Almanah 2016 ansicht
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
almanah<br />
<strong>2016</strong> / 2017 Jahrbuch für<br />
Integration<br />
in Wirtschaft,<br />
Politik und<br />
Gesellschaft<br />
lmanah *<br />
* bosnisch/kroatisch/serbisch für »Almanach/Jahrbuch«<br />
POLITIK & GESELLSCHAFT<br />
Verbotskultur an Wiener Schulen<br />
Wer ist echter Österreicher?<br />
Afghanin: „Sexuelle Verarmung“<br />
MARKT UND KARRIERE<br />
Konzerne schaffen Integration<br />
Assimilation funktioniert<br />
Flüchtling als<br />
Teilchenbeschleuniger<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 1
almanah<br />
2<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
Für 2017 wünschen wir uns mehr<br />
Frieden und Zusammenhalt<br />
„Eine schlechte<br />
Nachricht jagt derzeit<br />
die andere. Was<br />
auffällt: Irgendwie<br />
hängt am Ende alles<br />
zusammen.“<br />
Omer Messinger / Zuma / picturedesk.com<br />
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
<strong>2016</strong> war kein leichtes Jahr. Die Übergriffe in der Silvesternacht in<br />
Köln entfachen einen Diskurs über sexuelle Gewalt an Frauen und<br />
setzen einen Rechtsmob in Bewegung. Terroranschläge überschatten<br />
die ganze Welt. Nach dem Putschversuch in der Türkei werden<br />
unzählige Regierungskritiker verhaftet. Donald Trump wird der neue<br />
Präsident der USA. Die Kämpfe in Syrien werden immer blutiger.<br />
Eine schlechte Nachricht jagt die andere. Bei Redaktionsschluss ist<br />
man sich nie sicher, was kurz danach passiert. Was auffällt: Irgendwie<br />
hängt am Ende alles zusammen.<br />
Jährlich dokumentiert die biber-Redaktion im Jahresbericht für<br />
Wirtschaft, Politik und Gesellschaft aktuelle Entwicklungen im<br />
Bereich Integration. Dabei zeigt sich: Damit 2017 besser wird,<br />
müssen alle zusammenarbeiten. Wie das geht zeigen Unternehmen<br />
wie T-Mobile, voestalpine und Spar, die Flüchtlingen eine Lehrausbildung<br />
und somit auch eine Perspektive anbieten. Oder AMS-Chef<br />
Johannes Kopf, der nicht die schnellste, sondern die beste Integration<br />
von Flüchtlingen am Arbeitsmarkt anstrebt. Dass Migration<br />
viele negative Folgen hat, zeigt zum Beispiel eine trendige Verbotskultur<br />
muslimischer Teenager mitten in Wien. Der Soziologe Ruud<br />
Koopman sieht eine Lösung solcher und anderer Integrationsprobleme<br />
in der Assimilation der Einwanderer an die Mehrheitsgesellschaft<br />
und auch die afghanische Journalistin Tanya Kayhan fordert<br />
einen strengeren Umgang mit den Menschen, die nach Österreich<br />
kommen.<br />
Alles in allem aber leistet Österreich gute Arbeit mit seinen vielen<br />
humanitären Projekten, den freiwilligen Helfern, die alle wissen,<br />
dass es uns in Österreich ziemlich gut geht und wir von unserem<br />
Wohlstand etwas abgeben können. Mit diesem Leitsatz kann 2017<br />
nur besser werden – zumindest wünschen darf man sich das.<br />
Simon Kravagna<br />
Herausgeber und Chefredakteur das biber<br />
Omer Messinger / Zuma / picturedesk.com<br />
Delna Antia<br />
Stv. Chefredakteurin, Redaktionsleitung <strong>Almanah</strong><br />
Melisa Erkurt<br />
Chefin vom Dienst, Redaktionsleitung <strong>Almanah</strong><br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 3
almanah<br />
INHALT<br />
bereitgestellt<br />
Zoe Opratko<br />
Jens Gyarmaty<br />
Sexuelle Armut<br />
Die Vergewaltigung einer Frau<br />
durch drei Afghanen am Praterstern<br />
schockte Wien. Die Journalistin<br />
Tanya Kayhan sagt, warum es<br />
Wertekurse vom ersten Tag an<br />
braucht.<br />
28<br />
Flüchtlinge machen Lehre<br />
Als 2015 tausende junge Flüchtlinge<br />
nach Österreich kamen, versprach<br />
Österreichs Wirtschaft zu helfen.<br />
Doch nur wenige Betriebe haben<br />
bisher Flüchtlinge als Lehrlinge<br />
aufgenommen.<br />
32<br />
Gespräch mit Ruud Koopman<br />
In den USA werden seine Studien<br />
rezipiert,in Europa ignoriert. Ruud<br />
Koopmans’ These: Nicht die Diskriminierung<br />
der Migranten ist<br />
die Herausforderung, sondern ihre<br />
Selbstdiskriminierung.<br />
50<br />
4<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
INHALT<br />
GESELLSCHAFT & POLITIK<br />
Flucht in Zahlen. 6<br />
Generation Haram. Die neue Verbotskultur<br />
unter muslimischen Jugendlichen<br />
macht Frauenfeindlichkeit zum gefährlichen<br />
Jugendtrend. 10<br />
Die Schule muss Chancen bieten. Ein<br />
Gastkommentar von Arbeiterkammer-Präsident<br />
Rudi Kaske 16<br />
Österreicher sind zu nett, findet die afghanische<br />
Journalistin Tanya Kahyan im<br />
Gespräch und attestiert ihren Landsmännern<br />
eine sexuelle Verarmung 28<br />
MARKT & KARRIERE<br />
So schafft man das! Drei österreichische<br />
Betriebe zeigen, wie Integration von<br />
Geflüchteten gelingt. Sie stellen sie als<br />
Lehrlinge ein 32<br />
Vorschläge liegen am Tisch! Österreich<br />
muss die Flüchtlingsbewegung besser<br />
managen, fordert IV-Generalsekretär<br />
Christoph Neumayer 46<br />
Raus aus der Komfortzone, lautet das<br />
Motto von Fadmar Osmic. Der ehemalige<br />
Kriegsflüchtling ist heute Teilchenbeschleuniger<br />
48<br />
KULTUR<br />
Nie ein echter Österreicher, so erleben<br />
sich viele junge Migranten in ihrem<br />
Geburtsland. Warum es leichter ist, Deutscher<br />
zu sein 18<br />
Je schneller, desto besser? Nein. AMS-<br />
Chef Johannes Kopf erklärt im Interview,<br />
warum die rascheste Integration nicht die<br />
effektivste ist 36<br />
5 Unterschiede zwischen Syrien und<br />
Österreich. Zakarya Ibrahem kommt aus<br />
Damaskus und erzählt von seinem Kulturschock<br />
in Wien 56<br />
Zug um Zug integrieren! Die Akademie<br />
der Zivilgesellschaft hat erkannt,<br />
dass Freiwilligenarbeit auch Ausbildung<br />
braucht 27<br />
Assimilation funktioniert. Es ist die<br />
Selbstdiskriminierung von Migranten,<br />
die desintegriert, so der Soziologe Ruud<br />
Koopmanns 40<br />
Wer hat Angst vorm nackten Mann? Die<br />
Gesellschaft wird diverser.<br />
Die historische Kunst bleibt europäisch,<br />
weiß und nackig. 46<br />
Eine Information des Landes Niederösterreich.<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 5
almanah<br />
Flucht<br />
Flucht und Asyl<br />
2015 belegt Österreich nach Schweden den 2. Platz in der EU bei<br />
Asylanträgen im Verhältnis zur Bevölkerungszahl<br />
in<br />
Zahlen<br />
60 Millionen<br />
Menschen sind weltweit<br />
Opfer von Flucht und<br />
Vertreibung<br />
88.151 Menschen stellen 2015 Asylanträge in Österreich<br />
1,2<br />
Millionen Menschen stellten 2015 einen Erstantrag auf Asyl in Europa<br />
88.151<br />
37.500<br />
35.000<br />
2015 <strong>2016</strong> 2017<br />
37.500 ist die geplante Obergrenze für<br />
Asylanträge <strong>2016</strong><br />
35.000 wird die geplante Obergrenze<br />
für Asylanträge 2017 sein<br />
Quelle: BMI<br />
6<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
Wer stellte 2015 Anträge Asylanträge <strong>2016</strong><br />
Nicht ganz ein Drittel der<br />
Antragsteller kamen aus<br />
Afghanistan, ein weiteres<br />
knappes Drittel aus Syrien.<br />
50% der Antragsteller<br />
waren unter 25 Jahren<br />
39.618 Asylanträge gestellt<br />
25.475<br />
AFGHANISTAN<br />
3 8<br />
. 1 3 8<br />
S O N S T<br />
SYRIEN<br />
24.538<br />
I G E<br />
Von 88.151 AsylantragstellerInnen waren 72% männlich<br />
UNTER 25 JAHRE ALT<br />
50%<br />
Mehr als 14.000<br />
Personen erhielten<br />
2015 Asyl<br />
32.295 wurden zugelassen<br />
Bis 30.11.<strong>2016</strong> wurden<br />
39.618 Asylanträge gestellt,<br />
32.295 wurden zum<br />
Verfahren zugelassen.<br />
23.894 23.257<br />
23.894 erhielten im Jahr <strong>2016</strong><br />
eine positive Entscheidung<br />
23.257 erhielten eine<br />
negative Entscheidung<br />
26.677 der Asylantragssteller sind männlich (67%)<br />
12.941 der Asylantragsstellerinnen sind weiblich (33%)<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 7
almanah<br />
Flüchtlinge auf arabisch<br />
8<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
GESELLSCHAFT & POLITIK<br />
Die Herausforderungen von Integration sind oft gegensätzlich. Auf<br />
der einen Seite gilt es gefährlichen Trends von Radikalisierungen und<br />
frauenfeindlichen Verbotskulturen unter Jugendlichen zu begegnen.<br />
Auf der anderen Seite fühlen sich etablierte Migranten in ihrem Geburtsland<br />
ausgeschlossen und nicht zugehörig. Integration von Geflüchteten<br />
bringt zusätzliche „Culture Clashs“ und braucht Lösungen<br />
auch vor Ort.<br />
S. 10-15<br />
GENERATION HARAM<br />
Eine neue Verbotskultur unter muslimischen Jugendlichen<br />
sorgt für Aufruhr. „Haram!“ steht eigentlich für Sünde<br />
und wird neuerdings zum Jugendwort verklärt. Der Trend<br />
stärkt Frauenfeindlichkeit in Wiener Klassenzimmern.<br />
S. 18–23<br />
NIE ECHTER ÖSTERREICHER<br />
Am Papier Österreicher, im Herzen lieber alles andere.<br />
Jungen Migranten der zweiten Generation mangelt es oft<br />
an Nationalstolz für ihr Geburtsland. In Deutschland ist<br />
das anders.<br />
Marko Mestrović, bereitgestellt<br />
S. 28–29<br />
ZU NETTE ÖSTERREICHER<br />
Sexuelle Verarmung attestiert Tanya Kahyan ihrem<br />
Heimatland Afghanistan. Die Journalistin fordert im<br />
Interview über Vergewaltigungen durch afghanische<br />
Flüchtlinge: Österreich muss streng sein.
almanah<br />
Was Sünde ist, entscheiden<br />
sie: Muslimische Teenager<br />
haben ein neues Jugendwort:<br />
„Haram!“ heißt es auf<br />
YouTube, Instagram und im<br />
Klassenzimmer. Was als Spaß<br />
begann, entwickelt sich zu<br />
einem gefährlichen Trend.<br />
biber-Redakteurin Melisa<br />
Erkurt über pubertierende<br />
Großmäuler, radikale<br />
Tendenzen und eine neue<br />
Verbotskultur mitten in Wien.<br />
10<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION<br />
Diese beiden Jungs haben sich nur als<br />
Models hergegeben, in echt verurteilen<br />
sie religiöse Machtausübung.
almanah<br />
Generation<br />
Haram<br />
T E X T :<br />
Melisa Erkurt<br />
F O T O :<br />
Marko Mestrović<br />
Wer etwas tut, das als<br />
haram definiert ist,<br />
begeht eine Sünde.<br />
Das ist haram!“, ruft die halbe Klasse<br />
im Chor als Antwort auf meine<br />
Frage, weshalb sich ein Junge über<br />
den V-Ausschnitt seiner Klassenkollegin<br />
aufregt. Was genau daran haram ist, möchte<br />
ich wissen. Mensur*, der 14-Jährige, der<br />
seine Klassenkollegin Merve * aufgefordert<br />
hatte, ihren Ausschnitt zu bedecken, erklärt<br />
es mir ganz selbstverständlich: „Es ist ihre<br />
Sache, wie sie sich anzieht, aber wenn ich<br />
da hinschaue und ihren Busenschlitz sehe,<br />
ist das haram. Dann sündige ich wegen ihr.“<br />
Mensurs Sitznachbar lacht: „Ja, haram,<br />
Bruder!“<br />
Natürlich wusste ich schon vor Mensurs<br />
Antwort, was die Klasse mit haram meint.<br />
Als Muslima kenne ich den Begriff. Haram<br />
ist ein arabisches Adjektiv und beschreibt all<br />
das, was laut der Scharia verboten ist. Wer<br />
etwas tut, was als haram definiert ist, der<br />
begeht eine Sünde. Das Gegenteil von haram<br />
ist halal, also „erlaubt“. Aber dass haram<br />
abseits von Glaubensschriften mittlerweile<br />
seinen Weg in die Jugendsprache gefunden<br />
hat, war mir noch vor ein paar Monaten<br />
nicht bewusst.<br />
In den letzten Wochen war ich an<br />
verschiedenen Wiener Schulen und habe<br />
mit dem biber-Schulprojekt „Newcomer“<br />
jeweils in einer Woche versucht einer<br />
Klasse einen Einblick in die mediale Welt<br />
zu gewähren, Rollenbilder zu hinterfragen<br />
und Trends zu diskutieren. Dieses Semester<br />
habe ich mit circa 120 Jugendlichen<br />
zwischen 14 und 19 Jahren zusammengearbeitet.<br />
Die Schulen, an denen ich war - von<br />
NMS bis AHS und BHS - gelten größtenteils<br />
als „Brennpunktschulen“. Der Anteil<br />
von SchülerInnen mit Migrationshintergrund<br />
ist hoch, die meisten kommen aus<br />
bildungsfernen Elternhäusern – diesmal<br />
waren besonders viele Jugendliche aus<br />
muslimischen Familien dabei. SchülerInnen<br />
mit diesem Background sind nicht neu für<br />
mich. Seit zwei Jahren bin ich nun schon<br />
mit dem „Newcomer-Projekt“ in Wiener<br />
Schulklassen unterwegs. Ich habe über<br />
engagierte LehrerInnen und talentierte<br />
SchülerInnen geschrieben. Aber auch über<br />
Frauenfeindlichkeit und über Chancenlosigkeit<br />
aus diesen Klassenzimmern berichtet.<br />
Ich dachte, mich könnte eigentlich ‣<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 11
almanah<br />
ist, zeigen meistens alle muslimischen<br />
Schüler auf. Will ich von ihnen wissen, was<br />
den Islam ausmacht, was er vermitteln<br />
soll, herrscht Stille. Frage ich die Jugendlichen<br />
aber, was haram oder halal bedeutet,<br />
antworten sie brav.<br />
Auswendig lernen<br />
Alles, was sie über den Islam wissen, haben<br />
sie auswendig gelernt. Kein Wunder, funktioniert<br />
so in manchen österreichischen<br />
Schulen der islamische Religionsunterricht:<br />
Suren auswendig lernen. In ein paar Fällen<br />
sogar nur auf Arabisch. SchülerInnen, die<br />
kein Arabisch sprechen, verstehen also gar<br />
nicht, was sie da nachsagen. Aber auch<br />
wenn sie die Suren in einer Sprache, die<br />
sie können, lernen, so hinterfragen sie die<br />
Bedeutung nicht immer – die SchülerInnen<br />
geben oft nur wieder, was sie gelernt haben,<br />
ohne zu reflektieren. Und weil sie im Islamunterricht<br />
oft nur Suren lernen, suchen<br />
SchülerInnen, die kein<br />
Arabisch sprechen,<br />
verstehen gar nicht,<br />
was sie da nachsagen.<br />
Shisha: Zu lasziv für hormongesteuerte Halbstarke?<br />
nichts mehr verwundern, aber da habe ich<br />
die Rechnung ohne „Generation haram“<br />
gemacht.<br />
Ich möchte von Mensur und den<br />
anderen SchülerInnen, die scheinbar so<br />
genau darüber informiert sind, was im<br />
Islam verboten ist, wissen, wofür der<br />
Islam eigentlich steht. Ich bekomme keine<br />
Antwort. Diese Situation wiederholt sich in<br />
fast jeder Klasse. Auf die Frage, wer gläubig<br />
Foto: Susanne Einzenberger<br />
sie die restlichen Informationen zum Islam<br />
eben wahllos aus dem Internet zusammen<br />
oder informieren sich im Freundeskreis.<br />
Nach Schulschluss setze ich mich in eine<br />
Shisha-Bar. Eine Frau alleine Wasserpfeife<br />
rauchend in einer Bar, haram würden meine<br />
Schüler sagen, die mir zuvor erklärt hatten,<br />
dass Shisha rauchen für Frauen haram ist, es<br />
schaut zu lasziv aus, wenn sie die Wasserpfeife<br />
zum Mund führen und den Rauch<br />
ausblasen. Tatsächlich sind an dem Tag nur<br />
Männer zwischen 16 und 25 in der Shisha-<br />
Bar. Alle stylisch gekleidet mit Frisuren<br />
und getrimmten Bärten, als kämen sie<br />
frisch vom Barbier. Dem Äußeren nach zu<br />
urteilen moderne Burschen. Ich frage eine<br />
Gruppe von vier jungen Männern, ob sie<br />
den Begriff haram kennen und verwenden.<br />
Sie lachen. Einer von ihnen, Mert*, zückt<br />
sein Handy und zeigt mir die letzte Konversation<br />
in einer seiner WhatsApp-Gruppen:<br />
„Haraaaam“ steht da unter einem Foto von<br />
einer Frau im Bikini. Mert nimmt einen Zug<br />
von seiner Shisha, im Hintergrund läuft das<br />
Lied „Shisha Bar“ von zwei deutsch-türkischen<br />
YouTubern. „Schau dir mal das<br />
Musikvideo von denen auf YouTube an“,<br />
sagt Mert. Unter dem Video, in dem Frauen<br />
12<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
leicht bekleidet tanzen, stehen unzählige<br />
„haram“–Kommentare in Bezug auf das<br />
freizügige Erscheinungsbild der Frauen.<br />
Mert und zwei andere aus der Gruppe<br />
sind Muslime. Ob sie gläubig sind, frage<br />
ich sie, alle drei nicken. Einer von ihnen,<br />
Halil*, fügt hinzu: „Leider bin ich nicht<br />
strenggläubig, so wie es sein sollte. Dafür<br />
ist die Verlockung hier in Österreich einfach<br />
zu groß. Aber eines Tages werde ich es<br />
sein“, sagt der 19-Jährige. Mit Verlockung<br />
meint er Alkohol, Partys und Frauen. Sein<br />
Freund Goran * lacht. Der gebürtige Kroate<br />
ist fast nur mit Muslimen befreundet. Er<br />
beobachtet in den letzten Jahren einen<br />
Anstieg der Religiosität innerhalb seines<br />
Freundeskreises: „Ein paar meiner Freunde,<br />
für die Religion nie ein Thema war, sagen<br />
auf einmal, sie widmen ihr Leben jetzt<br />
Allah.“ Ich möchte von ihm wissen, ob er<br />
eine Vermutung hat, woher der plötzliche<br />
Wandel kommt. „Auf jeden Fall durch das<br />
Internet. Vines, Memes, YouTube-Videos –<br />
Islam ist überall ein Thema. Früher haben<br />
viele meiner Freunde nicht einmal erwähnt,<br />
dass sie Muslime sind, heute leben sie ihren<br />
Glauben offen, weil es durch das Internet<br />
und Deutsch-Rap cool geworden ist,<br />
Moslem zu sein.“<br />
Internet-Sittenwächter wissen immer, was haram ist.<br />
Deutschrap & Social Media<br />
– dass der deutsche salafistische Hasspre-<br />
Radikalisierung von Jugendlichen in<br />
Halil stimmt ihm zu. Er und seine Freunde<br />
diger Pierre Vogel, der unter anderem<br />
Wiener Jugendzentren untersucht hat – mit<br />
hören am liebsten Deutschrap von Kollegah,<br />
von Muslimen verlangt für den Islam zu<br />
erschreckenden Ergebnissen. Konkret sollen<br />
Bushido und Alpa-Gun. Bushido und Alpa-<br />
sterben, gefährlich ist, steht jedoch fest.<br />
27 Prozent der muslimischen Jugendlichen<br />
Gun sind von ihrer Herkunft her Muslime,<br />
Auf YouTube, eine der beliebtesten Sozia-<br />
zwischen 14 und 17 Jahren, die von Jugend-<br />
Kollegah ist mit 15 zum Islam konvertiert.<br />
len Plattformen der Jugendlichen, kann<br />
arbeitern betreut werden, gefährdet sein,<br />
In seinen Songtexten und Interviews spricht<br />
sich jeder seine Predigten anhören – vom<br />
sich zu radikalisieren, so die Studienauto-<br />
er über den Islam – offen, verständlich und<br />
14-jährigen Teenie, der in einer Identitäts-<br />
ren Kenan Güngör und Caroline Nik Nafs.<br />
lässig – das kommt bei den Jugendlichen<br />
krise steckt, bis hin zum 16-jährigen Schul-<br />
57 von 214 befragten muslimischen Jugend-<br />
an. Der 32-jährige Kollegah rappt aber<br />
abbrecher ohne Perspektive.<br />
lichen vertreten unter anderem Meinungen<br />
auch über „Fotzen“ und „ficken“ und die<br />
wie: „Religiöse Gesetze sind wichtiger als<br />
Jugendlichen feiern ihn, weil er Moslem ist.<br />
Radikalisierung<br />
die österreichischen Gesetze ... Die islami-<br />
Dass seine Songtexte gar nicht zu einer reli-<br />
Soziale Netzwerke wie YouTube sind zur<br />
sche Welt soll sich mit Gewalt gegen den<br />
giösen Haltung passen, spielt keine Rolle.<br />
wichtigsten Informationsquelle für Jugend-<br />
Westen verteidigen … Es soll im Namen der<br />
„Kollegah ist harmlos. Aber es gibt<br />
liche geworden. Dass man in dem Alter<br />
Religion getötet werden dürfen“.<br />
radikale Prediger wie Pierre Vogel, von dem<br />
besonders schwer zwischen normal islami-<br />
Wieso gerade Jugendliche anfällig für<br />
lassen sich Jugendliche beeinflussen. Wenn<br />
schen und radikal islamistischen Inhalten<br />
Radikalisierung sind, liegt auf der Hand:<br />
die mit 12 Jahren schon Zugang zum Inter-<br />
differenzieren kann, könnte beim Thema<br />
Identitätskrise während der Pubertät,<br />
net haben, ist das ein Problem. In dem Alter<br />
Religion gefährlich werden.<br />
Rebellion, aber auch ein verstärktes Dazuge-<br />
youtube.com<br />
wissen die nicht, was richtig oder falsch ist“,<br />
erklärt mir Halil. Ob Kollegahs Songtexte<br />
harmlos sind, darüber lässt sich streiten<br />
Wie gefährlich zeigt eine im Oktober<br />
veröffentliche Studie der Stadt Wien,<br />
die die Bereitschaft zur islamistischen<br />
hören-Wollen prägen die Teenager-Zeit.<br />
Dazugehören wollte auch Florian * , ein<br />
