Wirtschaftszeitung_05122016
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12 BRANCHEN<br />
„Die me<br />
Die Gebrüder Wessels aus Vred<br />
aller Herren Länder, umsich<br />
Drei Dinge braucht ein erfolgreicher<br />
Geschäftsmann: Ein qualitativhochwertiges<br />
Produkt, eine gute Marketingstrategie<br />
– und das nötige<br />
QuäntchenGlück. Georg Wessels hat<br />
gleich alle drei Voraussetzungen<br />
mehr als erfüllt. Und es damit vielleicht<br />
durch die Spezialisierung als<br />
Schuhhaus für Übergrößen zur schillerndsten<br />
Figur der Schuhmacher-<br />
Zunft gebracht.<br />
Riesengroße Bilder von imposanten Begegnungen, die Georg Wessels bereits hatte, hängen als Erinnerung in den neuen Geschäftsräumen. Die linke Fotografie<br />
zeigt Sultan Kösen, den mit 251 Zentimetern Körperlänge größten lebenden Menschen der Welt.<br />
Fotos: Susanne Menzel<br />
Wobei Wessels selbst<br />
von Beruf gar kein<br />
Handwerker ist: „Wir<br />
sind zwar der drittälteste<br />
Betrieb in Vreden,<br />
unsereFamilie betreibt das Geschäft<br />
seit 1745, aber ich selbst habe nichts gelernt“,<br />
so Wessels zu seiner Vita. Nicht,<br />
weil er nicht wollte, sondern weil er<br />
durch den Toddes Vaters sein Studium<br />
abbrechen und in den Betrieb einsteigen<br />
musste. „Ich bin ins kalte Wasser gesprungen“,<br />
sagt der Geschäftsführer der<br />
Wessels GmbH. „Ich bin zwar in der<br />
Werkstatt bei meinem Vater und Großvateraufgewachsen<br />
–habe aber halt nur<br />
zugeschaut, nie selbst gefertigt.“<br />
Und so einigtesich GeorgWessels mit seinem<br />
Bruder Peter auf Arbeitsteilung:<br />
Georgwar für Ein- und Verkauf sowie die<br />
Buchhaltung zuständig, Peter als Schuhmacher-<br />
und Orthopädiemeister für die<br />
handwerkliche Seite. Der eine im Vorder-,<br />
der andere imHintergrund.<br />
Eine klare Rollenverteilung, die jeder<br />
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Ausbac<br />
Eintrag ins „Guinness-Buch der<br />
Rekorde“ ist Jahr für Jahr ein Ziel<br />
Der anfängliche PR-Gag ist für Georg Wessels längst zu einer Lebensaufgabe geworden.<br />
Eigentlich ist meine Lebensgeschichte–<br />
und damit verbunden<br />
die Geschichteder Firma<br />
in den letzten Jahrzehnten –<br />
aufgebaut auf einer Reihe<br />
von Zufällen. Gerade in unserer elften<br />
Generation hat sich stets Neues ergeben“,<br />
spricht Georg Wessels gerne von einer<br />
„Fügung des Schicksals“.<br />
Der Vaterhabe schon 1952 ersteKontakte<br />
zum damaligen „Riesen vonAmsterdam“<br />
geknüpft: „Er hat ihn zum Vredener<br />
Stadtfest eingeladen. Da hat ein Riese<br />
erstmals Schuhe vonuns bekommen. Wir<br />
warenseinerzeit noch eine kleine Manufaktur.<br />
Es gab vielleicht sechs Modelle<br />
Herrenschuhe, zehn mehr bei den Damen.<br />
In normalen Größen. Das war’s.“<br />
Schuhmaße ganz anderer Dimensionen<br />
habe er selbst dann als kleiner Junge in<br />
Obersdorf kennengelernt, erinnert sich<br />
der Vredener: „Ich wardorthingeschickt<br />
worden, weil ich klein und unterernährt<br />
war. Ich solltebei den Nonnen drei Monate<br />
lang aufgepäppelt werden. Mit Milch<br />
Für sein Schuhmuseum hat Georg Wessels auch eine Abteilung<br />
„Kitsch und Kurioses“ zusammengetragen.<br />
Relikte aus der Vergangenheit: Solche Werkzeuge und Maschinen waren früher in der<br />
Manufaktur im Einsatz.<br />
und Lebertran. Die Schwestern haben<br />
mich eines Tages mit in ein Museum genommen.<br />
Dort warenSchuhe so groß wie<br />
ein VW<br />
Golf ausgestellt. Das hat mich<br />
nachhaltig beeindruckt.“<br />
Einige Jahre später habe ihn der Vater<br />
dann mitgenommen in die Niederlande:<br />
„Er hatte erneut Schuhe für den Riesen<br />
hergestellt. Wir haben uns auf halbem<br />
Wege mit ihm getroffen. Als ich diesen<br />
großwüchsigen Menschen sah, war das<br />
noch einmal wie ein besonderer Wink.“<br />
Immer wieder sei er in den nächsten Jahren<br />
dann auf die ein oder andere Art mit<br />
Riesen konfrontiert gewesen. Mal wares<br />
eine persönliche Begegnung, mal eine<br />
Ausstellung, die er besuchte. Irgendwann<br />
hätte es „richtig klick“ gemacht: „Ich<br />
dachte, warum soll ich mich nicht auf<br />
Übergrößen spezialisieren. Anfangs hatte<br />
ich zudem als zweites Standbein noch<br />
Untergrößen im Kopf. Aber das habe ich<br />
schnell drangegeben. Groß- und kleinwüchsige<br />
Menschen hier zusammen im<br />
Geschäft –die Leute hätten sich an den<br />
Schaufenstern die Nasen platt gedrückt<br />
vor Neugierde. Dem wollte ich meine<br />
Kunden nicht aussetzen“, meint Wessels<br />
im Rückblick.<br />
Wasdann kam, sei „eine Aktion gewesen,<br />
die schon fast einem russischen Roulette<br />
glich: Ich habe Übergrößen produziert<br />
ohne zu wissen, wo ichdie Kunden dafür<br />
alle herbekommen sollte. Es hatten ja<br />
nicht auf einmal alle Vredener hier Riesenfüße.“<br />
Und wieder half ihm der Zufall<br />
weiter: „1981 hatte ich das Glück, dass<br />
Schmitz Cargobull einenGroßauftrag für<br />
Persien hier bauen sollte. Die persischen<br />
Lkw-Fahrer kamen nach Vreden gereist,<br />
um in die Technik eingewiesen zu werden.<br />
Und diese Männer zogen mit Taschen<br />
voller Geld durch die Stadt und<br />
kauften alles, was günstig war. Ich habe<br />
auf einen Schlag alle meine Schuhvorräte<br />
an sie veräußern können –und hattedamit<br />
genug Bares als Startkapital für die<br />
Übergrößen.“<br />
Ehemalige Geschäftsfreunde seines Vaters<br />
aus der Deutschen Schuhindustrie<br />
bekräftigten ihn in seinem Vorhaben:<br />
„Sie haben mir immer zur Seite gestanden.“<br />
Etwa, als Wessels versuchte, werbewirksam<br />
die Harlem Globetrotters mit T-<br />
Shirts zu unterstützen: „Die dachten, ich<br />
käme mit vielen US-Dollar, nicht mit<br />
Shirts und Schuhen. Natürlich wurde<br />
mein Wunsch abgelehnt. Ich bin wie ein<br />
begossener Pudel wieder nach Hause gefahren.“<br />
Heinz Neuen vom Deutschen<br />
Schuhinstitut sprach ihm Mut zu, einen<br />
anderen Wegeinzuschlagen: „Er empfahl<br />
mir einen Blick ins Guinness-Buch der<br />
Rekorde. Und gabmir die Anregung, dem<br />
größten Menschen der Welt ein paar<br />
Schuhe anzufertigen und zu schenken.“<br />
1984 kamGeorgWessels damit selber ins<br />
Guinness-Buch. „Beinahe wäre auch daraus<br />
nichts geworden. Der Bürgermeister<br />
oder der Stadtdirektor vonVredensollten<br />
bescheinigen, dass die Schuhe hier angefertigt<br />
worden waren. Diese Unterschrift<br />
wollten sie mir aber nicht geben“, grollt<br />
der Westfaleheutenoch. Gut, dass Heinz<br />
Neuen auch hier wieder väterlich zur<br />
Stelle war. Der Bucheintrag klappte. Und<br />
wirdbis heutevon dem Vredener Jahr für<br />
Jahr neu „erschustert“.<br />
Susanne Menzel<br />
Nachfolgerin: Georg W