SPECIAL Dr. Rolf-Peter Lacher wollte unbedingt mongolische ...
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<strong>SPECIAL</strong><br />
40<br />
Fotos: Wolschendorf<br />
Ein<br />
gewagtes<br />
Unternehmen<br />
<strong>Dr</strong>. <strong>Rolf</strong>-<strong>Peter</strong> <strong>Lacher</strong> <strong>wollte</strong> <strong>unbedingt</strong> <strong>mongolische</strong><br />
Pferde haben. Zehn Jahre verbiß er sich in seinen Traum.<br />
Jetzt gelang ihm, was bislang unmöglich schien: Die<br />
ersten acht Mongolenponys grasen auf der Alb.<br />
www.pferdeboerse-online.de 1/2 2004<br />
von Ulrike Dobberthien<br />
Noch drei Schritte. Noch zwei. Und weg<br />
sind sie. Keine Chance, die wilden Zottel zu<br />
kraulen. Acht zauselige Kerlchen verschwinden<br />
im Galopp zwischen den Apfelbäumen,<br />
deren Früchte sie nicht anrühren. Was ein<br />
Mongole nicht kennt, frißt er schließlich<br />
nicht. Und diese acht sind waschechte Mongolen;<br />
die ersten, die jemals nach Deutsch-<br />
▲
land kamen. Fast ein halbes Jahr dauerte<br />
ihre abenteuerliche Reise, bis sie wohlbehalten<br />
von dem Transporter kletterten, der sie<br />
die letzten 2000 Kilometer vom russischen<br />
Minsk ins schwäbische Gammertingen fuhr.<br />
„Ich habe immer von <strong>mongolische</strong>n Pferden<br />
geträumt. Endlich habe ich sie“, strahlt <strong>Dr</strong>.<br />
<strong>Rolf</strong>-<strong>Peter</strong> <strong>Lacher</strong>, 59, hauptberuflich Lehrer,<br />
nebenberuflich Abenteurer. „Vielleicht war<br />
es nur der Wille, etwas Unmögliches möglich<br />
zu machen. Er brachte mich dazu,<br />
immer wieder den Versuch zu starten, <strong>mongolische</strong><br />
Pferde nach Europa zu bringen“,<br />
sagt er.<br />
Seit seiner ersten Mongolei-Reise vor<br />
zehn Jahren steckt ihm die Idee im Hirn.<br />
Faxe und Briefe an Ministerien, Eisenbahnverwaltungen<br />
und Veterinärbehörden füllen<br />
Ordner; doch lange Zeit passierte nichts<br />
Fotos: privat<br />
Von der Steppe auf die Alb: Der stämmige Hengst Narangerel bei der Auswahl in<br />
der Mongolei (links) und im Winterpelz mit Mehlmaul (großes Bild) kurz nach der<br />
Ankunft. Der Fuchswallach Sarangerel (rechts) reiste ebenfalls mit (großes Bild Mitte).<br />
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Zuchthengst Narangerel (Sonnenschein) ist durch<br />
sein helles Mehlmaul auf Anhieb zu erkennen.<br />
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Erstes Toben unter Bäumen: Beherzt<br />
flitzen die Pferde durch den Apfelgarten,<br />
drängeln sich um den Wassertrog und<br />
streiten um die besten Freßplätze.<br />
Fotos: Wolschendorf<br />
– schließlich liegt zwischen Deutschland und<br />
der Mongolei das riesige Rußland. „Und<br />
Rußland ist es völlig gleichgültig, daß irgendjemand<br />
ein paar <strong>mongolische</strong> Pferde<br />
haben möchte. So gleichgültig, daß Rußland<br />
noch nicht einmal antwortet.“<br />
<strong>Dr</strong>. <strong>Lacher</strong> wühlt im Korb mit Möhren.<br />
„Die kennen sie auch nicht. Zur Zeit kann<br />
ich sie nur mit Wasser locken, aber das wird<br />