Freund von Halil, der mit 18 zum Islam ‣<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 13
almanah<br />
Sie rappen über „Fotzen“ und „ficken“ und werden von den Jugendlichen als Muslime gefeiert.<br />
konvertiert ist, weil alle seine Freunde<br />
kein haram, ist alles tamam (in Ordnung)“<br />
oder nicht dürfen – sich im Bikini vor<br />
Muslime sind. Dass er nach wie vor Alkohol<br />
oder „haramstufe rot“ sind Sätze, die unter<br />
Männern zu zeigen ist nämlich haram.<br />
trinkt und den anderen „Versuchungen“,<br />
den Freundinnen häufig fallen – aber nur im<br />
Mädchen wie Merve, die aus einem<br />
wie Halil sie nennt, nicht widerstehen kann,<br />
Spaß, versichern sie mir. Ob sie das Gefühl<br />
modernen muslimischen Elternhaus<br />
ist nicht weiter schlimm für die Freunde,<br />
haben, dass ihre männlichen Klassenkolle-<br />
stammen und von ihren Eltern aus auf<br />
Hauptsache er ist jetzt auch einer von<br />
gen die haram-Äußerungen auch nur lustig<br />
jeden Fall mit ins Schwimmbad gehen<br />
ihnen. „Inshallah, werden wir eines Tages<br />
meinen? „Nein! Sie wissen immer, was für<br />
dürften, trauen sich trotzdem nicht: „Die<br />
nach dem Koran leben“, sagt Mert tröstend<br />
uns Mädchen haram ist: Shisha rauchen,<br />
Jungs würden schlecht über mich reden und<br />
und nimmt einen Schluck von seinem Bier.<br />
Ausschnitt zeigen - neulich hat einer in<br />
bestimmt Fotos von mir im Bikini rumschi-<br />
Nachher ist er mit seinen Freunden im<br />
cken“, sagt die 15-Jährige. Auf der letzten<br />
Wettbüro verabredet.<br />
Schullandwoche hat ein Klassenkollege<br />
Merves Kleidungsstil kommentiert. „Er hat<br />
„Haramstufe rot“<br />
Zurück in der Schule schauen sich die<br />
Jugendlichen in der Pause einen Sketch<br />
auf Facebook an, in dem ein junger Mann<br />
eine junge Frau in den Kofferraum sperrt,<br />
weil sie fälschlicherweise behauptet hatte,<br />
Jungfrau zu sein. Die Burschen lachen<br />
Durch das Internet<br />
und Deutsch-Rap ist<br />
es cool geworden,<br />
Moslem zu sein.<br />
gesagt, es wäre haram sich als Muslima so<br />
zu kleiden. Dabei hatte ich nur Jeans und ein<br />
etwas engeres T-Shirt an.“<br />
Ein männliches Problem<br />
Meine Gespräche mit den Jugendlichen<br />
zeigen mir, dass es mehrheitlich die Bur-<br />
über das Video, die obligatorischen „Oha –<br />
schen sind, die im Namen der Religion Ver-<br />
haram!“ Rufe gehen durch die Reihen, als<br />
bote für andere erstellen und so das Leben<br />
rauskommt, dass die junge Frau aus dem<br />
Biologie haram gerufen, als unsere Lehre-<br />
ihres (weiblichen) Umfelds einschränken.<br />
Video keine Jungfrau mehr ist. Die Mädchen<br />
rin über die Menstruation gesprochen hat“,<br />
Auch die Studie der Stadt Wien macht deut-<br />
lächeln verlegen. Ich frage die Mädchen,<br />
sagt Dilan.<br />
lich: Radikalisierung ist männlich. Doch<br />
die sich bisher wenig zu dem Thema haram<br />
Ich frage eine Lehrerin, wie sich solche<br />
diese männlichen Jugendlichen, vor denen<br />
geäußert haben, ob und in welchem Zusam-<br />
vermeintlichen Tabus auf den Schulalltag<br />
sich zur Zeit alle fürchten, haben in Wirk-<br />
menhang sie den Begriff verwenden. „Wenn<br />
auswirken. Sie erzählt mir, dass in den<br />
lichkeit keine Ahnung von dem, was sie<br />
meine Freundin einen kurzen Rock oder<br />
letzten Jahren die Zahl der Nichtschwim-<br />
sagen. Sie tun ja nicht einmal selber das,<br />
bauchfrei trägt, sage ich im Spaß haram zu<br />
merinnen unter ihren Schülerinnen enorm<br />
was sie predigen. Sie widersprechen sich<br />
ihr“, erzählt die 16-jährige Dilan * .<br />
Sie und ihre Freundinnen haben einige<br />
haram-Wortspiele auf Lager: „Machst du<br />
gestiegen ist. Sie kann mit den Klassen<br />
keinen Ausflug ins Schwimmbad machen,<br />
weil die Mädchen nicht schwimmen können<br />
in allem, was sie sagen – denn sie sagen es<br />
nur, um cool zu sein.<br />
Ich habe das Gefühl, dass sie in<br />
youtube.com<br />
14<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
die verängstigten Blicke der anderen in<br />
der U-Bahn, wenn ihr Handy klingelt. Sie<br />
posen auf jedem ihrer Profilfotos mit dem<br />
angehobenen Isis-Zeigefinger. Sie teilen die<br />
Anti-Islam-Posts der FPÖ und lesen stolz<br />
die Hass-Kommentare von Strache-Fans.<br />
Sie wissen, da draußen gibt es hunderttausende<br />
Erwachsene, die sie am liebsten<br />
abschieben würden, weil sie Angst vor ihnen<br />
- ein paar Teenagern – haben. Der Islam<br />
steht für sie für die Macht über die Ängste<br />
der anderen und sie wollen mächtig sein in<br />
einer Gesellschaft, in der sie sowieso schon<br />
als Verlierer gelten, die sie abgeschrieben<br />
hat, die ihnen eh nichts mehr zutraut, außer<br />
den Weg in den Dschihad.<br />
vor Frauen und der österreichischen Gesellschaft<br />
haben, werden Erwachsene ohne<br />
Perspektive, die ihre Kinder genauso erziehen<br />
könnten. Und während der eine Teil der<br />
Gesellschaft diese Jugendlichen fürchtet,<br />
sie am liebsten abschieben würde, leugnet<br />
der andere Teil das Gefahrenpotential und<br />
die Jugendlichen bleiben wieder sich selbst<br />
überlassen und kreieren sich ihre eigene<br />
Welt – voll von Widersprüchen, Einschränkungen<br />
und ganz viel haram.<br />
<br />
*Namen von der Redaktion geändert<br />
Die scheinbar harmlose Facette des Haram-<br />
Wahns - Memes aus dem Internet.<br />
Wirklichkeit die Mädchen beneiden, die<br />
die besseren Noten haben, die blühenderen<br />
Zukunftsaussichten, die keinen auf „harten<br />
Kerl“ machen müssen. Die Mädchen, die<br />
sich so gut integrieren konnten und an<br />
ihnen vorbeiziehen. Wenn ich die SchülerInnen<br />
frage, was sie mal werden wollen,<br />
antworten die Mädchen „Ärztin“ oder<br />
„Anwältin“, die Buben grinsend mit „AMS“<br />
oder „Bombenleger“ – sie wissen, dass sie<br />
nicht mithalten können und kontern mit<br />
Provokation, veralteten Rollenbildern und<br />
gefährlichen Verhaltensvorschriften.<br />
Islam ist Macht<br />
Sie, die Burschen, die Fünfer schreiben,<br />
durchfliegen, schief angeschaut werden,<br />
wollen sich zumindest in einem Punkt<br />
mächtig fühlen. Sie haben erkannt, dass die<br />
Leute Angst vor dem Islam haben. Sie stellen<br />
ihren Handyklingelton in „Allahu Akbar“<br />
(„Gott ist groß“) Rufe um und genießen<br />
Problem ansprechen<br />
So wie die Studie der Stadt Wien gibt auch<br />
dieser Bericht nur einen Überblick über einen<br />
kleinen Teil der muslimischen Jugendlichen<br />
in Wien. Aber er zeigt einen Trend auf, der<br />
sich schnell verstärken könnte, wenn nicht<br />
bald etwas geschieht. Wenn nicht deutlich<br />
mehr Geld für Sozialarbeiter in Schulen und<br />
Jugendprojekte gesteckt wird, aber auch,<br />
wenn es von Seiten der muslimischen Vertreter<br />
kein echtes Eingeständnis dafür gibt,<br />
dass es dieses Problem gibt und der Islam<br />
damit auch mitten in Österreich die Unterdrückung<br />
von Frauen und Verachtung von<br />
Andersdenkenden legitimiert.<br />
Ja richtig, es ist nur ein kleiner Teil der<br />
Jugendlichen, die so drauf sind. Aber diese<br />
Gruppe von pseudo-religiösen Jung-Machos<br />
wird größer, einflussreicher und damit<br />
gefährlicher. Und ja richtig, natürlich ist die<br />
Mehrheit der muslimischen Jugendlichen<br />
nicht so drauf. Aber es gibt solche Jugendliche<br />
und dieses wachsende Problem müssen<br />
wir als biber-JournalistInnen ansprechen,<br />
ansonsten missbrauchen rechte Parteien<br />
diesen Zustand für ihre politischen Zwecke,<br />
obwohl ja gerade sie mit ihrer anti-muslimischen<br />
Hetze solche Teenager noch mehr<br />
antreiben.<br />
Ob die Jugendlichen, die ich kennengelernt<br />
habe, Dschihadisten werden, bezweifle<br />
ich stark. Aber das ist ja auch kein Maßstab.<br />
So wie sie jetzt sind, müssen sie sich schon<br />
ändern. Und zwar schnell und deutlich. Denn<br />
pubertäre Großmäuler, die keinen Respekt<br />
„Was wollt ihr mal<br />
werden?“<br />
„AMS oder Bombenleger“<br />
Dieser Artikel erschien das erste Mal in der biber Winter-Ausgabe<br />
<strong>2016</strong>/17<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 15
almanah<br />
GASTKOMMENTAR<br />
Rudi Kaske<br />
Arbeiterkammerpräsident<br />
Die Schule muss<br />
Chancen bieten<br />
Die Schule muss mehr<br />
Verantwortung für den<br />
Lernerfolg der Kinder<br />
übernehmen, fordert<br />
AK-Präsident Rudi Kaske.<br />
Dass junge Leute faul seien,<br />
möchte er nicht mehr<br />
hören.<br />
Einer meiner Ausbildner war gar<br />
nicht zimperlich, wenn ihm etwas<br />
nicht gepasst hat. Wir Jungen seien<br />
faul, schimpfte er, hätten außer Mädels<br />
nichts im Schädel (in der Koch-Lehre im<br />
Intercontinental waren wir nur Burschen).<br />
Und Lernen käme bei uns erst an zweiter<br />
Stelle, hat er gesagt.<br />
Heute bin ich Arbeiterkammerpräsident,<br />
habe erfolgreich meinen Traumberuf Koch<br />
gelernt – und das Handwerk der Vertretung<br />
meiner Kolleginnen und Kollegen.<br />
Ich habe es arg gefunden, wenn Er wachsene<br />
gesagt haben, wir wollen nichts lernen.<br />
Ich finde es auch arg, wenn ich das über<br />
die heutigen Jungen höre. Jetzt wird sogar<br />
behauptet, ein Drittel sei auf dem Arbeitsmarkt<br />
nicht vermittelbar.<br />
Wer das sagt, soll einmal nachdenken.<br />
Zum Lernen gehören zwei: Schülerinnen<br />
oder Schüler, die lernen – und die Schule,<br />
in der sie lernen. Und als erstes sind die<br />
Schulen dafür verantwortlich, ob bei ihnen<br />
jemand etwas lernen kann oder nicht.<br />
Jetzt haben unsere Bildungsexpertinnen<br />
und Bildungsexperten in der Arbeiterkammer<br />
herausgefunden: Jede sechste Schule in<br />
Österreich hat kein Lernumfeld, in dem sie<br />
jede und jeden ausreichend fördern kann.<br />
In diese Schulen gehen extrem viele Kinder,<br />
deren Eltern nur neun Jahre in der Pflichtschule<br />
waren. Sie können ihren Kindern zu<br />
Hause schwer beim Lernen helfen – ganz zu<br />
schweigen davon, dass sie teure Nachhilfe<br />
zahlen können.<br />
Da muss die Schule einspringen, mehr<br />
Verantwortung für den Lernerfolg der<br />
Kinder übernehmen. Dafür brauchen die<br />
betroffenen Schulen mehr Geld. Wir von der<br />
Arbeiterkammer haben ein Modell für eine<br />
neue Schulfinanzierung entwickelt. Es soll<br />
ein Chancenindex erstellt werden, der zeigt,<br />
wie die soziale Lage der Kinder in der Schule<br />
ist. Und eine Schule soll umso mehr Mittel<br />
bekommen, je mehr Kinder in der Schule<br />
sind, denen die Eltern keine Nachhilfe<br />
zahlen können.<br />
Die höchsten Zuschläge soll es geben,<br />
wenn die Eltern maximal neun Jahre<br />
Pflichtschule absolviert haben. Aber auch<br />
bei maximal einem Lehrabschluss oder<br />
maximal der Matura muss es Zuschläge<br />
geben – freilich nicht mehr so hohe. Der<br />
Grund: Die meisten Eltern kämpfen täglich<br />
darum, dass ihre Kinder in der Schule<br />
mitkommen.<br />
Hat dann eine Schule mehr Mittel, kann<br />
sie besser fördern. So bekommen alle ihre<br />
gerechte Chance.<br />
Und dass junge Leute faul seien, möchte<br />
ich nicht mehr hören.<br />
<br />
Sebastian Philipp<br />
16<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
BEZAHLTE ANZEIGE<br />
Die Unternehmen der REWE International AG suchen Nachwuchs:<br />
17 Lehrberufe für<br />
700 Lehrlinge<br />
auch 2017 stehen interessierten Jugendlichen zahlreiche Lehrberufe<br />
offen. Bewirb dich und starte deine Karriere!<br />
Rund 1700 Lehrlinge sind bereits Teil des Unternehmens.<br />
Denn zur REWE International AG gehören bekannte<br />
Handelsfirmen wie BILLA, MERKUR, PENNY,<br />
BIPA und ADEG. Die Lehre in so einem großen Konzern<br />
bringt viele Vorteile: die Ausbildung läuft nach mondernsten<br />
Standards ab und dank direkter Betreuung<br />
haben alle Lehrlinge einen persönlichen Ansprechpartner.<br />
Doch was kann man alles lernen?<br />
Die Bandbreite an Lehrberufen ist groß. Natürlich<br />
zählen zu den beliebtesten Ausbildungen klassische<br />
Lehrberufe wie Einzelhandelskauffrau/-mann im Lebensmittelhandel,<br />
Feinkost oder Parfümerie. Doch in<br />
einem europaweit tätigem Unternehmen geht es nicht<br />
immer um Lebensmittel. Die REWE International AG<br />
bietet auch Lehrberufe zur Ausbildung zur Medienfachmann/-frau,<br />
KraftfahrzeugtechnikerIn oder zur<br />
ReisebüroassistentIn an. Das Ziel des Unternehmens<br />
in der Lehrlingsausbildung ist, den Jugendlichen eine<br />
hochqualtiative Ausbildung zu bieten – und nicht nur<br />
eine Beschäftigung.<br />
REWE/Roland Unger<br />
EXTRAS FÜR BESONDERE LEISTUNGEN<br />
Gute Noten in der Berufsschule und persönlicher Einsatz<br />
im Betrieb zahlen sich aus. Besondere Leistungen<br />
werden mit Prämien, mit der Teilnahme an Praktika<br />
und Events belohnt. Seit 2008 gibt es die REWE Group<br />
Karriereschmiede: diese konzernübergreifende Ausbildungsschiene<br />
ermöglicht die Teilnahme an Seminaren<br />
und Veranstaltungen und Lehrlingswettbewerben.<br />
Lebenslanges Lernen wird auch nach der Lehrzeit groß<br />
geschrieben: mit der BILLA Meisterklasse,<br />
dem MERKUR Ausbildungsprogramm<br />
„Young Genera-<br />
Bewerbungen für Lehrstellen<br />
REWE International AG<br />
tion“ und den BIPA „Young Stars“ ab Januar 2017<br />
werden Jugendliche weiter motiviert,<br />
an ihrer Karriere zu feilen.<br />
Weitere Infos:<br />
www.meineAusbildung.jetzt<br />
17
almanah<br />
„Dann bin ich eben<br />
nicht Österreicher!“<br />
T E X T :<br />
Delna Antia<br />
FOTO:<br />
Marko Mestrović<br />
‣<br />
Melange, Geweih und Kopftuch:<br />
Das Bild eines neuen Österreichs?<br />
18<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
Am Papier Österreicher, im Herzen<br />
lieber alles andere: Warum es jungen<br />
Migranten an Nationalstolz für ihr<br />
Geburtsland mangelt – und warum<br />
das in Deutschland anders ist.<br />
Natürlich ist Österreich mein Land! Migrantinnen der zweiten Generation und<br />
Ich kann zum Teil besser Deutsch beide besitzen die österreichische Staatsbürgerschaft<br />
– die Krönung jeder Integrati-<br />
als viele Österreicher, ich kann<br />
Dialekt sprechen und bin mit Austropop onsbiographie. Doch wie vielen fällt es auch<br />
aufgewachsen.“ Aber Österreicherin ist ihnen schwer, meine Frage zu beantworten:<br />
Dajana nicht. Sie sei Wienerin. Ein gravierender<br />
Unterschied. Und eine gewollte „Puhhh, ich weiß es nicht.“ Diese Antwort<br />
Bist du Österreicherin?<br />
Absage. Dajana fühlt sich ausgeschlossen. höre ich oft. Statt „ja“ oder „nein“, werden<br />
Nara kennt das Gefühl. „Wenn die Leute mir in meinen Interviews lieber Alternativen<br />
angeboten. Eine ist „eher Europäerin“,<br />
nicht einmal mich, die perfekt Deutsch<br />
spricht und hier geboren ist, akzeptieren, ein anderer „lieber Kosmopolit“ und manch<br />
wie soll das dann erst mit den Flüchtlingen einer findet: „Von nationalem Denken halte<br />
gehen?!“ Berechtigte Frage, nicht wahr? ich nichts.“ Geübte Ausweichmanöver. Es<br />
Nara und Dajana heißen in Wahrheit scheint nicht leicht Österreicher zu sein.<br />
anders. Aber wenn es um die Staatszu- und<br />
angehörigkeit geht, redet es sich besser „Die stehen zu ihrem Deutschsein!“<br />
verdeckt. Die beiden Frauen sind Anfang 20, Die Antworten bestätigen meinen Verdacht.<br />
Den hege ich nämlich seit längerem:<br />
sie wurden in Wien geboren, gingen hier<br />
zur Schule und wuchsen in Favoriten auf. Migranten in Österreich wollen sich national<br />
partout nicht identifizieren. Und um es<br />
Die eine hat tunesische Eltern, die andere<br />
serbische. Die eine trägt Kopftuch, die schlimmer zu machen: Deutsche Migranten<br />
andere ist blond und blauäugig. Beide sind wollen das schon eher. Sie fühlen sich stärker<br />
Deutschland zugehörig, als die österreichischen<br />
zu Österreich. Starker Tobak, ich<br />
weiß. Doch mein Bauchgefühl wurde vor<br />
„Und wenn ich<br />
gesagt habe, dass ich<br />
Österreicherin bin,<br />
dann waren die Leute<br />
nicht zufrieden. Es<br />
gibt keine Akzeptanz,<br />
dass Österreicher<br />
auch anders aussehen<br />
können.“<br />
dem Sommer durch zwei Dinge angefeuert:<br />
Ich stieß auf Statistiken einer europaweiten<br />
Studie und ich traf meine türkische Freundin.<br />
Beide bestätigten den Unterschied.<br />
Die Ergebnisse von TIES, einer großen<br />
Studie, die 2012 in neun europäischen<br />
Ländern die Situation von Migranten der<br />
zweiten Generation untersucht hat, zeigen<br />
folgendes: Während sich in Deutschland<br />
türkische und ex-jugoslawische Migranten<br />
zu 49 – 70 Prozent stark zugehörig fühlen,<br />
sind es in Österreich nur 29 – 57 Prozent.<br />
Hinzu kommt, dass meine Freundin zu 100<br />
Prozent lieber mit einem Deutschtürken als<br />
mit einem Türken aus Österreich ausgehen<br />
würde. „Die stehen zu ihrem Deutschsein!“<br />
Das mache attraktiv, im Gegensatz<br />
zur österreichischen Zerrissenheit. Hier<br />
will keiner stolzer „Austrotürke“ sein,<br />
sie eingeschlossen. Aha, interessant und<br />
danke! Das Thema meiner Masterarbeit war<br />
hiermit gefunden. Ich ging der Sache nach.<br />
Im Frühsommer diesen Jahres führte<br />
ich daher jede Menge Interviews, 26, um<br />
genau zu sein. Ich sprach mit Migranten<br />
der zweiten Generation, im Alter zwischen<br />
15 bis 36 Jahren, im Ruhrgebiet und in<br />
Berlin, in Wien und Wiener Neustadt. Ich<br />
habe mit ihnen Kaffee getrunken und sie<br />
gefragt, wie sie zum Land ihrer Geburt und<br />
Staatsbürgerschaft stehen. Im Gegensatz<br />
zur aktuellen Studie der Stadt Wien über<br />
die Radkalisierung von Jugendlichen, habe<br />
ich bewusst nicht mit „benachteiligten“<br />
Jugendlichen in Jugendzentren gesprochen,<br />
sondern mit „etablierten“ jungen Leuten.<br />
Solchen, die ein Studium verfolgen, ein<br />
Praktikum machen oder fest im Job verankert<br />
sind. Nur in Duisburg war ich auf einer<br />
sogenannten „Brennpunktschule“.<br />
Was dabei rausgekommen ist, könnt ihr<br />
auf der Uni-Bibliothek differenziert auf 84<br />
Seiten nachlesen – oder hier kompakt.<br />
„Der Pass ist Sicherheit!“<br />
Zunächst, ein Pass macht noch keinen<br />
Landsmann. Da sind sie sich in Österreich<br />
wie in Deutschland einig. Identität ist ein<br />
Gefühl und kein Stück Papier. Was aber<br />
nicht heißt, dass es keine Wechselwirkung<br />
gibt. „Was der deutsche Pass mir bedeutet?<br />
Privilegien! Innerhalb der EU frei reisen<br />
zu können... Sich an Wahlen beteiligen zu<br />
können, mich für bestimmte Posten bewerben<br />
können. Wirklich überhaupt ein Teil<br />
dieses Landes zu sein“, erklärt mir Metin.<br />
Der 26-Jährige sei zwar mehr Oberhausener<br />
als Deutscher, aber mit dem deutschen<br />
Rechtsstaat identifiziert er sich sehr. Die<br />
Demokratie, das deutsche Grundgesetz,<br />
die politische Sicherheit sind für viele gute<br />
Gründe, froh und stolz auf den deutschen<br />
Pass zu sein.<br />
Amirs Antrag auf Staatsbürgerschaft läuft<br />
derzeit. „Ganz ehrlich, als 100 Prozent<br />
deutscher Staatsbürger wäre ich in Europa,<br />
mit den rechtspopulistischen Entwicklun-<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 19
almanah<br />
Model Abdullah und Kaiser Franz Joseph im Belvedere:<br />
Wer ist der richtige Österreicher?<br />
„Ich würde mich<br />
nicht als Türken<br />
bezeichnen. Aber<br />
Österreicher bin<br />
ich auch nicht,<br />
egal wie sehr ich<br />
mich anpasse. Die<br />
richtigen Österreicher<br />
würden es auch nicht<br />
akzeptieren.“<br />
gen, zu 100 Prozent sicher.“ Auch Luca hat<br />
seinen Antrag dieses Jahr gestellt – ebenfalls<br />
aus politischen Gründen. Der 36-jährige<br />
Familienvater will mitgestalten können<br />
im Land, in dem er und seine Familie leben:<br />
„Ich habe beschlossen, dass mit meinem<br />
Kind der Integrationsprozess abgeschlossen<br />
