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Almanah 2016 ansicht

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almanah<br />

<strong>2016</strong> / 2017 Jahrbuch für<br />

Integration<br />

in Wirtschaft,<br />

Politik und<br />

Gesellschaft<br />

lmanah *<br />

* bosnisch/kroatisch/serbisch für »Almanach/Jahrbuch«<br />

POLITIK & GESELLSCHAFT<br />

Verbotskultur an Wiener Schulen<br />

Wer ist echter Österreicher?<br />

Afghanin: „Sexuelle Verarmung“<br />

MARKT UND KARRIERE<br />

Konzerne schaffen Integration<br />

Assimilation funktioniert<br />

Flüchtling als<br />

Teilchenbeschleuniger<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 1


almanah<br />

2<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

Für 2017 wünschen wir uns mehr<br />

Frieden und Zusammenhalt<br />

„Eine schlechte<br />

Nachricht jagt derzeit<br />

die andere. Was<br />

auffällt: Irgendwie<br />

hängt am Ende alles<br />

zusammen.“<br />

Omer Messinger / Zuma / picturedesk.com<br />

Liebe Leserin, lieber Leser,<br />

<strong>2016</strong> war kein leichtes Jahr. Die Übergriffe in der Silvesternacht in<br />

Köln entfachen einen Diskurs über sexuelle Gewalt an Frauen und<br />

setzen einen Rechtsmob in Bewegung. Terroranschläge überschatten<br />

die ganze Welt. Nach dem Putschversuch in der Türkei werden<br />

unzählige Regierungskritiker verhaftet. Donald Trump wird der neue<br />

Präsident der USA. Die Kämpfe in Syrien werden immer blutiger.<br />

Eine schlechte Nachricht jagt die andere. Bei Redaktionsschluss ist<br />

man sich nie sicher, was kurz danach passiert. Was auffällt: Irgendwie<br />

hängt am Ende alles zusammen.<br />

Jährlich dokumentiert die biber-Redaktion im Jahresbericht für<br />

Wirtschaft, Politik und Gesellschaft aktuelle Entwicklungen im<br />

Bereich Integration. Dabei zeigt sich: Damit 2017 besser wird,<br />

müssen alle zusammenarbeiten. Wie das geht zeigen Unternehmen<br />

wie T-Mobile, voestalpine und Spar, die Flüchtlingen eine Lehrausbildung<br />

und somit auch eine Perspektive anbieten. Oder AMS-Chef<br />

Johannes Kopf, der nicht die schnellste, sondern die beste Integration<br />

von Flüchtlingen am Arbeitsmarkt anstrebt. Dass Migration<br />

viele negative Folgen hat, zeigt zum Beispiel eine trendige Verbotskultur<br />

muslimischer Teenager mitten in Wien. Der Soziologe Ruud<br />

Koopman sieht eine Lösung solcher und anderer Integrationsprobleme<br />

in der Assimilation der Einwanderer an die Mehrheitsgesellschaft<br />

und auch die afghanische Journalistin Tanya Kayhan fordert<br />

einen strengeren Umgang mit den Menschen, die nach Österreich<br />

kommen.<br />

Alles in allem aber leistet Österreich gute Arbeit mit seinen vielen<br />

humanitären Projekten, den freiwilligen Helfern, die alle wissen,<br />

dass es uns in Österreich ziemlich gut geht und wir von unserem<br />

Wohlstand etwas abgeben können. Mit diesem Leitsatz kann 2017<br />

nur besser werden – zumindest wünschen darf man sich das.<br />

Simon Kravagna<br />

Herausgeber und Chefredakteur das biber<br />

Omer Messinger / Zuma / picturedesk.com<br />

Delna Antia<br />

Stv. Chefredakteurin, Redaktionsleitung <strong>Almanah</strong><br />

Melisa Erkurt<br />

Chefin vom Dienst, Redaktionsleitung <strong>Almanah</strong><br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 3


almanah<br />

INHALT<br />

bereitgestellt<br />

Zoe Opratko<br />

Jens Gyarmaty<br />

Sexuelle Armut<br />

Die Vergewaltigung einer Frau<br />

durch drei Afghanen am Praterstern<br />

schockte Wien. Die Journalistin<br />

Tanya Kayhan sagt, warum es<br />

Wertekurse vom ersten Tag an<br />

braucht.<br />

28<br />

Flüchtlinge machen Lehre<br />

Als 2015 tausende junge Flüchtlinge<br />

nach Österreich kamen, versprach<br />

Österreichs Wirtschaft zu helfen.<br />

Doch nur wenige Betriebe haben<br />

bisher Flüchtlinge als Lehrlinge<br />

aufgenommen.<br />

32<br />

Gespräch mit Ruud Koopman<br />

In den USA werden seine Studien<br />

rezipiert,in Europa ignoriert. Ruud<br />

Koopmans’ These: Nicht die Diskriminierung<br />

der Migranten ist<br />

die Herausforderung, sondern ihre<br />

Selbstdiskriminierung.<br />

50<br />

4<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

INHALT<br />

GESELLSCHAFT & POLITIK<br />

Flucht in Zahlen. 6<br />

Generation Haram. Die neue Verbotskultur<br />

unter muslimischen Jugendlichen<br />

macht Frauenfeindlichkeit zum gefährlichen<br />

Jugendtrend. 10<br />

Die Schule muss Chancen bieten. Ein<br />

Gastkommentar von Arbeiterkammer-Präsident<br />

Rudi Kaske 16<br />

Österreicher sind zu nett, findet die afghanische<br />

Journalistin Tanya Kahyan im<br />

Gespräch und attestiert ihren Landsmännern<br />

eine sexuelle Verarmung 28<br />

MARKT & KARRIERE<br />

So schafft man das! Drei österreichische<br />

Betriebe zeigen, wie Integration von<br />

Geflüchteten gelingt. Sie stellen sie als<br />

Lehrlinge ein 32<br />

Vorschläge liegen am Tisch! Österreich<br />

muss die Flüchtlingsbewegung besser<br />

managen, fordert IV-Generalsekretär<br />

Christoph Neumayer 46<br />

Raus aus der Komfortzone, lautet das<br />

Motto von Fadmar Osmic. Der ehemalige<br />

Kriegsflüchtling ist heute Teilchenbeschleuniger<br />

48<br />

KULTUR<br />

Nie ein echter Österreicher, so erleben<br />

sich viele junge Migranten in ihrem<br />

Geburtsland. Warum es leichter ist, Deutscher<br />

zu sein 18<br />

Je schneller, desto besser? Nein. AMS-<br />

Chef Johannes Kopf erklärt im Interview,<br />

warum die rascheste Integration nicht die<br />

effektivste ist 36<br />

5 Unterschiede zwischen Syrien und<br />

Österreich. Zakarya Ibrahem kommt aus<br />

Damaskus und erzählt von seinem Kulturschock<br />

in Wien 56<br />

Zug um Zug integrieren! Die Akademie<br />

der Zivilgesellschaft hat erkannt,<br />

dass Freiwilligenarbeit auch Ausbildung<br />

braucht 27<br />

Assimilation funktioniert. Es ist die<br />

Selbstdiskriminierung von Migranten,<br />

die desintegriert, so der Soziologe Ruud<br />

Koopmanns 40<br />

Wer hat Angst vorm nackten Mann? Die<br />

Gesellschaft wird diverser.<br />

Die historische Kunst bleibt europäisch,<br />

weiß und nackig. 46<br />

Eine Information des Landes Niederösterreich.<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 5


almanah<br />

Flucht<br />

Flucht und Asyl<br />

2015 belegt Österreich nach Schweden den 2. Platz in der EU bei<br />

Asylanträgen im Verhältnis zur Bevölkerungszahl<br />

in<br />

Zahlen<br />

60 Millionen<br />

Menschen sind weltweit<br />

Opfer von Flucht und<br />

Vertreibung<br />

88.151 Menschen stellen 2015 Asylanträge in Österreich<br />

1,2<br />

Millionen Menschen stellten 2015 einen Erstantrag auf Asyl in Europa<br />

88.151<br />

37.500<br />

35.000<br />

2015 <strong>2016</strong> 2017<br />

37.500 ist die geplante Obergrenze für<br />

Asylanträge <strong>2016</strong><br />

35.000 wird die geplante Obergrenze<br />

für Asylanträge 2017 sein<br />

Quelle: BMI<br />

6<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


Wer stellte 2015 Anträge Asylanträge <strong>2016</strong><br />

Nicht ganz ein Drittel der<br />

Antragsteller kamen aus<br />

Afghanistan, ein weiteres<br />

knappes Drittel aus Syrien.<br />

50% der Antragsteller<br />

waren unter 25 Jahren<br />

39.618 Asylanträge gestellt<br />

25.475<br />

AFGHANISTAN<br />

3 8<br />

. 1 3 8<br />

S O N S T<br />

SYRIEN<br />

24.538<br />

I G E<br />

Von 88.151 AsylantragstellerInnen waren 72% männlich<br />

UNTER 25 JAHRE ALT<br />

50%<br />

Mehr als 14.000<br />

Personen erhielten<br />

2015 Asyl<br />

32.295 wurden zugelassen<br />

Bis 30.11.<strong>2016</strong> wurden<br />

39.618 Asylanträge gestellt,<br />

32.295 wurden zum<br />

Verfahren zugelassen.<br />

23.894 23.257<br />

23.894 erhielten im Jahr <strong>2016</strong><br />

eine positive Entscheidung<br />

23.257 erhielten eine<br />

negative Entscheidung<br />

26.677 der Asylantragssteller sind männlich (67%)<br />

12.941 der Asylantragsstellerinnen sind weiblich (33%)<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 7


almanah<br />

Flüchtlinge auf arabisch<br />

8<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


GESELLSCHAFT & POLITIK<br />

Die Herausforderungen von Integration sind oft gegensätzlich. Auf<br />

der einen Seite gilt es gefährlichen Trends von Radikalisierungen und<br />

frauenfeindlichen Verbotskulturen unter Jugendlichen zu begegnen.<br />

Auf der anderen Seite fühlen sich etablierte Migranten in ihrem Geburtsland<br />

ausgeschlossen und nicht zugehörig. Integration von Geflüchteten<br />

bringt zusätzliche „Culture Clashs“ und braucht Lösungen<br />

auch vor Ort.<br />

S. 10-15<br />

GENERATION HARAM<br />

Eine neue Verbotskultur unter muslimischen Jugendlichen<br />

sorgt für Aufruhr. „Haram!“ steht eigentlich für Sünde<br />

und wird neuerdings zum Jugendwort verklärt. Der Trend<br />

stärkt Frauenfeindlichkeit in Wiener Klassenzimmern.<br />

S. 18–23<br />

NIE ECHTER ÖSTERREICHER<br />

Am Papier Österreicher, im Herzen lieber alles andere.<br />

Jungen Migranten der zweiten Generation mangelt es oft<br />

an Nationalstolz für ihr Geburtsland. In Deutschland ist<br />

das anders.<br />

Marko Mestrović, bereitgestellt<br />

S. 28–29<br />

ZU NETTE ÖSTERREICHER<br />

Sexuelle Verarmung attestiert Tanya Kahyan ihrem<br />

Heimatland Afghanistan. Die Journalistin fordert im<br />

Interview über Vergewaltigungen durch afghanische<br />

Flüchtlinge: Österreich muss streng sein.


almanah<br />

Was Sünde ist, entscheiden<br />

sie: Muslimische Teenager<br />

haben ein neues Jugendwort:<br />

„Haram!“ heißt es auf<br />

YouTube, Instagram und im<br />

Klassenzimmer. Was als Spaß<br />

begann, entwickelt sich zu<br />

einem gefährlichen Trend.<br />

biber-Redakteurin Melisa<br />

Erkurt über pubertierende<br />

Großmäuler, radikale<br />

Tendenzen und eine neue<br />

Verbotskultur mitten in Wien.<br />

10<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION<br />

Diese beiden Jungs haben sich nur als<br />

Models hergegeben, in echt verurteilen<br />

sie religiöse Machtausübung.


almanah<br />

Generation<br />

Haram<br />

T E X T :<br />

Melisa Erkurt<br />

F O T O :<br />

Marko Mestrović<br />

Wer etwas tut, das als<br />

haram definiert ist,<br />

begeht eine Sünde.<br />

Das ist haram!“, ruft die halbe Klasse<br />

im Chor als Antwort auf meine<br />

Frage, weshalb sich ein Junge über<br />

den V-Ausschnitt seiner Klassenkollegin<br />

aufregt. Was genau daran haram ist, möchte<br />

ich wissen. Mensur*, der 14-Jährige, der<br />

seine Klassenkollegin Merve * aufgefordert<br />

hatte, ihren Ausschnitt zu bedecken, erklärt<br />

es mir ganz selbstverständlich: „Es ist ihre<br />

Sache, wie sie sich anzieht, aber wenn ich<br />

da hinschaue und ihren Busenschlitz sehe,<br />

ist das haram. Dann sündige ich wegen ihr.“<br />

Mensurs Sitznachbar lacht: „Ja, haram,<br />

Bruder!“<br />

Natürlich wusste ich schon vor Mensurs<br />

Antwort, was die Klasse mit haram meint.<br />

Als Muslima kenne ich den Begriff. Haram<br />

ist ein arabisches Adjektiv und beschreibt all<br />

das, was laut der Scharia verboten ist. Wer<br />

etwas tut, was als haram definiert ist, der<br />

begeht eine Sünde. Das Gegenteil von haram<br />

ist halal, also „erlaubt“. Aber dass haram<br />

abseits von Glaubensschriften mittlerweile<br />

seinen Weg in die Jugendsprache gefunden<br />

hat, war mir noch vor ein paar Monaten<br />

nicht bewusst.<br />

In den letzten Wochen war ich an<br />

verschiedenen Wiener Schulen und habe<br />

mit dem biber-Schulprojekt „Newcomer“<br />

jeweils in einer Woche versucht einer<br />

Klasse einen Einblick in die mediale Welt<br />

zu gewähren, Rollenbilder zu hinterfragen<br />

und Trends zu diskutieren. Dieses Semester<br />

habe ich mit circa 120 Jugendlichen<br />

zwischen 14 und 19 Jahren zusammengearbeitet.<br />

Die Schulen, an denen ich war - von<br />

NMS bis AHS und BHS - gelten größtenteils<br />

als „Brennpunktschulen“. Der Anteil<br />

von SchülerInnen mit Migrationshintergrund<br />

ist hoch, die meisten kommen aus<br />

bildungsfernen Elternhäusern – diesmal<br />

waren besonders viele Jugendliche aus<br />

muslimischen Familien dabei. SchülerInnen<br />

mit diesem Background sind nicht neu für<br />

mich. Seit zwei Jahren bin ich nun schon<br />

mit dem „Newcomer-Projekt“ in Wiener<br />

Schulklassen unterwegs. Ich habe über<br />

engagierte LehrerInnen und talentierte<br />

SchülerInnen geschrieben. Aber auch über<br />

Frauenfeindlichkeit und über Chancenlosigkeit<br />

aus diesen Klassenzimmern berichtet.<br />

Ich dachte, mich könnte eigentlich ‣<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 11


almanah<br />

ist, zeigen meistens alle muslimischen<br />

Schüler auf. Will ich von ihnen wissen, was<br />

den Islam ausmacht, was er vermitteln<br />

soll, herrscht Stille. Frage ich die Jugendlichen<br />

aber, was haram oder halal bedeutet,<br />

antworten sie brav.<br />

Auswendig lernen<br />

Alles, was sie über den Islam wissen, haben<br />

sie auswendig gelernt. Kein Wunder, funktioniert<br />

so in manchen österreichischen<br />

Schulen der islamische Religionsunterricht:<br />

Suren auswendig lernen. In ein paar Fällen<br />

sogar nur auf Arabisch. SchülerInnen, die<br />

kein Arabisch sprechen, verstehen also gar<br />

nicht, was sie da nachsagen. Aber auch<br />

wenn sie die Suren in einer Sprache, die<br />

sie können, lernen, so hinterfragen sie die<br />

Bedeutung nicht immer – die SchülerInnen<br />

geben oft nur wieder, was sie gelernt haben,<br />

ohne zu reflektieren. Und weil sie im Islamunterricht<br />

oft nur Suren lernen, suchen<br />

SchülerInnen, die kein<br />

Arabisch sprechen,<br />

verstehen gar nicht,<br />

was sie da nachsagen.<br />

Shisha: Zu lasziv für hormongesteuerte Halbstarke?<br />

nichts mehr verwundern, aber da habe ich<br />

die Rechnung ohne „Generation haram“<br />

gemacht.<br />

Ich möchte von Mensur und den<br />

anderen SchülerInnen, die scheinbar so<br />

genau darüber informiert sind, was im<br />

Islam verboten ist, wissen, wofür der<br />

Islam eigentlich steht. Ich bekomme keine<br />

Antwort. Diese Situation wiederholt sich in<br />

fast jeder Klasse. Auf die Frage, wer gläubig<br />

Foto: Susanne Einzenberger<br />

sie die restlichen Informationen zum Islam<br />

eben wahllos aus dem Internet zusammen<br />

oder informieren sich im Freundeskreis.<br />

Nach Schulschluss setze ich mich in eine<br />

Shisha-Bar. Eine Frau alleine Wasserpfeife<br />

rauchend in einer Bar, haram würden meine<br />

Schüler sagen, die mir zuvor erklärt hatten,<br />

dass Shisha rauchen für Frauen haram ist, es<br />

schaut zu lasziv aus, wenn sie die Wasserpfeife<br />

zum Mund führen und den Rauch<br />

ausblasen. Tatsächlich sind an dem Tag nur<br />

Männer zwischen 16 und 25 in der Shisha-<br />

Bar. Alle stylisch gekleidet mit Frisuren<br />

und getrimmten Bärten, als kämen sie<br />

frisch vom Barbier. Dem Äußeren nach zu<br />

urteilen moderne Burschen. Ich frage eine<br />

Gruppe von vier jungen Männern, ob sie<br />

den Begriff haram kennen und verwenden.<br />

Sie lachen. Einer von ihnen, Mert*, zückt<br />

sein Handy und zeigt mir die letzte Konversation<br />

in einer seiner WhatsApp-Gruppen:<br />

„Haraaaam“ steht da unter einem Foto von<br />

einer Frau im Bikini. Mert nimmt einen Zug<br />

von seiner Shisha, im Hintergrund läuft das<br />

Lied „Shisha Bar“ von zwei deutsch-türkischen<br />

YouTubern. „Schau dir mal das<br />

Musikvideo von denen auf YouTube an“,<br />

sagt Mert. Unter dem Video, in dem Frauen<br />

12<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

leicht bekleidet tanzen, stehen unzählige<br />

„haram“–Kommentare in Bezug auf das<br />

freizügige Erscheinungsbild der Frauen.<br />

Mert und zwei andere aus der Gruppe<br />

sind Muslime. Ob sie gläubig sind, frage<br />

ich sie, alle drei nicken. Einer von ihnen,<br />

Halil*, fügt hinzu: „Leider bin ich nicht<br />

strenggläubig, so wie es sein sollte. Dafür<br />

ist die Verlockung hier in Österreich einfach<br />

zu groß. Aber eines Tages werde ich es<br />

sein“, sagt der 19-Jährige. Mit Verlockung<br />

meint er Alkohol, Partys und Frauen. Sein<br />

Freund Goran * lacht. Der gebürtige Kroate<br />

ist fast nur mit Muslimen befreundet. Er<br />

beobachtet in den letzten Jahren einen<br />

Anstieg der Religiosität innerhalb seines<br />

Freundeskreises: „Ein paar meiner Freunde,<br />

für die Religion nie ein Thema war, sagen<br />

auf einmal, sie widmen ihr Leben jetzt<br />

Allah.“ Ich möchte von ihm wissen, ob er<br />

eine Vermutung hat, woher der plötzliche<br />

Wandel kommt. „Auf jeden Fall durch das<br />

Internet. Vines, Memes, YouTube-Videos –<br />

Islam ist überall ein Thema. Früher haben<br />

viele meiner Freunde nicht einmal erwähnt,<br />

dass sie Muslime sind, heute leben sie ihren<br />

Glauben offen, weil es durch das Internet<br />

und Deutsch-Rap cool geworden ist,<br />

Moslem zu sein.“<br />

Internet-Sittenwächter wissen immer, was haram ist.<br />

Deutschrap & Social Media<br />

– dass der deutsche salafistische Hasspre-<br />

Radikalisierung von Jugendlichen in<br />

Halil stimmt ihm zu. Er und seine Freunde<br />

diger Pierre Vogel, der unter anderem<br />

Wiener Jugendzentren untersucht hat – mit<br />

hören am liebsten Deutschrap von Kollegah,<br />

von Muslimen verlangt für den Islam zu<br />

erschreckenden Ergebnissen. Konkret sollen<br />

Bushido und Alpa-Gun. Bushido und Alpa-<br />

sterben, gefährlich ist, steht jedoch fest.<br />

27 Prozent der muslimischen Jugendlichen<br />

Gun sind von ihrer Herkunft her Muslime,<br />

Auf YouTube, eine der beliebtesten Sozia-<br />

zwischen 14 und 17 Jahren, die von Jugend-<br />

Kollegah ist mit 15 zum Islam konvertiert.<br />

len Plattformen der Jugendlichen, kann<br />

arbeitern betreut werden, gefährdet sein,<br />

In seinen Songtexten und Interviews spricht<br />

sich jeder seine Predigten anhören – vom<br />

sich zu radikalisieren, so die Studienauto-<br />

er über den Islam – offen, verständlich und<br />

14-jährigen Teenie, der in einer Identitäts-<br />

ren Kenan Güngör und Caroline Nik Nafs.<br />

lässig – das kommt bei den Jugendlichen<br />

krise steckt, bis hin zum 16-jährigen Schul-<br />

57 von 214 befragten muslimischen Jugend-<br />

an. Der 32-jährige Kollegah rappt aber<br />

abbrecher ohne Perspektive.<br />

lichen vertreten unter anderem Meinungen<br />

auch über „Fotzen“ und „ficken“ und die<br />

wie: „Religiöse Gesetze sind wichtiger als<br />

Jugendlichen feiern ihn, weil er Moslem ist.<br />

Radikalisierung<br />

die österreichischen Gesetze ... Die islami-<br />

Dass seine Songtexte gar nicht zu einer reli-<br />

Soziale Netzwerke wie YouTube sind zur<br />

sche Welt soll sich mit Gewalt gegen den<br />

giösen Haltung passen, spielt keine Rolle.<br />

wichtigsten Informationsquelle für Jugend-<br />

Westen verteidigen … Es soll im Namen der<br />

„Kollegah ist harmlos. Aber es gibt<br />

liche geworden. Dass man in dem Alter<br />

Religion getötet werden dürfen“.<br />

radikale Prediger wie Pierre Vogel, von dem<br />

besonders schwer zwischen normal islami-<br />

Wieso gerade Jugendliche anfällig für<br />

lassen sich Jugendliche beeinflussen. Wenn<br />

schen und radikal islamistischen Inhalten<br />

Radikalisierung sind, liegt auf der Hand:<br />

die mit 12 Jahren schon Zugang zum Inter-<br />

differenzieren kann, könnte beim Thema<br />

Identitätskrise während der Pubertät,<br />

net haben, ist das ein Problem. In dem Alter<br />

Religion gefährlich werden.<br />

Rebellion, aber auch ein verstärktes Dazuge-<br />

youtube.com<br />

wissen die nicht, was richtig oder falsch ist“,<br />

erklärt mir Halil. Ob Kollegahs Songtexte<br />

harmlos sind, darüber lässt sich streiten<br />

Wie gefährlich zeigt eine im Oktober<br />

veröffentliche Studie der Stadt Wien,<br />

die die Bereitschaft zur islamistischen<br />

hören-Wollen prägen die Teenager-Zeit.<br />

Dazugehören wollte auch Florian * , ein<br />

Freund von Halil, der mit 18 zum Islam ‣<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 13


almanah<br />

Sie rappen über „Fotzen“ und „ficken“ und werden von den Jugendlichen als Muslime gefeiert.<br />

