Rosi Mittermaier Doppel-Olympiasiegerin im Gespräch mit Corinna ...
Rosi Mittermaier Doppel-Olympiasiegerin im Gespräch mit Corinna ...
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http://www.br-online.de/alpha/forum/vor0009/20000922.shtml<br />
Sendung vom 22.09.2000, 20.15 Uhr<br />
<strong>Rosi</strong> <strong>Mittermaier</strong><br />
<strong>Doppel</strong>-<strong>Olympiasiegerin</strong><br />
<strong>im</strong> <strong>Gespräch</strong> <strong>mit</strong> <strong>Corinna</strong> Halke-Teichmann<br />
Halke-Teichmann: Grüß Gott, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, schön, dass Sie bei<br />
Alpha-Forum dabei sind. Unser heutiger Studiogast ist den meisten von<br />
Ihnen sicherlich bekannt, denn auch 24 Jahre nach ihrem großartigen Erfolg<br />
bei den Olympischen Winterspielen in Innsbruck - dort gewann sie zwe<strong>im</strong>al<br />
Gold und einmal Silber – hat <strong>Rosi</strong> <strong>Mittermaier</strong> von ihrer Popularität nichts<br />
eingebüßt. Ich freue mich ganz besonders, dass ich heute dieses Portrait-<br />
Interview <strong>mit</strong> ihr führen darf, denn wir kennen uns bereits seit 28 Jahren.<br />
Liebe <strong>Rosi</strong>, herzlich willkommen bei Alpha-Forum. <strong>Rosi</strong>, der 5. August ist für<br />
dich <strong>im</strong>mer ein persönlicher Festtag, und ich nehme an, dass in diesem<br />
Jahr ganz besonders gefeiert werden wird.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Das ist ja ganz schrecklich: Woher weißt du denn das alles? <strong>Corinna</strong> weiß<br />
fast alles, denn wir kennen uns wirklich schon so lange. Ich bewundere dich<br />
<strong>im</strong>mer darum, dass du so schön gerade dasitzt: so wie es eben eine<br />
Eisläuferin macht: Du bist wirklich ein Vorbild, auch für die Skifahrer, die viel<br />
buckliger sitzen. Also, was hast du gesagt? 5. August? Ja, das ist mein<br />
Geburtstag. Ja, und ein halbes Jahrhundert wird halt dieses Jahr voll.<br />
Halke-Teichmann: Man mag es gar nicht glauben, denn du hast dich eigentlich gar nicht<br />
verändert: Du bist – wie wir alle – ganz best<strong>im</strong>mt reifer geworden, das<br />
st<strong>im</strong>mt. Es gibt ja auch Frauen, die bereits Probleme haben, wenn Sie 30<br />
Jahre alt werden: Sie geraten dann in eine Krise, und schon die ersten<br />
Lachfalten bereiten ihnen größte Probleme. Das kann ich mir bei dir jedoch<br />
überhaupt nicht vorstellen.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Nun ja, solange man gesund ist, solange man sich sonst wohl fühlt und<br />
solange man quasi keinen "Karosserieschaden" hat und einem innen drin<br />
nichts fehlt, kann man doch zufrieden sein. Ich finde es eigentlich ganz nett,<br />
wenn sich in einem Gesicht ein bisschen etwas abspielt.<br />
Halke-Teichmann: <strong>Rosi</strong>, wenn wir jetzt einmal 50 Jahre zurückblicken: Das bedeutete damals<br />
in der Familie <strong>Mittermaier</strong> eine große Freude. Aber andererseits war dieser<br />
Tag auch von großer Trauer und unendlichem Leid überschattet.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Meinst du meinen Geburtstag? Ja, ich bin Löwe vom Sternzeichen her, und<br />
ich hatte damals bei der Geburt noch eine Zwillingsschwester. Meine Eltern<br />
lebten damals noch auf der Winklmoos-Alm, und so war das für meine<br />
Mutter gar nicht so einfach. Eigentlich wollte sie zum Entbinden nach<br />
München fahren. Sie ist aber dann nach Reit <strong>im</strong> Winkl gekommen, weil<br />
schon die Fruchtblase geplatzt war. Es hat dann eben pressiert, und so ist<br />
es dazu gekommen, dass meine Mutti damals in diesem Krankenhaus<br />
bereits die Letzte Ölung erhalten hat: Die Situation war wirklich sehr kritisch.<br />
Meine Zwillingsschwester ist dann auch tatsächlich bei der Geburt<br />
gestorben. Aber ich habe mich durchgeboxt, und ich habe zum Glück<br />
davon natürlich auch gar nichts <strong>mit</strong>bekommen.
Halke-Teichmann: Gab es irgendwann in deinem Leben einen Moment, in dem du dir die<br />
Frage gestellt hast: "Warum durfte ich überleben? Warum musste meine<br />
Schwester sterben?" Denn man sagt ja, dass Zwillingskinder schon <strong>im</strong><br />
Mutterleib einen großen Bezug zueinander herstellen. Hattest du also<br />
irgendwann einmal das Gefühl: "Irgendwie fehlt ein Teil von mir?"<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ich glaube, ich hatte das nie, aber meine Eltern hatten dieses Gefühl ganz<br />
sicher. Ich habe aber noch zwei Schwestern, d. h., ich bin kein Einzelkind.<br />
Denn wenn ich ein Einzelkind gewesen wäre, dann wäre das für meine<br />
Eltern wahrscheinlich schl<strong>im</strong>mer gewesen. Später, als ich dann selbst<br />
Mutter geworden bin, konnte ich überhaupt erst begreifen, was es bedeutet,<br />
wenn einem so etwas passiert. Aber als ich jung war, habe ich daran nicht<br />
gedacht. Nein, eigentlich haben wir auch nicht viel darüber gesprochen. Erst<br />
später hat es dann einmal so eine Zeit gegeben, in der man sich näher für<br />
meine eigentliche Geburtsstunde interessiert hat. Das war schon nach den<br />
Olympischen Spielen 1976. Man meinte damals, dass man vielleicht schon<br />
an der genauen Geburtsstunde hätte ablesen können, ob ich irgendwie in<br />
so eine steigende Tendenz hineingeboren worden wäre usw. Da erst habe<br />
ich dann meine Mutti gefragt, wie spät es denn damals bei meiner Geburt<br />
gewesen ist: Es war nachts um halb zwölf bei mir, und bei meiner<br />
Schwester war es nachts um halb eins.<br />
Halke-Teichmann: Wie sah eigentlich deine Kindheit aus? Du bist auf der Winklmoos-Alm in<br />
der Nähe von Reit <strong>im</strong> Winkl groß geworden. Da kannst du vielleicht auch<br />
gleich einmal etwas richtig stellen, denn viele Leute meinen ja, die<br />
Winklmoos-Alm wäre nur so eine Alm wie alle anderen auch: eine Alm, zu<br />
der man hinwandern und in die man einkehren kann. Aber dem ist wohl<br />
nicht ganz so.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ja, das ist halt schon ein großes Almgelände. Im Sommer treiben da die<br />
Bauern ihre Kühe auf die Alm zum Weiden. Es gibt dort einige Gasthäuser,<br />
in denen man auch übernachten kann. Aber an sich ist das eher so ein<br />
Tagesausflugsziel. Meine Eltern betrieben früher eines dieser Gasthäuser,<br />
und später hat dann mein Vater das Studentenhe<strong>im</strong> dort gepachtet. Alle<br />
Menschen meinen ja, dass man doch sehr einsam wäre, wenn man so auf<br />
einer Alm leben und dort aufwachsen würde, weil man ja auch so weit –<br />
zehn Kilometer bis zum nächsten Ort – in die Schule fahren müsste usw.<br />
Aber bei uns waren z. B. <strong>im</strong>mer an die 60 Studenten <strong>im</strong> Haus: Da war doch<br />
einiges los.<br />
Halke-Teichmann: Wenn man studiert, ist man doch eher 18, 19 Jahre alt oder älter. Gab es<br />
denn da auch gleichaltrige Spielgefährten?<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Im Sommer waren z. B. Schulabschlussklassen und schon auch<br />
gleichaltrige Jugendliche bei uns. Das war für uns <strong>im</strong>mer wunderbar: Da<br />
haben wir sehr viel <strong>mit</strong>bekommen – von überall in Deutschland. Viele<br />
kamen z. B. aus Niedersachsen, und es ist heute noch so, dass mich, wenn<br />
ich dorthin komme, noch ganz viele Leute kennen und mich ansprechen<br />
und sagen: "Ich war damals auch auf der Alm bei Ihren Eltern!" Das ist dann<br />
<strong>im</strong>mer recht lustig.<br />
Halke-Teichmann: Du hast es schon angesprochen: Du hast zwei Schwestern, Heidi und Evi.<br />
Du liegst in der Mitte zwischen deinen beiden Schwestern. Welches<br />
Verhältnis hattest du zu deinen Schwestern, und wie schaut das heute aus?<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Zu meinen Schwestern hatte ich <strong>im</strong>mer ein Superverhältnis. Heidi ist zehn<br />
Jahre älter als ich und hat von daher schon auch ein wenig die Erziehung<br />
der beiden jüngeren Schwestern <strong>mit</strong> übernommen. Wir waren auf der<br />
Winklmoos-Alm bei uns <strong>im</strong> Haus ein richtiger Familienbetrieb. Ich habe<br />
meine Lehre <strong>im</strong> Hotelfach auch zu Hause bei uns gemacht: Das war <strong>im</strong><br />
Hinblick auf das Skifahren natürlich schon recht günstig. Zu meinen<br />
Schwestern habe ich nach wie vor ein ganz tolles Verhältnis. In unserer<br />
Familie ist auch überhaupt – toi, toi, toi – alles in Ordnung.