sein soll. Wegen dem Aufschwung der AFD<br />
brauche ich eine Stimme!“ Weil so, als Italiener,<br />
kann er nicht wählen. Und unterm<br />
Strich sei er ja deutsch, abgesehen von den<br />
schwarzen Haaren.<br />
Auch in Österreich zählt der Sicher heitsgedanke,<br />
jedoch mehr in Punkto sozialer<br />
Sicherheit. „Existenzsicherung“ gäbe es<br />
in seiner Heimat nicht, erklärt mir Can,<br />
ein 29-jähriger Wiener. Und Esma, eine<br />
Wienerin mit bosnischen Wurzeln, wünscht<br />
sich nichts mehr als die österreichische<br />
Staatsbürgerschaft - aus Gründen des<br />
„inneren“ Schutz. „Der Pass ist Sicherheit!<br />
Dass ich nicht ausgewiesen werde. Wenigstens<br />
wählen zu können, in dem Land, in<br />
dem ich lebe. Als Mensch ohne EU-Bürgerschaft<br />
bist du ein Mensch zweiter Klasse.<br />
Du musst dich in der Uni an eine andere<br />
Schlange anstellen und auch bei Jobs hast<br />
du es schwerer.“<br />
Die „Papier-Identität“, wie viele sie<br />
nennen, mag zwar weniger emotional sein,<br />
sie ist aber existenziell. Und weil die eigene<br />
Existenz nun einmal von Geburt an mit<br />
dem Land verknüpft ist, empfinden einige<br />
20<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
Was ist schon typisch „österreichisch“?<br />
Auch Sissi war Migrantin.<br />
schlicht ein Recht auf den rot-weiß-roten<br />
Pass. Wie der 33-jährige Robert. Ja, Robert<br />
ist auch Migrant. Seine bosnischen Eltern<br />
gaben ihm bewusst einen österreichischen<br />
Namen, damit er es weniger schwer als sein<br />
älterer Bruder mit typisch jugoslawischem<br />
Namen haben würde. „Ich bin da aufgewachsen<br />
und ich lebe hier. Es ist für mich<br />
legitim die Staatsbürgerschaft zu haben und<br />
selbstverständlich sie auch zu nehmen.“<br />
Doch letztlich gilt, was Malva sagt:<br />
„Der Pass stempelt mich definitiv nicht als<br />
Österreicherin ab!“ Aber was dann?<br />
Nicht richtig Österreicher<br />
Die 22-Jährige weiß es nicht. „Ich denke<br />
sehr oft darüber nach. Was bin ich? Halbe<br />
Österreicherin? Halbe Türkin?“ Die Identitätsfrage<br />
beschäftigt jeden, der anders ist.<br />
Als Migrant gehört sie zum Leben dazu wie<br />
Marmelade zur Sachertorte. Wer von dir<br />
wissen will, woher du „wirklich“ kommst,<br />
will wissen wer du „wirklich“ bist. Und<br />
macht mit der Frage klar, einer wie er bist<br />
du wahrlich nicht.<br />
„Es ist eine schwierige Frage.“ Den<br />
29-jährigen Leon aus Wien beschäftigt<br />
sie auch heute noch. „Ich sage immer,<br />
ich bin Türke, wenn jemand in Österreich<br />
fragt. Aber im Urlaub sage ich: I am from<br />
Austria.“ Wie viele andere teilt er seinen<br />
Charakter in österreichische Eigenschaften<br />
und in türkische ein. „Für einen Österreicher<br />
habe ich zu viele türkische Einflüsse.<br />
Und umgekehrt, für meine Verwandten in<br />
der Türkei habe ich beim Essen österreichische<br />
Ansprüche. Ich bin nicht typisch!“<br />
Nicht „typisch“ zu sein, hat ihn mit<br />
Anfang 20 dazu veranlasst seinen Vornamen<br />
„Es gab schon Zeiten,<br />
wo ich keinen Bock<br />
hatte, Österreicherin<br />
zu sein. Wegen der<br />
fremdenfeindlichen<br />
Politik zum Beispiel.“<br />
‣<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 21
almanah<br />
Lieber Wienerin<br />
als Österreicherin!<br />
„Immer kam, dass<br />
ich keine richtige sei.<br />
Schon wegen dem<br />
Namen. Naja, dann<br />
eben nicht!“<br />
Verloren in Österreich? Der Wien-Plan im Leopold Museum gibt Orientierung.<br />
zu ändern. Er gab sich einen, der weniger die 22-jährige mit tunesischen Wurzeln.<br />
türkisch und für Österreicher nicht fremd Obgleich sie eine der wenigen war, die sich<br />
klingt, der aber auch kein Verrat an seinen klar als Österreicherin bezeichnet hat – es<br />
türkischen Wurzeln ist. Er wollte dadurch sei nun mal ihre einzige Heimat – kennt<br />
bessere Chancen bekommen. „Es gibt sie die bewusste „Kontra-Identifizierung“:<br />
einfach Momente, wo man überlegt, wie „Es gab schon Zeiten, wo ich keinen Bock<br />
es wäre, wenn ich nur Österreicher wäre. hatte, Österreicherin zu sein.“ Warum?<br />
Wenn du 10 Jobabsagen bekommst, dann „Wegen der fremdenfeindlichen Politik<br />
fragst du dich schon, ob es daran liegt?!“ zum Beispiel!“ Aber auch, weil sie sich<br />
Starke Diskriminierungen hat er allerdings nicht anerkannt fühlte. „Und wenn ich<br />
nicht erfahren. Andere schon. Etwa Nara, gesagt habe, dass ich Österreicherin bin,<br />
dann waren die Leute nicht zufrieden – es<br />
gibt keine Akzeptanz, dass Österreicher<br />
auch anders aussehen können und andere<br />
Namen haben.“ Später ist es Nara wurscht<br />
gewesen.<br />
Sich eindeutig positionieren zu müssen<br />
und dann hinterfragt zu werden, ist Los<br />
und Frust von Migranten. Obwohl sie zwei<br />
Heimaten besitzen, oft zwei Sprachen<br />
beherrschen, sind sie nie „richtig“ Teil.<br />
Einige fühlen sich in ewiger Schwebe –<br />
wie Can. „Ich würde mich nicht als Türken<br />
bezeichnen. Aber Österreicher bin ich nicht,<br />
egal wie sehr ich mich anpasse, die Sprache<br />
spreche, hier aufgewachsen bin und meine<br />
Ausbildung gemacht habe. Auch wenn ich<br />
mich hier zu Hause fühle, bin ich ganz<br />
sicher nicht Österreicher. Und selbst wenn<br />
ich mich so bezeichnen würde, würden es<br />
die richtigen Österreicher nicht akzeptieren.<br />
Mit Rassismus haben wir alle schon zu<br />
tun gehabt, das fängt im Kindergarten an.“<br />
Oder in der Schule. Malva stöhnt jetzt<br />
noch, wenn sie an ihre Schulzeit denkt.<br />
„Man traut den Türken hier nichts zu.<br />
Meine Lehrerin hat mir ins Gesicht gesagt,<br />
dass ich eh Supermarktverkäuferin werde.“<br />
Aber nicht nur Türkischsein scheint in der<br />
Schule vorbelastend. Es reicht ein „ic´“ im<br />
Namen und schon ist man draußen. Dajana<br />
ist deswegen Wienerin – zum Trotz. „Weil<br />
Österreicher mich nicht als Österreicherin<br />
sehen. Immer kam, dass ich ja keine<br />
richtige sei, schon wegen dem Namen. Naja,<br />
dann eben nicht!“<br />
Künstliche Verfremdung<br />
Langsam verstehe ich: Österreicher ist man<br />
ganz oder gar nicht. „Entweder-oder“ heißt<br />
22<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
die gesellschaftliche Ansage, dazwischen<br />
müssen Migranten sich entscheiden. Auch<br />
rechtlich. Im Gegensatz zu Deutschland<br />
wird hier die doppelte Staatsbürgerschaft<br />
nicht toleriert. Der Erwerb der österreichischen<br />
Staatsbürgerschaft bedeutet immer<br />
den Verlust jeder anderen. In Deutschland<br />
können seit 2014 dagegen nicht mehr nur<br />
EU-Bürger die doppelte Staatsbürgerschaft<br />
besitzen, sondern auch jene, die „lediglich“<br />
in Deutschland aufgewachsen sind – wie<br />
eben Deutschtürken. Und ohne Optionspflicht.<br />
„Es soll der besonderen Situation<br />
der in Deutschland mit mehreren Staatsbürgerschaften<br />
aufgewachsenen ius-soli-Deutschen<br />
Rechnung getragen werden“, sagt das<br />
Deutsche Innenministerium auf seiner Website.<br />
Ius Soli heißt Geburtsrecht. Das will die<br />
junge Union nun ändern. Eine knappe Mehrheit<br />
der CDU stimmte auf einem Parteitag<br />
im Dezember <strong>2016</strong> für die Wiedereinführung<br />
der Optionspflicht. Nun, man wird sehen. In<br />
Österreich gilt jedenfalls allein das Abstammungsrecht.<br />
Kenan Güngör, Integrationsexperte,<br />
kritisiert dies als „künstliche Verfremdung<br />
von hiergeborenen Kindern“ in Österreich<br />
und erwähnt auch „Demütigungsrituale“<br />
beim Erwerbsprozess. Vuk, ein 36-jähriger<br />
Wiener Neustädter, findet „Demütigung“<br />
treffend. Er erinnert sich, wie mit seiner<br />
Familie abwertend im bewussten „Ausländerdeutsch“<br />
gesprochen wurde. Solche<br />
Erlebnisse prägen für‘s Leben. Wer nicht<br />
willkommen ist, will auch nicht Österreicher<br />
sein, wie Vuk. Er ist „Jugoslawe“.<br />
Deutschtürke statt Austrotürke<br />
Im Gegensatz zu Österreich ist es in<br />
Deutschland also gesetzlich erlaubt<br />
„beides“ zu sein. Und interessanterweise<br />
zeigt sich dies auch in den Ergebnissen<br />
meiner Befragung: Sie mischen mehr.<br />
Die Frage „Bist du Deutsche(r)?“<br />
beantworten viele selbstbewusster mit<br />
„ja“ – ohne das zwingend als exklusiv zu<br />
begreifen. So antwortet eine junge Frau:<br />
„Ja, ich bin Deutsche... mit arabischen<br />
Wurzeln“. Ein junger Mann ist „Deutschtürke“,<br />
ein anderer antwortet einfach<br />
zweimal mit „ja“: Er ist Deutscher und ja,<br />
er ist auch Syrer. Deutscher zu sein scheint<br />
fragmentiert möglich zu sein – sowohl<br />
als auch.<br />
Das vermissen Migranten in Österreich. Die<br />
Wienerin Zaida hat Cousins in Hamburg.<br />
„Bei denen ist das Deutsche viel verinnerlichter.<br />
Eine Cousine hat erst hier bei uns<br />
in Österreich Türkisch gelernt,“ erzählt sie.<br />
Die Wahnehmung, dass die deutschtürkische<br />
Verwandtschaft besser integriert ist,<br />
teilen Viele.<br />
Doch in Deutschland herrscht keine<br />
rosa Integrationswelt. Im Gegenteil, einige<br />
Befragte verneinten klar, Deutscher zu sein.<br />
Wie die Berlinerin Nazan. Die 15-Jährige<br />
erklärte mir den Grund dafür: „Wenn ein<br />
Hund in einem Kuhstall geboren wird, ist<br />
er trotzdem noch keine Kuh.“ Für sie sei es<br />
so: Am Papier deutsch, im Herzen türkisch.<br />
Aber als „Teil der deutschen Gesellschaft“<br />
sieht sie sich durchaus. Und besteht darauf:<br />
Als in der Schule eine Mitschülerin fand,<br />
sie sei trotz deutschem Pass keine richtige<br />
Deutsche, hätte sie entgegengesetzt: „Das<br />
ist doch meine Sache. Wenn ich mich so<br />
fühle, dann gehöre ich zur deutschen Kultur<br />
genauso dazu – und dann war die auch<br />
still.“ Klare Ansage, über ihre Identität<br />
entscheidet Nazan selbst, niemand anderes.<br />
Das ist der Unterschied zu Österreich.<br />
Hier wurde meiner Frage unentschlossen<br />
ausgewichen und zudem mehr Fremdbestimmung<br />
und Machtlosigkeit ausgedrückt.<br />
Die eigene Zugehörigkeit wurde wenn auf<br />
Adjektivebene formuliert: Als „österreichisch“<br />
im Charakter vermag der ein oder<br />
andere sich beschreiben, aber ein Österreicher<br />
sei er dadurch noch lange nicht. Die<br />
Idee „beides“ sein zu können, wurde erst<br />
gar nicht ausgesprochen – nur später im<br />
Gespräch gewünscht. So ist es nicht verwunderlich,<br />
dass im Gegensatz zum „Deutschtürken“<br />
die Identität des „Austrotürkens“<br />
keine Option ist.<br />
Beides Bitte!<br />
Dabei wären auch die Austro-Migranten<br />
„beides“ gerne. Nicht zerrissen und säuberlich<br />
in zwei Hälften geteilt, sondern<br />
vermischt, verwoben und mitunter widersprüchlich<br />
– als eine Identität. Denn, so<br />
sind sie nun einmal, eine „Melange“. Auf<br />
eine Frage antworten nämlich alle gleich:<br />
Ob in Deutschland oder Österreich, keiner<br />
würde tauschen wollen, wenn er könnte.<br />
Alle sind lieber beides, als eins.<br />
„Ich finde Beides repräsentiert besser<br />
das, was ich bin“, sagt Rana. Die gemischte<br />
Identität bringt Vorteile wie Nachteile mit<br />
sich. Und vor allem bringt sie Verantwortung.<br />
Migranten stehen oft in der Vermittlerrolle.<br />
Nara, die junge Frau mit tunesischen<br />
Wurzeln, wäre stets die „Korrespondentin<br />
für den arabischen Raum“. Für Dajana ist<br />
die Kulturvermittlung zur Berufsmission<br />
geworden. Sie habe bewusst ihr Studium der<br />
transkulturellen Kommunikation gewählt<br />
und will als Journalistin aktiv die serbische<br />
Kultur in ein besseres Licht stellen. „Denn<br />
gerade als „Tschusch“ und Serbe bist du<br />
immer der Arsch.“<br />
Mir wird klar: Leon, Dajana, Nara und all<br />
die anderen wären gerne – auch – Österreicher.<br />
Sie wollen fraglos, also „richtig“<br />
Teil sein und mehr noch, sie wollen beitragen<br />
– als Vermittler und Korrespondenten.<br />
Nun, wenn wir sie lassen, sogar einladen,<br />
wer weiß, vielleicht bereichert es uns alle?<br />
Denn die Welt ist global, egal wie national<br />
wir sie gern hätten.<br />
„Ich gehöre hier hin und ich möchte,<br />
dass das Land mich als Österreicherin mit<br />
bosnischem Migrationshintergrund akzeptiert“,<br />
wünscht sich Esma. Ein legitimer<br />
Wunsch.<br />
<br />
Nachtrag<br />
Nun wird wohl dem ein oder anderen aufgefallen<br />
sein, dass ausgerechnet eine Piefkin<br />
diesen Artikel verfasst hat. Typisch,<br />
nicht? Und vielleicht werden sich manche<br />
gedacht haben, dass auch die Unentschlossenheit<br />
in Österreich typisch ist, nicht?<br />
Immerhin fehlt meiner „richtigen“ österreichischen<br />
Freundin auch der „Nationalstolz“:<br />
Sie ist im Ausland stets Wienerin.<br />
Vielleicht sind die Austromigranten also nur<br />
ein Spiegelbild der Gesellschaft, quasi bestens<br />
integriert und ausgestattet mit jener<br />
unentschlossenen, aber so österreichischen<br />
Seele?! Tja dann, mehr Melange bitte.<br />
Dieser Artikel erschien das erste Mal in der biber<br />
November Ausgabe <strong>2016</strong><br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 23
BEZAHLTE ANZEIGE<br />
Humanitäre Hilfe<br />
geht uns alle an.<br />
Bei Naturkatastrophen und Krisen wird Österreich<br />
aktiv: Weltweit setzen sich die Austrian Development<br />
Agency (ADA) und Nicht regierungsorganisationen für<br />
Menschen in Not ein.<br />
Development Agency (ADA): „Mit diesen Mitteln<br />
konnten wir rund zwei Millionen Menschen<br />
helfen!“<br />
SCHNELLE UND NACHHALTIGE HILFE<br />
So wurden zum Beispiel <strong>2016</strong> über sechs<br />
Millionen Euro an Ernährungshilfe für Syrien<br />
ausbezahlt. „Uns geht es darum, dass die Hilfe<br />
rasch erfolgt, sich immer am humanitären Bedarf<br />
der betroffenen Menschen orientiert und<br />
an den Prinzipien Menschlichkeit, Neutralität,<br />
Unparteilichkeit und Unabhängigkeit“, sagt<br />
Ledolter. Dabei arbeitet die ADA nur mit Partnern,<br />
die viel Erfahrung in der Soforthilfe haben,<br />
wie Care, Caritas oder dem Roten Kreuz:<br />
Sobald es mit einem Beschluss der Regierung<br />
Geld von Österreich gibt, können die Partner<br />
vor Ort aktiv werden. Dass die Hilfe dort ankommt,<br />
wo sie gebraucht wird, dafür sorgt die<br />
Austrian Development Agency (ADA).<br />
Im Jahr <strong>2016</strong> sechs Millionen Euro für die<br />
Ernährungshilfe in Syrien.<br />
Das Ziel von humanitärer Hilfe ist es, Leben<br />
zu retten, menschliches Leid zu lindern und<br />
Schutz und Versorgung aller betroffenen Menschen<br />
in einer Notlage (Naturkatastrophen,<br />
bewaffnete Konflikte, Pandemien) sicher zu<br />
stellen. Wenn Menschen nach Katastrophen<br />
oder Kriegen ums Überleben kämpfen, springen<br />
Hilfsorganisationen aus aller Welt ein.<br />
„Angesichts aktueller Katastrophen und Krisen<br />
haben wir im Jahr <strong>2016</strong> knapp 28 Millionen<br />
Euro für humanitäre Hilfe mit unseren<br />
Partnern abgewickelt“, sagt Martin Ledolter,<br />
Geschäftsführer der staatlichen Austrian<br />
DAS ROTE KREUZ HILFT IN SYRIEN<br />
Für das Internationale Komitee vom Roten<br />
Kreuz (IKRK) ist im Bürgerkriegsland Syrien<br />
vor allem die Nähe zu den Menschen in Not<br />
wichtig. Mohammad war sechs Jahre alt, als<br />
er zum Flüchtling wurde. Mit acht zog er sich<br />
bei einem Unfall schwere Verbrennungen zu.<br />
Seit er im Traumatologie-Zentrum des IKRK<br />
im Libanon behandelt wird, denkt er wieder an<br />
die Zukunft. Sein größter Wunsch ist, selbst<br />
Arzt zu werden, damit er zuhause in Syrien<br />
den Menschen helfen kann. In Mohammads<br />
Heimatland wird medizinische Hilfe tatsächlich<br />
dringend gebraucht. Ohne Rücksicht auf<br />
die Genfer Konventionen werden Spitäler<br />
und medizinische Einrichtungen bombar-<br />
Abdul Kader Fayad, SARC<br />
24
BEZAHLTE ANZEIGE<br />
diert, Strom und Wasser fehlen und die Versorgung<br />
mit Medikamenten ist vielerorts fast<br />
unmöglich. „Kein Erwachsener und schon gar<br />
kein Kind sollte so etwas erleben müssen. Die<br />
Menschen versuchen unter den widrigsten<br />
Umständen zu überleben“, schildert die<br />
IKRK-Delegationsleiterin Marianne Gasser die<br />
Situation in Aleppo: „Wassersysteme, Spitäler,<br />
Rettungsstationen und Lagerhäuser werden<br />
zerstört. Ärzte und medizinisches Personal<br />
arbeiten rund um die Uhr, um Verletzte zu<br />
versorgen.“<br />
Das IKRK ist gemeinsam mit dem Syrisch-Arabischen<br />
Roten Halbmond eine der<br />
wenigen Hilfsorganisationen, die noch im<br />
Land arbeitet. Die Unterstützung dafür kommt<br />
auch aus Österreich. Die Bundesregierung<br />
unterstützt über die ADA die Rotkreuz-<br />
Hilfsaktivitäten in Syrien. Eine Million Euro<br />
gingen im Jahr <strong>2016</strong> an das IKRK für die<br />
Gesundheitsprogramme und 350.000 Euro<br />
erhielt das ÖRK für Nahrungsmittel, die im<br />
Raum Aleppo verteilt wurden. Neben der<br />
tatsächlichen Hilfe in Form von Medikamenten<br />
und Nahrungsmitteln stärkt die Präsenz der<br />
Hilfsorganisationen die Bevölkerung wie<br />
Marianne Gasser berichtet: „Ein Moment hat<br />
mich besonders bewegt. Eine Frau kam auf<br />
mich zu, sie lächelte. Ich dachte, sie wäre einfach<br />
froh über die Hilfe, die wir gebracht haben.<br />
Ich habe mich getäuscht. Sie flüsterte mir<br />
zu: „Indem ihr mit uns gesprochen habt, euch<br />
an uns erinnert habt, habt ihr uns etwas zurückgegeben:<br />
Unsere Würde. Danke.“<br />
WAS DIE ADA MACHT:<br />
Die Austrian Development Agency, die<br />
Agentur der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit,<br />
unterstützt Länder in<br />
Afrika, Asien, Südost- und Osteuropa sowie<br />
die Karibik bei ihrer nachhaltigen Entwicklung.<br />
Gemeinsam mit öffentlichen Einrichtungen,<br />
Nichtregierungsorganisationen und<br />
Unternehmen setzt die ADA derzeit rund<br />
650 Projekte und Programme mit einem<br />
Gesamtvolumen von 500 Millionen Euro um.<br />
Näher Infos unter:<br />
www.entwicklung.at<br />
austriandevelopmentagency<br />
@austriandev<br />
Peter Launsky-Tieffenthal, Leiter der Entwicklungszusammenarbeit im Außenministerium,<br />
und Martin Ledolter, ADA-Geschäftsführer, überzeugen sich in<br />
Uganda davon, dass die Hilfe ankommt.<br />
„Entwicklungszusammenarbeit<br />
wirkt!“<br />
Kriege, Terror, Hungersnöte, 65 Millionen<br />
Menschen auf der Flucht: Wenn man die<br />
Zeitung liest oder den Newsfeed am Handy<br />
verfolgt, neigt man dazu zu glauben,<br />
es geht uns immer schlechter. Aber das<br />
Gegenteil ist der Fall! In den vergangenen<br />
25 Jahren konnte die Kindersterblichkeit<br />
ebenso wie die Müttersterblichkeit um die<br />
Hälfte reduziert werden und die Anzahl der<br />
absolut Ärmsten – das sind jene, die von<br />
etwa einem Euro pro Tag leben müssen –<br />
wurde von 1,9 Milliarden um über 1 Milliarde<br />
(!) auf etwa 860 Millionen Menschen<br />
verringert. Armut reduzieren, Frieden<br />
fördern und Umwelt schützen – das sind<br />
auch die drei großen Anliegen der Austrian<br />
Development Agency (ADA), der Agentur<br />
der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit.<br />
Um eine bessere Welt für alle<br />
zu erreichen, muss jeder etwas<br />
tun, davon ist Martin Ledolter,<br />
Geschäftsführer der Austrian<br />
Development Agency, überzeugt.<br />
Welche weltweiten Fortschritte wurden in den<br />
letzten Jahren erreicht?<br />
MARTIN LEDOLTER: Viele Ziele, die sich<br />
die internationale Staatengemeinschaft im<br />
Jahr 2000 – mit den sogenannten Millennium-Entwicklungszielen<br />
– gesteckt hat,<br />
konnten erreicht werden. Dennoch bleibt noch<br />
viel zu tun. Es gilt, den Menschen in Not vor<br />
allem eine Perspektive zu geben: Und wenn<br />
wir es mit einem Marathon vergleichen, dann<br />
liegt zwar die halbe Distanz hinter uns, wir<br />
wissen aber auch, dass die zweite Hälfte des<br />
Weges die weitaus schwierigere ist. Dennoch<br />