konvertiert ist, weil alle seine Freunde<br />

kein haram, ist alles tamam (in Ordnung)“<br />

oder nicht dürfen – sich im Bikini vor<br />

Muslime sind. Dass er nach wie vor Alkohol<br />

oder „haramstufe rot“ sind Sätze, die unter<br />

Männern zu zeigen ist nämlich haram.<br />

trinkt und den anderen „Versuchungen“,<br />

den Freundinnen häufig fallen – aber nur im<br />

Mädchen wie Merve, die aus einem<br />

wie Halil sie nennt, nicht widerstehen kann,<br />

Spaß, versichern sie mir. Ob sie das Gefühl<br />

modernen muslimischen Elternhaus<br />

ist nicht weiter schlimm für die Freunde,<br />

haben, dass ihre männlichen Klassenkolle-<br />

stammen und von ihren Eltern aus auf<br />

Hauptsache er ist jetzt auch einer von<br />

gen die haram-Äußerungen auch nur lustig<br />

jeden Fall mit ins Schwimmbad gehen<br />

ihnen. „Inshallah, werden wir eines Tages<br />

meinen? „Nein! Sie wissen immer, was für<br />

dürften, trauen sich trotzdem nicht: „Die<br />

nach dem Koran leben“, sagt Mert tröstend<br />

uns Mädchen haram ist: Shisha rauchen,<br />

Jungs würden schlecht über mich reden und<br />

und nimmt einen Schluck von seinem Bier.<br />

Ausschnitt zeigen - neulich hat einer in<br />

bestimmt Fotos von mir im Bikini rumschi-<br />

Nachher ist er mit seinen Freunden im<br />

cken“, sagt die 15-Jährige. Auf der letzten<br />

Wettbüro verabredet.<br />

Schullandwoche hat ein Klassenkollege<br />

Merves Kleidungsstil kommentiert. „Er hat<br />

„Haramstufe rot“<br />

Zurück in der Schule schauen sich die<br />

Jugendlichen in der Pause einen Sketch<br />

auf Facebook an, in dem ein junger Mann<br />

eine junge Frau in den Kofferraum sperrt,<br />

weil sie fälschlicherweise behauptet hatte,<br />

Jungfrau zu sein. Die Burschen lachen<br />

Durch das Internet<br />

und Deutsch-Rap ist<br />

es cool geworden,<br />

Moslem zu sein.<br />

gesagt, es wäre haram sich als Muslima so<br />

zu kleiden. Dabei hatte ich nur Jeans und ein<br />

etwas engeres T-Shirt an.“<br />

Ein männliches Problem<br />

Meine Gespräche mit den Jugendlichen<br />

zeigen mir, dass es mehrheitlich die Bur-<br />

über das Video, die obligatorischen „Oha –<br />

schen sind, die im Namen der Religion Ver-<br />

haram!“ Rufe gehen durch die Reihen, als<br />

bote für andere erstellen und so das Leben<br />

rauskommt, dass die junge Frau aus dem<br />

Biologie haram gerufen, als unsere Lehre-<br />

ihres (weiblichen) Umfelds einschränken.<br />

Video keine Jungfrau mehr ist. Die Mädchen<br />

rin über die Menstruation gesprochen hat“,<br />

Auch die Studie der Stadt Wien macht deut-<br />

lächeln verlegen. Ich frage die Mädchen,<br />

sagt Dilan.<br />

lich: Radikalisierung ist männlich. Doch<br />

die sich bisher wenig zu dem Thema haram<br />

Ich frage eine Lehrerin, wie sich solche<br />

diese männlichen Jugendlichen, vor denen<br />

geäußert haben, ob und in welchem Zusam-<br />

vermeintlichen Tabus auf den Schulalltag<br />

sich zur Zeit alle fürchten, haben in Wirk-<br />

menhang sie den Begriff verwenden. „Wenn<br />

auswirken. Sie erzählt mir, dass in den<br />

lichkeit keine Ahnung von dem, was sie<br />

meine Freundin einen kurzen Rock oder<br />

letzten Jahren die Zahl der Nichtschwim-<br />

sagen. Sie tun ja nicht einmal selber das,<br />

bauchfrei trägt, sage ich im Spaß haram zu<br />

merinnen unter ihren Schülerinnen enorm<br />

was sie predigen. Sie widersprechen sich<br />

ihr“, erzählt die 16-jährige Dilan * .<br />

Sie und ihre Freundinnen haben einige<br />

haram-Wortspiele auf Lager: „Machst du<br />

gestiegen ist. Sie kann mit den Klassen<br />

keinen Ausflug ins Schwimmbad machen,<br />

weil die Mädchen nicht schwimmen können<br />

in allem, was sie sagen – denn sie sagen es<br />

nur, um cool zu sein.<br />

Ich habe das Gefühl, dass sie in<br />

youtube.com<br />

14<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

die verängstigten Blicke der anderen in<br />

der U-Bahn, wenn ihr Handy klingelt. Sie<br />

posen auf jedem ihrer Profilfotos mit dem<br />

angehobenen Isis-Zeigefinger. Sie teilen die<br />

Anti-Islam-Posts der FPÖ und lesen stolz<br />

die Hass-Kommentare von Strache-Fans.<br />

Sie wissen, da draußen gibt es hunderttausende<br />

Erwachsene, die sie am liebsten<br />

abschieben würden, weil sie Angst vor ihnen<br />

- ein paar Teenagern – haben. Der Islam<br />

steht für sie für die Macht über die Ängste<br />

der anderen und sie wollen mächtig sein in<br />

einer Gesellschaft, in der sie sowieso schon<br />

als Verlierer gelten, die sie abgeschrieben<br />

hat, die ihnen eh nichts mehr zutraut, außer<br />

den Weg in den Dschihad.<br />

vor Frauen und der österreichischen Gesellschaft<br />

haben, werden Erwachsene ohne<br />

Perspektive, die ihre Kinder genauso erziehen<br />

könnten. Und während der eine Teil der<br />

Gesellschaft diese Jugendlichen fürchtet,<br />

sie am liebsten abschieben würde, leugnet<br />

der andere Teil das Gefahrenpotential und<br />

die Jugendlichen bleiben wieder sich selbst<br />

überlassen und kreieren sich ihre eigene<br />

Welt – voll von Widersprüchen, Einschränkungen<br />

und ganz viel haram.<br />

<br />

*Namen von der Redaktion geändert<br />

Die scheinbar harmlose Facette des Haram-<br />

Wahns - Memes aus dem Internet.<br />

Wirklichkeit die Mädchen beneiden, die<br />

die besseren Noten haben, die blühenderen<br />

Zukunftsaussichten, die keinen auf „harten<br />

Kerl“ machen müssen. Die Mädchen, die<br />

sich so gut integrieren konnten und an<br />

ihnen vorbeiziehen. Wenn ich die SchülerInnen<br />

frage, was sie mal werden wollen,<br />

antworten die Mädchen „Ärztin“ oder<br />

„Anwältin“, die Buben grinsend mit „AMS“<br />

oder „Bombenleger“ – sie wissen, dass sie<br />

nicht mithalten können und kontern mit<br />

Provokation, veralteten Rollenbildern und<br />

gefährlichen Verhaltensvorschriften.<br />

Islam ist Macht<br />

Sie, die Burschen, die Fünfer schreiben,<br />

durchfliegen, schief angeschaut werden,<br />

wollen sich zumindest in einem Punkt<br />

mächtig fühlen. Sie haben erkannt, dass die<br />

Leute Angst vor dem Islam haben. Sie stellen<br />

ihren Handyklingelton in „Allahu Akbar“<br />

(„Gott ist groß“) Rufe um und genießen<br />

Problem ansprechen<br />

So wie die Studie der Stadt Wien gibt auch<br />

dieser Bericht nur einen Überblick über einen<br />

kleinen Teil der muslimischen Jugendlichen<br />

in Wien. Aber er zeigt einen Trend auf, der<br />

sich schnell verstärken könnte, wenn nicht<br />

bald etwas geschieht. Wenn nicht deutlich<br />

mehr Geld für Sozialarbeiter in Schulen und<br />

Jugendprojekte gesteckt wird, aber auch,<br />

wenn es von Seiten der muslimischen Vertreter<br />

kein echtes Eingeständnis dafür gibt,<br />

dass es dieses Problem gibt und der Islam<br />

damit auch mitten in Österreich die Unterdrückung<br />

von Frauen und Verachtung von<br />

Andersdenkenden legitimiert.<br />

Ja richtig, es ist nur ein kleiner Teil der<br />

Jugendlichen, die so drauf sind. Aber diese<br />

Gruppe von pseudo-religiösen Jung-Machos<br />

wird größer, einflussreicher und damit<br />

gefährlicher. Und ja richtig, natürlich ist die<br />

Mehrheit der muslimischen Jugendlichen<br />

nicht so drauf. Aber es gibt solche Jugendliche<br />

und dieses wachsende Problem müssen<br />

wir als biber-JournalistInnen ansprechen,<br />

ansonsten missbrauchen rechte Parteien<br />

diesen Zustand für ihre politischen Zwecke,<br />

obwohl ja gerade sie mit ihrer anti-muslimischen<br />

Hetze solche Teenager noch mehr<br />

antreiben.<br />

Ob die Jugendlichen, die ich kennengelernt<br />

habe, Dschihadisten werden, bezweifle<br />

ich stark. Aber das ist ja auch kein Maßstab.<br />

So wie sie jetzt sind, müssen sie sich schon<br />

ändern. Und zwar schnell und deutlich. Denn<br />

pubertäre Großmäuler, die keinen Respekt<br />

„Was wollt ihr mal<br />

werden?“<br />

„AMS oder Bombenleger“<br />

Dieser Artikel erschien das erste Mal in der biber Winter-Ausgabe<br />

<strong>2016</strong>/17<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 15


almanah<br />

GASTKOMMENTAR<br />

Rudi Kaske<br />

Arbeiterkammerpräsident<br />

Die Schule muss<br />

Chancen bieten<br />

Die Schule muss mehr<br />

Verantwortung für den<br />

Lernerfolg der Kinder<br />

übernehmen, fordert<br />

AK-Präsident Rudi Kaske.<br />

Dass junge Leute faul seien,<br />

möchte er nicht mehr<br />

hören.<br />

Einer meiner Ausbildner war gar<br />

nicht zimperlich, wenn ihm etwas<br />

nicht gepasst hat. Wir Jungen seien<br />

faul, schimpfte er, hätten außer Mädels<br />

nichts im Schädel (in der Koch-Lehre im<br />

Intercontinental waren wir nur Burschen).<br />

Und Lernen käme bei uns erst an zweiter<br />

Stelle, hat er gesagt.<br />

Heute bin ich Arbeiterkammerpräsident,<br />

habe erfolgreich meinen Traumberuf Koch<br />

gelernt – und das Handwerk der Vertretung<br />

meiner Kolleginnen und Kollegen.<br />

Ich habe es arg gefunden, wenn Er wachsene<br />

gesagt haben, wir wollen nichts lernen.<br />

Ich finde es auch arg, wenn ich das über<br />

die heutigen Jungen höre. Jetzt wird sogar<br />

behauptet, ein Drittel sei auf dem Arbeitsmarkt<br />

nicht vermittelbar.<br />

Wer das sagt, soll einmal nachdenken.<br />

Zum Lernen gehören zwei: Schülerinnen<br />

oder Schüler, die lernen – und die Schule,<br />

in der sie lernen. Und als erstes sind die<br />

Schulen dafür verantwortlich, ob bei ihnen<br />

jemand etwas lernen kann oder nicht.<br />

Jetzt haben unsere Bildungsexpertinnen<br />

und Bildungsexperten in der Arbeiterkammer<br />

herausgefunden: Jede sechste Schule in<br />

Österreich hat kein Lernumfeld, in dem sie<br />

jede und jeden ausreichend fördern kann.<br />

In diese Schulen gehen extrem viele Kinder,<br />

deren Eltern nur neun Jahre in der Pflichtschule<br />

waren. Sie können ihren Kindern zu<br />

Hause schwer beim Lernen helfen – ganz zu<br />

schweigen davon, dass sie teure Nachhilfe<br />

zahlen können.<br />

Da muss die Schule einspringen, mehr<br />

Verantwortung für den Lernerfolg der<br />

Kinder übernehmen. Dafür brauchen die<br />

betroffenen Schulen mehr Geld. Wir von der<br />

Arbeiterkammer haben ein Modell für eine<br />

neue Schulfinanzierung entwickelt. Es soll<br />

ein Chancenindex erstellt werden, der zeigt,<br />

wie die soziale Lage der Kinder in der Schule<br />

ist. Und eine Schule soll umso mehr Mittel<br />

bekommen, je mehr Kinder in der Schule<br />

sind, denen die Eltern keine Nachhilfe<br />

zahlen können.<br />

Die höchsten Zuschläge soll es geben,<br />

wenn die Eltern maximal neun Jahre<br />

Pflichtschule absolviert haben. Aber auch<br />

bei maximal einem Lehrabschluss oder<br />

maximal der Matura muss es Zuschläge<br />

geben – freilich nicht mehr so hohe. Der<br />

Grund: Die meisten Eltern kämpfen täglich<br />

darum, dass ihre Kinder in der Schule<br />

mitkommen.<br />

Hat dann eine Schule mehr Mittel, kann<br />

sie besser fördern. So bekommen alle ihre<br />

gerechte Chance.<br />

Und dass junge Leute faul seien, möchte<br />

ich nicht mehr hören.<br />

<br />

Sebastian Philipp<br />

16<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


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17 Lehrberufe für<br />

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zählen zu den beliebtesten Ausbildungen klassische<br />

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17


almanah<br />

„Dann bin ich eben<br />

nicht Österreicher!“<br />

T E X T :<br />

Delna Antia<br />

FOTO:<br />

Marko Mestrović<br />

‣<br />

Melange, Geweih und Kopftuch:<br />

Das Bild eines neuen Österreichs?<br />

18<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

Am Papier Österreicher, im Herzen<br />

lieber alles andere: Warum es jungen<br />

Migranten an Nationalstolz für ihr<br />

Geburtsland mangelt – und warum<br />

das in Deutschland anders ist.<br />

Natürlich ist Österreich mein Land! Migrantinnen der zweiten Generation und<br />

Ich kann zum Teil besser Deutsch beide besitzen die österreichische Staatsbürgerschaft<br />

– die Krönung jeder Integrati-<br />

als viele Österreicher, ich kann<br />

Dialekt sprechen und bin mit Austropop onsbiographie. Doch wie vielen fällt es auch<br />

aufgewachsen.“ Aber Österreicherin ist ihnen schwer, meine Frage zu beantworten:<br />

Dajana nicht. Sie sei Wienerin. Ein gravierender<br />

Unterschied. Und eine gewollte „Puhhh, ich weiß es nicht.“ Diese Antwort<br />

Bist du Österreicherin?<br />

Absage. Dajana fühlt sich ausgeschlossen. höre ich oft. Statt „ja“ oder „nein“, werden<br />

Nara kennt das Gefühl. „Wenn die Leute mir in meinen Interviews lieber Alternativen<br />

angeboten. Eine ist „eher Europäerin“,<br />

nicht einmal mich, die perfekt Deutsch<br />

spricht und hier geboren ist, akzeptieren, ein anderer „lieber Kosmopolit“ und manch<br />

wie soll das dann erst mit den Flüchtlingen einer findet: „Von nationalem Denken halte<br />

gehen?!“ Berechtigte Frage, nicht wahr? ich nichts.“ Geübte Ausweichmanöver. Es<br />

Nara und Dajana heißen in Wahrheit scheint nicht leicht Österreicher zu sein.<br />

anders. Aber wenn es um die Staatszu- und<br />

angehörigkeit geht, redet es sich besser „Die stehen zu ihrem Deutschsein!“<br />

verdeckt. Die beiden Frauen sind Anfang 20, Die Antworten bestätigen meinen Verdacht.<br />

Den hege ich nämlich seit längerem:<br />

sie wurden in Wien geboren, gingen hier<br />

zur Schule und wuchsen in Favoriten auf. Migranten in Österreich wollen sich national<br />

partout nicht identifizieren. Und um es<br />

Die eine hat tunesische Eltern, die andere<br />

serbische. Die eine trägt Kopftuch, die schlimmer zu machen: Deutsche Migranten<br />

andere ist blond und blauäugig. Beide sind wollen das schon eher. Sie fühlen sich stärker<br />

Deutschland zugehörig, als die österreichischen<br />

zu Österreich. Starker Tobak, ich<br />

weiß. Doch mein Bauchgefühl wurde vor<br />

„Und wenn ich<br />

gesagt habe, dass ich<br />

Österreicherin bin,<br />

dann waren die Leute<br />

nicht zufrieden. Es<br />

gibt keine Akzeptanz,<br />

dass Österreicher<br />

auch anders aussehen<br />

können.“<br />

dem Sommer durch zwei Dinge angefeuert:<br />

Ich stieß auf Statistiken einer europaweiten<br />

Studie und ich traf meine türkische Freundin.<br />

Beide bestätigten den Unterschied.<br />

Die Ergebnisse von TIES, einer großen<br />

Studie, die 2012 in neun europäischen<br />

Ländern die Situation von Migranten der<br />

zweiten Generation untersucht hat, zeigen<br />

folgendes: Während sich in Deutschland<br />

türkische und ex-jugoslawische Migranten<br />

zu 49 – 70 Prozent stark zugehörig fühlen,<br />

sind es in Österreich nur 29 – 57 Prozent.<br />

Hinzu kommt, dass meine Freundin zu 100<br />

Prozent lieber mit einem Deutschtürken als<br />

mit einem Türken aus Österreich ausgehen<br />

würde. „Die stehen zu ihrem Deutschsein!“<br />

Das mache attraktiv, im Gegensatz<br />

zur österreichischen Zerrissenheit. Hier<br />

will keiner stolzer „Austrotürke“ sein,<br />

sie eingeschlossen. Aha, interessant und<br />

danke! Das Thema meiner Masterarbeit war<br />

hiermit gefunden. Ich ging der Sache nach.<br />

Im Frühsommer diesen Jahres führte<br />

ich daher jede Menge Interviews, 26, um<br />

genau zu sein. Ich sprach mit Migranten<br />

der zweiten Generation, im Alter zwischen<br />

15 bis 36 Jahren, im Ruhrgebiet und in<br />

Berlin, in Wien und Wiener Neustadt. Ich<br />

habe mit ihnen Kaffee getrunken und sie<br />

gefragt, wie sie zum Land ihrer Geburt und<br />

Staatsbürgerschaft stehen. Im Gegensatz<br />

zur aktuellen Studie der Stadt Wien über<br />

die Radkalisierung von Jugendlichen, habe<br />

ich bewusst nicht mit „benachteiligten“<br />

Jugendlichen in Jugendzentren gesprochen,<br />

sondern mit „etablierten“ jungen Leuten.<br />

Solchen, die ein Studium verfolgen, ein<br />

Praktikum machen oder fest im Job verankert<br />

sind. Nur in Duisburg war ich auf einer<br />

sogenannten „Brennpunktschule“.<br />

Was dabei rausgekommen ist, könnt ihr<br />

auf der Uni-Bibliothek differenziert auf 84<br />

Seiten nachlesen – oder hier kompakt.<br />

„Der Pass ist Sicherheit!“<br />

Zunächst, ein Pass macht noch keinen<br />

Landsmann. Da sind sie sich in Österreich<br />

wie in Deutschland einig. Identität ist ein<br />

Gefühl und kein Stück Papier. Was aber<br />

nicht heißt, dass es keine Wechselwirkung<br />

gibt. „Was der deutsche Pass mir bedeutet?<br />

Privilegien! Innerhalb der EU frei reisen<br />

zu können... Sich an Wahlen beteiligen zu<br />

können, mich für bestimmte Posten bewerben<br />

können. Wirklich überhaupt ein Teil<br />

dieses Landes zu sein“, erklärt mir Metin.<br />

Der 26-Jährige sei zwar mehr Oberhausener<br />

als Deutscher, aber mit dem deutschen<br />

Rechtsstaat identifiziert er sich sehr. Die<br />

Demokratie, das deutsche Grundgesetz,<br />

die politische Sicherheit sind für viele gute<br />

Gründe, froh und stolz auf den deutschen<br />

Pass zu sein.<br />

Amirs Antrag auf Staatsbürgerschaft läuft<br />

derzeit. „Ganz ehrlich, als 100 Prozent<br />

deutscher Staatsbürger wäre ich in Europa,<br />

mit den rechtspopulistischen Entwicklun-<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 19


almanah<br />

Model Abdullah und Kaiser Franz Joseph im Belvedere:<br />

Wer ist der richtige Österreicher?<br />

„Ich würde mich<br />

nicht als Türken<br />

bezeichnen. Aber<br />

Österreicher bin<br />

ich auch nicht,<br />

egal wie sehr ich<br />

mich anpasse. Die<br />

richtigen Österreicher<br />

würden es auch nicht<br />

akzeptieren.“<br />

gen, zu 100 Prozent sicher.“ Auch Luca hat<br />

seinen Antrag dieses Jahr gestellt – ebenfalls<br />

aus politischen Gründen. Der 36-jährige<br />

Familienvater will mitgestalten können<br />

im Land, in dem er und seine Familie leben:<br />

„Ich habe beschlossen, dass mit meinem<br />

Kind der Integrationsprozess abgeschlossen<br />

sein soll. Wegen dem Aufschwung der AFD<br />

brauche ich eine Stimme!“ Weil so, als Italiener,<br />

kann er nicht wählen. Und unterm<br />

Strich sei er ja deutsch, abgesehen von den<br />

schwarzen Haaren.<br />

Auch in Österreich zählt der Sicher heitsgedanke,<br />

jedoch mehr in Punkto sozialer<br />

Sicherheit. „Existenzsicherung“ gäbe es<br />

in seiner Heimat nicht, erklärt mir Can,<br />

ein 29-jähriger Wiener. Und Esma, eine<br />

Wienerin mit bosnischen Wurzeln, wünscht<br />

sich nichts mehr als die österreichische<br />

Staatsbürgerschaft - aus Gründen des<br />

„inneren“ Schutz. „Der Pass ist Sicherheit!<br />

Dass ich nicht ausgewiesen werde. Wenigstens<br />

wählen zu können, in dem Land, in<br />

dem ich lebe. Als Mensch ohne EU-Bürgerschaft<br />

bist du ein Mensch zweiter Klasse.<br />

Du musst dich in der Uni an eine andere<br />

Schlange anstellen und auch bei Jobs hast<br />

du es schwerer.“<br />

Die „Papier-Identität“, wie viele sie<br />

nennen, mag zwar weniger emotional sein,<br />

sie ist aber existenziell. Und weil die eigene<br />

Existenz nun einmal von Geburt an mit<br />

dem Land verknüpft ist, empfinden einige<br />

20<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

Was ist schon typisch „österreichisch“?<br />

Auch Sissi war Migrantin.<br />

schlicht ein Recht auf den rot-weiß-roten<br />

Pass. Wie der 33-jährige Robert. Ja, Robert<br />

ist auch Migrant. Seine bosnischen Eltern<br />

gaben ihm bewusst einen österreichischen<br />

Namen, damit er es weniger schwer als sein<br />

älterer Bruder mit typisch jugoslawischem<br />

Namen haben würde. „Ich bin da aufgewachsen<br />

und ich lebe hier. Es ist für mich<br />

legitim die Staatsbürgerschaft zu haben und<br />

selbstverständlich sie auch zu nehmen.“<br />

Doch letztlich gilt, was Malva sagt:<br />

„Der Pass stempelt mich definitiv nicht als<br />

Österreicherin ab!“ Aber was dann?<br />

Nicht richtig Österreicher<br />

Die 22-Jährige weiß es nicht. „Ich denke<br />

sehr oft darüber nach. Was bin ich? Halbe<br />

Österreicherin? Halbe Türkin?“ Die Identitätsfrage<br />

beschäftigt jeden, der anders ist.<br />

Als Migrant gehört sie zum Leben dazu wie<br />

Marmelade zur Sachertorte. Wer von dir<br />

wissen will, woher du „wirklich“ kommst,<br />

will wissen wer du „wirklich“ bist. Und<br />

macht mit der Frage klar, einer wie er bist<br />

du wahrlich nicht.<br />

„Es ist eine schwierige Frage.“ Den<br />

29-jährigen Leon aus Wien beschäftigt<br />

sie auch heute noch. „Ich sage immer,<br />

ich bin Türke, wenn jemand in Österreich<br />

fragt. Aber im Urlaub sage ich: I am from<br />

Austria.“ Wie viele andere teilt er seinen<br />

Charakter in österreichische Eigenschaften<br />

und in türkische ein. „Für einen Österreicher<br />

habe ich zu viele türkische Einflüsse.<br />

Und umgekehrt, für meine Verwandten in<br />

der Türkei habe ich beim Essen österreichische<br />

Ansprüche. Ich bin nicht typisch!“<br />

Nicht „typisch“ zu sein, hat ihn mit<br />

Anfang 20 dazu veranlasst seinen Vornamen<br />

„Es gab schon Zeiten,<br />

wo ich keinen Bock<br />

hatte, Österreicherin<br />

zu sein. Wegen der<br />

fremdenfeindlichen<br />

Politik zum Beispiel.“<br />

‣<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 21


almanah<br />

Lieber Wienerin<br />

als Österreicherin!<br />

„Immer kam, dass<br />

ich keine richtige sei.<br />

Schon wegen dem<br />

Namen. Naja, dann<br />

eben nicht!“<br />

Verloren in Österreich? Der Wien-Plan im Leopold Museum gibt Orientierung.<br />

zu ändern. Er gab sich einen, der weniger die 22-jährige mit tunesischen Wurzeln.<br />

türkisch und für Österreicher nicht fremd Obgleich sie eine der wenigen war, die sich<br />

klingt, der aber auch kein Verrat an seinen klar als Österreicherin bezeichnet hat – es<br />

türkischen Wurzeln ist. Er wollte dadurch sei nun mal ihre einzige Heimat – kennt<br />

bessere Chancen bekommen. „Es gibt sie die bewusste „Kontra-Identifizierung“:<br />

einfach Momente, wo man überlegt, wie „Es gab schon Zeiten, wo ich keinen Bock<br />

es wäre, wenn ich nur Österreicher wäre. hatte, Österreicherin zu sein.“ Warum?<br />