Halke-Teichmann: Als du eingeschult wurdest, hast du bei "Pflegeeltern" <strong>im</strong> Dorf gewohnt. Du<br />
hast schon erwähnt, dass der Weg ins Dorf <strong>im</strong>merhin zehn Kilometer<br />
betragen hat. Fiel dir diese Trennung vom Elternhaus sehr schwer?<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Es war so: Ich war damals das einzige Kind, das in Winklmoos schulpflichtig<br />
war. Meine ältere Schwester Heidi war vor mir zehn Jahre lang in München<br />
zur Schule gegangen und hatte dort bei meiner Großmutter gewohnt. Bei<br />
mir war es eben so, dass der Weg ins Dorf doch recht kompliziert war.<br />
Meine Mutter stand zu der Zeit einmal in einem Gemüseladen <strong>im</strong> Dorf <strong>mit</strong><br />
einer Frau zusammen und hat zu ihr gesagt: "Mei, ich habe jetzt ein Mädel,<br />
das zur Schule muss. Ich weiß noch gar nicht, wie wir das machen sollen."<br />
Da hat diese Frau gesagt: "Die kann bei uns bleiben." Diese Frau hatte<br />
selbst auch drei Töchter, die freilich schon ein wenig älter waren als ich. In<br />
dieser Familie bin ich dann aufgenommen worden wie ein eigenes Kind.<br />
Drei Jahre habe ich dort gewohnt. Während der Schulzeit bin ich dann<br />
<strong>im</strong>mer am Wochenende he<strong>im</strong> nach Winklmoos gefahren. In dieser Familie<br />
war ich das kleine Nesthäkchen, und so wurde ich wirklich sehr verwöhnt:<br />
Mir ist da am Morgen z. B. das Brot geschmiert worden. Das wäre bei uns<br />
zu Hause in unserem Gaststättenbetrieb schlicht nicht möglich gewesen:<br />
Meine Mutter hätte für solche Sachen ganz einfach keine Zeit gehabt. Als<br />
dann meine jüngere Schwester Evi auch in die Schule kam, wurden wir<br />
aber von der Zeit an jeden Tag in die Schule gefahren.<br />
Halke-Teichmann: Neben der Winklmoos-Alm hat dein Vater <strong>im</strong> Winter auch eine Skischule<br />
betrieben: Er ist staatlich geprüfter Skilehrer. Da lag es natürlich auf der<br />
Hand, dass die drei <strong>Mittermaier</strong>-Töchter das Skifahren erlernen.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ja, mein Vati hatte vor dem Krieg nordische Kombination gemacht. Er<br />
stammt genau wie meine Mutter aus München und war schon <strong>im</strong>mer sehr<br />
sportlich. Meine Mutter war auch sehr sportlich, aber sie hätte uns doch<br />
gerne in einer anderen Sportart gesehen. Sie hat <strong>im</strong>mer gesagt: "Warum<br />
fahren denn meine Mädchen nur so gefährliche Skirennen? Die sollen doch<br />
lieber ein wenig graziösere Sportarten betreiben." Ich glaube,<br />
Schlittschuhfahren oder auch Ballett hätte ihr besser gefallen. Sie meinte<br />
auch <strong>im</strong>mer, wir sollten uns doch diesen Skischuh-Gang abgewöhnen: Wir<br />
sollten ein wenig graziler gehen und nicht <strong>im</strong>mer hinten <strong>mit</strong> den Fersen<br />
aneinander schlagen. Aber <strong>im</strong> Grunde hat sie nichts dagegen gehabt: Auf<br />
der Winklmoos-Alm ist man eben <strong>im</strong> Schnee groß geworden, weil da <strong>im</strong><br />
Winter wirklich unglaublich lange Zeit Schnee liegt. Das ist ein richtiges<br />
Schneeloch – auch heute noch. Es ist so, dass man dort eigentlich gar<br />
nichts anderes betreiben kann.<br />
Halke-Teichmann: Mit zwei Jahren hast du deine ersten Versuche auf Skiern gemacht: Wann<br />
wurde es aber ernst? Ab wann kann man sagen, dass <strong>mit</strong> einem richtigen<br />
systematischen Training begonnen wurde?<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Soll ich das jetzt alles erzählen?<br />
Halke-Teichmann: Die Kurzform, bitte.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Also, Heidi war schon in der Nationalmannschaft, und sie fuhr auch bei den<br />
Olympischen Spielen in Squaw Valley <strong>im</strong> Jahr 1960 <strong>mit</strong>. Ich war damals<br />
zehn Jahre alt, und für uns als Familie war das natürlich eine<br />
Riesenaufregung. Sie flog <strong>mit</strong> einer viermotorigen Maschine in die USA! Wir<br />
Kinder waren jedenfalls voll begeistert davon und haben sie gelöchert, was<br />
sie uns denn <strong>mit</strong>bringen wird aus den Vereinigten Staaten usw. Zu der Zeit<br />
war eine Reise nach Amerika wirklich noch etwas ganz Tolles. Ab dem<br />
Zeitpunkt wollte ich das auch einmal erleben: Das war für mich der Kick, bei<br />
dem ich mir gedacht habe, dass ich auch einmal nach Amerika kommen<br />
möchte. Ich wusste noch nicht genau, wie ich das schaffen könnte, aber ich<br />
wusste schon, dass es z. B. über den Sport doch recht einfach gehen<br />
würde. Heidi fuhr dann noch bei den Spielen in Innsbruck <strong>im</strong> Jahr 1964 <strong>mit</strong>:<br />
Sie war mein eigentliches Vorbild. Unser Vater hat uns dann schon auch
gefördert, und durch den Wintersportverein Reit <strong>im</strong> Winkl sind wir<br />
selbstverständlich auch <strong>im</strong> Skiclub <strong>mit</strong> dabei gewesen. Wir fuhren zuerst<br />
diese kleinen Rennen <strong>im</strong> Chiemgau und <strong>im</strong> Inngau bis es zur Bayerischen<br />
Meisterschaft ging. Es war halt so, wie das normalerweise abläuft.<br />
Halke-Teichmann: Würdest du deinen Vater <strong>im</strong> Hinblick auf euch Schwestern doch als ein<br />
wenig ehrgeizig bezeichnen?<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Es war so, dass zu Hause samstags und sonntags durch das Gasthaus<br />
<strong>im</strong>mer sehr viel Betrieb war. Mein Vater hat das alles <strong>im</strong>mer recht geschickt<br />
arrangiert, wie ich mir heute denke. Er hat uns nie getrieben, weil dieser<br />
Sport natürlich schon auch gefährlich war: Wir wussten das, und Heidi war<br />
ja auch oft verletzt. Aber er war eben sehr froh, wenn er am Sonntag auch<br />
einmal nicht zu Hause sein musste, sondern <strong>mit</strong> uns zu den Rennen fahren<br />
konnte. Meine Mutter musste dann alles alleine <strong>mit</strong> den Angestellten<br />
bewältigen. Wir haben sie eben <strong>im</strong>mer gefragt: "Da wäre am Sonntag<br />
wieder ein Skirennen. Dürfen wir dort hinfahren und <strong>mit</strong>machen?" Unser<br />
Mutter hat dann schon <strong>im</strong>mer gesagt: "Na gut, fahrt doch!" Und so war das<br />
für uns und für ihn eigentlich <strong>im</strong>mer eine recht schöne Unternehmung am<br />
Sonntag. Er hat uns auch nie gesch<strong>im</strong>pft. Wenn wir wieder irgendwo<br />
ausgeschieden sind oder so, dann hat er höchstens gemeint, dass es dafür<br />
<strong>im</strong> nächsten Rennen umso besser sein würde und dass man sich halt um<br />
die Fehler kümmern müsse. Ich selbst war nämlich als Kind <strong>im</strong>mer sehr<br />
unkonzentriert: Mir war das alles völlig egal, denn die Hauptsache für mich<br />
war, dass das alles recht lustig war.<br />
Halke-Teichmann: Mit 16 Jahren kam dann der erste Deutsche Meistertitel: in der Kombination<br />
Slalom und Riesenslalom. Das waren dann auch später deine eigentlichen<br />
Spezialdisziplinen. Ein Jahr später kam es dann zum ersten Weltcup-Sieg.<br />
Was hast du empfunden, als du zum ersten Mal selbst in der<br />
Nationalmannschaft <strong>mit</strong>fahren durftest?<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Diesen ersten Trainingskurs samt Anreise vergisst man wohl nie. Das<br />
Training fand auf der Zugspitze statt, und gewohnt haben wir in Ehrwald. Ich<br />
hatte es da an sich recht gut in der Mannschaft, weil meine ältere<br />
Schwester Heidi zu dem Zeitpunkt ja noch <strong>mit</strong> dabei gewesen ist. Aber<br />
genau bei dem Kurs war sie nicht <strong>mit</strong> dabei, und so war das alles für mich<br />
natürlich wahnsinnig aufregend. Ich wusste z. B. nicht, wie ich da in der<br />
Mannschaft aufgenommen werde. Ich hatte aber das Riesenglück, dass<br />
Heidi schon vorgebaut hatte: Ich bin wirklich ganz toll aufgenommen<br />
