Lesen Sie das erste Kapitel dieses ungewöhnlichen Liebesromans.
Anna S. Bastian
Kein Herz
ohne
Zweifel
Roman
Copyright © 2016 by Anna S. Bastian
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit
schriftlicher Genehmigung der Autorin. Personen und Handlungen
sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit existierenden
Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Markennamen
sowie Warenzeichen sind Eigentum ihrer rechtmäßigen Besitzer.
Impressum
Anna S. Bastian
c/o AutorenServices.de
König-Konrad-Str. 22
36039 Fulda
Cover: Iram Shahzadi
www.anna-s-bastian.de
www.facebook.com/AnnaSusanneBastian
www.instagram.com/anna_bastian
AnnaSusanneBastian@gmail.com
ISBN-13: 9781537217420
ISBN-10: 1537217429
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Die Splitterherzen
Eine kurze Einführung
Die Splitterherzen sind Freunde. Kennengelernt haben sie sich im
Internet, und obwohl oft große Entfernungen zwischen ihnen liegen,
stehen sie täglich in Kontakt.
Die Splitterherzen sind eine Facebook-Gruppe. Diese trifft sich im virtuellen
Raum, und ihr Name ist Programm, denn nahezu jedes
Mitglied hat ein beschädigtes Herz. Wer das nicht vor sich selbst
und der Welt verstecken möchte, ist in dieser Gruppe gut aufgehoben.
Die Splitterherzen sind aneinander interessiert. Ihre Gruppengespräche
folgen immer demselben Ritual. Täglich postet jemand ein
Spruchbild, zu dem die anderen ihre Kommentare abgeben. Auf
diese Weise tauschen sich die Mitglieder über verschiedenste
Themen aus, lernen einander schätzen und knüpfen Freundschaften.
Die Splitterherzen sind sich nah. Neben den virtuellen Zusammenkünften
finden auch Begegnungen im realen Leben statt. Das
erste offizielle Treffen in Idar-Oberstein liegt bereits drei Monate
zurück, aber auch darüber hinaus halten manche Splitterherzen
im realen Leben aneinander fest.
Lernen Sie die Hauptfiguren dieses Romans kennen:
Cora van Grooten (Co Ra)
Die alleinerziehende Mutter lebt mit ihren beiden Kindern
Amelie und Max in Dinslaken und arbeitet in
einem kleinen Fotostudio. Von Christoph, der sie mehrfach
betrogen hatte, ist sie seit mehr als zwei Jahren getrennt. Kurz
nachdem sie zusammen mit Hanne die Leitung der Splitterherzen
übernommen hat, lernt sie Julius kennen und lieben.
Hannelore Goldschmidt
Seitdem sie die Splitterherzen gegründet hat, engagiert
sich die wohlhabende Witwe als Administratorin der
Gruppe. Hannes Einsatz für die Mitglieder geht dabei häufig weit
über das übliche Maß hinaus. So nahm sie zum Beispiel Esther,
die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr alleine leben konnte,
vorübergehend bei sich in Idar-Oberstein auf. Sie ist eine
begeisterte Tennisspielerin, aber ihre größte Leidenschaft gilt
der Malerei.
Esther Kemper
In einem Moment frivol, sprühend vor Witz und Energie,
im anderen bissig oder vor Traurigkeit stumm. Bei
Esther weiß man nie, was einen erwartet. Die eigene Wohnung
im sauerländischen Schmallenberg steht seit Monaten leer, auch
ihren Beruf als Arzthelferin kann die junge Frau nicht mehr ausüben.
Dass sie nun von Spezialisten in einer Klinik betreut wird,
verdankt sie den Splitterherzen. In Bad Wildungen soll sie lernen,
mit den extremen Stimmungsschwankungen, die immer wieder
über sie hereinbrechen, zu leben. Ihren geliebten Kater Charles
konnte sie glücklicherweise bei Hanne unterbringen.
Paul Winterfeld (Paul Panther)
Der athletische Zollbeamte ist bei den Splitterherzen
für seine schlüpfrigen Bemerkungen bekannt und
dafür, dass er sich bei jeder Gelegenheit für Esther einsetzt.
Obwohl der Weg von Bremen nach Bad Wildungen sehr weit ist,
besucht er sie so oft wie möglich in der Klinik. Dabei muss er sich
die freie Zeit an den Wochenenden allerdings genau einteilen, da
seine Eltern immer häufiger die Unterstützung ihres Sohnes einfordern.
Außerdem darf er keinesfalls die Befriedigung seiner
körperlichen Bedürfnisse aus den Augen verlieren. Denn was das
angeht, ist Esther für ihn tabu.
Casper Lambertz (casper hauser)
Sein Philosophie-Studium liegt seit geraumer Zeit auf
Eis. Anscheinend ist er ausreichend damit beschäftigt,
sich in Heidelberg mit Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten.
Caspers Kommentare bei den Splitterherzen fallen jedem sofort
ins Auge: Alle Rechtschreibregeln ignorierend schreibt er jedes
Wort klein. Auch inhaltlich heben sich seine Diskussionsbeiträge
meistens deutlich von denen der anderen Splitterherzen ab.
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Kapitel 1
Die Kälte der Marmorstufen ließ Cora frösteln, während sie barfuß
hinunter ins dunkle Erdgeschoss schlich. Mit angehaltenem
Atem öffnete sie die Tür zum Wohnzimmer und sah sich um. Der
hohe Raum lag friedlich im Grau der Morgendämmerung, auf
dem Tisch standen noch die langstieligen Gläser, aus denen sie
am Vorabend Rotwein getrunken hatten. Cora unterdrückte den
Impuls, sie in die Küche zu tragen. Sie war weder Hausfrau noch
Putzhilfe. Über das, was sie war, wollte sie so früh lieber noch
nicht nachdenken.
Suchend beugte sie sich von hinten über das Ledersofa, tastete
nach der Strickjacke, die irgendwo unter den Kissen liegen
musste. Ein paar Erinnerungsfetzen an den letzten Abend huschten
durch ihren Kopf und brachten sie zum Lächeln.
Als ihre Fingerspitzen auf weiche Angorawolle stießen, atmete
Cora erleichtert auf. Sie zog den Ärmel zwischen den Polstern
hervor, dann streifte sie gähnend den wärmenden Stoff über ihre
ausgekühlten Arme.
Eine Windböe, die geräuschvoll den Regen gegen die bodentiefen
Scheiben prasseln ließ, erinnerte Cora daran, warum sie sich aus
dem Bett geschlichen hatte. Sie wollte hinaus. Raus aus dem Haus
des Pfarrers, solange es noch dunkel genug war, um ungesehen
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zu verschwinden.
Zögernd ging sie näher an das Fenster heran, um einen Kontrollblick
auf das Nachbargrundstück zu werfen. Die neugierige Frau
Menzel schien noch zu schlafen. Zumindest waren alle Rollläden
geschlossen, was Cora einen unauffälligen Rückzug garantierte.
Vor zwei Wochen war sie der hochkommunikativen Mittsechzigerin
schon wieder in die Arme gelaufen, hatte neben der ausführlichen
Musterung auch eine Reihe unangenehmer Fragen
über sich ergehen lassen müssen. Das wissende Lächeln, mit dem
Frau Menzel sich schließlich verabschiedete, hatte Cora zu dem
Entschluss veranlasst, in Zukunft noch früher aufzubrechen.
»Wie wäre es mit einem Kaffee?«
Seine tiefe Stimme ließ sie erschrocken zusammenzucken.
