Grundschule aktuell 99
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Heft Nr. <strong>99</strong> • III. Quartal • September 2007 • Best. Nr. 6034 • D9607F<br />
Grundschulverband – Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V. • Niddastraße 52 • 60329 Frankfurt/Main • Tel. 0 69 / 77 60 06 • www.grundschulverband.de<br />
Kinder vermessen?<br />
VERA und die<br />
Unterrichtskultur
Editorial<br />
Kinder<br />
vermessen?<br />
Ob das sinnvoll ist und notwendig oder gar förderlich? Anhand der VERgleichsArbeiten<br />
(VERA), die demnächst schon bundesweit verbindlich sein<br />
werden, diskutieren wir (nach den Heften 89 und 90) bereits in einem dritten<br />
Heft: Ausführlich und argumentativ, anschaulich und konkret. Wir fragen<br />
diesmal schärfer nach den Auswirkungen von VERA auf eine Kindern<br />
freundliche und ihr Lernen und Leisten herausfordernde Unterrichtskultur<br />
– wie IGLU belegt hat, ein Qualitätsmerkmal gerade der <strong>Grundschule</strong>.<br />
Ist VERA also ein vermessenes Anliegen von Bildungspolitik und Ministerialbürokratie?<br />
Lesen Sie dazu die Thesen von Horst Bartnitzky auf den<br />
S. 3 f. sowie seinen fachbezogenen Beitrag zu »VERA Deutsch« (S. 5 ff.),<br />
gefolgt von einem Artikel von Ulrich Schwätzer, der sich mit den VERA-<br />
Aufgaben für Mathematik auseinandersetzt (S. 11 ff.).<br />
Alternative: Pädagogische Leistungskultur<br />
Der Grundschulverband belässt es nicht bei grundsätzlicher und detaillierter<br />
Kritik der um sich greifenden Testerei. Er greift die Praxis vieler Kolleginnen<br />
und Kollegen auf und formuliert daraus sein Konzept »pädagogischer<br />
Leistungskultur«, das inzwischen in mehreren Veröffentlichungen<br />
fundiert und praxistauglich vorgelegt wurde. Wie dieses Alternativprogramm<br />
Eingang finden kann in Ihre konkrete Arbeit – dazu finden Sie<br />
Anregungen für die »VERA-Fächer« Mathematik und Deutsch in unseren<br />
Praxisbeiträgen auf den S. 16 ff.<br />
Erwin-Schwartz-Grundschulpreis<br />
Im Mai bereits erhielt Heide Bambach den Erwin-Schwartz-Grundschulpreis,<br />
erst in diesem Heft kann darüber berichtet werden (S. 26 ff.). Prof.<br />
Dr. Jörg Ramseger (FU Berlin) gratulierte uns zur Wahl der ersten Preisträgerin,<br />
seine Zeilen spannen den Bogen zum Thema unseres Heftes – und<br />
zu unserem gemeinsamen Anliegen:<br />
»Heide Bambach verkörpert in bewundernswerter Weise einen in einer höchst<br />
reflektierten Pädagogik gegründeten Widerstandsgeist gegen alle Verflachungstendenzen<br />
einer technokratischen Bildungspolitik, die mehr und mehr<br />
um sich greift. Gegen die überzogenen Hoffnungen einer simplen Machbarkeit<br />
von Leistungssteigerung bei Kindern und Heranwachsenden setzt sie unverdrossen<br />
auf die Wirkungen einer von wechselseitiger Achtung und intellektueller<br />
Forderung gekennzeichneten Humanität, die schon dem kleinen Kind<br />
tiefgründige Einsicht und gutes soziales Verhalten zutraut und zumutet.«<br />
Ulrich Hecker<br />
Impressum<br />
, die Zeitschrift des Grundschulverbandes erscheint<br />
viertel jährlich und wird allen Mit glie dern zugestellt.<br />
Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Das einzelne Heft kostet 5 €;<br />
für Mitglieder und bei Sam mel be stel lun gen ab 10 Hefte 3 € (incl. Versand).<br />
Verlag: Grundschulverband – Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V.<br />
Niddastraße 52, 60329 Frankfurt / Main, Tel. 0 69 / 77 60 06, Fax: 0 69 / 7 07 47 80;<br />
Internet: www.grundschulverband.de, E-Mail: info@grundschulverband.de<br />
Herausgeber: Horst Bartnitzky (für den Vorstand des Grundschulverbandes)<br />
Redaktion: Ulrich Hecker, Hülsdonker Str. 64, 47441 Moers, Tel. 0 28 41 / 2 17 14,<br />
E-Mail: ulrichhecker@aol.com<br />
Fotos: Bert Butzke, Mülheim/Ruhr (Titel), Baldur Bertling und Marlies Hergarten<br />
(S. 26 – 29) sowie jeweilige Autor/innen<br />
Zeichnungen: Wilhelm Nüchter, Moers (Titel, S. 1)<br />
Herstellung: novuprint Agentur für Mediendesign, Werbung, Publikationen GmbH,<br />
Bödekerstr. 73, 30161 Hannover, Tel. 05 11 / 9 61 69 – 11, Fax: 05 11 / 9 61 69 – <strong>99</strong><br />
Anzeigenverwaltung: Claudia Klinger, Verlagsgruppe Beltz, Tel. 0 62 01 / 6 00 73 86,<br />
Fax 0 62 01 / 6 00 73 93<br />
Druck: Druck Partner Rübelmann, 69502 Hemsbach<br />
ISSN 1860-8604<br />
Beilagen: Aulis Verlag Deubner GmbH & Co KG, Köln und als ständige Beilage<br />
»Eine Welt in der Schule«<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007<br />
1
Tagebuch<br />
Durchgefallen: Sprachtest in NRW<br />
Bernhard Eibeck<br />
Jahrgang 1953,<br />
Diplompädagoge,<br />
Referent für Jugendhilfe<br />
und Sozialarbeit<br />
beim Hauptvorstand<br />
der Gewerkschaft<br />
Erziehung und Wissenschaft<br />
(GEW).<br />
Ein anhaltend hoher und Besorgnis erregender Prozentsatz<br />
von Kindern beginnt die Schule, ohne hinreichend<br />
Deutsch zu können. Allenthalben spielt deshalb die<br />
Sprachförderung in Kindertagesstätten eine immer<br />
größere Rolle. Um herauszufinden, welche<br />
Kinder besonderen Förderbedarf haben, bemüht<br />
man sich, Testverfahren zu entwickeln – nicht<br />
nur in Nordrhein-Westfalen, dort aber besonders<br />
ehrgeizig. Man will nicht erst ein Jahr vor der<br />
Schule ansetzen, sondern schon drei Jahre früher<br />
und flächendeckend. So wurden im März 2007<br />
in NRW alle vierjährigen Kinder einem Sprachtest<br />
unterzogen. Das Ergebnis: von 145 000 Kinder<br />
sind 95 000 durchgefallen. War der Test zu<br />
schwer oder die Kinder zu dumm? Nein – der Test<br />
war schlecht, ein Armutszeugnis der Pädagogik.<br />
Der NRW-Test Delfin 4 (»Diagnostik, Elternarbeit und Förderung<br />
der Sprachkompetenz 4-Jähriger in NRW«) besteht aus<br />
drei Teilen. Im ersten Teil wird ein Brettspiel »Besuch im<br />
Zoo« gespielt. Vier Kinder sitzen an vier Seiten eines Tisches,<br />
an zwei sich gegenüberliegenden Ecken nehmen<br />
eine »Begleiterin« und eine »Protokollantin« Platz. Die<br />
eine ist Grundschullehrerin, die andere Erzieherin. In der<br />
Mitte liegt ein bunter Spielplan, der einen Zoo darstellt.<br />
Mit einem farbigen Spielstein bewegen sich die Kinder<br />
der Reihe nach durch den Zoo und kommen dabei auf<br />
Felder, auf denen sie Fragen beantworten und Aufgaben<br />
lösen müssen. So gibt es z. B. den Aufgabenbereich »Sätze<br />
nachsprechen«. Die »Begleiterin« hat zu sagen: »Ich sage<br />
dir jetzt etwas vor und Du sprichst es mir genauso nach.«<br />
Dann wird der nachzusprechende Satz vorgelesen: »Die<br />
Decke wird von Tim ordentlich gefaltet« oder »Kemal ist<br />
wütend, wenn sein Bruder das Turnzeug vergisst«. Jetzt<br />
soll ein Kind, und zwar ausschließlich das Kind, das an der<br />
Reihe ist, den Satz nachsprechen. Ansonsten ist Schweigen.<br />
Allenfalls darf die »Begleiterin« die Aufgabe mit »neutralen<br />
Verstärkern« (»hmm« oder »ja«) bestätigen. Wenn<br />
die Aufgabe erledigt ist, wird jedes Kind unabhängig vom<br />
Ergebnis gelobt – z. B. »Das hast Du gut gemacht«. Wenn<br />
ein Kind unsicher ist und nachfragt, ist die angeordnete<br />
Reaktion der Satz »Mach einfach weiter so!«. Für das richtige<br />
Nachsprechen gibt es Punkte, macht das Kind Fehler,<br />
gibt es Punktabzug. Die Methode des Fehlerabzugs ist<br />
klar geregelt. Wenn z. B. das Wort »einen« ausgesprochen<br />
wird wie« ein’n« gibt es statt acht nur sieben Punkte. Mit<br />
neun Punkten wird belohnt, wer den Satz »Wenn der Wind<br />
regnet, pustet er kleine blaue Schneeflocken«, so sinnlos<br />
und falsch wie er ist, exakt nachspricht. Eine weitere<br />
Testaufgabe ist das Nachsprechen von Kunstwörtern wie<br />
Sumapp (mit Betonung auf dem u) oder Golasimu (hier<br />
muss das i betont werden).<br />
Am Ende hat man für jedes Kind einen Punktwert, der<br />
Auskunft darüber gibt, ob es eine ausreichende Sprachkompetenz<br />
hat oder Förderung braucht.<br />
Delfin 4 ist ein dramatischer und unverantwortlicher<br />
Rückfall in eine direktive, autoritäre, das Kind zu Testobjekten<br />
degradierende Pädagogik aus den tiefen 60er Jahren.<br />
Schon der Testaufbau macht deutlich: Hier geht es<br />
nicht um die Kinder, sondern um den stringenten Vollzug<br />
einer Prüfung.<br />
Die Kinder werden nicht spielerisch herausgefordert, ihre<br />
Sprachfähigkeit zu zeigen, sondern in ein enges Korsett<br />
eines Versuchsaufbaus hineingezwängt. Das Tragische<br />
ist, dass man den Kindern noch nicht einmal sagt, dass<br />
sie geprüft werden sollen. Man tut so, als wolle man mit<br />
ihnen zusammen ein Spiel spielen, verbietet ihnen aber<br />
alles, was zum Spielen gehört: Sich austauschen, Späße<br />
machen und Spaß haben.<br />
Ihnen zur Seite sitzen Erwachsene, die sich merkwürdig<br />
künstlich verhalten. Sie lesen Sätze vor in einer deutschen<br />
Hochsprache, die man sonst so von ihnen nicht hört. Was<br />
sollen die Kinder davon halten? Sich kaputt lachen über<br />
soviel Gekünstel oder Angst bekommen, weil alles so<br />
fremd ist?<br />
Delfin 4 erlaubt keine Abweichung, keine Kreativität, keine<br />
Neugier. Delfin 4 macht den Kindern vor, man wolle<br />
spielen und verbietet ihnen genau das. Bloß nichts falsch<br />
machen, jede Silbe zählt. Es offenbart sich ein furchtbar<br />
enges Verständnis von Bildung, das sich festmacht an<br />
Items, Kriterien und Merkmalen einer bürgerlichen Welt<br />
von Korrektheit, Disziplin und Genauigkeit.<br />
Man kann nur hoffen, dass die Delfin-4-Autorinnen und<br />
-Autoren nach den ersten Erfahrungen den Test einer<br />
gründlichen Revision unterziehen und sich auf die guten<br />
Traditionen einer ganzheitlichen, dem Kind verpflichteten<br />
Pädagogik besinnen.<br />
Bernhard Eibeck<br />
Referent für Jugendhilfe beim GEW-Hauptvorstand<br />
2 GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007
Thema: VERA und die Unterrichtskultur<br />
Wie Vergleichsarbeiten die Unterrichtskultur<br />
beschädigen – 5 Thesen und eine Hoffnung<br />
von Horst Bartnitzky, Vorsitzender des Grundschulverbandes<br />
An zwei Tagen im Mai 2008 werden alle Klassenlehrer<br />
in Deutschland an ihre 3. Klassen<br />
die gleichen Testbögen für Deutsch und<br />
Mathematik austeilen, die Kinder beaufsichtigen,<br />
die Arbeiten auswerten und die<br />
Ergebnisse in den Rechner geben. Das wird<br />
der Auftakt zu den jährlichen Testtagen im<br />
Mai in allen 3. und 8. Klassen der Republik<br />
sein. Einige Jahre hat der Grundschulverband<br />
die Entwicklung der flächendeckenden Tests<br />
in mehreren Bundesländern kritisch verfolgt.<br />
(1) Die Erkenntnisse sind nicht erfreulich.<br />
(2)<br />
1<br />
Die Bildungsinhalte werden<br />
drastisch verkürzt.<br />
PISA war im Jahr 2001 das schulpolitische<br />
Alarmsignal. Die Kultusministerkonferenz<br />
beschloss umgehend, die PISA-Scharte rasch<br />
auszuwetzen. Output-Steuerung galt und<br />
gilt seitdem als eine der wichtigsten Maßnahmen.<br />
Das heißt: Bildungsstandards für<br />
Schulstufen definieren und jährlich den Erfolg<br />
testen. Im Zentrum der Output-Beobachtung<br />
liegen die Bereiche, die in den internationalen<br />
Tests besonders im Blickpunkt<br />
stehen. Deshalb gibt es die Bildungsstandards<br />
nur für Deutsch und Mathe und nur<br />
auf diese Fächer beziehen sich die Tests.<br />
Damit werden alle anderen Fächer wie<br />
Sachunterricht, Musik, Kunst, Sport der<br />
schulpolitischen und der öffentlichen Aufmerksamkeit<br />
entzogen. Hier droht Brachland<br />
zu entstehen. In der Folge werden nachwachsende<br />
Generationen Events für Kultur<br />
halten.<br />
Demokratisches Lernen, Friedenserziehung,<br />
Umwelterziehung, neue Medien und<br />
anderes waren vor Jahr und Tag noch wichtige<br />
überfachliche Felder, zu denen in den<br />
Ländern Fortbildungen angeboten, Materialien<br />
entwickelt und Projekte angestoßen<br />
wurden. Als seien sie über Nacht unwichtig<br />
geworden, spielen sie höchstens noch eine<br />
Randrolle.<br />
Selbst in den getesteten Fächern begrenzen<br />
sich die Tests auf Ausschnitte. In Deutsch<br />
z. B. sind wesentliche Arbeitsfelder wie miteinander<br />
sprechen, szenisch spielen, Texte<br />
überarbeiten, Sprache untersuchen, Kinderliteratur<br />
lesen, mit Texten produktiv umgehen<br />
mit den schlichten Aufgabenformaten der<br />
flächendeckenden Tests nicht erfassbar.<br />
Fazit: Die Tests verstärken das Inter esse<br />
an wenigen ausgewählten Fächern, die<br />
im Fokus der internationalen Untersuchungen<br />
liegen. Hier testen sie einige<br />
Bereiche in der kognitiven Dimension<br />
mit einfachen Aufgabenstellungen.<br />
Überfachliche Bildungsansprüche, andere<br />
Lern dimensionen und komplexe Aufgabenstellungen<br />
bleiben ausgeklammert<br />
und drohen, zu schulischen Nebensachen<br />
zu werden.<br />
2<br />
Die Mittel-Zweck-Relation verdirbt<br />
das Bildungsverständnis.<br />
Schon im Begriff der Output-Steuerung wird<br />
ein verhängnisvoller doppelter Irrtum sichtbar.<br />
Der erste Irrtum: Output ist ein Begriff<br />
aus technischen Arbeitsabläufen. Vom angestrebten<br />
Ergebnis her wird der Arbeitsprozess<br />
konstruiert. Zuerst der Zweck, dann die dahin<br />
führenden Mittel. Dieses Bild technischer<br />
Produktion widerspricht dem Bildungsprozess.<br />
Die Qualität der Prozesse ist hier selber<br />
bildungswirksam. Auf welche Weise Kinder<br />
etwas lernen ist zumindest so bedeutsam<br />
wie das, was sie lernen.<br />
Der zweite Irrtum betrifft die Steuerung.<br />
Technische Vorgänge sind im Prinzip<br />
steuerbar, Handlungen von Menschen sind<br />
es nicht. Sie dürfen es auch nicht, weil dies<br />
unserer Ethik von der Würde des Menschen<br />
widerspricht. Bildungsprozesse sind Entwicklungsprozesse<br />
junger Menschen und es<br />
sind Förderprozesse professionell Lehrender.<br />
Beide sind nicht steuerbar, bei beiden bedarf<br />
es der inneren Zustimmung zu einer Handlung,<br />
sonst entwickelt sich kein Bildungsprozess.<br />
Dies zusammen zu bringen ist die hohe<br />
Kunst der Lehrenden. Günstige Bedingungen<br />
dafür zu schaffen, die Pflicht der Schulpolitik.<br />
3<br />
Die<br />
Fazit: Die Entscheidung für Tests als bevorzugtes<br />
Evaluierungsinstrument unterstellt<br />
für Lernprozesse ein technizis tisches<br />
Paradigma: die Unterrichtsprozesse<br />
werden auf die Vermittlung von überprüfbaren<br />
Zielen reduziert. Damit wird der<br />
Blick auf nachhaltig wirksame und qualifizierende<br />
Bildungsprozesse verstellt,<br />
die Auswirkungen auf Selbst-, Sozial- und<br />
Sachkompetenzen außerhalb von Papier-<br />
Bleistift-Evaluierungen haben.<br />
tatsächlichen Schülerleistungen<br />
werden verkannt.<br />
Kinder sind nicht Objekte der Belehrung, sondern<br />
Subjekte ihres Lernens. Als guter Unterricht<br />
gilt deshalb zu Recht ein Unterricht, der<br />
genau dies unterstützt: die Fähigkeiten zum<br />
selbstständigen Lernen mit dem Angebot<br />
verschiedener Zugriffsmöglichkeiten und<br />
Lernmethoden. Lernkompetenz ist deshalb<br />
ein didaktischer Schlüsselbegriff. Verbunden<br />
mit der individuellen Eigenleistung jedes Lernens<br />
gilt das didaktische Interesse insbesondere<br />
dem Lernweg der Kinder, ein Weg auch<br />
mit eigenständigen Lösungsstrategien, mit<br />
scheinbaren Rückschritten, mit Übergeneralisierungen<br />
als wichtigen Etappen auf dem<br />
Lernweg. In den praktizierten Tests ist von<br />
einem solchen Verständnis nichts zu erkennen.<br />
Hier gilt das Gebot der Ökonomie. Die<br />
Kinder sollen möglichst wenig selbst schreiben,<br />
dafür ankreuzen und unterstreichen.<br />
Gedankenwege und Lernstrategien, die dem<br />
Ankreuzen zu Grunde liegen, werden nicht<br />
ermittelt. Die Tests und ihre Auswertung lassen<br />
nicht zu, dass die Denkakte der Kinder<br />
zum Vorschein kommen.<br />
Entscheidende Informationen über tatsächliche<br />
Schülerleistungen werden nicht erfasst,<br />
häufiger werden sogar faktische Schülerleistungen<br />
als Fehlleistungen moniert.<br />
(Siehe hierzu in diesem Heft die Kommentare<br />
zu den VERA-Tests Deutsch S. 5 ff und<br />
Mathematik S. 11 ff.)<br />
Fazit: Die Tests nehmen Lerner in ihren Denkvorgängen<br />
nicht wahr, sondern ermitteln<br />
Antworten auf der Aussageoberfläche.<br />
Damit können sie keine Aussage zur<br />
Denkqualität, zu den individuellen Denkstrategien<br />
und Lösungswegen der Kinder<br />
machen. Mithin reduziert sich auch die<br />
Möglichkeit erheblich, Schlüsse für individuelle<br />
Maßnahmen zu ziehen.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007<br />
3
Thema: VERA und die Unterrichtskultur<br />
4<br />
Die Aufgabenstellungen berühren<br />
viele Kinder nicht.<br />
Kinder zeigen ihre Leistungsfähigkeit, ihre<br />
Kompetenzen dann, wenn es um Inhalte und<br />
Ziele geht, die sie interessieren, die sie angehen,<br />
an deren Erarbeitung ihnen gelegen ist,<br />
zu denen sie bereits ein Vorwissen haben, wo<br />
sie Neues mit Vertrautem in Zusammenhang<br />
bringen können. Wo dies nicht per se gegeben<br />
ist, besteht die Unterrichtskunst gerade<br />
darin, entsprechende Zusammenhänge zu<br />
schaffen, Interessen zu animieren, Fragehorizonte<br />
zu entwickeln. Begründungen dafür<br />
finden sich von den Theorien der Reformpädagogik<br />
bis zu empirischen Befunden der <strong>aktuell</strong>en<br />
Hirnforschung.<br />
Die vorhandenen Leistungstests repräsentieren<br />
aber das genaue Gegenteil. Sie<br />
stellen Texte und Aufgaben vor, die für Kinder<br />
oft fremd sind. Die Aufgabenstellung<br />
und die Art der Testdurchführung lassen gar<br />
nicht erst zu, dass die Kinder und Jugendlichen<br />
sich mit der Situation, um die es geht,<br />
vertraut machen, dass sie zu einer Fragehaltung<br />
kommen. Wenn wie bei VERA 2007<br />
die Drittklässler in dreißig Minuten zwei anspruchsvolle<br />
Texte lesen und dazu 15 Aufgaben<br />
bearbeitet müssen, dann ist schon aus<br />
Zeitgründen ein wirkliches Einlassen auf die<br />
Texte und ihren Kontext nicht möglich; wenn<br />
einer dieser Texte Restaurant-Erfahrungen<br />
voraussetzt, dann geht das an dem Weltwissen<br />
vieler Kinder vorbei. Die Kinder können<br />
nicht zeigen, was sie wirklich können.<br />
Fazit: Die Tests verwenden verfremdete<br />
Aufgabenstellungen. In den gewählten<br />
Lebensweltzusammenhängen kann sich<br />
immer nur ein Teil der Schüler wiederfinden.<br />
Das wirkt sich bei vielen, insbesondere<br />
jüngeren und kontextabhängig denkenden<br />
Kindern, nachteilig auf Interesse<br />
und Leistung aus.<br />
5<br />
Die Tests bestimmen das<br />
Curriculum und nicht<br />
das Curriculum die Tests.<br />
Die Schulpolitik wollte mit der Output-Steuerung<br />
die Tests als Leistungsbarometer einführen.<br />
Entsprechend werden die Testergebnisse<br />
gehandelt: als Anzeiger des <strong>aktuell</strong>en<br />
Bildungsstandes in den Schulen. Die Wissenschaftlergruppen<br />
sind in dieser Strategie offenbar<br />
gefangen. Eigentlich wissen sie, dass<br />
die Tests nur sehr begrenzte Ausschnitte aus<br />
dem spiegeln können, was als Bildungsstandards<br />
definiert wurde. Sie wissen auch, dass<br />
der Einmaltest keine verlässliche Auskunft<br />
über die Leistung einzelner Kinder auch in<br />
diesem Ausschnitt gibt, weil die Fehleranfälligkeit<br />
zu groß ist und erst die Menge der<br />
Probanden die Fehler vermutlich auszugleichen<br />
in der Lage ist. Eigentlich. Und im Kleingedruckten<br />
werden diese Relativierungen<br />
auch formuliert. Aber die faktische Wirkung<br />
ist eine andere: Die fachlich begrenzten Ergebnisse<br />
werden den Schulen und den Eltern<br />
so vorgelegt, als seien sie Aussagen zum<br />
Leistungsprofil der einzelnen Kinder; zum<br />
schulinternen Ranking werden die Leistungsprofile<br />
der Klasse und der Parallelklassen den<br />
Eltern vorgelegt, so in Nordrhein-Westfalen;<br />
die Politik bastelt an landesweiten Ranking-Modellen,<br />
bei denen die Klassen in der<br />
Rangfolge ihrer Testergebnisse öffentlich gemacht<br />
werden, in Nordrhein-Westfalen z. B.<br />
werden die 50 Besten öffentlich ausgelobt.<br />
Die Rollenverteilung ist damit geklärt: Die<br />
Tests zeigen die Leistungsprofile, Erfolge wie<br />
Defizite. Die Lehrkräfte haben die Erfolge zu<br />
stärken und die Defizite auszugleichen. Die<br />
Zeitvorgabe ist absehbar: der nächste Test<br />
folgt im Jahr darauf. Entsprechend wächst<br />
der Druck auf die Lehrkräfte, nun die in den<br />
Tests untersuchten Bereiche und Arbeitsweisen<br />
in den Mittelpunkt des Unterrichts zu<br />
rücken. Die Verlage bieten schon längst entsprechendes<br />
Schulungsmaterial an: »Bestens<br />
gerüstet für Vergleichsarbeiten!« – »Fit für<br />
Vergleichsarbeiten« sind nur einige der <strong>aktuell</strong>en<br />
Verlagsangebote.<br />
Testorientierter Unterricht wird damit<br />
zum Leitbild für Schulentwicklung.<br />
Der weitere Verlauf ist absehbar, auch<br />
weil Erfahrungen aus England und den USA<br />
hierzu vorliegen: In den USA gaben 80 % der<br />
Lehrer an, dass sie zunehmend mehr Zeit für<br />
getestete Fächer und weniger Zeit für nicht<br />
getestete Fächer aufwenden. In Staaten mit<br />
hohem Stellenwert der Tests steigen zwar<br />
jährlich die Leistungen in den getesteten<br />
Bereichen, unabhängige Tests belegen aber<br />
die Abnahme der Leistungen insgesamt (2,<br />
S. 208 f.).<br />
Fazit: Sowohl die Testautoren wie ihre Auftraggeber,<br />
die Schulpolitik der Länder,<br />
geben öffentlich generalisierend vor, mit<br />
den Testergebnissen die Leistungen der<br />
Kinder und der Schulen in den entsprechenden<br />
Lernbereichen zu spiegeln. Damit<br />
wird die begrenzte Aussagekraft der<br />
Tests zu einzelnen fachlichen Leistungen<br />
fälschlich in eine Allaussage über Qualität<br />
von Unterricht und Schule insgesamt<br />
umgemünzt. Die Folge ist, dass die mit<br />
schlichten Aufgabenformaten konstruierten<br />
Tests vorgeben, was und wie in<br />
den Schulen unterrichtet werden soll. Die<br />
Schulpolitik in den Ländern tritt damit<br />
ihren demokratisch legitimierten Auftrag,<br />
über Bildungsziele und -inhalte zu<br />
entscheiden, an die Testautorinnen und<br />
-autoren ab.<br />
Die Hoffnung<br />
Es muss nicht so schwarz kommen, wie ich<br />
es skizziert habe. Viel wäre schon gewonnen,<br />
wenn die Schulen und Lehrkräfte sich nicht<br />
vom Test-Hype infizieren lassen; wenn sie die<br />
Tests als das ansehen, was sie sind: nämlich<br />
als Momentaufnahmen mit all ihrer Ausschnitthaftigkeit<br />
und Zufälligkeit, aber auch<br />
als Ergänzung zu ihren eigenen Wahrnehmungen<br />
und Bewertungen – und keinesfalls<br />
mehr. Unterstützen kann sie dabei, was der<br />
Grundschulverband in seinem Projekt »Pädagogische<br />
Leistungskultur« an Materialien<br />
entwickelt hat, um die Leistungen der Kinder<br />
zu erkennen und zu würdigen, um ihre Lernwege<br />
zu begleiten und zu dokumentieren (3).<br />
Und dann bleibt noch die Hoffnung darauf,<br />
dass auch die Politik wahrnehmungs- und<br />
lernfähig ist.<br />
Anmerkungen<br />
(1) Siehe: <strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>:<br />
H. 89 (2005): Kinder vermessen?, S. 3 – 20<br />
Heft 90 (2005): Kinder vermessen?<br />
– Die Diskussion geht weiter, S. 2 – 15<br />
Heft 92 (2005): Deutsch als Zweit sprache,<br />
darin S. 21 – 27<br />
4 GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007<br />
(2) ausführlich in: Horst Bartnitzky:<br />
Wie VERA und Verwandtes die Bildungsqualität<br />
beschädigen. In: Die Deutsche<br />
Schule 2 (2006), S. 201 – 213<br />
(3) Horst Bartnitzky / Angelika<br />
Speck-Hamdan (Hg.): Leistungen<br />
der Kinder wahrnehmen – würdigen<br />
– fördern. Frankfurt a. M.: Grundschulverband<br />
2004<br />
Horst Bartnitzky / Hans Brügelmann<br />
/ Ulrich Hecker / Gudrun Schönknecht<br />
(Hrsg.): Pädagogische Leistungskultur:<br />
Materialien für<br />
die Klasse 1 und 2. Frankfurt a. M.:<br />
Grundschul verband 2005<br />
Dies.: Pädagogische Leistungskultur:<br />
Materialien für die Klasse 3 und 4.<br />
Frankfurt a. M.: Grundschulverband 2006
Thema: VERA und die Unterrichtskultur<br />
VERA Deutsch 2007:<br />
»Alles Geschmackssache«? –<br />
Nein, auch eine Sache der Qualität!<br />
Vergleichsarbeiten VERA:<br />
hoher Aufwand – hohe Ziele<br />
Am Donnerstag, 10. Mai 2007, saßen<br />
in allen 3. Klassen von sieben Bundesländern<br />
die Kinder über demselben<br />
VERA-Test Deutsch. Eine halbe Stunde<br />
Zeit hatten sie, um zwei Texte zu lesen<br />
und dazu Fragen zu beantworten,<br />
eine halbe Stunde, um zu einem Bild<br />
als Schreibimpuls einen eigenen Text<br />
zu schreiben. Die Reihenfolge war frei<br />
gestellt. Klassenarbeitsbedingungen<br />
waren vorgeschrieben, keine Hilfestellungen<br />
erlaubt, aber emotionale<br />
Unterstützungen zugestanden, so die<br />
Anweisung an die aufsichtsführenden<br />
Lehrkräfte.<br />
Am Nachmittag desselben Tages<br />
mussten die Korrekturanweisungen<br />
aus dem Internet heruntergeladen<br />
werden. Mit deren Hilfe mussten in<br />
den folgenden Tagen die Arbeiten der<br />
Kinder von den Lehrkräften durchgesehen<br />
und die jeweiligen Ergebnisse<br />
Aufgabe für Aufgabe und Kriterium für<br />
Kriterium in mehrseitige Tabellen in<br />
den Rechner eingegeben und zur Auswertung<br />
an die Universität Landau geschickt<br />
werden. Termin: Anfang Juni.<br />
Das ganze aufwändige Verfahren<br />
soll<br />
– feststellen, welche Lernergebnisse<br />
die Kinder erreicht haben,<br />
– ermitteln, wo Stärken und Schwächen<br />
der Kinder liegen,<br />
– den Lehrkräften wertvolle Hinweise<br />
zum Förderbedarf geben,<br />
– den Schulen eine abgesicherte Bestimmung<br />
ihres Leistungsprofils<br />
geben und helfen, den Erfolg der<br />
pädagogischen Arbeit besser einzuschätzen,<br />
– landesweite Vergleichswerte ermitteln.<br />
Diese anspruchsvollen Zielsetzungen<br />
finden sich in der Elterninformation<br />
zu den Vergleichsarbeiten.<br />
Fachliche Grundlagen sollen die bundesweit<br />
geltenden Bildungsstandards<br />
der Kultusministerkonferenz sein.<br />
Der Aufwand ist immens – an Teststrenge<br />
für die Kinder, an Arbeitszeit<br />
für die Lehrerinnen und Lehrer und an<br />
Ansprüchen zu Sinn und Zweck der Unternehmung.<br />
Da ist die kritische Sicht<br />
auf die Aufgabenstellungen zwingend:<br />
■ Sind die Aufgaben qualitätsvoll genug?<br />
■ Repräsentieren sie wichtige Kompetenzbereiche?<br />
■ Helfen sie, den Förderbedarf zu klären?<br />
Im Folgenden versuche ich, Antworten<br />
zu finden. Dabei verwende ich<br />
neben fachdidaktischen Überlegungen<br />
