08.12.2012 Aufrufe

Antony Gormley - Weltkunst

Antony Gormley - Weltkunst

Antony Gormley - Weltkunst

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

über die lastende Schwere des Materials – eine geheimnisvoll<br />

melancholische Aura. Frei von Bindungen an Zeit, Ort und kulturell-gesellschaftliche<br />

Maßgaben – sie zeigt sich stets nackt und<br />

bloß – verbindet sich der Ausdruck des Essentiellen mit dem des<br />

Unnahbaren, der des meditativ Sinnenden mit dem der leblosen<br />

Hülle. <strong>Gormley</strong>s Figuren zeigen nicht das Selbst des Künstlers,<br />

sondern das Negativ einer körperlichen Präsenz und seiner Befindlichkeiten.<br />

Und, das ihnen immanente Prinzip des Dualistischen<br />

weiterführend, lassen sie sich als Zustand zwischen Materie<br />

und Geist (Teilhard de Chardin) begreifen.<br />

Reflexionen über das Leben<br />

Vorangegangen waren Arbeiten, für die <strong>Gormley</strong> Gegenstände<br />

mit Blei überformte. So sind in den drei Teilen von ›Fruits of the<br />

Earth (Früchte der Erde)‹ (1978/79) eine Pistole, eine Flasche<br />

und eine Machete eingeschlossen. Dies ist äußerlich durchaus<br />

noch nachvollziehbar, auch wenn sich ihre Formen unter den<br />

vielen Bleischichten anzugleichen beginnen. Doch dass die Flasche<br />

Wein enthält und der Revolver geladen ist, lässt sich nicht<br />

erahnen, ist aber für die Interpretation der Arbeit wesentlich. Sie<br />

kann entweder als Metapher für das Überleben im Dschungel<br />

der Kunst gelesen werden oder, wenn man die Formen als<br />

Früchte wahrnimmt, die von den Gefahren der Zivilisation in<br />

ihrem Inneren bedroht werden, unter dem großen Thema der<br />

Beziehung zwischen Kultur und Natur.<br />

Dass die drei gleichen Bleikörper von ›Land, Sea and Air I<br />

(Land, Meer und Luft I)‹, (1977-79; Abb. 16) die drei Elemente<br />

Erde/Stein, Wasser und Luft – Grundlage des Schöpfungsstoffes<br />

Lehm – in sich bergen, muss der Betrachter dem Künstler<br />

glauben. Der Stein hat die eiförmige Gestalt auch der anderen<br />

beiden Bleikörper bestimmt. Für <strong>Gormley</strong> ist dies eine logische<br />

Schlussfolgerung, da Wasser und Luft seine Erscheinung geprägt<br />

haben. Luft gehört fortan auch zum Material der Bleifiguren.<br />

In ›Three Bodies (Drei Körper)‹, (1981; Abb. 4) sind mit Hai,<br />

Felsen und Kürbis Zeichen für die Lebensformen Tier, Mineral<br />

und Pflanze gesetzt, doch das Innere dieser Umhüllungen ist<br />

mit Erde gefüllt, einer Substanz also, die alle drei als eine Art<br />

Urmaterie verbindet. Ist das Gemeinsame wesentlicher als das,<br />

was sie unterscheidet? <strong>Gormley</strong> konfrontiert uns mit der Polarität<br />

zwischen dem wesenhaften Inneren und dem formgebenden,<br />

gleichsam oberflächlichen Äußeren und regt so zum Nachdenken<br />

über die Beziehung von Natur und Kultur an. Der<br />

Bleimantel kann einerseits als Zeichen für die Beherrschung der<br />

Natur verstanden werden, denn durch ihn wird ungeformte Erde<br />

– in ›Land, Sea and Air‹ sind es Wasser und Luft‹ – einem formgebenden<br />

Willen unterworfen. Er kann andererseits aber auch<br />

als Schutz vor negativen Einwirkungen wie Strahlung verstanden<br />

werden. Bewahrung der Lebenssubstanzen ist ein Anliegen<br />

des ökologisch denkenden <strong>Gormley</strong>.<br />

6<br />

Seinen eigenen Körper setzte er erstmals 1980 bei der Arbeit<br />

›Bed (Bett)‹ ein. In einem achtundzwanzig Zentimeter hohen,<br />

wachsbeschichteten Podest aus Toastbrotscheiben sind die Negativformen<br />

seines Körpers zu sehen, die Vorderseite liegt parallel<br />

neben der Rückseite. ›Bed‹ entstand jedoch nicht als Körperabdruck,<br />

sondern in mühsamem Gestaltungsprozess: <strong>Gormley</strong><br />

hat die Formen aus dem Brot herausgegessen. Dahinter verbirgt<br />

sich ein vielschichtiges Konzept. Der Körper ist auf Nahrung angewiesen,<br />

er ist fähig, aus der Materie herauszuwachsen und von<br />

der physischen in eine geistige Präsenz zu wachsen. Die christliche<br />

Vorstellung »Dieses Brot ist mein Leib« ist wörtlich genommen.<br />

Doch <strong>Gormley</strong>s Spur von Leben, Nahrung und Wachstum<br />

impliziert auch eine Spur von Vergänglichkeit, die die Skulptur<br />

einmal mehr an Grabmalskunst gemahnen lässt. Das hier geläufige<br />

Hochrelief überträgt er in die Negativform des Tiefreliefs. Bei<br />

<strong>Gormley</strong> ist das Grabmal einem schnellen Verfall ausgeliefert.<br />

Kann sich der Geist nur so vom Körper befreien?<br />

Auch für ›Room (Raum)‹ (1978; Abb. 1) ging <strong>Gormley</strong> von sich<br />

selbst aus, auch hier wird Zerstörung zur Neuschöpfung. Er zerteilte<br />

das, was er anhatte – Socken, Hose, Shirt, Pullover,<br />

Hemd, Jacke, Schuhe – in schmale Streifen, knotete diese aneinander<br />

und spannte die Schnur so um die vier im Raum aufgestellten<br />

Pfosten, dass eine zaunartige Begrenzung entstand.<br />

Aufgelöst und nicht mehr als seine Kleidung erkennbar, bleibt<br />

der Künstler an diesem markierten Ort dennoch präsent.<br />

Um 1980 gestaltete <strong>Gormley</strong> häufig mit vorgefundenen Materialien,<br />

beginnend 1978 mit ›Breadline (Brotlinie)‹. Der Verfall des<br />

Brotes, dessen Vergänglichkeit dem gefestigten Zustand der<br />

Bleiumhüllungen spannungsvoll zur Seite steht, ist Teil seines<br />

Konzeptes. Während er hier auf Künstler wie Dieter Roth referiert,<br />

kommen bei Arbeiten wie ›Flat Tree (Flacher Baum)‹ (1978)<br />

Richard Long und Carl Andre in den Sinn: ein Baumstamm ist in<br />

dünne Scheiben zerlegt und spiralförmig auf dem Boden ausgelegt<br />

– der Baum wird zu einer »Skulptur als Platz« (Andre). Mit<br />

der Blei-Arbeit ›Seed IV (Samen)‹ (1989/93) wiederum bezieht<br />

sich der kunsthistorisch bewanderte <strong>Gormley</strong> auf die Haufen<br />

Rainer Ruthenbecks.<br />

Körper und Geist<br />

All diese Arbeiten sind entweder von der Erfahrung des eigenen<br />

Körpers geprägt, wobei die Beziehung von Körper und Geist im<br />

Vordergrund steht, oder zielen auf ein Ordnen der umgebenden<br />

Natur. Sie sind von einem Kunstverständnis geleitet, das den<br />

Herstellungsprozess in Analogie zum Naturprozess miteinbezieht.<br />

Body- und Land-Art finden einen Widerhall.<br />

Das Abnehmen der eigenen Körperformen mit gipsgetränkter<br />

Gaze erinnert ferner an die altägyptische Mumifizierung, die aus<br />

dem Bedürfnis heraus entwickelt wurde, den Körper als Sitz des<br />

Geistes zu erhalten. Einmal mehr kommt die Dualität von Körper

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!