sich wahrscheinlich schnell geben.“<br />
Zwei Hengste, zwei Wallache und vier<br />
Stuten hat er unter 16 Tieren ausgewählt.<br />
„Sie gehören alle zur Zuchtrichtung Tes“,<br />
sagt <strong>Dr</strong>. <strong>Lacher</strong>. Darauf ist er stolz, denn Tes<br />
ist die besonders schnelle Rennpferderasse.<br />
Die anderen Zuchtrichtungen sind Darkhat,<br />
Galshiir und Mianggad, womit Reit-, Fleischund<br />
Milchpferde bezeichnet werden. „Da<br />
sag mal noch einer, Mongolenpferde hätten<br />
häßliche Köpfe“, sagt der wagemutige Leh-<br />
Das Labor in der Steppe: Tierarzt Yunger (2.v.r.) nimmt die<br />
Blutproben gleich vor der Jurte und schickt sie ins Labor.<br />
Foto: privat
er und wagt gleich einen neuen Kraul-Versuch.<br />
Mit Erfolg: Als die Pferde saufen, kann<br />
er sich anpirschen. Er streichelt. Und strahlt.<br />
Und erzählt von Nomt Yunger, der endlich<br />
Dinge in Bewegung brachte. Yunger ist Tierarzt,<br />
Leiter der Veterinärbehörde im Aimak<br />
(Bezirk) Uvs, 1100 Kilometer westlich von<br />
Ulaanbaatar. Er war <strong>Dr</strong>. <strong>Lacher</strong>s Mann in der<br />
Mongolei. Er besorgte die Ausfuhr-Erlaubnis,<br />
er wählte Pferde aus, untersuchte sie<br />
auf klinische Symptome und legte Listen an.<br />
<strong>Dr</strong>. <strong>Lacher</strong> flog in die Mongolei. „Ich sollte<br />
mir die Pferde anschauen. Wir fanden den<br />
Viehzüchter, einen alten Mann mit Händen<br />
so knorrig wie Rebstöcke. Aber ein Viertel<br />
seiner Herde und einige meiner Pferde<br />
waren weg, gestohlen von Tuwinern.“<br />
Also wieder Pferde auswählen; jene<br />
Pferde, die in der weiten baumlosen Mongolei<br />
so achtunggebietend wirken; und die<br />
Foto: privat<br />
Hirten bändigen den ungezähmten<br />
Hengst Narangerel per Ohr-Bremse, um<br />
ihm Blut abzunehmen.
<strong>SPECIAL</strong><br />
Foto: Wolschendorf<br />
Solange sie kein Halfter tragen, sind die<br />
Pferde scheu. Anfangs lassen sie sich<br />
von <strong>Dr</strong>. <strong>Lacher</strong> nur beim Saufen kraulen.<br />
hier, im Gammertinger Apfelgarten, zu netten<br />
Ponys schrumpfen. Nur ihr hellwacher<br />
Blick, ihre deutlich ausgeprägte Sprache –<br />
sie beißen oder treten viel schneller, wenn<br />
ein Herdengenosse nicht spurt – und ihr ungewöhnlich<br />
intensiver Pferdegeruch verraten,<br />
daß es sich hier um wildes Steppenvolk<br />
handelt.<br />
„Nun ja. Das sind also die, die wir im<br />
zweiten Anlauf auswählten“, erzählt <strong>Dr</strong>. <strong>Lacher</strong>.<br />
„Die Hirten trieben die Herde von Tumenbaryaryn<br />
Batsukh zusammen, rund 150<br />
Pferde.“ Mongolisch ausgedrückt: fünf<br />
Hengste mit ihren jeweils dazugehörigen<br />
Stuten, Fohlen und Wallachen (siehe PFER-<br />
DEBÖRSE 11/12-03).<br />
<strong>Dr</strong>. <strong>Lacher</strong> ritt kreuz und durch die<br />
Herde; einen jungen Hirten an der Seite, der<br />
mit ihm die einzelnen Familien umkreiste,<br />
Fotos: privat<br />
die von den Hengsten zusammengehalten<br />
wurden. Gefiel ihm ein Pferd, fragte der<br />
Lehrer den Burschen: „Kheden nastai?“ Wie<br />
alt? Die Antworten lauteten mal „dorvon<br />