»Habe ich dich geweckt? Das tut mir leid.« Cora sah zerknirscht
zu Julius, der auf der vorletzten Treppenstufe Platz genommen
hatte. Den Gesichtsausdruck konnte sie im Dunkeln nicht
erkennen, doch in seinem Tonfall lag ein Lächeln, als er weitersprach.
»Ich hätte da eine konkrete Idee, wie du das wiedergutmachen
könntest.«
»Das werde ich. Aber nicht jetzt.«
»Dann nach dem Kaffee?« Es war schwer, seinem Lausbubenlächeln
zu widerstehen.
»Auf den Kaffee muss ich leider auch verzichten.« Bedauernd sah
Cora abwechselnd auf ihre Armbanduhr und zur Haustür.
»Lass mich raten. Du hast Angst vor Frau Menzel.«
»Angst ist nicht das richtige Wort. Ich bin lediglich um deinen
guten Ruf besorgt.«
»Darüber haben wir doch schon gesprochen. Es schadet meinem
Ruf nicht, wenn jemand davon erfährt, dass du bei mir übernachtest.«
Er stand auf und schob Cora vor sich her in Richtung
Küche.
»Frau Menzel ist aber nicht irgendjemand«, jammerte Cora mit
gespielter Verzweiflung. »Sie ist mit Abstand die größte Tratsch-
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tante in deiner Gemeinde. Stört es dich nicht, wenn sie nach dem
Gottesdienst überall herumerzählt, mit wem du die Nacht verbracht
hast?«
Weil das dröhnende Geräusch des Kaffeeautomaten die Küche
ausfüllte, schüttelte er nur lächelnd den Kopf. Dann kam er zu ihr
hinüber und versuchte ungeschickt, die Perlmuttknöpfe der
Strickjacke zu öffnen, die sie gerade erst geschlossen hatte.
»Von mir aus kann jeder wissen, dass ich dich liebe«, raunte er
ihr ins Ohr.
Bei seinen Worten blinzelte Cora verlegen und hielt die Hand
fest, die erfolglos an der Knopfleiste herumzog. Sie hatte sich
immer noch nicht daran gewöhnt, wie leicht ihm seine Gefühle
über die Lippen kamen.
»Können wir bitte noch ein wenig warten, bevor wir das an die
große Glocke hängen?«
»Wie lange willst du denn warten?«
»Zumindest bis nach der Konfirmation. Amelie bekommt die
Krise, wenn sie sich vom neuen Freund ihrer Mutter konfirmieren
lassen muss.«
»Amelie ist vierzehn. In dem Alter jagt sowieso eine Krise die
nächste.«
»Bitte, Julius. Der ganze Konfirmationstrubel ist ohnehin schon
anstrengend genug. Christoph plant seit Wochen diese absurde
Familienfeier. Allein bei dem Gedanken daran wird mir schlecht.«
»Das hat bestimmt damit zu tun, dass du noch nicht gefrühstückt
hast.« Er reichte ihr einen verführerisch duftenden Kaffee.
Kapitulierend ließ sie sich auf dem Küchenstuhl nieder und
beobachtete Julius dabei, wie er eine zweite Tasse füllte.
Mit der bevorstehenden Konfirmation zog für Cora ein beängstigendes
Szenario am rosaroten Himmel ihrer heimlichen Liebe
auf, denn seit ein paar Monaten machte Christoph kein Geheimnis
daraus, wie sehr er sich eine Versöhnung wünschte. Dabei
war nicht klar, ob er die zahlreichen Seitensprünge, die zum Auseinanderbrechen
ihrer Beziehung geführt hatten, ernsthaft
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ereute. Fest stand nur, dass Christoph unbedingt wieder mit
seinen Kindern unter einem Dach leben wollte. Um zu beweisen,
wie ernst es ihm damit war, hatte er sogar großzügig angeboten,
Cora endlich zu heiraten. Ein Neuanfang mit dem Vater ihrer
Kinder war jedoch das Letzte, was Cora sich vorstellen konnte.
Genau das hatte sie Christoph bereits mehrfach erklärt, aber die
Beharrlichkeit, mit der er dieses Thema immer wieder zur Sprache
brachte, machte deutlich, dass er Coras Weigerung nicht
ernst nahm.
Von all dem hatte sie Julius natürlich nichts erzählt. Sonst würde
der bestimmt noch intensiver darauf drängen, der ganzen Welt
zu erzählen, dass sie ein Paar waren.
»Guten Morgen Frau van Grooten.«
Cora fluchte leise, als sie beim Öffnen des Gartentors die Stimme
der Nachbarin hinter dem üppigen Fliederbusch hörte. Im nächsten
Moment bewegten sich ein paar der duftenden lila Blütenrispen
zur Seite. In der entstandenen Lücke erschien Frau Menzels
pausbackiges Gesicht.
»Guten Morgen«, grüßte Cora ebenso freundlich zurück und sah
zum Himmel. Der Regen hatte längst aufgehört. Sie hätte sich
nicht von Julius umgarnen lassen dürfen. Natürlich war es nicht
beim Kaffee geblieben, denn es fiel ihr zunehmend schwerer,
seiner Anziehungskraft zu widerstehen.
»Einen wunderschönen Sonntag wünsche ich Ihnen. Ist es nicht
ein Glück, dass die Wolken sich pünktlich zum Sonnenaufgang
verzogen haben?«, säuselte Frau Menzel.
Für Coras Glück würde es im Moment ausreichen, wenn die Nachbarin
sich verziehen würde. »Sie sind aber wieder zeitig aufgestanden,
Frau Menzel.«
»Ich musste doch nach dem Regenguss meinen Flieder abschütteln.
Er blüht in diesem Jahr außergewöhnlich früh. Normalerweise
tut er das immer erst zur Konfirmation. Ihre Tochter wird
auch konfirmiert, nicht wahr?«
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Cora nickte und zog das Gartentor hinter sich ins Schloss. »Das
stimmt.«
»Ein sehr hübsches Mädchen, Ihre Amelie. Ich habe sie sofort auf
dem Foto im Gemeindebrief erkannt, so ähnlich wie sie Ihnen
sieht.« Mit unverblümter Neugier musterte sie Cora von oben bis
unten. »In die Kirche geht sie allerdings nur jede zweite Woche.
Sicher verbringt sie, wie alle Scheidungskinder, die anderen
Sonntage bei ihrem Vater?«
Den fragenden Blick quittierte Cora mit einem unverbindlichen
Nicken und zeigte dann auf ihr Auto, das sie extra so geparkt
hatte, dass es vom Küchenfenster der Nachbarin nicht zu sehen
war. »Leider muss ich jetzt dringend los. Ich wünsche Ihnen
einen schönen Tag.«
Als sie den Motor anließ stand Frau Menzel immer noch mit
einem wissenden Lächeln am Gartenzaun.
Erschöpft ließ sie sich in der leeren Wohnung auf das Sofa fallen.
Amelie und Max würden vor dem frühen Abend nicht nach Hause
kommen. Sie verbrachten, genau wie Frau Menzel vermutet
hatte, das Wochenende bei ihrem Vater. Deswegen hatte Cora
gerne zugestimmt, Julius später zum Mittagessen zu treffen. An
einem Ort, wo sie niemand kannte. Wo sie sich wie verliebte
Teenager aufführen konnten, ohne dadurch zum Hauptgesprächsthema
der kleinen Stadt zu werden.
