Inside Iran
Drei Bayern auf Sinnsuche im Iran: Der eine will Frieden schließen mit seiner Vergangenheit, der andere zu körperlicher Höchstleistung zurückfinden, der dritte landläufige Vorurteile überprüfen.
Drei Bayern auf Sinnsuche im Iran: Der eine will Frieden schließen mit seiner Vergangenheit, der andere zu
körperlicher Höchstleistung zurückfinden, der dritte landläufige Vorurteile überprüfen.
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INSIDE
IRAN
A project about three
perspectives of Iran
INSIDE
IRAN
Drei Bayern auf Sinnsuche im Iran: Der eine will Frieden schließen mit seiner Vergangenheit, der andere zu
körperlicher Höchstleistung zurückfinden, der dritte landläufige Vorurteile überprüfen.
Raus, bloß raus aus dieser Stadt!
Unser Hotel liegt gleich gegenüber des Mehrabad
International Airports. Nach einer kurzen, ersten
Nacht erblicken wir vom 4. Stock aus die Mondlandschaft
im Norden Teherans. Unten, auf den Straßen
des 10-Millionen-Molochs, erwacht der Verkehr zum
Leben. Ein tückisches Gewusel! Die Iraner, scheint
es, fechten fahrend kleine Kämpfe aus. Ob wohl
Vorfahrt eine Form von Freiheit bedeutet, fragen
wir uns? Die Luft verdichtet sich schnell zu einem
stinkenden Sirup. Sogar hier oben ätzt der Smog in
der Nase.
den Brunnen von Puria Ravahis Vergangenheit steigen,
soll es hoch hinausgehen mit uns Dreien: auf
5.671 Meter, auf den Gipfel des Damavand, seines
Zeichens der höchste Berg Persiens. Dort hinauf geleiten
wird uns Mohammad, ein drahtiges Männlein
mit azurnen Augen, der uns samt Jeep am Hotel
abholt und sich mit lebensmüder Lässigkeit einfädelt
in das Teheransche Rallyegeschehen. Unsereins
krallt sich in die abgewetzten Sitze – abwechselnd
für die Mitreisenden und für die Unmengen teuren
Equipments betend.
Raus also, bloß raus aus dieser Stadt, wir werden sie
noch früh genug erkunden. Doch ehe wir tief, tief in
Drei Ziele, eine Reise
Was zur Hölle suchen drei Oberbayern zu diesen
unruhigen Zeiten in einem Land, das der ehemalige
US-Präsident George W. Bush auf seine berühmt-berüchtigte
„Achse des Bösen“ pinnte? Ein
Land, dessen Nuklearprogramm den Westen in
Panik versetzt; ein selbsternannter Gottesstaat, im
Namen Allahs. Nun, da Papier bekanntlich geduldig
ist, will einer von uns erkunden: Was ist dran an
den Schreckensberichten aus diesem Land, das in
einer fernen, glorreichen Vergangenheit zum Reich
Alexanders des Großen gehörte? Wie geht es den
Menschen? Wie leben sie? Wie denkt und fühlt
die Bevölkerung wirklich? Zu ihr will der Fotograf
Andreas Jacob auf Tuchfühlung gehen. Mit offener
Linse und offenem Geist.
Für Puria Ravahi bedeutet unsere Reise eine
Rückkehr. Seit 1980 in Bayern lebend, wurde der
„Exiliraner“ in Teheran geboren. Seine Mutter,
ursprünglich eine Rosenheimerin, hatte Purias iranisch
stämmigen Vater als Au-pair-Mädchen in Paris
kennengelernt. Der Mann studierte Maschinenbau
in der Stadt der Liebe und die Romanze mündete in
eine Hochzeit und in den Umzug nach Teheran – in
den „Roaring Sixties“ für eine deutsche Katholikin
keine große Nummer. „Der Iran war ein offenes,
gastfreundliches Land“, sind sich Purias Eltern einig.