worden, denn alle haben mir geholfen dabei. Meine jetzige Freundin Traudl<br />
Münch, die später 20 Jahre lang Masseurin in der Mannschaft war, war<br />
damals auch Skifahrerin und hat mir auch sehr geholfen be<strong>im</strong> Einstieg.<br />
Halke-Teichmann: Sie wohnt jetzt auch in Garmisch-Partenkirchen.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ja, sie ist nach wie vor meine beste Freundin. Sie war schon länger Mitglied<br />
in der Mannschaft: Sie hat mir sofort gezeigt, wo da der Hase läuft. Das war<br />
wirklich toll.<br />
Halke-Teichmann: So eine Weltcup-Saison bedeutet <strong>mit</strong>samt der Vorbereitung und allem drum<br />
und dran über das Jahr gesehen, dass man eigentlich fast sechs Monate<br />
von zu Hause fort ist. Kann man da eigentlich auch noch außerhalb des<br />
Skizirkus Freundschaften knüpfen?<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ja, das kann man schon. Be<strong>im</strong> Skifahren z. B. ist das doch ideal: Man fährt<br />
ja nie den Lift allein hoch.<br />
Halke-Teichmann: Bei der Nationalmannschaft fährt aber auch nicht Otto Normalverbraucher<br />
<strong>im</strong> Lift <strong>mit</strong>.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Nein, aber man kann dabei meinetwegen auch <strong>mit</strong> den ausländischen<br />
Skifahrern und Skifahrerinnen Kontakte knüpfen. Damals gab es zum Glück<br />
auch noch Rennen, bei denen Männer- und Frauenrennen stattfanden, bei
denen man also an einem Wochenende gemeinsam fuhr. Es waren zwar<br />
nicht viele Rennen, bei denen das der Fall war, aber man hat sich schon<br />
kennen gelernt dabei. Doch, doch, da hat man schon Freundschaften<br />
knüpfen können.<br />
Halke-Teichmann: Du hast schon gesagt, dass euch euer Vater nie gesch<strong>im</strong>pft hat, wenn es<br />
<strong>mit</strong> dem Erfolg nicht so ganz hingehauen hat. Es wurde dir ja einige Zeit<br />
lang nachgesagt, dass es dir an Ehrgeiz fehlen würde: Du hättest nicht<br />
diesen Biss, diesen absoluten Kampfeswillen. Ich muss sagen, dass dem<br />
aber diese beiden Olympiasiege, die Olympische Silbermedaille, der Sieg<br />
<strong>im</strong> Gesamtweltcup <strong>im</strong> Jahr 1976, die neun Einzelsiege be<strong>im</strong> Weltcup und<br />
die 16 Deutschen Meistertitel ganz erheblich widersprechen. Habe ich noch<br />
etwas vergessen in der Aufzählung?<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ach, das ist nicht so wichtig.<br />
Halke-Teichmann: Um Gottes willen: deine drei Weltmeistertitel. Worauf führst du es denn<br />
zurück, dass dich die Leute trotz alledem so eingeschätzt haben?<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ich war tatsächlich eine, die den Tag wirklich genossen hat. Ich bin<br />
wahnsinnig gerne Ski gefahren. Ich bin auch gerne Ski gefahren, wenn das<br />
Wetter schlecht war, und ich liebte und liebe auch heute noch den Schnee –<br />
ich schaufle z. B. gerne Schnee. Wenn es schneit, dann ist es für mich<br />
wirklich das Höchste. Das liegt wahrscheinlich daran, dass es auf der<br />
Winklmoos-Alm halt <strong>im</strong>mer viel Schnee gegeben hat. Na ja, wenn ich meine<br />
Rennen gefahren bin, dann habe ich zum Beispiel zum Starter, wenn mir<br />
der einen Witz erzählt hat, schon auch gesagt, ob er nicht noch einen<br />
wüsste. Das geht natürlich nicht...<br />
Halke-Teichmann: Aber vielleicht war das auch diese Mentalität, die dich vor dem Wettkampf<br />
so locker gemacht hat.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ja, aber die Medien fanden das nicht so spaßig. 1972, als du ja auch schon<br />
bei den Olympischen Spielen in Sapporo <strong>mit</strong> dabei gewesen bist, war ich<br />
doch eine der Mitfavoritinnen, denn vor diesen Olympischen Spielen war ich<br />
<strong>im</strong> Weltcup bei Slalom oder Riesenslalom schon recht erfolgreich gewesen.<br />
Auf jeden Fall bin ich damals von den Medien doch schon ein klein wenig<br />
unter Druck gesetzt worden: Da meinte man, ich könnte jetzt bei so einer<br />
Großveranstaltung doch auch endlich eine Medaille machen. Ansonsten<br />
war ich ja eh schon <strong>im</strong>mer ganz gut <strong>mit</strong> vorne dabei, aber ich war halt nie<br />
diese totale Siegläuferin gewesen. Man muss aber dazusagen, dass ich<br />
natürlich auch in eine Zeit hineingerutscht bin, in der es eine Annemarie<br />
Moser-Pröll gegeben hat, die ja wirklich alles gewonnen hat, was es zu<br />
gewinnen gab.<br />
Halke-Teichmann: N<strong>im</strong>m es mir nicht übel, wenn ich das sage, aber wenn ich mich so an diese<br />
Abfahrtsrennen erinnere, dann habe ich <strong>im</strong>mer sooo eine breite Annemarie<br />
Moser-Pröll vor Augen. Annermarie mag mir diese Bemerkung bitte<br />
verzeihen. Du dagegen warst eine so unglaublich zierliche Läuferin <strong>mit</strong><br />
deinen damaligen 54 Kilogramm Kampfgewicht.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ja, gut, aber das Gewicht war nicht das allein Entscheidende. Es gab ja<br />
auch den Slalom usw. Sie war halt bereits in der Zeit athletisch sehr gut<br />
ausgebildet.<br />
Halke-Teichmann: Das ist nett formuliert.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Es ist ihr vielleicht auch schon so in die Wiege gelegt worden. Ich bin aber<br />
gar nicht traurig darüber, dass es zu meiner Zeit diese überragende<br />
Annemarie Moser-Pröll gegeben hat. Der große Wendepunkt kam dann bei<br />
mir jedenfalls <strong>im</strong> Sommer 1975. Wir hatten kurz davor einen neuen<br />
Konditionstrainer bekommen: Das war damals Heinz Mohr. Er hat gemerkt,<br />
dass ich <strong>im</strong> Sommer <strong>im</strong>mer nur so <strong>im</strong> Pulk <strong>mit</strong>laufe und keine<br />
Extraeinheiten nur für mich mache. Er hat dann dieses Training ein wenig
getrennt und mich dazu gebracht, mich ein wenig mehr anzustrengen. So<br />
war ich in der Saison 1975/76 wirklich wunderbar austrainiert: Ich hatte<br />
endlich erkannt, dass ich das alles <strong>im</strong> Training ja für mich mache.<br />
Halke-Teichmann: Kann man denn <strong>mit</strong> deiner damaligen Philosophie, dass du in der<br />
Mannschaft keine Konkurrentinnen, sondern Freundinnen haben möchtest,<br />
auch heute noch Erfolg haben?<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Es war damals tatsächlich so, dass wir Freundinnen waren. Ich glaube aber<br />
nicht, dass das heute noch so funktionieren könnte. Heute hat sich das alles<br />
doch sehr gewandelt...<br />
Halke-Teichmann: Man muss wahrscheinlich egoistischer sein.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ja, man muss wirklich egoistischer sein. Man muss auf sich selbst achten<br />
und nach dem eigenen Erfolg trachten.<br />
Halke-Teichmann: Man muss wohl auch zum Teil seinen eigenen Weg gehen.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ja, das st<strong>im</strong>mt. Man muss das aber nicht übertreiben, denn man kann<br />
beides vielleicht doch <strong>im</strong>mer noch so ein wenig zusammenbringen. In<br />
meiner Zeit war es tatsächlich so, dass mir das Drumherum fast schon<br />
wichtiger war: Ich habe alles <strong>mit</strong>bekommen, alles gesehen und saß z. B. bei<br />
den Olympischen Spielen auch bei jedem Eishockeyspiel selbst <strong>im</strong> Stadion.<br />
Heute ginge das alles nicht mehr. Da muss man sich auf den eigenen<br />
Wettkampf vorbereiten und konzentrieren. Dafür muss man alles tun, und<br />
dafür muss man sich auch die Zeit entsprechend einteilen.<br />
Halke-Teichmann: Die Spiele 1972 in Sapporo hast du schon angesprochen, wo du dir<br />
eigentlich ein bisserl mehr erhofft hattest, wo du vielleicht doch auf deine<br />
erste Medaille gehofft hast. Deine ersten Olympischen Spiele hattest du<br />
aber schon 1968 in Grenoble <strong>mit</strong>erlebt. Wie war das, als du das erste Mal<br />