Eindrücke und Meinungen beteiligter<br />
Lehrkräfte sowie Testausführungen<br />
von Kindern.<br />
Der 1. Lesetext: Von Geschmacksknospen<br />
und Umami-Geschmack<br />
In dreißig Minuten sollten die Drittklässler<br />
nacheinander zwei ganzseitige<br />
Texte erlesen und dazu insgesamt 15<br />
Aufgaben bearbeiten: durch Ankreuzen,<br />
Unterstreichen und freies Beantworten.<br />
Die Texte waren aus dem<br />
Inhaltsbereich Essen, Trinken, Schmecken<br />
entnommen. Der erste Lesetext<br />
– »Geschmäcker sind verschieden« –<br />
war ein Sachtext über die Sinne, die<br />
beim Essen eine Rolle spielen (s. Abb.<br />
rechts).<br />
Der Text hat es in sich: Er setzt<br />
beim Leser Weltwissen sowie elaboriertes<br />
sprachliches Wissen voraus.<br />
Schon der Plural Geschmäcker ist vielen<br />
Kindern unbekannt (im übrigen<br />
falsch: der Plural heißt Geschmäcke,<br />
Duden Rechtschreibung 24. Aufl.), erst<br />
recht das Zungenbrecher-Wort »Geschmacksknospen«.<br />
Dann die Fülle der<br />
für Kinder ungewöhnlichen zusammengesetzten<br />
Substantive, mehrfach<br />
mit Fugen-s, was bei der Zusammensetzung<br />
mit dem Grundwort Sinn zu<br />
zwei s führt, eine weitere Stolperstelle:<br />
Geschmacksarten, Geschmacksforscher,<br />
Geruchssinn. Jede Lehrerin<br />
weiß, wie schwächere Kinder allein<br />
an einem Wort wie Geschmacksarten<br />
hängen bleiben: Geschmack kennen<br />
sie, aber was sind Sarten? Und dann<br />
die Geschmacksrichtung »umami«,<br />
mit Sternchen versehen, die Erklärung<br />
steht unten auf der Seite. Sternchen-<br />
Verweise sind in Grundschultexten<br />
ganz unüblich, die meisten Drittklässler<br />
werden diese Leseweise noch nicht<br />
kennen. Kurz: Der Text ist gespickt mit<br />
Leseschwierigkeiten, wie er in dieser<br />
Weise in wohl keinem Schulbuch der<br />
Klasse 3 vorkommt und vermutlich<br />
auch behördlich nicht genehmigt würde,<br />
zu Recht. Langsamere Leser, Kinder<br />
mit begrenztem Wortschatz macht der<br />
Text bereits bei den ersten Zeilen mutlos.<br />
Eine Lehrerin bemerkt dazu: Ȇberforderung<br />
und Entmutigung!«<br />
Im Aufgabenheft steht der Text<br />
auf S. 3, dann müssen die Kinder umblättern,<br />
um auf S. 4 und 5 die sieben<br />
Aufgaben zum Text zu beantworten.<br />
Natürlich müssen und sollen die Kinder<br />
bei der Beantwortung der Fragen nun<br />
zum Text zurückblättern, die Stelle suchen,<br />
die zur Antwort weiterhilft, sie<br />
behalten und zur Aufgabe wieder weiterblättern.<br />
Eine zusätzliche unnötige<br />
Erschwernis.<br />
von<br />
Horst<br />
Bartnitzky<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007<br />
5
Thema: VERA und die Unterrichtskultur<br />
Zur Antwort hat das Kind in dem<br />
schwierigen Text die richtige Belegstelle<br />
gefunden und hier wiedergegeben.<br />
Bei der Testauswertung gilt die Antwort<br />
aber als falsch, weil sie wörtlich<br />
zitiert und den Sachverhalt nicht »mit<br />
eigenen Worten« wiedergibt. Die offenkundige<br />
Leistung des Kindes ist hier<br />
irrelevant, so als habe das Kind falsch<br />
geantwortet oder die Aufgabe gar nicht<br />
erledigt. Dabei geht es doch um Leseverständnis,<br />
nicht aber um die Formulierungskunst.<br />
Die Intention »Texte mit<br />
eigenen Worten wiedergeben« in den<br />
Bildungsstandards bezieht sich eben<br />
auf Texte und dies hat funktional einen<br />
Sinn, wenn Kinder ihr Verständnis<br />
von einem Text erklären, wenn Texte<br />
zusammengefasst oder miteinander<br />
in Beziehung gesetzt werden, wenn<br />
Kinder sich über eine Lektüre anderen<br />
mitteilen und dabei auch den Text auf<br />
ihre Weise wiedergeben.<br />
Einzig die 3. Antwort wird als richtig<br />
gewertet. Das ist von der Textintention<br />
her auch richtig. Aber was ist, wenn die<br />
Kinder die 2. Antwort oder die 4. ankreuzen?<br />
Dann wäre doch interessant<br />
zu erfahren, warum sie so angekreuzt<br />
haben. Tatsächlich enthält der Text ja<br />
Anregungen für einen Sinnestest und<br />
wenn die Kinder im Unterricht zuvor<br />
Sinnestests durchgeführt haben,<br />
könnten sie diesen Zusammenhang<br />
herstellen, was Kinder auch tatsächlich<br />
tun. Der Text vermittelt zudem »wichtige<br />
Regeln zum Essen«, nicht im Verständnis<br />
der Handlung essen, sondern<br />
im Verständnis des Nomens Essen als<br />
Ereignis: wie das Essen zubereitet und<br />
präsentiert werden soll. Kinder haben<br />
aber gar keine Möglichkeit, für ihre<br />
Antwort zu argumentieren, weil die<br />
nötigen freien Antwortmöglichkeiten<br />
oder gar Befragungen, also Interviewsituationen,<br />
in solchen Massentests<br />
nicht objektiv auswertbar sind. Die<br />
Intention: »eigene Gedanken zu Texten<br />
entwickeln« aus den Bildungsstandards<br />
ist für VERA wohl nicht testfähig.<br />
Bei dieser Aufgabe wird versucht,<br />
die individuelle Leistung »zu Texten<br />
Stellung nehmen« aus den Bildungsstandards<br />
hervorzulocken. Die Aufgabe<br />
gilt als richtig gelöst, wenn ein<br />
Adjektiv verwendet und dazu eine<br />
passende / schlüssige Begründung geschrieben<br />
wird. Hier eine kleine Auswahl<br />
aus Kinderantworten:<br />
Ich finde den Text »schön und gut,<br />
weil ich was draus gelernt habe«.<br />
Ich finde den Text »schön, aber<br />
manche wörter schwer«.<br />
Ich finde den Text »schwirig, weil er<br />
so lang ist«.<br />
Ich finde den Text »dof, weil er<br />
schwirig zu verstehen ist«.<br />
Antworten allesamt, die von den<br />
Lehrerinnen offiziell als passend beurteilt<br />
wurden. Allerdings fragten sich<br />
die Lehrerinnen bei den ersten beiden<br />
Antworten, ob sie wirklich passend<br />
seien, weil der Text für die Kinder offenkundig<br />
zu schwierig war und sie<br />
wohl kaum etwas draus gelernt haben<br />
können. Die anderen Antworten dokumentieren,<br />
wie Kinder sich gegen die<br />
Zumutung des Textes wehren. Doch:<br />
Was sagen sie zum Leseverständnis der<br />
Kinder aus? Wichtig wäre zum Beispiel<br />
mit den Kindern die schweren Wörter<br />
herauszufinden, zusammengesetzte<br />
Wörter zu zerlegen, sie aus dem Kontext<br />
zu erklären, auch um der Intention<br />
der Bildungsstandards zu entsprechen:<br />
»bei Verständnisschwierigkeiten Verstehenshilfen<br />
anwenden …«.<br />
Wie sähe im übrigen das Ganze aus,<br />
wenn die Aufgaben sich an den Kompetenzzielen<br />
und den Arbeitsweisen<br />
der <strong>Grundschule</strong> orientieren würden?<br />
Der Text wäre bei gleichem Inhalt altersgemäß<br />
formuliert, wie dies die<br />
Bildungsstandards übrigens fordern<br />
(»altersgemäße Texte sinnverstehend<br />
lesen«). In Sachbüchern für Klasse 3, in<br />
Kinderlexika für die Altersgruppe sind<br />
entsprechende Texte zu finden. Der<br />
Text stünde neben den Aufgaben; die<br />
Kinder könnten zu einer Frage im Text<br />
die Belegstellen farbig markieren und<br />
dann die Frage mit demselben Farbstift<br />
beantworten. So einfach wäre das.<br />
Der 2. Lesetext:<br />
Von Räubertellern und Waffeln<br />
aus dem Allerheiligsten<br />
Der Text »Sonderpreis für einen leeren<br />
Teller« mit anschließenden acht Aufgaben<br />
war ein Zeitungsbericht über einen<br />
Wettbewerb für Kinder, die Vorschläge<br />
für die Speisekarte eines gehobenen<br />
Restaurants machen sollten (s. S. 7).<br />
Viele Lehrerinnen und Lehrer waren<br />
fassungslos, wieso innerhalb der<br />
halben Stunde für den Testteil Leseverständnis<br />
auch dieser zweite ebenfalls<br />
schwierige Text von den Drittklässlern<br />
noch zu bearbeiten war.<br />
Eine Begründung dafür findet sich in<br />
dem umfangreichen Begleitmaterial<br />
nicht. In Schulen mit Kindern aus leistungsschwächeren<br />
Mi lieus, mit hohem<br />
Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund<br />
konnte dieser Textteil<br />
von vielen Kindern auch kaum noch<br />
bearbeitet werden. »Die Mehrzahl meiner<br />
Schüler«, so eine Lehrerin, »hat bei<br />
dem zweiten Text aufgegeben oder nur<br />
noch eine Frage beantwortet. Schließlich<br />
lag vor dieser Anstrengung schon<br />
das Schreiben einer Geschichte und die<br />
frustrierende Beschäftigung mit dem<br />
ersten Lesetest.«<br />
Der Text ist im typischen Zeitungsjargon<br />
für Erwachsene geschrieben.<br />
Tageszeitungen gehören aber nicht zu<br />
den Medien, die Kinder lesen; der Jargon<br />
ist ihnen mithin fremd. Ebenso<br />
fremd und hier befremdend sind den<br />
Nichtberlinern die örtlichen Namen<br />
wie Potsdamer Platz oder Kreuzberg.<br />
Was ist denn, fragen sich Kinder, eine<br />
Kreuzberger Schülerin? Vielen Kindern<br />
aus armen Milieus sind die Eigenheiten<br />
von Restaurants unbekannt, mit Speisekarte,<br />
Portionen, Wendungen wie<br />
Spagetti à la Frisbee sowie Redeweisen<br />
wie »im Allerheiligsten – der Konditorei<br />
…«. Wer das aus seiner bisherigen<br />
Lebenserfahrung nicht kennt, versteht<br />
auch nicht, worum es geht und wo die<br />
Pointe dieses Textes liegt.<br />
6 GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007
Thema: VERA und die Unterrichtskultur<br />
Also: Das Nichtverstehen liegt nicht<br />
am Fehlen grundlegender Lesefähigkeiten,<br />
die in diesem Testteil doch untersucht<br />
werden sollten, sondern weil<br />
das vorhandene Weltwissen den Text<br />
nicht erschließen hilft. Wer meint,<br />
Kinder sollten solche unbekannten<br />
Gegebenheiten, Wendungen und Wörter<br />
eben aus dem Kontext erschließen<br />
können, übersieht, dass die Fülle dieser<br />
befremdlichen Textteile viele Kinder<br />
entmutigen muss. Und er übersieht,<br />
dass der VERA-Test sich nicht an Jugendliche<br />
wendet, sondern an achtoder<br />
neunjährige Kinder.<br />
Als richtig war die Antwort zu werten,<br />
wenn das 2., 3. und 5. Kästchen<br />
angekreuzt ist. Wurde ein Kästchen davon<br />
nicht angekreuzt, galt die Aufgabe<br />
als falsch beantwortet. Das heißt: Nur<br />
100 % gilt als richtig. Aber auch zwei<br />
richtige Kreuze gesetzt, zeigt doch eine<br />
Leseleistung. Ein leistungsstarkes Kind<br />
kreuzte zu den richtigen drei Feldern<br />
noch den Gutschein für die Kochmütze<br />
an, weil Marie eine Kochmütze bekam<br />
und die Kinder ein solches Gutschein-<br />
System z. B. vom Schulfest her kennen.<br />
Damit war die gesamte Antwort falsch.<br />
100 % oder Null.<br />
Der Korrekturanleitung nach durfte<br />
unterstrichen werden: Milchshake und<br />
Waffeln, auch erweitert: mixte sie in der<br />
Bar einen Schoko-Milchshake und Waffeln<br />
zu backen. Kinder unterstrichen<br />
Schoko-Milchshake für sich und ihren<br />
Papa, wohl weil<br />
diese Adressierung<br />
für sie direkt<br />
zum Getränk<br />
gehört. Solche<br />
emotionalen<br />
Bindungen von<br />
Drittklässlern<br />
sind bei dem<br />
Test aber nicht<br />
gefragt, also war<br />
die Antwort als falsch zu bewerten, obwohl<br />
doch aus dem schwierigen Text<br />
das richtige, nämlich Schoko-Milchshake,<br />
herausgelesen war. Wer nur eine<br />
der beiden Sachen unterstrich, also zu<br />
50 % die Aufgabe richtig gelöst hatte,<br />
wurde ebenfalls<br />
auf Null gesetzt:<br />
falsch.<br />
Die Antwort hierauf galt nur dann als<br />
richtig, wenn das Kind mindestens ein<br />
Gericht und einen lustigen Namen,<br />
einen Titel aufgeschrieben hatte. Die<br />
Erläuterung in den Korrekturanweisungen<br />
fordert, entgegen der Aufgabe<br />
im Test, eine Zweiteiligkeit: »Für eine<br />
richtige Lösung genügt es nicht«, so<br />
die Anweisung, »dass das Kind eine<br />
ungewöhnliche Kombination von Speisen<br />
beschreibt, das Gericht muss auch<br />
einen eigenen Titel / Namen haben.«<br />
Ein kurdisches Kind schrieb: »ein Ball<br />
als Schokolade«. Das war der Aufgabe<br />
nach richtig und trotzdem falsch, weil<br />
das Kind nicht den geforderten zweiteiligen<br />
Text geschrieben hatte. Nur<br />
– diese Korrekturanweisung konnte<br />
das Kind gar nicht kennen.<br />
Die Schreibaufgabe: Von Streichen,<br />
Hungerattacken und Werwölfen<br />
Wiederum dreißig Minuten bekamen<br />
die Kinder Zeit, um, angeregt<br />
von einem Bildimpuls, Ideen für eine<br />
Geschichte zu notieren und eine Geschichte<br />
zu erzählen.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007<br />
7
Thema: VERA und die Unterrichtskultur<br />
Horst Bartnitzky<br />
war Lehrer und Schulleiter, in der Lehrerfortbildung<br />
und der Schulaufsicht tätig.<br />
Zahlreiche Veröffentlichungen zur<br />
Deutschdidaktik.<br />
Autor und Herausgeber von Schulbüchern<br />
für Deutsch und Sachunterricht.<br />
Nach dieser Auftaktseite folgten im<br />
Aufgabenheft dreieinhalb DIN-A4-Seiten<br />
mit Lineatur. Am Ende der leeren<br />
Schreibseiten fand sich ein Diagramm<br />
mit den Tipps (s. rechts).<br />
Der Bildimpuls (Kind im Bademantel<br />
vor geöffnetem gefüllten Kühlschrank,<br />
nachts ein Uhr) enthält keinen Hinweis<br />
auf irgendeine dramatische Konstellation,<br />
die sich nun entwickeln könnte.<br />
Er ist also ein offener Impuls, zu dem<br />
die Kinder sehr unterschiedliche Geschichten,<br />
reale oder fantastische, mit<br />
sehr unterschiedlichen Inhalten schreiben<br />
könnten.<br />
Die Schreibhinweise enthalten fünf<br />
Angaben:<br />
– zur Textplanung: den Notizzettel<br />
für Ideen nutzen,<br />
– zum Leserbezug: interessant und<br />
abwechslungsreich,<br />
– zum Erzählmodus: spannend, lustig,<br />
gruselig oder überraschend,<br />
– zur Erzählzeit: Vergangenheit,<br />
– zu einer Einzelheit: neugierig machende<br />
Überschrift.<br />
Die Tipps auf der letzten Seite »können«<br />
weiterhelfen und es sind ausdrücklich<br />
»Tipps«, d. h. Modalverb und<br />
Nomen verweisen darauf, dass sie fakultativ<br />
genutzt werden können, nach<br />
Lust und Belieben. So weit die Vorgaben<br />
an die Kinder und das Wissen der<br />
Lehrkräfte beim Test.<br />
In schreibdidaktisch besonders geförderten<br />
Klassen hatten die Kinder<br />
keine besonderen Probleme, Ideen<br />
zu entwickeln und dann drauflos zu<br />
schreiben, so weit die dreißig Minuten<br />
der Testzeit ihnen dazu Raum gab und<br />
sie nicht durch die dreieinhalb leeren<br />
Seiten mit 96 freien Schreibzeilen blockiert<br />
wurden. Da schreibt Annett von<br />
Hungerattacken, die schließlich die<br />
ganze Familie vor dem Kühlschrank<br />
versammeln, da verwandelt sich bei<br />
Melina der Junge Tim, als er den Kühlschrank<br />
schließt, in einen Werwolf,<br />
bei Julienne kommt eine Fee aus dem<br />
Kühlschrank, Dennis beschreibt Angstfantasien,<br />
bei denen sich ein Geist zuerst<br />
in einen Bären und dann in einen<br />
dreiköpfigen Hund verwandelt, während<br />
Nele im Kühlschrank Möhren für<br />
ihr Pferd findet.<br />
Die Ergebnisse lesen sich wie ungeschliffene<br />
Diamanten: die fünf Schreibhinweise<br />
sind beachtet, die Aufforderung,<br />
abwechslungsreich zu schreiben,<br />
führte oft zu mehreren Episoden in<br />
der Geschichte, die unmittelbar aufeinander<br />
folgen. Was nun, nach den Erfahrungen<br />
der Kinder, hätte kommen<br />
müssen, ist das kritische Durchlesen<br />
des Textentwurfes – allein, mit dem<br />
Partner, im Schreibgespräch oder sogar<br />
in einer Schreibkonferenz.<br />
Was bei VERA für die Lehrkräfte<br />
folgt, ist die Korrekuranweisung, die<br />
erst am Nachmittag nach dem Test<br />
vom Computer freigegeben wird. Und<br />
in der stecken einige Überraschungen:<br />
Zum Schreibprozess<br />
Die Planungsüberlegungen auf dem<br />
Notizzettel werden in der Bewertung<br />
nicht berücksichtigt, so die Anweisung.<br />
Gerade in schreiborientierten<br />
Klassen haben Kinder hierauf einen<br />
guten Teil der dreißig Minuten verwendet,<br />
der sich nun als verschwendete<br />
Zeit herausstellt. »Viele Kinder hat es<br />
zu viel Zeit gekostet«, so eine Lehrerin,<br />
»den Notizzettel zu schreiben. Wenn<br />
wir gewusst hätten, dass dieser in der<br />
Bewertung völlig unerheblich ist, hätten<br />
wir den Kindern gesagt, sie sollen<br />
besser gleich anfangen zu schreiben.«<br />
Und grundsätzlicher: »Dieses Vorgehen<br />
im Aufgabenheft suggeriert<br />
ja einen natürlichen Schreibprozess<br />
… Diese Art, einen Text zu schreiben,<br />
hatte nichts gemein mit der üblichen<br />
Vorgehensweise im Unterricht: Wenn<br />
Kinder eine Idee entwickeln, einen Text<br />
entwerfen und diesen dann überarbeiten,<br />
dann geschieht das natürlich nicht<br />
innerhalb einer Schulstunde oder gar<br />
eines Tages. Die Kinder hatten keine<br />
Zeit, ihren Text noch einmal zu lesen,<br />
geschweige denn zu überarbeiten – was<br />
ansonsten ein besonders wichtiger Teil<br />
des Verfassens von Texten ist.«<br />
Diesen Vorbehalten ließe sich entgegenhalten,<br />
dass es sich bei dieser<br />
Schreibaufgabe um eine spontane<br />
Entwurfsfassung handelte. Anders ist<br />
die Aufforderung, zuerst Ideen zu sammeln,<br />
dann zu schreiben und in insgesamt<br />
dreißig Minuten fertig zu sein,<br />
auch nicht verständlich. Dann aber<br />
kam die zweite Überraschung, nämlich<br />
die Auflistung der Schreibkriterien.<br />
Zu den Schreibkriterien<br />
Auf zehn Seiten wurden 24 Schreibkriterien<br />
vorgeschrieben und mit Beispielen<br />
konkretisiert, nach denen die Kindertexte<br />
nun beurteilt werden sollten<br />
– mit der schlichten Alternative: Kriterium<br />
erfüllt – nicht erfüllt. Die Auflistung<br />
enthält so ziemlich alles, was<br />
zur Textbeurteilung in der <strong>Grundschule</strong><br />
am Ende möglich ist. Dabei finden sich<br />
die fünf Schreibhinweise und die doch<br />
eigentlich unverbindlichen Tipps, dazu<br />
weitere Kriterien wie abwechslungsreiche<br />
Adjektive oder wörtliche Rede.<br />
In einem Arbeitspapier für die Lehrkräfte<br />
wird die »kriterielle Beurteilung<br />
von Schreibprodukten« didaktisch und<br />
argumentativ ausgeführt. Als Vorteile<br />
werden genannt:<br />
– die Beurteilung sei dadurch transparent<br />
– sie sei objektiver als globale Einschätzungen<br />
– sie könne auch von den Kindern zur<br />
Planung und Überarbeitung genutzt<br />
werden.<br />
Das ist didaktisch richtig. Aber die<br />
Kriterien müssen sich redlicherweise<br />
auf die Schreibhinweise beziehen, die<br />
den Kindern bekannt gemacht wurden,<br />
besser: die mit ihnen für eine<br />
8 GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007
Thema: VERA und die Unterrichtskultur<br />
Schreibsituation entwickelt wurden.<br />
Nicht aber auf das Füllhorn möglicher<br />
Kriterien. «Texte an der Schreibaufgabe<br />
überprüfen« ist denn auch die Intention<br />
der Bildungsstandards.<br />
Und wenn Kriterien verwendet werden,<br />
die nicht aus der konkreten Aufgabe<br />
erwachsen, dann müssen es solche<br />
sein, die unterrichtlich bereits bei<br />
anderen Texten entwickelt und erprobt<br />
wurden. Welche sind das denn gegen<br />
Ende des 3. Schuljahrs in den verschiedenen<br />
Klassen? Die Zeit normativen<br />
Aufsatzunterrichts ist mehr als dreißig<br />
Jahre vorbei und eine didaktische Renaissance<br />
nicht erkennbar. Heute gilt,<br />
auch in den Bildungsstandards, ein<br />
kompetenzentwickelnder Schreibunterricht.<br />
Der geht nicht von den Normen,<br />
sondern von den Kindern aus und<br />
vermittelt im Laufe der Zeit zwischen<br />
den Möglichkeiten der Kinder und anerkannten<br />
Gütekriterien. Zunächst<br />
aber haben die Kinder das Wort: Was<br />
gefällt ihnen an Texten anderer Kinder?<br />
Was würden sie ändern? Was schlagen<br />
sie als Änderung vor? Was erfüllt die<br />
Schreibaufgabe gut? Was kann noch<br />
verbessert werden? Die Lehrerin oder<br />
der Lehrer verfolgt die Vorschläge der<br />
Kinder und bringt sie mit wichtigen<br />
Gütekriterien für schriftliche Texte, für<br />
die Ansprüche der jeweiligen Schreibabsicht<br />
sowie der Textsorte zusammen.<br />
Dabei wird über die Grundschuljahre<br />
ein Repertoire an Beratungspunkten<br />
und Überarbeitungsmöglichkeiten<br />
entwickelt, mithin auch an Kriterien<br />
für die Beurteilung von Texten. Auf diesem<br />
Weg stehen die Kinder im Mai der<br />
3. Klasse.<br />
Als eine Bezugsliteratur wird in den<br />
Informationen für Lehrkräfte das Buch<br />
von Ingrid Böttcher und Michael<br />
Becker Mrotzek genannt: Texte bearbeiten,<br />
bewerten und benoten. Die Autoren<br />
warnen davor, zu viele Kriterien<br />
anzulegen und empfehlen eine Zahl<br />
zwischen zehn und fünfzehn (S. 53).<br />
Das etwa Doppelte davon ist bei diesem<br />
VERA-Test vorgesehen.<br />
Um die kriteriengeleitete Textanalyse<br />
den Lehrkräften nahezubringen, wird<br />
im Informationspapier ein Beispiel<br />
angegeben: eine Vermisstenmeldung.<br />
»Du hast ein Kuscheltier mit in die<br />
Schule gebracht. Plötzlich ist es verschwunden<br />
und du weißt nicht, wo es<br />
ist. Du bist traurig und möchtest es<br />
gerne wiederhaben. Daher schreibst du<br />
eine Anzeige für eure Schulzeitung.<br />
– Formuliere eine Vermisstenmeldung.<br />
– Beschreibe dein Kuscheltier so genau<br />
wie möglich.<br />
– Schreibe deine Meinung so, dass der<br />
Finder dir deinen Gegenstand ganz<br />
bestimmt wiedergibt.<br />
– Deine Vermisstenmeldung veröffentlichst<br />
du in der Schulzeitung<br />
unter ›Vermisst‹.«<br />
Erfahrungen einer Lehrerin mit dem VERA-Lesetest 2007<br />
Eine Schule im Stadtteil Tenever (90 % Migrantenfamilien)<br />
in Bremen – in einer Lerngruppe<br />
Klasse 3 und 4 wird im Kreis ein Brief vorgelesen,<br />
den ein ehemaliger Mitarbeiter aus<br />
Indonesien geschickt hat. Er berichtet anschaulich<br />
und spannend von den Waranen auf der<br />
Insel Komodo: »Die Menschen dort leben mit<br />
der Angst vor Waranen. Aber es ist auch gut,<br />
dass es sie gibt. So kommen viele Touristen<br />
auf die Insel und geben ihr Geld dort aus.« Kein<br />
Kind fragt nach einem unverstandenen Wort.<br />
»Möchte jemand das Wort »Touristen« erklärt<br />
kriegen?« Nur ein Kind meldet sich, alle anderen<br />
kennen es. Bei den Erklärungsversuchen<br />
der Kinder stellt sich dann allerdings heraus,<br />
dass alle an das Wort »Terroristen« gedacht<br />
haben. Nun entdecken sie ganz verwundert,<br />
dass die meisten selbst schon einmal Touristen<br />
waren. Mit dem zweiten Teil des Satzes geht es<br />
ähnlich. »… geben ihr Geld aus« bedeutet etwas<br />
anderes als »geben Geld« – das eine Mal verschenkt<br />
man Geld, das andere Mal kauft man<br />
sich Dienstleistungen oder Waren.<br />
Die kleine Szene zeigt, was typisch ist bei<br />
der Arbeit am Text mit Migrantenkindern. Zum<br />
Vokabelproblem und den Schwierigkeiten mit<br />
den Feinheiten der Grammatik und der Satzverknüpfungen<br />
kommt oft auch noch ein geringes<br />
Erfahrungs- und Weltwissen. Es genügt nicht,<br />
zu sagen: »Bitte lest genau und fragt, wenn ihr<br />
ein Wort nicht versteht!« Die Kinder glauben<br />
fast immer, verstanden zu haben und bemerken<br />
ihr falsches Verständnis oft gar nicht. Textverständnis<br />
gelingt oft nur im angeleiteten<br />
Gespräch. Das gilt besonders für Sachtexte.<br />
Für die hier beschriebenen Kinder war der<br />
VERA-Lesetest eine absolute Überforderung.<br />
In der Testsituation war es noch nicht einmal<br />
möglich, die Kinder thematisch auf die Inhalte<br />
und Absichten der beiden Texte hin zu orientieren.<br />
So scheiterten die ersten Kinder vermutlich<br />
schon an dem ersten Wort der Überschrift:<br />
»Geschmäcker« – diese Pluralbildung haben sie<br />
vermutlich noch nie gehört. Wer am Anfang<br />
durch ein Missverständnis auf die falsche Spur<br />
geraten ist, für den erschließt sich der Sinn des<br />
Textes überhaupt nicht.<br />
Eine Vielzahl von zusammengesetzten<br />
Nomen und Adjektiven stellte die Kinder vor<br />
Probleme, die Menschen mit deutscher Muttersprache<br />
sich wahrscheinlich kaum vorstellen<br />
können: Geschmacksknospen, Wangenschleimhaut,<br />
zusammenziehend, Gesamtgeschmack,<br />
farblos … Wer die enthaltenen Einzelwörter<br />
nicht schnell erkennt, für den handelt<br />
es sich um unverständliche Wortmonstren.<br />
»Geschmacksarten« – aus welchen Teilen ist<br />
das Wort zusammengesetzt? Was sind Sarten?<br />
(»Arten« gehört vermutlich nicht zum gut vertrauten<br />
Wortschatz). Und was heißt »far-blos«?<br />
Auch diese Wörter waren für die Kinder unbekannt:<br />
»Gaumen, Rhabarber, Gerichte, Düfte,<br />
prickelnd, knusprig, gluckert, beeinflusst fleischig,<br />
herzhaft«– und in den Fragen zum Text:<br />
»(eine Schorle) tut gut, Gewinner-Vorschläge«<br />
(die Kinder haben hier die Gewinnerin genannt)<br />
Wenn Sätze durch in Klammern eingeschobene<br />
Erklärungen unterbrochen werden oder<br />
nur verständlich werden, wenn man bei Sternchen<br />
unten die Erklärung liest, geht das Sinn-<br />
verständnis für unsere Kinder vollkommen verloren.<br />
Der Anteil von Fremdwörtern, seltenen Wörtern<br />
und Wörtern mit englischer Schreibweise<br />
im zweiten Text dürfte auch für Kinder mit<br />
deutscher Muttersprache schwierig sein: Favorit,<br />
Portionen, Konditorei, Milkshake, Frisbee,<br />
erstplatziert.<br />
Dieser zweite Text verlangte ein Vorwissen,<br />
das kein Kind bei uns hat: »Kreuzberg« ist<br />
ein Stadtteil von Berlin. »Berliner Morgenpost«<br />
ist der Name einer Zeitung. »im Allerheiligsten«<br />
– schon die eigentliche Wortbedeutung<br />
kennt kein Kind, erst recht kann niemand die<br />
hier gemeinte übertragene Bedeutung verstehen.<br />
»Spagetti à la Frisbee« – »à la« als Teil eines<br />
Gerichte namens ist vollkommen unbekannt.<br />
Wahrscheinlich waren auch nur wenige Kinder<br />
bisher überhaupt mit ihren Eltern je in einem<br />
Restaurant der hier geschilderten Art und können<br />
Maries Idee deshalb kaum nachvollziehen.<br />
Die Mehrzahl meiner Schüler hat bei dem<br />
zweiten Text aufgegeben oder nur noch eine<br />
Frage beantwortet. Schließlich lag vor dieser<br />
Anstrengung schon das Schreiben einer<br />
Geschichte und die frustrierende Beschäftigung<br />
mit dem ersten Lesetext. Ein kurdisches<br />
Kind hat trotzdem bis zur letzten Frage durchgehalten<br />
und als eigenen Vorschlag für ein<br />
lustiges Gericht für Kinder aufgeschrieben:<br />
»ein Ball als Schokolade«. Einen Punkt durfte<br />
ich ihm nicht dafür geben, denn es hatte für<br />
seine Idee keinen für eine Speisekarte üblichen<br />
»Titel« gefunden (was in der Aufgabe auch nicht<br />
verlangt war).<br />
Maria Rüppell<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007<br />
9
Thema: VERA und die Unterrichtskultur<br />
Die Verfasser dieser Lehrer-Information<br />
übersehen aber, dass es zwischen<br />
dem Bildimpuls Junge vor Kühlschrank<br />
und dieser Vermisstenanzeige einen<br />
grundlegenden Unterschied in der<br />