Wenn du 10 Jobabsagen bekommst, dann „Wegen der fremdenfeindlichen Politik<br />

fragst du dich schon, ob es daran liegt?!“ zum Beispiel!“ Aber auch, weil sie sich<br />

Starke Diskriminierungen hat er allerdings nicht anerkannt fühlte. „Und wenn ich<br />

nicht erfahren. Andere schon. Etwa Nara, gesagt habe, dass ich Österreicherin bin,<br />

dann waren die Leute nicht zufrieden – es<br />

gibt keine Akzeptanz, dass Österreicher<br />

auch anders aussehen können und andere<br />

Namen haben.“ Später ist es Nara wurscht<br />

gewesen.<br />

Sich eindeutig positionieren zu müssen<br />

und dann hinterfragt zu werden, ist Los<br />

und Frust von Migranten. Obwohl sie zwei<br />

Heimaten besitzen, oft zwei Sprachen<br />

beherrschen, sind sie nie „richtig“ Teil.<br />

Einige fühlen sich in ewiger Schwebe –<br />

wie Can. „Ich würde mich nicht als Türken<br />

bezeichnen. Aber Österreicher bin ich nicht,<br />

egal wie sehr ich mich anpasse, die Sprache<br />

spreche, hier aufgewachsen bin und meine<br />

Ausbildung gemacht habe. Auch wenn ich<br />

mich hier zu Hause fühle, bin ich ganz<br />

sicher nicht Österreicher. Und selbst wenn<br />

ich mich so bezeichnen würde, würden es<br />

die richtigen Österreicher nicht akzeptieren.<br />

Mit Rassismus haben wir alle schon zu<br />

tun gehabt, das fängt im Kindergarten an.“<br />

Oder in der Schule. Malva stöhnt jetzt<br />

noch, wenn sie an ihre Schulzeit denkt.<br />

„Man traut den Türken hier nichts zu.<br />

Meine Lehrerin hat mir ins Gesicht gesagt,<br />

dass ich eh Supermarktverkäuferin werde.“<br />

Aber nicht nur Türkischsein scheint in der<br />

Schule vorbelastend. Es reicht ein „ic´“ im<br />

Namen und schon ist man draußen. Dajana<br />

ist deswegen Wienerin – zum Trotz. „Weil<br />

Österreicher mich nicht als Österreicherin<br />

sehen. Immer kam, dass ich ja keine<br />

richtige sei, schon wegen dem Namen. Naja,<br />

dann eben nicht!“<br />

Künstliche Verfremdung<br />

Langsam verstehe ich: Österreicher ist man<br />

ganz oder gar nicht. „Entweder-oder“ heißt<br />

22<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

die gesellschaftliche Ansage, dazwischen<br />

müssen Migranten sich entscheiden. Auch<br />

rechtlich. Im Gegensatz zu Deutschland<br />

wird hier die doppelte Staatsbürgerschaft<br />

nicht toleriert. Der Erwerb der österreichischen<br />

Staatsbürgerschaft bedeutet immer<br />

den Verlust jeder anderen. In Deutschland<br />

können seit 2014 dagegen nicht mehr nur<br />

EU-Bürger die doppelte Staatsbürgerschaft<br />

besitzen, sondern auch jene, die „lediglich“<br />

in Deutschland aufgewachsen sind – wie<br />

eben Deutschtürken. Und ohne Optionspflicht.<br />

„Es soll der besonderen Situation<br />

der in Deutschland mit mehreren Staatsbürgerschaften<br />

aufgewachsenen ius-soli-Deutschen<br />

Rechnung getragen werden“, sagt das<br />

Deutsche Innenministerium auf seiner Website.<br />

Ius Soli heißt Geburtsrecht. Das will die<br />

junge Union nun ändern. Eine knappe Mehrheit<br />

der CDU stimmte auf einem Parteitag<br />

im Dezember <strong>2016</strong> für die Wiedereinführung<br />

der Optionspflicht. Nun, man wird sehen. In<br />

Österreich gilt jedenfalls allein das Abstammungsrecht.<br />

Kenan Güngör, Integrationsexperte,<br />

kritisiert dies als „künstliche Verfremdung<br />

von hiergeborenen Kindern“ in Österreich<br />

und erwähnt auch „Demütigungsrituale“<br />

beim Erwerbsprozess. Vuk, ein 36-jähriger<br />

Wiener Neustädter, findet „Demütigung“<br />

treffend. Er erinnert sich, wie mit seiner<br />

Familie abwertend im bewussten „Ausländerdeutsch“<br />

gesprochen wurde. Solche<br />

Erlebnisse prägen für‘s Leben. Wer nicht<br />

willkommen ist, will auch nicht Österreicher<br />

sein, wie Vuk. Er ist „Jugoslawe“.<br />

Deutschtürke statt Austrotürke<br />

Im Gegensatz zu Österreich ist es in<br />

Deutschland also gesetzlich erlaubt<br />

„beides“ zu sein. Und interessanterweise<br />

zeigt sich dies auch in den Ergebnissen<br />

meiner Befragung: Sie mischen mehr.<br />

Die Frage „Bist du Deutsche(r)?“<br />

beantworten viele selbstbewusster mit<br />

„ja“ – ohne das zwingend als exklusiv zu<br />

begreifen. So antwortet eine junge Frau:<br />

„Ja, ich bin Deutsche... mit arabischen<br />

Wurzeln“. Ein junger Mann ist „Deutschtürke“,<br />

ein anderer antwortet einfach<br />

zweimal mit „ja“: Er ist Deutscher und ja,<br />

er ist auch Syrer. Deutscher zu sein scheint<br />

fragmentiert möglich zu sein – sowohl<br />

als auch.<br />

Das vermissen Migranten in Österreich. Die<br />

Wienerin Zaida hat Cousins in Hamburg.<br />

„Bei denen ist das Deutsche viel verinnerlichter.<br />

Eine Cousine hat erst hier bei uns<br />

in Österreich Türkisch gelernt,“ erzählt sie.<br />

Die Wahnehmung, dass die deutschtürkische<br />

Verwandtschaft besser integriert ist,<br />

teilen Viele.<br />

Doch in Deutschland herrscht keine<br />

rosa Integrationswelt. Im Gegenteil, einige<br />

Befragte verneinten klar, Deutscher zu sein.<br />

Wie die Berlinerin Nazan. Die 15-Jährige<br />

erklärte mir den Grund dafür: „Wenn ein<br />

Hund in einem Kuhstall geboren wird, ist<br />

er trotzdem noch keine Kuh.“ Für sie sei es<br />

so: Am Papier deutsch, im Herzen türkisch.<br />

Aber als „Teil der deutschen Gesellschaft“<br />

sieht sie sich durchaus. Und besteht darauf:<br />

Als in der Schule eine Mitschülerin fand,<br />

sie sei trotz deutschem Pass keine richtige<br />

Deutsche, hätte sie entgegengesetzt: „Das<br />

ist doch meine Sache. Wenn ich mich so<br />

fühle, dann gehöre ich zur deutschen Kultur<br />

genauso dazu – und dann war die auch<br />

still.“ Klare Ansage, über ihre Identität<br />

entscheidet Nazan selbst, niemand anderes.<br />

Das ist der Unterschied zu Österreich.<br />

Hier wurde meiner Frage unentschlossen<br />

ausgewichen und zudem mehr Fremdbestimmung<br />

und Machtlosigkeit ausgedrückt.<br />

Die eigene Zugehörigkeit wurde wenn auf<br />

Adjektivebene formuliert: Als „österreichisch“<br />

im Charakter vermag der ein oder<br />

andere sich beschreiben, aber ein Österreicher<br />

sei er dadurch noch lange nicht. Die<br />

Idee „beides“ sein zu können, wurde erst<br />

gar nicht ausgesprochen – nur später im<br />

Gespräch gewünscht. So ist es nicht verwunderlich,<br />

dass im Gegensatz zum „Deutschtürken“<br />

die Identität des „Austrotürkens“<br />

keine Option ist.<br />

Beides Bitte!<br />

Dabei wären auch die Austro-Migranten<br />

„beides“ gerne. Nicht zerrissen und säuberlich<br />

in zwei Hälften geteilt, sondern<br />

vermischt, verwoben und mitunter widersprüchlich<br />

– als eine Identität. Denn, so<br />

sind sie nun einmal, eine „Melange“. Auf<br />

eine Frage antworten nämlich alle gleich:<br />

Ob in Deutschland oder Österreich, keiner<br />

würde tauschen wollen, wenn er könnte.<br />

Alle sind lieber beides, als eins.<br />

„Ich finde Beides repräsentiert besser<br />

das, was ich bin“, sagt Rana. Die gemischte<br />

Identität bringt Vorteile wie Nachteile mit<br />

sich. Und vor allem bringt sie Verantwortung.<br />

Migranten stehen oft in der Vermittlerrolle.<br />

Nara, die junge Frau mit tunesischen<br />

Wurzeln, wäre stets die „Korrespondentin<br />

für den arabischen Raum“. Für Dajana ist<br />

die Kulturvermittlung zur Berufsmission<br />

geworden. Sie habe bewusst ihr Studium der<br />

transkulturellen Kommunikation gewählt<br />

und will als Journalistin aktiv die serbische<br />

Kultur in ein besseres Licht stellen. „Denn<br />

gerade als „Tschusch“ und Serbe bist du<br />

immer der Arsch.“<br />

Mir wird klar: Leon, Dajana, Nara und all<br />

die anderen wären gerne – auch – Österreicher.<br />

Sie wollen fraglos, also „richtig“<br />

Teil sein und mehr noch, sie wollen beitragen<br />

– als Vermittler und Korrespondenten.<br />

Nun, wenn wir sie lassen, sogar einladen,<br />

wer weiß, vielleicht bereichert es uns alle?<br />

Denn die Welt ist global, egal wie national<br />

wir sie gern hätten.<br />

„Ich gehöre hier hin und ich möchte,<br />

dass das Land mich als Österreicherin mit<br />

bosnischem Migrationshintergrund akzeptiert“,<br />

wünscht sich Esma. Ein legitimer<br />

Wunsch.<br />

<br />

Nachtrag<br />

Nun wird wohl dem ein oder anderen aufgefallen<br />

sein, dass ausgerechnet eine Piefkin<br />

diesen Artikel verfasst hat. Typisch,<br />

nicht? Und vielleicht werden sich manche<br />

gedacht haben, dass auch die Unentschlossenheit<br />

in Österreich typisch ist, nicht?<br />

Immerhin fehlt meiner „richtigen“ österreichischen<br />

Freundin auch der „Nationalstolz“:<br />

Sie ist im Ausland stets Wienerin.<br />

Vielleicht sind die Austromigranten also nur<br />

ein Spiegelbild der Gesellschaft, quasi bestens<br />

integriert und ausgestattet mit jener<br />

unentschlossenen, aber so österreichischen<br />

Seele?! Tja dann, mehr Melange bitte.<br />

Dieser Artikel erschien das erste Mal in der biber<br />

November Ausgabe <strong>2016</strong><br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 23


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Humanitäre Hilfe<br />

geht uns alle an.<br />

Bei Naturkatastrophen und Krisen wird Österreich<br />

aktiv: Weltweit setzen sich die Austrian Development<br />

Agency (ADA) und Nicht regierungsorganisationen für<br />

Menschen in Not ein.<br />

Development Agency (ADA): „Mit diesen Mitteln<br />

konnten wir rund zwei Millionen Menschen<br />

helfen!“<br />

SCHNELLE UND NACHHALTIGE HILFE<br />

So wurden zum Beispiel <strong>2016</strong> über sechs<br />

Millionen Euro an Ernährungshilfe für Syrien<br />

ausbezahlt. „Uns geht es darum, dass die Hilfe<br />

rasch erfolgt, sich immer am humanitären Bedarf<br />

der betroffenen Menschen orientiert und<br />

an den Prinzipien Menschlichkeit, Neutralität,<br />

Unparteilichkeit und Unabhängigkeit“, sagt<br />

Ledolter. Dabei arbeitet die ADA nur mit Partnern,<br />

die viel Erfahrung in der Soforthilfe haben,<br />

wie Care, Caritas oder dem Roten Kreuz:<br />

Sobald es mit einem Beschluss der Regierung<br />

Geld von Österreich gibt, können die Partner<br />

vor Ort aktiv werden. Dass die Hilfe dort ankommt,<br />

wo sie gebraucht wird, dafür sorgt die<br />

Austrian Development Agency (ADA).<br />

Im Jahr <strong>2016</strong> sechs Millionen Euro für die<br />

Ernährungshilfe in Syrien.<br />

Das Ziel von humanitärer Hilfe ist es, Leben<br />

zu retten, menschliches Leid zu lindern und<br />

Schutz und Versorgung aller betroffenen Menschen<br />

in einer Notlage (Naturkatastrophen,<br />

bewaffnete Konflikte, Pandemien) sicher zu<br />

stellen. Wenn Menschen nach Katastrophen<br />

oder Kriegen ums Überleben kämpfen, springen<br />

Hilfsorganisationen aus aller Welt ein.<br />

„Angesichts aktueller Katastrophen und Krisen<br />

haben wir im Jahr <strong>2016</strong> knapp 28 Millionen<br />

Euro für humanitäre Hilfe mit unseren<br />

Partnern abgewickelt“, sagt Martin Ledolter,<br />

Geschäftsführer der staatlichen Austrian<br />

DAS ROTE KREUZ HILFT IN SYRIEN<br />

Für das Internationale Komitee vom Roten<br />

Kreuz (IKRK) ist im Bürgerkriegsland Syrien<br />

vor allem die Nähe zu den Menschen in Not<br />

wichtig. Mohammad war sechs Jahre alt, als<br />

er zum Flüchtling wurde. Mit acht zog er sich<br />

bei einem Unfall schwere Verbrennungen zu.<br />

Seit er im Traumatologie-Zentrum des IKRK<br />

im Libanon behandelt wird, denkt er wieder an<br />

die Zukunft. Sein größter Wunsch ist, selbst<br />

Arzt zu werden, damit er zuhause in Syrien<br />

den Menschen helfen kann. In Mohammads<br />

Heimatland wird medizinische Hilfe tatsächlich<br />

dringend gebraucht. Ohne Rücksicht auf<br />

die Genfer Konventionen werden Spitäler<br />

und medizinische Einrichtungen bombar-<br />

Abdul Kader Fayad, SARC<br />

24


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diert, Strom und Wasser fehlen und die Versorgung<br />

mit Medikamenten ist vielerorts fast<br />

unmöglich. „Kein Erwachsener und schon gar<br />

kein Kind sollte so etwas erleben müssen. Die<br />

Menschen versuchen unter den widrigsten<br />

Umständen zu überleben“, schildert die<br />

IKRK-Delegationsleiterin Marianne Gasser die<br />

Situation in Aleppo: „Wassersysteme, Spitäler,<br />

Rettungsstationen und Lagerhäuser werden<br />

zerstört. Ärzte und medizinisches Personal<br />

arbeiten rund um die Uhr, um Verletzte zu<br />

versorgen.“<br />

Das IKRK ist gemeinsam mit dem Syrisch-Arabischen<br />

Roten Halbmond eine der<br />

wenigen Hilfsorganisationen, die noch im<br />

Land arbeitet. Die Unterstützung dafür kommt<br />

auch aus Österreich. Die Bundesregierung<br />

unterstützt über die ADA die Rotkreuz-<br />

Hilfsaktivitäten in Syrien. Eine Million Euro<br />

gingen im Jahr <strong>2016</strong> an das IKRK für die<br />

Gesundheitsprogramme und 350.000 Euro<br />

erhielt das ÖRK für Nahrungsmittel, die im<br />

Raum Aleppo verteilt wurden. Neben der<br />

tatsächlichen Hilfe in Form von Medikamenten<br />

und Nahrungsmitteln stärkt die Präsenz der<br />

Hilfsorganisationen die Bevölkerung wie<br />

Marianne Gasser berichtet: „Ein Moment hat<br />

mich besonders bewegt. Eine Frau kam auf<br />

mich zu, sie lächelte. Ich dachte, sie wäre einfach<br />

froh über die Hilfe, die wir gebracht haben.<br />

Ich habe mich getäuscht. Sie flüsterte mir<br />

zu: „Indem ihr mit uns gesprochen habt, euch<br />

an uns erinnert habt, habt ihr uns etwas zurückgegeben:<br />

Unsere Würde. Danke.“<br />

WAS DIE ADA MACHT:<br />

Die Austrian Development Agency, die<br />

Agentur der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit,<br />

unterstützt Länder in<br />

Afrika, Asien, Südost- und Osteuropa sowie<br />

die Karibik bei ihrer nachhaltigen Entwicklung.<br />

Gemeinsam mit öffentlichen Einrichtungen,<br />

Nichtregierungsorganisationen und<br />

Unternehmen setzt die ADA derzeit rund<br />

650 Projekte und Programme mit einem<br />

Gesamtvolumen von 500 Millionen Euro um.<br />

Näher Infos unter:<br />

www.entwicklung.at<br />

austriandevelopmentagency<br />

@austriandev<br />

Peter Launsky-Tieffenthal, Leiter der Entwicklungszusammenarbeit im Außenministerium,<br />

und Martin Ledolter, ADA-Geschäftsführer, überzeugen sich in<br />

Uganda davon, dass die Hilfe ankommt.<br />

„Entwicklungszusammenarbeit<br />

wirkt!“<br />

Kriege, Terror, Hungersnöte, 65 Millionen<br />

Menschen auf der Flucht: Wenn man die<br />

Zeitung liest oder den Newsfeed am Handy<br />

verfolgt, neigt man dazu zu glauben,<br />

es geht uns immer schlechter. Aber das<br />

Gegenteil ist der Fall! In den vergangenen<br />

25 Jahren konnte die Kindersterblichkeit<br />

ebenso wie die Müttersterblichkeit um die<br />

Hälfte reduziert werden und die Anzahl der<br />

absolut Ärmsten – das sind jene, die von<br />

etwa einem Euro pro Tag leben müssen –<br />

wurde von 1,9 Milliarden um über 1 Milliarde<br />

(!) auf etwa 860 Millionen Menschen<br />

verringert. Armut reduzieren, Frieden<br />

fördern und Umwelt schützen – das sind<br />

auch die drei großen Anliegen der Austrian<br />

Development Agency (ADA), der Agentur<br />

der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit.<br />

Um eine bessere Welt für alle<br />

zu erreichen, muss jeder etwas<br />

tun, davon ist Martin Ledolter,<br />

Geschäftsführer der Austrian<br />

Development Agency, überzeugt.<br />

Welche weltweiten Fortschritte wurden in den<br />

letzten Jahren erreicht?<br />

MARTIN LEDOLTER: Viele Ziele, die sich<br />

die internationale Staatengemeinschaft im<br />

Jahr 2000 – mit den sogenannten Millennium-Entwicklungszielen<br />

– gesteckt hat,<br />

konnten erreicht werden. Dennoch bleibt noch<br />

viel zu tun. Es gilt, den Menschen in Not vor<br />

allem eine Perspektive zu geben: Und wenn<br />

wir es mit einem Marathon vergleichen, dann<br />

liegt zwar die halbe Distanz hinter uns, wir<br />

wissen aber auch, dass die zweite Hälfte des<br />

Weges die weitaus schwierigere ist. Dennoch<br />

bin ich optimistisch, weil ich in meiner Arbeit<br />

als Geschäftsführer der Austrian Development<br />

Agency die große Freude habe, mich immer<br />

wieder persönlich von Fortschritten weltweit<br />

überzeugen zu können.<br />

Auf einer meiner Dienstreisen habe ich<br />

etwa einen äthiopischen Bauern getroffen,<br />

der exemplarisch für viele tausend andere<br />

steht und mir erklärt hat, durch die ADA<br />

25


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Martin Ledolter: Wir wollen Menschen in<br />