Die heimliche Beziehung hatte für Cora durchaus einen Reiz. Die
verstohlenen Blicke und ungesehenen Küsse bescherten ihr
einen erhöhten Puls, wann immer sie daran dachte. Nach der
schweren Trennungszeit und dem erzwungenen Neuanfang war
endlich das Gefühl der Lebendigkeit in sie zurückgekehrt. Das
wollte sie noch eine Weile genießen, bevor Julius ihre Liebe der
Öffentlichkeit preisgab.
Man brauchte keine blühende Phantasie, um sich vorzustellen,
wie einige Frauen der Gemeinde auf diese Eröffnung reagieren
würden. Schließlich hatte der ledige Gemeindepfarrer den weib-
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lichen Fanclub nicht deshalb, weil seine Sonntagspredigten so
überaus mitreißend waren. Oder doch? Cora konnte über Julius’
theologische Qualitäten nicht urteilen, denn bisher hatte sie
noch keinen einzigen seiner Gottesdienste besucht.
Als Konfirmandin war Amelie diejenige, welche regelmäßig in die
Kirche musste. Bislang war Cora immer eine gute Ausrede eingefallen,
warum sie ihre Tochter nicht begleiten konnte. Wie
würde es sein, wenn alle Bescheid wussten? Wenn es kein
Geheimnis mehr war, dass den attraktiven Pfarrer und die ledige
Mutter mehr verband als reine Nächstenliebe? Musste sie dann
jeden Sonntag eine Stunde lang andächtig im Gottesdienst
sitzen?
Auf neugierige Blicke und missgünstige Tuscheleien würde Cora
gern noch eine Weile verzichten. Das Gefühl, von Julius begehrt
und geliebt zu werden, war so köstlich, das wollte sie so lange wie
möglich unbeobachtet genießen.
Leider schien Julius an dem kleinen Versteckspiel weniger
Gefallen zu finden. Der Bitte, bis nach der Konfirmation so zu tun,
als ob nichts zwischen ihnen sei, hatte er mit gerunzelter Stirn
nachgegeben. Es war unschwer zu erkennen, dass er nicht verstand,
wovor Cora sich fürchtete. Schließlich akzeptierte er ihre
Bedenken, rang ihr jedoch im Gegenzug das Versprechen ab, kurz
nach dem Fest reinen Tisch zu machen.
Unschlüssig sah Cora auf die Uhr. Während sich Julius um seine
Kirchengemeinde kümmerte, wollte sie die Zeit nutzen, um in
ihrer virtuellen Gemeinde vorbeizuschauen.
Der Vergleich war gar nicht so schlecht. Die Splitterherzen waren
eine Facebook-Gruppe von Gleichgesinnten. Statt einer Predigt
gab es täglich ein Spruchbild, über das die Mitglieder intensiv
diskutierten. Vor ein paar Monaten hatte Hanne die Gruppe ins
Leben gerufen und Cora ebenfalls zur Administratorin ernannt.
Durch die Treffen mit Julius blieb ihr mittlerweile jedoch deutlich
weniger Zeit für die virtuellen Diskussionen. Deswegen hatten sie
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nun auch Tamara ins Administratorenteam aufgenommen, die
sich seitdem voller Hingabe um die Organisation eines erneuten
Splitterherzen-Treffens kümmerte.
Nachdenklich überflog Cora die Kommentare des Vorabends.
Tamara Zirstenhals
Hannelore Goldschmidt
Diese herrlichen Worte sollten wir als Wahlspruch für unsere
Gruppe auswählen.
Fred Mucke
Da stimme ich dir voll und ganz zu, werte Hanne. Das ist ein
überaus passender Spruch für die Splitterherzen.
Tamara Zirstenhals
Ich habe ihn mit Blick auf unser Treffen in Bad Hersfeld ausgewählt,
auf das ich mich schon sehr freue.
Angela Tückmeyer
Auf das wir uns ALLE freuen, liebe Tamara. Danke, dass du dir so
eine Mühe damit machst.
Sara Dudenhoff-Brand
Zu den Festspielen ist es bei uns immer besonders schön. Der
Termin ist perfekt gewählt.
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Hermann Gleese
Also für mich ist der Termin alles andere als perfekt. Aber auf
Einzelschicksale wird hier ja keine Rücksicht genommen.
Jolante Martens
Was ist los, Hermann? Fühlst du dich vernachlässigt?
Paul Panther
Was er schreibt, klingt nach extremer Vernachlässigung. Wann
hattest du ihn das letzte Mal auf dem Arm, Jolante? ;)
Angela Tückmeyer
Denke an die wertvollen Menschen, die du treffen wirst, Hermann.
Die gleichen alles aus, was du auf der legendären Kegeltour
verpasst.
Esther Kemper
Kegeltour? Ist das nicht so eine Wochenendveranstaltung für
dickbäuchige Männer in Strickjacke? ;)
casper hauser
das war einmal. mittlerweile handelt es sich um zusammenkünfte
gleichgeschlechtlicher gruppen zwecks erhöhten Alkoholkonsums
und hemmungslosen triebabbaus.
Sara Dudenhoff-Brand
Kegeltouren sind vollkommen out. Internetbekanntschaften, die
ins Real Life übertragen werden, sind hingegen ein echter
Renner.
Tamara Zirstenhals
Siehst du, Hermann. Mit deiner Entscheidung, die Kegeltour
sausen zu lassen, zeigst du, wie modern du bist.
Hermann Gleese
Apropos modern: Es kursiert das Gerücht, dass es eine Kleiderordnung
geben wird. Ist da was dran?
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casper hauser
solange ich nicht wieder im smoking auflaufen muss, ist mir
eigentlich alles egal.
Jolante Martens
Der stand dir aber ausgesprochen gut, casper. :-)
Tamara Zirstenhals
Ehrlich gesagt, fand ich die Gala-Veranstaltung bei Hannelore
sehr gelungen und liebäugle mit einem ähnlichen Programmpunkt.
Hermann Gleese
Also ohne mich, Ladies. Ich werde mich ganz sicher nicht in so
einen albernen Anzug quetschen.
Jolante Martens
Du hast aber auch immer was zu meckern, Hermann. Fällt dein
Verhalten in die Rubrik testosteronbedingte Trotzreaktion?
Greta Schwan
Das mit der Abendgarderobe ist hoffentlich nur ein Scherz. Ihr
erwartet doch wohl nicht, dass ich mich verkleide?
Hermann Gleese
Wahrscheinlich tun sie das.
Hannelore Goldschmidt
Lasst uns jetzt bitte nicht um Dinge streiten, die noch gar nicht
feststehen. Wir sind froh, dass wir nun Termin und Ort festgelegt
haben.
Esther Kemper
Mir ist vollkommen egal, wie, wann und wo wir uns treffen.
Hauptsache, wir treffen uns überhaupt.
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Greta Schwan
Du hast gut reden, Esther. Für dich findet die Aktion sowieso
quasi vor der Haustür statt. Das ist doch mit Sicherheit kein
Zufall.
Paul Panther
Das Ganze ist freiwillig, Greta. Niemand zwingt dich, an dem
Treffen teilzunehmen.
Greta Schwan
Kein Grund, gleich unfreundlich zu werden, Paul.
Paul Panther
Glaub mir, Greta. Du hast mich noch nicht unfreundlich erlebt.
Hannelore Goldschmidt
Das wird sie auch nicht, lieber Paul. Weil wir in dieser Gruppe
alle nett zueinander sind und du dich zu benehmen weißt.