Aufgabenstellung gibt: Hier ist es eine<br />
enge Schreibaufgabe, klar in Adressierung,<br />
Schreibziel und Inhalten definiert;<br />
dort ist es ein offener Bildimpuls,<br />
der dem Kind außer der Eingrenzung<br />
auf die fünf Schreibhinweise eigene<br />
Entscheidungen über Inhalt und Gestaltung<br />
lässt.<br />
Fazit: Zum Kompetenzbezug,<br />
zur Aussagekraft, zur Einordnung<br />
Ich komme nun auf die drei Fragen vom<br />
Anfang zurück.<br />
Sind die Aufgaben didaktisch<br />
qualitätsvoll genug?<br />
Die Aufgaben zu den Lesetexten sind<br />
so eng geführt, dass Kinder keine<br />
Möglichkeit haben, ihre Antworten<br />
zu begründen, eigene Meinungen zu<br />
entwickeln und darzustellen, die Texte<br />
mit eigenen Erfahrungen in Beziehung<br />
zu setzen. Verhindert wird dies auch<br />
durch die Inhalte und Sprache der<br />
Texte, die auf bildungsorientierte Milieus<br />
hin ausgerichtet sind und nicht<br />
dem Weltwissen und den Sprachmöglichkeiten<br />
vieler Kinder entsprechen.<br />
Teilrichtige Antworten werden grundsätzlich<br />
als falsch bewertet, dadurch<br />
bleiben vorhandene Kompetenzstände<br />
unbeachtet.<br />
Die Schreibaufgabe scheint zunächst<br />
an Schreibprozess-Konzepten<br />
orientiert zu sein, verliert diese Qualität<br />
aber zugunsten einer normativ<br />
ausgelegten Textbeurteilung. Die Kinder<br />
werden hierbei in die Irre geführt,<br />
indem zu den Schreibhinweisen zahlreiche<br />
weitere Kriterien bei der Beurteilung<br />
ergänzt werden, die nicht Gegenstand<br />
der Textplanung waren. Der<br />
Entwurfcharakter ihrer Texte wird nicht<br />
beachtet.<br />
Die Qualität der Testaufgaben bleibt<br />
also hinter den Anforderungen zeitgemäßer<br />
Didaktik zurück, die Kinder in<br />
ihrem Denken ernst nimmt, ihre vorhandenen<br />
Kompetenzen würdigt und<br />
sie zum Ausgangspunkt des weiteren<br />
Lernweges macht.<br />
Repräsentieren die Aufgaben<br />
wichtige Kompetenzbereiche?<br />
In Ausschnitten ja. Aber wesentliche<br />
Bereiche sowohl beim Lesen als auch<br />
beim Schreiben sind in den Tests nicht<br />
präsent. Beim Lesen zum Beispiel geht<br />
es nur um informierende Texte, nicht<br />
aber um andere Textsorten oder um<br />
Kinderliteratur, bei den Texterschließungsverfahren<br />
werden wichtige Teilfähigkeiten,<br />
die hier durchaus möglich<br />
wären, nicht einbezogen, z. B. Verstehenshilfen<br />
anwenden, eigene Gedanken<br />
entwickeln, Stellung nehmen. Der<br />
Kompetenzbereich »Texte präsentieren«<br />
fehlt ganz.<br />
Beim Schreiben geht es nur um das<br />
Entwerfen eines Textes. Das Planen<br />
eines Textes wird durch ein Element<br />
repräsentiert, dann aber nicht einbezogen,<br />
der gesamte Kompetenzbereich<br />
»Texte überarbeiten« fehlt. Damit wird<br />
der Schreibprozess reduziert auf den<br />
spontan geschriebenen Entwurf, der<br />
dann aber mit einer Fülle normativer<br />
Kriterien beurteilt wird, die nicht zur<br />
Schreibaufgabe gehörten.<br />
Die Ausschnitthaftigkeit der Testinhalte<br />
ist hinzunehmen, weil in der<br />
möglichen Zeit durch einen Einmal-<br />
Test mehr nicht leistbar ist. Dann aber<br />
muss diese Ausschnitthaftigkeit auch<br />
geklärt und vermittelt werden. Diese<br />
Redlichkeit fehlt im gesamten Verfahren.<br />
Den Eltern wird zum Beispiel<br />
sowohl global zu »Leseverständnis«<br />
als auch zu »Schreiben« auf Grund der<br />
Testergebnisse das Leistungsprofil<br />
ihres Kindes mitgeteilt, auf einem von<br />
vier Niveaus von »keine auswertbare<br />
Leistung« bis »Lösung anspruchsvoller<br />
Aufgaben«, mithin eine krasse Fehlinformation.<br />
Helfen die Aufgaben, den Förderbedarf<br />
zu klären?<br />
Mit der Einschränkung der Ausschnitthaftigkeit:<br />
Sie könnten es. Sie können<br />
es bei diesen Aufgaben aber nicht, weil<br />
sie im unteren Leistungsbereich nicht<br />
differenzieren und die bereits vorhandenen<br />
Leistungen feststellen helfen.<br />
Die Lesetexte enthalten so viele Tücken,<br />
sie sind inhaltlich und sprachlich<br />
so anspruchsvoll, dass sprachschwächere<br />
Kinder und Kinder aus Milieus<br />
mit anderem Weltwissen rasch an ihre<br />
Verstehensgrenzen kommen. Dies und<br />
der Zeitdruck (zwei schwierige Texte<br />
mit 15 Aufgaben in 30 Minuten) verhindern,<br />
dass sie ihre Kompetenzen<br />
zeigen können. Hinzu kommt, dass<br />
richtige Teillösungen als falsch beurteilt<br />
werden mussten. Es kann also gar<br />
nicht deutlich werden, was förderbedürftige<br />
Kinder schon können und was<br />
in der Zone ihrer nächsten Entwicklung<br />
zu fördern wäre.<br />
Die Schreibaufgabe konnten die Kinder<br />
auch wegen der Zeitvorgabe von 30<br />
Minuten nur als Spontanentwurf erledigen.<br />
Fantasieärmere Kinder, Kinder<br />
mit sprachlichen Schwierigkeiten brauchen<br />
schon in stressfreien Situationen<br />
mehr Zeit für Beratung und fürs Schreiben.<br />
Nur dann können sie auch zeigen,<br />
was sie bereits können und wo ihre besonderen<br />
Schwierigkeiten liegen. Nun<br />
wurde der Spontanentwurf mit Hilfe<br />
eines umfangreichen Kriterienrasters<br />
beurteilt. Das lässt viele dieser Kinder<br />
als Versager erscheinen. Differenzierte<br />
Förderhinweise sind so ebenfalls nicht<br />
zu erhalten.<br />
Angesichts des enormen Aufwands<br />
und der schulpolitischen Vermarktung<br />
der Ergebnisse (in Nordrhein-Westfalen<br />
z. B. sollen die 50 besten VERA-Klassen<br />
öffentlich belobigt werden) ist diese<br />
Befundlage deprimierend. Wohl die<br />
meisten Lehrerinnen und Lehrer sehen<br />
das ebenso. »Wer wird sein Kind<br />
schon noch Vera nennen?«, so fasste<br />
eine Lehrerin ihren Unmut zusammen.<br />
Um die Kinder nicht zu sehr zu entmutigen,<br />
werden von den einen Lehrkräften<br />
Hilfen gegeben, was natürlich der<br />
Objektivität nicht dienlich ist; andere<br />
unterlassen solche Hilfen bewusst,<br />
nicht der objektiven Durchführung<br />
wegen, sondern in der Hoffnung, dass<br />
die Testmacher und die Ministerien die<br />
Probleme selbst erkennen. Vermutlich<br />
eine trügerische Hoffnung.<br />
VERA für alle<br />
Bisher wurden die VERA-Tests in sieben<br />
Bundesländern geschrieben. Vom gerade<br />
angelaufenen Schuljahr an nehmen<br />
alle 16 Länder teil. Deshalb werden<br />
am Donnerstag, 8. Mai 2008, in allen 3.<br />
Klassen in ganz Deutschland die Kinder<br />
über demselben VERA-Test Deutsch<br />
sitzen. Ob die Deutschtests dann kompetenzorientierter,<br />
die Aufgaben und<br />
Auswertungen aussagekräftiger und<br />
ihre Einordnung reeller und bescheidener<br />
ist? Wir werden sehen.<br />
10 GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007
Thema: VERA und die Unterrichtskultur<br />
VERAs Kreuzchen verraten Kompetenzen.<br />
Misst Vera wirklich die Fähigkeiten der Kinder?<br />
Seit in Nordrhein-Westfalen (ich leite<br />
dort eine kleine <strong>Grundschule</strong> in Dortmund)<br />
die landesweiten Vergleichsarbeiten<br />
VERA durchgeführt wurden und<br />
mich vor allem der Mathematik-Teil<br />
näher interessierte, war ich immer wieder<br />
verwundert, dass die mit VERA gemessenen<br />
Kompetenzen nicht immer<br />
mit meinen Einschätzungen über die<br />
Fähigkeiten der Kinder im Unterricht<br />
übereinstimmten. Ich hegte aber den<br />
Verdacht, dass dies nicht auf die »Tagesform«<br />
der Kinder, sondern auf die Art<br />
und Weise, wie die Fähigkeiten der Kinder<br />
gemessen wurden, zurückzuführen<br />
war. Mit einer eigenen kleinen Nachuntersuchung<br />
wollte ich der Sache auf<br />
den Grund gehen. Ich möchte gleich allen<br />
Kritikern vorausschicken: Ich habe<br />
dieses kleine Experiment neben meiner<br />
Unterrichts- und Leitungstätigkeit aus<br />
qualitativem Interesse betrieben. Natürlich<br />
ist mir die Begrenztheit meiner<br />
Erkenntnisse bewusst, auch, dass ich<br />
keine wissenschaftlichen Standards<br />
der empirischen Unterrichtsforschung<br />
eingehalten habe. Ich möchte auch<br />
keine gesicherten Ausrufezeichen verkünden,<br />
aber ich habe ein paar deutliche<br />
Fragezeichen zur Diskussion zu<br />
stellen.<br />
Wenn die Kinder die Vergleichsarbeiten<br />
VERA geschrieben haben und<br />
diese korrigiert und ausgewertet wurden,<br />
erhalten die Eltern der Kinder gemäß<br />
Durchführungsbestimmung des<br />
Ministeriums eine Rückmeldung für<br />
das Fach Mathematik in Form der Tabelle<br />
in Abb. 1. (1) Die Niveaus werden<br />
dabei wie folgt im Begleittext charakterisiert:<br />
Abb. 1: aus der Elternrückmeldung<br />
Niveau 1: Einfache Aufgaben mit grundlegenden<br />
Anforderungen werden hinreichend<br />
sicher gelöst.<br />
Niveau 2: Aufgaben mit mittleren Anforderungsniveaus<br />
werden hinreichend<br />
sicher gelöst.<br />
Niveau 3: Es werden auch anspruchsvollere<br />
Aufgaben hinreichend sicher<br />
gelöst.<br />
Nehmen wir an, ein Kind bekommt<br />
in dieser Tabelle das Kreuzchen im Bereich<br />
des Sachrechnens bei »Niveau 1«.<br />
Da »die Tabelle […] über das derzeitige<br />
Leistungsprofil Ihres Kindes in wichtigen<br />
Teilbereichen der Fächer Deutsch<br />
und Mathematik informiert«, würde<br />
das laut Begleittext übersetzt bedeuten:<br />
»Liebe Eltern. Ihr Kind hat zur Zeit<br />
im Fach Mathematik im Bereich des<br />
Sachrechnens nur elementare Fähigkeiten.<br />
Mittelschwere Aufgaben oder<br />
gar anspruchsvolle kann es nicht hinreichend<br />
sicher lösen.«<br />
An dieser Stelle setze ich mein erstes<br />
Fragezeichen. Ich war erstaunt,<br />
dass nach so wenigen Aufgaben des<br />
VERA-Testes, die dem Bereich Sachrechnen<br />
zuzuordnen sind (aber keineswegs<br />
alle lehrplanrelevanten Bereiche des<br />
Sachrechnen abdecken (2) ), eine solche<br />
pauschale Aussage möglich sein soll.<br />
Die Rückmeldung müsste doch heißen:<br />
»Im VERA-Test erreichte ihr Kind<br />
bei einigen wenigen Textaufgaben, die<br />
einen Teilbereich des Sachrechnens des<br />
Lehrplans Mathematik darstellen, nur<br />
geringe Kompetenzen …« Stattdessen<br />
wird anhand von gerade einmal 3 bis 4<br />
Aufgaben, bei denen die Kinder mit ein<br />
paar Kreuzchen im Multiple-Choice-<br />
Verfahren Antworten geben, das Leistungsprofil<br />
des Kindes in diesem<br />
kompletten Fachbereich gemessen und<br />
ein »zur Zeit« angeblich vorhandenes<br />
Kompetenzniveau zurückgemeldet?<br />
An diese erste Fragestellung schlossen<br />
sich drei weitere Fragen an, mit denen<br />
ich mich unterrichtspraktisch beschäftigen<br />
wollte:<br />
■ Messen wir mit den VERA-Aufgaben<br />
wirklich die Kompetenzen der Schülerinnen<br />
und Schüler?<br />
■ Wie könnte man mit den vorhandenen<br />
VERA-Aufgaben einen kompetenzorientierteren<br />
Blick einnehmen?<br />
■ Wenn man den Kindern Gelegenheit<br />
gibt, ihre Kompetenzen zu demonstrieren,<br />
erzielen sie dann nicht vielleicht<br />
wesentlich höhere Leistungen als beim<br />
Abarbeiten der VERA-Aufgaben?<br />
Beispiele aus dem Bereich<br />
des Sachrechnens<br />
Die genannten Fragestellungen brachten<br />
mich auf die Idee, den Kindern<br />
noch einmal neu die VERA – Aufgaben<br />
aus dem Bereich Sachrechnen zu stellen.<br />
Ich beabsichtigte aber, sie dabei<br />
intensiv zu beobachten,bzw. sie zu<br />
bitten, mehr als sie es von sich aus bei<br />
der VERA Durchführung taten, ihre Rechenansätze,<br />
Rechenwege zu notieren,<br />
um ihren Denkweisen (und somit ihren<br />
Kompetenzen) auf die Spur zu kommen.<br />
Danach erhielten die Kinder von<br />
mir ähnliche Aufgaben wie aus dem<br />
VERA-Kontext, aber in einer wesentlich<br />
offeneren Form, die sie geradezu<br />
ermunterte, eigene Lösungswege zu<br />
gehen, Nebenrechnungen zu notieren,<br />
neben dem Ergebnis auch Kommentare,<br />
Hinweise, Vermutungen zu äußern.<br />
Den Bereich Sachrechnen habe<br />
ich dabei recht willkürlich ausgesucht,<br />
Ulrich Schwätzer,<br />
Schulleiter der<br />
Uhland-<strong>Grundschule</strong><br />
Städt. Gemeinschafts schule,<br />
Dortmund<br />
Kontakt über<br />
www.schwaetz.de<br />
von Ulrich<br />
Schwätzer<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007<br />
11
Thema: VERA und die Unterrichtskultur<br />
Abb. 2:<br />
Die »Schoko-<br />
ladencreme«-<br />
Aufgabe<br />
wohl aber mit dem Hintergrund, dass<br />
die Kinder bei VERA hier sehr schlechte<br />
Rückmeldungen bekommen hatten,<br />
ich deren Kompetenzen jedoch aus<br />
dem Unterricht meist höher eingeschätzt<br />
hätte.<br />
Die in Abb. 2 gezeigte Aufgabe entstammt<br />
dem VERA NRW Durchgang<br />
von 2004. Ich legte diese Aufgabe und<br />
3 weitere Aufgaben aus dem Bereich<br />
Sachrechnen zu Beginn des Schuljahres<br />
2006 2 dritten und 2 vierten Klassen an<br />
2 <strong>Grundschule</strong>n vor und bat die Kinder,<br />
diese Aufgaben in 12 Minuten (um eine<br />
Abb. 3:<br />
Noelles<br />
Antwort<br />
Abb. 4:<br />
Noelles<br />
Rechnung<br />
VERA-ähnliche Zeit zu gewährleisten)<br />
zu bearbeiten. Die richtige Lösung<br />
(Glas B) gaben dabei 19 % der Kinder<br />
an – ein Prozent rang, der zu den VERA-<br />
Ergebnissen aus 2004 passt.<br />
Betrachten Sie nun Abb. 3, die uns<br />
Noelle gibt. Noelle kreuzt die richtige<br />
Lösung B an. Können wir nur durch das<br />
richtige Kreuzchen sicher sein, dass<br />
Noelle diese Lösung auf Grund ihrer<br />
hohen sachrechnerischen Kompetenz<br />
gefunden hat? Ich behaupte: Wir<br />
wissen es nicht. Noelle könnte etwas<br />
Sinnvolles gerechnet haben, sie könnte<br />
aber auch nur geraten haben (schließlich<br />
wurde den Kindern in der Durchführungsanweisung<br />
zu VERA genau<br />
dazu geraten, wenn sie eine Aufgabe<br />
nicht lösen könnten). Wir wissen nicht<br />
einmal, ob Noelle den Kontext der Aufgabenstellung<br />
überhaupt verstanden<br />
hat und mit den vorhandenen Zahlen<br />
im Sinne des Kontextes operiert hat. Es<br />
könnten auch Schwierigkeiten im Bereich<br />
des Verständnisses von Größeneinheiten<br />
vorliegen – schließlich kommen<br />
hier Gewichte und Geldbeträge<br />
gemischt vor. Wir wissen auch nicht,<br />
ob Noelle die Zahlen ihres Ergebnisses<br />
im Sinne des Kontextes interpretiert<br />
hat und sich dann zu einer Lösungsaussage<br />
entschieden hat. Es bleiben<br />
also viele offene Fragen, die sich nur<br />
durch das Kreuzchen an der Antwort<br />
»Glas B« nicht erklären lassen.<br />
Noelle kreuzt also die richtige Lösung<br />
»Glas B« an und bekäme eine hohe<br />
sachrechnerische Kompetenz zurückgemeldet.<br />
Betrachten Sie nun Abb. 4<br />
– die vorangegangene Abb. 3 war nur<br />
ein Ausschnitt aus dieser – und lenken<br />
Sie ihren Blick auf die Nebenrechnung.<br />
Nun können wir Noelles Lösungsansatz<br />
nachvollziehen: 400 Gramm minus<br />
1 Euro und 80 Cent, schriftlich gerechnet,<br />
ergibt 2,20 (ohne Einheit). Noelle<br />
sagte später: »2,20, das ist mehr als<br />
2,10, also muss Glas B das preiswerteste<br />
sein.« Es wäre also geradezu fatal,<br />
Noelle nur auf Grund des Kreuzchens<br />
bei »B« eine hohe sachrechnerische<br />
Kompetenz zurückzumelden. Natürlich<br />
ist dieses Beispiel ein Einzelfall. Aber<br />
wer sagt uns, dass nicht viele Kinder<br />
(die meisten rechnen ja etwas im Kopf)<br />
trotz irrationalem Lösungsansatz zufälligerweise<br />
die richtige Lösung angeben?<br />
Oder dass die große Mehrheit, die<br />
etwas Falsches angibt, doch einen sehr<br />
vernünftigen Lösungsansatz hatte und<br />
vielleicht beim Rechenalgorithmus gescheitert<br />
ist? Mein Fazit: Aus falschen<br />
oder richtigen Kreuzchen bei dieser<br />
Aufgabe (und übertragen: bei allen<br />
Aufgaben) aus dem Bereich Sachrechnen<br />
Rückschlüsse über die sachrechnerische<br />
Kompetenz erlangen zu wollen,<br />
entbehrt jeglicher Grundlage. Nur wer<br />
die Lösungswege, -ansätze, Rechenversuche<br />
mit in den Blick nimmt, kann<br />
einen Einblick in vorhandene (bzw.<br />
nicht vorhandene) Kompetenzen bekommen.<br />
Offene Aufgaben helfen,<br />
Kompetenzen wahrzunehmen<br />
Wenn wir einen Einblick in die Denkweisen<br />
der Kinder bekommen, so wie<br />
es mit Hilfe der Nebenrechnung von<br />
Noelle möglich war, können wir mehr<br />
über ihre möglicherweise vorhandenen<br />
Kompetenzen sagen. Eine Methode, die<br />
Kinder dazu anregt, von sich aus möglichst<br />
viele ihrer vorhandenen Kompetenzen<br />
preiszugeben, ist das Öffnen<br />
von Mathematikarbeiten mit Hilfe der<br />
»8 Bausteine« (2).<br />
8 Bausteine zur Öffnung<br />
von Mathematikarbeiten<br />
1. Platz für Nebenrechnungen<br />
und Notizen<br />
2. Vorgehensweisen erläutern<br />
3. Offenere Aufgaben bezüglich<br />
der Vorgehensweise<br />
4. Wahlaufgaben<br />
5. Eigenproduktionen<br />
6. Verschiedene Kontexte<br />
7. Beziehungsreiche Aufgaben<br />
8. Hilfsaufgaben<br />
Abb. 5: 8 Bausteine<br />
Auf die 8 Bausteine kann ich hier aus<br />
Platzgründen nicht näher eingehen,<br />
sie erklären sich aber auch weitestgehend<br />
selbst. Die Grundidee dabei ist,<br />
Nebenrechnungen und Notizen nicht<br />
nur temporär auf »Schmierzetteln«<br />
zu notieren, sondern sie gezielt durch<br />
entsprechende Hinweise explizit zu<br />
fordern und durch geeignete Formatierungen<br />
in die Aufgabe mit zu integrieren.<br />
Es soll also nicht nur das Ergebnis,<br />
sondern auch die Idee und die Ausführung<br />
in die Unterrichts- und Leistungsbeurteilungskultur<br />
mit einbezogen<br />
werden. Den Kindern wird dann schnell<br />
12 GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007
Thema: VERA und die Unterrichtskultur<br />
klar, dass sie mit dem Aufschreiben ihrer<br />
Rechenwege in Zahlen und Schriftsprache<br />
die Chance haben, mehr von<br />
ihrem Können zu demonstrieren, als<br />
es mit dem reinen Notieren richtiger<br />
Ergebnisse möglich wäre.<br />
In der Abbildung 6 sehen Sie meinen<br />
Versuch, die »Schokoladencreme«-Aufgabe<br />
mit Hilfe der 8 Bausteine zu öffnen.<br />
Ich habe einen Kontextwechsel<br />
vollzogen (Baustein 6), da dieser den<br />
Kindern möglicherweise eher aus Umwelterfahrungen<br />
bekannt sein könnte.<br />
Als Wahlaufgabe (Baustein 3) habe ich<br />
einen weiteren Kontext angeboten, da<br />
sich nicht alle Kinder allen Kontexten<br />
gleich gut nähern können. »Wie bist du<br />
auf die Lösung gekommen?« (Baustein<br />
3) fordert die Kinder auf, Kommentare<br />
zu ihren Vorgehensweisen abzugeben<br />
und uns Einblicke in vorhandene Kompetenzen<br />
zu ermöglichen. Der »Platz<br />
für deine Rechnungen« (Baustein 1)<br />
kann darüber hinaus weitere Einblicke<br />
geben – z. B. in vorhandene sachrechnerische,<br />
aber geringe arithmetische<br />
Kompetenzen, wenn die Kinder zwar<br />
geeignete Ansätze wählen, aber beim<br />
Ausrechnen scheitern. Zum Schluss<br />
der wichtigste Unterschied zu VERA:<br />
Die Kinder hatten für die Bearbeitung<br />
der geöffneten Aufgabe genügend Zeit<br />
(kein Kreuzchen unter Hast in 2 bis 3<br />
Minuten), konnten sich den Kontext<br />
erschließen, Rechenwege probieren,<br />
ihre Wege darstellen und das Ergebnis<br />
im Sinne der Sachsituation rückinterpretieren.<br />
Beispiele sachrechnerischer<br />
Kompetenzen<br />
Die (Neben-)Rechnung in Abbildung 7<br />
verrät uns: Dieses Kind hat ohne Bezug<br />
zum Kontext die vorhandenen Zahlen<br />
einfach arithmetisch verknüpft – ein<br />
Vorgehen, wie es durch die so genannten<br />
»Kapitänsaufgaben« bereits bekannt<br />
ist. Auch die erhaltene Lösung<br />
wird nicht auf ihren Sinn im Rahmen<br />
der Aufgabenstellung hin hinterfragt.<br />
Im Gegensatz zu einem möglicherweise<br />
zufällig falsch gesetzten Kreuzchen<br />
in der »Schokoladencreme«- Aufgabe<br />
bei VERA kann man hier sehr wohl<br />
Rückschlüsse auf die (hier geringe)<br />
sachrechnerische Kompetenz führen.<br />
Saskia hat zwar (vgl. Abb. 8) noch<br />
keine Vorstellung von Preisvorteilen,<br />
und erst recht keine Idee, mit diesen zu<br />
rechnen, interpretiert aber das »beste<br />
Geschäft« im Sinne von »am wenigsten<br />
Geld ausgeben« und beschäftigt sich<br />
intensiv mit dem sachrechnerischen<br />
Kontext. Nur ein falsches Kreuzchen<br />
bei »Glas A« in VERA hätte uns über diese<br />
Fähigkeit, sich einem authentischen<br />
Sachrechenkontext zu nähern, nichts<br />
verraten. Dieser stellt jedoch eine<br />
wichtige Vorbedingung für das Rechnen<br />
in eben diesen Kontexten dar.<br />
Abb. 7:<br />
Fische-Aufgabe,<br />
falsche Lösung<br />
Abb. 6: Geöffnete<br />
»Schokoladencreme«-Aufgabe<br />
Abb. 8:<br />
Fische-Aufgabe,<br />
falsche Lösung,<br />
Kontextinterpretation<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007<br />
13
Thema: VERA und die Unterrichtskultur<br />
Abb. 11:<br />
Fehlende Sachkenntnis<br />
Es fanden selbstverständlich auch<br />
Kinder die richtige Lösung. Dabei rechneten<br />
die Kinder dann oft den Preis<br />
für einen Fisch aus. Petra (Abb. 9) hat<br />
die richtige Lösung »einfach so« gefunden:<br />
Sie rechnet die Eurobeträge in<br />
Cent um und teilt diese dann durch die<br />
Anzahl der Fische. Petra zeigt uns viele<br />
sachrechnerische Kompetenzen: Sie<br />
findet einen geeigneten Ansatz, eine<br />
geschickte Rechenweise (sie vermeidet<br />
gemischte Beträge), interpretiert ihre<br />
Rechnung im Sinne des Kontextes und<br />
gibt eine Lösung an. Darüber hinaus<br />
zeigt sie uns noch, dass ihr die Lösung<br />
(»einfach so«) nicht sonderlich schwer<br />
gefallen ist. Ein Jammer, hätte Petra<br />
nur ein Kreuzchen bei »Nummer 2« machen<br />
dürfen!<br />
Alex (ein Drittklässler) schlägt in<br />
Abb. 10 einen anderen, ebenfalls häufig<br />
anzutreffenden Lösungsweg ein:<br />
Er »rechnet hoch«, also vergleicht die<br />
Ausgaben für den Kauf von 20 bzw.<br />
21 Fischen, indem er 5 mal den Preis<br />
für 4 Fische und 3 mal den Preis für 7<br />
Fische mit dem Preis für 20 Fische berechnet.<br />
Alex kommentiert nicht nur<br />
Abb. 9:<br />
Richtige Lösung,<br />
zurück auf<br />
einen Fisch<br />
Abb. 10:<br />
Ausführliche Erläuterung<br />
des richtigen Rechenweges<br />
Abb. 12:<br />
Scheinbar<br />
richtige Lösung<br />
sein Ergebnis, sondern erläutert seinen<br />
Rechenweg und stellt diesen noch<br />
graphisch dar. Von all diesen Kompetenzen<br />
hätten wir bei einem einzigen<br />
VERA Kreuzchen nichts, aber auch gar<br />
nichts wahrnehmen können.<br />
Fernsehzeiten<br />
Nur kurz möchte ich an einem weiteren,<br />
zweiten Beispiel aufzeigen, wie<br />
sich in der geöffneten Version der Aufgabenstellung<br />
weitere Kompetenzen<br />
zeigen. Im VERA-Durchgang 2005 gab<br />
es eine Aufgabe zu »Fernsehzeiten«.<br />
Dort wurden Fragen zu Zeitspannen<br />
gestellt, die als Lückenantworten einzutragen<br />
waren. Bei meiner erneuten<br />
Durchführung der VERA-Aufgabe blieb<br />
der Erfolgsquotient ähnlich gering wie<br />
in der VERA-Durchführung.<br />
Auch diese Aufgabe habe ich mit<br />
Hilfe der »8 Bausteine« geöffnet – und<br />
mit genügend Zeit für die Kinder, die<br />
in diesem offenen Format ihre Kompetenzen<br />
demonstrieren können, erneut<br />
durchgeführt.<br />
Ann-Kathrin (Abb. 11) hätte bei<br />
der Original-VERA-Aufgabe sicherlich<br />
geantwortet, dass Graf Duckula<br />
6 Stunden und 0 Minuten dauert. Aus<br />
ihrer »Nebenrechnung« können wir ersehen:<br />
Ann-Kathrin erschließt schon<br />
den Kontext nicht richtig; was »ab 8«<br />
bedeutet, scheint ihr nicht klar zu sein,<br />
sie interpretiert die Zahl in ihrem, zur<br />
Aufgaben passenden Kontext. Beim<br />
Rechnen mit Zeitspannen rechnet sie<br />
nur mit glatten Stunden – immerhin<br />
eine erkennenswerte Teilkompetenz,<br />
die uns bei VERA verborgen geblieben<br />
wäre.<br />
Als vorletztes Beispiel dient die<br />
Lösung von Younes. Sein Ergebnis »25«<br />
Minuten hätte bei VERA als richtig gegolten<br />
– man hätte ihm wohl sachrechnerische<br />
Kompetenz unterstellt. Aber<br />
sein Rechenansatz führt nur durch<br />
Zufall zum richtigen Ergebnis (Abb. 12).<br />
Uhrzeiten voneinander schriftlich zu<br />
subtrahieren (noch dazu die größere<br />
von der kleineren Zahl) zeugt jedoch<br />
nicht von großer sachrechnerischer<br />
(und auch arithmetischer) Kompetenz<br />
– seine Eigenproduktion einer<br />
Analo gieaufgabe bzw. deren Berechnung<br />
führt dann aber ganz in die Irre<br />
(194 Stun den und 75 Minuten?). VERA<br />
hätte hier wohl eine drastische Fehleinschätzung<br />
geliefert.<br />
14 GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007
Thema: VERA und die Unterrichtskultur<br />
In der geöffneten Version fanden<br />
viele Kinder zum richtigen Ergebnis.<br />
Oft griffen sie dabei – wie Daniel (ein<br />
Drittklässler, vgl. Abb. 13) – auf den<br />
Rechenstrich als Hilfsmittel zurück.<br />
Daniel zeigt uns in seiner Bearbeitung<br />
der Aufgabe, dass er neben der korrekten<br />
Lösung auch noch geschickt auf<br />
eigenen Wegen rechnen und seine Vorgehensweise<br />
begründen und darstellen<br />
kann – »0 Stunden und 25 Minuten«<br />
bei VERA hätte uns keinerlei Erkenntnis<br />
über seine Kompetenzen geliefert.<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
richtig MC offen<br />
Schokocreme: 19 % 3 5 %<br />
Fernsehen 1: 41 % 69 %<br />
Fernsehen 2: 1 8 % 5 7 %<br />
Geburtstag: 27 % 68 %<br />
Kinderzimmer: 17 % 72 %<br />
Schoko<br />
Geburtstag<br />
Fernsehen 2<br />
Fernsehen 1<br />
Kinderzimmer<br />
Offenere Aufgabenstellungen –<br />
höherer Erfolg?<br />
Die von mir zu Beginn des Schuljahres<br />
2006 durchgeführte kleine Untersuchung<br />
zeigte, dass die 4 geschlossenen<br />
Sachrechenaufgaben (es kamen noch<br />
eine Text-Sachaufgabe und eine Bild-<br />
Sachaufgabe zum Kontext Geld hinzu)<br />
unter VERA – Bedingungen (Zeitdruck,<br />
Lückenantwort bei der Fernseh-Aufgabe,<br />
sonst Multiple Choice) wie erwartet<br />
eine geringe Quote richtiger Lösungen<br />
aufwies. Bei den 2 Wochen später präsentierten<br />
geöffneten Aufgaben stieg<br />
jedoch die Lösungshäufigkeit immens.<br />
Eine Übersicht finden Sie in Abb. 14. Natürlich<br />
ist dies keine »saubere« empirische<br />
Untersuchung – es haben nur ca.<br />
100 Kinder aus 4 Klassen von 2 Schulen<br />
teilgenommen – aber die Tendenz der<br />
Ergebnisse lässt zumindest vermuten,<br />
dass VERA nicht die Kompetenzen abbildet,<br />
die die Kinder in anderen Unterrichtszusammenhängen<br />
erbringen<br />
können. Neben der deutlich höheren<br />
Zahl von richtigen Lösungen kann man<br />
in den offenen Aufgaben auch bei vielen<br />
falschen Lösungen, zumindest in<br />
Teilbereichen, noch Kompetenzen der<br />
Kinder wahrnehmen.<br />
Mein Fazit<br />
■ Kann man mit Multiple Choice Tests<br />
wirklich Kompetenzen messen?<br />
Meine anfangs vorhandenen Bedenken<br />