bei Olympia <strong>mit</strong> dabei warst, als du das eigene Land repräsentieren<br />
durftest? Das war doch wirklich etwas ganz Besonderes, wie ich vermute.<br />
Was ist dir da in Erinnerung geblieben.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ich weiß noch ganz genau, wie es mir da bei der Eröffnungsfeier gegangen<br />
ist. Da wurden die Herztöne von demjenigen, der <strong>mit</strong> der Fackel ins Stadion<br />
gelaufen ist und dann das Olympische Feuer entzündet hat, per Funk<br />
übertragen und über die Lautsprecher ausgestrahlt. Da ist es mir doch<br />
schon so ein wenig den Rücken runtergerieselt. Ich war ja erst 18 Jahre alt<br />
und durfte trotzdem schon <strong>mit</strong> dabei sein. Damals war meine Freundin<br />
Traudl auch <strong>mit</strong> dabei, und von uns beiden gibt es da eine recht lustige<br />
Geschichte. Wir gingen zum ersten Mal <strong>im</strong> Olympischen Dorf spazieren, als<br />
uns der große und weltberühmte Eiskunstläufer Oleg Protopopow<br />
entgegenkam. Wir haben ihn nicht gekannt oder erkannt, aber die Traudl<br />
hat zu dem ganz einfach "servus" gesagt. Ich habe sie dann gefragt, woher<br />
sie denn diesen Mann kennen würde. Sie sagte nur: "Mir kam der halt<br />
einfach so bekannt vor." Später ist uns dann erst aufgefallen, dass das der<br />
berühmte Oleg Protopopow gewesen ist.<br />
Halke-Teichmann: Ja, er war Paarläufer zusammen <strong>mit</strong> Ludmilla Belusowa.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ja, genau, das weißt du natürlich viel besser als ich. Wir als achtzehnjährige<br />
Mädel waren ganz einfach so frech, zu dieser Berühmtheit "servus" zu<br />
sagen. Denn eigentlich war das schon noch eine Zeit, in der man vor so<br />
großen Namen gehörigen Respekt hatte. Man war das erste Mal <strong>mit</strong> dabei<br />
und hat diese Leute eigentlich alle noch bewundert.<br />
Halke-Teichmann: 1976 warst du es dann, die sich einen ganz großen Namen gemacht hat.<br />
Es ging seinerzeit los <strong>mit</strong> der Abfahrt: Die Weltcup-Saison davor war schon<br />
so gut gelaufen gewesen für dich, dass du <strong>mit</strong> zu den Favoritinnen gehört<br />
hast. Aber eine Abfahrt hattest du ja bis dato noch nie gewonnen.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ja, das ist richtig. Ich war lange davor einmal Zweite gewesen: Das muss
wohl in Grindelwald gewesen sein. Wenn die Strecke technisch schwierig<br />
und der Untergrund eisig war und wenn es dazu auch noch große Kurven<br />
gab, dann war das für mich ideal: Diese Abfahrt damals in Innsbruck ist mir<br />
in all diesen Punkten sehr entgegengekommen. Der Untergrund war hart<br />
geblieben, weil es nicht noch einmal geschneit hatte. Denn die letzte Abfahrt<br />
vor Olympia hatte in Bad Gastein stattgefunden: Dort hatte es wahnsinnig<br />
viel Neuschnee gegeben, und da war ich total schlecht gefahren. Aber<br />
unserer ganzen Mannschaft war es so ergangen: Wir hatten wohl auch das<br />
falsche Wachs erwischt. Ich landete <strong>mit</strong> 32 Sekunden hinter der Bestzeit auf<br />
dem letzten Platz. Aber das war halt wirklich kein reguläres Rennen<br />
gewesen.<br />
Halke-Teichmann: Die Generalprobe war also missglückt, aber bei der Premiere lief dann alles<br />
glatt.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Genau. Die Verhältnisse in Innsbruck waren wirklich ideal für mich.<br />
Halke-Teichmann: Dein erster Abfahrtssieg war zugleich ein Olympiasieg. Ich kann mich noch<br />
sehr gut daran erinnern: Die Freude und die Euphorie darüber war natürlich<br />
enorm groß. Aber du musstest eigentlich auch wieder abschalten und dich<br />
noch einmal konzentrieren, denn es standen noch deine Spezialdisziplinen<br />
Slalom und Riesenslalom auf dem Programm. Wie war es denn vor dem<br />
Slalom?<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Da hat sich natürlich schon alles zugespitzt, weil da wirklich unglaublich<br />
viele Menschen da waren. Der Lauf war in der Lizum: Auch das war ein<br />
sehr steiler Hang. Der Skilift ging direkt über den Zuschauern nach oben,<br />
und die meisten haben da nur gerufen: "Hey, <strong>Rosi</strong>, servus, wir sind auch<br />
da!" Ich dachte mir da nur: "Mein Gott, diese Leute aus meinem Ort dahe<strong>im</strong><br />
sind also auch alle da usw." Es waren wirklich viele deutsche Zuschauer<br />
wegen mir dort, die mir <strong>im</strong>mer wieder zugerufen haben: "Gell, <strong>Rosi</strong>, heut'<br />
machst du es noch mal!" Ich dachte mir nur: "Um Gottes willen." Aber<br />
irgendwie habe ich dabei dann doch so ein best<strong>im</strong>mtes Wurstigkeitsgefühl<br />
entwickelt, dass das doch...<br />
Halke-Teichmann: Das kann man <strong>mit</strong> einer Goldmedaille <strong>im</strong> Rücken ja leicht haben.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Selbstverständlich, da kann einem gar nichts passieren: da kann der Hang<br />
noch so steil sein. Es war nämlich wieder sehr steil und eisig. Das heißt, der<br />
Schnee und die Bedingungen waren erneut opt<strong>im</strong>al für mich. Ja, und<br />
dann...<br />
Halke-Teichmann: ...wurde das wieder eine Goldmedaille.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ja, schon, aber Glück gehört da schon auch <strong>im</strong>mer <strong>mit</strong> dazu. In Grenoble z.<br />
B. hatte ich dieses Glück nicht, denn da bin ich nach der Zwischenzeit<br />
ausgeschieden: Da hätte ich vielleicht auch schon eine Bronzemedaille<br />
machen können. Acht Jahre später lief es dann dafür ganz hervorragend.<br />
Halke-Teichmann: Es ist auch besser, alles bei einer Olympiade abzustauben: Da wird der<br />
Ruhm dann umso größer.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Genau, aber das gilt natürlich schon auch für die eigene Freude.<br />
Halke-Teichmann: Das war also die zweite Goldmedaille. Wir haben von dir jetzt gerade<br />
gehört, dass du da <strong>mit</strong> einem best<strong>im</strong>mten Wurstigkeitsgefühl an den Start<br />
gegangen bist, aber danach erwartete natürlich eine ganze Nation - alle<br />
waren Sie Anhänger von "Gold-<strong>Rosi</strong>" – <strong>im</strong> Riesenslalom die dritte<br />
Goldmedaille. Hast du dir da gesagt: "Zwei Goldmedaillen sind doch in<br />
Ordnung, mir kann doch nichts mehr passieren." Oder hast du dir gesagt:<br />
"Jetzt muss unbedingt auch noch die dritte Goldmedaille her."<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Nein, es war da wirklich so, dass ich bei der Streckenbesichtigung nicht<br />
hinunter bis zum Ziel fahren konnte, denn ich wäre aus diesem<br />
Menschenpulk nicht mehr herausgekommen. Das heißt, ich habe die
Strecke nur bis ungefähr zur Mitte, also bis kurz vor dem letzten steileren<br />
Hang besichtigt. Klaus Mayr, unser damaliger Trainer, hat zu mir gesagt:<br />
"Da fahren wir jetzt nicht weiter nach unten. Das schaust du dir jetzt von<br />
oben an. Das sind doch eh alles nur offene Tore, das kannst du auch von<br />
hier oben sehen." Ich habe auch gesagt: "Gut, dann kürzen wir das ab und<br />
fahren gleich oben herum zum Lift weiter." Aber gerade dort, wo ich die<br />
Strecke nicht besichtigt habe, lag die Stelle, an der ich viel Zeit verloren<br />
habe.<br />
Halke-Teichmann: Es waren nur 12 Hundertstelsekunden, die letztlich zur Goldmedaille gefehlt<br />
haben.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ja, aber genau an der Stelle habe ich wirklich eine gute halbe Sekunde<br />
"liegen gelassen". Es war halt völlig unmöglich, das vor dem Rennen zu<br />
besichtigen. Aber gut, Silber war ja auch nicht schlecht. Für mich war das<br />
wirklich höchst befriedigend. Das war für mich absolut kein Beinbruch. Es<br />
waren halt nur best<strong>im</strong>mte Menschen, die mich da hineingeritten haben,<br />
indem sie gesagt haben: "Ja, warum hast du denn nicht gewonnen?" Es ist<br />
