: Stars und Politiker.<br />

Und die Konsumenten sprechen<br />

dem Schrillen und Auffälligen zu. Also<br />

mehr davon für beide.<br />

Bevor wir die Schuld an der ganzen<br />

Misere endgültig den Lesern zuschieben,<br />

weil sie einfach nicht einsehen<br />

wollen, was sie wirklich wollen sollten,<br />

treten wir einen Schritt zurück. Die Krise<br />

der Zeitung ist ein Symptom. Zeitungen<br />

sind ein Phänomen der frühen<br />

Neuzeit. Mit ihnen erscheint erstmals<br />

ein Medium, dessen Medialität klar erkennbar<br />

ist. Sie waren das erste Massenmedium.<br />

Schriftlichkeit war allerdings<br />

schon Platon suspekt. «Philosophische<br />

Schau», theoria, und Text – das<br />

verträgt sich schlecht. Aber die Dichter<br />

und Sänger einfach rausschmeissen?<br />

Die Leute wollen die Lieder hören.<br />

Denn ein Schicksal im Lied – das ist geordnete<br />

Wirklichkeit. Wenn der irrende<br />

Odysseus bei den Phäaken von seinen<br />

Irrfahrten erzählt, irrt da nichts mehr.<br />

Das ist mehr als Schein und Literatur.<br />

Von Marshall MacLuhan stammt die<br />

Prägung «Gutenberg-Galaxis». Und er<br />

meint damit, die Ära des Textes, der linearen<br />

Erzählung. Ein Buch liest man<br />

von vorn nach hinten, eines folgt dem<br />

anderen. Das mächtigste Welterklärungsinstrument<br />

ist die Kausalität: Alles<br />

ist Wirkung einer Ursache und wird<br />

selber wieder Ursache. Dieses Welterklärungsmodell<br />

findet zu sich selbst<br />

bei den Heroen der Naturwissenschaft:<br />

Bacon, Galilei, Newton und all die, die<br />

dann auf ihren Schultern stehen.<br />

MacLuhan sprach schon in den<br />

1960er-Jahren vom «global village». Die<br />

Welt wird zum Dorf. Die wohlgeordnete<br />

lineare Schriftlichkeit löst sich wieder auf<br />

ins beliebige Geschwätz des Marktplatzes.<br />

Promis und Proleten und Potentaten<br />

– alles zusammen und zugleich.<br />

Mittlerweile spricht man von einer<br />

«Gutenberg-Paranthesis» und meint,<br />

dass die rund 400 Jahre nur eine Zwischenepoche<br />

gewesen sind. So wie der<br />

Westfälische Frieden den Nationalstaat<br />

hervorgebracht hat, der jetzt – trotz allen<br />

gegenteiligen Beschwörungen – an<br />

seine Grenzen gekommen ist, ist auch<br />

das lineare Modell in der Wissenschaft<br />

nicht mehr vorherrschend. Und die<br />

neuen Medien sind klar nichtlinear.<br />

Das klingt wirklich wie ein Todesurteil<br />

für die Zeitung und für den Journalismus.<br />

Vielleicht sollten wir uns<br />

aber doch auf die anthropologische<br />

Grundkonstante zurückbesinnen. «Seit<br />

ein Gespräch wir sind», befand schon<br />

Hölderlin, «und hören können voneinander»,<br />

wollen wir das wohl auch in<br />

Zukunft. Vielleicht wird sich der Journalismus<br />

als «kluger öffentlicher Gesprächspartner»<br />

neu erfinden können.<br />

«Öffentlichkeit», demokratisch-deliberatives<br />

Räsonnement, das scheint zwar<br />

ein höchst prekäres Gebilde. Aber man<br />

darf die Hoffnung nicht aufgeben, dass<br />

auch töggelnde Finger einmal zur Ruhe<br />

kommen. Aber wie man jemanden dazu<br />

bringt, dafür zu bezahlen – diese<br />

Frage ist noch ziemlich weit von einer<br />

Antwort entfernt. Vielleicht muss dafür<br />

neben dem linearen Textmodell auch<br />

das Geldmodell der Wirtschaft an Wirksamkeit<br />

verlieren?

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!