konnten nicht zerstreut werden,<br />
sie wurden im Verlauf meiner Untersuchung<br />
nur noch größer. Ein Zusammenhang<br />
zwischen dem richtigen Kreuzchen<br />
und kompetent angewandten<br />
Lösungsansätzen und Rechenwegen<br />
besteht nicht zwangsläufig (denken<br />
Sie einmal an die 2 »zufällig richtigen«<br />
Beispiele weiter oben).<br />
■ Geben die Kinder in Multiple Choice<br />
Tests alle ihre Kompetenzen zu erkennen?<br />
Nicht nur höhere Werte bei den Prozentsätzen<br />
der richtigen Lösungen<br />
lassen vermuten, dass die Kinder wesentlich<br />
mehr ihrer Kompetenzen in<br />
offenen Aufgaben demonstrieren als<br />
Abb. 14: Ergebnisse<br />
durch das Anhaken falscher oder richtiger Antworten. Auch<br />
und gerade die bereits vorhandenen Teilkompetenzen trotz<br />
falscher Lösung gehen bei reinen Ankreuz-Tests verloren.<br />
Viele der Aufgaben, die bei den Vergleichsarbeiten verwendet<br />
werden, lassen sich mit Hilfe der »8 Bausteine« einfach<br />
und schnell zu offenen Aufgaben umwandeln. Dann<br />
können die Kinder ihre Potenziale entfalten und uns ihre<br />
Kompetenzen demonstrieren. Und dazu brauchen sie eines:<br />
Zeit. Gerade der Zeitdruck ist beim Bereich Sachrechnen<br />
eigentlich fehl am Platz. Kinder brauchen Zeit, sich den<br />
Kontext zu erlesen, ihn zu verstehen, sich mit ihm zu beschäftigen,<br />
Lösungshypothesen zu bilden, Zahlenwerte zu<br />
sortieren, in rechnerische Ansätze zu bringen, auf eigenen<br />
Wegen zu rechnen, ihr Vorgehen zu kommentieren, und<br />
– am Ende – ihr Ergebnis mit dem Kontext wieder in Bezug<br />
zu bringen und zu hinterfragen. Das alles kann nicht in<br />
3 Minuten pro Aufgabe funktionieren.<br />
Das Öffnen der Aufgaben kostet sicherlich Zeit – ebenso<br />
wie das Interpretieren der Schülerlösungen – aber es ist sinnvollere<br />
Zeit, als seitenlange Excel-Tabellen auszufüllen, hochzuladen<br />
und Balkendiagramme mit geringer Aussagekraft<br />
langatmig in Schulgremien zu diskutieren. Letztlich sind die<br />
offenen Aufgaben nicht Leistungsmessung nach Abschluss<br />
des Unterrichts, sondern zugleich eine offene Lernsituation.<br />
Die Bearbeitungen der offenen Aufgaben durch die Kinder<br />
lassen direkt Konsequenzen für den weiteren Unterricht für<br />
jedes einzelne Kind offenbar werden und leisten somit einen<br />
Beitrag zur Qualitätsentwicklung im Mathematikunterricht.<br />
Anmerkungen<br />
(1) http://vera-server.uni-landau.de/vera2004/download/<br />
elternrueckmeldung_nrw.pdf<br />
(2) Weitere Informationen hierzu in: Mayer, Insa und Schwätzer,<br />
Ulrich: Acht Bausteine zur Öffnung von Mathematik arbeiten – als<br />
Beitrag zu einer kompetenz orientierten Lernberatung in Mathematik.<br />
In: Grundschulmagazin 3/2004, 29 – 34.<br />
Abb. 13:<br />
Geschicktes Rechnen<br />
am Rechenstrich<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007<br />
15
Praxis: Pädagogische Leistungskultur<br />
Mut zur Öffnung – auch in Mathematik<br />
Pädagogische Leistungskultur im Mathematikunterricht<br />
von<br />
Andrea und<br />
Maren Laferi<br />
»Schülerinnen und Schüler an schulische<br />
Leistungsanforderungen und<br />
den produktiven Umgang mit der<br />
eigenen Leistungsfähigkeit heranzuführen,<br />
ist eine wesentliche Aufgabe<br />
der <strong>Grundschule</strong>. Dabei ist sie einem<br />
pädagogischen Leistungsverständnis<br />
verpflichtet, das Leistungsanforderungen<br />
mit individueller Förderung<br />
verbindet. Für den Unterricht bedeutet<br />
dies, Leistungen nicht nur zu fordern<br />
[…] und zu überprüfen, sondern durch<br />
Ermutigung, Unterstützung und die<br />
Anerkennung von Leistungen ein positives<br />
Lern- und Leistungsklima und damit<br />
die Voraussetzungen für das Vertrauen<br />
in die eigene Leistungsfähigkeit<br />
zu schaffen.« (1) So steht es in den nordrhein-westfälischen<br />
Richtlinien.<br />
Ein positives Lern- und Leistungsklima<br />
zu schaffen, ist eine anspruchsvolle<br />
Aufgabe für jede Schule. In den letzten<br />
Jahren hat sich auf diesem Gebiet<br />
viel bewegt, denn nicht wenige Kollegien<br />
entwickelten im Rahmen der<br />
Schulprogrammarbeit Konzepte, die<br />
den Unterricht positiv verändert haben.<br />
Besonders »mutige« und kreative<br />
Umgestaltungen findet man vor allem<br />
im Deutschunterricht, von dessen Öffnung<br />
immer mehr Kinder profitieren.<br />
Die Lern- und Leistungskultur im Mathematikunterricht<br />
ist dagegen längst<br />
nicht in diesem Maße weiterentwickelt<br />
worden. Er ist häufig noch auf reinen<br />
Buchunterricht reduziert. Aber auch<br />
oder sogar besonders hier sind offenere<br />
Lernarrangements notwendig, um den<br />
verschiedenen Voraussetzungen von<br />
Kindern Rechnung zu tragen, ihr eigenständiges<br />
Lernen zu fördern und damit<br />
ihre Leistungsfähigkeit herauszufordern.<br />
»Eine Planung mit denselben<br />
Aufgaben für alle Kinder widerspricht<br />
– besonders bei kleinschrittigem Vorgehen<br />
– ihrem Lernen. Die Orientierung<br />
an einem fiktiven Durchschnitt<br />
führt zu Problemen mit zwei Extremgruppen<br />
von Kindern, nämlich den besonders<br />
langsam und den sehr schnell<br />
lernenden.« (2) Ein dem pädagogischen<br />
Leistungsbegriff verpflichteter Mathematikunterricht<br />
muss – wie jeder andere<br />
Unterricht auch – für das gesamte<br />
Begabungsspektrum der Kinder Forderungen<br />
bereithalten.<br />
Auf dem Weg zu einem schuleigenen<br />
pädagogischen Lern- und<br />
Leistungskonzept in Mathematik<br />
Abb. 1: Konferenzeinladung<br />
An didaktischen und methodischen<br />
Vorschlägen und Beispielen zu einem<br />
modernen Mathematikunterricht mangelt<br />
es in der entsprechenden Fachliteratur<br />
mittlerweile nicht mehr. Woran<br />
es eher mangelt, sind Umsetzungen in<br />
den einzelnen Klassen und Vereinbarungen<br />
darüber, wie eine pädagogische<br />
Leistungskultur in Mathematik in der<br />
Schule – über alle Jahrgangsstufen<br />
und Klassen hinweg – etabliert werden<br />
kann.<br />
Dieser Artikel soll Mut machen<br />
und eine Möglichkeit aufzeigen, wie<br />
sich eine ganze Schule auf den Weg zu<br />
einem schuleigenen Konzept machen<br />
kann:<br />
1. Theoretischer Teil<br />
Auseinandersetzung mit dem<br />
pädagogischen Leistungsbegriff<br />
in Mathematik<br />
Damit sich eine Schule als »pädagogische<br />
Leistungsschule weiter entwickeln<br />
kann, reicht die Orientierung an<br />
pädagogischen Leitvorstellungen nicht<br />
aus. Um in der Praxis wirksam werden<br />
zu können, müssen diese fachbezogen<br />
konkretisiert werden.« (3)<br />
Hierzu dienen folgende fünf Leitideen,<br />
die den orientierenden Rahmen<br />
für den Mathematikunterricht bilden<br />
sollten:<br />
■ Zieltransparent herausfordern:<br />
Im Dialog mit den Kindern werden<br />
Aufgaben, Zielsetzungen und Beurteilungskriterien<br />
transparent<br />
■ Kompetenzorientiert wahrnehmen:<br />
Was kann das einzelne Kind und welche<br />
Lösungswege wählt es (auch wenn<br />
seine Äußerungen und Handlungen zunächst<br />
abwegig erscheinen)?<br />
■ Differenziert wahrnehmen:<br />
Individuelle Kompetenzen und Defizite<br />
werden auch mit Hilfe offener Aufgaben<br />
kontinuierlich und differenziert<br />
festgestellt.<br />
■ Angemessen beurteilen:<br />
Prozess- und produktorientierte Leistungsfeststellungen<br />
fließen gleichwertig<br />
in die Beurteilung ein. In Partner-<br />
und Gruppenarbeiten erbrachte<br />
Leistungen werden einbezogen.<br />
■ Lernfördernd rückmelden:<br />
Kinder brauchen regelmäßig unterstützende<br />
Rückmeldungen zur persönlichen<br />
Leistungsentwicklung, die mit<br />
Anregungen zum zielgerichteten Weiterlernen<br />
verbunden werden. (4)<br />
Folgende Fragestellungen könnten sich<br />
beispielsweise hieraus ergeben:<br />
– Wie kann man mit der Leistung der<br />
Kinder wertschätzend umgehen?<br />
– Auf welche Art und Weise kann man<br />
die Qualität von Leistung an Kinder<br />
und Eltern zurückmelden?<br />
– Welche Lernumgebungen und Lernanregungen<br />
sind für mathematische<br />
Leistungen unabdingbar?<br />
– Wann wendet man welchen Leistungsmaßstab<br />
(individuellen, anforderungsbezogenen,<br />
sozialen) an?<br />
– Wie berücksichtigt man das unterschiedliche<br />
Leistungsvermögen der<br />
Kinder?<br />
– Wie erhält man die Lernfreude der<br />
Kinder?<br />
16 GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007
Praxis: Pädagogische Leistungskultur<br />
2. Bestandsaufnahme:<br />
4 Aspekte<br />
pädago gischer<br />
Leistungskultur<br />
Mathematische Leistungskultur an<br />
unserer Schule<br />
Mögliche Fragestellungen:<br />
– Wo stehen wir?<br />
– Was tun wir schon?<br />
– Was ist für uns bisher wichtig?<br />
– Mit welchen Mitteln erreichen wir,<br />
was wir wollen?<br />
– Welche Absprachen gibt es bereits?<br />
– Welche Erfahrungen und Ansätze<br />
können verallgemeinert werden?<br />
– Wo sehen wir Probleme?<br />
Das Projekt des Grundschulverbandes<br />
zur pädagogischen Leistungskultur<br />
liefert vier Bausteine, mit deren Hilfe<br />
man die Standortbestimmung sehr<br />
differenziert durchführen kann (Sammeln<br />
in Gruppen, Zusammenstellung<br />
im Plenum):<br />
– Wie nehmen wir die Leistungen unserer<br />
Kinder wahr?<br />
– Wie würdigen wir die Leistungen<br />
unserer Kinder?<br />
– Wie fördern wir die Kinder individuell?<br />
– Wie öffnen wir die Lernwege unserer<br />
Kinder?<br />
3. Formulierung eines<br />
gemeinsamen Leitzieles:<br />
Flipchartsammlung<br />
lungen zu arbeiten, die ihnen individuelle<br />
Lernwege ermöglichen,<br />
– Lerntagebücher zur Dokumentation<br />
von Lernwegen und Ideen einführen,<br />
– Kindern mehr Raum für Eigenproduktionen<br />
geben,<br />
– Kindern individuelle Bearbeitungszeit<br />
einräumen,<br />
– Lerngespräche mit Kindern bzw. mit<br />
Kind und Eltern durchführen,<br />
– …«<br />
4. Konsequenzen für<br />
Unterricht und Schulleben<br />
Zum Schluss werden im Plenum Vereinbarungen,<br />
Verabredungen und<br />
Verbindlichkeiten für die weitere Gestaltung<br />
eines pädagogischen Leistungskonzepts<br />
in Mathematik getroffen,<br />
die verstärkt in der nächsten Zeit<br />
angegangen werden sollen.<br />
(In einer 3. Klasse nannten die Kinder<br />
u. a. Rechengeschichten erfinden,<br />
schöne Päckchen fortführen und ausdenken,<br />
Mathetests, ordentliche Zahlen<br />
schreiben, mitdenken, Kopfrechnen,<br />
Blitzrechnen, Freiarbeit …). Auf<br />
diese Art und Weise werden sie von<br />
Anfang an mit in die Verantwortung<br />
genommen, denn schließlich geht es ja<br />
um ihr Lernen und Leisten. Gleichzeitig<br />
schafft man mehr Transparenz bezüglich<br />
der Entstehung einer Beurteilung.<br />
Darüber hinaus verlangt auch das<br />
Reflektieren der eigenen Leistungen<br />
mit Hilfe von Selbsteinschätzungsbogen<br />
von dem einzelnen Kind, seine eigene<br />
Leistung in Relation zu den geforderten<br />
Lernzielen zu setzen.<br />
Versuch, zunächst in Gruppen und<br />
dann im Plenum konkrete Ziele zu vereinbaren.<br />
Zum Beispiel: »Wir wollen eine pädagogische<br />
Leistungskultur in Mathematik<br />
aufbauen, indem wir<br />
– in jeder Klasse eine anregende mathematische<br />
Lernumgebung schaffen,<br />
– Kindern vielfältige Gelegenheiten<br />
bieten, an offenen Aufgabenstel-<br />
Den Kindern das Wort geben<br />
Parallel zu den Überlegungen und getroffenen<br />
Vereinbarungen innerhalb<br />
des Kollegiums einer Schule sollten die<br />
Lehrerinnen und Lehrer nicht die Kinder<br />
selbst aus dem Blick verlieren. Zu<br />
einer pädagogischen Leistungskultur<br />
gehört es auch, den »Kindern das Wort<br />
zu geben«. So schlagen Sundermann<br />
& Selter vor, gemeinsam mit ihnen zu<br />
überlegen: Was zählt alles in Mathe?<br />
Maren Laferi<br />
Lehramtsanwärterin an der<br />
KGS Stephan-Lochner-Schule<br />
50674 Köln<br />
26 Jahre,<br />
seit 2006 im Schuldienst<br />
Andrea Laferi<br />
Grundschul lehrerin, Schulleiterin<br />
an der GGS Wichernschule<br />
mit Montessorizweig<br />
40627 Düsseldorf<br />
55 Jahre, seit 1975 im Schuldienst<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007<br />
17
Praxis: Pädagogische Leistungskultur<br />
Rückmeldebogen<br />
Ein Beispiel eines Rückmeldebogens<br />
ist auf Seite 17 zu sehen.<br />
Die Kinder füllen den Bogen zum<br />
Abschluss eines Themengebietes oder<br />
im Anschluss an einen Mathetest aus.<br />
Sie schätzen ihr Können in den einzelnen<br />
Aspekten folgendermaßen ein:<br />
■ Das kann ich besonders gut.<br />
■ Das kann ich, das ist in Ordnung.<br />
■ Das kann ich noch nicht sicher genug.<br />
■ Das kann ich noch nicht.<br />
Mit Rückgabe des Bogens durch die<br />
Lehrerin erhält das Kind eine differenzierte<br />
Rückmeldung und kann seine<br />
Einschätzung mit der der Lehrerin<br />
vergleichen. Bei Diskrepanzen können<br />
Kind und Lehrerin miteinander ins Gespräch<br />
kommen, worin sich Selbst- und<br />
Fremdeinschätzung unterscheiden. Im<br />
unteren Teil des Bogens bekommt das<br />
Kind zudem Hinweise, wie oder womit<br />
es noch nicht erreichte Lernziele üben<br />
kann. Es hat sich bewährt, Leerzeilen<br />
mit aufzunehmen, die sowohl die Lehrerin<br />
als auch das Kind für weitere Bemerkungen<br />
nutzen kann.<br />
Durch die Unterschriften von Lehrerin,<br />
Kind und Eltern wird der Bogen zu<br />
einem Lerndokument.<br />
Schlussbemerkungen<br />
Eine Schule, die sich aufmacht, schrittweise<br />
ihren Mathematikunterricht so<br />
zu verändern wie oben beschrieben,<br />
fordert durch diese Vielfalt von ihren<br />
Kindern geradezu Leistungen heraus,<br />
die sehr viel differenzierter etwas<br />
über deren Leistungsvermögen aussagen,<br />
als konventionelle Mathematikarbeiten,<br />
Tests oder nationale Vergleichsarbeiten<br />
es jemals in der Lage<br />
sein werden.<br />
Wichtig ist es nun aber noch, dieses<br />
veränderte Konzept den Eltern transparent<br />
zu machen, damit sie verstehen<br />
lernen, dass Zeugnisnoten nicht durch<br />
das arithmetische Mitteln von schriftlichen<br />
Tests ermittelt werden. In einer<br />
anregenden Lernumgebung, die Kindern<br />
Lust auf Mathematik macht und<br />
in der sie Ermutigung, Unterstützung<br />
und Anerkennung ihrer Leistungen<br />
erfahren, bekommen Klassenarbeiten<br />
einen ihnen zustehenden Rangplatz:<br />
Neben-, nicht Hauptplatz!<br />
Anmerkungen<br />
(1) MSW des Landes NRW: Richtlinien und<br />
Lehrpläne zur Erprobung für die <strong>Grundschule</strong><br />
2003<br />
(2) Elmar Hengartner: »Lernumgebungen<br />
für Rechenschwache bis Hochbegabte –<br />
Natürliche Differenzierung im Mathematikunterricht«,<br />
Zug 2006<br />
(3) Christoph Selter: Dokumentation<br />
16. Symposium Mathe 2000, Dortmund<br />
23. 09. 06<br />
(4) MSW des Landes NRW: Richtlinien und<br />
Lehrpläne zur Erprobung für die <strong>Grundschule</strong><br />
2003<br />
(5) Beate Sundermann & Christoph Selter:<br />
Beurteilen und Fördern im Mathematikunterricht<br />
2006<br />
(6) Pädagogische Leistungskultur: Materialien<br />
für Klasse 1 & 2 Mathematik (Band 119)<br />
+ Materialien für Klasse 3 und 4 Mathematik<br />
(Band 121)<br />
Ein fachbezogenes Konzept zur<br />
pädagogischen Leistungskultur in<br />
Mathematik entwickeln<br />
Kopieren Sie die nächste Seite. Die Vorschläge<br />
können zu Bausteinen der mathematischen<br />
Leistungskultur an Ihrer Schule werden. Ihnen<br />
sind angemessene Methoden zugeordnet, die<br />
Leistungsentwicklungen und Lernstände diagnostizieren<br />
helfen (siehe Tabelle). Sie sind aus<br />
der Fachliteratur (insbesondere Sundermann<br />
& Selter) und aus den Veröffentlichungen<br />
des Grundschulverbandes zu diesem Thema<br />
zusammengestellt. Haken Sie ab, was bereits<br />
realisiert wird, kreuzen Sie an, was Sie für notwendig<br />
oder wünschenswert halten. Aus der<br />
gemeinsamen Auswertung kann eine erste<br />
Skizze eines fachbezogenen Konzepts für eine<br />
pädagogische Leistungskultur in Mathematik<br />
entstehen. Vereinbaren Sie Maßnahmen und<br />
Standards für die ganze Schule. Planen Sie<br />
Zeitpunkte und Verantwortlichkeiten.<br />
18 GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007
Praxis: Pädagogische Leistungskultur<br />
Bausteine: Pädagogische Leistungskultur in Mathematik<br />
k<br />
Lernstände feststellen<br />
Standortbestimmungen: Sie geben der<br />
Lehrperson vor, während und nach der Behandlung<br />
eines Themas strukturierte Informationen<br />
über Kompetenzen und Defizite<br />
einzelner Kinder und den Kindern selbst<br />
Transparenz über ihr eigenes Lernen (Was<br />
kann ich schon? Was muss ich noch lernen?<br />
Was habe ich gelernt?)<br />
Mündliche Standortbestimmungen bieten<br />
die Möglichkeit des Nachfragens.<br />
(siehe unter Lerngespräche führen)<br />
Schriftliche Standortbestimmungen liegen<br />
dauerhaft vor und bieten die Möglichkeit,<br />
eine hohe Zahl von Informationen zu erhalten.<br />
Sie sind keine Tests und können<br />
beispielsweise auch ein leeres Blatt sein mit<br />
der Aufforderung: »Was weißt du schon über<br />
…?«.<br />
Beispiele für schriftliche<br />
Standortbestimmungen:<br />
Mathepässe, Führerscheine, Urkunden,<br />
Diplome<br />
(siehe unter Lernentwicklung bestätigen)<br />
Mathebriefkasten<br />
In den Mathebriefkasten werfen die Kinder<br />
etwa einmal pro Woche Aufgabenbearbeitungen<br />
(z. B. eine Antwort auf eine Frage<br />
oder die Bearbeitung einer kurzen Aufgabe).<br />
Beispiel: Schreibe fünf Malaufgaben mit dem<br />
Ergebnis 1.000 auf.<br />
Wochenblätter<br />
Jede oder jede zweite Woche erhalten die<br />
Kinder Aufgaben zu einem Oberthema (z. B.<br />
Zahlenfolgen), die sie in offeneren Unterrichtsphasen<br />
innerhalb einer Woche bearbeiten<br />
sollen.<br />
Mathe-Check<br />
Etwa einmal im Monat werden mit dem<br />
Mathe-Check Grundfertigkeiten, d. h. Kompetenzen,<br />
die verfügbar sein sollten, jedoch<br />
ein gewisses Training benötigen, (z. B. das<br />
schnelle Kopfrechnen oder das räumliche<br />
Vorstellungsvermögen) überprüft.<br />
Matheolympiade<br />
Warum nicht einmal eine Projektwoche:<br />
»Rund um die Mathematik«?<br />
Landesweite und nationale Mathewettbewerbe<br />
(z. B. Landeswettbewerb NRW, Känguru-<br />
Wettbewerb oder auch unter<br />
www.mathetreff.nrw.de)<br />
……………………………………………<br />
i<br />
Lernentwicklungen<br />
n<br />
bestätigen<br />
Selbst- und Partnerkontrolle<br />
Mathepässe, die ein ganzes Schulhalbjahr beschreiben:<br />
Sie geben einen Überblick über alle erbrachten Leistungen<br />
eines Kindes (Fähigkeiten und Fertigkeiten, Kenntnisse, Einstellungen<br />
und Haltungen zu einem bestimmten Zeitpunkt).<br />
Mathepässe, Urkunden, Diplome, Führerscheine zu einem<br />
Teilbereich: (z. B. Blitzrechenpass, Einmaleinspass, Würfelbaumeister-Diplom,<br />
…)<br />
Sesseltanz (nach Ruf & Gallin):<br />
Sich gegenseitig Rückmeldung geben<br />
Alle Kinder haben den gleichen Arbeitsauftrag bearbeitet und<br />
ihren Lösungsweg und Gedanken dazu aufgeschrieben. Wer<br />
fertig ist, legt ein leeres Blatt Papier mit dem Titel »Rückmeldungen«<br />
auf seinen Tisch und tauscht seinen Platz mit dem<br />
eines anderen Kindes. Die Kinder können so das Vorgehen<br />
eines anderen Kindes nachvollziehen und gleichzeitig ihre persönliche<br />
Rückmeldung dazu schreiben. Dies kann der eigene<br />
Lösungsweg sein, ein Tipp, ein Kommentar oder eine neue<br />
Idee. Selbstverständlich darf sich auch die Lehrerin beteiligen.<br />
Lernberichte, Rückmelde- und Selbsteinschätzungsbogen<br />
Kinder reflektieren ihre eigenen Leistungen und schätzen sich<br />
ein (mit eigenen Worten oder in Form von Ankreuztabellen);<br />
die Lehrerin kann mit relativ geringem Aufwand differenzierte<br />
Rückmeldungen geben.<br />
……………………………………………<br />
Lerngespräche führen<br />
Mathekonferenzen<br />
Austausch in Kleingruppen über die verschiedenen Vorgehensweisen,<br />
Beschreiben von Auffälligkeiten, Gemeinsamkeiten<br />
und Besonderheiten, Bearbeitung von Denkaufgaben, …<br />
Mathegespräche<br />
Austausch im Plenum über Inhalte wie bei Mathekonferenzen,<br />
aber auch Fragen der Kinder aufgreifen, die sie geklärt haben<br />
möchten.<br />
Präsentationen<br />
(z. B. von Gruppenarbeiten, Eigenproduktionen, Entdeckungen<br />
oder Lösungswegen)<br />
Lerngespräche zwischen Lehrerin und einzelnen Kindern<br />
Das Kind demonstriert seine Denkweisen durch Handlungen<br />
und Äußerungen; die Lehrerin versucht zu erfahren, wie das<br />
Kind denkt, um Kompetenzen, aber auch Defizite zu entdecken.<br />
Kinder-Sprechstunde<br />
Lehrerin gibt Rückmeldung zu den Lernentwicklungen der Kinder;<br />
Reflexion über vergangenes und zukünftiges Lernen.<br />
……………………………………………<br />
d<br />
eigene Lernwege<br />
beschreiben<br />
Eigenproduktionen<br />
Erfindungen: Erfinden eigener Aufgaben (für<br />
andere und sich selbst),<br />
Individuelle Lösungsstrategien: Aufgaben mit<br />
eigenen Vorgehensweisen lösen,<br />
Rückschau: über den eigenen Lernprozess<br />
schreiben,<br />
Forscheraufgaben: Auffälligkeiten beschreiben<br />
und begründen.<br />
Stationenbücher, Arbeitspläne<br />
(z. B. Zahlenhäuser-Buch, Längen-Buch, Würfelgebäude-Heft,<br />
Wir erobern den Tausenderraum)<br />
Offene Aufgabenstellungen<br />
Durch sie kann jedes Kind auf seinem wirklichen<br />
Leistungsniveau arbeiten. Die Ergebnisse zeigen<br />
jeweils einen kleinen Ausschnitt des Leistungsprofils<br />
eines Kindes – nicht nur dem Lehrenden,<br />
auch dem Lernenden selbst.<br />
z. B: »Finde Zahlen, die du durch viele andere teilen<br />
kannst.«<br />
»Schreibe Rechnungen, die 1.000 (1.000.000)<br />
ergeben.«<br />
»Zeichne geometrische Flächen und Körper,<br />
die du kennst. Schreibe jeweils den Namen<br />
dazu.«<br />
Rechengeschichten<br />
Rechengeschichten können frei, zu einem bestimmten<br />
Thema (z. B. Sachtext) oder zu bestimmten<br />
Teilfähigkeiten geschrieben und gelöst<br />
werden.<br />
Forscherhefte<br />
In Forscherheften werden mathematische Entdeckungen<br />
festgehalten und beschrieben (z. B.<br />
eigene Entdeckungen oder nach thematischen<br />
Vorgaben wie Zahlenmauernforscher-Buch).<br />
Lerntagebuch<br />
Im Lerntagebuch halten die Kinder ihre eigenen<br />
Ideen, Lernwege, Entdeckungen und Erfindungen<br />
fest.<br />
Portfolio<br />
Im Portfolio werden besonders gelungene Arbeiten<br />
gesammelt, gewürdigt und entsprechend<br />
weiterverwendet (z. B. als Grundlage für Lerngespräche).<br />
Selbstzeugnis<br />
Die Kinder schreiben zum offiziellen Zeugnistermin<br />
auf, was sie in Mathematik besonders gut<br />
können, was sie noch üben müssen oder was sie<br />
in diesem Jahr Neues gelernt haben. Sie reflektieren<br />
so ihre eigenen Lernprozesse, lernen ihre<br />
Stärken und Schwächen kennen und können sich<br />
besser einschätzen.<br />
……………………………………………<br />
Anregende Lernumgebung als Basis für aktiv-entdeckendes Lernen<br />
Ist folgendes oder ähnliches Material in den Klassenräumen vorhanden, damit Kinder Mathematik be-greifen können?<br />
Unstrukturiertes<br />
Material (Dinge zum<br />
Zählen, Ordnen,<br />
Muster legen, …)<br />
Muscheln<br />
Erbsen, Bohnen, …<br />
Kastanien, Eicheln, …<br />
Muggelsteine<br />
Kronkorken<br />
Wendeplättchen<br />
Steckwürfel<br />
Knöpfe<br />
Holzwürfel<br />
Cent-Stücke<br />
Perlen<br />
…<br />
Strukturiertes<br />
Material<br />
Ziffernkarten<br />
Rechenrahmen<br />
20er-Feld<br />
20er-Reihe<br />
100er-Tafel<br />
1.000er-Buch<br />
Millionenbuch<br />
Mehrsystemblöcke<br />
…<br />
Würfel, Würfel,<br />
Würfel<br />
Material zum<br />
Wiegen, Messen,<br />
Umgang mit Geld<br />
Maßbänder<br />
Gliedermaßstab<br />
(Zollstock)<br />
Lineale<br />
Meterschnüre, -stäbe<br />
Waagen aller Art<br />
Gewichtssatz<br />
Messbecher<br />
(Litermaß,…)<br />
Kasse, Geld<br />
…<br />
Material zur<br />
Geometrie<br />
Somawürfel mit Kartei<br />
hohle Kästen mit<br />
cm 3 -Würfel<br />
Figuren-Tastspiel<br />
Geometrische Figuren<br />
(Flächen)<br />
Zeichenschablonen<br />
Zirkel, Geodreiecke<br />
Spiegel, Symmetriespiele<br />
Geobretter<br />
Geostadt<br />
Muster legen,<br />
ausmalen<br />
Legespiele (Tangram<br />
und andere Quadratzerlegungen)<br />
…<br />
Weitere Medien<br />
Spiele<br />
Taschenrechner<br />
Computer<br />
(Lern programme)<br />
Bücher<br />
…<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007<br />
19
Praxis: Pädagogische Leistungskultur<br />
Lebendiges Lernen und kindgerechte Bewertung<br />
Pädagogische Leistungskultur im Deutschunterricht<br />
Ziele beinhalten noch keine Aussagen<br />
über die Qualität der Bildungsprozesse.<br />
Im Deutschunterricht der <strong>Grundschule</strong><br />
entwickeln Lehrer/innen und<br />
Kinder eine anregende Lese-, Schreibund<br />
Gesprächskultur. Gemeinsam werden<br />
Formen des Austauschs und der<br />
Rückmeldung gestaltet, wie z. B. der<br />
tägliche Erzählkreis, der Klassenrat,<br />
Schreibkonferenzen, Rechtschreibgespräche,<br />
Buchempfehlungen und Präsentationen.<br />
Eine solche Lernkultur verbindet<br />
sprachliches Lernen mit künstlerischästhetischen<br />
Zugängen und nutzt die<br />
vielfältigen Lerngelegenheiten außerschulischer<br />
Lernorte (z. B. Bibliothek,<br />
Museum, Theater). Im Schul- und Klassenleben<br />
können viele Gelegenheiten<br />
für fachliches und fächerverbindendes<br />
Lernen aufgegriffen und gestaltet werden.<br />
Lernformen, die Kindern Raum zum<br />
selbstständigen und selbstverantwortlichen<br />
Arbeiten geben und zum aktiven<br />
und produktiven Sprachhandeln herausfordern,<br />
sind dabei besonders gevon<br />
Ulrich Hecker<br />
Ulrich Hecker,<br />
Grundschulleiter<br />
in Moers (NRW),<br />
Redakteur »<strong>Grundschule</strong><br />
<strong>aktuell</strong>«<br />
In den Bundesländern werden in Folge<br />
der Diskussion um die PISA-Ergebnisse<br />
landesweit Jahr für Jahr VERgleichs-<br />
Arbeiten geschrieben. Diese Arbeiten<br />
taugen aber nicht dazu, Lernstand und<br />
Lernentwicklung einzelner Kinder festzustellen,<br />
weil hierzu die testbedingte<br />
Fehlerquote zu hoch ist, die sich erst<br />
in der großen Menge der Getesteten<br />
annähernd ausgleicht. VERgleichsArbeiten<br />
taugen auch nicht dazu, umfassende<br />
Aussagen zu den Fähigkeiten im<br />
Deutschen zu machen, weil sie nur eng<br />
eingegrenzte Zielaspekte überprüfen<br />
und Bildungsinhalte dadurch drastisch<br />
verkürzen. (1)<br />
Deutschunterricht, wie er sich in<br />
vielen <strong>Grundschule</strong>n in den letzten<br />
Jahrzehnten entwickelt hat, fordert<br />
durch seine Lebendigkeit und individuelle<br />