ihrer Heimat eine Perspektive geben und<br />

bessere Lebensbedingungen schaffen.<br />

und die österreichische Hilfe sei er ein „reicher<br />

Mann“ geworden. Reich heißt für ihn, dass er<br />

und seine Familie nun in einer Lehmhütte und<br />

nicht mehr in einer Strohhütte leben können.<br />

Reich bedeutet, dass er jetzt durch neue Anbaumethoden<br />

Obstbäume ziehen kann, die<br />

mehr Früchte tragen. Reich sein heißt, dass<br />

seine Kuh durch neue Zuchtmethoden nicht<br />

mehr eineinhalb Liter Milch, sondern acht<br />

Liter Milch gibt. Und diesen „Reichtum“ gibt<br />

der Bauer weiter an seine Kinder, die er in die<br />

Schule schickt, weil er das Schulgeld bezahlen<br />

und die notwendige Kleidung kaufen kann.<br />

Das macht ihn besonders stolz und zeigt mir,<br />

dass wir das Richtige tun.<br />

Braucht es nicht auch neue Allianzen, um der Beseitigung<br />

von Armut und der Friedensförderung<br />

zum Durchbruch zu verhelfen?<br />

MARTIN LEDOLTER: Wie der ehemalige<br />

UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon sagt: Unsere<br />

Generation hat die Chance, Armut und<br />

Hunger bis 2030 zu beseitigen. Das heißt aber<br />

auch, dass wir uns alle anstrengen müssen,<br />

staatliche Entwicklungshilfe alleine kann und<br />

wird das nicht leisten können. Die Austrian<br />

Development Agency hat daher gemeinsam<br />

mit dem Außenministerium die Initiative<br />

„MITMACHEN!“ ins Leben gerufen. Damit<br />

zeigen wir Wege auf, wie man als Stadt oder<br />

Gemeinde, als Verein, Stiftung oder Organisation,<br />

als Unternehmen, Schule, Universität<br />

oder als Bürgerin und Bürger aktiv werden<br />

kann. Jeder und jede kann sich einbringen<br />

und seinen Teil dazu beitragen, die Welt zu<br />

einem besseren Platz zu machen – davon bin<br />

ich überzeugt! Wir können am Markt lokale<br />

Produkte einkaufen, fair produzierte Kleidung<br />

tragen, uns für andere Menschen interessieren<br />

und über unseren Tellerrand schauen. Die ADA<br />

unterstützt mit der Initiative „MITMACHEN!“<br />

gerade das Engagement der Jugend besonders:<br />

Rund 170 Volontariatsplätze stehen für<br />

junge Menschen, die in Bildungs- und Sozialprojekten<br />

im Ausland mitarbeiten wollen, zur<br />

Verfügung.<br />

Welche Bedeutung hat die Wirtschaft im Rahmen<br />

der Entwicklungszusammenarbeit?<br />

MARTIN LEDOLTER: Um unsere ambitionierten<br />

Ziele zu erreichen, bedarf es allerdings<br />

neuer Partnerschaften. Deshalb gewinnt<br />

auch der Privatsektor in der Entwicklungszusammenarbeit<br />

zunehmend an Bedeutung.<br />

Für die ADA ist er ebenso ein wichtiger Mitstreiter<br />

im Kampf gegen Armut. Mit der Social<br />

Entrepreneurship Challenge fördern wir<br />

beispielsweise 15 innovative Projekte für<br />

nachhaltige Entwicklung mit rund einer Million<br />

Euro. Rund sieben Millionen Euro stehen<br />

jährlich für Förderungen im Bereich Wirtschaft<br />

und Entwicklung zur Verfügung. Nachhaltige<br />

Geschäftsideen von österreichischen und<br />

EWR-Unternehmen in Entwicklungs- und<br />

Schwellenländern unterstützen wir, sofern<br />

sie die Lebensbedingungen der Menschen vor<br />

Ort verbessern. Mit etwa 60 Wirtschaftspartnerschaften<br />

konnten wir so seit 2012 die Lebensbedingungen<br />

von weit über einer Million<br />

Menschen verbessern.<br />

In den kommenden Jahren stehen der ADA wesentlich<br />

mehr Mittel zu Verfügung. Was kann man<br />

mit dem zusätzlichen Geld bewerkstelligen?<br />

MARTIN LEDOLTER: Dank Außenminister<br />

Sebastian Kurz wird das Basisbudget der ADA<br />

bis 2021 auf 154 Millionen Euro angehoben.<br />

Die zusätzlichen Mittel werden wir verstärkt<br />

im Bereich Migration und Entwicklung einsetzen,<br />

und auch in den Herkunftsländern jener<br />

Menschen, die ihre Heimat verlassen, wie etwa<br />

dem Irak oder Afghanistan. Denn Menschen<br />

vor Ort bessere Lebensbedingungen zu ermöglichen<br />

und Perspektiven zu geben ist um<br />

vieles effizienter, als sie hier in Österreich zu<br />

versorgen. Mit mehr Mitteln können wir noch<br />

mehr tun, daher freuen wir uns auch über<br />

das Vertrauen der Europäischen Kommission:<br />

Derzeit setzen wir für die EU Vorhaben mit<br />

einem Gesamtvolumen von knapp 100 Millionen<br />

Euro um. Wir werden uns auch in Zukunft<br />

dafür einsetzen, mehr Mittel zu bündeln und<br />

Aufträge österreichischer Ministerien, der Europäischen<br />

Kommission und anderer Geber zu<br />

übernehmen und dadurch die Wirkung unserer<br />

Maßnahmen zu erhöhen.<br />

Ich lade aber auch persönlich dazu ein, sich<br />

für eine bessere Welt zu engagieren, denn nur<br />

gemeinsam werden wir es schaffen den Hunger<br />

und die Armut in allen Ländern zu beseitigen!<br />

Bildung wirkt – und bietet Wege aus der<br />

Armut<br />

Tom Platzer CARE<br />

26


almanah<br />

Zug um Zug integrieren!<br />

Im Sommer 2015<br />

versorgten unzählige<br />

Österreicher ankommende<br />

Flüchtlinge.<br />

Freiwillig. Seither hat<br />

sich die Freiwilligenarbeit<br />

multipliziert. Das<br />

haben auch die Gründer<br />

der Akademie für<br />

Zivilgesellschaft bemerkt<br />

und sehen sich seither<br />

als Gründerservice für<br />

Freiwilligenprojekte.<br />

T E X T :<br />

Sarah Al-Hashimi<br />

F O T O :<br />

Marko Mestrović<br />

Kineke Mulder, selbstständige Grafikerin,<br />

Freiwillige im Flüchtlingsbereich. Das nächste<br />

Schachturnier findest du unter www.mulder.at.<br />

Beim Schachspielen muss man nicht<br />

dieselbe Sprache sprechen, um<br />

miteinander spielen zu können“,<br />

sagt Kineke Mulder, die Schachturniere für<br />

„alte“ und „neue“ WienerInnen organisiert.<br />

Denn Schach hat international dasselbe<br />

Regelset. „Man begegnet sich auf Augenhöhe.“<br />

Mulder ist Schach-begeistert. Das<br />

Projekt hat die selbstständige Grafikerin ins<br />

Leben gerufen, weil sie das Zusammenleben<br />

in Wien ein bisschen schöner machen<br />

wollte. Etwas hat ihr aber noch gefehlt, und<br />

zwar Vernetzung. Gesucht und gefunden<br />

hat sie die in der Akademie für Zivielgesellschaft<br />

(AfZ) – einem Gründungsservice der<br />

Wiener Volkshochschulen.<br />

Um in die AfZ aufgenommen zu werden,<br />

muss man nicht wie Mulder in der Flüchtlingsarbeit<br />

tätig sein. Auch andere Freiwilligenprojekte<br />

im Gesundheitsbereich, in der<br />

Obdachlosenhilfe oder in Umweltprojekten<br />

werden von der AfZ unterstützt. Die AfZ<br />

versteht sich als erstes Gründungsservice<br />

für Freiwilligenprojekte in Wien, das<br />

mit ihrem Angebot bei Projektplanung,<br />

Teamfindung und Projektstart hilfreich<br />

zur Seite steht. In 18 Modulen gelangt man<br />

in den 2x jährlich stattfindenden 3- bis<br />

4-monatigen Wochentags- oder Wochenendlehrgängen<br />

zum Zertifikat.<br />

Grundlagenwissen und Kontakte<br />

Mulder wollte das Schach-Regelset auf<br />

deutsch-farsi und deutsch-arabisch übersetzen.<br />

Sie dachte in der AfZ eine Partnerin<br />

zu finden, die ihr das finanzieren<br />

würde. Stattdessen bekam sie einen Kontakt,<br />

über den ihr 50 Heurigengarnituren<br />

für die Schachturniere zur Verfügung<br />

gestellt wurden, zusätzlich bekam sie von<br />

einem weiteren Spender zwölf Schachsets<br />

samt Uhren. Aber Kineke Mulder profitierte<br />

nicht nur materiell. „Mein Kommunikationsstil<br />

hat sich verbessert. Ich weiß jetzt,<br />

wie ich Kooperationspartnern meine Idee<br />

in kurzer Zeit knackig präsentieren kann“,<br />

sagt Mulder.<br />

Nicht nur Vernetzung und Kommunikation<br />

stecken in den 18 Modulen der AfZ.<br />

Auch Grundlagenwissen zu Recherche,<br />

Teamleitung, Projektmanagement und<br />

Öffentlichkeitsarbeit wird den Engagierten<br />

durch Experten näher gebracht. Teilnehmen<br />

kann man mit oder ohne Projektidee.<br />

Der Projekterfolg hängt allerdings von der<br />

Bereitschaft ab selbstständig und aktiv zu<br />

arbeiten. Unter die Arme greift die AfZ vom<br />

ersten Schritt an: Wie kommt man von einer<br />

Projektidee zur konkreten Planung und<br />

dann zur Umsetzung? Um mit dem AfZ-Zertifikat<br />

erfolgreich abzuschließen, muss<br />

am Ende der Ausbildung ein startbereites<br />

Projekt formuliert, Kontakte zu Kooperationspartnern<br />

geknüpft, ein Projektportfolio<br />

geschrieben und an der Lehrgangs- bzw.<br />

Projekt-Evaluation mitgewirkt worden sein.<br />

Schach integriert<br />

Mulder kann die AfZ allen empfehlen, die<br />

professioneller im Umgang mit Medien<br />

werden und sich sicherer fühlen wollen,<br />

wie man sich selbst und sein Projekt vertritt.<br />

Ihre SchachspielerInnen profitieren<br />

auf jeden Fall von ihren neu erlernten<br />

Kompetenzen. Denn ein Turnier folgt dem<br />

anderen. „Schach und Integration funktionieren<br />

zusammen wunderbar“, ist sich<br />

Mulder sicher und erzählt begeistert weiter:<br />

„Gerade ohne Sprache lernst du beim Schach<br />

so viel über deinen Mitspieler kennen. Wie<br />

abenteuerlustig oder humorvoll er ist. Ob er<br />

ein starkes oder schwaches Nervengerüst<br />

hat. Ich finde das schön.“ Mulder will mit<br />

ihrem Schachprojekt Menschen, die neu in<br />

Wien sind, das Gefühl geben, dass sie willkommen<br />

sind. Außerdem freut es sie, dass<br />

einige Spieler sich bereits privat zum Spielen<br />

treffen.<br />

<br />

Mehr Infos zur AfZ unter www.zivilgesellschaft.wien<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 27


almanah<br />

„Österreicher<br />

sind oft zu<br />

nett“<br />

Die Vergewaltigung einer Frau<br />

durch drei junge Afghanen am<br />

Praterstern schockte Wien.<br />

Die Journalistin Tanya Kayhan<br />

über „sexuelle Armut“ in ihrer<br />

Heimat, die „guten“ Afghanen<br />

und warum es Wertekurse vom<br />

ersten Tag an braucht.<br />

T E X T :<br />

Simon Kravagna<br />

FOTO:<br />

Franz Weingartner<br />

Während ihre Freundin Geld vom Bankomaten<br />

holt, geht eine junge Studentin aus<br />

der Türkei noch schnell auf die öffentliche<br />

Toilette. Es ist spät nachts am Praterstern. Drei<br />

junge Männer, Maisam S. (15), Mohammes S. (17) und<br />

Hossein G. (26) folgen der Studentin unbemerkt, vergewaltigen<br />

und verletzen sie. Die drei verdächtigen<br />

Asylwerber aus Afghanistan sind derzeit in U-Haft.<br />

Beim Prozess fiel die Empathielosigkeit der Angeklagten<br />

besonders auf. Wie kann so etwas passieren?<br />

Tanya, du bist aus Afghanistan und kennst „eure“ Männer.<br />

Ist es nur ein Zufall, dass Afghanen derzeit häufig als Sexualstraftäter<br />

in Medienberichten vorkommen?<br />

Vor allem viele junge Männer aus den Dörfern, die<br />

jetzt nach Österreich kommen, haben durch die Herrschaft<br />

der Mujaheddin oder Taliban praktisch seit<br />

mehr als 20 Jahren keine freien und selbstbestimmten<br />

Frauen in der Öffentlichkeit gesehen. Es ist in unserer<br />

Heimat so gut wie unmöglich eine Beziehung vor der<br />

Ehe zu haben, viele Männer können sich nicht einmal<br />

eine Hochzeit leisten. Es gibt eine Art sexuelle Armut<br />

in meiner Heimat. Und hier ist plötzlich alles anders.<br />

bereitgestellt<br />

28<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

Aber eine Vergewaltigung ist ja auch in Afghanistan verboten.<br />

Selbstverständlich: Das ist auch bei uns ein schweres<br />

Verbrechen und absolut geächtet. Auch alle Afghanen<br />

in Wien, die ich kenne, verurteilen diese furchtbare<br />

Vergewaltigung am Praterstern. Aber: Wir haben ein<br />

Problem. Vor allem wenn Flüchtlinge aus ländlichen<br />

Regionen kommen, haben viele ein völlig anderes Bild<br />

von Frauen. Für viele dieser Männer ist eine gute Frau<br />

eine islamisch bekleidete Frau, die zu Hause ist und<br />

auf ihren Mann hört. Liberale Frauen hingegen sind<br />

schlecht für viele dieser Männer, weil sie sich modern<br />

kleiden, außer Haus arbeiten und frei sind. Dies gilt<br />

auch für liberale afghanische Frauen wie mich. Denn<br />

wir sind gebildet, frei und kämpfen für unsere Rechte.<br />

Ist es dann nicht verständlich, wenn viele Österreicher keine<br />

Afghanen mehr wollen?<br />

Wie gesagt, auch unter den Afghanen wird das absolut<br />

verurteilt. Wir bemühen uns intensiv um gute Beziehungen<br />

zu den Österreichern, wir sind sehr dankbar,<br />

dass wir hier eine neue Heimat finden und dann<br />

machen einige Verbrecher alles kaputt.<br />

Es ist in<br />

Afghanistan<br />

so<br />

gut wie<br />

unmöglich<br />

eine<br />

Beziehung<br />

vor der Ehe<br />

zu haben.<br />

Warum kommen so viele Afghanen nach Österreich?<br />

Bei uns ist Krieg. Das Leben ist seit Jahrzehnten unerträglich.<br />

Europa und Österreich wirken wie magische<br />

Orte: Dort ist es sicher, sauber und schön. Man wird<br />

die afghanischen Flüchtlinge nur stoppen können,<br />

wenn man den Krieg stoppt.<br />

Ist es nicht leichter die afghanischen Flüchtlinge als den<br />

Krieg in Afghanistan zu stoppen?<br />

Nein. Die Menschen werden immer Wege finden, um<br />

hierher zu kommen.<br />

Wenn du Integrationsministerin wärst: Was würdest du<br />

tun?<br />

Innerhalb der ersten paar Tage in Österreich müssten<br />

alle Flüchtlinge aus Afghanistan einen intensiven<br />

Wertekurs bekommen. Es muss ganz schnell klar<br />

gemacht werden, was hier anders ist und wie man sich<br />

zu benehmen hat. Derzeit passiert dies entweder gar<br />

nicht oder viel zu spät. Man muss auch streng sein, die<br />

Österreicher sind oft zu nett.<br />

<br />

Wer ist Tanya Kayhan<br />

Tanya Kayhan ist Absolventin<br />

der biber-Akademie und arbeitet<br />

für den Wiener TV-Sender<br />

W24 und Okto TV. Zudem ist<br />

Kayhan in der Vernetzung<br />

afghanischer Vereine aktiv<br />

und kämpft für Frauenrechte<br />

in ihrer Community. Vor ihrer<br />

Flucht nach Österreich war<br />

Kayhan TV-Redakteurin und<br />

moderierte Nachrichten für<br />

den afghanischen staatlichen<br />

TV-Sender 1 TV sowie für Voice<br />

of America in Kabul.<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 29


almanah<br />

mtazamo<br />

Perspektive auf swahili<br />

30<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


MARKT & KARRIERE<br />

Es klingt schon abgedroschen, das Schlagwort „Integration am Arbeitsmarkt“.<br />

Doch wie wirksam die Einbindung von Migranten und<br />

Flüchtlingen in den heimischen Jobmarkt ist, zeigen Studien und wissen<br />

Experten. Assimilation funktioniert tatsächlich und heißt nicht<br />

zwangsläufig die Preisgabe des eigenen Glaubens. Einen essentiellen<br />

Beitrag leisten österreichische Betriebe, die Flüchtlinge als Lehrlinge<br />

aufnehmen.<br />

S. 32–35<br />

FLÜCHTLINGE IM BETRIEB<br />

Drei Flüchtlinge, drei Unternehmen in Österreich. Wie<br />

besondere Lehrprogramme für junge Geflüchtete zum<br />

wichtigen Integrationsbeitrag werden.<br />

S. 36-38<br />

KOPF IM INTERVIEW<br />

AMS-Chef Johannes Kopf im Interview über lange Asylverfahren,<br />

hohe Erwartungen und seine politischen Wünsche<br />

für 2017.<br />

Zoe Opratko, Marko Mestrović<br />

S. 40-42<br />

ASSIMILATION FUNKTIONIERT<br />

Nicht die Diskriminierung der Migranten ist die Herausforderung,<br />

sondern ihre Selbstdiskriminierung, so die<br />

Thesen des Soziologen Ruud Kopmanns.


almanah<br />

So schafft man das<br />

Sameh holte in Österreich seinen Pflichtschulabschluss<br />

nach und macht jetzt eine Lehre bei Spar.<br />

Noorullah ist 2010 nach Österreich gekommen und ist<br />

im letzten Lehrjahr bei T-Mobile.<br />

Orwa ist einer von 16 asylberechtigten Jugendlichen,<br />

die eine Lehre bei der voestalpine machen.<br />

32<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

Als 2015 tausende junge<br />

Flüchtlinge nach Österreich<br />

kamen, versprach Österreichs<br />

Wirtschaft zu helfen. Doch<br />

nur wenige Betriebe haben<br />

bisher Flüchtlinge als<br />

Lehrlinge aufgenommen.<br />

Orwa Shaya, Noorullah Akbari<br />

und Sameh Azimi über ihr<br />

neues Leben bei voestalpine,<br />

T-Mobile und Spar.<br />

T E X T :<br />

Muhamed Beganović<br />

FOTO:<br />

Zoe Opratko<br />

Orwa Shaya hat in Syrien als Bauingenieur gearbeitet und fällt bei voestalpine durch seine<br />

große Einsatzbereitschaft auf.<br />

Orwa Shaya steht hinter seiner Workstation<br />

in der Lehrwerkstatt der<br />

voestalpine. Lange, zu einem Zopf<br />

zusammengebundene Haare, hellblaue<br />

Augen, ein Leonardo Di Caprio-Lächeln.<br />

Ein Stück Metall steckt in der Klemme und<br />

Shaya schleift es in Form. Im Raum befinden<br />

sich noch einige Dutzend Lehrlinge, die ihm<br />

Blicke zuwerfen und kichern. Shaya sieht<br />

das und blickt sie schelmisch an. Er ist 26<br />

Jahre alt und erst seit zwei Jahren in Österreich.<br />

Recht bald bekam er einen positiven<br />

Asylbescheid und stand dann vor der großen<br />

Herausforderung der Jobsuche. „Ich dachte<br />

mir dann: ich bin jetzt hier und ich muss was<br />

machen, egal was!“, sagt Shaya. Er meldete<br />

sich beim AMS an, lernte praktisch täglich<br />

Deutsch und arbeitete freiwillig als Flüchtlingshelfer<br />

bei der Caritas. Eine Kollegin dort<br />

hat ihn auf ein Qualifizierungsprogramm<br />

aufmerksam gemacht, das die voestalpine<br />

auf die Beine gestellt hat, um Flüchtlingen<br />

den Zugang zu einer Lehre zu erleichtern.<br />

Es ist Freitag, zehn Minuten nach 12<br />

Uhr. In zwanzig Minuten schließt die<br />

Werkstatt, also beginnen die Lehrlinge mit<br />

den Aufräumarbeiten. Orwa Shaya feilt<br />

einige Minuten länger. Seine Handgriffe<br />

sind präzise. Aber das liegt daran, dass er<br />

in seinem Heimatland Syrien bereits als<br />

Bauingenieur gearbeitet und so gewisse<br />

Erfahrungen gesammelt hat. Shayas Vater<br />

war nämlich Bauingenieur und Shaya selbst<br />

hat das Fach studiert, dann aber abgebrochen.<br />

Er arbeitete lieber mit dem Vater. Diese<br />

praktische Erfahrung half ihm das Qualifizierungsprogramm<br />

erfolgreich zu bestehen.<br />

„Er ist uns durch seine Einsatzfreude aufgefallen“,<br />

erinnert sich Harald Mühleder, einer<br />

der Ausbilder, an Shayas ersten Tag.<br />

Seit dem 1. September <strong>2016</strong> befinden<br />

sich 16 asylberechtigte Jugendliche in<br />

der Lehrausbildung. Die voest hat diese<br />

Lehrlinge zusätzlich zu den 250 österreichischen<br />

aufgenommen, die ohnehin jährlich<br />

einen Ausbildungsplatz bekommen. Fünf<br />

davon, unter ihnen auch Orwa Shaya, absolvieren<br />

eine Lehre zum Prozesstechniker,<br />

jene Person, die den Einsatz der Werkzeuge<br />

und Vorrichtungen auf Fertigungsmaschinen<br />

und Fertigungsanlagen plant. Die Lehre<br />

dauert 3,5 Jahre. „Die Herausforderung war<br />

es sich die Zeit zu nehmen, die Planung<br />

vorzunehmen, Personal einzuplanen“, sagt<br />

Mühleder. Schließlich sollen die Flüchtlinge<br />

die gleichen Chancen bekommen. Sie sollen<br />

„integriert“ werden.<br />

„Das Aneignen von Arbeitshaltungen<br />

wie das Einhalten von Arbeitszeiten<br />

oder den Arbeitsplatz in Ordnung zu<br />

halten, ist am Anfang ein Thema“, sagt<br />

Mühleder mit einem Lächeln und blickt zu<br />

Shaya, der aufmerksam zuhört und nun<br />

ebenfalls lächelt. „Jedoch ist das normal<br />

bei Jugendlichen. Egal welche Nationalität<br />

sie haben“, erklärt Mühleder. Wichtig<br />

sei, klare Regeln und Termine festzulegen.<br />

Mühleder würde es jedem Unternehmen<br />

empfehlen Flüchtlinge aufzunehmen, jedoch<br />

mit dem Hinweis, dass es Planung und Zeit<br />

bedarf. „Man kann es nicht einfach nebenbei<br />

machen“, sagt er. Und welchen Tipp<br />

hat Orwa Shaya an Flüchtlinge? „Man muss<br />

sich Ziele setzen und diese dann erreichen“,<br />

sagt er. Dann verlässt er die Werkstatt<br />

und macht sich auf in das Wochenende.<br />

Sein schönstes Gewand für den<br />

ersten Arbeitstag<br />

Im Donauzentrum ist es (fast) genau so<br />

geschäftig wie auf einem Flughafen, nur<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 33