bin ich optimistisch, weil ich in meiner Arbeit<br />
als Geschäftsführer der Austrian Development<br />
Agency die große Freude habe, mich immer<br />
wieder persönlich von Fortschritten weltweit<br />
überzeugen zu können.<br />
Auf einer meiner Dienstreisen habe ich<br />
etwa einen äthiopischen Bauern getroffen,<br />
der exemplarisch für viele tausend andere<br />
steht und mir erklärt hat, durch die ADA<br />
25
BEZAHLTE ANZEIGE<br />
Martin Ledolter: Wir wollen Menschen in<br />
ihrer Heimat eine Perspektive geben und<br />
bessere Lebensbedingungen schaffen.<br />
und die österreichische Hilfe sei er ein „reicher<br />
Mann“ geworden. Reich heißt für ihn, dass er<br />
und seine Familie nun in einer Lehmhütte und<br />
nicht mehr in einer Strohhütte leben können.<br />
Reich bedeutet, dass er jetzt durch neue Anbaumethoden<br />
Obstbäume ziehen kann, die<br />
mehr Früchte tragen. Reich sein heißt, dass<br />
seine Kuh durch neue Zuchtmethoden nicht<br />
mehr eineinhalb Liter Milch, sondern acht<br />
Liter Milch gibt. Und diesen „Reichtum“ gibt<br />
der Bauer weiter an seine Kinder, die er in die<br />
Schule schickt, weil er das Schulgeld bezahlen<br />
und die notwendige Kleidung kaufen kann.<br />
Das macht ihn besonders stolz und zeigt mir,<br />
dass wir das Richtige tun.<br />
Braucht es nicht auch neue Allianzen, um der Beseitigung<br />
von Armut und der Friedensförderung<br />
zum Durchbruch zu verhelfen?<br />
MARTIN LEDOLTER: Wie der ehemalige<br />
UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon sagt: Unsere<br />
Generation hat die Chance, Armut und<br />
Hunger bis 2030 zu beseitigen. Das heißt aber<br />
auch, dass wir uns alle anstrengen müssen,<br />
staatliche Entwicklungshilfe alleine kann und<br />
wird das nicht leisten können. Die Austrian<br />
Development Agency hat daher gemeinsam<br />
mit dem Außenministerium die Initiative<br />
„MITMACHEN!“ ins Leben gerufen. Damit<br />
zeigen wir Wege auf, wie man als Stadt oder<br />
Gemeinde, als Verein, Stiftung oder Organisation,<br />
als Unternehmen, Schule, Universität<br />
oder als Bürgerin und Bürger aktiv werden<br />
kann. Jeder und jede kann sich einbringen<br />
und seinen Teil dazu beitragen, die Welt zu<br />
einem besseren Platz zu machen – davon bin<br />
ich überzeugt! Wir können am Markt lokale<br />
Produkte einkaufen, fair produzierte Kleidung<br />
tragen, uns für andere Menschen interessieren<br />
und über unseren Tellerrand schauen. Die ADA<br />
unterstützt mit der Initiative „MITMACHEN!“<br />
gerade das Engagement der Jugend besonders:<br />
Rund 170 Volontariatsplätze stehen für<br />
junge Menschen, die in Bildungs- und Sozialprojekten<br />
im Ausland mitarbeiten wollen, zur<br />
Verfügung.<br />
Welche Bedeutung hat die Wirtschaft im Rahmen<br />
der Entwicklungszusammenarbeit?<br />
MARTIN LEDOLTER: Um unsere ambitionierten<br />
Ziele zu erreichen, bedarf es allerdings<br />
neuer Partnerschaften. Deshalb gewinnt<br />
auch der Privatsektor in der Entwicklungszusammenarbeit<br />
zunehmend an Bedeutung.<br />
Für die ADA ist er ebenso ein wichtiger Mitstreiter<br />
im Kampf gegen Armut. Mit der Social<br />
Entrepreneurship Challenge fördern wir<br />
beispielsweise 15 innovative Projekte für<br />
nachhaltige Entwicklung mit rund einer Million<br />
Euro. Rund sieben Millionen Euro stehen<br />
jährlich für Förderungen im Bereich Wirtschaft<br />
und Entwicklung zur Verfügung. Nachhaltige<br />
Geschäftsideen von österreichischen und<br />
EWR-Unternehmen in Entwicklungs- und<br />
Schwellenländern unterstützen wir, sofern<br />
sie die Lebensbedingungen der Menschen vor<br />
Ort verbessern. Mit etwa 60 Wirtschaftspartnerschaften<br />
konnten wir so seit 2012 die Lebensbedingungen<br />
von weit über einer Million<br />
Menschen verbessern.<br />
In den kommenden Jahren stehen der ADA wesentlich<br />
mehr Mittel zu Verfügung. Was kann man<br />
mit dem zusätzlichen Geld bewerkstelligen?<br />
MARTIN LEDOLTER: Dank Außenminister<br />
Sebastian Kurz wird das Basisbudget der ADA<br />
bis 2021 auf 154 Millionen Euro angehoben.<br />
Die zusätzlichen Mittel werden wir verstärkt<br />
im Bereich Migration und Entwicklung einsetzen,<br />
und auch in den Herkunftsländern jener<br />
Menschen, die ihre Heimat verlassen, wie etwa<br />
dem Irak oder Afghanistan. Denn Menschen<br />
vor Ort bessere Lebensbedingungen zu ermöglichen<br />
und Perspektiven zu geben ist um<br />
vieles effizienter, als sie hier in Österreich zu<br />
versorgen. Mit mehr Mitteln können wir noch<br />
mehr tun, daher freuen wir uns auch über<br />
das Vertrauen der Europäischen Kommission:<br />
Derzeit setzen wir für die EU Vorhaben mit<br />
einem Gesamtvolumen von knapp 100 Millionen<br />
Euro um. Wir werden uns auch in Zukunft<br />
dafür einsetzen, mehr Mittel zu bündeln und<br />
Aufträge österreichischer Ministerien, der Europäischen<br />
Kommission und anderer Geber zu<br />
übernehmen und dadurch die Wirkung unserer<br />
Maßnahmen zu erhöhen.<br />
Ich lade aber auch persönlich dazu ein, sich<br />
für eine bessere Welt zu engagieren, denn nur<br />
gemeinsam werden wir es schaffen den Hunger<br />
und die Armut in allen Ländern zu beseitigen!<br />
Bildung wirkt – und bietet Wege aus der<br />
Armut<br />
Tom Platzer CARE<br />
26
almanah<br />
Zug um Zug integrieren!<br />
Im Sommer 2015<br />
versorgten unzählige<br />
Österreicher ankommende<br />
Flüchtlinge.<br />
Freiwillig. Seither hat<br />
sich die Freiwilligenarbeit<br />
multipliziert. Das<br />
haben auch die Gründer<br />
der Akademie für<br />
Zivilgesellschaft bemerkt<br />
und sehen sich seither<br />
als Gründerservice für<br />
Freiwilligenprojekte.<br />
T E X T :<br />
Sarah Al-Hashimi<br />
F O T O :<br />
Marko Mestrović<br />
Kineke Mulder, selbstständige Grafikerin,<br />
Freiwillige im Flüchtlingsbereich. Das nächste<br />
Schachturnier findest du unter www.mulder.at.<br />
Beim Schachspielen muss man nicht<br />
dieselbe Sprache sprechen, um<br />
miteinander spielen zu können“,<br />
sagt Kineke Mulder, die Schachturniere für<br />
„alte“ und „neue“ WienerInnen organisiert.<br />
Denn Schach hat international dasselbe<br />
Regelset. „Man begegnet sich auf Augenhöhe.“<br />
Mulder ist Schach-begeistert. Das<br />
Projekt hat die selbstständige Grafikerin ins<br />
Leben gerufen, weil sie das Zusammenleben<br />
in Wien ein bisschen schöner machen<br />
wollte. Etwas hat ihr aber noch gefehlt, und<br />
zwar Vernetzung. Gesucht und gefunden<br />
hat sie die in der Akademie für Zivielgesellschaft<br />
(AfZ) – einem Gründungsservice der<br />
Wiener Volkshochschulen.<br />
Um in die AfZ aufgenommen zu werden,<br />
muss man nicht wie Mulder in der Flüchtlingsarbeit<br />
tätig sein. Auch andere Freiwilligenprojekte<br />
im Gesundheitsbereich, in der<br />
Obdachlosenhilfe oder in Umweltprojekten<br />
werden von der AfZ unterstützt. Die AfZ<br />
versteht sich als erstes Gründungsservice<br />
für Freiwilligenprojekte in Wien, das<br />
mit ihrem Angebot bei Projektplanung,<br />
Teamfindung und Projektstart hilfreich<br />
zur Seite steht. In 18 Modulen gelangt man<br />
in den 2x jährlich stattfindenden 3- bis<br />
4-monatigen Wochentags- oder Wochenendlehrgängen<br />
zum Zertifikat.<br />
Grundlagenwissen und Kontakte<br />
Mulder wollte das Schach-Regelset auf<br />
deutsch-farsi und deutsch-arabisch übersetzen.<br />
Sie dachte in der AfZ eine Partnerin<br />
zu finden, die ihr das finanzieren<br />
würde. Stattdessen bekam sie einen Kontakt,<br />
über den ihr 50 Heurigengarnituren<br />
für die Schachturniere zur Verfügung<br />
gestellt wurden, zusätzlich bekam sie von<br />
einem weiteren Spender zwölf Schachsets<br />
samt Uhren. Aber Kineke Mulder profitierte<br />
nicht nur materiell. „Mein Kommunikationsstil<br />
hat sich verbessert. Ich weiß jetzt,<br />
wie ich Kooperationspartnern meine Idee<br />
in kurzer Zeit knackig präsentieren kann“,<br />
sagt Mulder.<br />
Nicht nur Vernetzung und Kommunikation<br />
stecken in den 18 Modulen der AfZ.<br />
Auch Grundlagenwissen zu Recherche,<br />
Teamleitung, Projektmanagement und<br />
Öffentlichkeitsarbeit wird den Engagierten<br />
durch Experten näher gebracht. Teilnehmen<br />
kann man mit oder ohne Projektidee.<br />
Der Projekterfolg hängt allerdings von der<br />
Bereitschaft ab selbstständig und aktiv zu<br />
arbeiten. Unter die Arme greift die AfZ vom<br />
ersten Schritt an: Wie kommt man von einer<br />
Projektidee zur konkreten Planung und<br />
dann zur Umsetzung? Um mit dem AfZ-Zertifikat<br />
erfolgreich abzuschließen, muss<br />
am Ende der Ausbildung ein startbereites<br />
Projekt formuliert, Kontakte zu Kooperationspartnern<br />
geknüpft, ein Projektportfolio<br />
geschrieben und an der Lehrgangs- bzw.<br />
Projekt-Evaluation mitgewirkt worden sein.<br />
Schach integriert<br />
Mulder kann die AfZ allen empfehlen, die<br />
professioneller im Umgang mit Medien<br />
werden und sich sicherer fühlen wollen,<br />
wie man sich selbst und sein Projekt vertritt.<br />
Ihre SchachspielerInnen profitieren<br />
auf jeden Fall von ihren neu erlernten<br />
Kompetenzen. Denn ein Turnier folgt dem<br />
anderen. „Schach und Integration funktionieren<br />
zusammen wunderbar“, ist sich<br />
Mulder sicher und erzählt begeistert weiter:<br />
„Gerade ohne Sprache lernst du beim Schach<br />
so viel über deinen Mitspieler kennen. Wie<br />
abenteuerlustig oder humorvoll er ist. Ob er<br />
ein starkes oder schwaches Nervengerüst<br />
hat. Ich finde das schön.“ Mulder will mit<br />
ihrem Schachprojekt Menschen, die neu in<br />
Wien sind, das Gefühl geben, dass sie willkommen<br />
sind. Außerdem freut es sie, dass<br />
einige Spieler sich bereits privat zum Spielen<br />
treffen.<br />
<br />
Mehr Infos zur AfZ unter www.zivilgesellschaft.wien<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 27
almanah<br />
„Österreicher<br />
sind oft zu<br />
nett“<br />
Die Vergewaltigung einer Frau<br />
durch drei junge Afghanen am<br />
Praterstern schockte Wien.<br />
Die Journalistin Tanya Kayhan<br />
über „sexuelle Armut“ in ihrer<br />
Heimat, die „guten“ Afghanen<br />
und warum es Wertekurse vom<br />
ersten Tag an braucht.<br />
T E X T :<br />
Simon Kravagna<br />
FOTO:<br />
Franz Weingartner<br />
Während ihre Freundin Geld vom Bankomaten<br />
holt, geht eine junge Studentin aus<br />
der Türkei noch schnell auf die öffentliche<br />
Toilette. Es ist spät nachts am Praterstern. Drei<br />
junge Männer, Maisam S. (15), Mohammes S. (17) und<br />
Hossein G. (26) folgen der Studentin unbemerkt, vergewaltigen<br />
und verletzen sie. Die drei verdächtigen<br />
Asylwerber aus Afghanistan sind derzeit in U-Haft.<br />
Beim Prozess fiel die Empathielosigkeit der Angeklagten<br />
besonders auf. Wie kann so etwas passieren?<br />
Tanya, du bist aus Afghanistan und kennst „eure“ Männer.<br />
Ist es nur ein Zufall, dass Afghanen derzeit häufig als Sexualstraftäter<br />
in Medienberichten vorkommen?<br />
Vor allem viele junge Männer aus den Dörfern, die<br />
jetzt nach Österreich kommen, haben durch die Herrschaft<br />
der Mujaheddin oder Taliban praktisch seit<br />
mehr als 20 Jahren keine freien und selbstbestimmten<br />
Frauen in der Öffentlichkeit gesehen. Es ist in unserer<br />
Heimat so gut wie unmöglich eine Beziehung vor der<br />
Ehe zu haben, viele Männer können sich nicht einmal<br />
eine Hochzeit leisten. Es gibt eine Art sexuelle Armut<br />
in meiner Heimat. Und hier ist plötzlich alles anders.<br />
bereitgestellt<br />
28<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
Aber eine Vergewaltigung ist ja auch in Afghanistan verboten.<br />
Selbstverständlich: Das ist auch bei uns ein schweres<br />
Verbrechen und absolut geächtet. Auch alle Afghanen<br />
in Wien, die ich kenne, verurteilen diese furchtbare<br />
Vergewaltigung am Praterstern. Aber: Wir haben ein<br />
Problem. Vor allem wenn Flüchtlinge aus ländlichen<br />
Regionen kommen, haben viele ein völlig anderes Bild<br />
von Frauen. Für viele dieser Männer ist eine gute Frau<br />
eine islamisch bekleidete Frau, die zu Hause ist und<br />
auf ihren Mann hört. Liberale Frauen hingegen sind<br />
schlecht für viele dieser Männer, weil sie sich modern<br />
kleiden, außer Haus arbeiten und frei sind. Dies gilt<br />
auch für liberale afghanische Frauen wie mich. Denn<br />
wir sind gebildet, frei und kämpfen für unsere Rechte.<br />
Ist es dann nicht verständlich, wenn viele Österreicher keine<br />
Afghanen mehr wollen?<br />
Wie gesagt, auch unter den Afghanen wird das absolut<br />
verurteilt. Wir bemühen uns intensiv um gute Beziehungen<br />
zu den Österreichern, wir sind sehr dankbar,<br />
dass wir hier eine neue Heimat finden und dann<br />
machen einige Verbrecher alles kaputt.<br />
Es ist in<br />
Afghanistan<br />
so<br />
gut wie<br />
unmöglich<br />
eine<br />
Beziehung<br />
vor der Ehe<br />
zu haben.<br />
Warum kommen so viele Afghanen nach Österreich?<br />
Bei uns ist Krieg. Das Leben ist seit Jahrzehnten unerträglich.<br />
Europa und Österreich wirken wie magische<br />
Orte: Dort ist es sicher, sauber und schön. Man wird<br />
die afghanischen Flüchtlinge nur stoppen können,<br />
wenn man den Krieg stoppt.<br />
Ist es nicht leichter die afghanischen Flüchtlinge als den<br />
Krieg in Afghanistan zu stoppen?<br />
Nein. Die Menschen werden immer Wege finden, um<br />
hierher zu kommen.<br />
Wenn du Integrationsministerin wärst: Was würdest du<br />
tun?<br />
Innerhalb der ersten paar Tage in Österreich müssten<br />
alle Flüchtlinge aus Afghanistan einen intensiven<br />
Wertekurs bekommen. Es muss ganz schnell klar<br />
gemacht werden, was hier anders ist und wie man sich<br />
zu benehmen hat. Derzeit passiert dies entweder gar<br />
nicht oder viel zu spät. Man muss auch streng sein, die<br />
Österreicher sind oft zu nett.<br />
<br />
Wer ist Tanya Kayhan<br />
Tanya Kayhan ist Absolventin<br />
der biber-Akademie und arbeitet<br />
für den Wiener TV-Sender<br />
W24 und Okto TV. Zudem ist<br />
Kayhan in der Vernetzung<br />
afghanischer Vereine aktiv<br />
und kämpft für Frauenrechte<br />
in ihrer Community. Vor ihrer<br />
Flucht nach Österreich war<br />
Kayhan TV-Redakteurin und<br />
moderierte Nachrichten für<br />
den afghanischen staatlichen<br />
TV-Sender 1 TV sowie für Voice<br />
of America in Kabul.<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 29
almanah<br />
mtazamo<br />
Perspektive auf swahili<br />
30<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
MARKT & KARRIERE<br />
Es klingt schon abgedroschen, das Schlagwort „Integration am Arbeitsmarkt“.<br />
Doch wie wirksam die Einbindung von Migranten und<br />
Flüchtlingen in den heimischen Jobmarkt ist, zeigen Studien und wissen<br />
Experten. Assimilation funktioniert tatsächlich und heißt nicht<br />
zwangsläufig die Preisgabe des eigenen Glaubens. Einen essentiellen<br />
Beitrag leisten österreichische Betriebe, die Flüchtlinge als Lehrlinge<br />
aufnehmen.<br />
S. 32–35<br />
FLÜCHTLINGE IM BETRIEB<br />
Drei Flüchtlinge, drei Unternehmen in Österreich. Wie<br />
besondere Lehrprogramme für junge Geflüchtete zum<br />
wichtigen Integrationsbeitrag werden.<br />
S. 36-38<br />
KOPF IM INTERVIEW<br />
AMS-Chef Johannes Kopf im Interview über lange Asylverfahren,<br />
hohe Erwartungen und seine politischen Wünsche<br />
für 2017.<br />
Zoe Opratko, Marko Mestrović<br />
S. 40-42<br />
ASSIMILATION FUNKTIONIERT<br />
Nicht die Diskriminierung der Migranten ist die Herausforderung,<br />
sondern ihre Selbstdiskriminierung, so die<br />
Thesen des Soziologen Ruud Kopmanns.
almanah<br />
So schafft man das<br />
Sameh holte in Österreich seinen Pflichtschulabschluss<br />
nach und macht jetzt eine Lehre bei Spar.<br />
Noorullah ist 2010 nach Österreich gekommen und ist<br />
im letzten Lehrjahr bei T-Mobile.<br />
Orwa ist einer von 16 asylberechtigten Jugendlichen,<br />
die eine Lehre bei der voestalpine machen.<br />
32<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
Als 2015 tausende junge<br />
Flüchtlinge nach Österreich<br />
kamen, versprach Österreichs<br />
Wirtschaft zu helfen. Doch<br />
nur wenige Betriebe haben<br />
bisher Flüchtlinge als<br />
Lehrlinge aufgenommen.<br />
Orwa Shaya, Noorullah Akbari<br />
und Sameh Azimi über ihr<br />
neues Leben bei voestalpine,<br />
T-Mobile und Spar.<br />
T E X T :<br />
Muhamed Beganović<br />
FOTO:<br />
Zoe Opratko<br />
Orwa Shaya hat in Syrien als Bauingenieur gearbeitet und fällt bei voestalpine durch seine<br />
große Einsatzbereitschaft auf.<br />
Orwa Shaya steht hinter seiner Workstation<br />
in der Lehrwerkstatt der<br />
voestalpine. Lange, zu einem Zopf<br />
zusammengebundene Haare, hellblaue<br />
Augen, ein Leonardo Di Caprio-Lächeln.<br />
Ein Stück Metall steckt in der Klemme und<br />
Shaya schleift es in Form. Im Raum befinden<br />
sich noch einige Dutzend Lehrlinge, die ihm<br />
Blicke zuwerfen und kichern. Shaya sieht<br />
das und blickt sie schelmisch an. Er ist 26<br />
Jahre alt und erst seit zwei Jahren in Österreich.<br />
Recht bald bekam er einen positiven<br />
Asylbescheid und stand dann vor der großen<br />
Herausforderung der Jobsuche. „Ich dachte<br />
mir dann: ich bin jetzt hier und ich muss was<br />
machen, egal was!“, sagt Shaya. Er meldete<br />
sich beim AMS an, lernte praktisch täglich<br />
Deutsch und arbeitete freiwillig als Flüchtlingshelfer<br />
bei der Caritas. Eine Kollegin dort<br />
hat ihn auf ein Qualifizierungsprogramm<br />
aufmerksam gemacht, das die voestalpine<br />
auf die Beine gestellt hat, um Flüchtlingen<br />
den Zugang zu einer Lehre zu erleichtern.<br />
Es ist Freitag, zehn Minuten nach 12<br />
Uhr. In zwanzig Minuten schließt die<br />
Werkstatt, also beginnen die Lehrlinge mit<br />
den Aufräumarbeiten. Orwa Shaya feilt<br />
einige Minuten länger. Seine Handgriffe<br />
sind präzise. Aber das liegt daran, dass er<br />
in seinem Heimatland Syrien bereits als<br />
Bauingenieur gearbeitet und so gewisse<br />
Erfahrungen gesammelt hat. Shayas Vater<br />
war nämlich Bauingenieur und Shaya selbst<br />
hat das Fach studiert, dann aber abgebrochen.<br />
Er arbeitete lieber mit dem Vater. Diese<br />
praktische Erfahrung half ihm das Qualifizierungsprogramm<br />
erfolgreich zu bestehen.<br />
„Er ist uns durch seine Einsatzfreude aufgefallen“,<br />
erinnert sich Harald Mühleder, einer<br />
der Ausbilder, an Shayas ersten Tag.<br />
Seit dem 1. September <strong>2016</strong> befinden<br />
sich 16 asylberechtigte Jugendliche in<br />
der Lehrausbildung. Die voest hat diese<br />
Lehrlinge zusätzlich zu den 250 österreichischen<br />
aufgenommen, die ohnehin jährlich<br />
einen Ausbildungsplatz bekommen. Fünf<br />
davon, unter ihnen auch Orwa Shaya, absolvieren<br />
eine Lehre zum Prozesstechniker,<br />
jene Person, die den Einsatz der Werkzeuge<br />
und Vorrichtungen auf Fertigungsmaschinen<br />
und Fertigungsanlagen plant. Die Lehre<br />
dauert 3,5 Jahre. „Die Herausforderung war<br />
es sich die Zeit zu nehmen, die Planung<br />
vorzunehmen, Personal einzuplanen“, sagt<br />
Mühleder. Schließlich sollen die Flüchtlinge<br />
die gleichen Chancen bekommen. Sie sollen<br />
„integriert“ werden.<br />
„Das Aneignen von Arbeitshaltungen<br />
wie das Einhalten von Arbeitszeiten<br />
oder den Arbeitsplatz in Ordnung zu<br />
halten, ist am Anfang ein Thema“, sagt<br />
Mühleder mit einem Lächeln und blickt zu<br />
Shaya, der aufmerksam zuhört und nun<br />
ebenfalls lächelt. „Jedoch ist das normal<br />
bei Jugendlichen. Egal welche Nationalität<br />
sie haben“, erklärt Mühleder. Wichtig<br />
sei, klare Regeln und Termine festzulegen.<br />
Mühleder würde es jedem Unternehmen<br />
empfehlen Flüchtlinge aufzunehmen, jedoch<br />
mit dem Hinweis, dass es Planung und Zeit<br />
bedarf. „Man kann es nicht einfach nebenbei<br />