Bedeutsamkeit Kinder zu vielfältigen<br />
Leistungen heraus, die viel<br />
differenziertere Aussagen über ihr<br />
Leistungsvermögen ermöglichen als<br />
konventionelle Klassenarbeiten oder<br />
VERA-Tests.<br />
In einem anregenden, bedeutungsvollen<br />
Deutschunterricht bekommen<br />
dann auch Noten und Klassenarbeiten<br />
den ihnen zustehenden Rangplatz – als<br />
Neben-, nicht Hauptplatz. (2)<br />
Auf dem Weg zu einem<br />
schuleigenen Lern- und<br />
Leistungskonzept in Deutsch<br />
Es ist keineswegs beliebig, was Kinder<br />
in ihren Grundschuljahren lernen und<br />
welche Ziele sie erreichen. Alle Kinder<br />
sollen »tragfähige Grundlagen« für<br />
erfolgreiche weiterführende Bildungsprozesse<br />
erwerben können. Alle müssen<br />
sie erfolgreich mündlich erzählen<br />
und ihre Meinung formulieren können,<br />
über Lesefähigkeiten für die selbstständige<br />
Texterschließung verfügen,<br />
eigene Texte verständlich und im<br />
Großen und Ganzen auch normgerecht<br />
schreiben können.<br />
Alle Kinder erreichen solche Ziele<br />
aber auf dem ihnen jeweils möglichen<br />
Niveau, denn: Kinder sind bereits bei<br />
Schuleintritt mit etwa gleichem Lebensalter<br />
um drei bis vier Entwicklungsjahre<br />
auseinander. Dies ändert sich im<br />
Prinzip in den vier Grundschuljahren<br />
nicht. Weder dürfen aber leistungsstarke<br />
Kinder durch die Schule in ihrer<br />
Entwicklung zurückgehalten werden,<br />
um die Lerngruppe in ihrem Entwicklungsstand<br />
zu »homogenisieren«, noch<br />
können leistungsschwächere Kinder<br />
auf den Stand der Leistungsstärkeren<br />
herangefördert werden. Die Heterogenität<br />
der Kinder, die Verschiedenheit in<br />
ihren Leistungen ist die Normalität in<br />
jeder Schule und jeder Klasse.<br />
Die Gestaltung eines Deutschunterrichts,<br />
der Heterogenität bewusst<br />
aufnimmt und individuelle Förderung<br />
ebenso ernst nimmt wie das Lernen in<br />
der Gemeinschaft, sollte ein wichtiges<br />
Ziel innerschulischer Konzepte im Rahmen<br />
der Arbeit am Schulprogramm<br />
sein.<br />
In vielen Kollegien haben sich die<br />
Bereitschaft und das Bedürfnis entwickelt,<br />
auf gemeinsame Ziele hin Konzepte<br />
zu entwickeln und sie in konkrete<br />
Praxis umzusetzen. In diesem Arbeitsprozess<br />
können Schulen auf eine Fülle<br />
von Bausteinen und Beispielen zurückgreifen<br />
und diese an die je eigenen Bedingungen<br />
anpassen.<br />
Macht sich ein Kollegium auf<br />
den Weg, ein eigenes Konzept pädagogischer<br />
Leistungskultur im Fach<br />
Deutsch zu entwickeln, können die folgenden<br />
Schritte sinnvoll sein:<br />
Erste Bestandsaufnahme<br />
Lese-, Schreib- und Gesprächs kultur<br />
an unserer Schule<br />
Es ist unverzichtbar, dass Lehrkräfte<br />
und Lehrerkollegien zunächst die<br />
tragfähigen Grundlagen für weiteres<br />
Lernen über die Grundschulzeit hinaus<br />
für sich umfassend klären und auf die<br />
Gegebenheiten ihrer Schulen und Klassen<br />
hin in schuleigenen Arbeitsplänen<br />
konkretisieren. (3)<br />
Ein fachbezogenes Konzept<br />
zur pädagogischen<br />
Leistungskultur entwickeln<br />
Kopieren Sie die folgende Seite.<br />
Die Vorschläge können zu Bausteinen<br />
der Leistungskultur im Fach<br />
Deutsch an Ihrer Schule werden.<br />
Haken Sie ab, was an Ihrer Schule<br />
bereits realisiert wird, kreuzen<br />
Sie an, was Sie für notwendig oder<br />
wünschenswert halten. Aus der gemeinsamen<br />
Auswertung kann eine<br />
erste Skizze eines fachbezogenen<br />
Konzepts entstehen. Vereinbaren<br />
Sie Maßnahmen und Vereinbarungen<br />
für die ganze Schule. Planen<br />
Sie Zeitpunkte und Verantwortlichkeiten.<br />
20 GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007
Praxis: Pädagogische Leistungskultur<br />
k<br />
Bausteine: Pädagogische Leistungskultur in Deutsch<br />
Lernstände feststellen<br />
Eigenproduktionen der Kinder<br />
– mündlich (z. B. Gedichte vortragen, Vorlesen,<br />
Buchvorstellungen, Vorträge)<br />
– schriftlich (z. B. freie Texte, Klassenkorrespondenz,<br />
eigene Texte zu Themen, Themenhefte<br />
/Dokumentationen, Textsammlungen)<br />
Sammlung von Arbeitsdokumenten<br />
Die Lehrerin sammelt gezielt Entwürfe, Planungsskizzen,<br />
verschiedene Textfassungen,<br />
Arbeitsproben der Kinder und wertet sie aus.<br />
»Schreib, was du siehst«- /<br />
»Mal, was du liest«-Blätter<br />
Zu Bildern sollen die entsprechenden Begriffe<br />
geschrieben werden. / Auf Zettel geschriebene<br />
Wörter sollen durch Bilder ergänzt werden.<br />
Stolperwörter-Lesetest<br />
Der Test fordert rasches, genaues und inhaltsorientiertes<br />
Lesen: Die Kinder müssen in jedem<br />
Satz das nicht passende Wort streichen.<br />
Neun-Wörter-Diktat<br />
Mit Hilfe des Neun-Wörter Diktats lässt sich<br />
zu verschiedenen Zeitpunkten im 1. Schuljahr<br />
gezielt beobachten, ob und wie weit die<br />
Kinder bereits das alphabetische Prinzip der<br />
Schrift verstanden haben. Ein einfaches Auswertungsschema<br />
hilft, die Entwicklung der<br />
Kinder im Blick zu behalten.<br />
Wörterrätsel für Fortgeschrittene<br />
Eine »Lupe« auf die Entwicklung der alphabetischen,<br />
orthografischen und morphematischen<br />
Strategie der einzelnen Kinder. Die Informationen<br />
sind bedeutsam für die Auswahl<br />
von Materialangeboten und für die gezielte<br />
Förderung.<br />
Hamburger Schreibprobe<br />
Die »HSP« ist ein Test, mit dem die »Erwerbsstrategien«<br />
der Kinder erschlossen<br />
werden können. Damit werden qualitative<br />
Aussagen über bestimmte Zugriffsweisen<br />
von Kindern auf Schrift ermöglicht: unterschieden<br />
werden die alphabetische, die<br />
orthographische und die morphematische<br />
Rechtschreibstrategie.<br />
Beobachtungsbögen<br />
Beobachtungen werden in einem Beobachtungsbogen<br />
festgehalten und ermöglichen<br />
so einen Überblick über die Fähigkeiten jedes<br />
Kindes.<br />
Sprechen und Zuhören<br />
Lesen und mit Medien umgehen<br />
Texte verfassen<br />
Rechtschreiben<br />
……………………………………………<br />
i<br />
Lernentwicklungen<br />
bestätigen<br />
Rückmelde- und Selbsteinschätzungsbogen<br />
Kinder reflektieren ihre eigenen Leistungen und<br />
schätzen sich ein (mit eigenen Worten oder in Form<br />
von Ankreuztabellen), die Lehrerin kann differenzierte<br />
Rückmeldungen geben.<br />
Urkunden<br />
Für besondere Leistungen beim mündlichen und<br />
schriftlichen Sprachhandeln gibt es Urkunden als »institutionalisierte<br />
Wertschätzung« der Anstrengungen<br />
der Kinder.<br />
Ausweise / Lernpässe / Diplome<br />
z. B. Lesepass, Rechtschreibausweis, Forscher diplom<br />
Veröffentlichungen / Präsentationen<br />
In der Klasse gibt es »institutionalisierte« Gelegenheiten,<br />
Texte und andere Arbeitsergebnisse vorzustellen<br />
und Rückmeldungen zu erhalten.<br />
n<br />
Lerngespräche<br />
……………………………………………<br />
führen<br />
Über Lernen sprechen / Lernprozesse<br />
reflektieren<br />
Nach Gesprächen reflektieren die Kinder über die<br />
Regelbeachtung; nach einem Vortrag melden die zuhörenden<br />
Kinder zurück, was gelungen (bzw. noch<br />
nicht gelungen) war.<br />
Beim Lesen und dem Umgang mit Texten und<br />
Medien führen Kinder Gespräche über Gelesenes und<br />
über das Lesen und den Umgang mit Texten.<br />
In Schreibgesprächen und -konferenzen sprechen<br />
Kinder über eigene Texte. Textentwürfe werden gewürdigt,<br />
beraten und ggf. überarbeitet.<br />
In Veröffentlichungsstunden werden Texte vorgestellt<br />
und besprochen.<br />
Kinder führen Rechtschreibgespräche: Gemeinsames<br />
Nachdenken über die richtige Schreibweise<br />
von Wörtern und Sätzen (z. B. der »harte Brocken des<br />
Tages«).<br />
Lerngespräche zwischen Lehrerin und einzelnen<br />
Kindern<br />
Gespräche über das Lernen, also auf einer »Metaebene«:<br />
über Lernwege (Erreichtes, Schwierigkeiten,<br />
weitere Arbeitsperspektiven), über den Grad der eigenen<br />
Zufriedenheit und des Lern erfolgs.<br />
Kinder-Sprechstunde<br />
Die Lehrerin gibt dem Kind Rückmeldungen zu den<br />
Lernentwicklungen der Kinder, beide reflektieren vergangenes<br />
und zukünftiges Lernen.<br />
……………………………………………<br />
d<br />
eigene<br />
Lernwege<br />
beschreiben<br />
Portfolio<br />
Im Portfolio sammeln Kinder gelungene<br />
Arbeiten, die gewürdigt und entsprechend<br />
weiterverwen det werden (z. B. als Grundlage<br />
für Lerngespräche).<br />
Lesetagebuch<br />
In ihr Lesetagebuch schreiben, zeichnen und<br />
gestalten Kinder Eindrücke, Gedanken und<br />
Entdeckungen bei der Lektüre und dokumentieren<br />
damit ihre Lese entwicklung.<br />
Themenhefte / Dokumentationen<br />
Kinder sammeln ihre Texte und Arbeitsergebnisse<br />
zu Themen des Unterrichts.<br />
Textsammlung<br />
Jedes Kind schreibt seine besten Texte – und<br />
sammelt diese von ihm ausgewählten eigenen<br />
Texte (freie Texte oder Ergebnisse von<br />
Schreibaufgaben und -vorhaben).<br />
Lerntexte<br />
Kinder schreiben (nach Abschluss eines<br />
Schreibvorhabens, im Anschluss an Lerngespräche<br />
oder eine Textvorstellung) Texte über<br />
ihre Arbeit, ihr Arbeitsergebnis, sie halten<br />
Fragen und Probleme fest und markieren Erreichtes<br />
und Gelungenes.<br />
Selbsteinschätzungsbögen<br />
In einem Selbsteinschätzungsbogen schätzen<br />
Kinder ihre Fähigkeiten ein. Selbsteinschätzungsbögen<br />
können allein oder im Gespräch<br />
mit der Lehrerin bearbeitet werden. Lehrerin<br />
und Kinder haben sich auf die Kategorien des<br />
Bogens verständigt.<br />
Sprechen und Zuhören<br />
Lesen und mit Medien umgehen<br />
Texte verfassen<br />
Rechtschreiben<br />
Lerntagebuch<br />
Im Lerntagebuch halten die Kinder ihre eigenen<br />
Ideen, Lernwege, Entdeckungen fest und<br />
reflektieren schriftlich in ungebundener Form<br />
über ihr eigenes Lernen.<br />
Selbstzeugnisse<br />
Die Kinder schreiben vor den Zeugnisterminen<br />
auf, was sie neu gelernt haben, was sie<br />
gut können, was sie weiter üben müssen. Sie<br />
reflektieren so ihre eigenen Lernprozesse, ihre<br />
Stärken, Schwächen und weiteren Aufgaben.<br />
……………………………………………<br />
Ausführliche Informationen zu den hier genannten<br />
Bausteinen pädagogischer Leistungskultur finden sich in:<br />
H. Bartnitzky / H. Brügelmann / U. Hecker /<br />
G. Schönknecht (Hg.), Pädagogische Leistungskultur:<br />
Materialien für die Klasse 1 und 2, Grundschulverband,<br />
Frankfurt/M. 2005,<br />
H. Bartnitzky / H. Brügelmann / U. Hecker /<br />
G. Schönknecht (Hg.), Pädagogische Leistungskultur:<br />
Materialien für die Klasse 3 und 4, Grundschulverband,<br />
Frankfurt/M. 2006<br />
Die jedem Schuber beigefügte CD enthält<br />
zahlreiche nützliche Materialien und<br />
Übersichten, Beobachtungs- und Selbsteinschätzungsbögen,<br />
Formblätter und Gestaltungsvorlagen<br />
sowie aussagekräftige<br />
Powerpoint-Präsentationen zu allen Teilbereichen<br />
des Deutschunterrichts für Konferenzen<br />
und Fortbildungsveranstaltungen.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007<br />
21
Praxis: VERA Pädagogische und die Unterrichtskultur<br />
Leistungskultur<br />
■ Wo stehen wir? Was sind unsere<br />
Ziele?<br />
■ Was tun wir schon?<br />
■ Was ist für uns bisher wichtig?<br />
■ Mit welchen Mitteln erreichen wir,<br />
was wir wollen?<br />
■ Welche Absprachen gibt es bereits?<br />
■ Welche Erfahrungen und Ansätze<br />
können verallgemeinert werden?<br />
■ Wo sehen wir Probleme?<br />
Formulierung<br />
gemeinsamer Ziele<br />
aus: CD-ROM zu<br />
»Pädagogische<br />
Leistungskultur:<br />
Materialien für<br />
die Klassen 3<br />
und 4«<br />
eignet und wirksam (z. B. Wochenplanarbeit,<br />
Stationenlernen, Freie Arbeit<br />
und Projekte).<br />
Eine anregende und strukturierte<br />
Lernumgebung unterstützt die Kinder<br />
dabei, ihre Lernprozesse zunehmend<br />
selbstständig zu planen und zu organisieren.<br />
Für die konkrete Bestandsaufnahme<br />
an der einzelnen Schule kann ein Evaluationsbogen<br />
hilfreich sein. (4)<br />
Zweite Bestandsaufnahme<br />
Pädagogische Leistungskultur<br />
im Fach Deutsch<br />
Das Projekt des Grundschulverbandes<br />
zur pädagogischen Leistungskultur<br />
stellt vier konkrete Arbeitsaspekte vor,<br />
mit deren Hilfe man eine solche Standortbestimmung<br />
differenziert durchführen<br />
kann (Sammeln der Ergebnisse<br />
in Gruppen, Zusammenstellung und<br />
Würdigung im Plenum). Diese Aspekte<br />
orientieren auf die individuellen Lernentwicklungen,<br />
Lernstände und Lernperspektiven<br />
der Kinder und beziehen<br />
die Kinder dialogisch in die diagnostische<br />
Lernbegleitung ein:<br />
Lernstände feststellen bedeutet, die<br />
Bandbreite der Leistungen innerhalb<br />
der eigenen Klasse / Schule auszuloten.<br />
Dazu sind Beobachtungen ebenso nötig<br />
wie die Interpretation von Arbeitsdokumenten<br />
der Kinder.<br />
Lernentwicklungen bestätigen setzt<br />
voraus, dass Beobachtungen und Feststellungen<br />
zu verschiedenen Zeitpunkten<br />
der Entwicklung gemacht werden.<br />
Auch sollten die Kinder selbst in die<br />
Feststellung ihrer Lernentwicklung<br />
einbezogen werden. Dabei schärft sich<br />
ihre Aufmerksamkeit für den eigenen<br />
Lernprozess.<br />
Lerngespräche führen die Kinder miteinander<br />
oder die Lehrkraft mit den<br />
Kindern, einzeln, in der Gruppe, in der<br />
Klasse. Es sind Gespräche über das Lernen,<br />
also Gespräche auf einer »Metaebene«,<br />
über Lernwege und weitere<br />
Arbeitsperspektiven.<br />
Eigene Lernwege beschreiben: Die Kinder<br />
dokumentieren selbst ihre individuellen<br />
Lernwege und reflektieren die<br />
Erfolge und Probleme ihrer Lernarbeit.<br />
Mögliche Fragestellungen für das Gespräch<br />
im Kollegium:<br />
Dabei geht es darum, zunächst in<br />
Gruppen und dann im Plenum konkrete<br />
Ziele zu vereinbaren. Zum Beispiel:<br />
»Wir wollen eine pädagogische<br />
Leistungskultur in Deutsch gestalten,<br />
indem wir<br />
■ Kindern vielfältige Gelegenheiten<br />
bieten, an offenen Aufgabenstellungen<br />
zu arbeiten, die ihnen individuelle Lernwege<br />
ermöglichen,<br />
■ Kinder anregen und befähigen, ein<br />
Portfolio zu führen,<br />
■ Lerntagebücher zur Dokumentation<br />
und Reflexion der Lernwege einführen,<br />
■ Kindern mehr Raum für Eigenproduktionen<br />
geben,<br />
■ vielfältige Gelegenheiten schaffen,<br />
über Sprechen und Gesprochenes,<br />
Lesen und Gelesenes, Schreiben und<br />
Geschriebenes zu sprechen,<br />
■ Lerngespräche mit Kindern bzw. mit<br />
Kind und Eltern produktiv gestalten,<br />
■ …«<br />
Konsequenzen für<br />
Unterricht und Schulleben<br />
Zum Schluss werden im Plenum Vereinbarungen,<br />
Verabredungen und<br />
Verbindlichkeiten für die weitere Gestaltung<br />
eines pädagogischen Leistungskonzepts<br />
getroffen und festgehalten,<br />
die in der nächsten Zeit in die<br />
Praxis umgesetzt werden sollen.<br />
Anmerkungen<br />
(1) Vgl. die Beiträge von Horst Bartnitzky und<br />
Ulrich Schwätzer in diesem Heft, zudem die Hefte<br />
89 und 90 von »<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>« (Februar und<br />
Mai 2005).<br />
(2) Konkrete Vorschläge und Anregungen zu einem<br />
verantwortbaren Umgang mit Noten und Klassenarbeiten<br />
machen Horst Bartnitzky / Ulrich Hecker in<br />
Heft 3 (Deutsch) der »Materialien für die Klasse 3 und<br />
4« zur Pädagogischen Leistungskultur, Frankfurt/M.<br />
2006, S. 39 ff.<br />
22 GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007<br />
(3) Siehe hierzu die vom Grundschulverband formulierten<br />
»Bildungsansprüche von Grundschulkindern«,<br />
in: H. Bartnitzky / H. Brügelmann / U. Hecker /<br />
G. Schönknecht (Hg.), Pädagogische Leistungskultur:<br />
Materialien für die Klasse 1 und 2, Grundschulverband,<br />
Frankfurt/M. 2005, Heft 2, sowie die Bildungsstandards<br />
im Fach Deutsch (Jahrgangsstufe 4) der Kultusministerkonferenz<br />
(KMK 2004).<br />
Die KMK-Bildungsstandards, die den »harten Kern«<br />
der Festlegungen in allen landesbezogenen Lehr- oder<br />
Bildungsplänen ausmachen, die vom Grundschulverband<br />
formulierten Bildungsansprüche sowie Übersichten<br />
über die Lernfelder des Deutschunterrichts<br />
finden sich auf der CD-ROM, die beigefügt ist.<br />
(4) Evaluationsbögen, die als »roter Faden« im<br />
kollegialen Gespräch bei Lehrerkonferenzen und<br />
Fortbildungsveranstaltungen nützlich sein können,<br />
finden sich auf der CD-ROM zu den »Materialien für<br />
die Klasse 3 und 4« (siehe Anm. 2).
Aus der Forschung<br />
Wie Kinder Schule und Unterricht<br />
erleben und beurteilen<br />
von Friederike Heinzel<br />
Wie thematisieren Kinder Schule, wie<br />
erleben und beurteilen sie Schule, wie<br />
schätzen sie den Unterricht ein? Dies<br />
alles sind Fragen, die erst in den letzten<br />
Jahren zunehmend mehr Aufmerksamkeit<br />
in der Forschung erhalten.<br />
Herbert Hagstedt und Martin<br />
Hildebrandt-nilson interessierten<br />
sich bereits Ende der 1970er Jahre für<br />
diese Fragen. Sie stellten fest, dass<br />
Schülerinnen und Schüler, wenn sie<br />
Unterricht beschreiben, ihre Auseinandersetzung<br />
mit dem Lerngegenstand<br />
ausklammern (Hagstedt /Hildebrandt-<br />
Nilhon 1980).<br />
Die erste große empirische Studie<br />
aus dem Bereich der Grundschulforschung,<br />
welche die Rekonstruktion der<br />
Schule aus der Perspektive von Grundschulkindern<br />
zum Thema machte, befasste<br />
sich mit dem Sozialleben des<br />
Schulanfängers (Petillon 1<strong>99</strong>3). Dabei<br />
ergab sich, dass der Umgang mit den<br />
Mitschülern das »große Thema« für<br />
Kinder in den ersten Schuljahren darstellt.<br />
Der Beginn von Freundschaft<br />
wird von Kindern als wichtiges Sozialereignis<br />
dargestellt. Trauer löst der<br />
Verlust eines Freundes aus oder der<br />
misslungene Versuch, Anschluss zu<br />
finden. Insgesamt nehmen Kinder – so<br />
ein weiteres Ergebnis dieser Studie – im<br />
Verlaufe der ersten beiden Schuljahre<br />
Sozialereignisse immer differenzierter<br />
wahr. Die Schule wird im Vergleich zur<br />
Schülergruppe selten erwähnt.<br />
In Gruppendiskussionen mit Grundschulkindern<br />
zeigte sich, dass die erste<br />
Reaktion auf das Thema »Schule« oft<br />
negativ ausfällt. »Normaler Unterricht«<br />
ist nicht sehr beliebt, wobei besonders<br />
die Monotonie der Stundenabläufe<br />
von den Kindern kritisiert wird. Auch<br />
hier wird deutlich, dass die Kinder ihre<br />
Aufmerksamkeit vor allem auf die sozialen<br />
Beziehungen der Kinder, auf<br />
die Freunde und Mitschüler richten<br />
(Schönknecht / Michalek 2005).<br />
Eine Befragung von über 800 Schülern<br />
und Schülerinnen der 4. Jahrgangsstufe<br />
zum Schulerleben am<br />
Ende der Grundschulzeit ergab, dass in<br />
Die Autoren und Autorinnen<br />
des folgenden<br />
Beitrags (v. l. n. r.):<br />
Katja Meidenbauer,<br />
Michael Haider, Maria<br />
Fölling-Albers und<br />
Thomas Haider. »Die jungen<br />
Menschen«, schreibt<br />
Frau Prof. Fölling-<br />
Albers, »haben die Erste<br />
Staatsprüfung für das<br />
Lehramt an <strong>Grundschule</strong>n<br />
abgeschlossen und<br />
sind wissenschaftliche/r<br />
Mitarbeiter/in und Doktorandin/en<br />
am Lehrstuhl<br />
für Grundschulpädagogik<br />
der Universität<br />
Regensburg. Ich bin dort<br />
Lehrstuhlinhalberin für<br />
Grundschulpädagogik.«<br />
Klassen, in denen der Zusammenhalt<br />
zwischen den Kindern hoch ist und sie<br />
gut mit ihren Lehrerinnen oder Lehrern<br />
auskommen, die Schüler und Schülerinnen<br />
gerne zur Schule gehen und ihre<br />
Einstellung zum Lernen auch positiv<br />
ausfällt (Stecher 2003).<br />
Literatur<br />
Petillon, Hanns (1<strong>99</strong>3): Das Sozialleben des<br />
Schulanfängers. Die Schule aus der Sicht des<br />
Kindes. Weinheim.<br />
Hagstedt, Herbert / Hildebrand-Nilshon,<br />
Martin (Hrsg.) (1980): Schüler beurteilen<br />
Schule. Analyse und Interpretation von Dokumenten<br />
zum Schulalltag aus dem Blickwinkel<br />
von Schülern. Düsseldorf 1980.<br />
Stecher, Ludwig: Schulerleben am Ende<br />
der Grundschulzeit. In: Panagiotopoulou,<br />
Argyro / Brügelmann, Hans (2003): Grundschulpädagogik<br />
meets Kindheitsforschung.<br />
Zum Wechselverhältnis von außerschulischem<br />
Lernen und schulischen Erfahrungen<br />
im Grundschulalter. Opladen, S. 55 – 68.<br />
Schönknecht, Gudrun / Michalek, Ruth<br />
(2005): Kinder sprechen über Schule – Inhalte<br />
von Gruppendiskussionen mit Kindern im<br />
Grundschulalter. In: Götz, Margarete /<br />
Müller, Karin (Hrsg.): <strong>Grundschule</strong><br />
zwischen den Ansprüchen der Individualisierung<br />
und Standardisierung. Wiesbaden,<br />
S. 69 – 75.<br />
Dr. Friederike Heinzel ist Professorin<br />
für Grundschulpädagogik an der Uni<br />
Kassel und Fachreferentin für Grundschulforschung<br />
beim Grundschulverband.<br />
Während die Kinder in den zuvor skizzierten Studien meist zu<br />
ihrer Sicht auf Schule befragt wurden, ging es in der im Folgenden<br />
vorgestellten Studie von Maria Fölling-Albers u. a.<br />
um die Sicht der Kinder auf Unterricht und die Rekonstruktion<br />
ihrer Unterrichtserfahrungen. Hierbei wird deutlich, dass<br />
Kinder sich vor allem interessanten Unterricht wünschen,<br />
etwas Neues lernen und Spaß am Unterricht haben wollen.<br />
Steckbriefe wissenschaftlicher<br />
Forschungsprojekte:<br />
Auf der Homepage des Grundschulverbandes ist im<br />
linken Frame die Rubrik »Forschung« zu sehen. Wer<br />
dort klickt, findet neben Forschungsberichten jetzt<br />
auch Steckbriefe (bislang schon 18!) zu grundschulrelevanten<br />
Forschungsprojekten.<br />
Alle Steckbriefe sind mit Schlagworten versehen.<br />
Eine thematische Skizze informiert jeweils über die<br />
Zielstellung der Untersuchung. Die Projektverantwortlichen<br />
sind angegeben und meist steht zudem ein Link<br />
zur Verfügung, um weitere Informationen zu erhalten.<br />
Wir wünschen uns, dass dieses Angebot dazu beiträgt,<br />
über Forschungsprojekte zu informieren und<br />
den Wissenschaftstransfer fördert.<br />
Mit diesen »Forschungssteckbriefen« will der<br />
Grundschulverband mit dazu beitragen, dass die<br />
Grundschulforschung von Schulpraxis und Schulpolitik<br />
noch mehr wahrgenommen wird, und er will zugleich<br />
ein Forum für Interessierte herstellen, in dem man sich<br />
über <strong>aktuell</strong>e Forschungsprojekte informieren kann.<br />
➝ www.grundschulverband.de<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007<br />
23
Aus der Forschung<br />
Wie rekonstruieren Grundschüler/innen den Unterricht?<br />
Maria Fölling-<br />
Albers<br />
Michael Haider<br />
Thomas Haider<br />
Katja Meidenbaue<br />
Grundschüler/innen verbringen meist<br />
4 bis 6 Unterrichtsstunden täglich in<br />
der Schule. Unterricht, der lernwirksam<br />
sein soll, muss aber auch bei ihnen<br />
»ankommen« – d. h. sie müssen ihn als<br />
bedeutsam für sich abspeichern und<br />
sich mit ihm auseinander setzen. In<br />
welcher Weise der Unterricht von verschiedenen<br />
Schülergruppen der dritten<br />
und vierten Jahrgangsstufe (lernstarke,<br />
lernschwache Schüler/innen, Kinder<br />
mit und ohne Migrationserfahrungen,<br />
Mädchen und Jungen) rekonstruiert<br />
wird, haben wir im Rahmen einer von<br />
der DFG geförderten empirischen Studie<br />
untersucht. Die Untersuchung wurde<br />
in der Oberpfalz (Regensburg und<br />
Umgebung) durchgeführt.<br />
Dabei ging es unter anderem um<br />
folgende Fragen:<br />
■ Wie schätzen Grundschüler/innen<br />
die (Lern-)Bedeutsamkeit ihrer Unterrichtserfahrungen<br />
ein und mit welchen<br />
unterrichtlichen Lernerfahrungen setzen<br />
sie sich auch noch am Nachmittag<br />
auseinander?<br />
■ Wie wirken schulstrukturelle Merkmale<br />
(z. B. bevorstehende Zeugnisse)<br />
auf die Rekonstruktionen der Unterrichtserfahrungen?<br />
Schüler/innen der dritten und<br />
vierten Jahrgangsstufe aus 17 Klassen<br />
wurden an 3 Messzeitpunkten (am<br />
Schuljahresanfang, in der Mitte des<br />
Schuljahres – entweder kurz vor den<br />
Zwischenzeugnissen oder kurz danach<br />
– und am Ende des Schuljahres)<br />
anhand von Fragebögen und (eine<br />
Teilstichprobe) am Abend durch Interviews<br />
jeweils 1 Woche lang zu den<br />
genannten Aspekten befragt. Dem Fragebogen<br />
zum Unterricht am Vormittag<br />
lagen 5 Skalen zugrunde, die sich aufgrund<br />
von Theorien, anderer Untersuchungen<br />
sowie von Vorerhebungen als<br />
relevant für die Rekonstruktionen von<br />
Lernerfahrungen herausgestellt hatten:<br />
eine interessenorientierte, eine<br />
funktional-externale, eine soziale, eine<br />
handlungsbezogene und eine selbstbestimmte<br />
Skala.<br />
Anderen Untersuchungen, z. T. mit<br />
älteren Schüler/innen durchgeführt,<br />
kann man entnehmen, dass ihnen<br />
vor allem soziale Aspekte der Schule<br />
wichtig sind (Freunde treffen, sich<br />
verabreden) und/oder sie den Unterricht<br />
besonders unter funktionalen<br />
Gesichtspunkten abspeichern (schreiben<br />
bald eine Klassenarbeit, ist für die<br />
Note wichtig oder nicht wichtig), aber<br />
kaum unter inhaltlichen und/oder bildungsorientierten<br />
Gesichtspunkten. In<br />
grundschulpädagogischen Veröffentlichungen<br />
wird vor allem der Stellenwert<br />
offenen Unterrichts (Selbstbestimmung)<br />
und handlungsbezogener Lernerfahrungen<br />
betont.<br />
Wie sehen Grundschüler/innen<br />
ihren Unterricht?<br />
Einige Ergebnisse:<br />
■ Den Grundschüler/innen ist an erster<br />
Stelle wichtig, dass ein Thema<br />
interessant ist, dass sie etwas Neues<br />
lernen und/oder Spaß am Unterricht<br />
haben (in allen 17 Klassen wurde diese<br />
Skala an erster Stelle genannt). Die<br />
lernschwächeren Kinder haben dies<br />
häufiger angegeben als die anderen<br />
Lernergruppen.<br />
■ An zweiter Stelle sind ihnen der<br />
funktional-externale Aspekte des Unterrichts<br />
wichtig: dass sie eine gute<br />
Note bekommen (haben), dass sie gelobt<br />
werden, dass sie etwas gut konnten<br />
etc.<br />
Abb. 1: Soziale Skala: Unterschiede an den Wochentagen, MZPe 1-3<br />
■ Selbstbestimmungserfahrungen<br />
im Unterricht scheinen den Kindern<br />
am wenigsten wichtig zu sein, und sie<br />
wurden von den Kindern am wenigsten<br />
häufig als Grund genannt, warum ihnen<br />
eine Unterrichtsstunde am Vormittag<br />
besonders gut gefallen hat.<br />
■ Vor allem am Montag (und tendenziell<br />
wieder am Freitag) ist der soziale<br />
Stellenwert im Unterricht für die<br />
Schüler/innen besonders wichtig. Den<br />
lernschwächeren Kindern ist diese Orientierung<br />
wichtiger als den anderen<br />