schon klar: Die Leute wollen Sieger sehen. Für mich selbst aber war der<br />
Erfolg wirklich opt<strong>im</strong>al.<br />
Halke-Teichmann: <strong>Rosi</strong>, ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich dich um deine Medaillen<br />
wirklich beneide. Mir selbst hätte schon eine Bronzemedaille gereicht, was<br />
wir aber leider nicht geschafft haben. Aber das, was dann danach <strong>mit</strong> dir<br />
passiert ist, fand ich persönlich schon eher schockierend. Mir sind diese<br />
Bilder noch ganz klar in Erinnerung: Es haben sich Hunderte von<br />
Journalisten und Tausende von Fans auf dich gestürzt. Es gab regelrechte<br />
Schlägereien unter den Fotografen und den Kameraleuten, um die<br />
besseren Plätze in der Nähe der "Gold-<strong>Rosi</strong>". Es herrschte ein Geziehe und<br />
Gezerre, dass man wirklich Angst um dich haben musste.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ja, das st<strong>im</strong>mt schon. Ich habe es aber überstanden, wie man sieht. Heute<br />
würden sich die Medien schon ein bisschen anders verhalten: Ich nehme<br />
an, dass heute alles viel geregelter abläuft bei so einem Ereignis. Denn<br />
heute kann auch nicht mehr jeder in diesen abgesperrten Raum hinein.<br />
Halke-Teichmann: Gab es da bei dir nicht auch Panikgefühle?<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Nein, eigentlich nicht. Ich war in einer solche Euphorie, dass ich das gar<br />
nicht so gespürt habe. Ich versuchte halt die ganze Zeit über vergeblich,<br />
diejenigen Leute zu treffen, die ich eigentlich treffen wollte. Ich hätte gerne<br />
meine Freundinnen aus der Mannschaft gesehen oder auch z. B. auch<br />
meine Mutter. Sie hatte davor noch nie ein Abfahrtsrennen von mir live<br />
<strong>mit</strong>erlebt. Bei dieser Abfahrt aber war meine Mutter das erste Mal <strong>mit</strong> dabei:<br />
Ich hätte sie wirklich gerne gesehen, aber das war völlig unmöglich. Das hat<br />
mir schon sehr Leid getan, weil es mir die ganze Zeit durch den Kopf<br />
gegangen ist, wie ich denn endlich meine Mutti treffen könnte. Ich habe sie<br />
absolut nicht finden können. Erst drei Stunden später, als ich wieder zurück<br />
<strong>im</strong> Hotel war, habe ich sie endlich gesehen. An so etwas habe ich also in<br />
der Situation gedacht.<br />
Halke-Teichmann: Es war ja so, dass quasi schon <strong>im</strong> Zieleinlauf dieses Rennens wegen deiner<br />
Medaillen die Firmen und die Manager Schlange standen: Alle wollten <strong>Rosi</strong><br />
<strong>Mittermaier</strong> vermarkten. Aber die Saison war ja noch nicht zu Ende: Sie<br />
ging erst später <strong>mit</strong> der Krönung, <strong>mit</strong> dem Gewinn des Gesamt-Weltcups zu<br />
Ende. Dann erst ging es richtig los: Wer hat dich denn eigentlich in der<br />
Zwischenzeit beraten? Wer hat dir bei dem ganzen Rummel geholfen, denn<br />
es wollte dich ja jedes Magazin, jede Zeitung und jeder Fernsehsender<br />
haben.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Das war am Anfang wirklich unüberschaubar. Wir haben z. B.<br />
<strong>mit</strong>bekommen, dass es plötzlich Schnapsgläser oder auch Kissen <strong>mit</strong><br />
meinem Konterfei drauf gab. Das gab es überall: sogar in Japan. Das
konnten wir von der Winklmoos-Alm aus natürlich nicht alles überblicken.<br />
Das hätte auch irgendein Anwalt meinetwegen in Traunstein, in der<br />
nächsten Kreisstadt, nicht gekonnt, das ist klar. Ich war aber <strong>im</strong>mer schon<br />
<strong>mit</strong> Christian verbandelt und...<br />
Halke-Teichmann: Man muss das sagen für diejenigen, die das nicht wissen: Christian<br />
Neureuther, der Slalomspezialist, ist ja selbst auch sehr bekannt. Er war<br />
auch aktiver Rennläufer, und <strong>mit</strong>tlerweile seid ihr auch verheiratet.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ja, ja. Es war jedenfalls so, dass Christian in der Zeit schon mein Berater<br />
gewesen ist. Mein Vater war in der Hinsicht wirklich sehr bodenständig. Er<br />
hat <strong>im</strong>mer zu mir gesagt: "Das Geld ist nicht alles! Und deshalb muss man<br />
da schon auch abwarten können." Aber es war wirklich unglaublich: Es<br />
kamen damals innerhalb eines Monats 40000 Briefe auf die Winklmoos-<br />
Alm.<br />
Halke-Teichmann: Der arme Briefträger! Da haben sie sicherlich jemanden zusätzlich<br />
einstellen müssen.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Da kamen auch Päckchen und Pakete für mich an. Aber mein Vater hatte<br />
doch <strong>im</strong>mer noch seinen Betrieb: Da hätte er natürlich auch wichtige<br />
Geschäftspost bekommen sollen. Das war aber alles nur noch ein Chaos<br />
und nicht mehr zu bewältigen. Ich selbst habe das Gott sei Dank gar nicht<br />
so <strong>mit</strong>bekommen, weil ich nach Innsbruck <strong>im</strong> Februar noch den Weltcup in<br />
den USA zu Ende gefahren bin. Auf diese Weise war ich von diesem völlig<br />
wahnsinnigen ersten Trubel schon einmal weg.<br />
Halke-Teichmann: Es war wirklich enorm, was da auf deine Eltern und deine Geschwister<br />
zugekommen ist. Deine Eltern mussten dann ja auch ihre Wohnung in den<br />
ersten Stock verlegen, weil sie es einfach nicht mehr ertragen konnten,<br />
wenn <strong>im</strong>mer wieder völlig fremde Leute be<strong>im</strong> Fenster hereingeschaut<br />
haben.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ja, meine Schwester Evi ist ja auch noch <strong>mit</strong> mir zusammen Skirennen<br />
gefahren. Insgesamt waren das auch bei ihr zehn Jahre. Auf diese Weise<br />
waren wir beide natürlich <strong>im</strong>mer weg von zu Hause. Ansonsten war es<br />
tatsächlich so, dass um dieses Grundstück auf der Winklmoos-Alm kein<br />
Gras mehr gewachsen ist. Die Leute haben auch ganz frech von der<br />
Wäscheleine Souvenirs <strong>mit</strong>genommen. Das war wirklich unglaublich. Ich<br />
dachte mir <strong>im</strong>mer, dass das bald aufhören würde, dass sich das nach ein<br />
paar Monaten legen würde. Aber das hat dann doch ganz schön lange<br />
angehalten.<br />
Halke-Teichmann: Deine Popularität hat jedenfalls bis zum heutigen Tage angehalten.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Nun ja, jetzt ist es ganz gut. Ich wohne in Garmisch auch ein wenig<br />
anonymer, und das ist ganz gut so.<br />
Halke-Teichmann: 1976 gab es für dich diese Krönung: Du bist dann auch wegen des<br />
Gewinns des Gesamt-Weltcups zur erfolgreichsten Skirennläuferin aller<br />
Zeiten geworden. Wann fiel da eigentlich die Entscheidung, <strong>mit</strong> dem<br />
Rennsport aufzuhören? Was waren die Gründe, die dich dazu bewogen<br />
haben? Lag es daran, dass du zu dem Zeitpunkt am besten vermarktet<br />
werden konntest? Weil du gedacht hast, dass du dich nach diesem Erfolg<br />
für die nächste Saison überhaupt nicht mehr motivieren kannst? Oder lag<br />
es ganz einfach daran, dass du keine Lust mehr hattest, dich <strong>im</strong> Training<br />
weiter zu quälen?<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Nein, denn gequält habe ich mich überhaupt nie.<br />
Halke-Teichmann: Was? War denn das Training <strong>im</strong>mer nur schön für dich?<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Nur das Training <strong>mit</strong> den Gewichten habe ich gehasst. Aber ich habe mir<br />
gedacht: "Mein Gott, da musst du halt durch." Ich habe das Training also nie<br />
irgendwie als besonders schl<strong>im</strong>m empfunden. Das Skifahren selbst fand ich
sowieso nicht schl<strong>im</strong>m: Ich wäre daher sicherlich noch wahnsinnig gerne<br />
weitergefahren. Aber zu dieser Zeit war man als Mädchen <strong>mit</strong> 25 Jahren <strong>im</strong><br />
Skirennsport schon alt. Da war ich schon in einem Alter, wegen dem mich<br />