Schon 1970 kommt Sepideh auf die Welt, Purias
Schwester, fünf Jahre später er selbst, der kleine
Stammhalter. Die vier, erinnert sich Puria, führen ein
friedliches und harmonisches Leben. Bis die islamische
Revolution anrollt. Der Ajatollah Chomeini
kehrt zurück, ruft die Islamische Republik aus und
die Familie muss fliehen. Sie lässt sich in Rosenheim
nieder, aus Puria wird, wie er es ausdrückt, der
„bayerischste Perser der Welt“. Heute, als anerkannter
Filmemacher, ist für ihn die Zeit gekommen,
seine Wurzeln zu erforschen.
Als dritter im Bunde will Thomas „Butchy“ Buttchereit
einen sportlichen Neuanfang wagen. Mein Gott,
was haben der Pilot und sein Körper nicht schon
geleistet? Als Teil eines Quartetts aus Abenteuersportlern
hat er sich durch die halbe Welt gequält:
Mit dem Bike bretterte er die Seidenstraße entlang
von Indien über China nach Pakistan; er durchquerte,
ebenfalls im Sattel, Äthiopien und Kirgistan;
oder stapfte mit Skiern und Pulka (ein bootsähnlicher
Schlitten) die Ostküste Grönlands hinauf. Was
da an Adrenalin und Kalorien umgeschlagen wurde!
Bis die Prioritäten begannen, sich schleichend zu
verschieben. Der Beruf forderte mehr und mehr Zeit
und Konzentration ein, eine Frau trat in sein Leben,
kurzum: Butchys gesamte Lebensstil änderte sich.
Der Überflieger entdeckte den Reiz von Ruhe und
Gemütlichkeit. Der Abenteurer ward zum Genießer;
der Sportler wurde träge; sein Körper legte fünfzehn
Kilo zu – jedoch nicht an Muskelmasse. Den
höchsten Vulkan Persiens mit Tourenskiern zu bezwingen,
soll Butchys furioses Comeback werden!
Plan B
Mohammad steuert Polour an, ein Kaff etwa 50
Kilometer westlich von Teheran. Am Rande des
Laar-Nationalparks und somit am Fuße des Mount
Damavand richten wir unser Ausgangscamp ein.
Im Sommer wagen nicht wenige von hier aus den
Aufstieg, im Winter sagen sich höchstens Fuchs und
Schneehase guten Tag.. Der „frostige Berg“
ist für extremen Wind und fiese Wetterumschwünge
bekannt. Trotzdem wollen wir ihm, an der Schwelle
zwischen Winter und Frühjahr, mit Tourenski an den
Kragen. Für das gesamte Unterfangen sind sechs
Tage eingeplant. Wir wollen uns ausreichend Zeit
gönnen, um uns auf der Schutzhütte auf 4.200 Metern
endgültig akklimatisieren und einen Ruhetag
einlegen zu können, ehe wir den Gipfel erklimmen.
Als wir uns im Basislager häuslich einrichten, ahnen
wir noch nicht, dass das Wetter andere Pläne mit
uns hat...
Am ersten echten Touren-Tag stapfen wir einsam
und verlassen auf 3.500, anderntags auf 3.900
Meter hoch. Das Akklimatisieren, es erweist sich als
hartes Brot. Schon bald brummen uns die Schädel.
Zur nächtlichen Entspannung heißen uns Betten
willkommen, kaum weicher als Beton. Immerhin,
Koch Hadchi kredenzt zartestes Lammfleisch, Linsen
und Reisgerichte mit Gewürzen aus Tausendundeiner
Nacht. Da grinst auch Butchy wieder, der nach
all den Jahren des Faulenzens gewaltig zu kämpfen
hat, sich aber wacker schlägt.
Collect moments,
not things.
Vom namensgebenden Frost des Damavand kann
bis dahin keine Rede sein. Ganz im Gegenteil: Die
für die Jahreszeit viel zu warme Sonne säbelt an
den endlosen Schneehängen, sodass wir am dritten
Tag die Tour abbrechen. Eine weise Entscheidung!
Nachmittags sehen wir eine gewaltige Lawine zu
Tale rollen. Macht nichts, finden Puria und Andreas,
ihr Film- und Fotomaterial wächst auch ohne Höhenmeter.
Neben der Landschaft lassen die Menschen
unsere Herzen höher schlagen. „Welcome
to Iran“, begrüßen uns die Einheimischen herzlich
und lachen uns an aus ihren zerfurchten, ledrigen
Gesichtern. Ein paar Schäfer laden uns gar ein, mit
Ihnen die Friedenspfeife zu rauchen. Schüchtern
fragen wir, ob es statt des Opiums nicht auch eine
Tasse Tee täte...