machen“, sagt er. Und welchen Tipp<br />
hat Orwa Shaya an Flüchtlinge? „Man muss<br />
sich Ziele setzen und diese dann erreichen“,<br />
sagt er. Dann verlässt er die Werkstatt<br />
und macht sich auf in das Wochenende.<br />
Sein schönstes Gewand für den<br />
ersten Arbeitstag<br />
Im Donauzentrum ist es (fast) genau so<br />
geschäftig wie auf einem Flughafen, nur<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 33
almanah<br />
Noorullah Akbari ist im letzten Jahr seiner Ausbildung bei T-Mobile und<br />
gilt als Vorzeige Lehrling.<br />
schleppen die Menschen hier keine sperrigen<br />
Reisekoffer mit sich. Im T-Mobile<br />
Shop wartet ein halbes Dutzend Menschen<br />
geduldig bis ihre Nummer aufgerufen wird.<br />
Drei Schalter sind in Betrieb und hinter<br />
einem davon steht Noorullah Akbari, 26<br />
Jahre alt, dichte schwarze Haare, kräftiger<br />
Händedruck. Souverän spricht er mit<br />
einem Kunden nach dem anderen. Kaum<br />
vorstellbar, dass er sich noch in der Ausbildung<br />
befindet. An seinen ersten Tag kann<br />
er sich noch sehr gut erinnern. Es war vor<br />
knapp über zwei Jahren. „Ich habe an dem<br />
Tag mein schönstes Gewand angezogen. Ich<br />
habe mich so gut gefühlt“, sagt Akbari. Er<br />
war aber auch nervös und wegen der mangelnden<br />
Sprachkenntnisse ein wenig eingeschüchtert.<br />
Aber er merkte bald, dass es eine<br />
Ausbildung war, die er machen könnte. „Er<br />
war sichtlich nervös, aber sehr engagiert“,<br />
erinnert sich auch Damir Turcinovic, Filial-<br />
Man kann<br />
Flüchtlinge<br />
nicht<br />
einfach<br />
nebenbei<br />
betreuen.<br />
leiter und Akbaris Mentor.<br />
2010 kam Noorullah Akbari nach Österreich.<br />
Er kommt ursprünglich aus Afghanistan.<br />
Kurz nach seiner Ankunft begann<br />
er einen acht-monatigen Deutschkurs. Im<br />
Anschluss machte er seinen Schulabschluss<br />
und begab sich auf die Suche nach einer<br />
Lehre. Ein Freund erzählte ihm vom Lobby.16,<br />
ein gemeinnütziger Verein, der sich für<br />
unbegleitete, junge Flüchtlinge einsetzt und<br />
ihnen unter anderem Lehrplätze vermittelt.<br />
Über Lobby.16 kam Akbari zu T-Mobile, das<br />
seit sechs Jahren mit dem Verein kooperiert.<br />
Pro Lehrjahr nimmt T-Mobile drei<br />
Flüchtlinge auf. Derzeit befinden sich acht<br />
Personen in der Ausbildung, die drei Jahre<br />
dauert. Die Lehrlinge, die über Lobby.16 zu<br />
T-Mobile kamen, machten noch zusätzliche,<br />
von T-Mobile organisierte Deutsch-,<br />
Englisch- und EDV-Kurse, bevor sie mit<br />
der tatsächlichen Lehre begonnen haben.<br />
Noorullah Akbari befindet sich in seinem<br />
letzten Ausbildungsjahr seiner Lehre als<br />
Einzelhandelskaufmann mit dem Schwerpunkt<br />
Telekommunikation.<br />
„Es gibt keine Unterschiede in der<br />
Leistung zwischen ihm und einem ‚gewöhnlichen’<br />
Lehrling“, sagt Turcinovic. Am<br />
Anfang hatte er Schwierigkeiten mit dem<br />
IT-System, doch davon ist heute nichts<br />
mehr zu merken. Er hat von seinem Mentor,<br />
Turcinovic, alles gelernt. „Ich habe relativ<br />
früh gemerkt, dass ich die Kommunikation<br />
mit Noorullah verstärken muss“, sagt<br />
Turcinovic. Das bedeutet, dass er nach<br />
einem Vortrag noch vielleicht eine Mail<br />
schreiben oder einen Anruf tätigen musste,<br />
um nachzufragen, ob Akbari auch wirklich<br />
alles verstanden hatte. Das habe nicht mit<br />
den mangelnden Sprachkenntnissen zu<br />
tun, sondern vielmehr damit, dass man als<br />
Jugendlicher nicht vor der Gruppe sagen<br />
möchte, dass man etwas nicht verstanden<br />
hat. Es klingt fast schon auferlegt, dass<br />
ein Telekommunikations-Unternehmen<br />
einen Weg findet die Kommunikation mit<br />
den Flüchtlingen zu optimieren. Noorullah<br />
Akbari gilt wegen seines Ehrgeizes und<br />
seiner Lernfreude mittlerweile als Vorzeige-Lehrling.<br />
Vielleicht strahlt er deshalb<br />
Selbstsicherheit und Ruhe aus. Auch wenn<br />
ein Kunde besonders unzufrieden in den<br />
Laden kommt und seine Stimme aggressiv<br />
und laut wird, lässt sich Akbari nicht aus der<br />
Fassung bringen und bedient ihn freundlich.<br />
„Es hilft bei der Ausbildung immens,<br />
wenn man den Lehrlingen eine gewisse<br />
Verantwortung überträgt“, sagt Turcinovic.<br />
Lehrlinge im zweiten Jahr fungieren<br />
als Mentor für Lehrlinge, die gerade<br />
ihre Ausbildung begonnen haben. Akbari<br />
betreut ebenfalls einen neuen Lehrling<br />
– wenn er nicht gerade im Shop Kunden<br />
berät. Akbari selbst findet das Mentoring<br />
Programm super. Es habe ihm viel gebracht.<br />
„Im Laufe der Jahre haben wir uns gut<br />
auf die Jugendlichen und ihre Schicksale<br />
eingestellt“, sagt Alexandra Pattermann,<br />
Personalentwicklerin und Lehrlingsbeauftragte<br />
bei T-Mobile. „Diese Jugendlichen<br />
sind mit Alltagsproblemen belastet, die sie<br />
ohne Hilfe ihrer Eltern bewältigen müssen.<br />
Wir haben gelernt in solchen Fällen Geduld<br />
34<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
und Einfühlungsvermögen zu zeigen und<br />
gegenseitiges Vertrauen aufzubauen“, so<br />
Pattermann. Und es zeigt Wirkung. Wenn<br />
Noorullah Akbari mit den Kunden spricht,<br />
vermittelt er nicht nur das Wissen, das<br />
er während der Ausbildung gelernt hat,<br />
sondern auch Vertrauen. Er drückt auf den<br />
Knopf und eine neue Nummer erscheint auf<br />
dem Bildschirm.<br />
Der Kaufmann zählt in<br />
diesen Ländern mehr<br />
Er schlendert zwischen den Regalen in<br />
der Spar Filiale in der Wiener Babenbergerstraße.<br />
Schlichtet sie ein. Checkt, ob in<br />
der Gemüseabteilung alles in Ordnung ist.<br />
Sameh Azimi, 21, kommt aus Afghanistan,<br />
hat mittellange, gestylte, dunkle Haare und<br />
trägt das typische Spar-Outfit: braunes<br />
T-Shirt mit einem Namensschild und ein<br />
paar Jeans. Seit einem Jahr macht er schon<br />
die Lehre als Einzelhandelskaufmann mit<br />
dem Schwerpunkt Lebensmittel. Er ist fröhlich,<br />
extrovertiert und voller Energie. Aber<br />
auch ein Autodidakt. Er hat sich nämlich<br />
selbst Deutsch beigebracht. „Als ich 2013<br />
nach Österreich kam, konnte ich nur Englisch.<br />
Es war mir aber sehr wichtig Deutsch<br />
zu lernen“, sagt Azimi. Die Zeit, in der er auf<br />
seinen Asylbescheid warten musste, nutzte<br />
er für den Unterricht. Er kaufte sich Bücher<br />
bei Thalia, teils Übungsbücher wie „Deutsch<br />
A1“, aber auch Romane wie Daniel Glattauers<br />
„Gut gegen Nordwind“. Als dann der positive<br />
Bescheid kam und er gut genug Deutsch<br />
konnte, machte er ein Jahr lang den Pflichtschulabschluss.<br />
Danach suchte er zwei<br />
Monate eine Lehrstelle. Ein Freund erzählte<br />
ihm vom Spar. Er war zögerlich, bewarb sich<br />
dann aber doch.<br />
Das Zögern der Bewerber kennt das<br />
Unternehmen gut. „Manche sind den<br />
österreichischen Bewerbungsprozess nicht<br />
gewohnt. Elektronisch kommt nicht viel“,<br />
sagt Andrea Vasvary, Leiterin der Personalentwicklungsabteilung<br />
bei Spar. Bei der Juni<br />
<strong>2016</strong> veranstalteten Chancen:reich Messe,<br />
der ersten Berufsmesse für geflüchtete<br />
Menschen, bekam Spar dann aber über 100<br />
Bewerbungen. „Der kaufmännische Beruf<br />
hat bei den Menschen aus diesen Ländern<br />
einen höheren Stellenwert als bei uns.<br />
Wir hätten<br />
gerne<br />
mehr<br />
Flüchtlinge<br />
bei uns als<br />
Lehrlinge.<br />
Irgendwie klar, dass sie sich dann bewerben“,<br />
sagt Vasvary. Das Unternehmen stellt<br />
jährlich 150 Ausbildungsplätze zur Verfügung.<br />
„Jeder, der die Aufnahmekriterien<br />
erfüllt und uns von seiner Liebe zur Branche<br />
und zur faszinierenden Welt der Lebensmittel<br />
überzeugt, ist herzlich willkommen“,<br />
so Vasvary. Fünf Flüchtlinge befinden sich<br />
aktuell in Wien in Ausbildung. „Wir hätten<br />
aber gerne mehr“, sagt Vasvary. Wie viele es<br />
österreichweit sind, kann das Unternehmen<br />
nicht genau sagen, da sie die Lehrlinge nicht<br />
mit dem Etikett „Flüchtling“ markieren.<br />
Der erste Tag war für Azimi schwierig.<br />
„Ich kannte mich überhaupt nicht aus“, sagt<br />
er. Doch ans Aufhören habe er keine einzige<br />
Sekunde gedacht. Nicht mal, als er Alkohol<br />
in den Regalen schlichten und Schweinefleisch<br />
in der Feinkostabteilung verkaufen<br />
musste. Er sieht das locker. „Ich konsumiere<br />
das ja nicht. Mit dem Verkauf habe ich kein<br />
Sameh Azimi holte in Österreich seinen Pflichtschulabschluss nach und<br />
macht jetzt eine Lehre bei Spar.<br />
Problem“, so Azimi. Während seiner Ausbildung<br />
muss er alle Abteilungen durchlaufen.<br />
Einige Tage pro Woche ist er noch im Ausbildungszentrum.<br />
Am Abend bereitet er sich für<br />
seine Deutsch-Matura vor. „Jeder sollte den<br />
Schulabschluss machen“, sagt er.<br />
Wie findet er aber die Energie dafür?<br />
Sameh Azimi lächelt. Er überlegt. Er hat den<br />
Blick eines männlichen Parfüm-Models.<br />
Dann spricht er. „Immer mit der Ruhe“,<br />
sagt er. Die Sache langsam, aber fokussiert<br />
angehen. Durchhalten. Nie aufgeben.<br />
„In Afghanistan gibt es ein altes Sprichwort,<br />
das übersetzt ungefähr so lautet:<br />
„Geduld ist schwer, aber sie bringt eine gute<br />
Zukunft.“<br />
<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 35
almanah<br />
„Wie schnell<br />
würde „Wie ein schnell<br />
Österreicher würde ein<br />
Arabisch Österreicher<br />
lernen?“ Arabisch<br />
lernen?“<br />
AMS-Chef Johannes Kopf mahnt zu Geduld: Die schnellste<br />
Integration am Arbeitsmarkt ist nicht unbedingt die beste.<br />
36<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
Fünf Jahre braucht es<br />
mindestens, damit jeder<br />
zweite Flüchtling einen Job<br />
hat – sofern wir alles richtig<br />
machen. AMS-Chef Johannes<br />
Kopf über überzogene<br />
Integrations-Erwartungen,<br />
den Merkel-Spirit und seine<br />
drei Wünsche für 2017.<br />
Aber ich freue mich darüber, dass es jetzt deutlich<br />
mehr Personal für die Asylverfahren gibt. Aber wie<br />
war es bisher? 2015 sind rund 95.000 Menschen nach<br />
Österreich geflüchtet. Wenn man davon ausgeht, dass<br />
knapp die Hälfte davon Asyl oder subsidiären Schutz<br />
bekommt, kommen wir auf grob 45.000 Menschen.<br />
Unter der Annahme, dass ungefähr zwei Drittel dieser<br />
geflüchteten Menschen im arbeitsfähigen Alter sind,<br />
sollten ungefähr 30.000 Personen vom AMS betreut<br />
werden. Zu uns gekommen sind aber bisher nur knapp<br />
10.000, die anderen sind hauptsächlich noch im Verfahren.<br />
T E X T :<br />
Andrea Grman,<br />
Simon Kravagna<br />
FOTO:<br />
Marko Mestrović<br />
„Unser<br />
Arbeitsmarkt<br />
hätte die<br />
Geflüchteten<br />
nicht gebraucht.“<br />
BIBER: Herr Kopf, Sie haben einmal gesagt, es sei eine Herkulesaufgabe,<br />
Flüchtlinge am Arbeitsmarkt zu integrieren.<br />
Ist es so schwer?<br />
JOHANNES KOPF: Es ist schwierig und braucht viel Zeit.<br />
Wie steht es um jene Flüchtlinge, die 2015 Asyl bekommen<br />
haben? Wie viele davon haben heute einen Job?<br />
Man kann sagen, dass ein Jahr nach einem positiven<br />
Asylentscheid etwa jeder zehnte Geflüchtete einen Job<br />
hat. Um genau zu sein: Im Oktober <strong>2016</strong> hatten 14,4<br />
Prozent jener Menschen, die 2015 Asyl bekamen und<br />
sich bis zum Sommer <strong>2016</strong> beim AMS meldeten, eine<br />
Arbeit. Laut internationalen Erfahrungen ist es möglich,<br />
dass fünf Jahre nach dem positiven Asylbescheid<br />
etwa fünfzig Prozent aus dieser Gruppe beschäftigt<br />
sind, jedoch nur, wenn wir kaum Fehler bei der Integration<br />
machen.<br />
Ist das nicht eine mäßige Bilanz?<br />
Natürlich ist uns das zu wenig, aber es ist genauso viel<br />
wie erwartet und die Zahl steigt Monat für Monat. Deswegen<br />
sage ich immer, wir müssen geduldig bleiben.<br />
Wir sind ja sogar schon ungeduldig mit geflüchteten<br />
Menschen, die noch gar kein Asyl bekommen haben.<br />
Manche Leute fragen, warum diese nicht arbeiten,<br />
obwohl sie noch gar nicht dürfen. Wir im AMS haben<br />
uns getäuscht in der Frage, wie lange die Asylverfahren<br />
dauern werden.<br />
Angeblich dauern die Verfahren im Schnitt rund acht<br />
Monate.<br />
Da gibt es auch noch die Zeit bis zur Zulassung zum<br />
Verfahren und außerdem ist dies eben nur ein Schnitt.<br />
Ist das für die Arbeitslosenstatistik nicht gut, wenn die Asylverfahren<br />
so lange dauern?<br />
Für die aktuellen Arbeitsmarktzahlen ist das augenscheinlich<br />
gut, weil Menschen in Asylverfahren nicht<br />
als arbeitslos gezählt werden. Für die spätere Integration<br />
dieser Personen auf dem Arbeitsmarkt ist es aber<br />
sehr schlecht. Es gibt internationale Untersuchungen,<br />
die zeigen, je länger das Asylverfahren dauert, desto<br />
schlechter gelingt die spätere Integration.<br />
Warum?<br />
Die klassischen Phänomene, die wir bei Langzeitarbeitslosigkeit<br />
beobachten, treten auch bei diesen<br />
Personen auf: Verlust von Tagesstruktur, Verlust von<br />
Selbstvertrauen, Veralterung der beruflichen Qualifikationen<br />
und so weiter.<br />
Deutschland hat auch sehr viele Flüchtlinge aufgenommen.<br />
Dennoch funktionieren dort die Asylverfahren schneller.<br />
Frau Merkel hat gesagt, „Wir schaffen das.“ Man kann<br />
diese Aussage kritisieren, aber sie hat der gesamten<br />
Verwaltung die Aufgabe gegeben, „Schafft das!“<br />
Natürlich sind die Deutschen auch noch nicht wahnsinnig<br />
weit, doch sie sind die Aufgabe von Anfang<br />
an viel entschlossener und behördenübergreifender<br />
angegangen als wir in Österreich. Positive Asylverfahren<br />
können dort mittlerweile innerhalb von 48 Stunden<br />
abgewickelt werden.<br />
Kommen wir zu jenen Flüchtlingen, die bereits Arbeit<br />
haben. Was sind das für Leute?<br />
Oft sind es Hilfsarbeiter, manchmal auch Facharbeiter.<br />
Die rascheste Integration ist nicht unbedingt die<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 37
almanah<br />
beste. Wir versuchen, mitgebrachte Qualifikationen zu<br />
nutzen. Die meisten Geflüchteten, die zu uns gekommen<br />
sind, sind jung, männlich und stark – das ist die<br />
klassische Beschreibung für Hilfskräfte in der Landwirtschaft<br />
oder am Bau. Gar nicht wenige dieser Personen<br />
sind jedoch qualifiziert und das Nutzen dieser<br />
Qualifikationen ist volkswirtschaftlich sinnvoller.<br />
Wer lässt sich schwieriger integrieren? Der syrische Arzt<br />
oder der syrische Hilfsarbeiter?<br />
Wenn ‚schwierig‘ etwas mit der Dauer zu tun hat, dann<br />
lautet die Antwort der syrische Arzt. Natürlich dauert<br />
es länger, wenn man eine Nostrifizierung vornehmen<br />
muss. Auch muss man, wenn man höhere Qualifikation<br />
einsetzen will, unsere Sprache besser lernen.<br />
Es hat doch am Anfang geheißen, dass wir die Flüchtlinge<br />
brauchen, weil wir nicht ausreichend Fachkräfte haben.<br />
Stimmt das?<br />
Unser Arbeitsmarkt hätte die Geflüchteten nicht<br />
gebraucht. Den Mangel, den wir aufweisen, hätten wir<br />
locker aus den EU-Ländern decken können. Aber jetzt<br />
sind die Menschen da und egal wie sozial man eingestellt<br />
ist, kann man sagen: Es ist teurer diese Menschen<br />
nicht zu integrieren.<br />
Es gibt Förderungen für Unternehmen, wenn sie einen Asylberechtigten<br />
beschäftigen – das nehmen wenige Firmen in<br />
Anspruch, oder?<br />
Selbst bei Unternehmen, die von sich aus Geflüchtete<br />
aufnehmen möchten, gelingt die Eingliederung derzeit<br />
nur schleppend. Das liegt meist daran, dass die<br />
Sprachkenntnisse noch nicht ausreichen, weil es lange<br />
dauert, um eine Sprache zu beherrschen. Wie lange<br />
würde ich Französisch lernen müssen, um in Paris<br />
auf meinem Qualifikationsniveau arbeiten zu können?<br />
Oder wie schnell würde ein Österreicher in Syrien Arabisch<br />
lernen? Das sollte sich jeder einmal überlegen.<br />
Sind die Erwartungen einfach zu hoch?<br />
Die Erwartungen sind auf jeden Fall zu hoch. Wenn<br />
wir schon sagen: Nach fünf Jahren können maximal<br />
50 Prozent in den Arbeitsmarkt integriert sein, sieht<br />
man, dass Integration sehr lange dauert. Diese 50<br />
Prozent sind aber ein realistisches Ziel, das erreicht<br />
werden kann, wenn wir alles richtig machen. Leider<br />
machen wir im Moment viele Dinge nicht richtig –<br />
beispielsweise bringen wir geflüchteten Personen<br />
während der zu langen Asylverfahren noch nicht<br />
wirklich Deutsch bei. Und wir bräuchten viel mehr<br />
gemeinnützige Arbeitsstellen während der Verfahren.<br />
Wir sollten auch den Lehrstellenmarkt für geflüchtete<br />
Drei Wünsche hat Kopf für 2017 an die Politik.<br />
Minderjährige öffnen. Das sind alles Dinge, die die<br />
Menschen in Bewegung halten. Wir wissen, dass es<br />
schlecht ist, Menschen untätig herumsitzen zu lassen.<br />
Besonders fatal ist es bei Jugendlichen. Und trotzdem<br />
lassen wir das zu.<br />
Wenn Sie für 2017 drei Wünsche an die Politik frei hätten,<br />
was wäre das dann?<br />
Erstens: Eine Beschleunigung der Asylverfahren.<br />
Zweitens: Eine einheitliche Mindestsicherung, weil<br />
die Menschen sonst nicht gerne aus Wien weggehen.<br />
Drittens: Und jetzt bin ich unbescheiden – drei<br />
Prozent Wirtschaftswachstum, dann hätten wir auch<br />
mehr Arbeitsplätze. Das wird aber nur über europäische<br />
Initiativen zu erreichen sein. Eine Maßnahme, die<br />
man in Österreich setzen könnte, wäre die Senkung<br />
der Lohnnebenkosten.<br />
Wenn Sie etwas aus der Welt zaubern könnten, was wäre<br />
das?<br />
Die negative Stimmung. Die ist integrationshemmend<br />
und wirkt sich mittlerweile auch auf die eine oder<br />
andere politische Entscheidung aus. Ich habe den Eindruck,<br />
manches wird weniger sach- und lösungsorientiert,<br />
sondern mehr öffentlichen Emotionen folgend<br />
entschieden. Es wäre aus meiner Sicht gut gewesen,<br />
den Sorgen der Bevölkerung von Anfang an entschiedener<br />
zu begegnen und unnötige Ängste und daraus<br />
entstehenden Fremdenhass auch zu nehmen. <br />
„Es ist<br />
teurer<br />
diese<br />
Menschen<br />
nicht zu<br />
integrieren.“<br />
38<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
Wer sorgt für<br />
gerechtigkeit?<br />
frag uns.<br />
Die AK App mit dem Lexikon des Arbeitsrechts, mit Banken rechner, Brutto-Netto-Rechner, Zeitspeicher,<br />
Urlaubsplaner, AK-Cartoons und mehr. Kostenlos erhältlich im App Store und Google play.<br />
apps.arbeiterkammer.at<br />
WIEN<br />
GERECHTIGKEIT MUSS SEIN<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 39
almanah<br />
Gespräch mit dem Soziologen Ruud Koopmans<br />
Assimilation<br />
funktioniert<br />
T E X T :<br />
Martin Beglinger<br />
FOTO:<br />
Marko Mestrović<br />
40<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
In den USA werden<br />
seine Studien rezipiert,<br />
in Europa ignoriert.<br />
Ruud Koopmans’<br />
These: Nicht die<br />
Diskriminierung der<br />
Migranten ist die<br />
Herausforderung,<br />
sondern ihre Selbstdiskriminierung.<br />
Exakt am Morgen des 22. März <strong>2016</strong>,<br />
als in Brüssel die Bomben von Islamisten<br />
explodierten, publizierte das<br />
Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) eine<br />
Studie unter dem Titel „Muslime auf dem<br />
Arbeitsmarkt“. Die Koinzidenz war Zufall.<br />
Kein Zufall war, dass die Studie sogleich<br />
unterging in den Breaking News aus Brüssel,<br />
wo nach dem Terror in Paris bereits zum<br />
zweiten Mal innert vier Monaten Reporter<br />
aus der halben Welt in der belgischen Hauptstadt<br />
und vor allem in Molenbeek einfielen,<br />
um ein paar Sätze aus den Bewohnern des<br />
„islamistischen Terroristennestes“ zu quetschen.<br />
Viel kam auch diesmal nicht heraus,<br />
doch eine Angabe fehlte in diesen Berichten<br />
nie: die Arbeitslosenquote. 35 Prozent<br />
der Jungen, mehrheitlich Muslime, haben in<br />
