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paar Touristen, <strong>die</strong> offenbar früh von ihrer Wanderung zurückgekehrt waren, hatten sich<br />
um e<strong>in</strong>en Kle<strong>in</strong>bus versammelt. Das Wetter schien heute nicht für e<strong>in</strong>e Gipfelerklimmung<br />
geeignet zu se<strong>in</strong>. Der Himmel war grau. E<strong>in</strong>e dichte Wolkendecke hatte sich über den<br />
Spitzen der Berge ausgebreitet. Es roch jedoch nicht nach Regen. Oder sie überlegten, ob<br />
sie es heute noch wagen sollten. E<strong>in</strong> paar hatten ihre Rucksäcke geschultert und <strong>die</strong><br />
Laufstöcke <strong>in</strong> der Hand. E<strong>in</strong>ige weitere schienen sich nicht durchr<strong>in</strong>gen zu können, sich für<br />
den Abmarsch bereit zu machen. Volker parkte den Wagen vor dem »Zimmer frei«-Schild,<br />
stellte den Motor ab und blickte sich um. Die Reisegruppe diskutierte noch immer. E<strong>in</strong><br />
Mann nahm se<strong>in</strong>en Rucksack herunter und ließ ihn zu se<strong>in</strong>en Füßen s<strong>in</strong>ken. Volker<br />
überlegte sich, ob er den Motor anschmeißen, den Gang e<strong>in</strong>legen und e<strong>in</strong>fach wieder<br />
wegfahren sollte.<br />
In der Ferne h<strong>in</strong>ter der Reisegruppe war der See zu sehen. Volker wusste noch genau<br />
wie er aussah, mit dem Landesteg für kle<strong>in</strong>e Boote und den Ruderbooten. Jener Steg, von<br />
welchem er <strong>in</strong>s Wasser geworfen worden war. Er<strong>in</strong>nerungen kamen hoch. Die Nacht war<br />
lau gewesen. Sie hatten am Vortag e<strong>in</strong>en Sieg errungen und wollten feiern. Volker hatte<br />
sich nichts dabei gedacht und war den Jungs zum See gefolgt. Dass sie über ihn herfallen,<br />
ihn fesseln und ertränken wollten, hätte er niemals vermutet. Es waren zwar nicht se<strong>in</strong>e<br />
besten Freunde, aber allesamt normale Jungs gewesen, <strong>die</strong> nie auch nur e<strong>in</strong> böses Wort<br />
über ihn fallen gelassen hatten. In der Region hatte es auch wenig Gesprächsstoff über<br />
absonderliche Menschen gegeben. Es gab sie schlichtweg nicht. Entweder hatten sie sich<br />
versteckt oder fernab des wahren Lebens konnte ke<strong>in</strong> Mensch existieren, der nicht dem<br />
Standard der abgelegenen Gegend entsprach. Volker war sich auch so manches Mal wie<br />
e<strong>in</strong> Unikat vorgekommen. Wie e<strong>in</strong>e Fehlkonstruktion, e<strong>in</strong> Montagsteil, das von e<strong>in</strong>em<br />
launischen Schöpfer lustlos zusammengesetzt worden war, aber nicht so richtig <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />
Schablonen passte. Jetzt, zehn Jahre später fühlte er sich längst wie e<strong>in</strong> Mensch.<br />
Allerd<strong>in</strong>gs spürte er schon, wie das alte Gefühl <strong>in</strong> ihm aufbegehrte, Wurzeln schlug und<br />
sich wie e<strong>in</strong>e Ranke an se<strong>in</strong>em Selbstbewusstse<strong>in</strong> emporschl<strong>in</strong>gen wollte, um es<br />
irgendwann zu erwürgen. Bevor er auf dumme Gedanken kam, öffnete er <strong>die</strong> Fahrertür<br />
und ließ frische Luft here<strong>in</strong>. Umdrehen, den Schwanz e<strong>in</strong>ziehen und davonlaufen konnte<br />
er nicht mehr.<br />
Die E<strong>in</strong>gangstür g<strong>in</strong>g auf und e<strong>in</strong> Mann kam heraus. Er trug e<strong>in</strong> weißes Hemd, dessen<br />
Ärmel er bis zu den Ellbogen hochgekrempelt hatte. Dazu e<strong>in</strong>e schwarze Jeans, <strong>die</strong> ihm<br />
so eng an den Schenkeln klebte, dass er sie bestimmt mit der Kneifzange oder e<strong>in</strong>em<br />
Schuhlöffel ausziehen musste. Auf dem Rücken des weißen Hemdes prangte das Logo des<br />
Brenner-Wirts, gekrönt von der Skyl<strong>in</strong>e des Gebirges, das den See zum Norden h<strong>in</strong><br />
abgrenzte. Darunter war e<strong>in</strong> blauer Kr<strong>in</strong>gel abgebildet, der wohl den See darstellen<br />
sollte. Vom Alter her konnte es unmöglich der alte Brenner-Wirt se<strong>in</strong>, denn der musste<br />
<strong>in</strong>zwischen <strong>die</strong> achtzig erreicht haben. War <strong>die</strong>s Joshua oder e<strong>in</strong>er se<strong>in</strong>er älteren Brüder?<br />
Zehn Jahre konnten e<strong>in</strong>en Menschen ziemlich verändern.<br />
Volkers Herz begann schneller zu schlagen. Ihm wurde auf e<strong>in</strong>mal immens warm.<br />
Se<strong>in</strong>e Hände wurden zittrig. Er krallte sich am Lenkrad fest, <strong>in</strong> der Hoffnung, <strong>die</strong><br />
Aufregung <strong>in</strong> ihm niederkämpfen zu können. Der Mann marschierte nur e<strong>in</strong>en Meter vom<br />
Auto entfernt an ihm vorbei, ohne <strong>die</strong> Person am Steuer zu bemerken und g<strong>in</strong>g direkt auf<br />
<strong>die</strong> Reisegruppe zu. Als sie ihn sahen, kamen e<strong>in</strong> paar näher und wenig später war e<strong>in</strong><br />
hitziges Gespräch entstanden. Dies gab Volker Gelegenheit, aus dem Wagen zu steigen,