almanah<br />

Noorullah Akbari ist im letzten Jahr seiner Ausbildung bei T-Mobile und<br />

gilt als Vorzeige Lehrling.<br />

schleppen die Menschen hier keine sperrigen<br />

Reisekoffer mit sich. Im T-Mobile<br />

Shop wartet ein halbes Dutzend Menschen<br />

geduldig bis ihre Nummer aufgerufen wird.<br />

Drei Schalter sind in Betrieb und hinter<br />

einem davon steht Noorullah Akbari, 26<br />

Jahre alt, dichte schwarze Haare, kräftiger<br />

Händedruck. Souverän spricht er mit<br />

einem Kunden nach dem anderen. Kaum<br />

vorstellbar, dass er sich noch in der Ausbildung<br />

befindet. An seinen ersten Tag kann<br />

er sich noch sehr gut erinnern. Es war vor<br />

knapp über zwei Jahren. „Ich habe an dem<br />

Tag mein schönstes Gewand angezogen. Ich<br />

habe mich so gut gefühlt“, sagt Akbari. Er<br />

war aber auch nervös und wegen der mangelnden<br />

Sprachkenntnisse ein wenig eingeschüchtert.<br />

Aber er merkte bald, dass es eine<br />

Ausbildung war, die er machen könnte. „Er<br />

war sichtlich nervös, aber sehr engagiert“,<br />

erinnert sich auch Damir Turcinovic, Filial-<br />

Man kann<br />

Flüchtlinge<br />

nicht<br />

einfach<br />

nebenbei<br />

betreuen.<br />

leiter und Akbaris Mentor.<br />

2010 kam Noorullah Akbari nach Österreich.<br />

Er kommt ursprünglich aus Afghanistan.<br />

Kurz nach seiner Ankunft begann<br />

er einen acht-monatigen Deutschkurs. Im<br />

Anschluss machte er seinen Schulabschluss<br />

und begab sich auf die Suche nach einer<br />

Lehre. Ein Freund erzählte ihm vom Lobby.16,<br />

ein gemeinnütziger Verein, der sich für<br />

unbegleitete, junge Flüchtlinge einsetzt und<br />

ihnen unter anderem Lehrplätze vermittelt.<br />

Über Lobby.16 kam Akbari zu T-Mobile, das<br />

seit sechs Jahren mit dem Verein kooperiert.<br />

Pro Lehrjahr nimmt T-Mobile drei<br />

Flüchtlinge auf. Derzeit befinden sich acht<br />

Personen in der Ausbildung, die drei Jahre<br />

dauert. Die Lehrlinge, die über Lobby.16 zu<br />

T-Mobile kamen, machten noch zusätzliche,<br />

von T-Mobile organisierte Deutsch-,<br />

Englisch- und EDV-Kurse, bevor sie mit<br />

der tatsächlichen Lehre begonnen haben.<br />

Noorullah Akbari befindet sich in seinem<br />

letzten Ausbildungsjahr seiner Lehre als<br />

Einzelhandelskaufmann mit dem Schwerpunkt<br />

Telekommunikation.<br />

„Es gibt keine Unterschiede in der<br />

Leistung zwischen ihm und einem ‚gewöhnlichen’<br />

Lehrling“, sagt Turcinovic. Am<br />

Anfang hatte er Schwierigkeiten mit dem<br />

IT-System, doch davon ist heute nichts<br />

mehr zu merken. Er hat von seinem Mentor,<br />

Turcinovic, alles gelernt. „Ich habe relativ<br />

früh gemerkt, dass ich die Kommunikation<br />

mit Noorullah verstärken muss“, sagt<br />

Turcinovic. Das bedeutet, dass er nach<br />

einem Vortrag noch vielleicht eine Mail<br />

schreiben oder einen Anruf tätigen musste,<br />

um nachzufragen, ob Akbari auch wirklich<br />

alles verstanden hatte. Das habe nicht mit<br />

den mangelnden Sprachkenntnissen zu<br />

tun, sondern vielmehr damit, dass man als<br />

Jugendlicher nicht vor der Gruppe sagen<br />

möchte, dass man etwas nicht verstanden<br />

hat. Es klingt fast schon auferlegt, dass<br />

ein Telekommunikations-Unternehmen<br />

einen Weg findet die Kommunikation mit<br />

den Flüchtlingen zu optimieren. Noorullah<br />

Akbari gilt wegen seines Ehrgeizes und<br />

seiner Lernfreude mittlerweile als Vorzeige-Lehrling.<br />

Vielleicht strahlt er deshalb<br />

Selbstsicherheit und Ruhe aus. Auch wenn<br />

ein Kunde besonders unzufrieden in den<br />

Laden kommt und seine Stimme aggressiv<br />

und laut wird, lässt sich Akbari nicht aus der<br />

Fassung bringen und bedient ihn freundlich.<br />

„Es hilft bei der Ausbildung immens,<br />

wenn man den Lehrlingen eine gewisse<br />

Verantwortung überträgt“, sagt Turcinovic.<br />

Lehrlinge im zweiten Jahr fungieren<br />

als Mentor für Lehrlinge, die gerade<br />

ihre Ausbildung begonnen haben. Akbari<br />

betreut ebenfalls einen neuen Lehrling<br />

– wenn er nicht gerade im Shop Kunden<br />

berät. Akbari selbst findet das Mentoring<br />

Programm super. Es habe ihm viel gebracht.<br />

„Im Laufe der Jahre haben wir uns gut<br />

auf die Jugendlichen und ihre Schicksale<br />

eingestellt“, sagt Alexandra Pattermann,<br />

Personalentwicklerin und Lehrlingsbeauftragte<br />

bei T-Mobile. „Diese Jugendlichen<br />

sind mit Alltagsproblemen belastet, die sie<br />

ohne Hilfe ihrer Eltern bewältigen müssen.<br />

Wir haben gelernt in solchen Fällen Geduld<br />

34<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

und Einfühlungsvermögen zu zeigen und<br />

gegenseitiges Vertrauen aufzubauen“, so<br />

Pattermann. Und es zeigt Wirkung. Wenn<br />

Noorullah Akbari mit den Kunden spricht,<br />

vermittelt er nicht nur das Wissen, das<br />

er während der Ausbildung gelernt hat,<br />

sondern auch Vertrauen. Er drückt auf den<br />

Knopf und eine neue Nummer erscheint auf<br />

dem Bildschirm.<br />

Der Kaufmann zählt in<br />

diesen Ländern mehr<br />

Er schlendert zwischen den Regalen in<br />

der Spar Filiale in der Wiener Babenbergerstraße.<br />

Schlichtet sie ein. Checkt, ob in<br />

der Gemüseabteilung alles in Ordnung ist.<br />

Sameh Azimi, 21, kommt aus Afghanistan,<br />

hat mittellange, gestylte, dunkle Haare und<br />

trägt das typische Spar-Outfit: braunes<br />

T-Shirt mit einem Namensschild und ein<br />

paar Jeans. Seit einem Jahr macht er schon<br />

die Lehre als Einzelhandelskaufmann mit<br />

dem Schwerpunkt Lebensmittel. Er ist fröhlich,<br />

extrovertiert und voller Energie. Aber<br />

auch ein Autodidakt. Er hat sich nämlich<br />

selbst Deutsch beigebracht. „Als ich 2013<br />

nach Österreich kam, konnte ich nur Englisch.<br />

Es war mir aber sehr wichtig Deutsch<br />

zu lernen“, sagt Azimi. Die Zeit, in der er auf<br />

seinen Asylbescheid warten musste, nutzte<br />

er für den Unterricht. Er kaufte sich Bücher<br />

bei Thalia, teils Übungsbücher wie „Deutsch<br />

A1“, aber auch Romane wie Daniel Glattauers<br />

„Gut gegen Nordwind“. Als dann der positive<br />

Bescheid kam und er gut genug Deutsch<br />

konnte, machte er ein Jahr lang den Pflichtschulabschluss.<br />

Danach suchte er zwei<br />

Monate eine Lehrstelle. Ein Freund erzählte<br />

ihm vom Spar. Er war zögerlich, bewarb sich<br />

dann aber doch.<br />

Das Zögern der Bewerber kennt das<br />

Unternehmen gut. „Manche sind den<br />

österreichischen Bewerbungsprozess nicht<br />

gewohnt. Elektronisch kommt nicht viel“,<br />

sagt Andrea Vasvary, Leiterin der Personalentwicklungsabteilung<br />

bei Spar. Bei der Juni<br />

<strong>2016</strong> veranstalteten Chancen:reich Messe,<br />

der ersten Berufsmesse für geflüchtete<br />

Menschen, bekam Spar dann aber über 100<br />

Bewerbungen. „Der kaufmännische Beruf<br />

hat bei den Menschen aus diesen Ländern<br />

einen höheren Stellenwert als bei uns.<br />

Wir hätten<br />

gerne<br />

mehr<br />

Flüchtlinge<br />

bei uns als<br />

Lehrlinge.<br />

Irgendwie klar, dass sie sich dann bewerben“,<br />

sagt Vasvary. Das Unternehmen stellt<br />

jährlich 150 Ausbildungsplätze zur Verfügung.<br />

„Jeder, der die Aufnahmekriterien<br />

erfüllt und uns von seiner Liebe zur Branche<br />

und zur faszinierenden Welt der Lebensmittel<br />

überzeugt, ist herzlich willkommen“,<br />

so Vasvary. Fünf Flüchtlinge befinden sich<br />

aktuell in Wien in Ausbildung. „Wir hätten<br />

aber gerne mehr“, sagt Vasvary. Wie viele es<br />

österreichweit sind, kann das Unternehmen<br />

nicht genau sagen, da sie die Lehrlinge nicht<br />

mit dem Etikett „Flüchtling“ markieren.<br />

Der erste Tag war für Azimi schwierig.<br />

„Ich kannte mich überhaupt nicht aus“, sagt<br />

er. Doch ans Aufhören habe er keine einzige<br />

Sekunde gedacht. Nicht mal, als er Alkohol<br />

in den Regalen schlichten und Schweinefleisch<br />

in der Feinkostabteilung verkaufen<br />

musste. Er sieht das locker. „Ich konsumiere<br />

das ja nicht. Mit dem Verkauf habe ich kein<br />

Sameh Azimi holte in Österreich seinen Pflichtschulabschluss nach und<br />

macht jetzt eine Lehre bei Spar.<br />

Problem“, so Azimi. Während seiner Ausbildung<br />

muss er alle Abteilungen durchlaufen.<br />

Einige Tage pro Woche ist er noch im Ausbildungszentrum.<br />

Am Abend bereitet er sich für<br />

seine Deutsch-Matura vor. „Jeder sollte den<br />

Schulabschluss machen“, sagt er.<br />

Wie findet er aber die Energie dafür?<br />

Sameh Azimi lächelt. Er überlegt. Er hat den<br />

Blick eines männlichen Parfüm-Models.<br />

Dann spricht er. „Immer mit der Ruhe“,<br />

sagt er. Die Sache langsam, aber fokussiert<br />

angehen. Durchhalten. Nie aufgeben.<br />

„In Afghanistan gibt es ein altes Sprichwort,<br />

das übersetzt ungefähr so lautet:<br />

„Geduld ist schwer, aber sie bringt eine gute<br />

Zukunft.“<br />

<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 35


almanah<br />

„Wie schnell<br />

würde „Wie ein schnell<br />

Österreicher würde ein<br />

Arabisch Österreicher<br />

lernen?“ Arabisch<br />

lernen?“<br />

AMS-Chef Johannes Kopf mahnt zu Geduld: Die schnellste<br />

Integration am Arbeitsmarkt ist nicht unbedingt die beste.<br />

36<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

Fünf Jahre braucht es<br />

mindestens, damit jeder<br />

zweite Flüchtling einen Job<br />

hat – sofern wir alles richtig<br />

machen. AMS-Chef Johannes<br />

Kopf über überzogene<br />

Integrations-Erwartungen,<br />

den Merkel-Spirit und seine<br />

drei Wünsche für 2017.<br />

Aber ich freue mich darüber, dass es jetzt deutlich<br />

mehr Personal für die Asylverfahren gibt. Aber wie<br />

war es bisher? 2015 sind rund 95.000 Menschen nach<br />

Österreich geflüchtet. Wenn man davon ausgeht, dass<br />

knapp die Hälfte davon Asyl oder subsidiären Schutz<br />

bekommt, kommen wir auf grob 45.000 Menschen.<br />

Unter der Annahme, dass ungefähr zwei Drittel dieser<br />

geflüchteten Menschen im arbeitsfähigen Alter sind,<br />

sollten ungefähr 30.000 Personen vom AMS betreut<br />

werden. Zu uns gekommen sind aber bisher nur knapp<br />

10.000, die anderen sind hauptsächlich noch im Verfahren.<br />

T E X T :<br />

Andrea Grman,<br />

Simon Kravagna<br />

FOTO:<br />

Marko Mestrović<br />

„Unser<br />

Arbeitsmarkt<br />

hätte die<br />

Geflüchteten<br />

nicht gebraucht.“<br />

BIBER: Herr Kopf, Sie haben einmal gesagt, es sei eine Herkulesaufgabe,<br />

Flüchtlinge am Arbeitsmarkt zu integrieren.<br />

Ist es so schwer?<br />

JOHANNES KOPF: Es ist schwierig und braucht viel Zeit.<br />

Wie steht es um jene Flüchtlinge, die 2015 Asyl bekommen<br />

haben? Wie viele davon haben heute einen Job?<br />

Man kann sagen, dass ein Jahr nach einem positiven<br />

Asylentscheid etwa jeder zehnte Geflüchtete einen Job<br />

hat. Um genau zu sein: Im Oktober <strong>2016</strong> hatten 14,4<br />

Prozent jener Menschen, die 2015 Asyl bekamen und<br />

sich bis zum Sommer <strong>2016</strong> beim AMS meldeten, eine<br />

Arbeit. Laut internationalen Erfahrungen ist es möglich,<br />

dass fünf Jahre nach dem positiven Asylbescheid<br />

etwa fünfzig Prozent aus dieser Gruppe beschäftigt<br />

sind, jedoch nur, wenn wir kaum Fehler bei der Integration<br />

machen.<br />

Ist das nicht eine mäßige Bilanz?<br />

Natürlich ist uns das zu wenig, aber es ist genauso viel<br />

wie erwartet und die Zahl steigt Monat für Monat. Deswegen<br />

sage ich immer, wir müssen geduldig bleiben.<br />

Wir sind ja sogar schon ungeduldig mit geflüchteten<br />

Menschen, die noch gar kein Asyl bekommen haben.<br />

Manche Leute fragen, warum diese nicht arbeiten,<br />

obwohl sie noch gar nicht dürfen. Wir im AMS haben<br />

uns getäuscht in der Frage, wie lange die Asylverfahren<br />

dauern werden.<br />

Angeblich dauern die Verfahren im Schnitt rund acht<br />

Monate.<br />

Da gibt es auch noch die Zeit bis zur Zulassung zum<br />

Verfahren und außerdem ist dies eben nur ein Schnitt.<br />

Ist das für die Arbeitslosenstatistik nicht gut, wenn die Asylverfahren<br />

so lange dauern?<br />

Für die aktuellen Arbeitsmarktzahlen ist das augenscheinlich<br />

gut, weil Menschen in Asylverfahren nicht<br />

als arbeitslos gezählt werden. Für die spätere Integration<br />

dieser Personen auf dem Arbeitsmarkt ist es aber<br />

sehr schlecht. Es gibt internationale Untersuchungen,<br />

die zeigen, je länger das Asylverfahren dauert, desto<br />

schlechter gelingt die spätere Integration.<br />

Warum?<br />

Die klassischen Phänomene, die wir bei Langzeitarbeitslosigkeit<br />

beobachten, treten auch bei diesen<br />

Personen auf: Verlust von Tagesstruktur, Verlust von<br />

Selbstvertrauen, Veralterung der beruflichen Qualifikationen<br />

und so weiter.<br />

Deutschland hat auch sehr viele Flüchtlinge aufgenommen.<br />

Dennoch funktionieren dort die Asylverfahren schneller.<br />

Frau Merkel hat gesagt, „Wir schaffen das.“ Man kann<br />

diese Aussage kritisieren, aber sie hat der gesamten<br />

Verwaltung die Aufgabe gegeben, „Schafft das!“<br />

Natürlich sind die Deutschen auch noch nicht wahnsinnig<br />

weit, doch sie sind die Aufgabe von Anfang<br />

an viel entschlossener und behördenübergreifender<br />

angegangen als wir in Österreich. Positive Asylverfahren<br />

können dort mittlerweile innerhalb von 48 Stunden<br />

abgewickelt werden.<br />

Kommen wir zu jenen Flüchtlingen, die bereits Arbeit<br />

haben. Was sind das für Leute?<br />

Oft sind es Hilfsarbeiter, manchmal auch Facharbeiter.<br />

Die rascheste Integration ist nicht unbedingt die<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 37


almanah<br />

beste. Wir versuchen, mitgebrachte Qualifikationen zu<br />

nutzen. Die meisten Geflüchteten, die zu uns gekommen<br />

sind, sind jung, männlich und stark – das ist die<br />

klassische Beschreibung für Hilfskräfte in der Landwirtschaft<br />

oder am Bau. Gar nicht wenige dieser Personen<br />

sind jedoch qualifiziert und das Nutzen dieser<br />

Qualifikationen ist volkswirtschaftlich sinnvoller.<br />

Wer lässt sich schwieriger integrieren? Der syrische Arzt<br />

oder der syrische Hilfsarbeiter?<br />

Wenn ‚schwierig‘ etwas mit der Dauer zu tun hat, dann<br />

lautet die Antwort der syrische Arzt. Natürlich dauert<br />

es länger, wenn man eine Nostrifizierung vornehmen<br />

muss. Auch muss man, wenn man höhere Qualifikation<br />

einsetzen will, unsere Sprache besser lernen.<br />

Es hat doch am Anfang geheißen, dass wir die Flüchtlinge<br />

brauchen, weil wir nicht ausreichend Fachkräfte haben.<br />

Stimmt das?<br />

Unser Arbeitsmarkt hätte die Geflüchteten nicht<br />

gebraucht. Den Mangel, den wir aufweisen, hätten wir<br />

locker aus den EU-Ländern decken können. Aber jetzt<br />

sind die Menschen da und egal wie sozial man eingestellt<br />

ist, kann man sagen: Es ist teurer diese Menschen<br />

nicht zu integrieren.<br />

Es gibt Förderungen für Unternehmen, wenn sie einen Asylberechtigten<br />

beschäftigen – das nehmen wenige Firmen in<br />

Anspruch, oder?<br />

Selbst bei Unternehmen, die von sich aus Geflüchtete<br />

aufnehmen möchten, gelingt die Eingliederung derzeit<br />

nur schleppend. Das liegt meist daran, dass die<br />

Sprachkenntnisse noch nicht ausreichen, weil es lange<br />

dauert, um eine Sprache zu beherrschen. Wie lange<br />

würde ich Französisch lernen müssen, um in Paris<br />

auf meinem Qualifikationsniveau arbeiten zu können?<br />

Oder wie schnell würde ein Österreicher in Syrien Arabisch<br />

lernen? Das sollte sich jeder einmal überlegen.<br />

Sind die Erwartungen einfach zu hoch?<br />

Die Erwartungen sind auf jeden Fall zu hoch. Wenn<br />

wir schon sagen: Nach fünf Jahren können maximal<br />

50 Prozent in den Arbeitsmarkt integriert sein, sieht<br />

man, dass Integration sehr lange dauert. Diese 50<br />

Prozent sind aber ein realistisches Ziel, das erreicht<br />

werden kann, wenn wir alles richtig machen. Leider<br />

machen wir im Moment viele Dinge nicht richtig –<br />

beispielsweise bringen wir geflüchteten Personen<br />

während der zu langen Asylverfahren noch nicht<br />

wirklich Deutsch bei. Und wir bräuchten viel mehr<br />

gemeinnützige Arbeitsstellen während der Verfahren.<br />

Wir sollten auch den Lehrstellenmarkt für geflüchtete<br />

Drei Wünsche hat Kopf für 2017 an die Politik.<br />

Minderjährige öffnen. Das sind alles Dinge, die die<br />

Menschen in Bewegung halten. Wir wissen, dass es<br />

schlecht ist, Menschen untätig herumsitzen zu lassen.<br />

Besonders fatal ist es bei Jugendlichen. Und trotzdem<br />

lassen wir das zu.<br />

Wenn Sie für 2017 drei Wünsche an die Politik frei hätten,<br />

was wäre das dann?<br />

Erstens: Eine Beschleunigung der Asylverfahren.<br />

Zweitens: Eine einheitliche Mindestsicherung, weil<br />

die Menschen sonst nicht gerne aus Wien weggehen.<br />

Drittens: Und jetzt bin ich unbescheiden – drei<br />

Prozent Wirtschaftswachstum, dann hätten wir auch<br />

mehr Arbeitsplätze. Das wird aber nur über europäische<br />

Initiativen zu erreichen sein. Eine Maßnahme, die<br />

man in Österreich setzen könnte, wäre die Senkung<br />

der Lohnnebenkosten.<br />

Wenn Sie etwas aus der Welt zaubern könnten, was wäre<br />

das?<br />

Die negative Stimmung. Die ist integrationshemmend<br />

und wirkt sich mittlerweile auch auf die eine oder<br />

andere politische Entscheidung aus. Ich habe den Eindruck,<br />

manches wird weniger sach- und lösungsorientiert,<br />

sondern mehr öffentlichen Emotionen folgend<br />

entschieden. Es wäre aus meiner Sicht gut gewesen,<br />

den Sorgen der Bevölkerung von Anfang an entschiedener<br />

zu begegnen und unnötige Ängste und daraus<br />

entstehenden Fremdenhass auch zu nehmen. <br />

„Es ist<br />

teurer<br />

diese<br />

Menschen<br />

nicht zu<br />

integrieren.“<br />

38<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

Wer sorgt für<br />

gerechtigkeit?<br />

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WIEN<br />

GERECHTIGKEIT MUSS SEIN<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 39


almanah<br />

Gespräch mit dem Soziologen Ruud Koopmans<br />

Assimilation<br />

funktioniert<br />

T E X T :<br />

Martin Beglinger<br />

FOTO:<br />

Marko Mestrović<br />

40<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

In den USA werden<br />

seine Studien rezipiert,<br />

in Europa ignoriert.<br />

Ruud Koopmans’<br />

These: Nicht die<br />

Diskriminierung der<br />

Migranten ist die<br />

Herausforderung,<br />

sondern ihre Selbstdiskriminierung.<br />

Exakt am Morgen des 22. März <strong>2016</strong>,<br />

als in Brüssel die Bomben von Islamisten<br />

explodierten, publizierte das<br />

Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) eine<br />

Studie unter dem Titel „Muslime auf dem<br />

Arbeitsmarkt“. Die Koinzidenz war Zufall.<br />

Kein Zufall war, dass die Studie sogleich<br />

unterging in den Breaking News aus Brüssel,<br />

wo nach dem Terror in Paris bereits zum<br />

zweiten Mal innert vier Monaten Reporter<br />

aus der halben Welt in der belgischen Hauptstadt<br />

und vor allem in Molenbeek einfielen,<br />

um ein paar Sätze aus den Bewohnern des<br />

„islamistischen Terroristennestes“ zu quetschen.<br />

Viel kam auch diesmal nicht heraus,<br />

doch eine Angabe fehlte in diesen Berichten<br />

nie: die Arbeitslosenquote. 35 Prozent<br />

der Jungen, mehrheitlich Muslime, haben in<br />

Molenbeek keinen Job und miserable Perspektiven.<br />

Womit wir wieder bei besagter Studie<br />

des WZB wären, die so manchen Hinweis<br />

darauf liefert, warum das so ist – nicht<br />

nur in Molenbeek, sondern in ganz Europa.<br />

Denn von Frankreich über England bis nach<br />

Schweden bilden muslimische Migranten<br />

die „Schlusslichter auf dem Arbeitsmarkt“,<br />

wie der Studienautor Ruud Koopmans sagt.<br />

Koopmans, ein 55-jähriger niederländischer<br />

Soziologe, forscht mit Unterbrüchen seit<br />

1994 am Wissenschaftszentrum in Berlin,<br />

wo er die Abteilung für „Migration, Integration<br />

und Transnationalisierung“ leitet.<br />

Zugleich ist er Professor für Soziologie und<br />

Migration an der Humboldt-Universität zu<br />

Berlin.<br />

Der Unruhestifter<br />

Er macht mit seinem Team höchst aufwendige<br />

empirische Studien, er publiziert sie in<br />

renommierten internationalen Journals, die<br />

Resultate werden bis in die USA heftig diskutiert.<br />

Ein gefragter Mann also, würde man<br />

meinen. Doch nicht im deutschsprachigen<br />

Europa. Hier wird Koopmans’ Arbeit fast<br />

schon totgeschwiegen. „Von einer ‚Lügenpresse‛<br />

in Deutschland würde ich nicht<br />

reden, aber ein selektives Schweigen gibt<br />

es nach meiner Erfahrung durchaus“, sagt<br />

Koopmans im Gespräch mit der NZZ.<br />

Es gibt Forscher, die seine Mails nicht<br />

mehr beantworten und ihrem akademischen<br />

Nachwuchs von einem Kontakt mit<br />

Koopmans abraten, weil sie ihn für einen<br />

verkappten Rassisten halten. „Ich stelle eine<br />

extreme Intoleranz in der Integrationsforschung<br />

gegenüber abweichenden Meinungen<br />

fest und, schlimmer noch, ein totales<br />

Desinteresse an Forschungsbefunden, die<br />

nicht ins eigene Denkschema passen“, sagt<br />

Koopmans dazu. Er engagierte sich einst<br />

bei den niederländischen Grünen, bis ihr<br />

marokkanischstämmiger Fraktionschef<br />

Es gibt Forscher, die<br />

seine Mails nicht<br />

mehr beantworten<br />

Salman Rushdies „Satanische Verse“ verbieten<br />

wollte. Und er versteht sich noch heute<br />

„als Linker, der manchmal die Linke nicht<br />

mehr versteht“. Zum Beispiel dann, wenn<br />

diese „die Muslime einseitig nur als Opfer<br />

sieht“.<br />

Keine Frage, dieser Mann stört den<br />

politisch-akademischen Gottesdienst unter<br />

den deutschsprachigen Migrationsforschern,<br />

deren erster Glaubenssatz heisst: Alle<br />

Integrationsprobleme sind einzig auf die<br />

Diskriminierung der Einwanderer durch die<br />

ansässigen Bürger zurückzuführen. Wenn<br />

es in dieser Branche ein Unwort der letzten<br />

zwanzig Jahre gab, dann heisst es: Assimilation.<br />

Kulturelle Anpassung, so der bisherige<br />

Konsens, geht gar nicht. Nach dieser<br />

Lesart ist Assimilation nichts anderes als<br />

Koopmans’ Fazit:<br />

Assimilation<br />

funktioniert<br />

die erzwungene Verleugnung der eigenen<br />

Wurzeln.<br />

Wer solches von Migranten verlangt,<br />

steht sofort in vermintem Gelände, gilt<br />

im Minimum als engherzig und intolerant,<br />

eigentlich schon als Rassist. Und nun<br />

kommt Professor Koopmans und fragt im<br />

Originaltitel seiner neuen Studie: „Does<br />

assimilation work?“ Allein die Frage ist für<br />

manche Provokation genug, nicht zu reden<br />

von der Antwort: Ja, sie funktioniert! Dies<br />

ist Koopmans’ Fazit aus einer Befragung<br />

von 7000 Muslimen in sechs europäischen<br />

Ländern. Je höher ihre soziokulturelle<br />

Assimilation an die Mehrheitsgesellschaft,<br />

umso besser ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt.<br />

Dann gibt es, gleiche Qualifikationen<br />

vorausgesetzt, kaum mehr Differenzen zu<br />

den Jobchancen der Nichtmuslime.<br />

Anpassung: Definition<br />

Doch was heisst Anpassung für Koop mans?<br />

Zunächst einmal nicht zwangsläufig Preisgabe<br />

des eigenen Glaubens. Aber es bedeutet,<br />

sich problemlos in der Sprache des neuen<br />

Wohnlandes verständigen zu können und<br />

hauptsächlich dessen Medien zu nutzen. Es<br />

bedeutet ferner, Freunde und Bekannte nicht<br />

nur in der eigenen Ethnie, sondern ebenso<br />

in der Mehrheitsgesellschaft zu finden,<br />

allenfalls auch Familienangehörige. Und<br />

schliesslich sollen die Auffassungen über<br />

die Rolle der Frau der durchschnitt- ‣<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 41


