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poLitiK<br />
aKademische ängste<br />
Von Prekariat spricht man, wenn die Unterschicht gemeint ist. Hartz IV ist<br />
nicht gerade das, was man an der Uni erwartet. Doch das akademische Prekariat<br />
ist bittere Realität.<br />
Von KAthArinA hilgenBerg. Foto von christiAn güse.<br />
Eva Lahnsteiner schmeißt hin. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin<br />
am Fachbereich Rechtswissenschaften liebt ihre<br />
Tätigkeit. »Ich wäre überglücklich, wenn ich diese bis ans<br />
Ende meines Lebens machen könnte«, sagt die 29-jährige. Aber der<br />
Unialltag macht die zierliche Doktorandin fertig. »Wenn ich noch<br />
zwanzig Jahre bleibe, bin ich ein Psychowrack.« Die Österreicherin<br />
zieht ihre Konsequenz und will der Uni endgültig den Rücken<br />
kehren.<br />
Eva ist kein Einzelfall. Es rumort im akademischen Mittelbau,<br />
dieser heterogenen Gruppe irgendwo zwischen Studienabschluss<br />
und Professur. Wissenschaftliche Mitarbeiter, Lehrbeauftragte, Stipendiaten,<br />
die vor allem eines eint: unsichere Zukunftsperspektiven<br />
und die Angst vor dem sozialen Abstieg.<br />
Der Mittelbau trägt die Hauptlast von Lehre, Forschung und<br />
Studierendenbetreuung, vor allem da der wissenschaftliche Sektor<br />
zwischen 1992 und 2009 expandierte: Während die Zahl der Professoren<br />
in dieser Zeit um 20 Prozent stieg, gab es bei den Stellen<br />
der wissenschaftlichen Mitarbeiter einen Zuwachs von 80 Prozent.<br />
Eine wissenschaftliche Karriere ist in Deutschland mit besonderen<br />
Risiken verbunden. Sichere Stellen unterhalb der Professur sind<br />
hierzulande selten. Britische und US-amerikanische Hochschulen<br />
hingegen bieten ihrem promovierten Nachwuchs sofort eigenverantwortliche<br />
Fünf-Jahres-Stellen mit guten Chancen auf Entfristung<br />
an.<br />
2009 waren laut einer Studie der Hochschul-Informations-System<br />
GmbH 83 Prozent der Arbeitsverträge wissenschaftlicher Mit-<br />
arbeiter befristet, über die Hälfte davon auf weniger als ein Jahr.<br />
Eva Lahnsteiner beklagt den enormen Druck. »Morgens wache ich<br />
auf und denke: Welche Stelle hast du in ein paar Wochen? Und:<br />
Ich muss endlich mit meiner Dissertation fertig werden! Dazu steht<br />
täglich ein Berg von Arbeit vor mir und ich weiß – das schaffe ich<br />
nie!«<br />
Eva hat eine halbe Stelle, 19,25 Wochenstunden laut Vertrag.<br />
Doch daran halten sich die wenigsten. Allein die Lehrverpflichtungen,<br />
Vor- und Nachbereitung, Studierendenbetreuung und<br />
Forschung sprengen meist den gesetzten Rahmen, ganz zu schweigen<br />
von Aufgaben, die nicht zum Stellenprofil gehören und<br />
trotzdem immer öfter von wissenschaftlichen Mitarbeitern<br />
erledigt werden: vom Kopieren, über Hotelbuchungen<br />
bis zum Catering. Dabei sollte dem Nachwuchswissenschaftler<br />
ein Drittel der Arbeitszeit zur Anfertigung<br />
seiner Promitions- oder Habilitationsschrift zu<br />
Verfügung stehen. Das tatsächliche Arbeitspensum<br />
nähert sich dem einer vollen Stelle. Nur<br />
gerüchteweise hat Eva von Professoren gehört,<br />
die die Arbeitslast den bezahlten<br />
Wochenstunden anpassen.<br />
»Das Problem der unbezahlten<br />
Überstunden betrifft 99,9<br />
Prozent des Mittelbaus«, sagt<br />
Christof Mauersberger.<br />
Der Politikwissenschaftler<br />
ist Mitglied der<br />
Furios 06/2011