nastai guu“, mal „doloonastai mor“; „eine<br />
vierjährige Stute“ oder „ein siebenjähriger<br />
Wallach“. Dann fragte <strong>Dr</strong>. <strong>Lacher</strong> dunkel<br />
„bolokh uu“, was sich wie „bolchooo“ anhört<br />
und „ist’s möglich?“ bedeutet. Ein<br />
scharfes „bolokhgui“ hieß nein, ein warmes
„bolno“ bedeutete ja.<br />
„Die Pferde waren Anfang Juni noch<br />
klapperdürr vom langen Winter. Aber ich<br />
sah, wie die Beine standen, schaute auf<br />
Rücken, Kopf, Vor- und Hinterhand und achtete<br />
aufs Temperament“, sagt <strong>Dr</strong>. <strong>Lacher</strong><br />
und freut sich, daß einige Mongolen seine<br />
Wahl bedauerten. „Ich durfte mir etwas einbilden,<br />
als mein Begleiter zu Batsukh sagte,<br />
manchmal habe er gehofft, ich würde dieses<br />
und jenes Pferd übersehen, weil sie es gern<br />
behalten würden – und genau dieses Pferd<br />
hätte ich ausgewählt.“<br />
15 Pferde kamen in die engere Wahl,<br />
von denen schließlich acht nach Schwaben<br />
reisen sollten. 15 Blutproben wurden gezogen,<br />
die für die serologischen Tests auf Beschälseuche,<br />
Rotz und Infektiöse Anämie<br />
nötig waren.<br />
„Das Einfangen der Pferde war ein wilder<br />
Zirkus“, grinst <strong>Dr</strong>. <strong>Lacher</strong>. Lassoschwingend<br />
preschten die Hirten hinter ihnen her,<br />
Staub stob, Hengste wieherten und verbissen<br />
Rivalen, die sich im Durcheinander an<br />
ihre Gruppe heranmachten. Die Urga-Pferde<br />
zeigten ihre Kunst, wobei die Urga (Fangstock)<br />
in Uvs durch Lassos ersetzt wird. „Ein<br />
Urga-Pferd beschleunigt wahnsinnig schnell<br />
und folgt den Richtungswechseln des gejagten<br />
Pferds“, erzählt <strong>Dr</strong>. <strong>Lacher</strong> und blickt<br />
über seine kleine Herde. „Der Reiter kann<br />
ihm die Zügel auch im Galopp auf den Hals<br />
werfen, wenn er das Lasso mit beiden Händen<br />
hält und sich in die Bügel stemmt, um<br />
das gefangene Pferd zu bremsen.“ Danach,<br />
so <strong>Dr</strong>. <strong>Lacher</strong>, springt der Reiter ab „und<br />
haut die Hacken in den Schotter, bis das<br />
Pferd zitternd steht“.<br />
Der Deutsche photographierte jedes<br />
Pferd; einen Fuchswallach, den er später<br />
„Sarangerel“ (Mondschein) taufte, ritt er<br />
Probe. „Er war butterweich und kinderleicht<br />
Foto: Wolschendorf<br />
Platte Welten: In der weiten Steppe<br />
wirken die Mongolenpferde größer und<br />
eindrucksvoller als in deutschen Gärten.<br />
Die schwarzbraune Stute<br />
Dschargal (Glück) trägt noch<br />
<strong>mongolische</strong>n Topfschnitt.<br />
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<strong>SPECIAL</strong><br />
Fuchswallach Sarangerel ist besonders vorwitzig.<br />
Auf ihm ritt <strong>Dr</strong>. <strong>Lacher</strong> bereits in der Mongolei.<br />
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zu reiten“, erzählt er. Jetzt ist davon freilich<br />
nichts mehr zu merken. „Fang mich doch,<br />
wenn du ein Lasso hast“ scheint Sarangel zu<br />
denken und verzieht sich vorsichtshalber<br />
hinter einen Apfelbaum. „Das wird schon.<br />