Schließlich siedeln wir um ins höchstgelegene
Camp auf 4.200 Meter. Kein Wasser, keine Heizung,
die Schlafstätten ungehobelte Stockbetten mit ein
paar Fetzen, die wohl Decken darstellen sollen. Zur
Müdigkeit gesellt sich am Morgen ein Gefühl, als
steckten unsere Köpfe in Schraubstöcken. Aspirin ist
das Nutella unserer stummen Frühstücksrunde. Der
Wetterbericht macht uns Sorgen. Wie es scheint,
bleibt uns genau ein Tag, dann schlägt das Wetter
um, an einen Aufstieg wäre nicht mehr zu denken.
Wir halten Kriegsrat und entscheiden: Scheiß auf
die Gewöhnungsphase – noch einmal schlafen,
dann wagen wir uns hoch!
Beißen oder aufgeben?
Noch vor dem ersten Morgengrauen starten wir.
Nur langsam kommen wir voran. Die letzten Tage
stecken uns in den Knochen, die ungemütlichen
Nächte. Irgendwann vergessen wir fast, Aufnahmen
zu machen. Im ruhigen Rhythmus unserer Schritte
knirscht der Schnee, unsere Schädel möchten explodieren,
der Puls klopft wie ein Vorschlaghammer.
Immer steiler wird das Gelände, der Boden ist eine
einzige Eisfläche. Und Butchy beginnt zu zweifeln:
Schaffe ich das? Seine Kraft schrumpft mit jeder
Spitzkehre, die er mangels ordentlicher Technik, zumal
auf den neuen, langen Latten, mehr schlecht als
recht hinter sich bringt. Schließlich spricht er es aus:
„Jungs, ich befürchte, das wird nicht’s.“ Da schaltet
sich Mohammad ein: Auf 5.000 Metern stimmt
unser Guide ein Lied an. Eine fröhliche Melodie, die
uns einerseits fluchen lässt – wirkt diese Munterkeit
doch fast wie Hohn – andererseits macht uns dieses
unermüdliche Männlein auch Mut. „Beißen, Männer,
beißen!“, keuchen wir uns zu.
Dann sind wir wirklich oben. Butchys Beine zittern,
als rasten Elektroschocks durch das Fleisch. Wir
schieben die Tränen auf den eisigen Wind, der
dichte Nebelschwaden vor sich her peitscht. So
richtig genießen können werden wir das alles erst
Zuhause, wenn wir auswerten, was unsere Kameras
eingefangen haben – falls wir es überhaupt so weit
schaffen. Eigentlich bräuchten wir eine ausgedehnte
Rast, doch Mohammad schüttelt den Kopf. Diese
Winde, prophezeit er, sind nur die Vorhut. Ein Sturm
zieht auf. Also heißt es, die Schmerzgrenze noch
weiter überschreiten! Wir beeilen uns, abzufellen,
uns umzuziehen und uns an die Abfahrt zu machen.
Wir mühen uns endlose Firn-Hänge hinunter. Anfangs
wie in Trance, klart der Kopf mit jedem Meter
auf. Das heruntergekommene High-Camp mutet
uns nach dieser Strapaze an wie ein Wellness-
Ressort.
Geister der Vergangenheit
Kontrastprogramm. Wir sind zurück in Teheran, wo
wir Purias Vater treffen. Auch Wahed Ravahi lebt
schon Jahrzehnte nicht mehr in seinem Geburtsland.
Doch lebte er lang genug hier, so hoffen wir,
um sich zu erinnern. Puria will die frühere Wohnung
seiner Familie finden. Der Zeitpunkt ist günstig, seit
sich unter Hassan Rohani die Gesetze für Exiliraner
gelockert haben. Vorher hätte Puria als Deutscher
kein Visum erhalten. Wäre er mit iranischem Pass
eingereist, hätte ihn das Regime zum Militärdienst
eingezogen – qua Geburtsrecht, das besagt: Einmal
Iraner, immer Iraner, ob du willst oder nicht!
