LaVida-Januar-April-2012
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geboten, in dem er sich erleben kann in allen<br />
möglichen, vielleicht bis dahin nicht gewagten<br />
Gefühlen, er darf seine Verletzlichkeit spüren und<br />
u.U. zum ersten mal die Erfahrung machen, dass<br />
ihm wirklich zugehört und er angenommen wird.<br />
Es ist, als würde ich Stück für Stück “meine Seele<br />
freischaufeln“, freischaufeln von dem Zeugs, welches<br />
sich jahrzehntelang aufgehäuft hat und mir<br />
die Luft zum Atmen nimmt, mich nicht mehr vertrauen<br />
lässt auf mich selbst, mir ständig signalisiert,<br />
dass ich “es nicht kann“, mich sabotiert.<br />
Im Gegenzug wird es möglich, herauszufinden,<br />
was ich eigentlich will in diesem Leben, was<br />
meine Vision ist und wie ich sie erreichen kann,<br />
was meine Ressourcen sind und meine Kraft; ich<br />
spüre und erlerne Mitgefühl, darf beginnen zu<br />
blühen, darf so sein, “wie Gott mich gemeint hat“<br />
(Dostojewski).<br />
Wenn dann mein Ziel oder meine Ziele erreicht<br />
sind, lebe ich weiter bis ich evtl. wieder an einen<br />
Punkt komme, an dem ich Unterstützung brauche<br />
auf meinem Weg. Ich möchte das klar verstanden<br />
wissen: daran ist nichts Schlimmes, nichts<br />
Ehrenrühriges. Es ist eine komische Idee, dass<br />
wir in unserem Leben schon irgendwie alleine<br />
klarkommen sollten und dass es als ein Zeichen<br />
von Schwäche gilt, sich Unterstützung und Hilfe<br />
zu holen (nach dem Motto “Oh jeh, ich brauche<br />
einen Psycho, sonst komm ich nicht klar...“). Wir<br />
sind zutiefst soziale Wesen (siehe dazu auch die<br />
Publikationen von Joachim Bauer) und als solche<br />
finden wir Erfüllung in der Unterstützung des Du<br />
und im Bekenntnis der Bedürftigkeit. Dass das<br />
immer weniger “populär“ ist trägt sicherlich viel<br />
dazu bei, dass es in unserer Welt immer mehr<br />
Vereinzelung und Einsamkeit gibt (und: Vereinzelte<br />
und Einsame sind leichter zu lenken als gesunde,<br />
verbundene Organismen aus vielen Teilen).<br />
Spiritualität<br />
In der spirituellen Arbeit geht es um anderes. Es<br />
geht nicht notwendigerweise darum, das persönliche<br />
Leiden zu lindern oder gar abzuschaffen, es<br />
geht darum, es zu transzendieren. Was das bedeutet?<br />
Nun ich verstehe das so, dass ich meinem<br />
Leiden niemals wirklich entgehen kann (Buddha:<br />
Alles Leben ist Leiden), aber dass ich lernen kann,<br />
meinen Fokus auf anderes, wichtigeres zu richten.<br />
Ich benutze also meine Energie nicht dazu, mich<br />
in erster Linie zu heilen, sondern dazu, anderen zu<br />
helfen und für sie da zu sein (und bitte vorsichtig<br />
hier: Ich spreche nicht über “Märtyrer“, über Men-<br />
schen die alles Mögliche für alle möglichen anderen<br />
tun und sich dabei vergessen und desillusioniert<br />
und gramgebeugt durchs Leben schleichen).<br />
Es handelt sich um einen völlig anderen Kontext,<br />
aus dem heraus wir leben können. Es ist weniger<br />
der Kontext, “alles ist möglich!“, es ist eher der<br />
Kontext “was ist möglich?“, weniger “mein Wille<br />
geschehe!“ als “dein Wille geschehe!“, weniger<br />
“was kann ich für mich haben?“ sondern eher<br />
“was kann ich zur Heilung der Welt beitragen?“<br />
Tiefe Spiritualität wird immer pflegen, erhalten<br />
und aufbauen und nie zerstören oder zerstückeln,<br />
sie wird immer als alles verbindende Kraft die Liebe<br />
sehen und nicht den persönlichen Vorteil und<br />
sie wird dich bewegen, alles was zu dir kommt<br />
als Lernschritt, als Herausforderung zu sehen und<br />
nicht als Verdammnis oder das Ende aller Tage.<br />
Einer der es wissen muss, sagte mir einmal: “Bevor<br />
du beginnst spirituelle Arbeit zu tun, bist du<br />
nur für dich persönlich verantwortlich. Wenn du<br />
jedoch auf diesen Zug aufsteigst, wirst du schnell<br />
merken, dass du für alles verantwortlich bist, was<br />
auf der Welt geschieht, sogar wenn es tausende<br />
von Kilometern weit weg geschieht“. Das war eine<br />
Information, von der ich damals nicht so genau<br />
wusste, ob ich sie haben wollte...<br />
Gurdjieff, ein spiritueller Lehrer in den 30 Jahren<br />
des letzten Jahrhunderts hatte die interessante<br />
Idee, dass Menschen mit einer vergleichsweise<br />
kleinen Seele geboren werden und erst im Laufe<br />
ihres Lebens durch das, was sie tun (oder auch<br />
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