almanah<br />

lichen Vorstellung in der Mehrheitsgesellschaft<br />

entsprechen. Unter diesen Umständen<br />

stehen die Integrationschancen gut.<br />

Das heisst nicht, Diskriminierung spiele<br />

überhaupt keine Rolle. Nur eben eine viel<br />

kleinere als seit Jahren behauptet, sagt<br />

Koopmans. Weit wichtiger sind für ihn die<br />

„interethnischen sozialen und familiären<br />

Kontakte“ über die eigene Community<br />

hinaus. Je mehr davon, umso besser, weil<br />

diese Kontakte Sozialkapital schaffen, das<br />

wiederum die Arbeitssuche und damit das<br />

Ankommen am neuen Ort erleichtert.<br />

Auf Distanz<br />

Es gilt aber auch das Umgekehrte. Wer kulturell<br />

möglichst auf Distanz zum Wohnland<br />

bleibt, wird sich immer schwertun mit der<br />

Integration, und das ist laut Koopmans bei<br />

fast der Hälfte der europäischen Muslime<br />

der Fall. Man könnte dies eine freiwillige<br />

„Diskriminierung<br />

spielt kleinere Rolle<br />

als behauptet.“<br />

Selbstdiskriminierung der Immigranten<br />

nennen. Koopmans’ letzte grosse Studie<br />

aus dem Jahr 2013 ergab, dass von den 7000<br />

befragten Muslimen in sechs westeuropäischen<br />

Ländern nicht weniger als 65 Prozent<br />

der Meinung sind, dass religiöse Regeln<br />

wichtiger für sie sind als säkulare Gesetze.<br />

Fast 60 Prozent wollen explizit keine homosexuellen<br />

Freunde, und 45 Prozent glauben,<br />

dass man „Juden nicht trauen kann“. Mehr<br />

als 40 Prozent der europäischen Muslime, so<br />

Koopmans' Fazit, neigten deshalb zu einer<br />

fundamentalistischen Haltung.<br />

Während sonst jeder schwulenfeindliche<br />

oder antisemitische Halbsatz christlicher<br />

Fundamentalisten sofort scharf (und<br />

zu Recht) medial bestraft wird, waren diese<br />

Zahlen den deutschen Leitmedien kaum<br />

eine Zeile oder Sendeminute wert. Einzig die<br />

„Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichtete<br />

kurz darüber, worauf sie die Studie mit<br />

dem Satz versenkte, deren Autor sei ein<br />

„wissenschaftlich verbrämter Schwinger der<br />

Fundamentalismuskeule von gestern“. Im<br />

Übrigen: grosses Schweigen.<br />

Die Schweiz hat derweil ein erhellendes<br />

Beispiel zum gleichen Thema erlebt: den<br />

verweigerten Händedruck zweier muslimischer<br />

Schüler gegenüber ihrer Lehrerin<br />

– aus religiösen Gründen. Die Meinungen<br />

dazu waren rasch gemacht. „Wie wollen Sie<br />

einen Jugendlichen mit einem derartigen<br />

Verhalten später in die Berufswelt integrieren?“,<br />

fragte der Präsident des Baselbieter<br />

Lehrerverbandes und gab die Antwort gleich<br />

selber: „Das ist unmöglich.“ Die jungen<br />

Muslime können sich nun einigermassen<br />

anpassen (wie es in der Schweiz die grosse<br />

Mehrheit pragmatisch tut, ohne dass sie sich<br />

gleich ihrer Identität beraubt fühlt). Oder<br />

sie verkehren bald nur noch unter Gleichgesinnten,<br />

riskieren damit Arbeitslosigkeit und<br />

Abhängigkeit von Sozialhilfe.<br />

Sozialstaat: falsche Anreize<br />

Auch dazu hat Ruud Koopmans aufgrund<br />

seiner Forschung dezidierte Ansichten.<br />

„Viele Zuwanderer sind anfangs hochmotiviert.<br />

Doch die Erfahrung zeigt, dass ein<br />

stark ausgebauter Wohlfahrtsstaat ihre<br />

Motivation in kürzester Zeit untergräbt. In<br />

den USA, wo die sozialen Fangnetze fehlen,<br />

passiert das nicht“, erklärte er im Januar an<br />

einer Tagung der CDU in Berlin. Und beruhigte<br />

die Anwesenden sogleich, er wolle<br />

nicht gleich den Wohlfahrtsstaat abschaffen.<br />

Koopmans will keine amerikanischen,<br />

aber auch keine schwedischen Zustände in<br />

Europa, denn in Schweden ist die Abhängigkeit<br />

der muslimischen Migranten von der<br />

staatlichen Fürsorge extrem hoch – und die<br />

Integration in den Arbeitsmarkt gerade deswegen<br />

alles andere als erfolgreich. Für den,<br />

der arbeiten kann, aber nicht muss, ist die<br />

Selbstisolation jederzeit eine valable Option.<br />

Was es nach Koopmans braucht, sind<br />

klare Anreize in der europäischen Mi grationspolitik,<br />

die eine Integration der<br />

Immigranten über die Ausübung einer<br />

entlöhnten Tätigkeit erzwingen. Fehlen<br />

sie oder sind sie falsch gesetzt, kommt es<br />

wie schon früher zu einer Negativselektion.<br />

Bedeutet aber Immigration mehr<br />

Ruud Koopman wird von manchen für einen<br />

Rassisten gehalten, weil er Integrationsprobleme<br />

nicht nur auf die Mehrheitsgesellschaft zurückführt,<br />

sondern auch auf die Einwanderer selbst.<br />

Arbeitslosigkeit, mehr Ghettos und höhere<br />

Sozialhilfe, dann bricht die politische<br />

Zustimmung der Bürger für Zuwanderung<br />

irgendwann weg. An besagter Tagung<br />

erklärte Koopmans: „Jene Zuwanderer, die<br />

sich wirklich anstrengen, also die Sprache<br />

des neuen Landes lernen, einen Job finden<br />

und straffrei bleiben, sollen belohnt werden<br />

und auf Dauer bleiben dürfen. Den Asylsuchenden<br />

soll man Schutz gewähren, aber<br />

kein Bleiberecht garantieren. Wenn sie die<br />

Integration nicht geschafft haben, müssen<br />

sie in ihr Herkunftsland zurückkehren,<br />

sobald es die Lage dort erlaubt. So kombiniert<br />

man die moralische Pflicht, Schutz<br />

zu bieten, mit dem Eigeninteresse des<br />

Zuwanderungslandes.“<br />

Keiner der hohen CDU-Funktionäre<br />

mochte diese Sätze aufnehmen. Es wird noch<br />

eine Weile dauern, bis die Forschung von<br />

Ruud Koopmans in Politik und Öffentlichkeit<br />

ankommt. Doch gut möglich, dass es dann<br />

plötzlich ganz schnell geht.<br />

<br />

Dieser Artikel erschien das erste Mal am 15.4.<strong>2016</strong> in<br />

der NZZ online<br />

Foto: Jens Gyarmaty<br />

42<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


BEZAHLTE ANZEIGE<br />

Integration von anerkannten<br />

Flüchtlingen in Österreich<br />

Michael Gruber / EXPA / picturedesk.com<br />

Die Integration<br />

anerkannter<br />

Flüchtlinge stellt<br />

eine Herausforderung<br />

dar,<br />

die alle betrifft.<br />

Dabei ist auch<br />

die Eigenverantwortung<br />

der Flüchtlinge<br />

gefordert.<br />

Rund 90.000 Menschen sind im Zuge der Flüchtlingswelle<br />

2015 nach Österreich gekommen. Dabei war unser<br />

Land bei der Unterbringung und der Erstversorgung von<br />

Flüchtlingen deutlich stärker gefordert als viele andere<br />

Staaten in der Europäischen Union. So liegt Österreich,<br />

was die Anzahl der gestellten Asylanträge je 1.000<br />

Einwohner betrifft, mit 10,3 Personen EU-weit hinter<br />

Schweden auf dem zweiten Platz.<br />

Das stellt uns alle vor die Herausforderung, jene Menschen,<br />

die hier bleiben dürfen, möglichst gut und rasch<br />

in unsere Gesellschaft zu integrieren. Integration ist dabei<br />

mit ihren vielfältigen Aspekten eine Querschnittsmaterie,<br />

die uns alle betrifft. Alle heißt in diesem Zusammenhang<br />

einerseits, dass eine faire Aufteilung der<br />

Flüchtlinge innerhalb der Europäischen Union stattfinden<br />

muss. Nur so können überhaupt erfolgreiche Integrationsprozesse<br />

in jedem einzelnen Mitgliedsland<br />

gewährleistet werden, ohne dass einzelne Staaten, wie<br />

beispielsweise Österreich, überdurchschnittlich belastet<br />

werden.<br />

SPRACHERWERB, ARBEITSMARKTEINSTIEG UND<br />

WERTEVERMITTLUNG ESSENTIELL<br />

Andererseits sind damit aber auch die Flüchtlinge selbst<br />

gemeint, die bei ihrem Integrationsprozess nicht aus<br />

der Eigenverantwortung entlassen werden dürfen.<br />

Das Erlernen der deutschen Sprache steht dabei am<br />

Anfang eines aussichtsreichen Integrationsprozesses,<br />

gezielte Förderungen sollen dies unterstützen. Ebenso<br />

wichtig ist der rasche Einstieg anerkannter Flüchtlinge<br />

in die österreichische Arbeitswelt: die Nichtteilhabe an<br />

der Gesellschaft und am Arbeitsmarkt muss schon allein<br />

mit Blick auf Herausforderungen wie die Radikalisierung<br />

vermieden werden. Essentiell ist schließlich die<br />

nachhaltige Vermittlung der österreichischen Grundwerte.<br />

Der Österreichische Integrationsfonds bietet<br />

hierfür bundesweite Wertekurse für alle Flüchtlinge,<br />

und darüber hinaus auch für sonstige Drittstaatsangehörige,<br />

an.<br />

Integration kann gelingen. Aber sie ist mit Rechten und<br />

Pflichten gleichermaßen verbunden – und sie bedingt<br />

die aktive Mitarbeit von anerkannten Flüchtlingen.<br />

Diese muss auch eingefordert werden.<br />

43


almanah<br />

Fresh Go: „In<br />

der Küche sind<br />

wir verheiratet“<br />

Hier erlebt die „babylonische<br />

Verwirrung“ ihre Wiedergeburt. Ein in<br />

Singapur geborener Pakistani kocht,<br />

eine Südinderin räumt die Regale ein,<br />

zwischen ihnen sorgt WU-Absolvent<br />

Anzil Pullorssangadan für Ordnung,<br />

während er einer nigerianischen<br />

Hausfrau Okra und einer Filipina<br />

Ochsenschwänze in Erdnusssauce<br />

verkauft.<br />

Wir möchten unseren Kunden zeigen, wie<br />

wir bei uns zu Hause kochen“, erläutert<br />

Anzil Pullorssangadan seine Geschäftsidee.<br />

Tatsächlich ist das in der Brigittenau beheimatete<br />

Lokal eine seltene Mischform. Es ist Supermarkt<br />

und Omas Küche in einem. FreshGo bietet landesspezifische<br />

Fertigprodukte und importierte Speisen. Wer<br />

wissen möchte, wie indische Knabbereien schmecken<br />

oder wie Tee mit Kakaomilch (Thai Ice-Tea)<br />

zusammenpasst, findet zwischen den Regalen die<br />

Antwort. Der wahre Zauber, den dieser unscheinbare<br />

Laden verströmt, kommt allerdings aus der Küche.<br />

Aus Maxis Küche, um genau zu sein. Die in Singapur<br />

geborene Frohnatur würden kontaktscheue Menschen<br />

als aufdringlich bezeichnen. Tatsächlich fuchtelt<br />

Maxi wild gestikulierend durch die Gegend, während<br />

er dem neugierigen Besucher seine Essenskreationen<br />

näherbringt.<br />

Sardellen mit Schrimpspaste<br />

Da hätten wir einmal den typisch südindischen Zitronenreis,<br />

der am besten mit dem hausgemachten Naan<br />

und einem Kokos-Kräuter-Aufstrich genießbar ist.<br />

Oder das klassische Rindercurry mit Biryani-Reis,<br />

welches ausgezeichnet mit den selbstgemachten<br />

Hummerchips oder Chicken-Rolls ergänzt werden<br />

kann. Wenn man Glück hat, erwischt man Maxi in<br />

Christoph Liebentritt<br />

44<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

einem Anfall von Nostalgie und freut sich über die<br />

Chicken-Satay-Spieße oder frittierte Sardellen mit<br />

einer scharfen Schrimpspaste, die ihn an seine Kindheit<br />

in Singapur erinnern. Und ja, Maxi ist aufdringlich.<br />

Aber nur, wenn er dem Gast mehr Reis (wird<br />

nicht extra verrechnet!) nachschöpft oder seine neueste<br />

Kreation vom Gratin mit asiatischem Gemüse<br />

verkosten lässt.<br />

Seinen späteren Chef hat der leidenschaftliche<br />

Koch mit Vorliebe für selbstgedrehte Zigaretten<br />

aus Nelken und Tabak bei einem Flughafenjob<br />

kennengelernt. Zusammen mit Maerry Lou, die sich<br />

für die philippinischen Leckereien im „Fresh Go“<br />

verantwortlich zeichnet, bilden sie das Herzstück<br />

des exotischen Supermarktes. Als Pullorssangadan<br />

übernommen hatte, erweiterte er das philippinische<br />

Sortiment mit Produkten aus Afrika, Bangladesch,<br />

Indien, Thailand, Korea und Indonesien. Ein paar<br />

Monate später bekam er die Genehmigung, selbst<br />

Speisen zuzubereiten. „Wir möchten den Kunden<br />

zeigen, wie wir zu Hause kochen und wie man sich<br />

gesund ernähren kann. Um den Umsatz geht es<br />

hier nicht“, so der zierliche Mann. Der Blick auf die<br />

Preise bestätigt seine Aussage. Ein vegetarisches<br />

Menü gibt es um 6€, eines mit Fleisch um 7€. Das<br />

selbstgemachte Mango-Lassi sticht die Konkurrenz<br />

mit 2€ locker aus.<br />

Warum tut er sich das an?<br />

Gewiss, der junge Geschäftsführer hat sich nicht das<br />

leichteste Einstiegsfeld ausgesucht. Immer mehr<br />

große Supermärkte bieten Ethnofood in ihren Regalen<br />

an und über die Gastronomie und ihre Tücken brauchen<br />

wir erst gar nicht zu schreiben. Pullorssangadan<br />

denkt familiär. Das zeigt nicht nur die Tatsache,<br />

dass seine Ehefrau Shana hier arbeitet und Vater und<br />

jüngerer Bruder bei Bedarf aushelfen. Der 27-Jährige<br />

möchte langsam wachsen und damit seinen<br />

Kunden eine Lebenseinstellung vermitteln: „Wenn<br />

die Kunden kommen und das Essen am frühen Nachmittag<br />

aus ist, wird nichts mehr nachgekocht. Was<br />

aus ist, ist aus“, lautet die schlichte Botschaft. So wie<br />

zu Hause eben. „Würden wir schnell nachproduzieren,<br />

würde die Qualität darunter leiden müssen.“ Die<br />

Angst als Selbständiger auch versagen zu können,<br />

scheint ihn zu beflügeln. Er packt alles selbst an und<br />

macht jede Arbeit, mit der er seine Mitarbeiter auch<br />

beauftragt. „Hier gibt es keine Hierarchien“, bestätigt<br />

der Koch Maxi. „Das Team kooperiert so gut, wir<br />

alle hier sind wie verheiratet.“<br />

<br />

„Würden<br />

wir schnell<br />

nachproduzieren,<br />

würde die<br />

Qualität<br />

darunter<br />

leiden.“<br />

DER ERSTE<br />

SCHRITT ZUM<br />

ERFOLG!<br />

WKO-Wien hilft<br />

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Fragen stellen, die die Gründung eines<br />

Unternehmens betreffen. Im Vorhinein<br />

kann man sich auch schon eigenständig<br />

online informieren. Ob generelle Tipps zur<br />

Selbstständigkeit, rechtliche Voraussetzungen,<br />

Amtswege oder Finanzierungsund<br />

Förderungsmöglichkeiten: Auf der<br />

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Die Selbermacher-Serie ist eine redaktionelle<br />

Kooperation von das biber mit der<br />

Wirtschaftskammer Wien.<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 45


almanah<br />

GASTKOMMENTAR<br />

„Vorschläge liegen<br />

am Tisch“<br />

Österreich muss die<br />

Flüchtlingsbewegung<br />

besser managen, fordert<br />

IV-Generalsekretär<br />

Christoph Neumayer.<br />

Zudem müsse Österreich<br />

für qualifizierte<br />

Zuwanderer attraktiver<br />

positioniert werden.<br />

Migration und Integration zählen<br />

zu den Mega-Themen unserer<br />

Zeit: Die Europäische Union<br />

und viele ihrer Mitgliedstaaten befinden<br />

sich in einem tiefgreifenden gesellschaftlichen<br />

Wandel, der mit Chancen, Potenzialen,<br />

aber auch gewaltigen Herausforderungen<br />

verbunden ist. Die Konflikte in Teilen Afrikas<br />

und im Nahen Osten sowie die damit<br />

verbundene Flüchtlingsbewegung sind seit<br />

Monaten in der öffentlichen politischen<br />

Diskussion omnipräsent. Erweitert man den<br />

Beobachtungszeitraum auf einen längeren<br />

Zeitraum, wird deutlich, dass die aktuelle<br />

Flüchtlingsbewegung nur ein Teil der weltweiten<br />

Migrationsbewegung ist. Aus diesem<br />

Grund ist auf nationaler, aber auch europäischer<br />

Ebene eine Doppel-Strategie erforderlich:<br />

Einerseits müssen die aktuellen<br />

Herausforderungen bewältigt werden und<br />

anderseits braucht es mittel- bis langfristige<br />

Strategien und Lösungen zum Umgang<br />

mit Migration und Integration. Das gilt insbesondere<br />

für Österreich, für das alleine<br />

schon aufgrund der demografischen Entwicklung<br />

gezielte Zuwanderung wichtig<br />

und notwendig ist.<br />

Integration am Arbeitsmarkt ist ungelöst<br />

Die Lösungsansätze für die aktuelle Flüchtlingsbewegung<br />

sind bekannt: Vor allem ist<br />

eine bessere Zusammenarbeit auf internationaler<br />

Ebene erforderlich, um Fluchtmotive<br />

zu reduzieren. Auf nationaler Ebene blieb<br />

bisher allerdings die Frage der Integration<br />

in den Arbeitsmarkt weitgehend ungelöst.<br />

Vorschläge liegen auf dem Tisch: etwa die<br />

Öffnung des Dienstleistungsschecks für<br />

Asylwerberinnen und Asylwerber oder der<br />

Arbeitsmarktzugang mit Ersatzkraftverfahren<br />

sechs Monate nach Asylantragstellung.<br />

Auch der Zugang zu Lehrstellen in allen<br />

Lehrberufen für jugendliche Asylwerberinnen<br />

und Asylwerber bis 25 Jahre wäre eine<br />

wichtige Maßnahme.<br />

Auf qualifizierte Zuwanderer nicht vergessen<br />

Neben der Fluchtmigration benötigt unser<br />

Land aber auch dringend eine klare Politik,<br />

die Zuwanderung steuert. Und damit<br />

Österreich als attraktive Zielregion für<br />

qualifizierte Migrantinnen und Migranten<br />

positioniert sowie klare und gut nachvollziehbare<br />

Entscheidungskriterien<br />

entwickelt. Zentral sind hier die stetige<br />

Verbesserung der Rot-Weiß-Rot-Karte<br />

sowie eine Neukodifizierung des Fremdenrechts<br />

in ein neues Einwanderungsgesetz.<br />

Um das Thema Migration langfristig in der<br />

Bevölkerung sachlich zu verankern, bedarf<br />

es neuer Impulse in der Integrationspolitik.<br />

Diese sollten einem Narrativ, also einer<br />

sinnstiftenden Erzählung, folgen. Denn für<br />

eine erfolgreiche Integration brauchen die<br />

Staaten in Europa ein plausibles Bild über<br />

eine gemeinsame Zukunft.<br />

<br />

IV/Kurt Prinz<br />

46<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

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JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 47