Frau Wörndl, die als Sprecherin die Rennen <strong>im</strong> Zieleinlauf oft kommentiert<br />
hat, einmal "Skigroßmutter" genannt hat. Das war in Bad Gastein: Das<br />
werde ich nie vergessen, denn ich war ja erst 25 Jahre alt! Da habe ich mir<br />
dann doch gedacht: "Hoppla, so alt bist du also schon. Da musst' dich jetzt<br />
aber umschauen!" Es kam am Ende der Saison 1976 dann dieser ganze<br />
Ansturm, und da waren doch Angebote dabei, bei denen man gesagt hat:<br />
"Mensch, da muss man jetzt wohl doch gleich einsteigen, weil das jetzt ein<br />
guter Moment ist." Das Aufhören ist mir aber schon schwer gefallen. Ich war<br />
ja all das gewohnt: die ganze Umgebung, die Trainer, die Kolleginnen, die<br />
Freundinnen usw. Mein Mann Christian ist zu dem Zeitpunkt ja auch noch<br />
weiter Ski gefahren. In der ersten Zeit hat mir das alles wirklich sehr gefehlt.<br />
Aber ich war so beschäftigt und letztlich noch mehr unterwegs als vorher,<br />
dass ich zum Nachdenken darüber eigentlich gar nicht gekommen bin.<br />
Halke-Teichmann: Ich glaube, es waren 30 Manager und Agenturen, die dich vermarkten<br />
wollten. Das Rennen hat dann aber letztlich Mark McCormack <strong>mit</strong> seiner<br />
"International Management Group" gemacht, der wohl bedeutendsten und<br />
auch heute noch besten Agentur der Welt auf diesem Gebiet. Gab es da in<br />
dieser Zeit auch Angebote, bei denen du gesagt hast, "nein, das mache ich<br />
nicht!", obwohl das Angebote waren, die IMG gerne <strong>mit</strong> dir gemacht hätte,<br />
weil das halt viel Geld eingebracht hätte.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ich habe z. B. einmal einen bereits unterschriebenen Vertrag nicht erfüllt,<br />
weil ich mir gedacht habe, dass das einfach nichts ist für mich. Da ging es<br />
um ein Deospray: Das hat mir nicht gepasst, weil ich so etwas eigentlich<br />
nicht benutze. Aus dem Grund habe ich dann auch diesen Vertrag<br />
gebrochen.<br />
Halke-Teichmann: Wären das Aufnahmen gewesen, bei denen man <strong>Rosi</strong> womöglich ein<br />
wenig leicht bekleidet gesehen hätte?<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Nein, das nicht, das überhaupt nicht. Das wäre schon recht seriös in<br />
Richtung Sport gegangen. Aber mir hat das einfach nicht so behagt. Ich<br />
wurde in dem Zusammenhang dann auch in Kaufhäusern eingesetzt:<br />
zwischen den Salaten und all den anderen Dingen. Das hat mir alles<br />
wirklich nicht behagt. Und so habe ich diesen Vertrag nicht erfüllt. Da war<br />
dann auch einiges los.<br />
Halke-Teichmann: Wenn man nur sein Deo tragen würde, dann wäre man ja auch sozusagen<br />
splitternackt. Katharina Witt hat für den "Playboy" Nacktaufnahmen<br />
gemacht: Sie soll angeblich eine Million Dollar dafür erhalten haben. Wäre<br />
so etwas für dich auch denkbar?<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Nein, das glaube ich nicht. Dafür bin ich eigentlich zu bodenständig. Das<br />
würde ich daher nie machen. Sicher, die Zeit hat sich heute natürlich auch<br />
gewandelt: Aber ich würde mich ganz best<strong>im</strong>mt nicht ausziehen.<br />
Halke-Teichmann: Für keine Summe der Welt?<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Das würde ich alleine schon Christian zuliebe nicht machen, weil ich glaube,<br />
dass das auch ihm nicht passen würde.<br />
Halke-Teichmann: Du hast Produktwerbung betrieben, aber du warst z. B. auch<br />
Kommentatorin für das Fernsehen: Wie war denn diese Erfahrung für dich,<br />
einmal das Ganze von der anderen Seite aus zu betrachten?<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Das war natürlich sehr interessant für mich, weil man da erst merkt, unter<br />
welcher Hektik und unter welchem Stress diese Leute ihrerseits stehen. An<br />
das denkt man als Läuferin oder Läufer natürlich überhaupt nicht. Be<strong>im</strong><br />
Fernsehen muss wirklich alles zackzack und wirklich sehr flott gehen, denn<br />
kaum ist die eine Läuferin <strong>im</strong> Ziel, kommt schon wieder die nächste. Gerade
<strong>im</strong> Skirennsport herrscht in solchen Momenten wirklich Stress be<strong>im</strong><br />
Fernsehen. Ich merke das z. B. auch daran, wenn Christian heutzutage <strong>im</strong><br />
Fernsehen seine Analysen macht: Da muss er in kürzester Zeit sofort<br />
kapieren, wo welche Läuferin wie viel Zeit verloren hat. Dann muss ganz<br />
schnell der Schnitt fertig gestellt werden, weil das sofort nach dem Rennen<br />
ausgestrahlt wird: Die Zeit dafür ist wirklich unglaublich knapp. Damals war<br />
das Gott sei Dank noch nicht so hart, da wurde noch nicht alles so haarklein<br />
analysiert und auseinander genommen. Ich war damals halt Ko-<br />
Kommentatorin, aber ich habe schon <strong>mit</strong>bekommen, dass das alles nicht so<br />
einfach ist.<br />
Halke-Teichmann: <strong>Rosi</strong> <strong>Mittermaier</strong> hat Bücher geschrieben, <strong>im</strong> Fitness-Bereich Fernsehserien<br />
gedreht und hat auch gesungen, sowohl bayerische Lieder wie auch in der<br />
Popszene...<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Nein, in der Popszene habe ich doch nie gesungen.<br />
Halke-Teichmann: "Enorm in Form" war doch eher ein popiger Titel.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ja, aber das haben wir dann später doch wieder abgeblasen. Nein, nein,<br />
gesungen haben die Evi und ich als Kinder schon <strong>im</strong>mer. Denn mein Vater<br />
wollte eben, dass wir ein Instrument lernen und auch singen können.<br />
Deshalb haben wir dann auch einmal eine Platte aufgenommen <strong>mit</strong> richtiger<br />
Volksmusik.<br />
Halke-Teichmann: Das war Advents- und Weihnachtsmusik.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ja, richtig. Das haben wir auch deshalb gemacht, weil es uns interessiert<br />
hat, wie so etwas abläuft und wie so etwas gemacht wird. Das hat uns<br />
schon Spaß gemacht, aber in kommerzieller Richtung war das nie angelegt.<br />
Halke-Teichmann: In deinem eigentlichen Beruf als Hotelkauffrau warst du eigentlich nie tätig.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ich habe halt zu Hause bei uns <strong>im</strong> Betrieb gearbeitet. Später in der<br />
Berufsschule, als ich dann gemerkt habe, wie hart die anderen dabei<br />
arbeiten müssen <strong>mit</strong> ihrem Nachtdienst usw., habe ich beschlossen, mir die<br />
Hotels während der Skikarriere doch lieber als Gast anzusehen.<br />
Halke-Teichmann: Aber ihr habt auch einen Landgasthof in Reit <strong>im</strong> Winkl. Dein Papa ist in der<br />
Zwischenzeit 88 Jahre alt und erfreut sich <strong>im</strong>mer noch bester Gesundheit.<br />
Er fährt auch <strong>im</strong>mer noch Ski, wenn ich richtig informiert bin.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ja, toi, toi. Er fährt ab und zu noch, wenn das Wetter schön ist.<br />
Halke-Teichmann: Deswegen wirst du ja auch des Öfteren in deine alte He<strong>im</strong>at zurückkehren.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ja, klar. Meine ältere Schwester wohnt ja auch in Reit <strong>im</strong> Winkl, und Evi<br />
wohnt auch nicht weit weg in Bergen. Selbstverständlich besuche ich Vati<br />
öfter: Er ist von dort <strong>im</strong>mer schlecht wegzubringen zu uns nach Garmisch.<br />
Das heißt, man muss halt zu ihm fahren, wenn man ihn sehen will. Natürlich<br />
ist es so, dass ich schon gerne zurückkomme.<br />
Halke-Teichmann: Außer dem fünfzigsten Geburtstag steht noch ein anderes Jubiläum an: der<br />
20. Hochzeitstag <strong>mit</strong> Christian Neureuther. Wie habt ihr es eigentlich<br />
geschafft, über einen so langen Zeitraum eine so glückliche Ehe zu führen?<br />
Das ist ja, wie man leider sagen muss, heutzutage fast schon eine<br />
Seltenheit.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ja, das ist halt ein Glücksfall. Man muss eben den Richtigen treffen: Das ist<br />