Wahed, ein rüstiger 78-Jähriger, wundert sich, wie
sehr sich „sein“ Viertel verändert hat. Ganz Teheran
wucherte ja in den letzten 30 Jahren wie ein
Krebsgeschwür; aus zwei wurden zehn, manche
sprechen von 15 Millionen Bewohnern. Gleichzeitig
sind viele Häuser verfallen oder verschwunden, und
nicht zuletzt wurden alle Straßen, Plätze und Wege
umgetauft. Wird Purias Plan scheitern? Wahed
packt der Ehrgeiz. Zumal sich uns – durch das Labyrinth
der Großstadt spazierend – ihre verborgene
Schönheit offenbart: Die Überreste alter, arabischer
Baukunst; farbenfroh gekachelter Glanz und Gloria;
das Gefeilsche auf einem Bazar. Puria durchlebt ein
erstaunliches Phänomen: Er hört Menschen sprechen
und versteht sie zwar nicht, doch erkennt die
Worte wieder. Wahed indes quatscht fleißig Leute
an. Er konzentriert sich auf Altersgenossen, die
schon damals hier gelebt haben müssen, zu Zeiten
des Schahs.
Nach acht Stunden erwacht plötzlich Waheds
Erinnerung. Diese Häuser hat er doch schon mal
gesehen? Ist dies nicht der alte Gemüsemarkt?
Tatsächlich stehen wir vor Purias Geburtshaus – und
wir erleben das Wunder wahrer Gastfreundschaft.
Die früheren Nachbarn, sie leben noch an Ort und
Stelle. Das Hallo ist gewaltig. Selbstverständlich
haben wir einzutreten! Sofort dampft ein Teekessel,
die ganze Familie versammelt sich um uns, kredenzt
den obligatorischen Tee und fährt allerlei Süßkram
auf. Endlich geleitet uns dann eine laut plappernde
Entourage hinüber zur früheren Ravahi-Wohnung,
wo die neueste Nachmieterin vollstes Verständnis
zeigt für unser Vorhaben.
Also treten wir ein. Vater und Sohn atmen tief durch
und sehen sie sofort vorbeihuschen, die Geister
ihrer Vergangenheit. Ja, eindeutig! Dort, in dem
Zimmer auf der linken Gangseite, verstreute Puria
immer seine Spielsachen; und in jener Wohnzimmerecke
schmückte Sepideh den Weihnachtsbaum.
Wie wäre es mir wohl ergangen, fragt sich der
„Exil-Iraner“, wäre ich hier aufgewachsen? Welcher
Mann wäre ich heute? Hätte ich die Chance gehabt,
mich zu dem Freigeist zu entwickeln, der ich heute
bin? Wahed bestaunt indes den Wintergarten, den
er eigenhändig gebaut hat. Dass er intakt und gut
gepflegt ist, beglückt den alten Mann auf eine Weise,
die wohl nur versteht, wer selbst einst Haus und
Hof hinter sich lassen musste.
Die letzten Tage im Iran vergehen wie in glückseliger
Trance. Mohammad hat uns eingeladen, bei
seiner Familie zu wohnen, um von dort aus noch ein
wenig Land und Leute zu erkunden. Wir nächtigen
auf einem Lager aus Perserteppichen. Tagsüber bestaunen
wir zerklüftete Canyons, wilde Flüsse und
Hundertschaften von Iranern, die uns in schrottreifen
Kisten links und rechts auf den holprigen Serpentinen
überholen. Auch sie treibt es hinaus, aus
Teheran, zu gemütlichen Picknicken an der frischen
Luft. Ein ums andere Mal hören wir es noch, dieses
abgrundtief freundliche „Welcome to Iran“. Von
Feindschaft ist nichts zu spüren, nicht der Anhauch
von Argwohn begegnet uns – nur Lächeln. Und wir
lächeln zurück.
INSIDE
IRAN
Eine Dokumentation von
Thomas Buttchereit,
Andreas Jacob
und Puria Ravahi.
Protokoll: Christian Topel
Alle Bilder von
Andreas Jacob
Puria Ravahi
Thomas Butschereit
Special Thanks to
Mohammad Hajabolfath
www.MountainZone.ir
www.inside-iran.de