almanah<br />

„Raus aus<br />

der Komfort-<br />

Zone“<br />

48<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

Vom Flüchtling zum Teilchenbeschleuniger:<br />

Mit 14 Jahren kommt<br />

Kriegsflüchtling Fadmar Osmić nach<br />

Österreich. Heute, 25 Jahre später,<br />

arbeitet der Physiker mit einem<br />

Team von Ingenieuren, Forschern<br />

und Ärzten am Hochtechnologie-<br />

Krebstherapiezentrum MedAustron.<br />

T E X T :<br />

Adam Bezeczky<br />

FOTO:<br />

Marko Mestrović<br />

Das Med-<br />

Austron ist<br />

eines von<br />

weltweit<br />

nur fünf<br />

ähnlich<br />

modernen<br />

Anlagen.<br />

Acht Hundert Millionen Elektrovolt, vier<br />

Meter dicke Wände und Teilchen, die mit<br />

bis zu 200.000 Kilometer die Sekunde durch<br />

den Beschleunigungsring zirkulieren. Die Welt von<br />

Fadmar Osmić erinnert nicht nur architektonisch an<br />

Raumschiff Star Trek. 24 Stunden am Tag und 7 Tage<br />

die Woche arbeitet das Team um den bosnisch-stämmigen<br />

Physiker und Projektmanager an der Krebstherapie<br />

der Zukunft.<br />

Die High-Tech-Anlage beherbergt, neben dem<br />

Herzstück Synchrotron, auch eine „Protonen-Gantry“:<br />

hier dreht sich wortwörtlich alles um den<br />

Patienten, denn die Bestrahlungsanlage kann um 180<br />

Grad gedreht werden und so die notwendige Strahlendosis<br />

exakt auf den Sub-Millimeter genau an<br />

jene Stelle im Körper bringen, wo der Tumor liegt.<br />

„Besonders für krebskranke Kinder ist dies eine<br />

Chance auf wirkungsvolle Behandlung“, erklärt Dr.<br />

Osmić.<br />

Doch wie kommt ein früheres Flüchtlingskind<br />

in eine leitende Position an Österreichs größtem<br />

Teilchenbeschleuniger? „Man muss raus aus der<br />

Komfort-Zone. Man muss es wagen, groß zu träumen.<br />

Man muss die nächste Herausforderung suchen, um<br />

zu wachsen“, sagt der Wissenschaftler.<br />

Osmić war 14 Jahre alt, als ihn seine Eltern nach<br />

Österreich schicken. Eine österreichische Pflegefamilie<br />

nimmt den unbegleiteten Flüchtling auf. Beim<br />

Deutschlernen stolpert der Junge über ein Buch zu<br />

Sternenentstehung und Astronomie. Sein Interesse<br />

für die Forschung ist geweckt.<br />

Doch nicht die Sterne weit oben im Himmel,<br />

sondern die kleinen Bausteine des kosmischen<br />

Ganzen werden seine große Leidenschaft. Er beginnt<br />

ein Studium der Physik an der TU Wien. Wie in der<br />

Wissenschaft, trifft man auch im Leben auf Widerstände.<br />

Nach der Geburt seiner Tochter wird er von<br />

manchen gefragt, ob er denn nicht „etwas G’scheites“<br />

studieren möchte, mit dem er auch einen Job<br />

bekommt. Doch er zieht sein Studium durch. Nach<br />

einem Aufenthalt an der Universität Uppsala in<br />

Schweden wird er der erste Physiker mit Migrationshintergrund<br />

aus Österreich, der ins Mekka der<br />

Teilchenphysik wechseln darf. Die Forschungseinrichtung<br />

CERN (European Organization for Nuclear<br />

Research) liegt im Kanton Genf in der Schweiz und<br />

bildet die Elite der Physiker aus.<br />

Seine Erfahrungen bei CERN bringen Osmić heute<br />

in Wiener Neustadt ein. Schrittweise wird an der<br />

Fertigstellung des Hochtechnologie-Krebstherapiezentrums<br />

gebaut. Das MedAustron ist eines von<br />

weltweit nur fünf ähnlich modernen Anlagen. Erst im<br />

August <strong>2016</strong> wurde der erste Bestrahlungsraum für<br />

die Forschung von Niederösterreichs Landeshauptmann<br />

Erwin Pröll (ÖVP) eröffnet.<br />

Im Endausbau werden im MedAustron voraussichtlich<br />

jährlich 1200 Menschen behandelt werden,<br />

deren Krebstumore in und hinter wichtigen Organen<br />

liegen. Diese bösartigen Wucherungen können am<br />

MedAustron gezielt mit Protonen (Bausteinen der<br />

Atome) oder Kohlenstoffionen bestrahlt werden,<br />

ohne dabei das umliegende Gewebe zu beschädigen.<br />

Im ersten Schritt werden Protonen (Bausteine der<br />

Atome) oder Kohlenstoffionen erzeugt. Aus einem<br />

Gasgemisch werden mit Hilfe einer hochfrequenten<br />

EM-Strahlung die geladenen Teilchen gewonnen und<br />

gebündelt mit einem Linearbeschleuniger auf einer<br />

geraden Bahn beschleunigt.<br />

Richtig auf Tempo, nämlich 250.000 Kilometer pro<br />

Sekunde, werden sie im Synchrotron gebracht. Dieses<br />

Gerät beschleunigt mit einem Kreisumfang von etwa<br />

80 Metern und einem Heißhunger auf elektrischen<br />

Strom (Jahres-Stromrechnung 1 Million Euro) die<br />

Teilchen. Über eine Strahlenweiche, die von starken<br />

Magneten umgeben ist, werden diese extra schnellen<br />

Teilchen in die Bestrahlungsräume abgezweigt.<br />

Osmić freut sich auf den Vollbetrieb der Anlage.<br />

„Die schrittweise Inbetriebnahme war die beste<br />

Lösung für die Patienten und uns. Wir können<br />

auf diese Weise schon behandeln und gewonnene<br />

Erkenntnisse in die nächsten Ausbauschritte investieren.“<br />

Rund 155 Wissenschaftler und Ingenieure<br />

arbeiten rund um die Uhr, um die Anlage fertig zu<br />

stellen. „Wir haben hier einen Team-Spirit, wie in<br />

einem großen Unternehmen im Silicon Valley“, freut<br />

sich das frühere Flüchtlingskind.<br />

<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 49


almanah<br />

Radio Max<br />

Ein Radio für zehn Länder<br />

rumänische Redaktion. Hier sitzen pro Landesredaktion<br />

zwischen acht und zehn Native-Speaker, die von<br />

Wien aus in ihrer Muttersprache Beiträge verfassen.<br />

Auch in der Musikredaktion sind Österreicher,<br />

Tschechen, Deutsche, Italiener und Rumänen vertreten<br />

– schließlich haben alle Länder unterschiedliche<br />

musikalische Vorlieben. In Tschechien sendet<br />

Radio Max beispielsweise zu 50 Prozent tschechische<br />

Musik, unter anderem Schlager – die liebt das tschechische<br />

Publikum.<br />

Das heißt, die Songs, die beispielsweise<br />

Penny-Kunden beim Einkaufen in Deutschland<br />

hören, werden in Wien ausgewählt. Genauso wie<br />

die Beiträge über tagespolitische Themen, Stars und<br />

Events in Österreich aufgenommen werden – von<br />

Redakteuren und Radio-Moderatoren in ihrer jeweiligen<br />

Muttersprache.<br />

Programmchefin Claudia Herbst<br />

Radio Max, das Radio der<br />

Rewe-Group, sendet mitten aus<br />

Wien Beiträge in ganz Europa.<br />

Die sanfte Stimme einer jungen Frau unterbricht<br />

die Klänge der italienischen Kultsängerin<br />

Gianna Nannini. Ich verstehe zwar nur<br />

„Ferrero Rocher“, aber der italienische Redefluss<br />

versetzt mich in meinen letzten Italien-Aufenthalt<br />

zurück. Dabei befinde ich mich gerade in Wien – im<br />

Studio von Radio Max, dem Radio der Rewe-Group.<br />

Mitten in Meidling produzieren hier 120 Mitarbeiter<br />

in fünf Sprachen Radiobeiträge für 9 Millionen Hörer<br />

aus 10 Ländern europaweit, fünf davon haben einen<br />

eigenen Sender. In der Radio-Max Redaktion gibt es<br />

nämlich neben der österreichischen Redaktion auch<br />

noch die deutsche, tschechische, italienische und die<br />

„Im Radio spiegelt sich die Mentalität wieder“<br />

1994 hat Radio Max mit Merkur als erste Sendeschiene<br />

gestartet, 1996 folgte Bipa, 2006 Billa und<br />

schließlich als erster Discounter Penny. Da die<br />

Kundschaft der jeweiligen Märkte unterschiedlich<br />

ist, muss auch das Radioprogramm darauf angepasst<br />

werden. Die Musik, die man bei Merkur oder<br />

Billa hört, ist jazziger als die beim Penny. Für alle gilt<br />

aber: Das Programm muss verkaufsfördernd sein und<br />

eine angenehme Atmosphäre schaffen und das nicht<br />

nur für die Kunden. Für die Mitarbeiter gibt es eine<br />

eigene Morning-Show, in der sie abstimmen können,<br />

welche Songs sie hören wollen.<br />

Doch wieso reicht nicht eine Redaktion für alle<br />

Länder und weshalb muss von Wien aus gesendet<br />

werden? „Im Radio spiegelt sich die Mentalität<br />

wieder“, erklärt Programmchefin Claudia Herbst,<br />

die seit dreizehn Jahren für Radio Max arbeitet.<br />

Um authentisch zu sein, braucht jedes Land seine<br />

eigene Redaktion. Die Redakteure selbst werden<br />

zum Großteil in den jeweiligen Ländern gecastet und<br />

müssen, wenn sie den Job bekommen, nach Wien<br />

ziehen: „Wien verfügt über die zuständige technische<br />

Infrastruktur“, erklärt Herbst wieso in Wien produziert<br />

wird. Native-Speaker sind deshalb wichtig, weil<br />

der Kunde in Italien nicht hören soll, dass der Radio<br />

Moderator eigentlich in Wien sitzt. Giovanni, der<br />

Chefredakteur der Italien-Redaktion achtet darauf,<br />

dass es zwischen seinen Sendungen und denen<br />

anderer italienischer Radio-Sender keine Unterschiede<br />

gibt. Und tatsächlich, sobald die Moderatoren<br />

wieder auf Sendung gehen und auf ihrer Muttersprache<br />

den nächsten Beitrag ansagen, vergisst man<br />

ganz, dass man eigentlich in Wien Meidling ist. <br />

Zoe Opratko<br />

50<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


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almanah<br />

„Freund,<br />

Berater,<br />

Mentor“<br />

Es kommt<br />

nicht darauf<br />

an woher du<br />

bist, sondern<br />

was du bist:<br />

Technik-<br />

Student Viktor<br />

Akinyemi und<br />

CEO Ali Eralp<br />

über Karriere,<br />

Ratschläge<br />

und den<br />

Afrika-Cup.<br />

Der eine kommt aus Nigeria und macht mit<br />

19 Jahren seinen Bachelor, der andere ist<br />

gebürtiger Türke, 49, und Vorstand des<br />

österreichischen Finanzberatungsunternehmens<br />

Finum Private Finance. Durch die ZUSAMMEN:ÖS-<br />

TERREICH Akademie haben Victor und Ali sich kennengelernt.<br />

BIBER: Wie habt ihr beide zueinander gefunden?<br />

VICTOR: Da ich ein außerordentlicher Student war,<br />

konnte ich keine Studienbeihilfe bekommen. Deswegen<br />

habe ich mich für das Stipendium beim Österreichischen<br />

Integrationsfond entschieden. Dieser<br />

hat uns beide zusammengebracht. Ich bekam die<br />

Nummer von Ali und dann haben wir uns getroffen.<br />

Seitdem sind wir gute Freunde.<br />

ALI: Der ÖIF hat mich angerufen und mir von diesem<br />

jungen, intelligenten Nigerianer erzählt. Und ich<br />

habe mir gedacht: Sehr intelligent bin ich nicht und<br />

aus Afrika komme ich auch nicht. Also kann ich von<br />

dem Jungen viel lernen. Und das hat sich auch bestätigt.<br />

Was hast du davor gemacht?<br />

VICTOR: In Nigeria hab ich eine AHS besucht und<br />

maturiert. Mit 15 war ich dann mit der Schule fertig.<br />

Dann bin ich hergekommen.<br />

Was war das Wichtigste, das du von deinem Mentor bzw.<br />

Mentee gelernt hast?<br />

VICTOR: Dass ich an allererster Stelle auf mich und<br />

nicht auf andere aufpassen sollte. Also einen Ausgleich<br />

finde.<br />

ALI: Ich habe bei Victor nie gespürt, dass er sich<br />

in einer Opferrolle befindet. Sein Leben war nicht<br />

gerade einfach, aber ich sehe dennoch einen dankbaren,<br />

ehrgeizigen, jungen dynamischen Mann. Er<br />

ist dankbar und sehr authentisch. Es kommt nicht<br />

darauf an woher du bist, sondern was du bist. Und er<br />

hat das alles in so einem jungen Alter erreicht.<br />

Hat sich etwas in eurem Leben seit diesem Programm<br />

geändert?<br />

VICTOR: Ja, also wenn der Afrika-Cup stattfindet, bin<br />

ich für die Türkei!<br />

ALI: Und ich für Nigeria! Und gemeinsam sind wir für<br />

Österreich.<br />

<br />

T E X T :<br />

Sarah Mohammadi<br />

FOTO:<br />

Marko Mestrović<br />

Was ist die ZUSAMMEN:ÖSTERREICH Akademie?<br />

In der ZUSAMMEN:ÖSTERREICH Akademie bekommen motivierte Studenten mit internationalem Background<br />

ein Stipendium, um neue Erfolgsgeschichten aus Österreich zu schreiben. Die Studenten werden von sogenannten<br />

Integrationsbotschafter/innen im Rahmen der Akademie auf unterschiedlichster Weise unterstützt<br />

und dienen als deren Vorbilder und Begleiter/innen. Zudem wird den Stipendiaten ein Begleitprogramm geboten.<br />

Du hast Interesse? Informationen über die Voraussetzungen für das Stipendium und das Antragsformular<br />

findest du hier: www.integrationsfonds.at/themen/stipendium/stipedium-zusammenoesterreich-akademie/<br />

52<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


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Mein Karriereticket in die Zukunft<br />

Egal, ob weiblich oder männlich: Wer Talent hat, sich engagiert und etwas leisten will, ist bei<br />

den ÖBB genau richtig. Und wer bei uns erfolgreich seine Lehre absolviert, kann sich sein<br />

Karriereticket in die Zukunft sichern.<br />

GANZ GLEICH, WAS DU WILLST –<br />

BEI UNS KANNST DU ES WERDEN<br />

Die ÖBB sind eines der größten Unternehmen und einer<br />

der größten Lehrlingsausbilder Österreichs. Aktuell<br />

absolvieren 1.700 Lehrlinge in ganz Österreich ihre<br />

drei- oder vierjährige Ausbildung. Und so wie jedes Jahr<br />

wurden auch heuer wieder rund 500 Lehrlinge aufgenommen,<br />

die aus 23 Lehrberufen wählen konnten. Bist<br />

du ein technischer Typ? Dann beginne eine Ausbildung<br />

als EisenbahnbetriebstechnikerIn oder als FahrzeugtechnikerIn.<br />

Zieht es dich eher ins Büro? Dann starte<br />

bei uns als Lehrling zur Mobilitätsservicekauffrau, Mobilitätsservicekaufmann<br />

oder als Speditionskauffrau,<br />

Speditionskaufmann. Reparierst du gerne Schaltanlagen?<br />

Dann lass dich bei uns zur ElektrotechnikerIn ausbilden.<br />

Oder willst Du beim Postbus arbeiten? Du hast<br />

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ausgefüllten Bewerbungsunterlagen.<br />

Nach bestandenem Auswahlverfahren geht’s zur<br />

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… und deine Unterschrift unter Deinem Lehrvertrag.<br />

Und schon bist Du im Team dabei!<br />

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Lehre als Gleisbautechnikerin: Anela ist eine junge, moderne Frau in einem<br />

„Burschenjob“.<br />

Anela: Ich suche immer die Herausforderung –<br />

bei den ÖBB habe ich sie gefunden!<br />

Früher wollte Anela Stewardess oder Fotografin<br />

werden: „Doch schon bald wurde mir bewusst,<br />

dass ich mich in der Welt der Technik<br />

am wohlsten fühle. Schon als Schülerin wollte<br />

ich immer vorankommen. Die Aufstiegschancen<br />

und Weiterentwicklungsmöglichkeiten bei<br />

den ÖBB und der Umgang mit Lehrlingen waren<br />

mir daher besonders wichtig“.<br />

Als eines der wenigen Mädchen in einer ,von<br />

Männern dominierten‘ Berufswelt beweist die<br />

gebürtige Salzburgerin ihren Mitschülern und<br />

zukünftigen Kollegen jeden Tag aufs Neue,<br />

dass Mädchen in der Technik mindestens genauso<br />

erfolgreich sind, wie Jungs.<br />

Lehre:<br />

Elektro – Anlagen-<br />

und Betriebstechnik<br />

Wieso hast du dich für die Lehre als<br />

Gleisbautechnikerin entschieden?<br />

Auf die Idee bin ich über einen<br />

Freund gekommen, der ebenfalls<br />

bei den ÖBB seine Lehre macht.<br />

Entscheidend war für mich der gute<br />

Umgang der ÖBB mit den Lehrlingen.<br />

Man wird super behandelt, es<br />

gibt tolle Aufstiegschancen, man<br />

reist viel und lernt ständig neue<br />

Leute kennen.<br />

Was macht dir bei der Ausbildung<br />

zur Gleisbautechnikerin am meisten<br />

Spaß, was ist am spannendsten?<br />

Am interessantesten finde ich die<br />

Vermessung. Vor allem deshalb,<br />

weil dieser Teil meiner Ausbildung<br />

zu Beginn am schwierigsten<br />

für mich war. Besonders freue ich<br />

mich schon auf den Einsatz draußen,<br />

auf den Gleisen.<br />

53


almanah<br />

производителност<br />

Leistung auf bulgarisch<br />

54<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


KULTUR<br />

Kulturschock: In Österreich lebt man mit Hunden „zusammen“.<br />

Männer begrüßen sich nicht untereinander mit Bussis, sondern sie<br />

begrüßen nur Frauen so. Und in Museen hängen, stehen und räkeln<br />

sich splitternackte, weiße Körper. Geflüchtete Personen kommen<br />

in Österreich ins Staunen und Straucheln. Was ist hier der richtige<br />

Weg – muss Rücksicht genommen werden oder eine besondere<br />

Kulturvermittlung stattfinden?<br />

S. 58-59<br />

KULTURSCHOCK ÖSTERREICH!<br />

Die syrische Perspektive: Zakarya stammt aus Damaskus<br />

und staunt in Wien. Die 5 größten Unterschiede zwischen<br />

seinem alten und neuen Zuhause.<br />

S. 60-61<br />

KUNSTSCHOCK NACKTER MANN?<br />

Die Gesellschaft wird diverser. Die historische Kunst<br />

bleibt europäisch, weiß und nackig. Wirken die Kunstbestände<br />

beleidigend und irritierend auf MitbürgerInnen<br />

anderer Kulturen?<br />

Marko Mestrović, Hans Memling/KHM<br />

S. 62<br />

INTEGRATION DURCH JOURNALISMUS:<br />

Drei Absolventen der Biber-Akademie wurden unter die<br />

besten 30 unter 30 Jung-Journalisten Österreichs gewählt.


almanah<br />

KULTURSCHOCK<br />

5<br />

Unterschiede<br />

zwischen<br />

Syrien und<br />

Österreich<br />

Ich komme aus Damaskus, der Hauptstadt<br />

Syriens. Ich wohne seit anderthalb<br />

Jahren in Österreich und muss<br />

gestehen, dass mich das neue Land am<br />

Anfang mit einem Kulturschock begrüßt<br />

hat. Von Hunden als Haustieren bis hin zur<br />

Begrüßung per Handschlag: Hier eine Liste<br />

mit fünf Unterschieden zwischen Syrien<br />

und Österreich, mit denen ich immer noch<br />

zurechtkommen muss:<br />

1. Die Begrüßung<br />

In Syrien sind drei Küsschen auf die Wange als Begrüßungsform gang<br />

und gäbe. Immer zwischen zwei Männern oder zwei Frauen, selten aber<br />

zwischen einem Mann und einer Frau, was hier ganz normal ist. Mehrmals<br />

ist mir Folgendes passiert: Ich küsse meine Freunde auf die Wange<br />

und einige Menschen in meiner Umgebung missverstehen meine sexuelle<br />

Orientierung. Seitdem pflege ich, andere Männer per Handschlag zu<br />

begrüßen. So tanze ich nicht mehr aus der Reihe.<br />

2. Das Essen<br />

Damaskus ist nicht so multikulturell wie Wien. Aus diesem Grund isst<br />

man in den Restaurants in 95 Prozent der Fälle nur syrisch. Wien ist aber<br />

anders: Hier kann ich am Montag spanische Speisen genießen, mir am<br />

Donnerstag Pizza und Pasta gönnen und am Wochenende griechische<br />

Leckereien probieren. Das ist das Beste an dieser Stadt: Man kann jederzeit<br />

eine kulinarische Reise um die Welt machen, ohne weiter als bis zum<br />

23. Bezirk zu fahren.<br />

3. Die Hunde<br />

In Syrien ist der Hund nur ein einfacher Wohnungsschützer und nicht<br />

der beste Freund des Menschen. Katzen dagegen erfreuen sich derselben<br />

Beliebtheit wie hier.<br />

Ich habe am Anfang die Liebe der Österreicher für ihre Hunde sehr<br />

bestaunt. Einmal habe ich einen Bekannten gefragt, ob er alleine wohnt.<br />

Seine Antwort hat mich ein bisschen verwirrt: „Nein, ich wohne mit<br />

meiner Freundin und meinem Hund zusammen.“<br />

4. Der Verkehr<br />

Damaskus ist eine Großstadt, die im Moment mehr Einwohner hat als<br />

Wien. Nichtsdestotrotz ist das einzige Verkehrsmittel in der syrischen<br />

Hauptstadt der Bus. Die syrischen Busse haben keine Klimaanlage. Man<br />

sagt bei uns nicht umsonst, dass man im Sommer wie ein Schwein<br />

schwitzt und im Winter friert wie ein Schneider. In Wien sind die öffentlichen<br />

Verkehrsmittel ein Privileg, die die Wiener mehr schätzen sollten.<br />

Ich bewundere es immer noch, dass keine Fahrt mit den Öffis, egal wie<br />

weit weg das Ziel ist, mehr als 40 Minuten dauert.<br />

5. Das Wetter<br />

Egal was im Geografie-Lehrbuch steht: Österreich hat meiner Meinung<br />

nach nur zwei Jahreszeiten – den Sommer und den Winter. In Syrien<br />

gibt es zum Glück immer noch Übergänge. Die syrischen Sommer und<br />

Winter verhalten sich aber, wie es sich gehört: 50 Grad im Juli und eine<br />

meterhohe Schneeschicht im Jänner sind nichts Außergewöhnliches. Ich<br />

finde den Sommer in Wien ganz gemütlich. 30 – 35 Grad sind für mich<br />

die perfekte Temperatur und keine Sahara-Hitze wie die Wiener glauben.<br />

56<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

Zakarya<br />

Ibrahem, 26,<br />

aus Damaskus,<br />

schreibt über das<br />

Leben eines jungen<br />

Syrers in Wien.<br />

Marko Mestrović<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 57


almanah<br />

Wer hat Angst vorm<br />

nackten Mann?<br />

Die Gesellschaft wird diverser. Die<br />

historische Kunst bleibt europäisch,<br />

weiß und nackig. Es wird diskutiert,<br />

ob die Kunstbestände beleidigend<br />

und irritierend auf MitbürgerInnen<br />

anderer Kulturen wirken könnten.<br />

Doch eine Gruppe wurde nicht<br />

befragt: Jene, die es angeblich<br />

betrifft. Wen konkret stören denn<br />

die Nacktbilder im Museum?<br />

T E X T :<br />

Jelena Pantić<br />

Beim Italienbesuch des iranischen<br />

Präsidenten Rohani wurden Anfang<br />

des Jahres nackte Statuen verhüllt,<br />

aus Respekt gegenüber seiner Kultur und<br />

seinem Glauben. Nach dieser Logik gäbe<br />

es in Österreich auch genug Menschen,<br />

die sich theoretisch von Aktdarstellungen<br />

in Museen irritiert fühlen könnten. Aber<br />

ist das der richtige Weg beziehungsweise<br />

überhaupt notwendig? Andreas Zimmermann,<br />

Leiter der Kunstvermittlung des<br />

Kunsthistorischen Museums, sieht das so:<br />

“Wir haben so gut wie nie mit Besuchern<br />

zu tun, die völlig unvorbereitet und dann<br />

schockiert vor den Werken stehen, denn<br />

die kommen sowieso gar nicht erst hinein.”<br />

Das möchte das KHM gerne ändern, offener<br />

und ein Museum für alle werden. Doch<br />

müsste es dann seine Kunst auch anders<br />

vermitteln? “In der Präsentation ändert<br />

sich mal nichts. In der Vermittlung würde<br />

es relevant werden, wenn diese Zielgruppe<br />

massiver bei uns auftauchen würde, das ist<br />

bislang ja leider nicht der Fall. Außer natürlich<br />

bei SchülerInnen”, sagt Andreas.<br />

Fotos: Jüngling vom Magdalensberg; Eva, Hans Memling, KHM; Workshop „Strike a pose“, Rolf Wienkötter & Larissa Kopp<br />