Molenbeek keinen Job und miserable Perspektiven.<br />
Womit wir wieder bei besagter Studie<br />
des WZB wären, die so manchen Hinweis<br />
darauf liefert, warum das so ist – nicht<br />
nur in Molenbeek, sondern in ganz Europa.<br />
Denn von Frankreich über England bis nach<br />
Schweden bilden muslimische Migranten<br />
die „Schlusslichter auf dem Arbeitsmarkt“,<br />
wie der Studienautor Ruud Koopmans sagt.<br />
Koopmans, ein 55-jähriger niederländischer<br />
Soziologe, forscht mit Unterbrüchen seit<br />
1994 am Wissenschaftszentrum in Berlin,<br />
wo er die Abteilung für „Migration, Integration<br />
und Transnationalisierung“ leitet.<br />
Zugleich ist er Professor für Soziologie und<br />
Migration an der Humboldt-Universität zu<br />
Berlin.<br />
Der Unruhestifter<br />
Er macht mit seinem Team höchst aufwendige<br />
empirische Studien, er publiziert sie in<br />
renommierten internationalen Journals, die<br />
Resultate werden bis in die USA heftig diskutiert.<br />
Ein gefragter Mann also, würde man<br />
meinen. Doch nicht im deutschsprachigen<br />
Europa. Hier wird Koopmans’ Arbeit fast<br />
schon totgeschwiegen. „Von einer ‚Lügenpresse‛<br />
in Deutschland würde ich nicht<br />
reden, aber ein selektives Schweigen gibt<br />
es nach meiner Erfahrung durchaus“, sagt<br />
Koopmans im Gespräch mit der NZZ.<br />
Es gibt Forscher, die seine Mails nicht<br />
mehr beantworten und ihrem akademischen<br />
Nachwuchs von einem Kontakt mit<br />
Koopmans abraten, weil sie ihn für einen<br />
verkappten Rassisten halten. „Ich stelle eine<br />
extreme Intoleranz in der Integrationsforschung<br />
gegenüber abweichenden Meinungen<br />
fest und, schlimmer noch, ein totales<br />
Desinteresse an Forschungsbefunden, die<br />
nicht ins eigene Denkschema passen“, sagt<br />
Koopmans dazu. Er engagierte sich einst<br />
bei den niederländischen Grünen, bis ihr<br />
marokkanischstämmiger Fraktionschef<br />
Es gibt Forscher, die<br />
seine Mails nicht<br />
mehr beantworten<br />
Salman Rushdies „Satanische Verse“ verbieten<br />
wollte. Und er versteht sich noch heute<br />
„als Linker, der manchmal die Linke nicht<br />
mehr versteht“. Zum Beispiel dann, wenn<br />
diese „die Muslime einseitig nur als Opfer<br />
sieht“.<br />
Keine Frage, dieser Mann stört den<br />
politisch-akademischen Gottesdienst unter<br />
den deutschsprachigen Migrationsforschern,<br />
deren erster Glaubenssatz heisst: Alle<br />
Integrationsprobleme sind einzig auf die<br />
Diskriminierung der Einwanderer durch die<br />
ansässigen Bürger zurückzuführen. Wenn<br />
es in dieser Branche ein Unwort der letzten<br />
zwanzig Jahre gab, dann heisst es: Assimilation.<br />
Kulturelle Anpassung, so der bisherige<br />
Konsens, geht gar nicht. Nach dieser<br />
Lesart ist Assimilation nichts anderes als<br />
Koopmans’ Fazit:<br />
Assimilation<br />
funktioniert<br />
die erzwungene Verleugnung der eigenen<br />
Wurzeln.<br />
Wer solches von Migranten verlangt,<br />
steht sofort in vermintem Gelände, gilt<br />
im Minimum als engherzig und intolerant,<br />
eigentlich schon als Rassist. Und nun<br />
kommt Professor Koopmans und fragt im<br />
Originaltitel seiner neuen Studie: „Does<br />
assimilation work?“ Allein die Frage ist für<br />
manche Provokation genug, nicht zu reden<br />
von der Antwort: Ja, sie funktioniert! Dies<br />
ist Koopmans’ Fazit aus einer Befragung<br />
von 7000 Muslimen in sechs europäischen<br />
Ländern. Je höher ihre soziokulturelle<br />
Assimilation an die Mehrheitsgesellschaft,<br />
umso besser ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt.<br />
Dann gibt es, gleiche Qualifikationen<br />
vorausgesetzt, kaum mehr Differenzen zu<br />
den Jobchancen der Nichtmuslime.<br />
Anpassung: Definition<br />
Doch was heisst Anpassung für Koop mans?<br />
Zunächst einmal nicht zwangsläufig Preisgabe<br />
des eigenen Glaubens. Aber es bedeutet,<br />
sich problemlos in der Sprache des neuen<br />
Wohnlandes verständigen zu können und<br />
hauptsächlich dessen Medien zu nutzen. Es<br />
bedeutet ferner, Freunde und Bekannte nicht<br />
nur in der eigenen Ethnie, sondern ebenso<br />
in der Mehrheitsgesellschaft zu finden,<br />
allenfalls auch Familienangehörige. Und<br />
schliesslich sollen die Auffassungen über<br />
die Rolle der Frau der durchschnitt- ‣<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 41
almanah<br />
lichen Vorstellung in der Mehrheitsgesellschaft<br />
entsprechen. Unter diesen Umständen<br />
stehen die Integrationschancen gut.<br />
Das heisst nicht, Diskriminierung spiele<br />
überhaupt keine Rolle. Nur eben eine viel<br />
kleinere als seit Jahren behauptet, sagt<br />
Koopmans. Weit wichtiger sind für ihn die<br />
„interethnischen sozialen und familiären<br />
Kontakte“ über die eigene Community<br />
hinaus. Je mehr davon, umso besser, weil<br />
diese Kontakte Sozialkapital schaffen, das<br />
wiederum die Arbeitssuche und damit das<br />
Ankommen am neuen Ort erleichtert.<br />
Auf Distanz<br />
Es gilt aber auch das Umgekehrte. Wer kulturell<br />
möglichst auf Distanz zum Wohnland<br />
bleibt, wird sich immer schwertun mit der<br />
Integration, und das ist laut Koopmans bei<br />
fast der Hälfte der europäischen Muslime<br />
der Fall. Man könnte dies eine freiwillige<br />
„Diskriminierung<br />
spielt kleinere Rolle<br />
als behauptet.“<br />
Selbstdiskriminierung der Immigranten<br />
nennen. Koopmans’ letzte grosse Studie<br />
aus dem Jahr 2013 ergab, dass von den 7000<br />
befragten Muslimen in sechs westeuropäischen<br />
Ländern nicht weniger als 65 Prozent<br />
der Meinung sind, dass religiöse Regeln<br />
wichtiger für sie sind als säkulare Gesetze.<br />
Fast 60 Prozent wollen explizit keine homosexuellen<br />
Freunde, und 45 Prozent glauben,<br />
dass man „Juden nicht trauen kann“. Mehr<br />
als 40 Prozent der europäischen Muslime, so<br />
Koopmans' Fazit, neigten deshalb zu einer<br />
fundamentalistischen Haltung.<br />
Während sonst jeder schwulenfeindliche<br />
oder antisemitische Halbsatz christlicher<br />
Fundamentalisten sofort scharf (und<br />
zu Recht) medial bestraft wird, waren diese<br />
Zahlen den deutschen Leitmedien kaum<br />
eine Zeile oder Sendeminute wert. Einzig die<br />
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichtete<br />
kurz darüber, worauf sie die Studie mit<br />
dem Satz versenkte, deren Autor sei ein<br />
„wissenschaftlich verbrämter Schwinger der<br />
Fundamentalismuskeule von gestern“. Im<br />
Übrigen: grosses Schweigen.<br />
Die Schweiz hat derweil ein erhellendes<br />
Beispiel zum gleichen Thema erlebt: den<br />
verweigerten Händedruck zweier muslimischer<br />
Schüler gegenüber ihrer Lehrerin<br />
– aus religiösen Gründen. Die Meinungen<br />
dazu waren rasch gemacht. „Wie wollen Sie<br />
einen Jugendlichen mit einem derartigen<br />
Verhalten später in die Berufswelt integrieren?“,<br />
fragte der Präsident des Baselbieter<br />
Lehrerverbandes und gab die Antwort gleich<br />
selber: „Das ist unmöglich.“ Die jungen<br />
Muslime können sich nun einigermassen<br />
anpassen (wie es in der Schweiz die grosse<br />
Mehrheit pragmatisch tut, ohne dass sie sich<br />
gleich ihrer Identität beraubt fühlt). Oder<br />
sie verkehren bald nur noch unter Gleichgesinnten,<br />
riskieren damit Arbeitslosigkeit und<br />
Abhängigkeit von Sozialhilfe.<br />
Sozialstaat: falsche Anreize<br />
Auch dazu hat Ruud Koopmans aufgrund<br />
seiner Forschung dezidierte Ansichten.<br />
„Viele Zuwanderer sind anfangs hochmotiviert.<br />
Doch die Erfahrung zeigt, dass ein<br />
stark ausgebauter Wohlfahrtsstaat ihre<br />
Motivation in kürzester Zeit untergräbt. In<br />
den USA, wo die sozialen Fangnetze fehlen,<br />
passiert das nicht“, erklärte er im Januar an<br />
einer Tagung der CDU in Berlin. Und beruhigte<br />
die Anwesenden sogleich, er wolle<br />
nicht gleich den Wohlfahrtsstaat abschaffen.<br />
Koopmans will keine amerikanischen,<br />
aber auch keine schwedischen Zustände in<br />
Europa, denn in Schweden ist die Abhängigkeit<br />
der muslimischen Migranten von der<br />
staatlichen Fürsorge extrem hoch – und die<br />
Integration in den Arbeitsmarkt gerade deswegen<br />
alles andere als erfolgreich. Für den,<br />
der arbeiten kann, aber nicht muss, ist die<br />
Selbstisolation jederzeit eine valable Option.<br />
Was es nach Koopmans braucht, sind<br />
klare Anreize in der europäischen Mi grationspolitik,<br />
die eine Integration der<br />
Immigranten über die Ausübung einer<br />
entlöhnten Tätigkeit erzwingen. Fehlen<br />
sie oder sind sie falsch gesetzt, kommt es<br />
wie schon früher zu einer Negativselektion.<br />
Bedeutet aber Immigration mehr<br />
Ruud Koopman wird von manchen für einen<br />
Rassisten gehalten, weil er Integrationsprobleme<br />
nicht nur auf die Mehrheitsgesellschaft zurückführt,<br />
sondern auch auf die Einwanderer selbst.<br />
Arbeitslosigkeit, mehr Ghettos und höhere<br />
Sozialhilfe, dann bricht die politische<br />
Zustimmung der Bürger für Zuwanderung<br />
irgendwann weg. An besagter Tagung<br />
erklärte Koopmans: „Jene Zuwanderer, die<br />
sich wirklich anstrengen, also die Sprache<br />
des neuen Landes lernen, einen Job finden<br />
und straffrei bleiben, sollen belohnt werden<br />
und auf Dauer bleiben dürfen. Den Asylsuchenden<br />
soll man Schutz gewähren, aber<br />
kein Bleiberecht garantieren. Wenn sie die<br />
Integration nicht geschafft haben, müssen<br />
sie in ihr Herkunftsland zurückkehren,<br />
sobald es die Lage dort erlaubt. So kombiniert<br />
man die moralische Pflicht, Schutz<br />
zu bieten, mit dem Eigeninteresse des<br />
Zuwanderungslandes.“<br />
Keiner der hohen CDU-Funktionäre<br />
mochte diese Sätze aufnehmen. Es wird noch<br />
eine Weile dauern, bis die Forschung von<br />
Ruud Koopmans in Politik und Öffentlichkeit<br />
ankommt. Doch gut möglich, dass es dann<br />
plötzlich ganz schnell geht.<br />
<br />
Dieser Artikel erschien das erste Mal am 15.4.<strong>2016</strong> in<br />
der NZZ online<br />
Foto: Jens Gyarmaty<br />
42<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
BEZAHLTE ANZEIGE<br />
Integration von anerkannten<br />
Flüchtlingen in Österreich<br />
Michael Gruber / EXPA / picturedesk.com<br />
Die Integration<br />
anerkannter<br />
Flüchtlinge stellt<br />
eine Herausforderung<br />
dar,<br />
die alle betrifft.<br />
Dabei ist auch<br />
die Eigenverantwortung<br />
der Flüchtlinge<br />
gefordert.<br />
Rund 90.000 Menschen sind im Zuge der Flüchtlingswelle<br />
2015 nach Österreich gekommen. Dabei war unser<br />
Land bei der Unterbringung und der Erstversorgung von<br />
Flüchtlingen deutlich stärker gefordert als viele andere<br />
Staaten in der Europäischen Union. So liegt Österreich,<br />
was die Anzahl der gestellten Asylanträge je 1.000<br />
Einwohner betrifft, mit 10,3 Personen EU-weit hinter<br />
Schweden auf dem zweiten Platz.<br />
Das stellt uns alle vor die Herausforderung, jene Menschen,<br />
die hier bleiben dürfen, möglichst gut und rasch<br />
in unsere Gesellschaft zu integrieren. Integration ist dabei<br />
mit ihren vielfältigen Aspekten eine Querschnittsmaterie,<br />
die uns alle betrifft. Alle heißt in diesem Zusammenhang<br />
einerseits, dass eine faire Aufteilung der<br />
Flüchtlinge innerhalb der Europäischen Union stattfinden<br />
muss. Nur so können überhaupt erfolgreiche Integrationsprozesse<br />
in jedem einzelnen Mitgliedsland<br />
gewährleistet werden, ohne dass einzelne Staaten, wie<br />
beispielsweise Österreich, überdurchschnittlich belastet<br />
werden.<br />
SPRACHERWERB, ARBEITSMARKTEINSTIEG UND<br />
WERTEVERMITTLUNG ESSENTIELL<br />
Andererseits sind damit aber auch die Flüchtlinge selbst<br />
gemeint, die bei ihrem Integrationsprozess nicht aus<br />
der Eigenverantwortung entlassen werden dürfen.<br />
Das Erlernen der deutschen Sprache steht dabei am<br />
Anfang eines aussichtsreichen Integrationsprozesses,<br />
gezielte Förderungen sollen dies unterstützen. Ebenso<br />
wichtig ist der rasche Einstieg anerkannter Flüchtlinge<br />
in die österreichische Arbeitswelt: die Nichtteilhabe an<br />
der Gesellschaft und am Arbeitsmarkt muss schon allein<br />
mit Blick auf Herausforderungen wie die Radikalisierung<br />
vermieden werden. Essentiell ist schließlich die<br />
nachhaltige Vermittlung der österreichischen Grundwerte.<br />
Der Österreichische Integrationsfonds bietet<br />
hierfür bundesweite Wertekurse für alle Flüchtlinge,<br />
und darüber hinaus auch für sonstige Drittstaatsangehörige,<br />
an.<br />
Integration kann gelingen. Aber sie ist mit Rechten und<br />
Pflichten gleichermaßen verbunden – und sie bedingt<br />
die aktive Mitarbeit von anerkannten Flüchtlingen.<br />
Diese muss auch eingefordert werden.<br />
43
almanah<br />
Fresh Go: „In<br />
der Küche sind<br />
wir verheiratet“<br />
Hier erlebt die „babylonische<br />
Verwirrung“ ihre Wiedergeburt. Ein in<br />
Singapur geborener Pakistani kocht,<br />
eine Südinderin räumt die Regale ein,<br />
zwischen ihnen sorgt WU-Absolvent<br />
Anzil Pullorssangadan für Ordnung,<br />
während er einer nigerianischen<br />
Hausfrau Okra und einer Filipina<br />
Ochsenschwänze in Erdnusssauce<br />
verkauft.<br />
Wir möchten unseren Kunden zeigen, wie<br />
wir bei uns zu Hause kochen“, erläutert<br />
Anzil Pullorssangadan seine Geschäftsidee.<br />
Tatsächlich ist das in der Brigittenau beheimatete<br />
Lokal eine seltene Mischform. Es ist Supermarkt<br />
und Omas Küche in einem. FreshGo bietet landesspezifische<br />
Fertigprodukte und importierte Speisen. Wer<br />
wissen möchte, wie indische Knabbereien schmecken<br />
oder wie Tee mit Kakaomilch (Thai Ice-Tea)<br />
zusammenpasst, findet zwischen den Regalen die<br />
Antwort. Der wahre Zauber, den dieser unscheinbare<br />
Laden verströmt, kommt allerdings aus der Küche.<br />
Aus Maxis Küche, um genau zu sein. Die in Singapur<br />
geborene Frohnatur würden kontaktscheue Menschen<br />
als aufdringlich bezeichnen. Tatsächlich fuchtelt<br />
Maxi wild gestikulierend durch die Gegend, während<br />
er dem neugierigen Besucher seine Essenskreationen<br />
näherbringt.<br />
Sardellen mit Schrimpspaste<br />
Da hätten wir einmal den typisch südindischen Zitronenreis,<br />
der am besten mit dem hausgemachten Naan<br />
und einem Kokos-Kräuter-Aufstrich genießbar ist.<br />
Oder das klassische Rindercurry mit Biryani-Reis,<br />
welches ausgezeichnet mit den selbstgemachten<br />
Hummerchips oder Chicken-Rolls ergänzt werden<br />
kann. Wenn man Glück hat, erwischt man Maxi in<br />
Christoph Liebentritt<br />
44<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
einem Anfall von Nostalgie und freut sich über die<br />
Chicken-Satay-Spieße oder frittierte Sardellen mit<br />
einer scharfen Schrimpspaste, die ihn an seine Kindheit<br />
in Singapur erinnern. Und ja, Maxi ist aufdringlich.<br />
Aber nur, wenn er dem Gast mehr Reis (wird<br />
nicht extra verrechnet!) nachschöpft oder seine neueste<br />
Kreation vom Gratin mit asiatischem Gemüse<br />
verkosten lässt.<br />
Seinen späteren Chef hat der leidenschaftliche<br />
Koch mit Vorliebe für selbstgedrehte Zigaretten<br />
aus Nelken und Tabak bei einem Flughafenjob<br />
kennengelernt. Zusammen mit Maerry Lou, die sich<br />
für die philippinischen Leckereien im „Fresh Go“<br />
verantwortlich zeichnet, bilden sie das Herzstück<br />
des exotischen Supermarktes. Als Pullorssangadan<br />
übernommen hatte, erweiterte er das philippinische<br />
Sortiment mit Produkten aus Afrika, Bangladesch,<br />
Indien, Thailand, Korea und Indonesien. Ein paar<br />
Monate später bekam er die Genehmigung, selbst<br />
Speisen zuzubereiten. „Wir möchten den Kunden<br />
zeigen, wie wir zu Hause kochen und wie man sich<br />
gesund ernähren kann. Um den Umsatz geht es<br />
hier nicht“, so der zierliche Mann. Der Blick auf die<br />
Preise bestätigt seine Aussage. Ein vegetarisches<br />
Menü gibt es um 6€, eines mit Fleisch um 7€. Das<br />
selbstgemachte Mango-Lassi sticht die Konkurrenz<br />
mit 2€ locker aus.<br />
Warum tut er sich das an?<br />
Gewiss, der junge Geschäftsführer hat sich nicht das<br />
leichteste Einstiegsfeld ausgesucht. Immer mehr<br />
große Supermärkte bieten Ethnofood in ihren Regalen<br />
an und über die Gastronomie und ihre Tücken brauchen<br />
wir erst gar nicht zu schreiben. Pullorssangadan<br />
denkt familiär. Das zeigt nicht nur die Tatsache,<br />
dass seine Ehefrau Shana hier arbeitet und Vater und<br />
jüngerer Bruder bei Bedarf aushelfen. Der 27-Jährige<br />
möchte langsam wachsen und damit seinen<br />
Kunden eine Lebenseinstellung vermitteln: „Wenn<br />
die Kunden kommen und das Essen am frühen Nachmittag<br />
aus ist, wird nichts mehr nachgekocht. Was<br />
aus ist, ist aus“, lautet die schlichte Botschaft. So wie<br />
zu Hause eben. „Würden wir schnell nachproduzieren,<br />
würde die Qualität darunter leiden müssen.“ Die<br />
Angst als Selbständiger auch versagen zu können,<br />
scheint ihn zu beflügeln. Er packt alles selbst an und<br />
macht jede Arbeit, mit der er seine Mitarbeiter auch<br />
beauftragt. „Hier gibt es keine Hierarchien“, bestätigt<br />
der Koch Maxi. „Das Team kooperiert so gut, wir<br />
alle hier sind wie verheiratet.“<br />
<br />
„Würden<br />
wir schnell<br />
nachproduzieren,<br />
würde die<br />
Qualität<br />
darunter<br />
leiden.“<br />
DER ERSTE<br />
SCHRITT ZUM<br />
ERFOLG!<br />
WKO-Wien hilft<br />
Im Gründerservice der WKO-Wien kann<br />
man bei einem Beratungsgespräch alle<br />
Fragen stellen, die die Gründung eines<br />
Unternehmens betreffen. Im Vorhinein<br />
kann man sich auch schon eigenständig<br />
online informieren. Ob generelle Tipps zur<br />
Selbstständigkeit, rechtliche Voraussetzungen,<br />
Amtswege oder Finanzierungsund<br />
Förderungsmöglichkeiten: Auf der<br />
Website kommt man mit wenigen Klicks<br />
zu allen wichtigen Informationen.<br />
»<br />
IHR SERVICEKONTAKT<br />
+43 1 514 50 - 1050<br />
Das WK Wien-Servicepaket ist randvoll mit Unterstützung, Beratung und<br />
ExpertInnenkontakten. Besonders bei der Beratung zur Unternehmensgründung.<br />
W wko.at/wien/gruenden<br />
wko.at/wien<br />
www.gruenderservice.at<br />
Die Selbermacher-Serie ist eine redaktionelle<br />
Kooperation von das biber mit der<br />
Wirtschaftskammer Wien.<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 45
almanah<br />
GASTKOMMENTAR<br />
„Vorschläge liegen<br />
am Tisch“<br />
Österreich muss die<br />
Flüchtlingsbewegung<br />
besser managen, fordert<br />
IV-Generalsekretär<br />
Christoph Neumayer.<br />
Zudem müsse Österreich<br />
für qualifizierte<br />
Zuwanderer attraktiver<br />
positioniert werden.<br />
Migration und Integration zählen<br />
zu den Mega-Themen unserer<br />
Zeit: Die Europäische Union<br />
und viele ihrer Mitgliedstaaten befinden<br />
sich in einem tiefgreifenden gesellschaftlichen<br />
Wandel, der mit Chancen, Potenzialen,<br />
aber auch gewaltigen Herausforderungen<br />
verbunden ist. Die Konflikte in Teilen Afrikas<br />
und im Nahen Osten sowie die damit<br />
verbundene Flüchtlingsbewegung sind seit<br />
Monaten in der öffentlichen politischen<br />
Diskussion omnipräsent. Erweitert man den<br />
Beobachtungszeitraum auf einen längeren<br />
Zeitraum, wird deutlich, dass die aktuelle<br />
Flüchtlingsbewegung nur ein Teil der weltweiten<br />
Migrationsbewegung ist. Aus diesem<br />
Grund ist auf nationaler, aber auch europäischer<br />
Ebene eine Doppel-Strategie erforderlich:<br />
Einerseits müssen die aktuellen<br />
Herausforderungen bewältigt werden und<br />
anderseits braucht es mittel- bis langfristige<br />
Strategien und Lösungen zum Umgang<br />
mit Migration und Integration. Das gilt insbesondere<br />
für Österreich, für das alleine<br />
schon aufgrund der demografischen Entwicklung<br />
gezielte Zuwanderung wichtig<br />
