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Grundschule aktuell 100

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Heft Nr. <strong>100</strong> • IV. Quartal • November 2007 • Best. Nr. 6035 • D9607F<br />

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Grundschulverband – Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V. • Niddastraße 52 • 60329 Frankfurt/Main • Tel. 0 69 / 77 60 06 • www.grundschulverband.de<br />

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Wir feiern Jubiläum<br />

<strong>100</strong>


Editorial<br />

Wir feiern Jubiläum: Unsere Zeitschrift ist bei<br />

Heft <strong>100</strong> angelangt.<br />

Deshalb ist dieses Heft ein besonderes. Es hat den<br />

doppelten Umfang und ist nicht einem einzigen<br />

Thema gewidmet, sondern so vielen wie das Alphabet<br />

Buchstaben hat. Von A bis Z enthält es Kostproben<br />

von Beiträgen aus etlichen der bisherigen<br />

99 Hefte.<br />

Ist eine Zeitschrift auf Papier angesichts der wachsenden<br />

Flut elektronisch vermittelter Informationen<br />

nicht ein Auslaufmodell? Wir meinen »Nein«! Der<br />

Feuilletonist Gunnar Decker beschrieb kürzlich<br />

die »Poesie der Zeitschrift«, der auch wir anhängen,<br />

wenn wir dieses Blatt gestalten: »Es ist der Charme<br />

des Provisorischen, des Vorläufigen, des Gedankens<br />

mitten in seinem ungewissen Flug, der an Zeitschriften<br />

so anziehend zu wirken vermag. Nicht für<br />

den Tag und nicht für die Ewigkeit gemacht zu sein,<br />

sondern der Zeit eine Schrift zu geben, das schafft ihr<br />

eine Kontur.«<br />

Die in diesem Heft versammelten Leseproben zeigen<br />

die Vielfalt der Themen, die der Grundschulverband<br />

Horst Bartnitzky<br />

Herausgeber<br />

»<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>«<br />

Ulrich Hecker<br />

Redakteur<br />

»<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>«<br />

bearbeitet, sie zeigen zudem, dass viele der Texte nach wie vor <strong>aktuell</strong> und<br />

mit Gewinn lesbar sind – und sie zeigen das stets frische Engagement des<br />

Grundschulverbandes und seiner Mitglieder.<br />

Wir würden uns freuen, wenn Sie dieses Jubiläumsheft mit Vergnügen<br />

lesen – vielleicht auch mit der Bestätigung, dass wir gemeinsam für eine<br />

gute Sache eintreten, sowie mit der Ermutigung, sich mit uns zusammen<br />

weiter zu engagieren: für eine Schule mit Kindern und für Kinder.<br />

Der Grundschulverband und seine Positionen und Forderungen brauchen<br />

mehr Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Bitte überlegen Sie, wen Sie ansprechen<br />

können, auch mitzumachen. Es lohnt sich.<br />

Berichtigung zu »Tagebuch« in Heft 99<br />

»Durchgefallen: Sprachtest in NRW«, hatte Bernhard Eibeck seinen Kommentar betitelt.<br />

Durch einen technischen Fehler war die letzte Zeile des Textes nicht zu lesen. Hier noch<br />

einmal der ganze letzte Satz:<br />

»Man kann nur hoffen, dass die Delfin-4-Autorinnen und Autoren nach den ersten Erfahrungen<br />

den Test einer gründlichen Revision unterziehen und sich auf die guten Traditionen einer ganzheitlichen,<br />

dem Kind verpflichteten Pädagogik besinnen.«<br />

Den Autor und unsere Leserinnen und Leser bitten wir um Entschuldigung!<br />

Impressum<br />

, die Zeitschrift des Grundschulverbandes erscheint<br />

viertel jährlich und wird allen Mit glie dern zugestellt.<br />

Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Das einzelne Heft kostet 5 €;<br />

für Mitglieder und bei Sam mel be stel lun gen ab 10 Hefte 3 € (incl. Versand).<br />

Verlag: Grundschulverband – Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V.<br />

Niddastraße 52, 60329 Frankfurt / Main, Tel. 0 69 / 77 60 06, Fax: 0 69 / 7 07 47 80;<br />

