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Tanz in den Mai?
Phil stand vor seinem mannshohen Drehspiegel und überprüfte seine Erscheinung.
Seufzend griff er nach dem schwarz-anthrazit karierten Halstuch und band es sich um
den Hals, dann drapierte er den Stoff auf seiner Haut. Diesmal standen an seinem guten
cremefarbenen Leinenhemd nur die obersten beiden Knöpfe offen. Für seine Verhältnisse
gab er sich also zugeknöpft. Als letztes griff er nach der der schwarzen Lederweste, die
sein Outfit komplettierte. Diese endete, genau wie es sein sollte, zwei Fingerbreit über
dem Bund seiner engen dunkelblauen Jeans. Auch seine Füße steckten in schwarzen
Cowboy-Stiefeln und machten sein Aussehen fast perfekt. Es fehlte im Grunde nur der
Stetson. Resigniert wand sich Phil vom Spiegel ab und trat ans Fenster. Sein Blick ging
über das abendliche Rising Tide. Vom Saloon aus hatte er den perfekten Blick über die
Hauptstraße, bis hinüber zum Dorfplatz.
Dort hatten die guten Bürger der Stadt alles für den sogenannten Frühlingstanz
vorbereitet. Eine großzügige Fläche hatte man mit Holzdielen zum Tanzen ausgelegt, ein
Podest war errichtet worden für die Band und es standen Sitzbänke und Tische zum
Ausruhen bereit. Würden sie noch auf der Erde leben, mit dem zwölfmonatigen Rhythmus
des blauen Planeten, würden sie heute den Tanz in den Mai feiern. Doch auf EUP III
dauerte das Jahr etwas länger und daher musste man kreativ sein. Symbolisch hatte
man das Feuer übernommen, wobei Phil genau wusste, dass man ein Feuer nicht zum
Maitanz entfachte, sondern zu Beltane, also zum Sommeranfang im Juni. Zur Begrüßung
des Wonnemonats gehörte eigentlich der Maibaum mit den vielen bunten Bändern, doch
wer wollte schon überkritisch sein!
Es gab nur einen Grund, warum Phil zu diesem Fest und allen anderen
Tanzveranstaltungen geduldet wurde: Es herrschte auf ganz EUP III Frauenmangel. Da die
feinen Leute von Rising Tide schließlich nicht nur die drei Huren einladen und Phil, den
einzigen männlichen Prostituierten, aussparen konnten, erstreckte sich die Einladung
auch auf ihn. Wie bei jeder solchen Veranstaltung in den vergangenen vier Jahren
begleitete er seine Kolleginnen dort hin, suchte sich dann ein Plätzchen irgendwo in der
Ecke und gab sich die Kante. Niemand forderte ihn zum Tanz auf, schließlich hatten die
Damen ja genügend Auswahl unter den rechtschaffenen Mitgliedern der Gesellschaft und
waren nicht auf einen Hallodri wie ihn angewiesen. Daher fühlte sich Phil bei solchen
Dorffesten einsamer als an jedem anderen Tag.
Einsamkeit war ein echtes Übel und er empfand sie mit jedem Jahr schlimmer. Dies lag
vielleicht am Alter. Als er mit gerade einmal einundzwanzig von der Erde weg ging,
sprühte er vor Abenteuerlust und Unternehmungsfreude. Doch er konnte auf keinem der
EUPs, den Auswandererplaneten, reguläre Arbeit finden, also heuerte er auf EUP V als
Reinigungskraft an. Nach nur drei Monaten erkannte er, dass er diesen Job maximal fünf
bis sechs Jahre machen könnte, dann wären seine Knochen und vermutlich auch seine
Lunge und Leber hin. Also suchte er zügig eine Alternative. Als er im Internet auf die
Stellenausschreibung eines professionellen Gesellschafters stieß, griff er sofort zu. Als
bisexueller Mann machte es ihm nichts aus, durch Sex seinen Lebensunterhalt zu
bestreiten. Doch er hatte nicht damit gerechnet, dass es einen so ins gesellschaftliche Aus
katapultierte. In Rising Tide würde er vermutlich nie mehr wie die männliche Hure sein.