Schülergruppen.<br />
■ Kurz vor den Zwischenzeugnissen<br />
wird der Unterricht signifikant mehr<br />
unter funktionalen Gesichtspunkten<br />
wahrgenommen als zu den anderen<br />
Messzeitpunkten. Viertklässler betonen<br />
den funktionalen Aspekt von Unterricht<br />
mehr als Drittklässler.<br />
■ Mathematik ist zwar nach Sport das<br />
beliebteste Unterrichtsfach, doch Mathematikstunden<br />
werden relativ wenig<br />
als beliebteste Unterrichtsstunde am<br />
Tag genannt. Kinder mit Migrationshintergrund<br />
geben signifikant mehr<br />
als deutsche Kinder an, dass ihnen Mathematikstunden<br />
besonders gefallen<br />
haben.<br />
■ Das Fach Deutsch ist nicht nur bei<br />
den meisten Schüler/innen (vor allem<br />
bei den Jungen) ein wenig beliebtes<br />
Fach (Deutschstunden gefallen den<br />
Kindern anscheinend dann besonders<br />
gut, wenn es Lesestunden sind).<br />
24 GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007
Aus der Forschung<br />
■ Leistungsstarke Schüler/innen geben<br />
sehr häufig entweder an, dass es<br />
schade gewesen wäre, wenn sie an<br />
diesem Schultag gefehlt hätten, aber<br />
auch, dass es nicht schade gewesen<br />
wäre, wenn sie gefehlt hätten, weil sie<br />
nichts Neues gelernt haben.<br />
■ Leistungsschwache Schüler/innen<br />
rekonstruieren Unterrichtsstunden in<br />
einem erheblichen Maße unter formalen<br />
Gesichtspunkten (ob sie etwas in<br />
eine rote oder grüne Mappe eingetragen<br />
haben, an welcher Stelle etwas an<br />
der Tafel gestanden hat), inhaltliche<br />
Aspekte des Unterrichts können sie am<br />
Abend oftmals kaum so rekonstruieren,<br />
dass der Kern der Inhalte erkennbar<br />
wäre.<br />
■ Mädchen üben deutlich mehr am<br />
Nachmittag (auch zusätzlich) für die<br />
Schule als Jungen.<br />
■ Die Gedanken an Schule (am Nachmittag,<br />
am Abend) sind eher durch Besorgnis<br />
und auch durch Angst gekennzeichnet<br />
als durch (Vor-)Freude. Das<br />
gilt insbesondere für die Zeit vor Zeugnissen.<br />
Schüler/innen der mittleren<br />
Lernergruppe (bei denen oftmals die<br />
Empfehlungen für die gewünschte weiterführende<br />
Schule noch unbestimmt<br />
ist), thematisieren solche Gedanken<br />
besonders häufig.<br />
In zwei Klassen, in denen mehr als in<br />
den anderen 15 untersuchten Klassen<br />
»schülerorientierte« Unterrichtsmethoden<br />
praktiziert werden, unterschieden<br />
sich die Aussagen der Schüler/innen<br />
zu ihren unterrichtlichen<br />
Präferenzen von den anderen Klassen.<br />
In diesen beiden Klassen wird die funktionale<br />
Skala eher niedrig bewertet,<br />
die soziale hingegen deutlich höher.<br />
Die selbstbestimmte Skala wurde nur<br />
in der Klasse mit hohen Freiarbeitsanteilen<br />
häufiger genannt (aber »nur« an<br />
dritter Stelle).<br />
Die relativ geringe Bewertung der<br />
Selbstbestimmung als ein für Kinder<br />
besonders relevantes Unterrichtsmerkmal<br />
mag überraschen, gilt diese<br />
doch nach maßgeblichen Konzepten<br />
des Grundschulunterrichts (vgl. Begründung<br />
von Freiarbeit und offenem<br />
Unterricht) als besonders relevant und<br />
beliebt und nach der Selbstbestimmungstheorie<br />
der Motivation als ein<br />
menschliches Grundbedürfnis. Deshalb<br />
ist es umso bemerkenswerter,<br />
dass sowohl bei der Vorerhebung, in<br />
Summe<br />
Abb.2: »Was hast du nachmittags für die Schule gemacht?«<br />
(Die ausgewählten Items sind alle signifikant.)<br />
der gefragt wurde, unter welchen Gesichtspunkten<br />
Grundschüler/innen<br />
der Unterricht »prinzipiell« besonders<br />
gut gefällt, als auch in der Haupterhebung,<br />
in der die tatsächlich erfahrenen<br />
Unterrichtsstunden untersucht<br />
wurden, die Selbstbestimmung so<br />
niedrig bewertet wurde (mit Ausnahme<br />
der beiden oben genannten Klassen<br />
wurde die Selbstbestimmung bei<br />
beiden Erhebungen an letzter Stelle<br />
genannt). Dieses Ergebnis kann man<br />
sicher verschieden interpretieren: Die<br />
Selbstbestimmung als Merkmal von<br />
Unterricht ist den Schüler/innen nicht<br />
so zentral wichtig – im Vergleich zu<br />
anderen Merkmalen (wie Handlungsorientierung<br />
oder interessante Inhalte);<br />
oder: Es fand bislang nur wenig Selbstbestimmung<br />
im Unterricht statt, so<br />
dass die Schüler/innen dieses Merkmal<br />
gar nicht als besonders wünschenswerten<br />
Aspekt von Unterricht anführen<br />
konnten; oder: Die Schüler/innen<br />
empfanden bereits in der Skala Interessenorientierung<br />
die Selbstbestimmung<br />
hinreichend umgesetzt. Eine<br />
befriedigende Antwort kann durch<br />
die hier durchgeführte Untersuchung<br />
nicht gegeben werden.<br />
Man kann festhalten: Der Unterricht<br />
gefällt Kindern dann besonders gut,<br />
wenn der Inhalt bei ihnen ankommt,<br />
wenn der Gegenstand ihr Interesse findet.<br />
Dabei sind die »Nebenfächer« deutlich<br />
beliebter als die Fächer Deutsch<br />
und Mathematik. Die lernschwächeren<br />
Schüler/innen geben deutlich mehr als<br />
die anderen Schülergruppen an, dass<br />
Geschlecht<br />
ihnen der Unterricht gut gefallen hat,<br />
weil er interessant war.<br />
Man könnte der Ansicht sein, dass<br />
intrinsische Orientierung einerseits<br />
und funktional-extrinsische Orientierung<br />
andererseits sich widersprechen<br />
müssten. In der vorliegenden Studie<br />
wurden diese beiden Skalen von den<br />
befragten Grundschüler/innen allerdings<br />
vorrangig als wichtig angesehen.<br />
(Und in allen Klassen wurde auch<br />
eine hohe Schulfreude gemessen.) Bei<br />
genauerem Hinsehen hingegen ist die<br />
scheinbar gegensätzliche Ausrichtung<br />
der Schüler/innen durchaus plausibel.<br />
Sie mögen Unterricht dann besonders,<br />
wenn er ihnen interessant erscheint.<br />
Gleichzeitig wissen sie aber auch um<br />
die Struktur der Institution Schule<br />
– worauf es ankommt. Extrinsische,<br />
funktionale Verstärker (Lob, gute Noten<br />
etc.) stellen wichtige Merkmale des<br />
Systems dar. Da darf es nicht verwundern,<br />
wenn Kinder diese auch als relevante<br />
Motive für sich verinnerlichen.<br />
In anderen Untersuchungen konnten<br />
entsprechende, d. h. etwa gleich starke<br />
Ausrichtungen interessenbezogener<br />
und funktional-externaler Motive bei<br />
den Grundschüler/innen festgestellt<br />
werden. Die Interviews zeigten, dass<br />
lernstarke Schüler/innen sich in der<br />
Schule sehr oft nicht ausreichend herausgefordert<br />
fühlen. Lernschwache<br />
Kinder hingegen wissen am Abend oftmals<br />
nicht mehr, was am Morgen unterrichtet<br />
wurde – vor allem nicht, was<br />
für den Lernprozess relevante Inhalte<br />
waren.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007<br />
25
Erwin-Schwartz-Grundschulpreis<br />
»Mir ist wichtig, dass Kinder ihren Schultag<br />
vergnüglich, nützlich und friedlich verbringen«<br />
Erwin-Schwartz-Grundschulpreis an Heide Bambach<br />
Es war am Abend des 11. Mai 2007. Im schönen<br />
Saal des Hotel Gebhards in Göttingen<br />
sind die Delegierten, Fachreferent/innen und<br />
der Vorstand des Grundschulverbandes, dazu<br />
Angehörige der Familie von Erwin Schwartz<br />
sowie Verwandte, Freunde und Weggenoss/innen<br />
der Preisträgerin zusammengekommen:<br />
Der Grundschulverband verleiht den Erwin-<br />
Schwartz-Grundschulpreis 2007 an die Reformpädagogin<br />
Heide Bambach.<br />
Namensgeber des Preises ist Prof. Dr. Erwin<br />
Schwartz, der erste Hochschullehrer für<br />
Grundschulpädagogik in Deutschland. Um das<br />
pädagogische Vermächtnis seines Begründers<br />
wach zu halten, vergibt der Grundschulverband<br />
zukünftig in regelmäßigen Abständen<br />
den »Erwin-Schwartz-Grundschulpreis« – für<br />
besondere Verdienste um die <strong>Grundschule</strong><br />
und die Bildung ihrer Kinder.<br />
Die Delegiertenversammlung des Grundschulverbandes<br />
hatte Heide Bambach einstimmig<br />
zur ersten Preisträgerin bestimmt.<br />
Für diese Entscheidung hatte GSV-Vorsitzender<br />
Horst Bartnitzky »fünf gute Gründe«<br />
genannt:<br />
■ Heide Bambach engagiert sich seit mehr<br />
als 35 Jahren als Pionierin einer Pädagogik<br />
nicht nur für Kinder, sondern auch mit Kindern<br />
– im täglichen Unterricht, in der konzeptionellen<br />
Entwicklungsarbeit, in der Fortbildung<br />
von LehrerInnen und ganzen Kollegien.<br />
Kinder brauchen »Zeit zum Aufwachsen« war<br />
und ist ihr Credo.<br />
■ Als ein sichtbares Beispiel für dieses Verständnis<br />
von Schule hat Heide Bambach die<br />
Primarstufe der Laborschule Bielefeld mit geplant,<br />
aufgebaut und später geleitet. Sie hat<br />
selbst tagtäglich als Klassenlehrerin in dieser<br />
Schule unterrichtet und vor allem die neue<br />
Eingangsstufe durch ihren besonderen Stil<br />
geprägt: jahrgangsübergreifende Lerngruppen,<br />
offener Schulanfang, Rhythmisierung<br />
des Schultags, »Leseversammlungen« mit den<br />
»Fragen und Sagen« der Kinder zu den eigenen<br />
Texten und zu denen der anderen, der redliche,<br />
aber immer liebevolle Umgang mit den Fehlern<br />
und Schwächen der ihr anvertrauten Kinder.<br />
■ Mit ihren Büchern und Aufsätzen hat Heide<br />
Bambach viele KollegInnen angeregt und herausgefordert,<br />
andere Formen des Unterrichts<br />
zu wagen. Dazu gehört vor allem die Entfal-<br />
tung von Unterrichtsaktivitäten aus dem Vorlesen<br />
anspruchsvoller Kinderliteratur. Dazu<br />
gehört auch die Beurteilung der erwachsenden<br />
Leistungen als Ausdruck der individuellen<br />
Möglichkeiten des einzelnen Kindes – und<br />
nicht im Vergleich mit der Leistung der anderen.<br />
■ Mit ihrer Sensibilität und Verletzlichkeit<br />
entwickelt sie eine Ausstrahlung, die beeindruckt,<br />
wenn man mit ihr redet, wenn man<br />
ihre Texte liest und vor allem: wenn man sie im<br />
Umgang mit Kindern beobachtet.<br />
■ Seitdem Heide Bambach 2003 ihre Arbeit<br />
an der Laborschule aufgegeben hat, berät sie<br />
Schulen in ganz Deutschland bei ihrer Entwicklung,<br />
u. a. als Mitglied in den externen Inspektionsteams,<br />
die die Bremer Schulen nach<br />
dem Modell der »kritischen Freunde« evaluieren.<br />
Horst Bartnitzky (rechts), Vorsitzender des<br />
Grundschulverbandes und der Laudator,<br />
Prof. Dr. Hans Brügelmann (links), überreichen<br />
die Urkunde an Heide Bambach<br />
Horst Bartnitzky: »Kinder stärken«<br />
Am Beginn der Veranstaltung zur ersten Verleihung<br />
des Erwin-Schwartz-Grundschulpreises<br />
schilderte der Vorsitzende des Grundschulverbandes,<br />
Horst Bartnitzky, die Entstehungsgeschichte<br />
und den politisch-pädagogischen<br />
Kontext dieses Preises:<br />
Am 6. Juli 2003 verstarb der Gründer<br />
des Grundschulverbandes, Prof. Dr. Erwin<br />
Schwartz, kurz vor seinem 87. Geburtstag.<br />
Als wir diese Nachricht erhielten, war dies ein<br />
erneuter Anstoß, über die Frage nachzudenken,<br />
wie wir das Andenken an den Gründer des<br />
Verbandes dauerhaft wach und in Ehren halten<br />
können.<br />
Was war es, das Erwin Schwartz damals<br />
dazu bewogen hat, den »Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong>«<br />
zu gründen?<br />
Die Reform der <strong>Grundschule</strong> zu einer Kinderschule,<br />
die Kinder nicht ständig klassifiziert<br />
und ausliest, sondern ihre Entwicklung<br />
fördert; die nicht jedem Kind das Gleiche,<br />
sondern jedem das Seine gibt; die nicht die<br />
Schule der kleinen Kinder ausstattet mit den<br />
wenigsten Schulstunden in den größten Klassen<br />
sowie den kürzest ausgebildeten und am<br />
schlechtesten bezahlten Lehrern; die <strong>Grundschule</strong><br />
als Kinderschule, der die Jugendschule,<br />
ebenfalls als integrierte Schule, folgen sollte.<br />
Erwin Schwartz reiste kreuz und quer<br />
durch Deutschland und versammelte für die<br />
Reform der <strong>Grundschule</strong> eine Fülle von engagierten<br />
Personen: Bundesgenossen, wie er<br />
auch sagte, aus Schulpraxis, Schulverwaltung,<br />
Wissenschaft und Elternschaft.<br />
Ein Zusammenschluss dieser Mitstreiter für<br />
die Reform der <strong>Grundschule</strong> sollte es werden,<br />
vereint in einem Arbeitskreis.<br />
Wir verdanken unserem Gründer Erwin<br />
Schwartz nicht nur die formale Gründung unseres<br />
Verbandes, sondern gerade auch seine<br />
inhaltliche Ausrichtung und die grundlegende<br />
Programmatik: Die Blickrichtung vom Kind her<br />
auf die Bedingungen seiner Schule; eine pädagogische<br />
Ethik, die den Gleichberechtigungsanspruch<br />
der Kinder mit dem Entfaltungsrecht<br />
und der freisetzenden Erziehung verbindet.<br />
Wir verdanken ihm die drei Arbeitsfelder, die<br />
uns durch unsere Satzung nach wie vor aufgetragen<br />
sind: die Wissenschaft, die Schulpraxis<br />
sowie die Bildungspolitik. Und wir verdanken<br />
ihm die Konstituierung wichtiger Foren wie<br />
unsere Publikationen und die Kongresse.<br />
Um das Andenken an den Gründer unseres<br />
Verbandes wachzuhalten, entschieden wir<br />
uns, in regelmäßigen Abständen einen »Erwin-<br />
Schwartz-Grundschulpreis« zu vergeben. Dazu<br />
sollten solche Personen oder auch Institutionen<br />
ausgewählt werden, die der Reform der<br />
26 GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007
Erwin-Schwartz-Grundschulpreis<br />
<strong>Grundschule</strong> eine Gestalt geben, die anschaulich<br />
machen, was Kinderschule heißt, ein Preis<br />
also für, wie es in der Urkunde heißt, »besondere<br />
Verdienste um die <strong>Grundschule</strong> und die<br />
Bildung ihrer Kinder«.<br />
Der »Erwin-Schwartz-Grundschulpreis« besteht<br />
aus einer repräsentativen Urkunde und<br />
einem in Leinen gebundenen Buch, beides<br />
vereint in einer edlen Kassette. Das Buch enthält<br />
eine Sammlung grundlegender Texte von<br />
Erwin Schwartz sowie die Laudatio von Hans<br />
Brügelmann, von dem Frankfurter Designer<br />
Dr. Helmuth Krieg neu und typografisch erlesen<br />
gestaltet und in Buchform gebracht – als<br />
Unikat für die Preisträgerin. Das Buch nannten<br />
wir, sicher im Sinne von Erwin Schwartz,<br />
»Kinder stärken«.<br />
Die »Preisgabe« versinnbildlicht auf diese<br />
Weise die Verbundenheit zwischen den Reformanliegen<br />
von Erwin Schwartz und unseren<br />
heutigen Bemühungen.<br />
Hans Brügelmann:<br />
»Man sieht nur mit dem Herzen gut«<br />
Unter dieses Motto stellte Prof. Dr. Hans<br />
Brügelmann, Erziehungswissenschaftler an<br />
der Universität Siegen und Fachreferent im<br />
Grundschulverband, seine Laudatio auf die<br />
Preisträgerin. Einige Passagen seien hier dokumentiert:<br />
In dem Buch »Der kleine Prinz« von<br />
Antoine de Saint-Exupéry heißt es: »Man sieht<br />
nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist<br />
für die Augen unsichtbar.«<br />
Dies können viele Erwachsene nicht, wie<br />
Saint-Exupéry vielen Erwachsenen vorwirft.<br />
Verschärft gilt es für die Wissenschaft. Auch<br />
viele LehrerInnen nehmen nicht wahr, was<br />
sie sehen. Das wird besonders deutlich, wenn<br />
Zensuren durch Verbalgutachten ersetzt werden<br />
und doch nichts anderes sind als nur ausformulierte<br />
Notenziffern. Es ist schwierig einen<br />
anderen Menschen, zumal ein Kind, so zu<br />
beschreiben, dass man redlich bleibt, ohne zu<br />
verletzen. Dies ist die besondere Qualität der<br />
Entwicklungsberichte von Heide Bambach,<br />
wie sie sich beispielsweise in ihrem Buch »Ermutigungen.<br />
Nicht Zensuren« finden. Diese<br />
Texte sind Geschenke an die Kinder, an jedes<br />
einzelne Kind in seiner Besonderheit – und sie<br />
sind zugleich ein bedeutsamer Beitrag zur pädagogischen<br />
Forschung.<br />
Heide Bambach ist eine Meisterin solcher<br />
Beobachtungen, ihrer differenzierten Deutung<br />
und lebendigen Darstellung. Im Mittelpunkt<br />
ihres Unterrichts steht Literatur,<br />
anspruchsvolle Kinder- und Jugendliteratur:<br />
Bücher lesen, Bücher schreiben und über Bücher<br />
(die gemeinsam gelesenen und die selbst<br />
geschriebenen) sprechen – das sind die drei<br />
Säulen ihres Unterrichts. Mich hat immer wieder<br />
fasziniert, mit welcher Intensität und Tiefe<br />
Kinder in diesem Unterricht über Grundfragen<br />
des menschlichen Zusammenlebens nachdenken<br />
und sprechen – und mit welcher Sensibilität<br />
Heide Bambach diese Gespräche begleitet<br />
und aufnimmt. Und wie sie darüber schreibt<br />
ist selbst große Literatur.<br />
Jede pädagogische Situation ist einzigartig.<br />
Darum können Studien wie PISA, IGLU oder<br />
VERA zwar für BildungspolitikerInnen hilfreich<br />
sein, ihr Nutzen für die einzelne Lehrerin<br />
ist aber sehr begrenzt. PraktikerInnen in<br />
allen Berufen denken nicht induktiv-deduktiv,<br />
also durch die Anwendung von allgemeinen<br />
Regeln auf konkrete Situationen, sie denken<br />
eher analog, sozusagen von Fall zu Fall. Aber<br />
das gelingt nur, wenn die Erfahrungen so verdichtet<br />
werden, dass sie im Vertrauten Neues<br />
zu sehen helfen.<br />
Nach PISA ist viel die Rede davon, LehrerInnen<br />
müssten einen »diagnostischen Blick«<br />
entwickeln. Dazu werden Tests konzipiert und<br />
Checklisten erstellt, mit deren Hilfe man einzelne<br />
Teilleistungen genauer erfassen kann.<br />
Solche Instrumente können durchaus nützlich<br />
sein. Ich habe sie an anderer Stelle mit »Brillen«<br />
verglichen, die unsere Wahrnehmung<br />
fokussieren und schärfen können. Sie helfen<br />
uns, Fortschritte und Schwierigkeiten beim<br />
fachlichen Lernen genauer zu sehen, die in<br />
der Fülle der Eindrücke eines Schulvormittags<br />
leicht untergehen.<br />
Auch beim Grundschulverband haben wir<br />
in unseren Hilfen zur Entwicklung einer »pädagogischen<br />
Leistungskultur« solche Brillen<br />
angeboten. Aber wir haben auch deutlich gemacht,<br />
dass scharfe Brillen ohne wache Augen<br />
und ohne einen freundlichen Blick Pädagogik<br />
zu einer Technik verkümmern lassen. Wachheit<br />
und Freundlichkeit des pädagogischen Blicks<br />
Die Familie von Erwin Schwartz war bei der Feier<br />
anwesend. Frau Gisela Winter, die Tochter von<br />
Erwin Schwartz, bedankte sich im Namen der<br />
Familie für die Einladung: »Es war eine rundum<br />
gelungene Veranstaltung! Horst Bartnitzkys<br />
Darstellung der Aktivitäten und Verdienste von<br />
Erwin Schwartz hat uns Familienangehörige<br />
natürlich besonders bewegt. Beeindruckt waren<br />
vor allen Dingen die Enkelkinder, die den Großvater<br />
bisher vorrangig aus privatem Blickwinkel kannten<br />
und nun mehr über seine außerfamiliären,<br />
beruflichen Anliegen und Arbeiten erfuhren.<br />
Die Festschrift im Schuber mit der Sammlung der<br />
Aufsätze unseres Vaters ist eine schöne Erinnerung<br />
an diesen Abend.«<br />
– das zeichnet Heide Bambachs Entwicklungsberichte<br />
aus. Sie hat immer sehr empfindlich<br />
reagiert, wenn Hartmut Von Hentigs Forderung<br />
»Die Menschen stärken, die Sachen klären«<br />
nachlässig, d. h. in umgekehrter Reihenfolge<br />
zitiert wird. Sie sieht immer als erstes die<br />
Person.<br />
Statt der Fixierung auf Fehler und der ständigen<br />
Klagen darüber, was Kinder alles nicht<br />
können, etwas mehr Anerkennung für die erstaunlichen<br />
Leistungen, die sie vollbringen<br />
– zum Beispiel, wenn sie sich in wenigen Jahren<br />
das Schriftsystem aneignen, für dessen<br />
Entwicklung die Menschheit mehrere Jahrtausende<br />
gebraucht hat. Heide Bambach würdigt<br />
die Fortschritte ihrer Kinder in einer Sprache,<br />
die dieses Staunen und diesen Respekt spüren<br />
lässt.<br />
Wie arm erscheinen im Vergleich zu dieser<br />
Beschreibung die Listen mit Kriterien für<br />
»guten Unterricht«, die zurzeit allerorten die<br />
Evaluation von Schule bestimmen.<br />
■ Bücher von Heide Bambach<br />
– Ermutigungen. Nicht Zensuren.<br />
Ein Plädoyer in Beispielen, 260 S., br.<br />
– Erfundene Geschichten erzählen es richtig.<br />
Lesen und Leben in der Schule, 296 S., kt.<br />
Erschienen im Libelle Verlag, Sternengarten 6,<br />
CH-8574 Lengwil, www.libelle.ch<br />
■ Informationen über Leben und Arbeit von<br />
Erwin Schwartz, die Eröffnungsrede von<br />
Horst Bartnitzky, die Laudatio von Prof. Dr.<br />
Hans Brügelmann (Universität Siegen), Näheres<br />
über die Preisträgerin Heide Bambach, ihre<br />
Begrüßung der Ehrengäste und ihre Dankesworte<br />
sowie Foto-Impressionen von der Preisverleihung<br />
finden Sie auf unserer Homepage:<br />
www.grundschulverband.de<br />
Ulrich Hecker<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007<br />
27
Erwin-Schwartz-Grundschulpreis<br />
»Er hat Adoptivkind zu mir gesagt…«<br />
Von Kindern, deren Fäuste dicht neben den Tränen liegen<br />
Für Ariane Garlichs, bei der<br />
künftige Lehrer lernen, noch<br />
einmal mehr hinzuschauen<br />
und doppelt gut hinzuhören.<br />
Marco wirkt meist wie auf der Suche und der Flucht zugleich.<br />
Gründe und Anlässe hierfür finden sich in der<br />
Geschichte seines Lebens mehr als genug. In der Sprache<br />
der Psy chodiagnostik wird er als hyperaktiv und bindungsunfähig<br />
bezeichnet; ihm fehle das Bewußtsein für Unrecht.<br />
Für Marco haben wir ein zusätzliches Jahr in der (familienähnlichen)<br />
Ein gangsstufe überlegt. Aber bereits als Siebenjähriger<br />
war er hoch aufgeschossen wie ein Zehnjähriger;<br />
seine Größe und die Kühnheit seiner Künste auf dem Skateboard<br />
brachten ihm Anhänger und Untertanen, sein Mangel<br />
an Kontrolle über sich brachte ihn in den Ruf, jemand<br />
zu sein, »der sich an Kleinen vergreift«. Da wir Lehrer ihn in<br />
dieser Rolle nicht noch ein zusätzliches Jahr lassen wollten,<br />
kam er mit den Gleichaltrigen in den Jahrgang 3, obwohl ihm<br />
hierfür die Voraussetzungen noch fehlten. Auch dort war er<br />
binnen Kurzem von einer Mischung aus Furcht und Faszination<br />
umgeben. Wir Erwachsenen fühlten uns am Rande unserer<br />
Kräfte mit ihm und spielten mit der Vorstellung, eine<br />
Erziehungshilfe-Einrichtung für ihn zu suchen.<br />
Mustafa, der es an diesem Tag mit Marco zu tun bekommt,<br />
ist ein kleingewachsener kurdi scher Junge –<br />
zwei Jahre älter als Marco und zwei Kopf kürzer. Schulisches<br />
Lernen ist für Mustafa sehr, sehr schwierig; den Geheimnissen<br />
der Schriftsprache zum Beispiel ist der fast Elfjährige<br />
erst seit einigen Monaten auf der Spur. Eine entwicklungspsychologische<br />
Untersu chung ergibt bei ihm das Reifealter<br />
eines Sechsjährigen.<br />
Freie Arbeitszeit: zwanzig Drittklässler gehen ihren Vorhaben<br />
nach – lesend, zeichnend, schreibend, rechnend,<br />
nachdenkend, experimentierend, im Austausch miteinander.<br />
Plötzlich sehe ich Marco mit seinen Fäusten wie besinnungslos<br />
auf Mustafa einschlagen. Ich springe dazwischen<br />
und beginne mit großer Heftigkeit, Marco wegen seiner<br />
gewalttätigen Attacke zurechtzuweisen. Aber ein Blick in<br />
sein Gesicht lässt mich innehalten. »Er hat Adoptivkind zu<br />
mir gesagt! Aber es ist nicht wahr!«, schreit er im Kampf mit<br />
seinen Tränen.<br />
Marco ist keiner, der sich tröstend in den Arm nehmen oder<br />
beruhigend über das Haar strei cheln ließe. Also versuche<br />
ich es mit dem Finger an seiner Schulter und dem Satz, dass<br />
fast alle Kinder irgendwann einmal Angst hätten, nicht in<br />
ihre Familie zu gehören. Ich wisse noch genau, was für ein<br />
schlimmes Gefühl das gewesen sei. Unter der Anteilnahme<br />
entspannt sich Marco. »Nur weil mein Vater und meine Mutter<br />
geschieden sind und meine Mutter einen Freund hat …«,<br />
schluchzt er. Aber er wisse doch, dass seine Mutter ihn lieb<br />
hat und dass er ihr Kind ist. Marco nickt – tapfer, nicht überzeugt.<br />
Sein Problem ist ein anderes. »Meine Mutter will Herbert<br />
heiraten. Sie hat gesagt, dass er mich dann adoptiert«,<br />
sagt er. Und dann – fast unhörbar leise: »Ich will aber nicht.«<br />
Nun erst beginne ich zu verstehen: Gegen die Heirat hat<br />
Marco nichts; er hängt an seiner Mutter und möchte, dass<br />
es ihr gut geht. Aber adoptiert werden will er nicht, denn er<br />
liebt sei nen Vater und will ihm die Treue halten. Ein Adoptivkind<br />
zu sein wäre gleichbedeutend mit Verrat. Dagegen<br />
wehrt sich Marco – mit voller Kraft. Vermutlich steckt in den<br />
Fäusten, mit denen er an seinem leiblichen Vater festhält,<br />
auch die Ahnung, ihn endgültig zu verlieren. Denn die Entscheidung<br />
seiner Mutter für »Herbert« als neuen Gatten und<br />
Vater ist der Ver such, ihrem Herkunftsmilieu zu entfliehen.<br />
Herbert ist Polizist – Marcos Vater eher auf der anderen Seite.<br />
Später klärt sich auf, dass Mustafa das A-DO-P-TI-V-KIND<br />
nicht als Schmähung gemeint, sondern arglos in der Manier<br />
von Leseanfängern den Titel eines zufällig daliegenden<br />
Buches vor dem zufällig in der Nähe sitzenden Marco zusammenbuchstabiert<br />
und leseerfolgs-ver gnügt skandiert<br />
hat – nicht ahnend, dass dies bei Marco in eine Wunde trifft.<br />
Marcos Antwort gerät schlimm; auf den ersten Blick und von<br />
außen besehen ist es »Gewalt«. Aber die Innenansicht der<br />
Szene zeigt, dass Marco eines jener Kinder ist, bei denen die<br />
Fäuste dicht neben den Tränen liegen. Es gibt viele solcher<br />
Kinder heutzutage und sie scheinen für einander Gespür und<br />
Verständnis zu haben: Als ich Mustafa und Marco am nächsten<br />
Tag zusammen sehe und frage, ob sie wieder Freunde<br />
seien, zuckt Marco wie schuldbewusst die Schultern und<br />
sagt zweifelnd: »Ich weiß nicht?«<br />
Da streckt Mustafa ihm mit großer Geste die Hand hin und<br />
fragt: »Vertragen?« »Vertragen!«, sagt Marco und schlägt<br />
ein.<br />
Nach Rede und Laudatio las Heide Bambach aus ihren Texten.<br />
So wurde für alle Anwesenden spürbar und greifbar, was ihre<br />
Leser/innen und Zuhörer/innen immer wieder staunen lässt:<br />
Heide Bambachs Vertrauen in Kinder, ihre Sensibilität, das Besondere<br />
des einzelnen Kindes einfühlsam wahrzunehmen, und ihre geradezu<br />
literarischen Fähigkeiten, diese Beobachtungen und Deutungen<br />
anderen mitzuteilen. Diesen bisher unveröffentlichten Text schenkte<br />
die Preisträgerin den Leserinnen und Lesern dieser Zeitschrift.<br />
28 GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007
Grundschulverband <strong>aktuell</strong><br />
… auf Bundesebene<br />
Nachrichten aus<br />
dem Bundesverband<br />
Grundschulpreis für Heide Bambach<br />
11. Mai in Göttingen: Ein Höhepunkt unserer<br />
Verbandsarbeit in diesem Jahr war die Verleihung<br />
des »Erwin-Schwartz-Grundschulpreises«<br />
an Heide Bambach. Dazu berichten<br />
wir auf den S. 26 bis 28 ausführlich.<br />
Wechsel im Fachreferat<br />
für Schulentwicklung<br />