das Wichtigste. Ja, wie haben wir das geschafft?<br />
Halke-Teichmann: Nun, da gibt es ja schon einmal gleiche Interessen.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ja, auch, selbstverständlich, denn der Christian ist selbst auch Sportler<br />
gewesen, das st<strong>im</strong>mt schon. Was aber ist die Kunst? Nun, dass jeder den<br />
anderen ein wenig so sein lässt, wie er ist. Bei uns ergänzt es sich eben<br />
ideal: Ich bin absolut keine Geschäftsfrau. Christian macht diesen Part bei
uns in der Familie, und ich bin zu Hause. Er ist <strong>im</strong> Winter oft <strong>mit</strong> dem<br />
Fernsehen unterwegs, während ich gerne dahe<strong>im</strong> bin und dort die Stellung<br />
halte, denn das muss ja auch sein. Das ergänzt sich alles, und dann<br />
kommen halt auch unsere gleichen Interessen noch hinzu: besonders <strong>im</strong><br />
Hinblick auf den Skisport, woran unser Herz <strong>im</strong>mer noch hängt. Wenn man<br />
das sein Leben lang gemacht hat, dann bleibt das auch so.<br />
Halke-Teichmann: Einen großen Rummel gab es auch noch um eure Hochzeit in Garmisch-<br />
Partenkirchen: sowohl wegen des Medienaufkommens als auch wegen der<br />
20000 Fans, die da gekommen waren.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ja, aber wir wussten nicht, dass da so viele kommen würden.<br />
Halke-Teichmann: Ist da nicht doch ein Punkt erreicht, bei dem man sich manchmal sagt:<br />
"Mein Gott, wäre ich doch nicht so bekannt und würde meinetwegen nur<br />
Maier heißen. Da könnte ich jetzt wenigstens in Ruhe Hochzeit feiern."?<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ja, aber das haben wir dann Gott sei Dank doch so in den Griff bekommen,<br />
dass die Kirche wirklich nur für die Verwandten und die geladenen Gäste da<br />
war. In der Kirche war nur ein Fotograf. Da gab es auch keine Kamera usw.<br />
Halke-Teichmann: Aber das war dann doch wieder ein unglaubliches Gedränge.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Als wir aus der Kirche gekommen sind, waren wir ja selbst überrascht, dass<br />
da so viele Leute stehen und dass da so viel los ist. Aber danach haben wir<br />
das in dem geplanten Rahmen doch noch hinbekommen: Da war dann<br />
alles abgeschirmt und abgesperrt. Das war also schon noch zu regeln. Aber<br />
an sich war das selbstverständlich schon schön.<br />
Halke-Teichmann: Die Reit <strong>im</strong> Winkler haben sich wohl <strong>mit</strong>tlerweile auch wieder beruhigt<br />
darüber, dass Christian Neureuther <strong>Rosi</strong> nach Garmisch-Partenkirchen<br />
entführt hat.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ja, sie haben Christian schon anerkannt. Weil wir ja in Reit <strong>im</strong> Winkl diesen<br />
Landgasthof haben, sind wir ja <strong>im</strong> Grunde in beiden Orten verwurzelt.<br />
Halke-Teichmann: Ihr habt zwei Kinder: Amelie ist jetzt wie alt?<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Amelie ist jetzt 19 geworden.<br />
Halke-Teichmann: Und Felix ist demnach 16 Jahre alt. Wie fühlst du dich denn in der Mutterund<br />
Hausfrauenrolle?<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ah, ja, wie fühlt man sich da?<br />
Halke-Teichmann: Kochst du z. B. selbst? Oder macht das jemand bei euch?<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ja, ich mache das schon selbst. Ich mache den Haushalt schon alleine.<br />
Gut, ich habe eine Zugehfrau, die zwe<strong>im</strong>al in der Woche kommt, aber<br />
ansonsten mache ich das schon selbst. Ich koche auch wirklich ganz gerne.<br />
Sicher, wenn man jeden Tag kochen muss, dann macht einem das nicht<br />
<strong>im</strong>mer so viel Spaß, das weiß jede Frau. Wenn einmal etwas Besonderes<br />
ansteht, dann ist das aber doch auch wieder recht schön. Ich habe das<br />
irgendwie doch gelernt bei meiner Mutter: Durch die Lehre zu Hause ist<br />
eben schon etwas hängen geblieben. Das heißt, das Kochen usw. geht mir<br />
ganz gut von der Hand. Die Kinder selbst waren halt ein sehr<br />
einschneidendes Ereignis: Wenn man Eltern wird, dann ändert sich für<br />
Vater und Mutter wirklich alles. Das geht aber jedem so, der Kinder hat.<br />
Halke-Teichmann: St<strong>im</strong>mt, dem kann ich nur zust<strong>im</strong>men.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Da hat man dann die Verantwortung für die Kinder, und so denkt man nur<br />
noch daran, ob es den Kindern gut geht, ob in der Schule alles in Ordnung<br />
ist usw. Da fragt man sich dann ständig: Machen sie alles so, wie man sich<br />
das vorstellt?<br />
Halke-Teichmann: Welche Talente haben denn die Kinder von euch geerbt? Das Skifahren?
<strong>Mittermaier</strong>: Sie sind beide recht sportlich. Felix liebt den Sport wirklich: Den muss man<br />
schon fast zwingen, auch wieder aufzuhören...<br />
Halke-Teichmann: Er ist auch <strong>im</strong> Nationalkader.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ja, er ist in der Nachwuchsmannschaft des Deutschen Skiverbandes <strong>mit</strong><br />
dabei. Er ist, wie gesagt, 16 Jahre alt und spielt <strong>im</strong> Verein in Garmisch aber<br />
auch gerne Fußball. Letztes Jahr hatte er leider ein kleines Problem <strong>mit</strong><br />
dem Knie: Wenn das anfängt, dann hat man da schon wieder so ein wenig<br />
seine Sorgen als Mutter.<br />
Halke-Teichmann: Weil du die Sorgen gerade ansprichst: Die <strong>Mittermaier</strong>-Mädels hatten ja<br />
diverse Knochenbrüche. Am schl<strong>im</strong>msten hat es wohl Evi <strong>mit</strong> einem<br />
Schädelbruch erwischt. Macht man sich aus diesem Grund denn nicht<br />
besonders viele Sorgen, wenn die eigenen Kinder Skifahrer sind? Weil man<br />
halt weiß, was passieren kann?<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Man war ja selbst auch einmal jung und weiß doch deshalb, was los ist und<br />
wie schön es sein kann, wenn man auch einmal das Tempo spürt. Deshalb<br />
kann ich das also recht gut einschätzen. Die Entwicklung <strong>im</strong> Ski-Weltcup<br />
der letzten Jahre macht mir da schon andere Sorgen: Das betrifft die<br />
taillierten Skier, das höhere Tempo oder meinetwegen die Abfahrtsstrecken,<br />
die für Männer und Frauen fast gleich sind. Diese Strecken sind zwar <strong>mit</strong><br />
Netzen und Absperrungen eingezäunt, aber man kann doch genau<br />
verfolgen, dass sich vor allem Mädchen sehr schnell und sehr schwer<br />
verletzten. Da sagt man sich dann doch: "Herrschaftszeiten, das muss doch<br />
ein wenig eingeschränkt werden." Die FIS macht auf dem Gebiet ja jetzt<br />
auch Einschränkungen bei der Taillierung der Ski usw.<br />
Halke-Teichmann: Amelie hat wohl nicht mehr ganz so viel Spaß am Skifahren.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Sie ist schon auch <strong>im</strong>mer ein wenig Rennen gefahren früher. Ich habe sie<br />
dort <strong>im</strong> Verein <strong>im</strong>mer abgeliefert und sie dann alleine machen lassen, denn<br />
meine Kinder wollten das einfach nicht, dass wir da dabei gewesen wären.<br />
Das ist ja ganz klar: Sie wurden <strong>im</strong>mer wieder nach den Eltern gefragt, ob<br />
sie so wie der Vater oder die Mutter fahren usw. Als Amelie noch recht klein<br />
war, hat sie darauf <strong>im</strong>mer geantwortet: "Nein, besser!" Sie wusste das<br />
wirklich nicht, denn unsere Kinder wissen ja gar nicht so genau darüber<br />
Bescheid, wie wir früher Ski gefahren sind. Später hat es sie aber sehr<br />
gestört, dass sie <strong>im</strong> Hinblick auf ihre eigene persönliche Entwicklung <strong>im</strong>mer<br />
wieder in diese Ecke gedrängt worden ist.<br />
Halke-Teichmann: Leiden deine Kinder manchmal ein wenig darunter, so prominente Eltern zu<br />