Paul brachte den Wecker mit einem gezielten Schlag zum
Schweigen und kontrollierte die rot leuchtende Anzeige. Glücklicherweise
hatte er sich am Vorabend schon zeitig bei den Splitterherzen
ausgeklinkt, um für einen Samstagabend ungewöhnlich
früh ins Bett zu gehen. Den Drang, die Gruppendiskussion
weiterzuverfolgen, um aufzupassen, ob noch mehr unterschwellige
Anfeindungen auftauchten, die sich gegen Esther richteten,
konnte er nur schwer bezwingen. Doch schließlich siegte die
strenge Stimme der Vernunft. Es war nie eine gute Idee, sich mit
einem Schlafdefizit ans Steuer zu setzen.
Mit weit geöffneten Augen, die er auf keinen Fall wieder zufallen
lassen wollte, drehte er sich auf die Seite. Das schwache Grau des
Morgenhimmels kroch durch die nur halb geschlossenen Vor-
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hänge und trug nicht dazu bei, das Gefühl der Schläfrigkeit zu
vertreiben. Er gönnte sich fünf Minuten, um den Ablauf des
bevorstehenden Sonntags zu durchdenken. Die Fahrt nach Bad
Wildungen dauerte von Bremen aus ungefähr drei Stunden.
Wann immer es sich einrichten ließ, verbrachte Paul die Nacht in
einem preiswerten Hotel in der Nähe der Klinik. Doch an diesem
Wochenende war er um einen Besuch bei seinen Eltern nicht
herumgekommen. Seit Tagen hatte seine Mutter ihm mit anklagendem
Tonfall in den Ohren gelegen und darauf hingewiesen,
dass er seine Pflichten vernachlässigte. Das tat er wirklich. Der
Zustand des elterlichen Gartens war ein nicht zu leugnendes
Beweisstück für massive Versäumnisse. Deswegen hatte er
zähneknirschend den kompletten Samstag dafür geopfert, alle
entstandenen Rückstände aufzuarbeiten.
Mit einem Ächzen erhob Paul sich und schwang die Beine aus
dem Bett. Obwohl sein Körper für einen Mann Mitte vierzig gut
trainiert erschien, spürte er beim Aufrichten ein unangenehmes
Ziehen in der rechten Schulter, das bis in den Arm ausstrahlte.
Offensichtlich rächte sich das stundenlange Halten der schweren
elektrischen Heckenschere. Mit der Linken knetete er für neunzig
Sekunden an seinem Oberarm herum, verzog dabei schmerzhaft
das Gesicht. Wenn seine Eltern hinterher wenigstens einen
Hauch von Zufriedenheit zeigen würden. Aber anstatt eines
Dankeschöns erhielt er immer nur eine Liste der Dinge, die beim
nächsten Besuch zu erledigen waren. Mit geschürzten Lippen
hatte seine Mutter lange die frisch geschnittene Hecke betrachtet,
um dann zu fragen: »Hast Du sie absichtlich so dünn
gemacht? Ich mag es ja lieber, wenn sie etwas dicker ist.« Paul
verkniff sich zu erwähnen, dass sie beim letzten Mal genau das
Gegenteil behauptet hatte. Er nickte nur stumm und verschwieg,
dass er seit Jahren einen Zollstock benutzte, um die Eiben jedes
Mal auf exakt dieselbe Breite zu schneiden. Fünfzig Zentimeter.
Das nahm er ganz genau, damit er sich hinterher nicht fragen
musste, ob er wirklich fehlerhaft gearbeitet hatte. Ein Ausbleiben
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der mütterlichen Kritik würde ihn mehr verunsichern als der
immer wiederkehrende Vorwurf.
Auf dem Weg ins Badezimmer ließ er die Schulterblätter kreisen.
Dann trat er vor den Ganzkörperspiegel, hob das markante Kinn
und stellte zufrieden fest, dass er dynamischer aussah, als er sich
an diesem Morgen fühlte. Esther machte sich manchmal darüber
lustig, dass er so viel Wert auf sein Äußeres legte. Dabei spürte
Paul, dass ihr gefiel, was sie sah. Besonders seine Uniform hatte
es ihr angetan. Nachdem sie ein paar Fotos von Paul in Dienstkleidung
gesehen hatte, quengelte sie so lange, bis er zu einem
seiner Besuche in voller Montur erschien. Sogar mit Waffe.
Darauf hatte sie ausdrücklich bestanden und mit lüsternem Blick
über das kalte Metall gestrichen. Das Verlangen, welches sich
sofort in ihm regte, hatte Paul unterdrückt, denn dieses
Begehren galt nicht ihm persönlich. Das verstand er mittlerweile.
Ihre plötzlich aufflammende, dann jedoch nahezu unstillbare
Gier nach Sex war nur der Ausdruck einer komplizierten Erkrankung.
Esther befand sich permanent auf einer Achterbahnfahrt
der Gefühle, die es ihr schwer machte, ein ganz normales Leben
zu führen.
In Bad Wildungen sollte sie lernen, mit den Hochs und Tiefs
zurechtzukommen. Ohne Medikamente würde das wahrscheinlich
niemals funktionieren, wobei die Tatsache, dass Esther jegliche
Pharmazeutika verabscheute, die Therapie enorm verkomplizierte.
Deswegen war es wichtig, dass Paul immer ein Auge
auf Esther hatte, sie vor sich selbst beschützte. Dazu gehörte
allerdings auch, dass er sie nicht anrührte. Es war von größter
Bedeutung, dass er sich zusammenriss.
Unter der Dusche zählte Paul die Fliesen, während das warme
Wasser sein schmerzendes Schulterblatt massierte. Zwei winzige,
bräunliche Flecken in der zweiten Fuge von rechts erinnerten ihn
daran, dass die Grundreinigung des Badezimmers kurz bevorstand.
Im Vierwochenrhythmus säuberte er den Nassbereich mit
einem scharf riechenden Chlorreiniger, beseitigte jegliche Spur
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von Rotschimmel, der genauso hartnäckig wiederkehrte, wie Paul
ihn bekämpfte. Ein erprobter Putzplan war als Excel-Tabelle
abgespeichert. Dessen laminierte Kopie, die er an der Badezimmertür
aufgehängt hatte, sorgte bei seinem wechselnden
Damenbesuch allerdings so oft für Erheiterung, dass er den Plan
nach einer Weile wieder abgenommen hatte.
Obwohl Paul nur wenig Zeit hatte, füllte er Wasser in einen kleinen
Edelstahltopf. Sonntags aß er immer ein Ei und versäumte
nie zu kontrollieren, ob der Stempel auf der braunen Schale mit
einer Null begann, bevor er es vorsichtig in das noch kalte
Wasser legte. Den etwas höheren Preis für die ökologische Erzeugung
zahlte er aus Überzeugung, wollte aber sichergehen, dass er
nicht betrogen wurde. Als Zollbeamter war ihm jegliche Illusion
bezüglich der Ehrlichkeit seiner Mitmenschen abhandengekommen.
Er war stolz auf sein feines Gespür für Unehrlichkeit, das
ihm bei der Arbeit am Flughafen oft von Nutzen war.
Um Punkt sieben wollte er losfahren. Zu dieser Zeit war eine freie
Autobahn zu erwarten, so dass er spätestens um halb elf in
Esthers Zimmer stehen würde. Dass auch sie gelegentlich unaufrichtig
war, spürte Paul natürlich ganz deutlich. Vermutlich war
das ebenfalls ein Krankheitssymptom. Oder eine Nebenwirkung
der Medikamente, die Esther nur widerwillig einnahm, und von
denen sie immer wieder behauptete, dass sie einen anderen Menschen
aus ihr machten. Möglicherweise war es dieser andere
Mensch in Esther, der es mit der Wahrheit nicht so genau nahm.
Die Tüte mit den lauwarmen Brötchen landete unsanft auf dem
schmuddeligen Küchentisch. Casper war müde, und der Zustand
der WG-Küche trug nicht dazu bei, seine ohnehin schon
schlechte Laune zu heben. Allem Anschein nach hatte sein Mitbewohner
gestern eine spontane Party veranstaltet, deren absto-
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ßend klebrige Überreste ihm nun den Appetit verdarben. Grundsätzlich
hatte Casper weder ein Problem mit Partys noch mit
Nachtschichten, aber die Kombination von Schlafmangel und
einer Mischung aus Bierdunst und abgestandenem Rauch überschritt
an diesem Morgen seine Toleranzgrenze. Angewidert öffnete
er das Fenster, sog die kalte Luft ein. Dabei blickte er den
Hang hinunter, beobachtete ein paar Fahrzeuglichter, die langsam
auf der Straße neben dem Fluss entlangglitten. Als er zum
Studium nach Heidelberg zog, hatte er gewusst, dass er sich in
dieser Idylle niemals zu Hause fühlen würde.
An dem neuen Job in der Tierarzneimittel-Abfüllung war nichts
auszusetzen. Schon in der ersten Woche hatte Casper mit den
beiden breitschultrigen Lageristen Freundschaft geschlossen, die
ihn seitdem dazu überreden wollten, nach Feierabend mit zum
Boxen zu kommen. Zuerst hatte Casper angenommen, dass sie
sich über ihn lustig machten, aber Viktor und Kenan meinten es
ernst. Er wäre zwar nur eine halbe Portion, doch in drei bis vier
Monaten würden sie ihn so aufbauen, dass er in der Lage wäre,
dem pöbelnden Pack, das sich nachts in den Heidelberger Gassen
herumtrieb, die Visage zu polieren. Casper lehnte dankend ab.
Gewalt lag ihm schon immer fern. Bisher war er ganz gut damit
gefahren, bedrohlichen Situationen einfach aus dem Weg zu
gehen.
Der einzige Nachteil seines Jobs bei Medi-Tos waren die gelegentlichen
Zusatzschichten. Sie zermürbten Caspers Anstrengungsbereitschaft,
denn das Wochenende war ihm heilig. Da machte er
andere Dinge. Hoffentlich kam dieser arrogante Laborleiter nicht
auf die Idee, so eine Sonderschicht auf den Termin zu legen, an
dem sich die Splitterherzen treffen würden.
Mit einem Gähnen wandte Casper sich ab und drehte der Stadt
den Rücken zu. Der Gestank in der Küche erschien ihm noch
unerträglicher als zuvor. Hier würde er keinen Bissen herunterbringen.
Er griff die Brötchentüte und nahm ein Stück eingeschweißten
Käse aus dem Kühlschrank. Die Milchpackung
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stand unverschlossen neben dem gefüllten Spülbecken, in dem
unappetitliche Essensreste schwammen. Misstrauisch beugte
Casper sich nach vorne, schnüffelte an der Öffnung des Tetrapacks,
um in der nächsten Sekunde zurückzuzucken. Er hatte die
Milch gestern nach dem Frühstück dort stehen gelassen, offensichtlich
hatte ihr die Übernachtung ohne Kühlung nicht gut
getan. Zerknirscht öffnete Casper den kleinen Hängeschrank, in
dem er die Vorräte aufbewahrte. Darin befand sich, hinter Nudelpaketen
und Fertiggerichten, ein Liter Orangensaft, den er missmutig
herausnahm. Seine Kochkünste waren begrenzt, aber
solange er weiter in der Mensa essen konnte, kam er ganz gut
über die Runden. Dass sein Studentenausweis vor fast zwei
Jahren abgelaufen war, schien bei der Essenausgabe zum Glück
niemanden zu interessieren. Offensichtlich sah er immer noch
aus wie ein Forscher, der über tiefsinnige Fragestellungen nachsann
und für den Nahrungsaufnahme deswegen von zweitrangiger
Bedeutung war. Von den Leuten, mit denen er das Studium
der Philosophie begonnen hatte, war längst keiner mehr da. Aus
diesem Grund saß Casper meist allein auf seinem Stammplatz
und beobachtete das bunte Treiben der jungen Menschen, zu
denen er niemals gehört hatte.
Als er mit den spärlichen Frühstückszutaten unterm Arm sein
Zimmer betrat, stellte Casper fest, dass dieses auch nicht wesentlich
besser aussah als die Küche. Seufzend deponierte er alles auf
der Matratze, deren fleckiges Laken eigentlich schon vor Wochen
gewaschen werden sollte. Zumindest hatte der desolate Zustand
des Raumes die Partygäste scheinbar davon abgehalten, sich dort
niederzulassen. Die Raumluft war zwar verbraucht, aber deutlich
erträglicher als der Geruch in der Küche. Kauend betrachtete
Casper die gegenüberliegende Wand. Im Widerspruch zu der
Unordnung, die sich mit der Zeit wie ein wild gemusterter Teppich
über sein komplettes Zimmer gelegt hatte, stach dieser
Bereich sofort ins Auge. Die vergilbte Raufasertapete war zum
größten Teil von Papierstücken bedeckt, die in gleichmäßigen
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Reihen angeordnet waren. Während etwa die Hälfte der Zettel
eine saubere Handschrift trugen, handelte es sich bei den anderen
Blättern um Computerausdrucke und vereinzelte Zeitungsausschnitte.
Seit einigen Monaten hatte sich an dieser Wand
nichts mehr verändert. Caspers Forschungen waren abgeschlossen,
und wenn er diesen Raum eines Tages aufräumen würde,
dann könnte das zusammengetragene Material endgültig verschwinden.
Casper brauchte Platz. Nicht nur an der Wand, sondern
auch in seinem Kopf.
Vor dem frühen Abend würde er das Bett nicht verlassen. Ein
innerer Antrieb, an diesem Tag überhaupt wieder aufzustehen,
war kaum vorhanden. Vielleicht warf er später noch einen Blick
in die Gruppe. An einem Sonntag war ab dem Nachmittag mit
einer Diskussion bei den Splitterherzen zu rechnen. Allerdings
fand Casper die Auseinandersetzungen darüber, wo ihr nächstes
Treffen stattfinden sollte, nur begrenzt interessant. Es war ziemlich
offensichtlich, dass einige Mitglieder die ganze Aktion
unnötig verkomplizierten. Sein Leben war bereits kompliziert
genug.
Schläfrig sah er auf den restlichen Käse und nahm einen Schluck
aus der Saftpackung. War es wirklich nötig, die Sachen jetzt
schon wieder in den Kühlschrank zu räumen? Er dachte an die
Milchpackung und erinnerte sich daran, dass sein Girokonto vor
ein paar Tagen ins Minus gerutscht war. In den nächsten zwei
Wochen würde er den Gürtel etwas enger schnallen müssen. Deswegen
konnte er sich keine weiteren verdorbenen Lebensmittel
erlauben. Obwohl seine Beine schwer wie Blei waren, schlurfte er
zum Kühlschrank. In der Küche war es unangenehm kalt, weil das
Fenster immer noch offen stand. Casper sah sich kopfschüttelnd
um. Er lebte in einem elenden Drecksloch. Daran bestand kein
Zweifel.
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Mit vor Aufregung geröteten Wangen sah Hanne in den bodentiefen
Spiegel, der eine komplette Seite des großzügigen
Ankleidezimmers einnahm. Die Seidenbluse in frischem Grün
betonte geschickt ihren gesunden Teint, die neue Jeans saß tadellos.
Prüfend betrachtete Hanne ihr Hinterteil, und die Freude
über vier verlorene Kilogramm ließ sie übermütig damit hin- und
herwackeln. Dann öffnete sie fröhlich summend eine Schublade,
in der sich ein umfangreiches Sortiment modischer Accessoires
befand. Für einen Sonntagsspaziergang in den Weinbergen sollte
der Gürtel nicht zu protzig sein. Nach kurzem Überlegen wählte
Hanne ein dunkelblaues Modell, bei dem das Designerlabel so
dezent angebracht war, dass nur Kenner es bemerkten.
Sie griff nach dem bunten Seidenschal, drehte sich nochmals um
die eigene Achse und fühlte sich wie ein Teenager. Ihre Tennisfreundinnen
erkundigten sich seit einigen Wochen regelmäßig
danach, welches Wundermittel für die auffallende Veränderung
verantwortlich war. Die Erklärung, dass die Wechseljahre sie endlich
aus dem hormonellen Klammergriff entlassen hatten und es
ihr deswegen plötzlich blendend ging, glaubten nur die Wenigsten.
Ein Großteil diagnostizierte hinter vorgehaltener Hand, der
Grund für diesen Wandel läge in der Überwindung ihrer Trauer,
in der sie fünf lange Jahre gefangen war. Hanne fühlte sich tatsächlich
wie befreit und lächelte so unschuldig wie möglich,
wenn die Nachfragen immer bohrender wurden und die Mutmaßungen
gefährlich nah an die Wahrheit herankamen.
Das Hüten von Geheimnissen fiel ihr leicht. Sie war eine Meisterin
der Illusion, wenn es darum ging, anderen Menschen eine
heile Welt vorzugaukeln. Diese Fähigkeit war nicht nur Basis
ihrer Ehe gewesen, die ein Vierteljahrhundert gedauert hatte
und niemals den Anschein erweckte, dass damit etwas nicht
stimmte. Auch das harmonische Familienleben mit drei Söhnen
war sorgsam inszeniert. Richard legte bis zum letzten Tag größten
Wert darauf, dass nur nach außen drang, was seinem
Ansehen als erfolgreicher Investment-Banker nicht schadete. Er
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war vielleicht nicht der perfekte Ehemann, aber er war der perfekte
Vertuscher, ein Verwischer von Spuren, ein Verdunkler
von Tatsachen, der sein wahres Selbst nie zeigte, wenn das
Scheinwerferlicht der Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet war. Wie
viele Geheimnisse Richard letztendlich mit in sein dunkles Grab
genommen hatte, konnte Hanne nur erahnen. Im Grunde ihres
Herzens war sie sogar froh, dass er so plötzlich aus dem Leben
gerissen worden war, ohne die Gelegenheit für eine letzte Beichte.
Entschieden gab Hanne der immer noch offenstehenden Schublade
einen kräftigen Stoß, mit dem sie die Bilder der Vergangenheit
vertrieb. Der eingebaute Dämpfer fing die kraftvolle
Bewegung ab, so dass nur ein kaum noch wahrnehmbarer Ton
entstand, als sich das Fach schloss.
Im Treppenhaus rief sie den Kater. Charles war nach dem Füttern
verschwunden. Es war anzunehmen, dass er sich wie üblich im
Atelier unterm Dach versteckte. Da Esther das Tier nicht mit in
die Klinik nehmen durfte, war der Kater in Idar-Oberstein geblieben
und zeigte sich seitdem als dankbarer Mitbewohner. Tagsüber
schlief er, außer wenn es etwas zu fressen gab. Nachts war
er ein freundlicher Gesellschafter, der die von Schlaflosigkeit
geplagte Hanne auf Schritt und Tritt begleitete. Bei den ausführlichen,
nächtlichen Telefonaten lag er bevorzugt schnurrend auf
ihrem Schoß und ließ sich genüsslich über das schwarze Fell
streicheln. Einziger Streitpunkt war die Regel, dass Charles das
Haus verlassen musste, wenn Hanne nicht da war. Selbst wenn
sie ihre Staffelei im Garten aufbaute, um draußen zu malen, trug
sie ihn eigenhändig heraus. Das weiche Lager auf dem Liegestuhl
ignorierend, saß er dann mit vorwurfsvollem Blick vor der verschlossenen
Terrassentür und stieß jämmerliche Laute aus.
Wahrscheinlich war er aus Angst, wieder einmal in den Garten
verfrachtet zu werden, ins Dachgeschoss geflüchtet. Hanne rief
ein zweites Mal seinen Namen, obwohl es unwahrscheinlich war,
dass ihre lockende Stimme Eindruck auf ihn machte. Wenn er
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nicht ständig etwas kaputt machen würde, sobald er alleine im
Haus war, hätte Hanne an diesem Sonntagmorgen Gnade walten
lassen. Aber bisher musste sie ihre Weichherzigkeit immer
wieder bereuen. Deswegen stieg sie nach kurzem, hoffnungsvollem
Warten die Treppe hinauf und sah sich suchend um.
Ihr Blick streifte das unvollendete Bild auf der Staffelei. Sie
betrachtete den kräftigen, dornigen Rosenzweig, an dem schwermütig
eine fast verwelkte Blüte in dunklem Weinrot hing, während
schräg dahinter eine neue Knospe zaghaft erste leuchtende
Farbe zeigte. Hanne plante, dieses Gemälde in der nächsten
Woche fertigzustellen. Doch sie wusste bereits, dass ihr der Mut
fehlen würde, ihm diese Arbeit zu zeigen. Dabei interessierte er
sich über alle Maßen für ihre Kunstwerke, wie er Hannes Bilder
voller Bewunderung nannte. Sie erläuterte gerne, woran sie
arbeitete, manchmal besprachen sie sogar Ideen für zukünftige
Projekte. Nur bei dem Rosenzweig machte sie eine Ausnahme,
denn die Botschaft des Bildes war viel zu offensichtlich. Im
Gegensatz zu den Menschen, die in ihren Werken nur belanglose
Pinseleien sahen, würde er verstehen, was mit diesem Arrangement
aus Vergänglichkeit und Neubeginn gemeint war. Er
wusste, dass Hanne den Drang, ihre Gefühle auf eine Leinwand zu
bringen, nur schwer bezwingen konnte. Fred würde auf den
ersten Blick wissen, was dieses Bild bedeutete. Die Aussage der
sterbenden Blüte, des sich lösenden Blattes, das nicht fallen
wollte, obwohl sein dunkles Rot schon in ein totes Braun überging,
würde ihm sofort ins Auge springen. Doch weil sie sich stillschweigend
darauf geeinigt hatten, die Augen vor der grausamen
Wahrheit zu verschließen, durfte er das Bild nicht zu Gesicht
bekommen.
Der Kater verkroch sich immer an der gleichen Stelle hinter dem
Sofa. Hanne schob ihm die Hände unter den Bauch und hievte das
schwere Tier ächzend über die Lehne.
»Entweder hörst du auf, dich da zu verstecken, oder ich setze
dich auf Diät.«
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Unbeeindruckt von den ärgerlichen Lauten, die Charles ausstieß,
trug Hanne den Kater bis auf die Terrasse. »Leg dich in die Laube.
Da ist es trocken. Futter habe ich dir auch hingestellt.«
Er würde wie immer nichts davon anrühren, stattdessen bis zu
ihrer Rückkehr beleidigt vor der Terrassentür ausharren.
