Quatsch oder Aufklärung?
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Die heute show in der ersten Jahreshälfte 2016<br />
diesen beiden Gestaltungselementen – Mini-<br />
O-Tönen und „Kacheln“ – hat die heute show<br />
eine typisches eigenes Design entwickelt, das<br />
außerordentlichen Fleiß erfordert. Der „Sichtungsapparat“<br />
(siehe Kap. 2.3) beschafft massenweise<br />
kleine Ausschnitte aus allen möglichen<br />
Magazinen, allerlei News-Sendungen und<br />
Dritten Programmen, und die Grafiker basteln<br />
an den „Kacheln“. In den 18 Sendungen des<br />
Beobachtungszeitraums gab es in der heute<br />
show insgesamt 408 kleine Einspielfilme und<br />
305 grafisch gestaltete „Kacheln“. Das sind in<br />
einer halbstündlichen Sendung durchschnittlich<br />
22,7 Einspielfilme und knapp 17 „Kacheln“.<br />
Schon aus diesen Zahlen ist ersichtlich, was<br />
diese beiden Elemente für den Zuschauer vor<br />
allem bewirken: Es sind Tempomacher, die<br />
für schnelle Abwechslung und große Pointendichte<br />
sorgen. In keiner anderen Sendung,<br />
die etwas mit Lachen, Humor <strong>oder</strong> Satire zu<br />
tun hat, geht es so schnell zu, folgen die Gags<br />
und Pointen dermaßen Schlag auf Schlag. Zu<br />
diesen 38 Elementen pro Sendung kommen ja<br />
noch Sketche, M<strong>oder</strong>ationen, Sprachwitze und<br />
Gesten des M<strong>oder</strong>ators hinzu. Die Sendung ist<br />
sehr dicht, darum aber auch besser geeignet<br />
als das Echtzeitfernsehen, um in anderen Kanälen<br />
– also Youtube, Facebook <strong>oder</strong> Twitter –<br />
in Einzelteile zerstückelt zu werden.<br />
Zunächst einmal sind beide Elemente –<br />
Kacheln wie eingespielte kurze O-Töne – vor<br />
allem antiautoritär. Wenn die Bundeskanzlerin<br />
Angela Merkel umständlich über das Reinheitsgebot<br />
beim Bier spricht, in einer Wahlkampfveranstaltung<br />
nicht richtig hinbekommt, das<br />
Ding, das ihr gerade geschenkt wurde, als eine<br />
„Fleischwurst“ zu bezeichnen, auf einer Karte<br />
die Bundeshauptstadt viel zu weit im Osten<br />
sucht <strong>oder</strong> am Ende einer Wahlkampfrede<br />
die Besucher auffordert: „Reden Sie mit sich<br />
selbst“ (11.3.), dann findet sich das umgehend<br />
in der heute show wieder. Respektlos werden<br />
die Mächtigen vorgeführt, kleine Schwächen<br />
werden hämisch ausgestellt. Malu Dreyer bekommt<br />
vor lauter Freude über den Wahlsieg<br />
das Wort „elektrisiert“ nicht hin, Thomas<br />
de Maizière spricht von „mein kollegischer<br />
Schwede“ und der AfD-Spitzenmann Uwe Junge<br />
verhaspelt sich so vollständig, dass ihm als<br />
„Kachel“ gleich das Etikett „Stammelfleisch“<br />
aufgeklebt wird.<br />
Wie beim „Stammelfleisch“ gibt es bei den<br />
„Kacheln“ immer wieder leichte Lautverschiebungen,<br />
die ein kindliches Lachen über Äquivokationen<br />
(Mehrfachbedeutungen) evozieren.<br />
Es lacht, wer das Konstruktionsprinzip verstanden<br />
hat.<br />
Zusammen werden Angela Merkel und<br />
Erdogan abgebildet – mal mit „Merci, ich<br />
danke dir“, mal wird sie „zwangsverheiratet“,<br />
mal heißt es: „Visa – die Freiheit geb ich dir.“<br />
Die Bundeskanzlerin komme dem türkischen<br />
Herrscher zu sehr entgegen, unterwerfe sich<br />
ihm, handele opportunistisch, wird so insinuiert<br />
und visualisiert. All dies gerne mit dem<br />
aus Werbeslogans bekannten, populären<br />
Vokabular.<br />
Angela Merkel wird als Hulk dargestellt, als<br />
„Mauerblümchen“ tituliert und in entsprechender<br />
Montur als „Aus-Puff-Mutter“ verulkt. Isoliert<br />
betrachtet sind dies nur Beschimpfungen,<br />
tatsächlich aber stehen sie in einem Kontext.<br />
„Mein kollegischer<br />
Schwede“<br />
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