ANDY WARHOL - Bilder des Gengenbacher Adventskalenders / Deutsche Ikonen
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Drittens: Bekannt ist vor allem seine<br />
kindliche Freude am Spielen, Entdecken<br />
und Sammeln, und so kann man sicher<br />
sein: Dieses spezielle „Medium“ mit seiner<br />
additiven „Performance“ wäre ihm zupass<br />
gekommen. Da er mit seinem berühmten<br />
Mona-Lisa-Bild behauptet: „thirty is<br />
better than one“, hätte er vielleicht Engel<br />
geschaffen, gleich 24 identische oder<br />
farblich variierte: „24 ist better than one“!<br />
Die Repetition <strong>des</strong> Figurenschmucks am<br />
Rathaus selbst läge natürlich auch nahe.<br />
In Anlehnung an die Serie seiner Dollar-<br />
Noten könnte man sich schließlich eine<br />
Sammlung von angebissenen Äpfeln vorstellen:<br />
Die Huldigung einer jungen Ikone<br />
<strong>des</strong> medialen Zeitalters.<br />
Viertens: Den Rahmen für die 24 Fenster-<br />
Motive gibt die adventlich veränderte<br />
Fassade <strong>des</strong> Rathauses. Sie ist, wie auch<br />
die Hintergründe der entsprechenden<br />
Katalogseiten, von der Ornamentik <strong>des</strong> Art<br />
déco abgeleitet. Zusätzlich wird die stilisierte<br />
Darstellung floraler Motive ergänzt<br />
durch eine Fülle von versteckten Figuren.<br />
Warhol war ein passionierter Sammler von<br />
Art déco, und die Wertschätzung dieser<br />
Stilepoche überrascht nicht.<br />
EINE FANTASTISCHE<br />
BILDERGESCHICHTE<br />
„Alles ist schön“, war Andy Warhols Motto.<br />
Besonders schön und ganz sicher immer<br />
noch in seinem Sinne sind nun die 24<br />
Fenstermotive, die hier für drei Jahre ihren<br />
großen Auftritt haben. In enger Abstimmung<br />
mit der Warhol Foundation in den<br />
USA konnte nach jahrelanger Vorarbeit<br />
eine Auswahl von Motiven aus den 1950er<br />
Jahren getroffen und den Anforderungen<br />
von hinterleuchteten Fenstern angepasst<br />
werden. Nur wenige der ausgewählten<br />
Motive hatten vom Künstler bereits einen<br />
farbigen Hintergrund erhalten. Die anderen<br />
durften mit Zustimmung der Foundation<br />
farbig hinterlegt werden, damit sie in Verbindung<br />
mit der Hinterleuchtung ihre volle<br />
Magie entfalten können.<br />
Die Inhalte beziehen sich teils auf private<br />
Vorlieben, teils auf Aufträge aus der frühen<br />
Phase <strong>des</strong> gefragten Werbegrafikers und<br />
angehenden Weltstars. Bezaubernde Serien<br />
von Schuhen zeugen davon, während seine<br />
Katzen- Portraits auf die Tiere verwiesen,<br />
die seine Mutter in der Wohnung in großer<br />
Zahl versammelte.<br />
So zeichnet sich am <strong>Gengenbacher</strong><br />
Adventskalender eine fantastische <strong>Bilder</strong>geschichte<br />
ab. Warhols wundersame<br />
Wesen zwischen Engel und Amor, Tiere<br />
und Blumen, Akrobaten und Schuhe sind<br />
die Akteure. Diese tatsächlich weithin<br />
strahlende prominente Gesellschaft erfreut<br />
damit Hundertausende, noch gesteigert<br />
als multimediales Gesamtkunstwerk beim<br />
allabendlichen Ritual <strong>des</strong> Fensteröffnens,<br />
auf dem Adventsmarkt, vor den Kulissen<br />
warm aufscheinender Fachwerkhäuser<br />
und in den Schau- und Staunräumen <strong>des</strong><br />
Museums Haus Löwenberg.<br />
Reinhard End<br />
Otmar Alt: Entwürfe für den ersten Adventskalender, 1996<br />
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