und notwendig ist.<br />
Integration am Arbeitsmarkt ist ungelöst<br />
Die Lösungsansätze für die aktuelle Flüchtlingsbewegung<br />
sind bekannt: Vor allem ist<br />
eine bessere Zusammenarbeit auf internationaler<br />
Ebene erforderlich, um Fluchtmotive<br />
zu reduzieren. Auf nationaler Ebene blieb<br />
bisher allerdings die Frage der Integration<br />
in den Arbeitsmarkt weitgehend ungelöst.<br />
Vorschläge liegen auf dem Tisch: etwa die<br />
Öffnung des Dienstleistungsschecks für<br />
Asylwerberinnen und Asylwerber oder der<br />
Arbeitsmarktzugang mit Ersatzkraftverfahren<br />
sechs Monate nach Asylantragstellung.<br />
Auch der Zugang zu Lehrstellen in allen<br />
Lehrberufen für jugendliche Asylwerberinnen<br />
und Asylwerber bis 25 Jahre wäre eine<br />
wichtige Maßnahme.<br />
Auf qualifizierte Zuwanderer nicht vergessen<br />
Neben der Fluchtmigration benötigt unser<br />
Land aber auch dringend eine klare Politik,<br />
die Zuwanderung steuert. Und damit<br />
Österreich als attraktive Zielregion für<br />
qualifizierte Migrantinnen und Migranten<br />
positioniert sowie klare und gut nachvollziehbare<br />
Entscheidungskriterien<br />
entwickelt. Zentral sind hier die stetige<br />
Verbesserung der Rot-Weiß-Rot-Karte<br />
sowie eine Neukodifizierung des Fremdenrechts<br />
in ein neues Einwanderungsgesetz.<br />
Um das Thema Migration langfristig in der<br />
Bevölkerung sachlich zu verankern, bedarf<br />
es neuer Impulse in der Integrationspolitik.<br />
Diese sollten einem Narrativ, also einer<br />
sinnstiftenden Erzählung, folgen. Denn für<br />
eine erfolgreiche Integration brauchen die<br />
Staaten in Europa ein plausibles Bild über<br />
eine gemeinsame Zukunft.<br />
<br />
IV/Kurt Prinz<br />
46<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
www.spar.at/lehre<br />
Lehrlinge<br />
gesucht!<br />
Ein eigenes Gehalt und dann noch<br />
mit Prämien was dazu verdienen?<br />
Hallo Moped!<br />
Darf’s ein bisschen mehr sein?<br />
SPAR ist der trendige Nahversorger – und mit 2.700 Lehrstellen die klare Nummer 1 bei<br />
der Lehrlingsausbildung. Wir bieten 17 Lehrberufe und eine spannende,<br />
praxisnahe Ausbildung. Wer Freude am Kontakt mit Menschen hat und<br />
offen für Neues ist, ist bei SPAR genau richtig! Sehr guten Lehrlingen<br />
winkt neben Zusatz-Prämien von über 4.500 Euro* auch noch der Gratis-<br />
B-Führerschein. Und interne Aufstiegsmöglichkeiten nach der Lehre gibt’s<br />
genug! Besuche uns auf www.spar.at/lehre!<br />
*Gilt für Eigenfilialen der SPAR-AG und bei ausgewählten selbständigen SPAR-Kaufleuten.<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 47
almanah<br />
„Raus aus<br />
der Komfort-<br />
Zone“<br />
48<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
Vom Flüchtling zum Teilchenbeschleuniger:<br />
Mit 14 Jahren kommt<br />
Kriegsflüchtling Fadmar Osmić nach<br />
Österreich. Heute, 25 Jahre später,<br />
arbeitet der Physiker mit einem<br />
Team von Ingenieuren, Forschern<br />
und Ärzten am Hochtechnologie-<br />
Krebstherapiezentrum MedAustron.<br />
T E X T :<br />
Adam Bezeczky<br />
FOTO:<br />
Marko Mestrović<br />
Das Med-<br />
Austron ist<br />
eines von<br />
weltweit<br />
nur fünf<br />
ähnlich<br />
modernen<br />
Anlagen.<br />
Acht Hundert Millionen Elektrovolt, vier<br />
Meter dicke Wände und Teilchen, die mit<br />
bis zu 200.000 Kilometer die Sekunde durch<br />
den Beschleunigungsring zirkulieren. Die Welt von<br />
Fadmar Osmić erinnert nicht nur architektonisch an<br />
Raumschiff Star Trek. 24 Stunden am Tag und 7 Tage<br />
die Woche arbeitet das Team um den bosnisch-stämmigen<br />
Physiker und Projektmanager an der Krebstherapie<br />
der Zukunft.<br />
Die High-Tech-Anlage beherbergt, neben dem<br />
Herzstück Synchrotron, auch eine „Protonen-Gantry“:<br />
hier dreht sich wortwörtlich alles um den<br />
Patienten, denn die Bestrahlungsanlage kann um 180<br />
Grad gedreht werden und so die notwendige Strahlendosis<br />
exakt auf den Sub-Millimeter genau an<br />
jene Stelle im Körper bringen, wo der Tumor liegt.<br />
„Besonders für krebskranke Kinder ist dies eine<br />
Chance auf wirkungsvolle Behandlung“, erklärt Dr.<br />
Osmić.<br />
Doch wie kommt ein früheres Flüchtlingskind<br />
in eine leitende Position an Österreichs größtem<br />
Teilchenbeschleuniger? „Man muss raus aus der<br />
Komfort-Zone. Man muss es wagen, groß zu träumen.<br />
Man muss die nächste Herausforderung suchen, um<br />
zu wachsen“, sagt der Wissenschaftler.<br />
Osmić war 14 Jahre alt, als ihn seine Eltern nach<br />
Österreich schicken. Eine österreichische Pflegefamilie<br />
nimmt den unbegleiteten Flüchtling auf. Beim<br />
Deutschlernen stolpert der Junge über ein Buch zu<br />
Sternenentstehung und Astronomie. Sein Interesse<br />
für die Forschung ist geweckt.<br />
Doch nicht die Sterne weit oben im Himmel,<br />
sondern die kleinen Bausteine des kosmischen<br />
Ganzen werden seine große Leidenschaft. Er beginnt<br />
ein Studium der Physik an der TU Wien. Wie in der<br />
Wissenschaft, trifft man auch im Leben auf Widerstände.<br />
Nach der Geburt seiner Tochter wird er von<br />
manchen gefragt, ob er denn nicht „etwas G’scheites“<br />
studieren möchte, mit dem er auch einen Job<br />
bekommt. Doch er zieht sein Studium durch. Nach<br />
einem Aufenthalt an der Universität Uppsala in<br />
Schweden wird er der erste Physiker mit Migrationshintergrund<br />
aus Österreich, der ins Mekka der<br />
Teilchenphysik wechseln darf. Die Forschungseinrichtung<br />
CERN (European Organization for Nuclear<br />
Research) liegt im Kanton Genf in der Schweiz und<br />
bildet die Elite der Physiker aus.<br />
Seine Erfahrungen bei CERN bringen Osmić heute<br />
in Wiener Neustadt ein. Schrittweise wird an der<br />
Fertigstellung des Hochtechnologie-Krebstherapiezentrums<br />
gebaut. Das MedAustron ist eines von<br />
weltweit nur fünf ähnlich modernen Anlagen. Erst im<br />
August <strong>2016</strong> wurde der erste Bestrahlungsraum für<br />
die Forschung von Niederösterreichs Landeshauptmann<br />
Erwin Pröll (ÖVP) eröffnet.<br />
Im Endausbau werden im MedAustron voraussichtlich<br />
jährlich 1200 Menschen behandelt werden,<br />
deren Krebstumore in und hinter wichtigen Organen<br />
liegen. Diese bösartigen Wucherungen können am<br />
MedAustron gezielt mit Protonen (Bausteinen der<br />
Atome) oder Kohlenstoffionen bestrahlt werden,<br />
ohne dabei das umliegende Gewebe zu beschädigen.<br />
Im ersten Schritt werden Protonen (Bausteine der<br />
Atome) oder Kohlenstoffionen erzeugt. Aus einem<br />
Gasgemisch werden mit Hilfe einer hochfrequenten<br />
EM-Strahlung die geladenen Teilchen gewonnen und<br />
gebündelt mit einem Linearbeschleuniger auf einer<br />
geraden Bahn beschleunigt.<br />
Richtig auf Tempo, nämlich 250.000 Kilometer pro<br />
Sekunde, werden sie im Synchrotron gebracht. Dieses<br />
Gerät beschleunigt mit einem Kreisumfang von etwa<br />
80 Metern und einem Heißhunger auf elektrischen<br />
Strom (Jahres-Stromrechnung 1 Million Euro) die<br />
Teilchen. Über eine Strahlenweiche, die von starken<br />
Magneten umgeben ist, werden diese extra schnellen<br />
Teilchen in die Bestrahlungsräume abgezweigt.<br />
Osmić freut sich auf den Vollbetrieb der Anlage.<br />
„Die schrittweise Inbetriebnahme war die beste<br />
Lösung für die Patienten und uns. Wir können<br />
auf diese Weise schon behandeln und gewonnene<br />
Erkenntnisse in die nächsten Ausbauschritte investieren.“<br />
Rund 155 Wissenschaftler und Ingenieure<br />
arbeiten rund um die Uhr, um die Anlage fertig zu<br />
stellen. „Wir haben hier einen Team-Spirit, wie in<br />
einem großen Unternehmen im Silicon Valley“, freut<br />
sich das frühere Flüchtlingskind.<br />
<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 49
almanah<br />
Radio Max<br />
Ein Radio für zehn Länder<br />
rumänische Redaktion. Hier sitzen pro Landesredaktion<br />
zwischen acht und zehn Native-Speaker, die von<br />
Wien aus in ihrer Muttersprache Beiträge verfassen.<br />
Auch in der Musikredaktion sind Österreicher,<br />
Tschechen, Deutsche, Italiener und Rumänen vertreten<br />
– schließlich haben alle Länder unterschiedliche<br />
musikalische Vorlieben. In Tschechien sendet<br />
Radio Max beispielsweise zu 50 Prozent tschechische<br />
Musik, unter anderem Schlager – die liebt das tschechische<br />
Publikum.<br />
Das heißt, die Songs, die beispielsweise<br />
Penny-Kunden beim Einkaufen in Deutschland<br />
hören, werden in Wien ausgewählt. Genauso wie<br />
die Beiträge über tagespolitische Themen, Stars und<br />
Events in Österreich aufgenommen werden – von<br />
Redakteuren und Radio-Moderatoren in ihrer jeweiligen<br />
Muttersprache.<br />
Programmchefin Claudia Herbst<br />
Radio Max, das Radio der<br />
Rewe-Group, sendet mitten aus<br />
Wien Beiträge in ganz Europa.<br />
Die sanfte Stimme einer jungen Frau unterbricht<br />
die Klänge der italienischen Kultsängerin<br />
Gianna Nannini. Ich verstehe zwar nur<br />
„Ferrero Rocher“, aber der italienische Redefluss<br />
versetzt mich in meinen letzten Italien-Aufenthalt<br />
zurück. Dabei befinde ich mich gerade in Wien – im<br />
Studio von Radio Max, dem Radio der Rewe-Group.<br />
Mitten in Meidling produzieren hier 120 Mitarbeiter<br />
in fünf Sprachen Radiobeiträge für 9 Millionen Hörer<br />
aus 10 Ländern europaweit, fünf davon haben einen<br />
eigenen Sender. In der Radio-Max Redaktion gibt es<br />
nämlich neben der österreichischen Redaktion auch<br />
noch die deutsche, tschechische, italienische und die<br />
„Im Radio spiegelt sich die Mentalität wieder“<br />
1994 hat Radio Max mit Merkur als erste Sendeschiene<br />
gestartet, 1996 folgte Bipa, 2006 Billa und<br />
schließlich als erster Discounter Penny. Da die<br />
Kundschaft der jeweiligen Märkte unterschiedlich<br />
ist, muss auch das Radioprogramm darauf angepasst<br />
werden. Die Musik, die man bei Merkur oder<br />
Billa hört, ist jazziger als die beim Penny. Für alle gilt<br />
aber: Das Programm muss verkaufsfördernd sein und<br />
eine angenehme Atmosphäre schaffen und das nicht<br />
nur für die Kunden. Für die Mitarbeiter gibt es eine<br />
eigene Morning-Show, in der sie abstimmen können,<br />
welche Songs sie hören wollen.<br />
Doch wieso reicht nicht eine Redaktion für alle<br />
Länder und weshalb muss von Wien aus gesendet<br />
werden? „Im Radio spiegelt sich die Mentalität<br />
wieder“, erklärt Programmchefin Claudia Herbst,<br />
die seit dreizehn Jahren für Radio Max arbeitet.<br />
Um authentisch zu sein, braucht jedes Land seine<br />
eigene Redaktion. Die Redakteure selbst werden<br />
zum Großteil in den jeweiligen Ländern gecastet und<br />
müssen, wenn sie den Job bekommen, nach Wien<br />
ziehen: „Wien verfügt über die zuständige technische<br />
Infrastruktur“, erklärt Herbst wieso in Wien produziert<br />
wird. Native-Speaker sind deshalb wichtig, weil<br />
der Kunde in Italien nicht hören soll, dass der Radio<br />
Moderator eigentlich in Wien sitzt. Giovanni, der<br />
Chefredakteur der Italien-Redaktion achtet darauf,<br />
dass es zwischen seinen Sendungen und denen<br />
anderer italienischer Radio-Sender keine Unterschiede<br />
gibt. Und tatsächlich, sobald die Moderatoren<br />
wieder auf Sendung gehen und auf ihrer Muttersprache<br />
den nächsten Beitrag ansagen, vergisst man<br />
ganz, dass man eigentlich in Wien Meidling ist. <br />
Zoe Opratko<br />
50<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
ezahlte Anzeige<br />
Wer hilft mir, wenn die<br />
Telefonrechnung zu hoch ist?<br />
Kann ich einen kaputten<br />
Computer zurückgeben?<br />
Wie vergleiche<br />
ich Kredite?<br />
Alles Wissenswerte für<br />
KonsumentInnen zu den<br />
Themen Reisen, Internetshoppen,<br />
Smartphone,<br />
Wohnen, Autokauf und vieles<br />
mehr auf:<br />
www.konsumentenfragen.at<br />
Das KonsumentInnenportal<br />
des Sozialministeriums<br />
sozialministerium.at fb.com/sozialministerium konsumentenfragen.at
almanah<br />
„Freund,<br />
Berater,<br />
Mentor“<br />
Es kommt<br />
nicht darauf<br />
an woher du<br />
bist, sondern<br />
was du bist:<br />
Technik-<br />
Student Viktor<br />
Akinyemi und<br />
CEO Ali Eralp<br />
über Karriere,<br />
Ratschläge<br />
und den<br />
Afrika-Cup.<br />
Der eine kommt aus Nigeria und macht mit<br />
19 Jahren seinen Bachelor, der andere ist<br />
gebürtiger Türke, 49, und Vorstand des<br />
österreichischen Finanzberatungsunternehmens<br />
Finum Private Finance. Durch die ZUSAMMEN:ÖS-<br />
TERREICH Akademie haben Victor und Ali sich kennengelernt.<br />
BIBER: Wie habt ihr beide zueinander gefunden?<br />
VICTOR: Da ich ein außerordentlicher Student war,<br />
konnte ich keine Studienbeihilfe bekommen. Deswegen<br />
habe ich mich für das Stipendium beim Österreichischen<br />
Integrationsfond entschieden. Dieser<br />
hat uns beide zusammengebracht. Ich bekam die<br />
Nummer von Ali und dann haben wir uns getroffen.<br />
Seitdem sind wir gute Freunde.<br />
ALI: Der ÖIF hat mich angerufen und mir von diesem<br />
jungen, intelligenten Nigerianer erzählt. Und ich<br />
habe mir gedacht: Sehr intelligent bin ich nicht und<br />
aus Afrika komme ich auch nicht. Also kann ich von<br />
dem Jungen viel lernen. Und das hat sich auch bestätigt.<br />
Was hast du davor gemacht?<br />
VICTOR: In Nigeria hab ich eine AHS besucht und<br />
maturiert. Mit 15 war ich dann mit der Schule fertig.<br />
Dann bin ich hergekommen.<br />
Was war das Wichtigste, das du von deinem Mentor bzw.<br />
Mentee gelernt hast?<br />
VICTOR: Dass ich an allererster Stelle auf mich und<br />
nicht auf andere aufpassen sollte. Also einen Ausgleich<br />
finde.<br />
ALI: Ich habe bei Victor nie gespürt, dass er sich<br />
in einer Opferrolle befindet. Sein Leben war nicht<br />
gerade einfach, aber ich sehe dennoch einen dankbaren,<br />
ehrgeizigen, jungen dynamischen Mann. Er<br />
ist dankbar und sehr authentisch. Es kommt nicht<br />
darauf an woher du bist, sondern was du bist. Und er<br />
hat das alles in so einem jungen Alter erreicht.<br />
Hat sich etwas in eurem Leben seit diesem Programm<br />
geändert?<br />
VICTOR: Ja, also wenn der Afrika-Cup stattfindet, bin<br />
ich für die Türkei!<br />
ALI: Und ich für Nigeria! Und gemeinsam sind wir für<br />
Österreich.<br />
<br />
T E X T :<br />
Sarah Mohammadi<br />
FOTO:<br />
Marko Mestrović<br />
Was ist die ZUSAMMEN:ÖSTERREICH Akademie?<br />
In der ZUSAMMEN:ÖSTERREICH Akademie bekommen motivierte Studenten mit internationalem Background<br />
ein Stipendium, um neue Erfolgsgeschichten aus Österreich zu schreiben. Die Studenten werden von sogenannten<br />
Integrationsbotschafter/innen im Rahmen der Akademie auf unterschiedlichster Weise unterstützt<br />
und dienen als deren Vorbilder und Begleiter/innen. Zudem wird den Stipendiaten ein Begleitprogramm geboten.<br />
Du hast Interesse? Informationen über die Voraussetzungen für das Stipendium und das Antragsformular<br />
findest du hier: www.integrationsfonds.at/themen/stipendium/stipedium-zusammenoesterreich-akademie/<br />
52<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
BEZAHLTE ANZEIGE<br />
Mein Karriereticket in die Zukunft<br />
Egal, ob weiblich oder männlich: Wer Talent hat, sich engagiert und etwas leisten will, ist bei<br />
den ÖBB genau richtig. Und wer bei uns erfolgreich seine Lehre absolviert, kann sich sein<br />
Karriereticket in die Zukunft sichern.<br />
GANZ GLEICH, WAS DU WILLST –<br />
BEI UNS KANNST DU ES WERDEN<br />
Die ÖBB sind eines der größten Unternehmen und einer<br />
der größten Lehrlingsausbilder Österreichs. Aktuell<br />
absolvieren 1.700 Lehrlinge in ganz Österreich ihre<br />
drei- oder vierjährige Ausbildung. Und so wie jedes Jahr<br />
wurden auch heuer wieder rund 500 Lehrlinge aufgenommen,<br />
die aus 23 Lehrberufen wählen konnten. Bist<br />
du ein technischer Typ? Dann beginne eine Ausbildung<br />
als EisenbahnbetriebstechnikerIn oder als FahrzeugtechnikerIn.<br />
Zieht es dich eher ins Büro? Dann starte<br />
bei uns als Lehrling zur Mobilitätsservicekauffrau, Mobilitätsservicekaufmann<br />
oder als Speditionskauffrau,<br />
Speditionskaufmann. Reparierst du gerne Schaltanlagen?<br />
Dann lass dich bei uns zur ElektrotechnikerIn ausbilden.<br />
Oder willst Du beim Postbus arbeiten? Du hast<br />
die Wahl!<br />
Alle Infos unter<br />
karriere.oebb.at/lehrberufe<br />
Schau gleich rein!<br />
VIER SCHRITTE ZU DEINEM LEHRPLATZ<br />
So wirst du ÖBB-Lehrling:<br />
Informiere dich im Internet unter karriere.oebb.<br />
at/lehrberufe und schicke uns deine vollständig<br />
ausgefüllten Bewerbungsunterlagen.<br />
Nach bestandenem Auswahlverfahren geht’s zur<br />
berufsspezifischen Eignungsuntersuchung.<br />
Jetzt fehlen nur noch ein überzeugendes<br />
Vorstellungsgespräch …<br />
… und deine Unterschrift unter Deinem Lehrvertrag.<br />
Und schon bist Du im Team dabei!<br />
Lehre: Gleisbautechnik<br />
Lehre als Gleisbautechnikerin: Anela ist eine junge, moderne Frau in einem<br />
„Burschenjob“.<br />
Anela: Ich suche immer die Herausforderung –<br />
bei den ÖBB habe ich sie gefunden!<br />
Früher wollte Anela Stewardess oder Fotografin<br />
werden: „Doch schon bald wurde mir bewusst,<br />
dass ich mich in der Welt der Technik<br />
am wohlsten fühle. Schon als Schülerin wollte<br />
ich immer vorankommen. Die Aufstiegschancen<br />
und Weiterentwicklungsmöglichkeiten bei<br />
den ÖBB und der Umgang mit Lehrlingen waren<br />
mir daher besonders wichtig“.<br />
Als eines der wenigen Mädchen in einer ,von<br />
Männern dominierten‘ Berufswelt beweist die<br />
gebürtige Salzburgerin ihren Mitschülern und<br />
zukünftigen Kollegen jeden Tag aufs Neue,<br />
dass Mädchen in der Technik mindestens genauso<br />
erfolgreich sind, wie Jungs.<br />
Lehre:<br />
Elektro – Anlagen-<br />
und Betriebstechnik<br />
Wieso hast du dich für die Lehre als<br />
Gleisbautechnikerin entschieden?<br />
Auf die Idee bin ich über einen<br />
Freund gekommen, der ebenfalls<br />
bei den ÖBB seine Lehre macht.<br />
Entscheidend war für mich der gute<br />
Umgang der ÖBB mit den Lehrlingen.<br />
Man wird super behandelt, es<br />
gibt tolle Aufstiegschancen, man<br />
reist viel und lernt ständig neue<br />
Leute kennen.<br />
Was macht dir bei der Ausbildung<br />
zur Gleisbautechnikerin am meisten<br />
Spaß, was ist am spannendsten?<br />
Am interessantesten finde ich die<br />
Vermessung. Vor allem deshalb,<br />
weil dieser Teil meiner Ausbildung<br />
zu Beginn am schwierigsten<br />
für mich war. Besonders freue ich<br />
mich schon auf den Einsatz draußen,<br />
auf den Gleisen.<br />
53
almanah<br />
производителност<br />
Leistung auf bulgarisch<br />
54<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
KULTUR<br />
Kulturschock: In Österreich lebt man mit Hunden „zusammen“.<br />
Männer begrüßen sich nicht untereinander mit Bussis, sondern sie<br />
begrüßen nur Frauen so. Und in Museen hängen, stehen und räkeln<br />
sich splitternackte, weiße Körper. Geflüchtete Personen kommen<br />
in Österreich ins Staunen und Straucheln. Was ist hier der richtige<br />
Weg – muss Rücksicht genommen werden oder eine besondere<br />
Kulturvermittlung stattfinden?<br />
S. 58-59<br />
KULTURSCHOCK ÖSTERREICH!<br />
Die syrische Perspektive: Zakarya stammt aus Damaskus<br />
und staunt in Wien. Die 5 größten Unterschiede zwischen<br />
seinem alten und neuen Zuhause.<br />
S. 60-61<br />
KUNSTSCHOCK NACKTER MANN?<br />
Die Gesellschaft wird diverser. Die historische Kunst<br />
bleibt europäisch, weiß und nackig. Wirken die Kunstbestände<br />
beleidigend und irritierend auf MitbürgerInnen<br />
anderer Kulturen?<br />
Marko Mestrović, Hans Memling/KHM<br />
S. 62<br />
INTEGRATION DURCH JOURNALISMUS:<br />
Drei Absolventen der Biber-Akademie wurden unter die<br />
besten 30 unter 30 Jung-Journalisten Österreichs gewählt.
