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Auf der Autobahn<br />
Der weiße Mercedes Sprinter raste über die Autobahn. Nun ja, das nun wohl eher<br />
nicht, denn Tobias Harteisen war vieles aber sicher kein Raser. Der konservative<br />
Paleoanthropologe Tobias Harthausen fuhr mit etwas mehr als achtzig Stundenkilometer<br />
auf der Autobahn in Richtung München. Die A3 war wie <strong>im</strong>mer werktags gut befahren,<br />
eben eine typische Nord-Süd-Achse.<br />
Auf dem Beifahrersitz wippte sein Lebensgefährte Damian von Strahlen <strong>im</strong> Takt der<br />
Musik mit den Füßen und sein Kopf lehne entspannt an der Nackenstütze. Wie <strong>im</strong>mer<br />
trug der auffällige Mann <strong>im</strong> Auto, bei längeren Fahrten, keine Schuhe. Seine bunten<br />
Chucks lagen <strong>im</strong> Fußraum und seine bestrumpften Füße stütze er auf der Konsole unter<br />
der Windschutzscheibe ab. Aufreizend wackelten seine Zehen zu dem gerade laufenden<br />
Cher-Song.<br />
Mit einem kleinen Lächeln sah Tobias hinüber und amüsierte sich über das glückliche<br />
und entspannte Gesicht seines Partners. Die letzten Monate waren stressig gewesen, ein<br />
Termin jagte den anderen und sie kamen nur selten zur Ruhe. Oft hatte Tobias das<br />
Gefühl, dass sie einfach zu wenig Zeit füreinander hatten. Daher freute es ihn ganz<br />
besonders, dass sich Damian dazu entschlossen hatte ihn auf dieser eher lästigen<br />
Geschäftsreise zu begleiten. Zwar stellte er sich die Ausstellung, zu der sie fuhren,<br />
spannend vor, aber trotzdem stand ihm eher weniger der Sinn nach dem aufwendigen<br />
Aufbau dieser Installation. Ja, anders konnte man es nicht nennen.<br />
Die Archäologische Staatssammlung in München wolle seine Neandertaler ausstellen.<br />
Tobias hatte sich gefreut wie ein Schneekönig, auch wenn man nicht wirklich von „seinen“<br />
oder wirklich von „Neandertalern“ sprechen konnte.<br />
Vor Monaten hatte ihm der Museumsleiter eine Fallstudie über einen<br />
Neandertalerfund zugewiesen und Tobias hatte dabei entdeckt, dass nicht nur<br />
Neandertaler und Neuzeitmenschen Beziehungen geführt hatten, sondern dass es bereits<br />
in der Steinzeit homosexuelle Paare gab. In der Kiste lag in Löffelchenstellung ein<br />
Männerpärchen und die Laborergebnisse ergaben, dass die beiden vor ihrem tragischen<br />
Erfrierungstod noch Geschlechtsverkehr hatten. Wie die Kinder, die man in der selben<br />
Höhle erfroren vorfand ins Bild passen, darauf konnte sich Tobias noch keinen Re<strong>im</strong><br />
machen. Intuitiv ging er davon aus, dass die beiden Männer entweder als Babysitter<br />
gedient hatten oder aber man ihnen nach irgendeiner Tragödie die Kinder zur Obhut<br />
überlassen hatte. Doch dies würde wohl <strong>im</strong>mer Spekulation bleiben.<br />
Doch jetzt wollten die Münchener eine ausgefallene 3D-Intallation <strong>im</strong><br />
Ausstellungssaal für Frühzeitmenschen aufbauen und dafür benötigten sie die Original-<br />
Mumien. Da das Paar gewissermaßen <strong>im</strong> Schlaf schockgefrostet wurde, blieben sie<br />
nahezu perfekt erhalten, etwa so wie seiner Zeit der berühmte Ötzi. Die Archäologen in<br />
der bayrischen Hauptstadt hatten einen großen Glaskasten konstruiert, um darin die<br />
beiden Mumien staub- und zugriffssicher unterzubringen. Dann sollte ein Zyklus in Gang<br />
gesetzt werden, bei dem sich erst das Glas verdunkelte und zeitgleich die Mumien auf die<br />
Oberfläche projiziert werden. Danach sollten sie Zeitraffer rückwärts wieder „lebendig“<br />
werden. Es sollte eine kurze Sequenz gezeigt werden, wie die beiden Männer miteinander<br />
den Tag begannen. Im Anschluss sollten sie sich wieder hinlegen und alles ging wieder