Der Frühstücksraum war halbleer, als Esther müde an ihren Platz
schlurfte. Sie hatte weder Hunger noch Durst. Jedes Bedürfnis
wurde von einer bleiernen Müdigkeit überdeckt, die Esther nur
überwunden hatte, weil sie wusste, dass Paul zu Besuch kam.
Ansonsten wäre sie liegen geblieben. Am Wochenende konnte sie
sich das ausnahmsweise erlauben. Da wurde das Therapie-Korsett
ein wenig gelockert. An allen anderen Tagen befand Esther sich
unter Beobachtung, was beinhaltete, dass jegliche Abweichung
vom Behandlungsplan eine ausführliche Rechtfertigung erforderte.
Wenn sie nicht immer so entsetzlich müde wäre, hätte sie
sich schrecklich darüber aufgeregt. Aber dafür fehlte ihr einfach
die Energie.
Casper meinte, sie wäre hoffnungslos überdosiert. Na toll. Seit
mehr als drei Monaten erklärte sie nun schon, dass sie diese
Dreckspillen nicht schlucken wollte. Erst jetzt fiel endlich jemandem
auf, dass dieses Teufelszeug sie systematisch vergiftete, ihr
das Hirn verstopfte, so dass jeder Gedanke sich mühevoll durch
die Windungen quälen musste wie durch einen zähen Brei.
Leider war Casper der Einzige, der die Klinik mit ihren nervtötenden
Therapien nicht in den Himmel lobte. Hanne und Paul mussten
diesen Laden ja gut finden. Schließlich hatten sie Esther dazu
überredet, nach Bad Wildungen zu gehen. Plötzlich war keine
Rede mehr davon, dass es schön wäre, wenn die Klinik in ihrer
Nähe wäre. Alles drehte sich nur noch um das herausragende
Therapiekonzept und um die Vorteile, die damit verbunden
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waren. Warum merkte sie jetzt nichts von diesen Vorteilen?
Warum war es jetzt genauso, wie Esther es in ihren schlimmsten
Vorahnungen befürchtet hatte?
»Darf ich mich zu dir setzen?«
Träge hob Esther den Blick, der gedankenverloren auf ihren
Teller gerichtet war. Vor ihr stand der fette Friedhelm. Er verlagerte
sein spektakuläres Gewicht nervös von einem Fuß auf den
anderen, dabei sah er mit einer Mischung aus Hoffnung und
Angst zu Esther herunter.
»Willst du dir heimlich ein zweites Frühstück reinziehen?«
»Am Büffet stehen überall Spione.« Gierig sah er auf Esthers Tablett,
die augenblicklich bedauerte, dass sie sich nicht mehr auf
den Teller geladen hatte. Das Essen hier war wirklich gut. Zumindest
so gut, dass Paul es in den Katalog der entscheidenden
Klinikauswahlaspekte aufgenommen hatte. Leider verdarb das
ganze Drumherum Esther regelmäßig den Appetit. Aber Friedhelm
schien alles ausgezeichnet zu schmecken. Mit einem verschwörerischen
Grinsen schob sie ihr Frühstück auf die andere
Seite des Tisches, wo der korpulente Mann sich erleichtert
niederließ. Schweigend beobachtete sie, wie er damit begann das
Ei zu pellen, was aufgrund seiner bis aufs Nagelbett abgekauten
Fingernägel eine kleine Herausforderung war. Auf Friedhelms
Stirn und der wulstigen Oberlippe bildeten sich blitzschnell zahlreiche
Schweißtropfen. Esther wusste, dass die Angst, beim Essen
erwischt zu werden, ihm einen besonderen Kick gab. Natürlich
durfte sie diese heimliche Fresserei nicht unterstützen, aber
einerseits tat er ihr leid, andererseits gab es Esther einen
besonderen Kick, das hervorragende Therapiekonzept zu unterlaufen.
Friedhelm schob das komplette Ei in den Mund und sah Esther
dankbar an. Die kleinen Augen mit den hellen Wimpern erinnerten
Esther an ein Schwein. Wie alt war er wohl? Mitte zwanzig?
Oder wie Esther über dreißig? Das Übergewicht verzerrte seine
Gesichtszüge, machte es schwierig, das Alter einzuschätzen.
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Während ihr Gegenüber damit begann das Brötchen aufzuschneiden,
dachte Esther darüber nach, ob er schon einmal richtigen
Sex gehabt hatte. Sie selbst hatte definitiv viel zu lange keinen
mehr. Das lag wahrscheinlich auch an diesen elenden Pillen.
»Warum nimmst du für ein ganzes Brötchen nur eine Scheibe
Käse?« Friedhelms Stimme klang weinerlich.
»Schätzchen. Wenn du willst, dann hole ich dir noch eine.«
»Nein.« Ängstlich sah er sich um. »Das fällt auf. Können wir uns
zum Mittagessen wieder hier treffen?«
»Tut mit leid. Ich bekomme gleich Besuch. Zum Mittagessen gehe
ich dann aus.«
»Wer kommt? Der Vampir? Der Polizist? Oder die Queen?« Enttäuscht
sah Friedhelm auf das mager belegte Brötchen und
klappte es zusammen.
Esther verzog das Gesicht zu einem müden Grinsen. »Der Polizist.
Aber in Wirklichkeit ist er Zollbeamter.«
»Wo geht ihr essen? In einem Restaurant? In der Stadt gibt es
einen Griechen. Da kannst du dir die Reste einpacken lassen.«
»Paul entscheidet, wo wir hingehen. Ich weiß nicht, ob ich dir
dann etwas mitbringen kann.« Wahrscheinlich würde Paul sofort
dahinterkommen, dass das Essen nicht für sie selbst war. Schließlich
hatte sie ihm schon so oft von ihrer Appetitlosigkeit erzählt,
dass so eine Aktion ihn sofort misstrauisch werden ließ. Wenn er
herausbekam, für wen das Essen wirklich bestimmt war, dann
gab es nur unnötigen Ärger.
»Nächste Woche kommt wieder die Queen. Mit der kann ich zum
Griechen gehen und dann bestelle ich einen großen Grillteller
zum Mitnehmen.«
Bei der Aussicht sackte Friedhelms Mundwinkel nach unten, so
dass Esther freien Blick auf das halb zerkaute Brötchen hatte.
Angewidert drehte sie den Kopf zum Fenster, während sie weitersprach.
»Der Vampir kommt immer am ersten Wochenende im
Monat. Aber dann gibt es nur Pommes mit Ketchup.«
»Mit der Queen gehst du zum Griechen?« Die Hoffnung auf den
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Grillteller hatte sich scheinbar in Friedhelms Kopf festgesetzt.
»Klar.« Esther war sich sicher, dass Hanne ihr den Wunsch nicht
abschlagen würde. Genauso sicher war sie, dass Hanne nichts
dagegen hatte, wenn Esther Essen mit in die Klinik nahm. Zumindest
solange sie nicht verkündete, dass sie damit einen Fresssüchtigen
mästete.
»Der Vampir isst Pommes? Ich dachte, die brauchen nur frisches
Blut.« Kichernd griff Friedhelm nach dem Orangensaft, der auf
Esthers Tablett stand.
Mit verschwörerischem Blick beugte Esther sich über den Tisch
und flüsterte: »Die Pommes sind nur für mich. Casper saugt die
jungen Mädchen aus, die sich hinter der Pommesbude heimlich
zum Rauchen treffen.«
Sein feistes Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. »Bringst du
mir eine Currywurst mit, wenn er das nächste Mal mit dir da hingeht?