almanah<br />
KULTURSCHOCK<br />
5<br />
Unterschiede<br />
zwischen<br />
Syrien und<br />
Österreich<br />
Ich komme aus Damaskus, der Hauptstadt<br />
Syriens. Ich wohne seit anderthalb<br />
Jahren in Österreich und muss<br />
gestehen, dass mich das neue Land am<br />
Anfang mit einem Kulturschock begrüßt<br />
hat. Von Hunden als Haustieren bis hin zur<br />
Begrüßung per Handschlag: Hier eine Liste<br />
mit fünf Unterschieden zwischen Syrien<br />
und Österreich, mit denen ich immer noch<br />
zurechtkommen muss:<br />
1. Die Begrüßung<br />
In Syrien sind drei Küsschen auf die Wange als Begrüßungsform gang<br />
und gäbe. Immer zwischen zwei Männern oder zwei Frauen, selten aber<br />
zwischen einem Mann und einer Frau, was hier ganz normal ist. Mehrmals<br />
ist mir Folgendes passiert: Ich küsse meine Freunde auf die Wange<br />
und einige Menschen in meiner Umgebung missverstehen meine sexuelle<br />
Orientierung. Seitdem pflege ich, andere Männer per Handschlag zu<br />
begrüßen. So tanze ich nicht mehr aus der Reihe.<br />
2. Das Essen<br />
Damaskus ist nicht so multikulturell wie Wien. Aus diesem Grund isst<br />
man in den Restaurants in 95 Prozent der Fälle nur syrisch. Wien ist aber<br />
anders: Hier kann ich am Montag spanische Speisen genießen, mir am<br />
Donnerstag Pizza und Pasta gönnen und am Wochenende griechische<br />
Leckereien probieren. Das ist das Beste an dieser Stadt: Man kann jederzeit<br />
eine kulinarische Reise um die Welt machen, ohne weiter als bis zum<br />
23. Bezirk zu fahren.<br />
3. Die Hunde<br />
In Syrien ist der Hund nur ein einfacher Wohnungsschützer und nicht<br />
der beste Freund des Menschen. Katzen dagegen erfreuen sich derselben<br />
Beliebtheit wie hier.<br />
Ich habe am Anfang die Liebe der Österreicher für ihre Hunde sehr<br />
bestaunt. Einmal habe ich einen Bekannten gefragt, ob er alleine wohnt.<br />
Seine Antwort hat mich ein bisschen verwirrt: „Nein, ich wohne mit<br />
meiner Freundin und meinem Hund zusammen.“<br />
4. Der Verkehr<br />
Damaskus ist eine Großstadt, die im Moment mehr Einwohner hat als<br />
Wien. Nichtsdestotrotz ist das einzige Verkehrsmittel in der syrischen<br />
Hauptstadt der Bus. Die syrischen Busse haben keine Klimaanlage. Man<br />
sagt bei uns nicht umsonst, dass man im Sommer wie ein Schwein<br />
schwitzt und im Winter friert wie ein Schneider. In Wien sind die öffentlichen<br />
Verkehrsmittel ein Privileg, die die Wiener mehr schätzen sollten.<br />
Ich bewundere es immer noch, dass keine Fahrt mit den Öffis, egal wie<br />
weit weg das Ziel ist, mehr als 40 Minuten dauert.<br />
5. Das Wetter<br />
Egal was im Geografie-Lehrbuch steht: Österreich hat meiner Meinung<br />
nach nur zwei Jahreszeiten – den Sommer und den Winter. In Syrien<br />
gibt es zum Glück immer noch Übergänge. Die syrischen Sommer und<br />
Winter verhalten sich aber, wie es sich gehört: 50 Grad im Juli und eine<br />
meterhohe Schneeschicht im Jänner sind nichts Außergewöhnliches. Ich<br />
finde den Sommer in Wien ganz gemütlich. 30 – 35 Grad sind für mich<br />
die perfekte Temperatur und keine Sahara-Hitze wie die Wiener glauben.<br />
56<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
Zakarya<br />
Ibrahem, 26,<br />
aus Damaskus,<br />
schreibt über das<br />
Leben eines jungen<br />
Syrers in Wien.<br />
Marko Mestrović<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 57
almanah<br />
Wer hat Angst vorm<br />
nackten Mann?<br />
Die Gesellschaft wird diverser. Die<br />
historische Kunst bleibt europäisch,<br />
weiß und nackig. Es wird diskutiert,<br />
ob die Kunstbestände beleidigend<br />
und irritierend auf MitbürgerInnen<br />
anderer Kulturen wirken könnten.<br />
Doch eine Gruppe wurde nicht<br />
befragt: Jene, die es angeblich<br />
betrifft. Wen konkret stören denn<br />
die Nacktbilder im Museum?<br />
T E X T :<br />
Jelena Pantić<br />
Beim Italienbesuch des iranischen<br />
Präsidenten Rohani wurden Anfang<br />
des Jahres nackte Statuen verhüllt,<br />
aus Respekt gegenüber seiner Kultur und<br />
seinem Glauben. Nach dieser Logik gäbe<br />
es in Österreich auch genug Menschen,<br />
die sich theoretisch von Aktdarstellungen<br />
in Museen irritiert fühlen könnten. Aber<br />
ist das der richtige Weg beziehungsweise<br />
überhaupt notwendig? Andreas Zimmermann,<br />
Leiter der Kunstvermittlung des<br />
Kunsthistorischen Museums, sieht das so:<br />
“Wir haben so gut wie nie mit Besuchern<br />
zu tun, die völlig unvorbereitet und dann<br />
schockiert vor den Werken stehen, denn<br />
die kommen sowieso gar nicht erst hinein.”<br />
Das möchte das KHM gerne ändern, offener<br />
und ein Museum für alle werden. Doch<br />
müsste es dann seine Kunst auch anders<br />
vermitteln? “In der Präsentation ändert<br />
sich mal nichts. In der Vermittlung würde<br />
es relevant werden, wenn diese Zielgruppe<br />
massiver bei uns auftauchen würde, das ist<br />
bislang ja leider nicht der Fall. Außer natürlich<br />
bei SchülerInnen”, sagt Andreas.<br />
Fotos: Jüngling vom Magdalensberg; Eva, Hans Memling, KHM; Workshop „Strike a pose“, Rolf Wienkötter & Larissa Kopp<br />
58<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
ist der Gedanke, nach Gottes Ebenbild<br />
geschaffen zu sein und das nicht verstecken<br />
zu müssen. Die Götterder Antike, die von<br />
den Renaissancekünstlern wiederentdeckt<br />
wurden, waren oft nackt. Diese historischen<br />
Momente sind für Europäer sehr wichtig,<br />
spielen in der islamischen Kultur aber beispielsweise<br />
keine Rolle.<br />
Warum so viel Nacktheit?<br />
Ein konkretes Beispiel: Nehmen “österreichische”<br />
Kinder und jene mit Migrationshintergrund<br />
die Kunst in österreichischen<br />
Museen verschieden wahr? “Kinder interessieren<br />
Geschichten, sie wollen wissen,<br />
was auf dem Bild vor sich geht. Und da<br />
gibt es keinen Unterschied zwischen mit<br />
und ohne Migrationshintergrund”, erzählt<br />
Larissa Kopp, die schon viele SchülerInnenführungen<br />
im KHM hinter sich hat.<br />
Sie bespricht mit den Kindern den meist<br />
geschichtlichen Hintergrund der Nacktheit.<br />
Und den verstehen Mädchen mit Kopftuch<br />
genauso wie jene ohne. Larissa persönlich<br />
hat es zwar noch nicht erlebt, es kam<br />
jedoch bei Kollegen vor, dass sich Kinder<br />
und Erwachsene schon umgedreht haben,<br />
um gewisse Nacktszenen nicht zu sehen.<br />
Andreas traf eine syrische Frau, die ihn nach<br />
einer Führung fragte, warum wir denn so<br />
viele Nacktdarstellungen in Europa hätten.<br />
Er erklärt, dass die Stärkung des Individuums<br />
in Europa durch die Renaissance und<br />
durch die Französische Revolution stattfand.<br />
Ein Grund für die viele Nacktheit<br />
Mit oder ohne Busenblitzer<br />
In einem gemeinsamen Projekt des Kunsthistorischen<br />
Museums und der Caritas<br />
werden regelmäßig Gruppen von Flüchtlingen<br />
gratis ins Museum eingeladen. Im<br />
Workshop “Strike a pose” stellten die<br />
Flüchtlinge Bilder nach, die ihnen am<br />
besten gefallen hatten. Mit den sinnlich<br />
ansprechenden Darstellungen gab es keine<br />
Schwierigkeiten, im Gegenteil, sie fanden<br />
sie wunderschön. Die Geschichte hinter<br />
den Bildern und die Kunst selbst er-wecken<br />
gewisse Emotionen und mit Emotionen<br />
kann jeder und jede etwas anfangen. Ob mit<br />
Busenblitzer oder ohne.<br />
Aber wen stört es denn jetzt? Menschen,<br />
die es nicht betrifft, diskutieren darüber,<br />
was den anderen sauer aufstoßen könnte.<br />
Wir haben im Zuge des Schülerbiberprojekts<br />
in einer Klasse mit 15-Jährigen in<br />
einem Wiener Polytechnikum nachgefragt:<br />
Stören euch Bilder von nackten Menschen<br />
im Museum? Alle SchülerInnen waren sich<br />
einig, dass sie sich nicht gestört fühlen<br />
würden. Die Hauptbegründung war: Nacktheit<br />
ist normal, es sind doch nur Menschen<br />
wie man selbst. Manche Schüler haben auch<br />
gesagt, dass es sie nicht stört, weil es nicht<br />
echt ist, sondern Kunst.<br />
Die ganze Debatte ist recht theoretisch.<br />
Ein wahres Problem scheint es ja nicht zu<br />
sein. “Man sieht das in Deutschland und<br />
Österreich oft, dass in einer quasi vorausschauenden<br />
Angst gehandelt wird”, sagt<br />
Andreas. Es scheint aber so, als wüssten<br />
unsere Kinder, MigrantInnen und Flüchtlinge<br />
ganz gut, was sie da vor sich sehen<br />
und wie sie damit umgehen sollen. Und<br />
die, die sich wirklich davon gestört fühlen<br />
und mit europäischer Kunst so gar nichts<br />
anfangen können, die gehen wahrscheinlich<br />
weder jetzt noch künftig ins Museum. <br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 59
almanah<br />
Made<br />
by<br />
biber<br />
Drei AbsolventInnen der<br />
biber-Akademie gehören<br />
dieses Jahr zu den besten<br />
30 JournalistInnen<br />
unter 30 in Österreich.<br />
Alexandra Stanic, Marian Smetana und Nour Khelifi (v.l.n.r.) gehören laut dem Branchenmagazin „Der<br />
Journalist“ zu den 30 besten Jungjournalisten Österreichs.<br />
NOUR KHELIFI hat im Herbst 2013 ihr biber-Praktikum<br />
angetreten. Seither arbeitet sie als freie Journalistin<br />
für die Wiener Zeitung, Progress und Südwind<br />
und hat bei ORF/„Thema“ und Dok1 mitgearbeitet. Die<br />
22-Jährige absolviert derzeit ein Praktikum bei Ö3 und<br />
ist Sprecherin bei Ö1 und Ö3 bei der Sendung „Einfach<br />
zum Nachdenken“. Zudem leitet sie zusammen mit<br />
ihrer Kollegin Dajana Marunić das Kulinarik-Ressort<br />
bei biber. Für eine Cover-Geschichte war sie im März<br />
undercover in islamischen Kindergärten unterwegs,<br />
diese Reportage hat es unter die Top 15 Geschichten von<br />
2015 in der Rubrik „Glaubwürdigkeit“ geschafft.<br />
MARIAN SMETANA war 2012 Teil der biber-Akademie,<br />
danach freier Video- und Printjournalist und ist<br />
seit 2014 bei den Salzburger Nachrichten angestellt.<br />
Dem 29-Jährigen sind gesellschaftspolitische Themen<br />
ein besonderes Anliegen, zu seinen beruflichen Meilensteinen<br />
gehören Reportagen über den Arbeiterstrich<br />
in Wien, der Besuch Heinz Fischers bei Wladimir Putin<br />
und sein Selbstversuch als Obdachloser. Zudem war er<br />
im Kosovo und in Gaza und hat über die dortige Lage<br />
berichtet.<br />
Auch ALEXANDRA STANIĆ hat 2012 die biber-Akademie<br />
absolviert, hat ihr Folgepraktikum bei der bosnischen<br />
Tageszeitung „Oslobodjenje“ und „Standard“<br />
angetreten und war 2013 „Presse“-Reporterin Ost.<br />
Danach war die 25-Jährige als freie Journalistin tätig.<br />
Zu ihren größten Erfolgen zählt die Reportage „Die<br />
Haut Gottes“, die auf stern.de erschienen ist, sowie die<br />
Cover-Geschichte „Bist du behindert“, die sie für biber<br />
geschrieben und fotografiert hat. Seit September 2015<br />
ist sie biber-Akademieleiterin, seit April <strong>2016</strong> moderiert<br />
sie die neue Magazinsendung „Oktoscout“ auf Okto TV.<br />
Die biber-Akademie bildet JungjournalistInnen mit<br />
internationalen Wurzeln aus und bereitet sie auf die<br />
Medien- und Kommunikationswelt vor. Zwei Monate<br />
lang werden je vier Stipendiaten ausgebildet, sie veröffentlichen<br />
ihre Interviews, Berichte und Reportagen<br />
online und im Heft. Einen weiteren Monat absolvieren<br />
die biber-AkademikerInnen in einem Partnermedium<br />
oder einer Pressestelle ihrer Wahl. Die Akademie wird<br />
durch Sponsoren finanziert. (Siehe rechts)<br />
Bewerbungen mit CV und drei Story-Vorschlägen an<br />
stanic@dasbiber.at<br />
Marko Mestrovic / picturedesk.com, Andreas Jakwerth, www.richardtanzer.com, Felicitas Matern, Picasa<br />
60<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
Partner der biber-Akademie:<br />
„Mir ist eine Versachlichung der Integrationsdebatte<br />
sehr wichtig. Dabei können<br />
Journalisten mit Migrationsbackground viel<br />
dazu beitragen und daher unterstützen wir<br />
die biber-Akademie. Zudem geht es mir<br />
aber darum, dass Integration gelebt wird<br />
und auch möglichst viele Menschen mit<br />
unterschiedlichsten Lebensgeschichten im<br />
Journalismus beschäftigt sind.“<br />
SEBASTIAN KURZ, Bundesminister für<br />
Europa, Äußeres und Integration<br />
„Wir sind ein internationaler Öl- und Gaskonzern,<br />
in dem mehr als 60 Nationen<br />
an einem Strang ziehen. Das macht uns<br />
erfolgreich und stark. Integration wird bei<br />
uns gelebt und gespürt, einer von uns ist<br />
immer in einem unserer 30 Länder neu.<br />
Und deshalb hat uns, als OMV, die Idee der<br />
biber-Akademie sofort begeistert.“<br />
JOHANNES VETTER, Senior Vice President<br />
Corporate Communications, OMV<br />
„Damit Diversity und Inklusion keine Slogans<br />
bleiben, müssen beide Begriffe mit<br />
Leben erfüllt werden. Daher ist es wichtig,<br />
dass engagierte JungjournalistInnen mit<br />
migrantischen Wurzeln ihre Fähigkeiten<br />
einbringen und die Sichtweisen der Medien<br />
erweitern. Die Wirtschaftskammer Wien<br />
unterstützt die Biber-Akademie, um diese<br />
Generation der neuen ÖsterreicherInnen<br />
auf ihrem Weg zu stärken.“<br />
WALTER RUCK, Wiener Wirtschaftskammer-Präsident<br />
„Als öffentliches Unternehmen steht<br />
die ÖBB zu Recht oft im Fokus medialer<br />
Berichterstattung. Uns gefällt, dass<br />
die biber-Akademie nicht nur talentierte<br />
Jung-JournalistInnen ausbildet, sondern<br />
darüber hinaus gezielt die Internationalität<br />
und Diversität der Medien- und Kommunikationsbranche<br />
erhöht.“<br />
SVEN PUSSWALD, Leitung Konzernkommunikation<br />
& Public Affairs, ÖBB<br />
„Die biber-Akademie ist eines der großartigsten<br />
journalistischen Nachwuchs-Projekte<br />
Österreichs. Gerade die Vielfalt und<br />
die Internationalität der Beteiligten machen<br />
auch die Qualität der Redaktion aus. Wir<br />
freuen uns einen Beitrag leisten zu können<br />
und wünschen der nächsten Generation von<br />
Jungjournalistinnen und -journalisten eine<br />
erfolgreiche Karriere in den Top-Medien<br />
des Landes.“<br />
WOLFGANG FASCHING-KAPFEN-<br />
BERGER, Communications & Public<br />
Affairs Manager, Google Austria<br />
„Migration ist ein wichtiges Thema in den<br />
österreichischen Medien. Die biber-Akademie<br />
gibt jungen Menschen mit Migrationshintergrund<br />
die Chance Journalismus<br />
zu lernen, um die Berichterstattung mitzugestalten<br />
– durch ihre Erfahrungen, ihr<br />
Wissen und ihr Engagement. Wir von der<br />
Wiener Städtischen Versicherung freuen<br />
uns, dieses Projekt zu unterstützen.“<br />
SABINE WEISS, Leiterin Werbung und<br />
Sponsoring, Wiener Städtische Versicherung<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 61
almanah<br />
Desarrollo<br />
Entwicklung auf spanisch<br />
62<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
Good News<br />
Schlechte Nachrichten gibt es genug. Das<br />
Jahr <strong>2016</strong> hat zum Glück auch positive<br />
Schlagzeilen geliefert. Ein Überblick.<br />
Refugees work!<br />
Adib, Obaida und Motassam möchten<br />
Newcomer gewinnt<br />
Integrationspreis!<br />
Wahrlich Chancen-reich!<br />
Die Schlange im Museumsquartier war<br />
arbeiten. In ihren Berufen – als<br />
<strong>2016</strong> geht für Österreichs größte<br />
lang. Sehr lang. Mit diesem Ansturm auf<br />
Buchhalter, Ingenieur und Koch. Sie<br />
Schülerredaktion mit Ruhm und Ehre zu<br />
die erste Berufsmesse für Geflüchtete hatte<br />
haben gute Chancen. Alle drei haben<br />
Ende. Nicht nur, dass die Winter-Ausgabe<br />
man im Sommer <strong>2016</strong> nicht gerechnet.<br />
sich auf der Online-Jobplattform<br />
des Biber„Newcomers“ mit seiner<br />
„Chancen:reich“, obwohl nur in 4 Monaten<br />
Refugeeswork.at registriert. Mehr als<br />
Cover-Geschichte „Generation Haram“<br />
auf die Beine gestellt, war ein voller Erfolg.<br />
4500 Registrierungen von geflüchteten<br />
hohe Wellen schlug, auch international.<br />
Es kamen mehr als 3500 Besucher und 70<br />
Personen zählt die Plattform bereits,<br />
Das gesamte Newcomer-Projekt gewann<br />
Aussteller informierten über 1000 freie<br />
und 275 von ArbeitgeberInnen. Die<br />
dieses Jahr den Journalisten-Sonderpreis<br />
Stellen und Ausbildungsmöglichkeiten. Vor<br />
Unterstützung der Geflüchteten ist<br />
für Integration. Zweimal im Jahr geht<br />
Ort fanden 900 Bewerbungsgespräche statt<br />
kostenlos. Wer sich registriert hat und<br />
Biber unter Leitung von Melisa Erkurt in<br />
und zum Schluss wurden 200 Jobs<br />
seinen Lebenslauf eingegeben hat,<br />
Wiener Schulen und bringt im Rahmen<br />
vermittelt. „Die vermittelten Personen<br />
Andi Bruckner, Dragan Tatić, chancenreich, ideegration, Daniel Auer<br />
dem schlägt Refugeeswork.at passende<br />
Stellen vor. Der Service unterstützt<br />
zudem auch bei der Vorbereitung auf<br />
Bewerbungsgespräche oder informiert<br />
über Ausbildungsmöglichkeiten. Dass diese<br />
Idee von Gründern Fatima Almuktha und<br />
Dominik Beron top ankommt, zeigt sich<br />
nicht nur bei den Usern. Refugeeswork.<br />
at gewann <strong>2016</strong> den höchstdotierten Preis<br />
für Sozialunternehmer, den „Get Active<br />
Social Business Award“. Der Preis wird<br />
von Coca-Cola verliehen und mit stolzen<br />
80.000 Euro gekürt. Das Motto: „Wer etwas<br />
bewegen will, muss aktiv werden!“<br />
einer Projektwoche den Schülern das<br />
Grundwerkzeug des Journalismus bei.<br />
Das Ergebnis gibt es Online und in den<br />
Newcomer-Ausgaben zu lesen. In schicker<br />
Atmosphäre und vor rotem Samt wurde<br />
also die Trophäe von Integrationsminister<br />
Sebastian Kurz und vom Chef des<br />
Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF)<br />
Franz Wolf überreicht. Darüber freuten sich<br />
besonders die zahlreichen SchülerInnen,<br />
die vor Ort waren und davon erzählten, wie<br />
gut es ist, eine Stimme zu erhalten und zu<br />
erleben, dass ihre Meinung zählt.<br />
befinden sich noch immer in den<br />
Anstellungsverhältnissen“, heißt es auf der<br />
Website. Im Biber-Interview erzählten die<br />
beiden Initiatoren der Messe, Stephanie<br />
Cox und Leo Wiedrich, wie es zur Idee kam.<br />
„Wir wollten unseren Kindern nicht<br />
erzählen wollen, dass wir zwar gesehen<br />
haben, dass eine Herausforderung kam,<br />
aber alles einfach der Politik überlassen<br />
haben. Bildung und Arbeit sind die<br />
wichtigsten Bausteine der Integration. Die<br />
Menschen, die gekommen sind, bleiben<br />
nicht paar Monate. Wir kommen beide aus<br />
der Unternehmerszene und im Bereich<br />
“employment” konnten wir eben den<br />
größten Impact schaffen.“<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 63
almanah<br />
Impressum<br />
Medieninhaber:<br />
biber Verlagsgesellschaft m.b.H.<br />
Herausgeber und Chefredakteur:<br />
Simon Kravagna<br />
Redaktionelle Leitung:<br />
Melisa Erkurt, Delna Antia<br />
Diversity macht Karriere!<br />
Auch beim vierten Mal erfolgreich!<br />
Im Oktober <strong>2016</strong> ging die fair.versity<br />
Austria <strong>2016</strong> über die Bühne – diesmal<br />
unter der Schirmherrschaft des BMVIT,<br />
dem Bundesministeriums für Verkehr,<br />
Innovation und Technologie. Über<br />
40 ausstellende und mitwirkende<br />
Organisationen, mehr als 45 Speaker und<br />
über 1.500 BesucherInnen (davon rund<br />
70% Frauen) haben die Messe im MAK<br />
Wien als erfolgreiches Messe Start-Up in<br />
Österreichs etabliert. Unter zahlreichen<br />
Aktivitäten gab es auch die Möglichkeit<br />
seinen Lebenslauf auf Deutsch und<br />
Englisch prüfen zu lassen. Der CV-Check<br />
wurde von über 300 Personen genutzt.<br />
Zudem konnten die Besucher professionelle<br />
Bewerbungsfotos von sich erstellen zu<br />
lassen, es gab auch ein Karriere-Coaching<br />
und das VIP-Business-Speed-Dating. Bei<br />
Letzterem nahmen 10 Flüchtlinge aus<br />
unterschiedlichen Ländern teil.<br />
5 Jahre<br />
Integrationsbotschafter!<br />
Gratulation! ZUSAMMEN:ÖSTERREICH<br />
feiert 5-jähriges Bestehen. Die<br />
Idee von Sebastian Kurz 2011,<br />
IntegrationsbotschafterInnen zu ernennen,<br />
war eine seiner ersten Handlungen als<br />
damaliger Staatssekretär für Integration.<br />
Seit dem Start der Initiative konnten<br />
über 360 Menschen mit Migrations- oder<br />
Fluchthintergrund als BotschafterInnen<br />
gewonnen werden. Sie erzählen in Schulen<br />
über die Chancen und Herausforderungen<br />
in ihrem Integrationsprozess und konnten<br />
damit bereits über 50.000 SchülerInnen<br />
in ganz Österreich erreichen. Franz Wolf,<br />
Geschäftsführer des Österreichischen<br />
Integrationsfonds (ÖIF): „Die Initiative<br />
ZUSAMMEN:ÖSTERREICH hat ihren<br />
Wirkungsbereich in den letzten Jahren über<br />
die Schule hinaus auf zahlreiche weitere<br />
wichtige Lebensbereiche wie Ehrenamt,<br />
Sport und Arbeitsmarkt erweitert.“ Es<br />
haben sich weitere Projekten entwickelt,<br />
wie die ZUSAMMEN:ÖSTERREICH<br />
Akademie für Studierende oder die<br />
Fußballinitiative „Teamplay ohne Abseits“.<br />
Redaktion:<br />
Sarah Al-Hashimi<br />
Muhamed Beganović<br />
Andrea Grman<br />
Adriana Davidović<br />
Adam Bezeczky<br />
Sarah Mohammadi<br />
Zakaryra Ibrahem<br />
Jelena Pantić<br />
Gastautoren:<br />
Martin Beglinger (NZZ)<br />
AD & Grafik:<br />
Dieter Auracher<br />
Fotoredaktion:<br />
Marko Mestrović<br />
Projektkoordination:<br />
Adam Bezeczky<br />
Lektorat:<br />
Christina Gaal<br />
Druck:<br />
Styria GmbH & Co KG<br />
Styriastraße 20, 8042 Graz<br />
Auflage:<br />
50.000<br />
Kontakt:<br />
biber Verlagsgesellschaft m.b.H.<br />
Museumsplatz 1, E-1.4, 1070 Wien<br />
redaktion@dasbiber.at<br />
+43 1 95 77 528<br />
© <strong>2016</strong> biber<br />
UID ATU 6369 3346 - FN 297923y<br />
64<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
mehr<br />
w en<br />
zum<br />
leben.<br />
Ihre LEBENSQUALITÄT<br />
ist unsere Aufgabe.<br />
Kultur, Immobilien, Logistik und Medien:<br />
Die Wien Holding schafft Lebensqualität für unsere<br />
Stadt. 365 Tage im Jahr zu jeder Zeit an jedem Ort.<br />
Für alle Wienerinnen und Wiener.<br />
www.wienholding.at<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 65
almanah<br />
Foto: Igor Minić<br />
Ivanas Welt<br />
Papa Baustelle,<br />
Mama putzen<br />
und wir ins Büro<br />
Lebensträume sind schon seltsam. mehr Putzlappen und Schaufel schwingen<br />
Erfüllt man sich den einen oder müssen, sondern die Stufe einer sauberen<br />
anderen, kann der Fokus eine ganz Arbeit erreichen und im Büro einer tollen<br />
andere Richtung einschlagen. Und beim Firma sitzen dürfen. Ja, das war wohl der<br />
Erreichen der Ziellinie merkt man, dass ein Traum vieler unserer Eltern. Hauptsache<br />
gewisser Stillstand im Leben nach weiteren<br />
Zielen und Träumen schreit. Erreichte res - vor dem Computer sitzen - Tag ein,<br />
Büro, gute Arbeit, nichts körperlich Schwe-<br />
Ziele können sich nach einer Weile dann Tag aus.<br />
wie ein altes Möbelstück anfühlen, auf<br />
welches man lange gespart hat, sich dann Haus, in dem keiner wohnt<br />
leisten konnte und satt gesehen hat. Und Dreckslöcher kennen viele von uns. Das<br />
das betrifft nicht nur Materielles, sondern war der Start vieler Migrantenkinder in<br />
auch Lebensabschnitte, die man Schritt für ihr neues Leben, als Österreich zur neuen<br />
Schritt meistert und dann plötzlich beim Heimat wurde. Dann sparte man, fuhr nicht<br />
Erreichen denkt: Und was jetzt? Macht mich in fremde Länder, sondern auf Heimaturlaub<br />
und sah zu, dass man entweder unten<br />
das jetzt auf Dauer glücklich?<br />
ein geiles Haus baut oder hier eine Eigentumswohnung<br />
für die Kinder hinterlässt.<br />
Bürojob statt Putzlappen<br />
Beim Spaziergang im Park kam ich mit Und dann sagte sie zu mir: “Da spare ich<br />
einer bosnischen Frau ins Gespräch. Sie mein Leben lang auf das Haus unten, haben<br />
war bereits in Rente und hatte vor dieser uns hier die Wohnung eingerichtet, zahlten<br />
Kredite ab und jetzt kann ich das alles<br />
Zeit eine sehr gängige Berufslaufbahn der<br />
ersten Generation hinter sich - sie Putzen, nicht mehr sehen.” Sie sucht die Natur. Der<br />
Mann Baustelle. Und sie sprach über ihre Fokus ihrer Kinder hat sich verändert, ganz<br />
Ambitionen, wofür man ein Leben lang anders als man sich das vorgestellt hat. Sie<br />
gehakelt hat. Damit Sohn und Tochter nicht fahren nicht runter und werden wohl nie im<br />
gebauten Haus wohnen, außer das eine oder<br />
andere Mal im Urlaub, wenn keine fremden<br />
Länder in Planung sind. Und weil die Kinder<br />
hier sind, zieht es viele Eltern auch nicht<br />
mehr in die Heimat. Man will seine Enkel<br />
sehen.<br />
Luxus Selbst findungstrip<br />
Und das Ganze jetzt aus der Perspektive<br />
eines Migrantenkindes, wie ich eines bin.<br />
Ja, dieses Denken “Geh Schule, dann musst<br />
nicht putzen und sitzt im geilen Büro” hat<br />
auch mich geprägt. Welcher Beruf passt zu<br />
mir? Was will ich im Leben machen? Bin ich<br />
ein Bürotyp, wo einem die Klimaanlage ins<br />
Gehirn bläst? Oder doch eher Tierpfleger,<br />
Archäologe, Gärtner, weil ich doch Bock<br />
hab in der Erde herum zu wühlen und mich<br />
die Natur mehr erfreut als geschlossene<br />
Räume?<br />
Ja, diesen Luxus sich in der Jugendzeit<br />
zu entscheiden oder mehrmals die Studienrichtungen<br />
zu wechseln, bis es passt, hatten<br />
viele von uns nicht. Es musste irgendwie<br />
schnell gehen. Schnell die Schule fertig,<br />
schnell entscheiden, was man will, schnell<br />
vorwärts kommen, den Aufstieg schaffen -<br />
weg vom Putzlappen und dann ab ins Büro.<br />
Aber irgendwann kann einen das Ganze<br />
einholen. Plötzlich kann der Fokus ganz wo<br />
anders liegen. Da ist dann die Frage: Schafft<br />
man dann den “Umstieg” oder verschiebt<br />
man die Träume auf die dritte Generation,<br />
funktioniert bis zur Rente für seine Kinder,<br />
damit die irgendwann vielleicht Auslandsstudien,<br />
Weltreisen und Selbstfindungstrips<br />
machen können und dann in der Erde<br />
wühlen, wenn ihnen danach ist? <br />
In Ivanas WELT berichtet biber-Redakteurin<br />
Ivana Martinović über ihr daily life.<br />
66<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
almanah<br />
Neuer Impfstoff<br />
W I R<br />
UNS.<br />
HPV ist keine reine Mädchensache. Krebs geht alle an. IMPFEN SCHÜTZT.<br />
Entgeltliche Einschaltung<br />
Für Kinder von 9 bis 12 wird die HPV-Impfung<br />
(Humane Papilloma-Viren) kostenlos angeboten.<br />
Informieren Sie sich auf www.bmgf.gv.at/HPV<br />
und fordern Sie die Gratis-Broschüre an.<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 67
almanah<br />
UNSER HEER<br />
WASSER<br />
UND STROM:<br />
DAS SCHÜTZEN WIR.<br />
Die Miliz. Bringt mehr Heer: Unsere Milizsoldatinnen und Milizsoldaten<br />
leisten unverzichtbare Beiträge für die Sicherheit unseres Landes. Zum Beispiel<br />
beim Schutz der Wasser- und Energieversorgung vor terroristischen Angriffen.<br />
Auf unsere Miliz ist Verlass.<br />
MIT SICHERHEIT.<br />
bundesheer.at<br />
68<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION