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Rolf von Siebenthal - Lange Schatten

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ROLF VON SIEBENTHAL<br />

Friedrich Reinhardt Verlag


Alle Rechte vorbehalten<br />

© 2016 Friedrich Reinhardt Verlag, Basel<br />

Projektleitung: Denise Erb<br />

Layout: Sandra Guggisberg<br />

Umschlaggestaltung: Bernadette Leus,<br />

www.leusgrafikbox.ch<br />

Titelbild: Collage unter Verwendung<br />

eines Bildes <strong>von</strong> Fotolia/borisb17<br />

ISBN 978-3-7245-2155-6<br />

www.reinhardt.ch


Für Tobias


1<br />

Mit drei Metern Abstand hinter Bundesrätin Kölliker<br />

schritt Emil Luginbühl am Montagmorgen durch die<br />

Herrengasse auf das Berner Münster zu. Er beobachtete<br />

Fussgänger, Paare beim Einkaufen, Handwerker<br />

beim Imbiss. Sein Blick glitt über die Sprossenfenster<br />

der historischen Gebäude. Immer wieder kontrollierte<br />

er die Lauben auf der linken Seite der Gasse, hinter<br />

jedem Pfeiler konnte ein Irrer lauern.<br />

Sechs Kilometer Lauben gab es in der Altstadt, ein<br />

sechs Kilometer langer Albtraum für ihn und seine<br />

Kollegen vom Bundessicherheitsdienst. Doch Luginbühl<br />

hatte Erfahrung. Seit elf Jahren bewachte er<br />

Magistraten aus dem In- und Ausland bei privaten<br />

oder beruflichen Anlässen.<br />

Bundesrätin Kölliker machte einen Schwenk um<br />

einen Brunnen und blieb dann vor der Buchhandlung<br />

Weyermann stehen. Sie kramte in einer Bücherkiste.<br />

Automatisch checkte Luginbühl die Umgebung ab –<br />

wie so oft zuvor. Zahlreiche Bundesräte hatte er<br />

betreut in all den Jahren: Leuenberger, Cortesi und<br />

Calmy-Rey zum Beispiel oder Mangold. Manche <strong>von</strong><br />

ihnen waren schwierig gewesen, andere weniger.<br />

Ursula Kölliker gehörte zu den einfachen Kundinnen,<br />

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deswegen mochte er sie. Die Vorsteherin des Finanzdepartementes<br />

zickte nicht herum wie andere.<br />

Herzverstand. Sie drehte das Buch um und las die<br />

Beschreibung auf der Rückseite. Im Schaufenster der<br />

Buchhandlung lagen ähnliche Titel: Spiritueller Optimismus,<br />

Heilsteine. Ob die auch Krimis verkauften?<br />

Mit dem Nesbö auf seinem Nachttisch würde Luginbühl<br />

bald durch sein. Nach einem Kapitel gestern<br />

Abend waren die Buchstaben vor seinen Augen verschwommen.<br />

Er musste sich eine stärkere Lesebrille<br />

besorgen.<br />

Kölliker legte das Buch in die Kiste und ging weiter.<br />

Eine korpulente Frau um die 40 kam ihnen entgegen:<br />

Kopftuch, schwarze Brille, Pflaster auf dem spitzen<br />

Kinn. Neben ihr lief ein alter Mann mit dunklem<br />

Bart, er trug einen Wollmantel. Bei 25 Grad im Oktober?<br />

Das Paar hielt vollgepackte Migros-Taschen in<br />

den Händen. Der Alte musterte die Bundesrätin <strong>von</strong><br />

Kopf bis Fuss, nickte dann aber freundlich beim<br />

Näherkommen.<br />

Die Bundesrätin grüsste höflich zurück.<br />

Luginbühl war froh, dass sie die Sicherheitsmassnahmen<br />

akzeptierte. Sie meldete Auftritte frühzeitig<br />

an und machte keine Extratouren. Da gab es ganz<br />

andere Kunden. Herrgott! Cortesi hatte ihn öfter zum<br />

Kaffeeholen geschickt. Oder die junge Mangold. Die<br />

bestand darauf, alleine Zug oder Bus zu fahren. Volks-<br />

8


nähe wollte sie damit demonstrieren. Luginbühl und<br />

seinen Kollegen bereitete die Frau schlaflose Nächte.<br />

Würde etwas passieren, bliebe es an ihnen hängen.<br />

Schnelle Schritte näherten sich <strong>von</strong> hinten, harte<br />

Absätze trafen auf das Kopfsteinpflaster. Mit einem<br />

Ruck drehte sich Luginbühl um. Eine junge Frau mit<br />

Kinderwagen kam auf ihn zu, überholte, schaute<br />

weder nach links noch nach rechts. Luginbühl reckte<br />

den Kopf. Im Wagen schlief ein Baby.<br />

Das wäre auch ein alter Trick gewesen. Dennoch<br />

liess sich nicht alles vorhersehen. Wie die Grossmutter<br />

vor drei Wochen. In Lausanne hatte sie sich dem<br />

Bundespräsidenten verzweifelt an den Hals geworfen,<br />

weil ein Gauner sie mit dem Enkeltrick um ihre<br />

Ersparnisse gebracht hatte. Wenn die ein Messer<br />

gehabt hätte …<br />

«Emil, wo seid ihr?» Lukas aus der Einsatzzentrale<br />

meldete sich in seinem Ohrhörer.<br />

«Herrengasse, gleich beim Münster», sagte Luginbühl<br />

in das kleine Mikrofon am Jackettkragen.<br />

«Verstanden.»<br />

Zwei Schritte vor Luginbühl bog die Bundesrätin<br />

auf den Münsterplatz ein. Vor ihnen ragte der 100<br />

Meter hohe Turm auf. Als sie am Portal vorbeigingen,<br />

bewunderte Luginbühl kurz die Figuren über dem<br />

Eingang. Das Jüngste Gericht.<br />

Genau so hatte Abteilungsleiter Meyer die letzte<br />

Besprechung inszeniert. Loswerden wollte der ihn.<br />

9


Nächstes Jahr könntest du in Pension gehen und deine<br />

Hobbys pflegen.<br />

Der konnte ihn kreuzweise. Mit 59 fühlte sich<br />

Lu ginbühl gesund wie ein Ochse, in den letzten 20<br />

Jahren war er keinen Tag krank gewesen. Doch Meyer<br />

hatte sich da<strong>von</strong> nicht beeindrucken lassen. Falls<br />

der ihn wirklich abschoss, würde Luginbühl wenigstens<br />

finanziell nicht darben. Er hatte vorgesorgt.<br />

Mit zügigen Schritten marschierte Kölliker über<br />

das Kopfsteinpflaster, er folgte ihr auf dem Fuss. Drei<br />

Schüler kickten sich einen Tennisball zu, er hoppelte<br />

über den weitläufigen Platz. Ihre Kollegen hatten<br />

sich zum Znüni vor dem vergitterten Portal niedergelassen.<br />

Die Bundesrätin bog um die Ecke, sie kamen in die<br />

Münstergasse. 20 Meter vor ihnen, an der Aussenmauer<br />

des Münsters, lehnte ein junger Kerl. Kurze<br />

schwarze Haare unter einer Baseballmütze, verspiegelte<br />

Sonnenbrille, Lederjacke. In der linken Hand<br />

hielt er eine Zigarette, die rechte steckte in der Jackentasche.<br />

Der Bursche stiess sich <strong>von</strong> der Mauer ab, kam<br />

auf die Bundesrätin zu. Er lächelte breit. Zu breit.<br />

Zwei Meter vor Luginbühl schritt Kölliker durch<br />

die Gasse, sie hielt den Kopf gesenkt und sah den Kerl<br />

nicht kommen.<br />

Luginbühl spürte ein Kribbeln im Nacken. Mit<br />

raschen Schritten überholte er die Bundesrätin und<br />

bildete ein Schutzschild zum Burschen.<br />

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Der hielt geradewegs auf sie zu. Und, verdammt,<br />

die Hand steckte immer noch in der Jacke.<br />

Luginbühl griff nach der Pistole im Halfter unter<br />

seinem Jackett.<br />

Der Kerl liess die Zigarette auf das Pflaster fallen,<br />

zog die rechte Hand aus der Jacke, streckte sie vor.<br />

«Hoi, Tante Ursi.» Die Hand war leer.<br />

«Alles in Ordnung, Herr Luginbühl», sagte Kölliker.<br />

Sie kam um ihn herum, ging auf den Burschen zu,<br />

übersah dessen ausgestreckte Hand und umarmte<br />

ihn. «Mark, schön, dass ich dich auch wieder mal<br />

sehe.» Sie hielt ihn auf Armeslänge fest. «Wie läuft es<br />

denn zu Hause?» Der Bursche zuckte mit den Schultern.<br />

«Ach, wie immer. Mami macht voll Stress wegen<br />

meiner Lehre. Sie will, dass …»<br />

Luginbühl atmete auf. Diskret zog er sich ein paar<br />

Schritte zurück.<br />

Eine Touristengruppe schlenderte vorbei, mit lauter<br />

Stimme erzählte die Reiseleiterin <strong>von</strong> der Grundsteinlegung<br />

des Münsters im Jahr 1421. Vier Lieferwagen<br />

standen vor den Lauben der Münstergasse in<br />

einer Reihe, ein fünfter quer dahinter an der Mauer<br />

des Münsters. Unablässig restaurierten Handwerker<br />

den alten Bau, sonst würde der früher oder später<br />

zusammenkrachen. Luginbühl schaute hoch zum<br />

Turm, den ein Metallgerüst verschandelte.<br />

Nochmals umarmte Kölliker ihren Neffen, dann<br />

strebte sie weiter durch die Münstergasse und<br />

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schwenkte in die Lauben der Junkerngasse ein. Ihre<br />

Stiefelabsätze klapperten auf den Steinplatten.<br />

Luginbühl beschleunigte seinen Schritt, bis er auf<br />

gleicher Höhe mit der Bundesrätin war. In 50 Meter<br />

Entfernung entdeckte er Urs, der vor dem Von-Wattenwyl-Haus<br />

Wache stand. Der Kumpel kam ihm<br />

gerade recht. Nach dem Sieg der Berner Young Boys<br />

gegen den FC Thun konnte Luginbühl gleich die<br />

Wettschulden eintreiben. Mit den zehn Franken würde<br />

er sich eine feine Bratwurst gönnen.<br />

Sie gingen auf das dunkelbraune Eingangsportal<br />

des Patrizierhauses zu, das der Bundesrat für Sitzungen<br />

und Empfänge nutzte. Luginbühl grinste Urs an,<br />

rieb vor seiner Nase den rechten Daumen und den<br />

Zeigefinger aneinander. Neben ihm knöpfte Ursula<br />

Kölliker ihren Mantel auf.<br />

Urs nickte ihnen zu, öffnete einen Flügel der Eingangstür.<br />

In dem Moment fühlte Luginbühl einen harten<br />

Stoss im Rücken, es krachte in der Junkerngasse –<br />

ganz klar ein Gewehr, ein grosses Kaliber.<br />

Die Bundesrätin schrie auf, mit einer Hand bedeckte<br />

sie den aufgerissenen Mund, Blutspritzer sprenkelten<br />

ihr Gesicht. Und sie deutete auf seine Brust.<br />

Luginbühl schaute an sich herab, sah sein Hemd<br />

rot werden, spürte einen irren Schmerz.<br />

Dann wurde alles schwarz.<br />

12


Ein Leibwächter stirbt, eine Bundesrätin überlebt.<br />

Auf den ersten Blick sieht alles nach einem missglückten<br />

Anschlag aus, doch Bundeskriminalpolizist Alex Vanzetti<br />

hat Zweifel. Als ein weiterer Mord geschieht, steigt<br />

die Nervosität in Bern. Während Vanzetti und seine<br />

Sonderkommission im Dunkeln tappen, bekommt die junge<br />

Journalistin Zoe Zwygart mysteriöse Botschaften. Sie<br />

weisen auf einen Serientäter hin. Auf der Jagd nach<br />

Exklusivgeschichten sucht sie den Absender, nicht ahnend,<br />

dass er jeden ihrer Schritte verfolgt ...

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