58<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

ist der Gedanke, nach Gottes Ebenbild<br />

geschaffen zu sein und das nicht verstecken<br />

zu müssen. Die Götterder Antike, die von<br />

den Renaissancekünstlern wiederentdeckt<br />

wurden, waren oft nackt. Diese historischen<br />

Momente sind für Europäer sehr wichtig,<br />

spielen in der islamischen Kultur aber beispielsweise<br />

keine Rolle.<br />

Warum so viel Nacktheit?<br />

Ein konkretes Beispiel: Nehmen “österreichische”<br />

Kinder und jene mit Migrationshintergrund<br />

die Kunst in österreichischen<br />

Museen verschieden wahr? “Kinder interessieren<br />

Geschichten, sie wollen wissen,<br />

was auf dem Bild vor sich geht. Und da<br />

gibt es keinen Unterschied zwischen mit<br />

und ohne Migrationshintergrund”, erzählt<br />

Larissa Kopp, die schon viele SchülerInnenführungen<br />

im KHM hinter sich hat.<br />

Sie bespricht mit den Kindern den meist<br />

geschichtlichen Hintergrund der Nacktheit.<br />

Und den verstehen Mädchen mit Kopftuch<br />

genauso wie jene ohne. Larissa persönlich<br />

hat es zwar noch nicht erlebt, es kam<br />

jedoch bei Kollegen vor, dass sich Kinder<br />

und Erwachsene schon umgedreht haben,<br />

um gewisse Nacktszenen nicht zu sehen.<br />

Andreas traf eine syrische Frau, die ihn nach<br />

einer Führung fragte, warum wir denn so<br />

viele Nacktdarstellungen in Europa hätten.<br />

Er erklärt, dass die Stärkung des Individuums<br />

in Europa durch die Renaissance und<br />

durch die Französische Revolution stattfand.<br />

Ein Grund für die viele Nacktheit<br />

Mit oder ohne Busenblitzer<br />

In einem gemeinsamen Projekt des Kunsthistorischen<br />

Museums und der Caritas<br />

werden regelmäßig Gruppen von Flüchtlingen<br />

gratis ins Museum eingeladen. Im<br />

Workshop “Strike a pose” stellten die<br />

Flüchtlinge Bilder nach, die ihnen am<br />

besten gefallen hatten. Mit den sinnlich<br />

ansprechenden Darstellungen gab es keine<br />

Schwierigkeiten, im Gegenteil, sie fanden<br />

sie wunderschön. Die Geschichte hinter<br />

den Bildern und die Kunst selbst er-wecken<br />

gewisse Emotionen und mit Emotionen<br />

kann jeder und jede etwas anfangen. Ob mit<br />

Busenblitzer oder ohne.<br />

Aber wen stört es denn jetzt? Menschen,<br />

die es nicht betrifft, diskutieren darüber,<br />

was den anderen sauer aufstoßen könnte.<br />

Wir haben im Zuge des Schülerbiberprojekts<br />

in einer Klasse mit 15-Jährigen in<br />

einem Wiener Polytechnikum nachgefragt:<br />

Stören euch Bilder von nackten Menschen<br />

im Museum? Alle SchülerInnen waren sich<br />

einig, dass sie sich nicht gestört fühlen<br />

würden. Die Hauptbegründung war: Nacktheit<br />

ist normal, es sind doch nur Menschen<br />

wie man selbst. Manche Schüler haben auch<br />

gesagt, dass es sie nicht stört, weil es nicht<br />

echt ist, sondern Kunst.<br />

Die ganze Debatte ist recht theoretisch.<br />

Ein wahres Problem scheint es ja nicht zu<br />

sein. “Man sieht das in Deutschland und<br />

Österreich oft, dass in einer quasi vorausschauenden<br />

Angst gehandelt wird”, sagt<br />

Andreas. Es scheint aber so, als wüssten<br />

unsere Kinder, MigrantInnen und Flüchtlinge<br />

ganz gut, was sie da vor sich sehen<br />

und wie sie damit umgehen sollen. Und<br />

die, die sich wirklich davon gestört fühlen<br />

und mit europäischer Kunst so gar nichts<br />

anfangen können, die gehen wahrscheinlich<br />

weder jetzt noch künftig ins Museum. <br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 59


almanah<br />

Made<br />

by<br />

biber<br />

Drei AbsolventInnen der<br />

biber-Akademie gehören<br />

dieses Jahr zu den besten<br />

30 JournalistInnen<br />

unter 30 in Österreich.<br />

Alexandra Stanic, Marian Smetana und Nour Khelifi (v.l.n.r.) gehören laut dem Branchenmagazin „Der<br />

Journalist“ zu den 30 besten Jungjournalisten Österreichs.<br />

NOUR KHELIFI hat im Herbst 2013 ihr biber-Praktikum<br />

angetreten. Seither arbeitet sie als freie Journalistin<br />

für die Wiener Zeitung, Progress und Südwind<br />

und hat bei ORF/„Thema“ und Dok1 mitgearbeitet. Die<br />

22-Jährige absolviert derzeit ein Praktikum bei Ö3 und<br />

ist Sprecherin bei Ö1 und Ö3 bei der Sendung „Einfach<br />

zum Nachdenken“. Zudem leitet sie zusammen mit<br />

ihrer Kollegin Dajana Marunić das Kulinarik-Ressort<br />

bei biber. Für eine Cover-Geschichte war sie im März<br />

undercover in islamischen Kindergärten unterwegs,<br />

diese Reportage hat es unter die Top 15 Geschichten von<br />

2015 in der Rubrik „Glaubwürdigkeit“ geschafft.<br />

MARIAN SMETANA war 2012 Teil der biber-Akademie,<br />

danach freier Video- und Printjournalist und ist<br />

seit 2014 bei den Salzburger Nachrichten angestellt.<br />

Dem 29-Jährigen sind gesellschaftspolitische Themen<br />

ein besonderes Anliegen, zu seinen beruflichen Meilensteinen<br />

gehören Reportagen über den Arbeiterstrich<br />

in Wien, der Besuch Heinz Fischers bei Wladimir Putin<br />

und sein Selbstversuch als Obdachloser. Zudem war er<br />

im Kosovo und in Gaza und hat über die dortige Lage<br />

berichtet.<br />

Auch ALEXANDRA STANIĆ hat 2012 die biber-Akademie<br />

absolviert, hat ihr Folgepraktikum bei der bosnischen<br />

Tageszeitung „Oslobodjenje“ und „Standard“<br />

angetreten und war 2013 „Presse“-Reporterin Ost.<br />

Danach war die 25-Jährige als freie Journalistin tätig.<br />

Zu ihren größten Erfolgen zählt die Reportage „Die<br />

Haut Gottes“, die auf stern.de erschienen ist, sowie die<br />

Cover-Geschichte „Bist du behindert“, die sie für biber<br />

geschrieben und fotografiert hat. Seit September 2015<br />

ist sie biber-Akademieleiterin, seit April <strong>2016</strong> moderiert<br />

sie die neue Magazinsendung „Oktoscout“ auf Okto TV.<br />

Die biber-Akademie bildet JungjournalistInnen mit<br />

internationalen Wurzeln aus und bereitet sie auf die<br />

Medien- und Kommunikationswelt vor. Zwei Monate<br />

lang werden je vier Stipendiaten ausgebildet, sie veröffentlichen<br />

ihre Interviews, Berichte und Reportagen<br />

online und im Heft. Einen weiteren Monat absolvieren<br />

die biber-AkademikerInnen in einem Partnermedium<br />

oder einer Pressestelle ihrer Wahl. Die Akademie wird<br />

durch Sponsoren finanziert. (Siehe rechts)<br />

Bewerbungen mit CV und drei Story-Vorschlägen an<br />

stanic@dasbiber.at<br />

Marko Mestrovic / picturedesk.com, Andreas Jakwerth, www.richardtanzer.com, Felicitas Matern, Picasa<br />

60<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

Partner der biber-Akademie:<br />

„Mir ist eine Versachlichung der Integrationsdebatte<br />

sehr wichtig. Dabei können<br />

Journalisten mit Migrationsbackground viel<br />

dazu beitragen und daher unterstützen wir<br />

die biber-Akademie. Zudem geht es mir<br />

aber darum, dass Integration gelebt wird<br />

und auch möglichst viele Menschen mit<br />

unterschiedlichsten Lebensgeschichten im<br />

Journalismus beschäftigt sind.“<br />

SEBASTIAN KURZ, Bundesminister für<br />

Europa, Äußeres und Integration<br />

„Wir sind ein internationaler Öl- und Gaskonzern,<br />

in dem mehr als 60 Nationen<br />

an einem Strang ziehen. Das macht uns<br />

erfolgreich und stark. Integration wird bei<br />

uns gelebt und gespürt, einer von uns ist<br />

immer in einem unserer 30 Länder neu.<br />

Und deshalb hat uns, als OMV, die Idee der<br />

biber-Akademie sofort begeistert.“<br />

JOHANNES VETTER, Senior Vice President<br />

Corporate Communications, OMV<br />

„Damit Diversity und Inklusion keine Slogans<br />

bleiben, müssen beide Begriffe mit<br />

Leben erfüllt werden. Daher ist es wichtig,<br />

dass engagierte JungjournalistInnen mit<br />

migrantischen Wurzeln ihre Fähigkeiten<br />

einbringen und die Sichtweisen der Medien<br />

erweitern. Die Wirtschaftskammer Wien<br />

unterstützt die Biber-Akademie, um diese<br />

Generation der neuen ÖsterreicherInnen<br />

auf ihrem Weg zu stärken.“<br />

WALTER RUCK, Wiener Wirtschaftskammer-Präsident<br />

„Als öffentliches Unternehmen steht<br />

die ÖBB zu Recht oft im Fokus medialer<br />

Berichterstattung. Uns gefällt, dass<br />

die biber-Akademie nicht nur talentierte<br />

Jung-JournalistInnen ausbildet, sondern<br />

darüber hinaus gezielt die Internationalität<br />

und Diversität der Medien- und Kommunikationsbranche<br />

erhöht.“<br />

SVEN PUSSWALD, Leitung Konzernkommunikation<br />

& Public Affairs, ÖBB<br />

„Die biber-Akademie ist eines der großartigsten<br />

journalistischen Nachwuchs-Projekte<br />

Österreichs. Gerade die Vielfalt und<br />

die Internationalität der Beteiligten machen<br />

auch die Qualität der Redaktion aus. Wir<br />

freuen uns einen Beitrag leisten zu können<br />

und wünschen der nächsten Generation von<br />

Jungjournalistinnen und -journalisten eine<br />

erfolgreiche Karriere in den Top-Medien<br />

des Landes.“<br />

WOLFGANG FASCHING-KAPFEN-<br />

BERGER, Communications & Public<br />

Affairs Manager, Google Austria<br />

„Migration ist ein wichtiges Thema in den<br />

österreichischen Medien. Die biber-Akademie<br />

gibt jungen Menschen mit Migrationshintergrund<br />

die Chance Journalismus<br />

zu lernen, um die Berichterstattung mitzugestalten<br />

– durch ihre Erfahrungen, ihr<br />

Wissen und ihr Engagement. Wir von der<br />

Wiener Städtischen Versicherung freuen<br />

uns, dieses Projekt zu unterstützen.“<br />

SABINE WEISS, Leiterin Werbung und<br />

Sponsoring, Wiener Städtische Versicherung<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 61


almanah<br />

Desarrollo<br />

Entwicklung auf spanisch<br />

62<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


almanah<br />

Good News<br />

Schlechte Nachrichten gibt es genug. Das<br />

Jahr <strong>2016</strong> hat zum Glück auch positive<br />

Schlagzeilen geliefert. Ein Überblick.<br />

Refugees work!<br />

Adib, Obaida und Motassam möchten<br />

Newcomer gewinnt<br />

Integrationspreis!<br />

Wahrlich Chancen-reich!<br />

Die Schlange im Museumsquartier war<br />

arbeiten. In ihren Berufen – als<br />

<strong>2016</strong> geht für Österreichs größte<br />

lang. Sehr lang. Mit diesem Ansturm auf<br />

Buchhalter, Ingenieur und Koch. Sie<br />

Schülerredaktion mit Ruhm und Ehre zu<br />

die erste Berufsmesse für Geflüchtete hatte<br />

haben gute Chancen. Alle drei haben<br />

Ende. Nicht nur, dass die Winter-Ausgabe<br />

man im Sommer <strong>2016</strong> nicht gerechnet.<br />

sich auf der Online-Jobplattform<br />

des Biber„Newcomers“ mit seiner<br />

„Chancen:reich“, obwohl nur in 4 Monaten<br />

Refugeeswork.at registriert. Mehr als<br />

Cover-Geschichte „Generation Haram“<br />

auf die Beine gestellt, war ein voller Erfolg.<br />

4500 Registrierungen von geflüchteten<br />

hohe Wellen schlug, auch international.<br />

Es kamen mehr als 3500 Besucher und 70<br />

Personen zählt die Plattform bereits,<br />

Das gesamte Newcomer-Projekt gewann<br />

Aussteller informierten über 1000 freie<br />

und 275 von ArbeitgeberInnen. Die<br />

dieses Jahr den Journalisten-Sonderpreis<br />

Stellen und Ausbildungsmöglichkeiten. Vor<br />

Unterstützung der Geflüchteten ist<br />

für Integration. Zweimal im Jahr geht<br />

Ort fanden 900 Bewerbungsgespräche statt<br />

kostenlos. Wer sich registriert hat und<br />

Biber unter Leitung von Melisa Erkurt in<br />

und zum Schluss wurden 200 Jobs<br />

seinen Lebenslauf eingegeben hat,<br />

Wiener Schulen und bringt im Rahmen<br />

vermittelt. „Die vermittelten Personen<br />

Andi Bruckner, Dragan Tatić, chancenreich, ideegration, Daniel Auer<br />

dem schlägt Refugeeswork.at passende<br />

Stellen vor. Der Service unterstützt<br />

zudem auch bei der Vorbereitung auf<br />

Bewerbungsgespräche oder informiert<br />

über Ausbildungsmöglichkeiten. Dass diese<br />

Idee von Gründern Fatima Almuktha und<br />

Dominik Beron top ankommt, zeigt sich<br />

nicht nur bei den Usern. Refugeeswork.<br />

at gewann <strong>2016</strong> den höchstdotierten Preis<br />

für Sozialunternehmer, den „Get Active<br />

Social Business Award“. Der Preis wird<br />

von Coca-Cola verliehen und mit stolzen<br />

80.000 Euro gekürt. Das Motto: „Wer etwas<br />

bewegen will, muss aktiv werden!“<br />

einer Projektwoche den Schülern das<br />

Grundwerkzeug des Journalismus bei.<br />

Das Ergebnis gibt es Online und in den<br />

Newcomer-Ausgaben zu lesen. In schicker<br />

Atmosphäre und vor rotem Samt wurde<br />

also die Trophäe von Integrationsminister<br />

Sebastian Kurz und vom Chef des<br />

Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF)<br />

Franz Wolf überreicht. Darüber freuten sich<br />

besonders die zahlreichen SchülerInnen,<br />

die vor Ort waren und davon erzählten, wie<br />

gut es ist, eine Stimme zu erhalten und zu<br />

erleben, dass ihre Meinung zählt.<br />

befinden sich noch immer in den<br />

Anstellungsverhältnissen“, heißt es auf der<br />

Website. Im Biber-Interview erzählten die<br />

beiden Initiatoren der Messe, Stephanie<br />

Cox und Leo Wiedrich, wie es zur Idee kam.<br />

„Wir wollten unseren Kindern nicht<br />

erzählen wollen, dass wir zwar gesehen<br />

haben, dass eine Herausforderung kam,<br />

aber alles einfach der Politik überlassen<br />

haben. Bildung und Arbeit sind die<br />

wichtigsten Bausteine der Integration. Die<br />

Menschen, die gekommen sind, bleiben<br />

nicht paar Monate. Wir kommen beide aus<br />

der Unternehmerszene und im Bereich<br />

“employment” konnten wir eben den<br />

größten Impact schaffen.“<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 63


almanah<br />

Impressum<br />

Medieninhaber:<br />

biber Verlagsgesellschaft m.b.H.<br />

Herausgeber und Chefredakteur:<br />

Simon Kravagna<br />

Redaktionelle Leitung:<br />

Melisa Erkurt, Delna Antia<br />

Diversity macht Karriere!<br />

Auch beim vierten Mal erfolgreich!<br />

Im Oktober <strong>2016</strong> ging die fair.versity<br />

Austria <strong>2016</strong> über die Bühne – diesmal<br />

unter der Schirmherrschaft des BMVIT,<br />

dem Bundesministeriums für Verkehr,<br />

Innovation und Technologie. Über<br />

40 ausstellende und mitwirkende<br />

Organisationen, mehr als 45 Speaker und<br />

über 1.500 BesucherInnen (davon rund<br />

70% Frauen) haben die Messe im MAK<br />

Wien als erfolgreiches Messe Start-Up in<br />

Österreichs etabliert. Unter zahlreichen<br />

Aktivitäten gab es auch die Möglichkeit<br />

seinen Lebenslauf auf Deutsch und<br />

Englisch prüfen zu lassen. Der CV-Check<br />

wurde von über 300 Personen genutzt.<br />

Zudem konnten die Besucher professionelle<br />

Bewerbungsfotos von sich erstellen zu<br />

lassen, es gab auch ein Karriere-Coaching<br />

und das VIP-Business-Speed-Dating. Bei<br />

Letzterem nahmen 10 Flüchtlinge aus<br />

unterschiedlichen Ländern teil.<br />

5 Jahre<br />

Integrationsbotschafter!<br />

Gratulation! ZUSAMMEN:ÖSTERREICH<br />

feiert 5-jähriges Bestehen. Die<br />

Idee von Sebastian Kurz 2011,<br />

IntegrationsbotschafterInnen zu ernennen,<br />

war eine seiner ersten Handlungen als<br />

damaliger Staatssekretär für Integration.<br />

Seit dem Start der Initiative konnten<br />

über 360 Menschen mit Migrations- oder<br />

Fluchthintergrund als BotschafterInnen<br />

gewonnen werden. Sie erzählen in Schulen<br />

über die Chancen und Herausforderungen<br />

in ihrem Integrationsprozess und konnten<br />

damit bereits über 50.000 SchülerInnen<br />

in ganz Österreich erreichen. Franz Wolf,<br />

Geschäftsführer des Österreichischen<br />

Integrationsfonds (ÖIF): „Die Initiative<br />

ZUSAMMEN:ÖSTERREICH hat ihren<br />

Wirkungsbereich in den letzten Jahren über<br />

die Schule hinaus auf zahlreiche weitere<br />

wichtige Lebensbereiche wie Ehrenamt,<br />

Sport und Arbeitsmarkt erweitert.“ Es<br />

haben sich weitere Projekten entwickelt,<br />

wie die ZUSAMMEN:ÖSTERREICH<br />

Akademie für Studierende oder die<br />

Fußballinitiative „Teamplay ohne Abseits“.<br />

Redaktion:<br />

Sarah Al-Hashimi<br />

Muhamed Beganović<br />

Andrea Grman<br />

Adriana Davidović<br />

Adam Bezeczky<br />

Sarah Mohammadi<br />

Zakaryra Ibrahem<br />

Jelena Pantić<br />

Gastautoren:<br />

Martin Beglinger (NZZ)<br />

AD & Grafik:<br />

Dieter Auracher<br />

Fotoredaktion:<br />

Marko Mestrović<br />

Projektkoordination:<br />

Adam Bezeczky<br />

Lektorat:<br />

Christina Gaal<br />

Druck:<br />

Styria GmbH & Co KG<br />

Styriastraße 20, 8042 Graz<br />

Auflage:<br />

50.000<br />

Kontakt:<br />

biber Verlagsgesellschaft m.b.H.<br />

Museumsplatz 1, E-1.4, 1070 Wien<br />

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JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


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JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 65


almanah<br />

Foto: Igor Minić<br />

Ivanas Welt<br />

Papa Baustelle,<br />

Mama putzen<br />

und wir ins Büro<br />

Lebensträume sind schon seltsam. mehr Putzlappen und Schaufel schwingen<br />

Erfüllt man sich den einen oder müssen, sondern die Stufe einer sauberen<br />

anderen, kann der Fokus eine ganz Arbeit erreichen und im Büro einer tollen<br />

andere Richtung einschlagen. Und beim Firma sitzen dürfen. Ja, das war wohl der<br />

Erreichen der Ziellinie merkt man, dass ein Traum vieler unserer Eltern. Hauptsache<br />

gewisser Stillstand im Leben nach weiteren<br />

Zielen und Träumen schreit. Erreichte res - vor dem Computer sitzen - Tag ein,<br />

Büro, gute Arbeit, nichts körperlich Schwe-<br />

Ziele können sich nach einer Weile dann Tag aus.<br />

wie ein altes Möbelstück anfühlen, auf<br />

welches man lange gespart hat, sich dann Haus, in dem keiner wohnt<br />

leisten konnte und satt gesehen hat. Und Dreckslöcher kennen viele von uns. Das<br />

das betrifft nicht nur Materielles, sondern war der Start vieler Migrantenkinder in<br />

auch Lebensabschnitte, die man Schritt für ihr neues Leben, als Österreich zur neuen<br />

Schritt meistert und dann plötzlich beim Heimat wurde. Dann sparte man, fuhr nicht<br />

Erreichen denkt: Und was jetzt? Macht mich in fremde Länder, sondern auf Heimaturlaub<br />

und sah zu, dass man entweder unten<br />

das jetzt auf Dauer glücklich?<br />

ein geiles Haus baut oder hier eine Eigentumswohnung<br />

für die Kinder hinterlässt.<br />

Bürojob statt Putzlappen<br />

Beim Spaziergang im Park kam ich mit Und dann sagte sie zu mir: “Da spare ich<br />

einer bosnischen Frau ins Gespräch. Sie mein Leben lang auf das Haus unten, haben<br />

war bereits in Rente und hatte vor dieser uns hier die Wohnung eingerichtet, zahlten<br />

Kredite ab und jetzt kann ich das alles<br />

Zeit eine sehr gängige Berufslaufbahn der<br />

ersten Generation hinter sich - sie Putzen, nicht mehr sehen.” Sie sucht die Natur. Der<br />

Mann Baustelle. Und sie sprach über ihre Fokus ihrer Kinder hat sich verändert, ganz<br />

Ambitionen, wofür man ein Leben lang anders als man sich das vorgestellt hat. Sie<br />

gehakelt hat. Damit Sohn und Tochter nicht fahren nicht runter und werden wohl nie im<br />

gebauten Haus wohnen, außer das eine oder<br />

andere Mal im Urlaub, wenn keine fremden<br />

Länder in Planung sind. Und weil die Kinder<br />

hier sind, zieht es viele Eltern auch nicht<br />

mehr in die Heimat. Man will seine Enkel<br />

sehen.<br />

Luxus Selbst findungstrip<br />

Und das Ganze jetzt aus der Perspektive<br />

eines Migrantenkindes, wie ich eines bin.<br />

Ja, dieses Denken “Geh Schule, dann musst<br />

nicht putzen und sitzt im geilen Büro” hat<br />

auch mich geprägt. Welcher Beruf passt zu<br />

mir? Was will ich im Leben machen? Bin ich<br />

ein Bürotyp, wo einem die Klimaanlage ins<br />

Gehirn bläst? Oder doch eher Tierpfleger,<br />

Archäologe, Gärtner, weil ich doch Bock<br />

hab in der Erde herum zu wühlen und mich<br />

die Natur mehr erfreut als geschlossene<br />

Räume?<br />

Ja, diesen Luxus sich in der Jugendzeit<br />

zu entscheiden oder mehrmals die Studienrichtungen<br />

zu wechseln, bis es passt, hatten<br />

viele von uns nicht. Es musste irgendwie<br />

schnell gehen. Schnell die Schule fertig,<br />

schnell entscheiden, was man will, schnell<br />

vorwärts kommen, den Aufstieg schaffen -<br />

weg vom Putzlappen und dann ab ins Büro.<br />

Aber irgendwann kann einen das Ganze<br />

einholen. Plötzlich kann der Fokus ganz wo<br />

anders liegen. Da ist dann die Frage: Schafft<br />

man dann den “Umstieg” oder verschiebt<br />

man die Träume auf die dritte Generation,<br />

funktioniert bis zur Rente für seine Kinder,<br />

damit die irgendwann vielleicht Auslandsstudien,<br />

Weltreisen und Selbstfindungstrips<br />

machen können und dann in der Erde<br />

wühlen, wenn ihnen danach ist? <br />

In Ivanas WELT berichtet biber-Redakteurin<br />

Ivana Martinović über ihr daily life.<br />

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JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


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JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 67


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68<br />

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