Bei der Delegiertenversammlung (siehe<br />
unten) im Mai in Göttingen musste der bisherige<br />
Fachreferent Dr. Karlheinz Burk<br />
seine Funktion aus gesundheitlichen Gründen<br />
abgeben. Er schlug den Delegierten vor,<br />
Dr. Heike de Boer als Nachfolgerin zu wählen.<br />
Heike de Boer arbeitet als Akademische Rätin<br />
an der Pädagogischen Hochschule Freiburg.<br />
Vorher war sie pädagogische Mitarbeiterin im<br />
Institut für Pädagogik der Elementar- und<br />
Primarstufe der Johann Wolfgang Goethe-<br />
Universität Frankfurt/M. Promoviert hat<br />
sie zur interaktiven Praxis des Klassenrates.<br />
Dabei hat sie über drei Jahre kindergeleitete<br />
Klassenratssitzungen beobachtet und ausgewertet.<br />
Bis 2001 war Heike de Boer Grundschullehrerin<br />
an einer jahrgangs gemischten<br />
Peter-Petersen-Schule in Köln und in der<br />
altersgemischten Schuleingangsstufe einer<br />
hessischen <strong>Grundschule</strong>. Ihre Arbeitsschwerpunkte<br />
sind: »Demokratie lernen«, Kooperation<br />
und Partizipation, Unterrichtsentwicklung<br />
durch Unterrichtsbeobachtung,<br />
Schulentwicklung durch Kooperation, jahrgangsgemischtes<br />
Lernen und Lehrerbildung.<br />
Dr. Heike de Boer wurde einstimmig zur<br />
neuen Fachreferentin gewählt. Schwerpunkte<br />
der Arbeit des Fachreferats »Gestaltung der<br />
Was ist … die Delegiertenversammlung?<br />
Mitglieder der Delegiertenversammlung<br />
sind jeweils ein/e Delegierte/r der sechzehn<br />
Landesgruppen, die Mitglieder des<br />
Vorstandes und bis zu acht zusätzliche<br />
Mitglieder als Fachreferentinnen oder<br />
Fachreferenten.<br />
Die Delegiertenversammlung ist das<br />
oberste Organ des Grundschulverbands.<br />
Sie entscheidet über alle wichtigen Fragen<br />
der Verbandsarbeit, berät und verabschiedet<br />
Anträge, beschließt Haushaltsplan,<br />
Mitgliedsbeiträge, Satzungsänderungen<br />
und die Einrichtung von Fachreferaten<br />
und Fachausschüssen. Sie wählt den Vorstand<br />
und die Fachreferent/innen und<br />
kann die Ehrenmitgliedschaft verleihen.<br />
Die Delegiertenversammlung tritt in der<br />
Regel zweimal im Jahr (Mai und November)<br />
zusammen.<br />
<strong>Grundschule</strong>« bleiben weiterhin u. a. die Entwicklung<br />
der Stundenschule zur Ganztagsschule<br />
und die Zusammenarbeit verschiedener<br />
Professionen in der Schule.<br />
■ Weitere Informationen zum Fachreferat<br />
und zur neuen Fachreferentin unter<br />
www.grundschulverband.de.<br />
Exotisch: Kontakte des GSV<br />
mit der Mongolei<br />
Aus der »fernen Mongolei« und über Vermittlung<br />
der Kölner Uni erreichte uns die Bitte<br />
um Informationen zur Grundschul arbeit.<br />
Nun korrespondieren wir mit der Nicht-Regierungs-Organisation<br />
»Primary Education<br />
Future-Center«. Unsere Info-Broschüre wurde<br />
dort bereits ins Mongolische übersetzt und<br />
Grundschullehrern zugänglich gemacht, so<br />
Frau Tserenkhuu Tserennadmid, mit der wir<br />
korrespondieren. Gerade ist ein Päckchen mit<br />
einigen Zeitschriften und Büchern zu erbetenen<br />
Themen abgeschickt worden.<br />
Fremdsprachenlernen bereits ab Klasse 1?<br />
Am 21. Juni 2007 fand die vierte bundesweite<br />
Netzwerkkonferenz zum Thema: »Fremdsprachenlernen<br />
bereits ab Klasse 1?« in der<br />
Goethe-Universität in Frankfurt/M. statt,<br />
die in Kooperation von »Kinder lernen europäische<br />
Sprachen e. V. (kles)« und dem Grundschulverband<br />
veranstaltet wurde.<br />
An der Veranstaltung nahmen Vertreter der<br />
Schul- bzw. Kultusministerien aus vierzehn<br />
Bundesländern, Vertreter aus Studienseminaren,<br />
aus der Schulpraxis und von Verlagen<br />
teil.<br />
Prof. Dr. Gundi Gompf gab in ihrer Eröffnungsrede<br />
einen detaillierten Überblick zum<br />
Karlheinz Burk<br />
zum Ehrenmitglied gewählt<br />
Aufgrund seiner Verdienste für<br />
die Reform der <strong>Grundschule</strong><br />
und seiner langjährigen Arbeit<br />
im Grundschulverband hat<br />
die Delegiertenversammlung<br />
Karlheinz Burk einstimmig<br />
zum Ehrenmitglied gewählt.<br />
Der Vorsitzende Horst Bartnitzky<br />
schilderte Stationen<br />
des Weges von Karlheinz<br />
Burk im Verband und überreichte<br />
die Urkunde über die<br />
Ehrenmitgliedschaft.<br />
■ Näheres zu Karlheinz Burk<br />
auf unserer Homepage<br />
www.grundschulverband.de<br />
Stand der Entwicklungen in den Bundesländern.<br />
Staatssekretäre aus den Bundesländern<br />
ergänzten die Ausführungen, nicht ohne auf<br />
die Bedeutung der förderalen Wettbewerbssituation<br />
hinzuweisen. Gabi Engel aus dem<br />
Studienseminar Soest berichtete über Ergebnisse<br />
einer zweijährigen Studie zu Englisch<br />
ab Klasse 3.<br />
Prof. Dr. Angelika Speck-Hamdan legte<br />
den Standpunkt des Grundschulverbandes<br />
dar und wies dabei auf Problemstellen hin:<br />
z. B. auf die Mehrfachbelastung der Kinder<br />
beim Schuleingang (die Unterrichtszeit ist<br />
begrenzt, gerade in der Eingangsstufe türmen<br />
sich die Aufgaben – Deutsch als Zweitsprache,<br />
Deutsch als Lernsprache, entdeckender<br />
Schriftspracherwerb, sozial-emotionale Aufgaben,<br />
… – dafür brauchen Kinder mehr Zeit,<br />
als die Schule ihnen derzeit gibt); das Verhältnis<br />
zu den Herkunftssprachen; dieAusweitung<br />
der Stundentafel. Angelika Speck-Hamdan<br />
betonte die Gemeinsamkeiten mit »kles« bei<br />
der Forderung nach Einführung einer notenfreien<br />
<strong>Grundschule</strong>.<br />
Einigkeit bestand in der Feststellung, dass die<br />
kindliche Lernfreude und Neugier auf Neues<br />
durch angemessene Anreize genutzt und der<br />
Lernwille frühzeitig gefördert werden soll.<br />
Geblieben sind eine Reihe offener Fragen und<br />
Probleme. Denn wenn sich die Politik für Englisch<br />
ab Klasse 1 entscheidet, dann aus vier<br />
un-pädagogischen Gründen:<br />
Weil es gut als Modernitätsschub zu verkaufen<br />
ist; weil mit Sprachtests bei Vierjährigen<br />
(wie <strong>aktuell</strong> in Nordrhein-Westfalen) und<br />
anschließender Förderung die irrige Vorstellung<br />
herrscht, bis Schuleintritt sei dann »die<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007<br />
29
Grundschulverband <strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
… aus dem Bundesverband<br />
Bayern<br />
Vorsitzende: Dr. Gudrun Schönknecht, Berliner Allee 22d, 86153 Augsburg<br />
Regelunterrichtsreife« erreicht; weil mit Verkürzung<br />
der Gymnasialzeit von 9 auf 8 Jahre<br />
in den ersten Schuljahren mehr »geklotzt«<br />
werden soll und weil dadurch in Klasse 4 noch<br />
deutlicher wird, wer »gymnasial-tauglich« ist.<br />
Für den Grundschulverband heißt das:<br />
Vorrang hat die Förderung in der deutschen<br />
Sprache mit Mündlichkeit und Schriftlichkeit.<br />
Und dafür müsste eher mehr Zeit als weniger<br />
veranschlagt werden. Vom Kindergarten<br />
an sollen allerdings didaktische Konzepte<br />
der Begegnungssprache (ohne eindimensional<br />
nur Englisch zu meinen) realisiert werden:<br />
Mehr als »Gelegenheitsunterricht« denn<br />
als »Lehrgang« (mehrsprachige Begrüßungen<br />
z. B., Verse, Lieder, kleine Szenen, Bilderbücher).<br />
Dann ab Klasse 3 der reguläre Englischunterricht.<br />
■ Die auf der Konferenz gehaltenen Vorträge<br />
sind auf unserer Homepage dokumentiert:<br />
www.grundschulverband.de<br />
Schon jetzt vormerken:<br />
BundesGrundschulKongress 2009<br />
25./26. September 2009<br />
in Fulda – mitten in Deutschland!<br />
Die Gründung einer Studentengruppe<br />
– Zur Nachahmung<br />
empfohlen!!!<br />
Eine Studentengruppe des<br />
Grundschulverbandes hat sich<br />
mittlerweile an der Universität<br />
Augsburg etabliert. Vorträge,<br />
Bücherverkauf und Diskussionsrunden<br />
gehören zu unserem<br />
Semesterprogramm. Für interessierte<br />
Studenten haben wir Ideen<br />
zusammengestellt, wie eine Studentengruppe<br />
gegründet werden<br />
kann. Sie kann unter<br />
grundschulverband.augsburg@<br />
web.de angefordert werden.<br />
Filmabend »Klassenleben« mit<br />
intensiver Diskussion<br />
Sehr großen Anklang fand ein<br />
Abend mit dem Film »Klassenleben«.<br />
Über 80 interessierte<br />
Studenten sowie Lehrstuhlangehörige<br />
und Grundschullehrer<br />
waren anwesend. Eine Familie,<br />
deren Kind mit Trisomie 21 eine<br />
öffentliche <strong>Grundschule</strong> besucht,<br />
berichtete von ihren Erfahrungen.<br />
Die anschließende Diskussion<br />
war sehr anregend und<br />
bereichernd für wohl alle Anwesenden.<br />
Mitgliederwerbung ist für uns<br />
ganz wichtig – Bessere Vernetzung<br />
erwünscht<br />
Wichtig ist für uns, unsere Arbeit<br />
bei den Studierenden – gerade<br />
auch den Erstsemestern – publik<br />
zu machen. Daher stellen wir den<br />
Grundschulverband und unsere<br />
Gruppe in den Anfangsvorlesungen<br />
vor. Ein leicht zu organisierendes,<br />
aber wirkungsvolles<br />
Unternehmen. Und so freuen wir<br />
uns über zwei Neuanmeldungen!<br />
Unser besonderes Anliegen ist<br />
die Vernetzung junger Mitglieder<br />
– seien es Studenten oder Lehrer<br />
– in der Landesgruppe Bayern,<br />
aber auch bundesweit. Unsere<br />
Gruppe vertrat dabei Katja Entfellner<br />
auf der bundesweiten<br />
Tagung »Junge Mitglieder« in<br />
Frankfurt. Die Inhalte der Tagung<br />
wurden in unserer Gruppe heftig<br />
diskutiert.<br />
Bianca Ederer<br />
beim Vortrag<br />
Eine Lernumgebung zur Heimat geschichte<br />
und Portfolios zum Durchblättern<br />
30 GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007
Grundschulverband <strong>aktuell</strong><br />
… aus den Landesgruppen<br />
Berlin<br />
Kontakt: Ing rid Kornmesser, Kohlfurter Str. 4, 10<strong>99</strong>9 Berlin; www.gsv-berlin.de<br />
Vortrag »Auf dem Weg zum<br />
Portfolio« fand interessierte<br />
Zuhörer<br />
Sehr guten Anklang fand der Vortrag<br />
»Auf dem Weg zum Portfolio«.<br />
Bianca Ederer stellte<br />
in Augsburg sehr lebendig und<br />
überzeugend ihre Arbeit mit<br />
Portfolios vor. Wir bekamen<br />
einen Einblick in die Arbeit mit<br />
verschiedenen Formen von Portfolios,<br />
garniert mit Pointen und<br />
Herausforderungen des Schulalltags<br />
und anschaulichen Beispielen.<br />
Geschickt nahm die<br />
Referentin Bezug auf fachwissenschaftliche<br />
Grundlagen und<br />
bot uns eine von Studenten oft<br />
ersehnte Verknüpfung von Theorie<br />
und Praxis. Sie verstand es<br />
auch, uns durch Schilderungen<br />
ihrer eigenen ersten Erfahrungen<br />
und Versuche im Umgang mit<br />
Portfolios zu ermutigen, neue,<br />
zunächst unsichere Wege zu<br />
beschreiten. Interessierte, auch<br />
kritische Fragen wurden offen<br />
geklärt. Im Anschluss an den Vortrag<br />
konnten die mitgebrachten<br />
Heimatbücher, Wald- und Müllportfolios<br />
sowie Bewertungsund<br />
Rückmeldebögen genauer<br />
unter die Lupe genommen werden.<br />
Der Grundschulverband war<br />
außerdem durch einen Bücherverkauf<br />
vertreten.<br />
Das große Interesse (60 Teilnehmer),<br />
die positiven Feedbacks<br />
unserer Kommilitonen/innen und<br />
der motivierende Vortrag haben<br />
uns für jeden Aufwand entschädigt<br />
und sind zur Nachahmung<br />
empfohlen.<br />
(für die Landesgruppe: Eva Sedelke,<br />
Elena Satzger, Vivienne Kunad, Ramona<br />
Jentsch, Katharina Entfellner)<br />
Die Landesgruppe Bayern freut<br />
sich außerordentlich, eine so<br />
engagierte und interessierte<br />
»junge Truppe« in ihrer Mitte zu<br />
haben. Nur so kann ein Fortführen<br />
unserer Anliegen gewährleistet<br />
werden. Der Landesvorstand<br />
begleitet die »jungen« Kolleginnen<br />
und Kollegen gerne auf<br />
ihrem Weg. Zum Austausch bringen<br />
die »Jungen« neuen Wind,<br />
erneuern und erhalten unsere<br />
Motivation.<br />
Infobrief Nr. 2<br />
In Konsequenz unserer Bemühungen<br />
um Intensivierung der<br />
Kommunikation zwischen Mitgliedern<br />
und Vorstand haben wir<br />
jetzt (Ende Juni) unsern zweiten<br />
Infobrief an alle Mitglieder<br />
geschrieben und darin wiederum<br />
über unsere Tätigkeit berichtet.<br />
Wir haben diesen Brief – wie<br />
angekündigt – an alle Mitglieder,<br />
deren Mailanschrift wir kennen,<br />
per Mail verschickt. Alle anderen<br />
bitten wir, uns entweder ihre<br />
Mailanschrift mitzuteilen (bitte<br />
an: i.kornmesser@freenet.de),<br />
oder den Brief auf unserer Website<br />
(www.gsv-berlin.de) nachzulesen.<br />
Bitte haben Sie Verständnis<br />
dafür, dass wir diese Briefe<br />
aus Kostengründen nicht weiter<br />
per Post verschicken können.<br />
Website der Berliner<br />
Landesgruppe<br />
Wir bemühen uns um kontinuierliche<br />
Aktualisierung unserer<br />
Homepage (www.gsv-berlin.de).<br />
Sie könnten uns dabei unterstützen,<br />
indem Sie sich ab und an<br />
unsere Website ansehen und uns<br />
schreiben (peterheyer@snafu.<br />
de), welche Ergänzungen / Veränderungen<br />
sie gut fänden.<br />
Gemeinschaftsschule Berlin<br />
– eine Schule für alle<br />
Die in der Koalitionsvereinbarung<br />
zwischen SPD und Linkspartei.PDS<br />
festgelegte »Pilotphase«<br />
eines »schrittweisen<br />
Einstiegs in eine Gemeinschaftsschule,<br />
die sich am skandinavischen<br />
Prinzip der ungeteilten<br />
Schule orientiert«, nimmt<br />
zunehmend Gestalt an. Die vom<br />
»Runden Tisch Gemeinschaftsschule<br />
Berlin« (einer von der<br />
Berliner Landesgruppe des GSV<br />
Brandenburg<br />
Vorsitzende: Denise Sommer, Weinbergweg 21, 15834 Rangsdorf; www.gsv-brandenburg.de<br />
Visitation – Chance für Schulentwicklung?<br />
Unter dieser Thematik fand im<br />
Mai 2007 der diesjährige Grundschultag<br />
der Landesgruppe Brandenburg<br />
in Ludwigsfelde statt.<br />
Erstmalig wurde dieser Tag in<br />
Verantwortung und Kooperation<br />
des Landesverbandes mit<br />
dem nunmehr gemeinsamen<br />
Landesinstitut für Schule und<br />
Medien Berlin-Brandenburg<br />
durchgeführt. Die konstruktive<br />
Abstimmung und Zusammenarbeit<br />
mit Vertreterinnen und<br />
Vertretern des Ministeriums, des<br />
Landesinstitutes, des Visitationsteams<br />
sowie von Schulleitung<br />
trug dazu bei, das landesweite<br />
Interesse an dieser bildungspolitisch<br />
brisanten Thematik mit<br />
der Ausrichtung der Tagung aufzugreifen<br />
und das Informationsbedürfnis<br />
aller Teilnehmenden<br />
qualitätsvoll zu untersetzen.<br />
aktiv unterstützten verbandesübergreifenden<br />
Initiative) und<br />
der SPD-nahen Friedrich-Ebert-<br />
Stiftung geplanten und durchgeführten<br />
Tagung »Gemeinschaftsschule<br />
Berlin – eine Schule für<br />
alle. Impulse für den Umgang mit<br />
Heterogenität in der Praxis« stieß<br />
auf unerwartet großes Interesse<br />
und war ein voller Erfolg. Das<br />
auch in Berlin quasi »von oben<br />
verordnete« Tabu jeglicher Strukturdiskussion<br />
gehört endgültig<br />
der Vergangenheit an. Es verbreitert<br />
sich zunehmend die Einsicht<br />
– anscheinend inzwischen<br />
sogar innerhalb der Berliner CDU!<br />
–, dass beides gleichermaßen<br />
notwendig ist: eine Weiterentwicklung<br />
der »Lernkultur« – insbesondere<br />
in den Schulen des<br />
Sekundarbereichs – und die überfällige<br />
Strukturreform.<br />
(für die Landesgruppe: Peter Heyer;<br />
peterheyer@snafu.de)<br />
So wurde durch den Staatssekretär,<br />
Herrn Jungkamp, eine Einordnung<br />
der Schulvisitation in<br />
das Gesamtvorhaben zur Qualitätsentwicklung<br />
und Qualitätssicherung<br />
im Land Brandenburg<br />
vorgenommen. Seitens der<br />
Leiterin der Schulvisitation, Frau<br />
Werner, wurden tiefgründig<br />
Anliegen, erste Ergebnisse und<br />
mögliche Chancen der Schulvisitation<br />
aufgezeigt. Lebendig und<br />
emotional überzeugend trugen<br />
als unmittelbar Beteiligte bzw.<br />
Betroffene die Schulleiterinnen<br />
der Astrid Lindgren <strong>Grundschule</strong><br />
Cottbus, Frau Sillack, sowie der<br />
Elsterlandgrundschule Herzberg,<br />
Frau Pflaume, ihre Eindrücke und<br />
Erfahrungen als Einzelschule im<br />
Spannungsfeld zwischen Ziel<br />
und Ergebnis der Visitation vor.<br />
In mehreren Workshops konnten<br />
die Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />
mit Visitatoren, Schulleiterinnen<br />
sowie Schulberaterinnen<br />
vertiefend die Chancen von Visitation<br />
im Rahmen von Schulentwicklung<br />
diskutieren.<br />
Fazit der Veranstaltung : Innerhalb<br />
der <strong>aktuell</strong>en Qualitätsdebatte<br />
bietet das Instrument<br />
Schulvisitation eine Chance zur<br />
Selbstreflexion der Einzelschule<br />
und Klärung vorrangiger Ziele<br />
und Verbesserungsbereiche von<br />
Schulentwicklungsprozessen<br />
– so Schulen dies wollen und das<br />
Instrument entsprechend annehmen.<br />
Der Grundschulverband sowie<br />
das LISUM Berlin-Brandenburg<br />
boten an diesem Tag wieder einmal<br />
einer Vielzahl von Schulleiterinnen<br />
und Schulleitern sowie<br />
Lehrkräften einen verlässlichen<br />
Rahmen für den fachlichen Austausch<br />
und die Verständigung zu<br />
Schulentwicklungsprozessen.<br />
(für die Landesgruppe:<br />
Marion Gutzmann)<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007<br />
31
Grundschulverband <strong>aktuell</strong><br />
… aus den Landesgruppen<br />
Bremen<br />
Vorsitzende: Karin Sanders, Langenstr. 11, 28816 Stuhr; www.grundschulverband-bremen.de<br />
Klassenfrequenzen<br />
zum Schulanfang<br />
Um auf der Grundlage verlässlicher<br />
Daten argumentieren zu<br />
können, hat die Landesgruppe<br />
eine Umfrage an Bremer <strong>Grundschule</strong>n<br />
bezüglich Klassenfrequenzen<br />
und Personalversorgung<br />
zum Schulanfang 2007/08 durchgeführt<br />
(Näheres auf unserer<br />
Homepage). Die Ergebnisse der<br />
hohen Rücklaufquote zeigten<br />
eine besonders hohe Belastung<br />
in einem Stadtbezirk. Die entsprechende<br />
Nachfrage in der Bildungsbehörde<br />
wurde zunächst<br />
schroff zurückgewiesen, dann<br />
aber von Herrn Senator Lemke<br />
sachbezogen beantwortet.<br />
Zentralelternbeirat (ZEB)<br />
Die Landesgruppe unterstützt<br />
das Votum der Elternvertreter<br />
aller Schulstufen und Schulformen,<br />
die sich einstimmig<br />
anlässlich der Koalitionsverhandlungen<br />
in Bremen für eine<br />
gemeinsame Beschulung aller<br />
Kinder über 10 Schuljahre ausgesprochen<br />
haben.<br />
Ganztagsschulen<br />
Die Unzufriedenheit in den Ganztagsschulen<br />
wächst. »Würden wir<br />
heute nochmals gefragt, unter<br />
diesen Bedingungen müssten wir<br />
ablehnen.« Die personelle Versorgung<br />
bringt Ganztagsschulen<br />
zunehmend unter Druck. Es<br />
bleibt zu hoffen, dass die neue<br />
Bremer Rot-Grüne-Regierung für<br />
Bereitstellung ausreichender Mittel<br />
sorgen wird.<br />
Das Aus für SPATZ<br />
Wir bedauern sehr, dass SPATZ<br />
(Sprachheilpädagogisches<br />
Arbeitszentrum) sein überaus<br />
gefragtes Beratungs- und Fortbildungsangebot<br />
für Lehrerinnen<br />
und Lehrer zum Schuljahresende<br />
beenden muss. Mit der Neuorganisation<br />
der Beratungsstellen<br />
zum Zentrum für schülerbezogene<br />
Beratung geht Bremen sonderpädagogische<br />
Kompetenz verloren.<br />
Wir bedanken uns bei dem<br />
Team für die engagiert geleistete<br />
Arbeit.<br />
Grundschulreferentin<br />
Nachdem die Grundschulreferentin<br />
Lotta Ubben in den wohlverdienten<br />
Ruhestand gewechselt<br />
hat, wird die Arbeit ab dem<br />
16. Juli 07 von Gabi Langel-<br />
Carossa fortgeführt.<br />
Abschied<br />
Günter Griesch (Delegierter)<br />
hat ab sofort seine Mitarbeit im<br />
Vorstand aus Krankheitsgründen<br />
aufgeben müssen.<br />
Karin Sanders und Roswitha<br />
Kremin werden zum Schuljahresende<br />
aus der Vorstandsarbeit<br />
zurücktreten, aber natürlich weiterhin<br />
interessiert und engagiert<br />
die Arbeit des Grundschulverbandes<br />
unterstützen.<br />
(für die Landesgruppe:<br />
Roswitha Kremin)<br />
Hamburg<br />
Vorsitzende: Susanne Peters, Güntherstraße 10, 22087 Hamburg; susanne.peters@gsvhh.dwww.gsvhh.de<br />
Lernentwicklungsblatt<br />
Bisher mussten nur für Kinder<br />
mit besonderem Förderbedarf<br />
individuelle Förderpläne<br />
geschrieben werden. Vom nächsten<br />
Schuljahr an sollen alle<br />
besonders Begabten und auch<br />
»Underachiever«, bei denen<br />
eine deutliche Diskrepanz zwischen<br />
Begabungspotential und<br />
Schulleistungen erkennbar ist,<br />
verstärkt Beachtung finden. Zum<br />
Schuljahresende 2006/2007 werden<br />
die Vesetzungszeugnisse für<br />
alle Schülerinnen und Schüler der<br />
Klassen 1 bis 10 um ein Lernentwicklungsblatt<br />
(LEBL) ergänzt.<br />
Es wird jährlich in Absprache mit<br />
den Eltern fortgeschrieben und<br />
enthält Informationen, Verabredungen<br />
und Bemerkungen zu<br />
den Fördermaßnahmen. Leider<br />
wurden bisher keine zeitlichen<br />
Ressourcen bereitgestellt – weder<br />
für die bürokratische Abwicklung<br />
noch für Fördermaßnahmen!<br />
Neue Richtlinie zu<br />
Lernerfolgskontrollen<br />
Ab Klasse 3 müssen in allen<br />
Fächern schriftliche Leistungsnachweise<br />
erbracht werden,<br />
dafür aber weniger als vorher.<br />
Ausnahmen: Sport, Kunst und<br />
Darstellendes Spiel. Ein Viertel<br />
bis die Hälfte dieser Lernerfolgskontrollen<br />
können aus so<br />
genannten besonderen Lernaufgaben<br />
bestehen, z. B. Referate,<br />
Buchvorstellungen oder Präsentationen<br />
in digitaler Form. Die<br />
Landesgruppe begrüßt diese<br />
Neuerung, die ein individualisiertes<br />
Lernen unterstützt.<br />
Förderzentren im Modellversuch<br />
Zum neuen Schuljahr wird die<br />
Frage neu aufgerollt, wie in Hamburg<br />
Kinder mit einem sonderpädagogischen<br />
Förderbedarf<br />
bestmöglich gefördert werden<br />
können. In einem Modellversuch<br />
soll überprüft werden, ob durch<br />
Förderzentren, von denen aus<br />
Sonderpädagogen die <strong>Grundschule</strong>n<br />
besuchen und die Kinder<br />
nach Möglichkeit ambulant<br />
betreuen sollen, Aussonderung<br />
vermieden werden kann. Der Vorstand<br />
der Landesgruppe bedauert<br />
es, dass nicht die 36 integrativ<br />
arbeitenden <strong>Grundschule</strong>n zum<br />
Vorbild genommen werden, die<br />
seit 15 Jahren erfolgreich arbeiten.<br />
Unser Wunsch wäre, dass<br />
diese Form der Förderung auf alle<br />
<strong>Grundschule</strong>n ausgeweitet wird.<br />
(für die Landesgruppe: Marion Lindner)<br />
Samstag, 8. 9. 07,<br />
10 – 12.00 Uhr<br />
Frühbeete der<br />
Gegenwart:<br />
»Natürliches Lernen«<br />
Bericht von einer Exkursion in die<br />
Niederlande (Susanne Peters)<br />
Ort: Schule Franzosenkoppel,<br />
Franzosenkoppel 118,<br />
22547 Hamburg-Lurup<br />
32 GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007
Grundschulverband <strong>aktuell</strong><br />
… aus den Landesgruppen<br />
Mecklenburg-Vorpommern<br />
Vorsitzender: Ralph Grothe, Hasengang 3, 17309 Pasewalk,<br />
ralphgrothe@aol.com<br />
Frühkindliche Bildung<br />
schon vor der Schule<br />
Zu dieser Thematik fand im Mai<br />
eine Anhörung statt, zu der<br />
von der Landtagskommission<br />
»Zukunft der Erziehung und Bildung<br />
unter Berücksichtigung des<br />
lebenslangen Lernens in Mecklenburg-Vorpommern«<br />
neben<br />
Vertretern der Gewerkschaften,<br />
Wohlfahrtsverbänden und Wissenschaftlern<br />
auch unsere Landesgruppe<br />
eingeladen war.<br />
In der Diskussion wurde die<br />
Bedeutung des Lernens als ein<br />
ganzheitlicher Prozess herausgestellt,<br />
der auch schon vor dem<br />
Vorschuljahr stattfindet. Insofern<br />
sollte diskutiert werden,<br />
ob neben den im »Rahmenplan<br />
für die zielgerichtete Vorbereitung<br />
von Kindern in Kindertageseinrichtungen<br />
auf die Schule«<br />
festgelegten Inhalten mehr<br />
Gewicht auf die Bildung und<br />
Erziehung gelegt werden sollte.<br />
Für uns als Grundschulverband<br />
ist es von Bedeutung, wie die<br />
Anschlussfähigkeit der vorschulischen<br />
Bildung und Erziehung<br />
an den Primarbereich gesichert<br />
werden kann. Dabei erachten<br />
wir den Rahmenplan der Kindertagesstätten<br />
als einen wichtigen<br />
Schritt, um Bildung besser verzahnen<br />
zu können.<br />
Die Ergebnisse in der Praxis lassen<br />
unserer Auffassung nach<br />
viele Reserven erkennen.<br />
Neben gelungenen Veranstaltungen<br />
wie der Fachtagung im<br />
September 2006 in Rothenklempenow<br />
/ Landkreis Uecker-Randow<br />
vermissen wir eine systematische<br />
Zusammenarbeit<br />
zwischen den Institutionen und<br />
eine Zusammenarbeit vor Ort.<br />
Folgende Fragen und Probleme<br />
sehen wir:<br />
1. Kann die Umsetzung zweier<br />
ministerieller Rahmenpläne ohne<br />
weitere Fortbildung einfach so<br />
der Basis überlassen werden? Wie<br />
systematisch werden die Schulen<br />
mit dem Rahmenplan der<br />
Kindertageseinrichtungen vertraut<br />
gemacht? Wie viele Fortbildungen<br />
gab es in den einzelnen<br />
Schulamtsbereichen zur Kooperation?<br />
2. Haben wir Koordinatoren für<br />
den Übergang vom Elementarbereich<br />
in die <strong>Grundschule</strong> in den<br />
Schulämtern?<br />
3. Welche konkreten Festlegungen<br />
zu gemeinsamen Fortbildungen<br />
oder zur Gestaltung<br />
der Übergangsphase sind in den<br />
Schulämtern gemeinsam mit den<br />
verantwortlichen Mitarbeitern<br />
der Landkreise getroffen worden?<br />
4. Wie erfolgt die sächliche<br />
Unterstützung, um den Übergang<br />
zu gestalten?<br />
In der weiteren Diskussion ging<br />
es um die Hilfe für Kinder mit<br />
Entwicklungsverzögerungen.<br />
Hier sollte schon früher eine<br />
interdisziplinäre Förderung einsetzen.<br />
(für die Landesgruppe: Ralph Grothe)<br />
Sachsen<br />
Kontakt: Sibylle Jaszovics, Südwestring 11, 04668 Klinga<br />
Zur Qualität der<br />
Lehrerausbildung<br />
Die 2. Phase der Lehrerausbildung<br />
mit der Grundkonzeption<br />
der Theorie-Praxis-Verknüpfung<br />
an den ehemaligen Seminaren<br />
in Sachsen (seit Januar 2007<br />
sind diese Seminare Referate der<br />
Sächsischen Bildungsagentur)<br />
findet zwar derzeit noch statt,<br />
wird aber, zumindest vom Ausbildungszeitraum<br />
her, in absehbarer<br />
Zeit gekürzt. Im Prozess<br />
dieser Veränderungen muss die<br />
Qualität der Berufsausbildung<br />
für das Lehramt an <strong>Grundschule</strong>n<br />
als oberstes Kriterium unbedingt<br />
im Blickfeld behalten werden:<br />
■ Nicht jede in der Praxis hervorragend<br />
arbeitende Grundschullehrkraft<br />
eignet sich zur<br />
Ausbildung von Hochschulabsolventen.<br />
Die Auswahl der Lehrbeauftragten<br />
muss kritischer<br />
erfolgen, auch unter dem Aspekt,<br />
dass es sich um Erwachsenenbildung<br />
handelt.<br />
■ Die Tätigkeit als Lehrbeauftragter<br />