Wenn die erst ein Halfter draufhaben, werden<br />
sie schnell zahm“, ist <strong>Dr</strong>. <strong>Lacher</strong> überzeugt<br />
und reist in Gedanken von der Schwäbischen<br />
Alb zurück in die baumlose Steppe<br />
der Mongolei; zurück in die Jurte, in der er<br />
bei gesalzenem Tee mit Milch und der üblichen<br />
Fleisch-Nudel-Suppe um die Pferde<br />
feilschte.<br />
Dann begann das Warten. Warten auf<br />
das Ok der Tierärzte, den Befund der Blutproben,<br />
die Importgenehmigung. Woche<br />
für Woche. Dann die erste Nachricht. Keine<br />
Schräge Vögel: Die Perspektive verzerrt<br />
die drei Stuten zu urigen Gestalten.<br />
Fotos: Wolschendorf
Ohne Pferde hätten die Nomaden die Steppen der Mongolei<br />
nicht besiedeln können. Zum Einreiten klemmen sie<br />
sich aufs Pferd und lassen es bocken; heraus kommen<br />
erstaunlich brave Hirtenpferde. Auch der Rappe Khurdan<br />
(oben rechts) wurde vermutlich so eingeritten.<br />
Antikörper, die auf Beschälseuche hindeuteten. Aber die Spezialisten<br />
für Rotz und Infektiöse Anämie seien im Urlaub. Endlich kam<br />
der erlösende Anruf: Die Pferde stehen auf dem LKW, Genehmigungen<br />
und Untersuchungen sind klar.<br />
Westlich des Ural bezogen sie erneut Quarantäne-Quartier, diesmal<br />
für drei Monate in einer Kolchose. „Sie erholten sich von der tagelangen<br />
Fahrt durch Kasachstan, wurden herausgefüttert und wieder<br />
untersucht, getestet, entwurmt und gegen Tollwut und Milzbrand<br />
geimpft“, erzählt <strong>Dr</strong>. <strong>Lacher</strong>.<br />
„Als dann der Anruf kam, daß die Pferde endlich kommen, ist<br />
mir der ganze Ural vom Herzen gefallen“, erzählt <strong>Dr</strong>. <strong>Lacher</strong>. Er<br />
deutet auf einen braunen Hengst mit hellem Maul. „Ist das nicht<br />
ein Prachtkerl? Den behalte ich als Zuchthengst.“ Der Prachtkerl<br />
schlägt unwillig seine Zähne in den Hals des schwarzen Wallachs<br />
„Khurdan“ (der Schnelle), weil er ihm beim Saufen auf den Pelz<br />
rückt. Dann schlendert er gemächlich fort. Die Fuchstute „Busgui“<br />
(Mädchen) folgt. „Das ist seine kleine Freundin. Sie hält sich immer<br />
dicht bei ihm“ beschreibt <strong>Dr</strong>. <strong>Lacher</strong> erste Beobachtungen. Zwei Stuten<br />
möchte er behalten; die restlichen fünf Pferde verkaufen (siehe<br />
Seite 125). Jetzt, wo die Herausforderung erledigt ist, möchte er seinen<br />
Traum teilen. „Schließlich sehnen sich viele nach Mongolenpferden.<br />
Sie sind einmalig. Wer sonst kann schon von seinem Tier sagen,<br />
daß es direkt von Dschinghis-Khans Reitpferden abstammt?“<br />
DIE AUTORIN<br />
Ulrike Dobberthien, 38,<br />
reiste ins schwäbische<br />
Gammertingen, um die<br />
urigen Tiere gleich<br />
nach ihrer Ankunft aus<br />
den weiten Steppen zu<br />
besuchen. Ihr imponier-<br />
Foto: Wolschendorf te besonders, wie<br />
geschickt sich die Pferde unter den Ästen<br />
duckten, wenn sie wieder mal Reißaus<br />
nahmen – und das, obwohl es erst zwölf<br />
Stunden her war, seit sie zum erstenmal in<br />
ihrem Leben Bäume sahen.<br />
Fotos: privat / Wolschendorf<br />
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