Macht nichts, wenn die kalt ist.«
»Klar.« Esther war immer wieder überrascht, dass es Leute gab,
die noch viel kaputter waren als sie selbst. Dann stand sie auf und
sah mit einem schiefen Lächeln auf Friedhelm herab. »Schönen
Sonntag noch.«
Der dicke Mann nickte ihr traurig zu, leckte an seinem Zeigefinger
und wischte damit die letzten Krümel auf dem leeren
Teller zusammen.
Das linke Auge zugekniffen, richtete sie die Kamera auf ihn. Auch
durch das Teleobjektiv sah er verboten gut aus. Cora zoomte sein
Gesicht noch ein Stück zu sich heran. Das verliebte Kribbeln in
ihrer Magengrube wurde stärker, je näher ihr sein Gesicht auf
dem Display erschien. Als sie es nicht mehr aushielt, drückte sie
auf den Auslöser.
Julius bekam von dem kleinen Fotoshooting nichts mit.
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Gedankenverloren schlenderte er über den Parkplatz des Waldrestaurants,
das er für ihr Treffen ausgewählt hatte, und sah sich
suchend um. Die Bank, auf der Cora Platz genommen hatte, stand
etwas abseits. So dauerte es eine Weile, bis er sie darauf entdeckte.
»Du hast deine Kamera mitgebracht.« Er strahlte sie an. »Was
hast du vor?«
»Nichts Besonderes.« Cora stand auf und ließ sich von ihm
umarmen.
»Dann komm mit.«
»Wohin? Ich dachte, wir gehen essen.«
»Bist du denn so ausgehungert?« Lachend zog er sie mit sich
einen Weg entlang, der vom Parkplatz aus in den Wald hineinführte.
»Wo ist deine Abenteuerlust? Hast du die zu Hause
gelassen?«
Ihr heimliches Verhältnis erschien Cora eigentlich schon abenteuerlich
genug. Aber diesem Mann mit den unternehmungslustig
funkelnden Augen folgte sie auch gerne in den Frühlingswald
– selbst mit leerem Magen.
Nach wenigen Minuten verließen sie den Hauptweg und bogen in
einen nach rechts abzweigenden Pfad ein. Julius schien genau zu
wissen, wohin er wollte. Mittlerweile war der Weg so schmal,
dass sie hintereinander herlaufen mussten. Die Mittagssonne ließ
das hellgrüne Blätterdach der mächtigen Buchen in unzähligen
Nuancen leuchten. Verzückt blieb Cora stehen und richtete ihre
Kamera nach oben. Sie würde dieses Bild mitnehmen – für die
Splitterherzen. Ein passender Spruch würde sich mit Julius’ Hilfe
bestimmt finden lassen.
Als sie den Blick wieder nach vorn richtete, war Julius auf dem
gewundenen Weg bereits hinter der nächsten Biegung verschwunden.
Schnell setzte sie sich in Bewegung, um ihm zu
folgen und erreichte nach wenigen Metern eine alte, steinerne
Treppe, die an einem Felsen entlang in eine Senke zu führen
schien.
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»Bist du da unten?«, rief sie.
»Ja. Komm runter. Aber sei vorsichtig. Es ist etwas rutschig.«
Die Stufen waren steil. Mit einer Hand suchte Cora an der
bemoosten Felswand Halt, mit der anderen hielt sie ihre Kamera
fest.
»Was ist da?«, fragte sie nach unten.
»Das musst du dir selbst ansehen.«
Der Anblick verschlug ihr für einen Augenblick den Atem. Julius
stand am Rand eines kleinen Sees, in dem sich das grüne Blätterdach
spiegelte. Das Wasser war außergewöhnlich klar, so dass
man an einigen Stellen bis auf den felsigen Grund sehen konnte.
Große Steine umrahmten die Wasseroberfläche in einer
ungleichmäßigen Linie, dazwischen wuchsen zartrosa Blumen,
die Cora nicht kannte. Sofort hob sie die Kamera, um die märchenhafte
Atmosphäre dieses Ortes einzufangen.
»Es ist fantastisch«, hauchte sie, während sie am Objektiv drehte.
»Ich dachte mir, dass es dir gefällt.« Aufmerksam beobachtete
Julius eine Weile, wie Cora fotografierte. Dann ging er zu ihr
hinüber und nahm ihr mit sanfter Gewalt die Kamera aus der
Hand, die sie nur widerstrebend hergab.
»Was soll das. Ich dachte, deswegen sind wir hier?«
Julius schmunzelte, als er die Andeutung einer Zornesfalte zwischen
Coras Augenbrauen entdeckte. »Keine Sorge. Du bekommst
sie gleich zurück.« Dann ging er ein paar Schritte rückwärts und
richtete die Kamera auf Cora.
»Was machst du da?«
»Ein Bild von dir.«
»Wofür?«
»Für mich.«
»Ach komm.« Verlegen sah Cora zu Boden.
»Schau nach links, nicht nach unten.«
Nachdem er sie an diesen verzauberten Ort geführt hatte, wollte
sie ihm seine Bitte nicht abschlagen. Dabei ließ sie sich ausgesprochen
ungern fotografieren.
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»Das war es schon.« Zufrieden senkte Julius das Objektiv, um das
Display zu kontrollieren, und kam auf sie zu. »Siehst du.« Er hielt
ihr den kleinen Monitor hin, damit sie das Bild ebenfalls begutachten
konnte. »Was sagst du?«
Cora sah sich selbst – lächelnd, ihre Augen strahlten. Das Blaugrün
des Felsensees spiegelte sich in ihnen wider.
»Und?«, fragte er neugierig. »Gefällt es dir?«
»Es ist eines der schönsten Bilder, das jemals von mir gemacht
wurde.« Sie sah zu ihm hoch. Nun glänzten auch seine Augen
blaugrün. Bevor er etwas erwidern konnte, versiegelte sie seine
Lippen mit einem Kuss.
Ende des 1. Kapitels
Lesen Sie »Kein Herz ohne Zweifel« als eBook oder Taschenbuch.
Beide Splitterherzen-Romane sind bei Amazon erhältlich.
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Splitterherzen
Lesen Sie, wie alles begann.
Anna S. Bastian
Kein Herz
ohne Splitter
Roman
324 Seiten
ISBN 978-1517556013
»Cora kommt von
Herz«, flüstert er ihr
zu. »Du hast ein
gutes Herz, und ich
bewundere dich für
das, was du hier
tust.« Behutsam
nimmt er ihre Hand
und zieht sie leise
mit sich aus dem
Raum.
Dabei steckt in Coras Herz seit einiger Zeit ein schmerzhafter
Splitter. Ihr neues Leben als alleinerziehende Mutter verläuft
nach der Trennung viel zu selten harmonisch. Auf den
gutaussehenden Julius hätte sie sich vielleicht eingelassen, wenn
die äußeren Umstände nicht so ungünstig wären. So verbringt sie
ihre Zeit aber lieber mit diesen virtuellen Freunden in der neuen
Facebook-Gruppe. Bei ihnen fühlt sie sich gut aufgehoben. Das
liegt nicht zuletzt daran, dass diese Menschen ebenfalls ein
beschädigtes Herz haben.
»Kein Herz ohne Splitter« ist die einfühlsame Geschichte vom
Aufeinandertreffen virtueller und realer Welten. Sie zeigt, was
Freundschaften, die über das Internet entstehen, bewirken
können und dass die große Liebe manchmal erst aus der
Entfernung zu erkennen ist.
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