und auch als Mentor in<br />
der Schule muss besser stimuliert<br />
werden. Sie darf nicht angeordnet<br />
werden. Das führt zu<br />
Rheinland-Pfalz<br />
Anschrift: Werner Lang, Am Wingertsberg 8, 67756 Hinzweiler<br />
Besuch der Laborschule<br />
Passend zur Verleihung des<br />
Erwin-Schwartz-Grundschulpreises<br />
an Heide Bambach<br />
besuchte der Landesgruppenvorstand<br />
Rheinland-Pfalz<br />
gemeinsam mit einigen interessierten<br />
Kolleginnen die Laborschule<br />
in Bielefeld, an der Heide<br />
Bambach lange Jahre gewirkt<br />
hatte. Die Gruppe hatte zunächst<br />
ausgiebig Gelegenheit in kleinen<br />
Teams hautnah die Unterrichtspraxis<br />
zu erleben, um dann am<br />
Nachmittag diese Eindrücke mit<br />
einer Lehrkraft zu reflektieren<br />
und zu diskutieren. Beeindruckt<br />
Motivationsverlust und schadet<br />
der Qualität der Ausbildung.<br />
■ In den Fachdidaktiken ist es<br />
notwendig, dass die (oft unzureichenden)<br />
wissenschaftlichtheoretischen<br />
(Vor-)Kenntnisse<br />
der Lehramtsanwärter abgerufen<br />
und in den Kontext ihrer eigenen<br />
Praxiserfahrungen gestellt werden.<br />
Daher muss sicher sein, dass<br />
Lehrbeauftragte in den Fachdidaktiken<br />
auch hinreichende<br />
Kenntnisse aus den Bezugswissenschaften<br />
Pädagogik und Psychologie<br />
vorweisen können. Das<br />
muss überprüft, kontrolliert und<br />
eingeschätzt werden. Zum jetzigen<br />
Zeitpunkt geschieht das<br />
nur im Ansatz.<br />
■ Das gleiche gilt ebenso dringend<br />
für das Besprechen / Auswerten<br />
von Lehrversuchen mit<br />
den Lehramtsanwärtern.<br />
Jemanden auszubilden bedeutet,<br />
immer einen strengen Qualitätsanspruch<br />
zu stellen. »Auch<br />
Lehrer werden nicht geboren, sondern<br />
(hierzu) ausgebildet« (Rainer<br />
Winkel).<br />
(für die Landesgruppe: Sibylle Jaszovics)<br />
zeigten sich die TeilnehmerInnen<br />
der Exkursion insbesondere von<br />
der gelebten pädagogischen<br />
Nähe der Lehrkräfte zu den Kindern<br />
und der offenen Architektur<br />
des Schulgebäudes, die die intensive<br />
Öffnung des Unterrichts<br />
spiegelt bzw. ermöglicht.<br />
(für die Landesgruppe: Werner Lang)<br />
Grundschultag 2008<br />
Dienstag, 26.02.2008,<br />
Universität Koblenz-<br />
Landau – Campus<br />
Koblenz – mit dem<br />
Schwerpunkt »Guter Unterricht«<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007<br />
33
Grundschulverband <strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Nordrhein-Westfalen<br />
Vorsitzende: Gisela Cappel, Habichtstr. 1 d, 58285 Gevelsberg<br />
Rückblick<br />
Das letzte Schulhalbjahr brachte<br />
den <strong>Grundschule</strong>n aufgrund des<br />
neuen Schulgesetzes viel zusätzliche<br />
und z.T. wenig sinnvoll<br />
erscheinende Arbeit:<br />
Sprachstandstests<br />
für Vierjährige<br />
Die Durchführung der Sprachstandsmessungen<br />
für Vierjährige<br />
verlief in zwei Stufen. Während<br />
zuerst in einem Gruppenverfahren<br />
Kinder mit möglichem Förderbedarf<br />
ermittelt wurden, wurden<br />
diese dann gezielt in einem<br />
Einzelverfahren noch einmal<br />
getestet, um den tatsächlichen<br />
Förderbedarf genauer zu ermitteln.<br />
Danach relativierte sich die Zahl<br />
der zunächst als förderbedürftig<br />
ermittelten Kinder – ob dabei<br />
auch finanzpolitische Überlegungen<br />
eine Rolle spielten, mag<br />
dahingestellt sein. Nach wie vor<br />
ist die Gestaltung der angekündig<br />
ten zusätzlichen Sprachförderung<br />
unklar, da dies die Kommunen<br />
mit den jeweiligen Trägern<br />
vor Ort aushandeln und es dabei<br />
sicherlich zu sehr unterschiedlichen<br />
Modellen kommen wird.<br />
Für die Schulen bedeutete die<br />
Beteiligung an dem Verfahren<br />
sehr viel zusätzliche Arbeit, die<br />
mit einem teilweise erheblichen<br />
Unterrichtsausfall verbunden<br />
war.<br />
Der GSV bleibt bei seiner Position,<br />
dass eine frühzeitige<br />
Sprachförderung wichtig und<br />
sinnvoll ist, ein isoliertes Testverfahren<br />
dabei jedoch nicht<br />
hilfreich ist. In diesem Sinne<br />
argumentierte auch Prof. Dr.<br />
Fthenakis auf dem diesjährigen,<br />
von GEW undGSV gemeinsam<br />
durchgeführten Grundschultag im<br />
März. In seinem Vortrag wies er<br />
darauf hin, dass für eine erfolgreiche<br />
Förderung eine strukturell<br />
verzahnte, gemeinsam definierte<br />
Förderung von vorschulischem<br />
und schulischem Bereich für<br />
erfolgreiches (Sprach)lernen<br />
unabdingbar ist, kritisierte den<br />
defizitär ausgerichteten Blickwinkel<br />
der Tests und forderte von<br />
der Politik mehr Investitionen<br />
in die Bildung, um die vielbeschworene<br />
Zukunfts fähigkeit zu<br />
sichern.<br />
Prognoseunterricht<br />
für Viertklässler<br />
Mit der erstmaligen Durchführung<br />
des Prognoseunterrichts<br />
im Frühjahr wurde ein weiteres,<br />
neues Selektionsinstrument in<br />
der <strong>Grundschule</strong> eingesetzt. Die<br />
Widersinnigkeit des Verfahrens<br />
zeigt sich bereits in der gesetzesmäßigen<br />
Verankerung: Während<br />
zum Halbjahr die Versetzungskonferenz<br />
eine (eingeschränkte)<br />
Empfehlung zum Übergang<br />
auf die weiterführende Schule<br />
abgeben soll, wird im Prognoseunterricht<br />
ein paar Wochen später<br />
über die offensichtliche<br />
Nichteignung des Kindes für<br />
den Besuch der von den Eltern<br />
gewünschten Schulform entschieden.<br />
Der GSV sieht in<br />
den jeweiligen Vorgaben eine<br />
Zementierung des sozial ungerechten<br />
Bildungssystems und<br />
fordert nach wie vor eine längere<br />
gemeinsame Schulzeit für alle<br />
Kinder.<br />
Vergleichsarbeiten in Klasse 3<br />
Erstmalig wurden in diesem<br />
Halbjahr landesweite Vergleichsarbeiten<br />
in Deutsch und Mathematik<br />
bereits in Klasse 3 durchgeführt.<br />
Der vorgezogene<br />
Zeitpunkt ist im Hinblick auf das<br />
Ergreifen von Fördermaßnahmen<br />
sicherlich sinnvoll. Ein von der<br />
Professor Dr. Fthenakis<br />
auf dem Grundschultag im März<br />
Ministerin aufgrund der Ergebnisse<br />
angekündigtes Schulranking<br />
widerspricht jedoch allen<br />
testtheoretischen Aussagen und<br />
benachteiligt in massiver Weise<br />
Schulen mit erhöhtem Förderbedarf.<br />
… und Ausblick<br />
Angesichts der derzeitigen Verschärfung<br />
von Selektionsfunktionen<br />
durch die Schule plant der<br />
GSV für den 18. 8. 2007 in<br />
Münster eine regionale<br />
Veranstaltung zum<br />
Thema »Pädagogische<br />
Leistungskultur – jedes<br />
Kind braucht Könnenserfahrungen«.<br />
Anmeldung und weitere Informationen<br />
dazu auf unserer Homepage:<br />
www.grundschulverbandnrw.de<br />
Hier finden Sie auch ausführlichere<br />
Informationen zur <strong>aktuell</strong>en<br />
Diskussion über die Lehrerausbildung<br />
in NRW.<br />
(für die Landesgruppe:<br />
Beate Schweitzer)<br />
20.10.2007<br />
Mitgliederversammlung<br />
der Landesgruppe<br />
in Dortmund, <strong>Grundschule</strong><br />
Kleine Kielstraße<br />
Thema: Ermutigungen<br />
als Gast: Heide Bambach<br />
Unter anderem gehen wir der<br />
Frage nach:<br />
Sollen, können, dürfen Kopfnoten<br />
unseren pädagogischen<br />
Alltag verändern?<br />
Mehr Informationen im Internet.<br />
Anmeldungen bereits jetzt per<br />
E-Mail an<br />
mitgliederversammlung@<br />
grundschulverband-nrw.de<br />
34 GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007
Grundschulverband <strong>aktuell</strong><br />
… aus den Landesgruppen<br />
Schleswig-Holstein<br />
Vositzender: Bent Hirschelmann, Flörkendorfer Weg 15, 23623 Ahrensbök; www. grundschulverband-sh.de<br />
Einschulungspflicht<br />
für alle 6-Jährigen<br />
Im kommenden Schuljahr sind<br />
die <strong>Grundschule</strong>n per Schulgesetz<br />
verpflichtet, jedes Kind einzuschulen,<br />
das bis zum 30. Juni<br />
des Jahres 6 Jahre alt ist. Damit<br />
erhält die kalendarische Festlegung<br />
der Schulpflicht einen<br />
hohen formalen Stellenwert,<br />
denn für diese Kinder beginnen<br />
die Pflichtschuljahre. Die »Schulreife«<br />
hat keine Bedeutung mehr,<br />
es gibt keine Zurückstellungen in<br />
Kindergärten. Mit dem Schuleintritt<br />
starten die Kinder in der Flexiblen<br />
Eingangsphase, in der sie<br />
3 Jahre Zeit haben, die Lernziele<br />
der ersten beiden Schuljahre zu<br />
erreichen.<br />
So weit, so gut, wenn es nicht<br />
nach wie vor Einzelanfragen von<br />
Eltern nach Zurückstellung vom<br />
Schulbesuch gäbe, die Berechtigung<br />
erkennen lassen. Wenn<br />
nachweislich – z. B. also mit ärztlichem<br />
Attest – Entwicklungsrückstände<br />
vorhanden sind,<br />
kann eine Beurlaubung von bis<br />
zu einem Jahr durch das Schulamt<br />
ausgesprochen werden. Die<br />
Verantwortung und Förderung<br />
sowie die Kosten haben dann die<br />
Eltern zu tragen. Offiziell ist das<br />
Kind allerdings als Schulanfänger<br />
des ersten Schulbesuchsjahres zu<br />
führen.<br />
Dann kann es zu folgender Problematik<br />
kommen: Kind xy ist ein<br />
»Frühchen«, hat zum datierten<br />
Schulstart noch nachweisbare<br />
Entwicklungsrückstände und<br />
die Eltern wünschen eine Beurlaubung.<br />
Dieses Kind verliert<br />
bei der Einschulung im darauf<br />
folgenden Jahr die Chance, die<br />
Eingangsphase in drei Jahren zu<br />
absolvieren. Hätte nicht gerade<br />
ein solches Kind die Option auf<br />
Verlängerung der Eingangsphase<br />
nötig?<br />
Noch am letzten Schultag<br />
erreichte uns die Nachricht aus<br />
dem Bildungsministerium, dass<br />
nun doch Veränderungen des<br />
Verfahrens vorgesehen sind: Kinder,<br />
die aus medizinischen Gründen<br />
beurlaubt werden, behalten<br />
den Anspruch auf eine dreijährige<br />
Eingangsphase!<br />
Schulen haben die Aufgabe, kindgerecht<br />
zu fördern, sie müssen<br />
der Ort sein, um ein Kind in seinem<br />
Schulfähigkeitsprozess zu<br />
begleiten.<br />
(für die Landesgruppe:<br />
Sabine Jesumann, Andrea Klimmek)<br />
Wir laden ein, am 10. 11. 2007<br />
mit Steve Bell die<br />
Storyline Approach<br />
bzw. Methode Glasgow<br />
näher kennenzulernen<br />
und auszuprobieren.<br />
Genauere Informationen unter<br />
www.grundschulverband-sh.de<br />
Thüringen<br />
Vositzende: Steffi Jünemann, Hauptstr. 7, <strong>99</strong>734 Nordhausen<br />
Thüringer Bildungsplan<br />
für Kinder bis 10 Jahre<br />
Mit der jetzt vorliegenden<br />
Erprobungsfassung »Thüringer<br />
Bildungsplan für Kinder bis 10<br />
Jahre« hat auch der Freistaat<br />
Thüringen als eines der letzten<br />
Bundesländer einen Bildungsplan,<br />
der im besonderen Maße<br />
die Bildung der Kinder im ersten<br />
Lebensjahrzehnt in den Fokus<br />
nimmt. Die Optionen zur Entwicklung<br />
eines solchen sind<br />
hinlänglich bekannt. Je jünger<br />
Kinder sind, desto schneller und<br />
intensiver lernen sie. Lebenslange<br />
Bildung beginnt bereits mit<br />
der Geburt. Im gesamten ersten<br />
Lebensjahrzehnt wird das Fundament<br />
für die lebenslange Bildung<br />
gelegt. Kinder entwickeln sich<br />
unterschiedlich. Sie bilden sich<br />
in den ersten zehn Jahren ihres<br />
Lebens beständig weiter. Allen<br />
Kindern stehen die Institutionen<br />
kindlicher Bildung im ersten<br />
Lebensjahrzehnt prinzipiell offen.<br />
Der Bildungsplan entstand unter<br />
Leitung eines wissenschaftlichen<br />
Konsortiums, dem ausschließlich<br />
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler<br />
aus Thüringer Hochschulen<br />
und eine Vertreterin des<br />
»Thillm« angehören. Diesem Konsortium<br />
gelang es in einem relativ<br />
kurzen Zeitraum von August<br />
2005 bis Juli 2006 ein anspruchsvolles<br />
und überaus interessantes<br />
Werk zu schaffen. Mit der Berufung<br />
eines Fachbeirates, dem<br />
auch eine Vertreterin der Landesgruppe<br />
Thüringen des Grundschulverbands<br />
angehört, wurde<br />
von Beginn der wissenschaftlichen<br />
Arbeit an ein kooperativer<br />
Arbeitsstil nicht nur angestrebt,<br />
sondern auch gelebt. Alle Beteiligten,<br />
ob Konsortium, Fachbeirat<br />
oder Interessierte, waren und<br />
sind stets über das Internet oder<br />
Arbeitsgruppen in Entwicklungen<br />
eingebunden. Der gegenseitige<br />
Austausch gehört für das Konsortium<br />
zum Selbstverständnis.<br />
Der Thüringer Bildungsplan<br />
für Kinder bis 10 Jahre gliedert<br />
sich in die Kapitel »Erziehungswissenschaftliche<br />
Grundlagen«,<br />
»Bildungsbereiche« und »Pädagogisches<br />
Qualitätsmanagment«.<br />
Im September 2006 wählte der<br />
Fachbeirat aus einer großen<br />
Anzahl von Interessenten 111<br />
Praxispartner für die Erprobung<br />
aus. Zu diesen Praxispartnern<br />
gehören Familien, Tagesmütter,<br />
Krippen, Kindergärten, Grundund<br />
Förderschulen, Kinderhorte,<br />
Kinderheime, Beratungsstellen,<br />
Institutionen der Frühförderung<br />
und andere mehr. Fortbildungsangebote<br />
und der Austausch<br />
von Erfahrungen stehen bei den<br />
vierteljährlichen Treffen im Vordergrund.<br />
Die immanente Evaluierung<br />
des Bildungsplanes ist<br />
allen Beteiligten sehr wichtig.<br />
Die aus der qualitativen Erhebung<br />
gewonnen Erkenntnisse<br />
fließen in die Weiterentwicklung<br />
ein. Darüber hinaus finden seit<br />
2006 weitere zahlreiche Fortbildungsveranstaltungen<br />
zu den<br />
Inhalten des Bildungsplanes<br />
statt. Dass diese auf eine sehr<br />
große Teilnehmerzahl verweisen<br />
können, zeigt das ebenso große<br />
Interesse am »Thüringer Bildungsplan<br />
für Kinder bis 10 Jahre« aus<br />
allen Bereichen des gesellschaftlichen<br />
Lebens.<br />
Ausführliche Informationen zum<br />
Bildungsplan finden Sie unter<br />
www.thueringer-bildungsplan.de<br />
(für die Landesgruppe: Steffi Jünemann)<br />
Mitgliederversammlung<br />
Im Herbst 2007 plant die<br />
Landesgruppe eine<br />
Mitgliederversammlung<br />
zum Thema: Sinus<br />
Transfer <strong>Grundschule</strong><br />
– erfolgreiche Unterrichtsentwicklung?<br />
Die Einladungen erfolgen zeitnah<br />
an alle Mitglieder.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007<br />
35
Grundschulverband <strong>aktuell</strong> Leserbrief<br />
Ästhetische Bildung – auch im Fach Mathematik<br />
und unter Einbeziehung von Basiskompetenzen<br />
Nicht nur als Mathematikdidaktiker,<br />
sondern auch als ehemaliger<br />
Absolvent eines Musikgymnasiums<br />
habe ich das Heft 98<br />
von »<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>« über<br />
Ȁsthetische Bildung mit Sinn<br />
und Sinnlichkeit« mit großem<br />
Interesse gelesen – und war<br />
am Schluss sehr enttäuscht.<br />
Zu einigen Ausführungen, die<br />
mir besonders problematisch<br />
erscheinen, möchte ich Stellung<br />
nehmen:<br />
1. In dem Heft (und vielen anderen<br />
Veröffentlichungen des<br />
Grundschulverbands) wird zwar<br />
darauf hingewiesen, dass sich die<br />
Forderung nach ästhetischer Bildung<br />
auf alle Fächer bezieht, faktisch<br />
wird sie aber als »Musisch-<br />
Ästhetische Bildung« auf die<br />
»musischen« Fächer und den<br />
Sport beschränkt und als Privileg<br />
der entsprechenden Fachdidaktiken<br />
angesehen. Einige<br />
wenige Fächer werden im Heft<br />
wenigstens noch erwähnt. Das<br />
Fach Mathematik bleibt dagegen<br />
völlig ausgespart, obwohl<br />
gerade dieses Fach seit den alten<br />
Griechen zum Kanon der ästhetischen<br />
Bildung zählt und sich<br />
der Mathematikunterricht in<br />
dieser Hinsicht stark gewandelt<br />
hat. In unserem Projekt »mathe<br />
2000« ist die Ästhetik der schönen<br />
und nützlichen mathematischen<br />
Muster, die sich nach<br />
individuellen Präferenzen erforschen<br />
und gestalten lassen,<br />
sogar Leitprinzip.<br />
2. Im Heft findet sich auf S. 6 fett<br />
gedruckt folgendes Zitat: »Im 45-<br />
Minuten-Takt kann man Schnellzüge<br />
fahren lassen und das Einmaleins<br />
hersagen, aber nicht<br />
malen und bauen, kein Theaterstück<br />
proben und keinen Tanz<br />
entwickeln.« Hier möchte ich entgegenhalten,<br />
dass dem Einmaleins<br />
der gleiche ästhetische Rang<br />
wie einem Theaterstück oder<br />
einem Tanz gebührt. Bei der Auseinandersetzung<br />
mit dieser<br />
wunderbaren mathematischen<br />
Struktur können die Kinder<br />
(inter-)aktiv eine Fülle schöner<br />
Muster entdecken und begründen,<br />
wie die im Projekt »mathe<br />
2000« entwickelten Lernumgebungen<br />
zeigen. Ich finde es sehr<br />
bedauerlich, dass diese Fortschritte<br />
der Mathematikdidaktik<br />
den VertreterInnen der ästhetischen<br />
Bildung offenbar nicht<br />
bekannt sind.<br />
3. Die Gliederung des Unterrichts<br />
in Zeitabschnitte, in denen auf<br />
bestimmte Ziele hingearbeitet<br />
wird, steht bei einem Theaterstück<br />
oder einem Tanz der ästhetischen<br />
Bildung genauso wenig<br />
hinderlich entgegen wie dem<br />
Lernen des Einmaleins. Im<br />
Gegenteil: Sie ist notwendig.<br />
Auch ein Theaterstück oder Tanz<br />
kann nicht stundenlang geprobt<br />
werden, sondern muss in handliche<br />
Teile zerlegt und Teil für Teil<br />
erarbeitet werden, bis das Ganze<br />
steht.<br />
4. Vom Einmaleins aus wird eine<br />
Forderung deutlich, die für die<br />
heutige <strong>Grundschule</strong> von zentraler<br />
Bedeutung ist, von Protagonisten<br />
der ästhetischen Bildung<br />
aber leider oft ignoriert<br />
wird: Die ästhetische Bildung<br />
muss die Erlernung grundlegender<br />
fachlicher Techniken,<br />
teilweise auch deren Automatisierung,<br />
einschließen. Ohne<br />
das Lernen von Noten kein<br />
aktives Musizieren, ohne Finger-<br />
und Technikübungen an<br />
einem Instrument keine schönen<br />
Musikstücke, ohne grund legende<br />
Grammatik- und Rechtschreibkenntnisse<br />
keine schönen Texte,<br />
ohne Konditionstraining keine<br />
sportlichen Leistungen usw.,<br />
kurz: ohne Pflicht keine Kür. Die<br />
Übung von Techniken erfordert<br />
zwingend systematische didaktische<br />
Konzepte, die langfristig<br />
angelegt sind und über Jahre<br />
hinweg durchgehalten werden.<br />
Im Projekt »mathe 2000«<br />
gibt es für die großen Inhaltsbereiche<br />
Arithmetik, Geometrie<br />
und Sachrechnen komplementär<br />
zur »schönen Mathematik« die<br />
sog. »Basiskurse«. Genauso muss<br />
es in anderen Fächern, auch den<br />
»musischen«, solche definierten<br />
Kurse geben. Anstatt daher zwischen<br />
den »didaktischen Prinzipien<br />
Musisch-Ästhetischer<br />
Bildung« und »kompetenzorientierten<br />
Ansätzen« Fronten aufzubauen,<br />
sollte auf eine Integration<br />
hingearbeitet werden.<br />
5. Was die musikalische Bildung<br />
in der <strong>Grundschule</strong> anbelangt,<br />
hat Dietrich Fischer- Dieskau<br />
in einem Vortrag vor dem<br />
Hochschulverband vor kurzem<br />
Folgendes festgestellt: »Das Versäumnis<br />
elementarer Voraussetzungen<br />
wie des Notenlesens, der<br />
gesanglichen und instrumentalen<br />
Praxis in frühem Alter, diese<br />
Unterlassung verurteilt spätere<br />
musikalische Bemühungen fast<br />
unvermeidlich zur schöngeistigen<br />
Schwärmerei. Sie drängt<br />
sie in unverbindliche Konsumentenhaltung<br />
ab.«<br />
Soweit ich es einschätzen kann,<br />
gibt es hier in der <strong>Grundschule</strong><br />
große Defizite, die sich in den<br />
weiterführenden Schulen eher<br />
noch verstärken. Umso mehr<br />
habe ich mich über den eindrucksvollen<br />
Beitrag von Gisela<br />
Schmidt über »Musikbetonte<br />
<strong>Grundschule</strong>« gefreut. Eine solche<br />
musikalische Grundbildung,<br />
die mit schlichten musikalischen<br />
Mitteln auskommt und bei der<br />
»Pflicht« und »Kür« souverän<br />
integriert sind, müsste für alle<br />
Kinder eines Volkes mit einer so<br />
stolzen Musiktradition eigentlich<br />
eine Selbstverständlichkeit sein.<br />
6. Die Vernachlässigung des<br />
systematischen Erlernens grundlegender<br />
Techniken darf nicht<br />
nur als Problem der Fachdidaktiken<br />
gesehen werden, sondern<br />
erfordert eine Diskussion<br />
im gesellschaftlichen Rahmen.<br />
Klaus Bayer hat vor kurzem in<br />
seinem Artikel »Kein Wunder!«<br />
auf drei Ursachen für die unzureichenden<br />
Grammatikkenntnisse<br />
zukünftiger Deutschlehrer hingewiesen<br />
(Forschung&Lehre 6/07,<br />
346 – 347):<br />
■ einen von moderner Kunst<br />
ausgehenden Kult voraussetzungsloser<br />
Kreativität, mit dem<br />
jede formal-grammatische Kritik<br />
an Schülertexten zum Schweigen<br />
gebracht wird,<br />
■ eine zunehmende Spezialisierung<br />
der Wissenschaftler, die sich<br />
um die sprachliche Bildung der<br />
Studierenden nicht mehr bemühen,<br />
■ eine Bagatellisierung sprachlicher<br />
Mängel durch einen in seinen<br />
Konsequenzen nur wenig<br />
menschenfreundlichen Philanthropismus.<br />
Mit der ersten und dritten Ursache<br />
sollte sich die <strong>Grundschule</strong><br />
selbstkritisch auseinandersetzen.<br />
Das wäre ein Thema für<br />
einen Grundschulkongress. Was<br />
den zweiten Punkt anbelangt,<br />
kann ich aus der Sicht der Universität<br />
Dortmund nur feststellen,<br />
dass früher die Professoren<br />
für »Musik und ihre Didaktik«<br />
sowie »Deutsche Sprache und<br />
ihre Didaktik« die musikalische<br />
bzw. sprachliche Grundbildung<br />
noch als Aufgabe gesehen und<br />
den Studierenden ein praktisches<br />
Rüstzeug für den Unterricht mitgegeben<br />
haben. Inzwischen sind<br />
diese Professuren in der Mehrheit<br />
mit Musik- bzw. SprachwissenschaftlerInnen<br />
besetzt, die sich<br />
um alles Mögliche kümmern, nur<br />
nicht um praktikable Konzepte<br />
für die musikalische bzw. sprachliche<br />
Grundbildung.<br />
Erich Ch. Wittmann<br />
Universität Dortmund,<br />
Projekt »mathe 2000«<br />
http://www.uni-dortmund.de/mathe2000<br />
wittmann@math.uni-dortmund.de<br />
36 GS <strong>aktuell</strong> <strong>99</strong> • September 2007
Pädagogische<br />
Leistungskultur<br />
Band 121<br />
ISBN 3-930024-94-2<br />
Best.-Nr. 1079<br />
17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />
in Vorbereitung:<br />
Band 118<br />
ISBN 3-930024-87-X<br />
Best.-Nr. 1076<br />
17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />
Band 119<br />
ISBN 3-930024-88-8<br />
Best.-Nr. 1077<br />
17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />
… das Projekt geht weiter<br />
Überfachliche<br />
Lernbereiche<br />
Fremdsprachen<br />
und Ästhetik<br />
erscheint im<br />
Herbst 2007
15. /16. November 2007<br />
Bundesweite Fortbildung des Grundschulverbandes<br />
Pädagogische Leistungskultur: Englisch, Musik,<br />
Kunst, Sport, Arbeits- und Sozialverhalten<br />
Dies ist die dritte Tagung zur Pädagogischen<br />
Leistungskultur. Nach Deutsch, Mathematik<br />
und Sachunterricht geht es diesmal um Fremdsprache,<br />
um den ästhetischen Lernbereich<br />
einschl. Sport sowie das Arbeits- und Sozialverhalten<br />
(Selbst-, Sach-, Sozialkompetenz).<br />
Wir wollen damit ein deutliches Zeichen für<br />
eine ermutigende Leistungsförderung aller Kinder<br />
setzen, die individuelle Lernentwicklungen<br />
im Blick behält und die Kinder dialogisch einbezieht.<br />
124<br />
k<br />
i n<br />
d<br />
Beiträge zur Reform der <strong>Grundschule</strong><br />
Leistungen der Kinder wahrnehmen<br />
Lernstände feststellen<br />
Horst Bartnitzky<br />
Hans Brügelmann<br />
Ulrich Hecker<br />
Gudrun Schönknecht (Hg.)<br />
Leistungen der Kinder würdigen<br />
Lernentwicklungen bestätigen<br />
Lernwege öffnen<br />
Kinder individuell fördern<br />
Lerngespräche führen<br />
Eigene Lernwege beschreiben<br />
Pädagogische<br />
Leistungskultur:<br />
Ästhetik,Sport,Englisch<br />
Arbeits-/Sozialverhalten<br />
Es liegen bereits Materialien für die Fächer<br />
Deutsch, Mathematik und Sachunterricht<br />
in zwei Schubern mit je 5 Heften und einer<br />
CD vor. Nun erarbeiten wir Materialien in<br />
5 Heften und einer CD<br />
■ für Englisch, Musik, Kunst, Sport sowie<br />
das Arbeits- und Sozialverhalten<br />
■ in den Klassen 1 bis 4<br />
Sie sollen helfen, Lernstände festzustellen,<br />
Lernentwicklungen zu bestätigen, Lerngespräche<br />
miteinander zu führen, und<br />
sie sollen die Kinder darin unterstützen,<br />
eigene Lernwege zu beschreiben.<br />
Thematik<br />
der Tagung<br />
Tagungsverlauf<br />
Referentinnen<br />
und Referenten<br />
Ort<br />
Zielgruppe<br />
Bei der Tagung werden die Materialien von den<br />
Autorinnen und Autoren vorgestellt und mit den<br />
Teilnehmern diskutiert. Dabei geht es um Anregungen<br />
für die Schulpraxis und um Moderation<br />
von Fortbildungen mit den Materialien.<br />
Donnerstag, 15. November 2007, ab 15 Uhr:<br />
Pädagogische Leistungskultur und Beispiele für<br />
Englisch, die ästhetischen Fächer, das Arbeits- und<br />
Sozialverhalten (Plenum)<br />
abends: Gesprächsrunde zum Thema Kopfnoten<br />
Freitag, 16. November 2007, bis 15.00 Uhr zu den<br />
Fächern sowie zum Arbeits- und Sozialverhalten<br />
nachmittags: Berichte aus den Arbeitsgruppen,<br />
Anregungen zur Weiterarbeit<br />
Autorinnen und Autoren<br />
der neuen Materialien<br />
Martin-Niemöller-Haus in Schmitten<br />
(in der Nähe von Frankfurt);<br />
www.martin-niemoeller-haus.de<br />
Für Bahnreisende wird ein Shuttle-Bus zur<br />
Tagungsstätte organisiert.<br />
Die Tagung richtet sich vor allem an Multiplikatorinnen<br />
und Multiplikatoren zur Thematik<br />
(z.B. Aus- und Fortbildner/innen, Fachkonferenzleiter/innen,<br />
Schulleiter/innen).<br />
Die Teilnehmerzahl ist auf 68 Personen begrenzt.<br />
Zur Verfügung stehen 60 Einzelzimmer, von denen<br />
acht als Doppelzimmer genutzt werden können.<br />
Sollten sich mehr Personen anmelden, werden<br />
Mitglieder des Grundschulverbandes vorrangig<br />
berücksichtigt.<br />
Tagungsbeitrag<br />
Anmeldung<br />
Für Mitglieder des Grundschulverbandes 140 €<br />
(Doppelzimmer 130 €)<br />
für Nicht-Mitglieder 180 € (Doppelzimmer 170 €)<br />
Im Tagungspreis enthalten sind die Kosten für<br />
Übernachtung und Verpflegung sowie der<br />
Transfer vom und zum Frankfurter Hauptbahnhof.<br />
per Post: Grundschulverband,<br />
Niddastr. 52, 60329 Frankfurt<br />
oder per Mail:<br />
info@grundschulverband.de<br />
oder über die Homepage:<br />
www.grundschulverband.de<br />
Verbindlich ist die Anmeldung<br />
erst nach Zahlung des Tagungsbeitrages<br />
Bankverbindung:<br />
Postbank Frankfurt, BLZ 500 100 60,<br />
Konto-Nr. 19 56 71 605)<br />
Anmeldeschluss: 15. Oktober 2007<br />
Bitte bei der Anmeldung angeben:<br />
Vollständige Anschrift mit Mailadresse;<br />
Mitglied ja – nein;<br />
Wahl der Arbeitsgruppe<br />
Anreise mit Auto oder Zug;<br />
derzeitige Funktion im Schulbereich;<br />
mögliche Doppelzimmernutzung