haben?<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ich glaube schon ein wenig. Felix zeigt das nicht so nach außen, aber<br />
Amelie mag das wirklich gar nicht. Sie hat einmal sogar gesagt: "Am<br />
liebsten hätte ich einen anderen Namen." Denn sie spürt halt, dass uns<br />
doch sehr viele Leute ansprechen, während die Kinder dann völlig auf die<br />
Seite gedrängt werden. Sie fahren auch nie <strong>mit</strong> uns irgendwohin, wenn es<br />
irgendwo etwas gibt, wohin man normalerweise Kinder gerne <strong>mit</strong>nehmen<br />
würde. Solche Sachen mögen sie gar nicht gerne: Sie sind lieber zu Hause<br />
und haben dort ihren Freundeskreis. Und das ist auch in Ordnung so.<br />
Halke-Teichmann: Es gab in der Familie <strong>Mittermaier</strong>-Neureuther einmal auch eine Situation, in<br />
der ihr sehr verängstigt worden seid. Denn es konnte eine Entführung eurer<br />
Kinder <strong>mit</strong>samt Lösegelderpressung <strong>im</strong> Vorfeld gerade noch verhindert<br />
werden. Hat das euer Leben verändert?<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ja, und das ist auch ein ganz schwarzes Kapitel. Man kann sich das von<br />
außen eigentlich gar nicht so recht vorstellen: In so einer Situation kann<br />
man überhaupt nicht mehr schlafen, weil man nur noch daran denkt. Aber<br />
das Leben geht ja doch weiter, und man muss die Kinder trotzdem so<br />
erziehen, dass sie nicht in jedem fremden Menschen einen Kr<strong>im</strong>inellen
sehen. Das war also doch eine Geschichte, die für uns eine sehr krasse<br />
Zeit dargestellt hat.<br />
Halke-Teichmann: Hat sich das <strong>mit</strong>tlerweile so ein wenig normalisiert?<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ja, die Kinder sind <strong>mit</strong>tlerweile ja auch älter geworden. Wir haben sie auch<br />
nie abbilden oder Fotos von ihnen veröffentlichen lassen, obwohl natürlich<br />
ständig nach solchen Homestorys und dergleichen gefragt wird. Dieses<br />
Thema ist für uns aber wirklich tabu: So etwas machen wir nicht.<br />
Halke-Teichmann: Du hast schon gesagt, dass die Geschäfte <strong>mit</strong>tlerweile Christian<br />
übernommen hat, weil du das nicht ganz so gerne machen...<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Nein, schon <strong>im</strong>mer, er macht das <strong>im</strong>mer schon.<br />
Halke-Teichmann: Du selbst aber engagierst dich z. B. auch <strong>im</strong> sozialen Bereich: Du bist<br />
Schirmherrin der Rheumaklinik in Garmisch-Partenkirchen...<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ja, für Kinderrheuma.<br />
Halke-Teichmann: Zudem bist du Botschafterin <strong>im</strong> Europäischen Parlament für Sport, Toleranz<br />
und Fairplay. Was beinhalten diese Aufgaben?<br />
<strong>Mittermaier</strong>: In diese Botschaftsaufgabe wurde ich vor zwei Jahren vom<br />
Bundesinnenministerium gewählt. In diesem Jahr war in Athen eine Sitzung<br />
all dieser Botschafter: Da haben sich diese Botschafter aus allen<br />
europäischen Ländern getroffen. Es gab da einen Austausch in der<br />
Richtung, dass man z. B. auch von Deutschland aus für östliche Länder <strong>im</strong><br />
Hinblick auf den Fairplay etwas machen könnte. Denn dort gibt es ja<br />
überhaupt kein Geld dafür, um wenigstens einmal irgendetwas in der<br />
Richtung z. B. drucken zu können.<br />
Halke-Teichmann: Ihr beide habt ja eine Skifirma: Da könntet ihr doch ein paar Skier<br />
rüberschicken.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Absolut. Aber es ist eben so, dass bei uns <strong>im</strong> Land für den Fairplay sehr viel<br />
gemacht wird. Vom Bundesinnenministerium gibt es einen Fairplay-Preis,<br />
der jedes Jahr vergeben wird. Aber das ist nur ein kleiner Teil unserer<br />
Aufgabe, denn ansonsten schaut man halt, dass sich Sportler und<br />
Zuschauer möglichst fair verhalten. Denn das ist doch das Allerwichtigste.<br />
Wenn das nämlich gewährleistet ist, dann geschieht auch nichts, dann gibt<br />
es keine Hooligans unter den Fußballfans usw. Wie bringt man die Leute<br />
aber zur Fairness? Das ist das Problem.<br />
Halke-Teichmann: Hat das Engagement in der Kinder-Rheumaklinik eine Vorgeschichte? Ich<br />
hoffe doch nicht.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Nein, es ist nur so, dass ich diese Klinik schon sehr lange kenne, weil da<br />
auch meine Kinder <strong>im</strong>mer untersucht worden sind. Mein Schwiegervater,<br />
also Christians Vater, ist Mediziner und kannte von daher den Professor an<br />
dieser Klinik <strong>im</strong>mer schon sehr gut. Ich weiß daher, was dieser Mann in<br />
dieser Klinik auf die Beine gestellt hat und wie die Kinder dort <strong>im</strong>mer schon<br />
behandelt worden sind. Nun will man eben, dass auch andere Kliniken<br />
diese Krankheit bei den Kindern früher erkennen und behandeln. Das ist <strong>mit</strong><br />
ein Grund dafür, warum ich dort tätig bin. Ich versuche halt, <strong>mit</strong> dazu<br />
beizutragen, dass man zu Geld kommt, um diese ganzen Dingen<br />
unternehmen zu können.<br />
Halke-Teichmann: <strong>Rosi</strong>, wie erklärst du dir denn, dass du auch 24 Jahre nach deinem<br />
großartigen Erfolg <strong>im</strong>mer noch so ungemein populär bist?<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Oh, das kann man nicht erklären. Ich weiß das sicher nicht.<br />
Halke-Teichmann: Vielleicht liegt es daran, dass du dich nie verändert hast und <strong>im</strong>mer natürlich<br />
geblieben bist?<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Das ist schwierig zu sagen, denn darüber habe ich mir <strong>im</strong> Grunde noch gar
keine Gedanken gemacht. Es gibt ein Sprichwort, das mir meine Mutter<br />
<strong>im</strong>mer gesagt hat: "So wie man in den Wald hineinruft, so tönt es zurück!"<br />
Solche Sprichwörter haben schon einiges für sich: Wenn man selbst nett zu<br />
den Leuten ist, dann sind sie auch nett zu dir. Das ist alles.<br />
Halke-Teichmann: Wenn man so erfolgreich ist, eine glückliche Ehe führt, zwei gesunde Kinder<br />
hat und finanziell eigentlich auch keine Probleme besitzt, was wünscht man<br />
sich denn da für die Zukunft?<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ich bin ja an sich schon irgendwie wunschlos glücklich, aber diese<br />
Aktivitäten, die ich jetzt z. B. für die Rheumakinder mache, sind mir doch<br />
sehr wichtig. Ich mache daneben ja auch noch Dinge für andere gute<br />
Zwecke: Es gibt da noch den Spendenmarathon, den Spendenaufruf für<br />
eine Augenklinik in Nepal, in den ich auch eingebunden bin. Und es gibt<br />
eben auch dieses Thema des Fairplay: Wenn man das den Menschen ein<br />
wenig näher bringen könnte, dann wäre doch viel erreicht. Ich glaube, dass<br />
das doch das Wichtigste ist. Wenn man es <strong>im</strong> kleinen eigenen Umfeld<br />
schafft, dass man fair und tolerant ist - ob das gegenüber Ausländern ist<br />
oder ob das be<strong>im</strong> Sport ist –, dann ist schon viel erreicht. Denn man so wie<br />
ich viel <strong>im</strong> Ausland war, dann weiß man doch, wie gut es einem <strong>im</strong> Ausland<br />
oft gegangen ist. Deshalb möchte ich, dass sich die fremden Menschen bei<br />
uns genauso wohl fühlen. Es braucht also <strong>im</strong>mer und überall ein gewisses<br />
Maß an Toleranz.<br />
Halke-Teichmann: <strong>Rosi</strong>, das war ein wunderbares Schlusswort. Liebe Zuschauerinnen und<br />
Zuschauer, das war die <strong>Doppel</strong>olympiasiegerin <strong>Rosi</strong> <strong>Mittermaier</strong> zu Gast<br />
bei Alpha-Forum. Ich bedanke mich bei dir, <strong>Rosi</strong>, dass du gekommen bist,<br />
und bei Ihnen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, für Ihr Interesse.<br />
<strong>Mittermaier</strong>: Ich danke auch.<br />
Halke-Teichmann: Auf Wiederschaun.<br />
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