Internet: www.grundschulverband.de, E-Mail: info@grundschulverband.de<br />

Herausgeber: Horst Bartnitzky (für den Vorstand des Grundschulverbandes)<br />

Redaktion: Ulrich Hecker, Hülsdonker Str. 64, 47441 Moers, Tel. 0 28 41 / 2 17 14,<br />

E-Mail: ulrichhecker@aol.com<br />

Fotos: Ulrich Hecker (Titel, S. 54), Sylvia Reinisch (S. 55),<br />

alle übrigen wurden schon in früheren Ausgaben dieser Zeitschrift veröffentlicht<br />

Herstellung: novuprint Agentur für Mediendesign, Werbung, Publikationen GmbH,<br />

Bödekerstr. 73, 30161 Hannover, Tel. 05 11 / 9 61 69 – 11, Fax: 05 11 / 9 61 69 – 99<br />

Anzeigenverwaltung: Claudia Klinger, Verlagsgruppe Beltz, Tel. 0 62 01 / 6 00 73 86,<br />

Fax 0 62 01 / 6 00 73 93<br />

Druck: Druck Partner Rübelmann, 69502 Hemsbach<br />

ISSN 1860-8604<br />

Beilagen: »Eine Welt in der Schule« als ständige Beilage, Dossier »Die andere Schule<br />

– jetzt!« der Zeitschrift »Publik Forum«, Beilage des Oldenbourg Schulbuchverlages<br />

und Beilage für die Zeitschrift »Simplify your Life«, Bonn<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />

1


Thema: Die ersten Hundert<br />

Die ersten Hundert –<br />

von den blauen Seiten zur Zeitschrift<br />

VON Horst Bartnitzky<br />

Wer in einem Verband Mitglied ist und eine Mitgliederzeitschrift<br />

erhält, bekommt sie kostenfrei ins Haus geliefert. Sie ist im Mitgliedsbeitrag<br />

inbegriffen. Selbstverständlich – oder?<br />

Eine Mitgliederzeitschrift<br />

im Abonnement<br />

Beim Grundschulverband, damals Arbeitskreis<br />

<strong>Grundschule</strong>, war das in<br />

den ersten Jahren anders: Die Mitgliederzeitschrift<br />

musste man zusätzlich<br />

abonnieren. Und das kam so: Prof. Dr.<br />

Erwin Schwartz, erster Inhaber eines<br />

Lehrstuhl für Grundschulpädagogik,<br />

hatte in den sechziger Jahren quer<br />

durch die Bundesrepublik Menschen<br />

aus Wissenschaft, Schulpraxis, Schulverwaltung<br />

und Politik angesprochen,<br />

die sich für die Reform der <strong>Grundschule</strong><br />

engagieren wollten. Er nannte<br />

das den »Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong>«.<br />

Ende der sechziger Jahre sollte dieser<br />

lockere Zusammenschluss eine Form<br />

und öffentliche Foren erhalten. Dies<br />

geschah dann 1969: Der »Arbeitskreis<br />

<strong>Grundschule</strong>« wurde vom Amtsgericht<br />

Frankfurt a. M. als Verein anerkannt<br />

und im Januar erschien als erste Grundschulzeitschrift:<br />

»Die <strong>Grundschule</strong>« im<br />

Westermann-Verlag – sie war Zeitschrift<br />

und Mitgliedsorgan des neu<br />

gegründeten »Arbeitskreises <strong>Grundschule</strong>«.<br />

Neben schulpolitischen Beiträgen<br />

und Mitteilungen des Arbeitskreises<br />

enthielt sie praxisorientierte Beiträge,<br />

so im 1. Heft von Januar 1969 zur<br />

»Schreiberziehung«. Erwin Schwartz<br />

als Vorsitzender des Vereins und zugleich<br />

als Herausgeber der Zeitschrift<br />

formulierte die Zielsetzung im Heft 1:<br />

»Was man den Kindern in den ersten<br />

vier Schuljahren versagt, ist nicht<br />

gutzumachen – diese Einsicht immer<br />

wieder in das Bewusstsein der Verantwortlichen<br />

und der Öffentlichkeit zu<br />

rufen und am konkreten Beispiel nachzuweisen,<br />

ist die Funktion dieser Zeitschrift,<br />

die sich als ein Sprecher für die<br />

Grundstufe und deren Lehrer verstanden<br />

wissen möchte.«<br />

Als eines der 2132 Mitglieder erhielt<br />

man diese Mitgliederzeitschrift aber<br />

nur, wenn man sie auch gesondert<br />

abonniert hatte, für damals 5 DM. Es<br />

war ein Geschäft auf Gegenseitigkeit:<br />

Der Westermann-Verlag rechnete damit,<br />

dass die Mitglieder des Vereins<br />

auch zahlende Abonnenten wurden;<br />

für den Verein war die Zeitschrift ein<br />

professionell gestalteter Werbeträger<br />

und kostete ihn nichts – sie wurde ja<br />

vom Westermann-Verlag beworben<br />

und finanziert.<br />

Die Rechnung ging für den Verlag<br />

nicht auf. Wie später ein Abgleich<br />

zeigte, wurde nur ein geringerer Teil der<br />

Mitglieder auch Abonnent. Für den Verein<br />

hieß das aber auch: Ein großer Teil<br />

der Mitglieder wurde von den Mitteilungen<br />

in der Zeitschrift nicht erreicht.<br />

Wie also konnte man die Mitglieder<br />

mit Neuigkeiten aus dem Arbeitskreis<br />

versorgen?<br />

1975 – 1980: Die blaue Periode<br />

Der Vorstand suchte nach einer Alternative.<br />

Vorzugsweise einer, die den<br />

Verband kein Geld kostete. Inzwischen<br />

arbeitete Prof. Dr. Dieter Haarmann<br />

im Vorstand des Arbeitskreises mit, ein<br />

glänzender Formulierer mit Händchen<br />

für die leserfreundliche Aufbereitung<br />

von Publikationen. Er übernahm die<br />

Aufgabe. Die Idee war: Den Mitgliederbänden<br />

sollten die <strong>aktuell</strong>en Informationen<br />

beigelegt werden – eingebunden<br />

und auf blauen Seiten. Erstmals im<br />

April 1975 erschienen diese blauen Seiten<br />

im ansonsten weißen Umfeld des<br />

Buches. »Liebe und treue Mitglieder des<br />

Arbeitskreises«, so begann der Text auf<br />

Seite 1 und es folgten 23 Seiten mit <strong>aktuell</strong>er<br />

Berichterstattung, Aufrufen zur<br />

Mitarbeit, mit dem Kassenbericht und<br />

anderem mehr. Später wurde die persönliche<br />

Ansprache abgelöst durch die<br />

sachlichere Überschrift: Mitteilungen<br />

des Arbeitskreises <strong>Grundschule</strong>.<br />

Inzwischen orderten auch Nicht-<br />

Mitglieder die Mitgliederbände und<br />

dies auch noch Jahre nach dem ersten<br />

Erscheinen. Da wurden die eingehefteten<br />

blauen Info-Blätter rasch un<strong>aktuell</strong><br />

und suggerierten beim Durchblättern,<br />

dass der ganze Band nicht mehr<br />

taufrisch war. Diese Erkenntnis läutete<br />

das Ende der blauen Periode ein.<br />

2 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007


Thema: Die ersten Hundert<br />

1980 – 1986:<br />

Die weißen Hefte<br />

Nr. 1 bis Nr. 14<br />

Ein eigenes Heft sollte das Problem lösen:<br />

DIN-A5-Format, weißes Papier. Es<br />

erhielt den Titel: Arbeitskreis <strong>aktuell</strong>.<br />

»Für eine bessere Information unserer<br />

Mitglieder«, so überschrieb Dieter<br />

Haarmann das erste Heft vom April<br />

1980. »Schneller, umfassender und regelmäßiger<br />

sollen Sie, liebe Mitglieder,<br />

in Zukunft informiert werden. Deshalb<br />

machen sich hiermit die ›Blauen Seiten‹<br />

selbstständig und stellen sich Ihnen<br />

erstmals als ›Arbeitskreis <strong>aktuell</strong>‹<br />

vor.« Das 16-Seiten-Heft ent hielt Veranstaltungshinweise,<br />

Kurzberichte von<br />

Tagungen, Informationen über Veröffentlichungen<br />

und Werbung.<br />

In der Folge variierte die Seitenzahl.<br />

Alle Mitglieder erhielten die<br />

Hefte etwa zweimal im Jahr per Post<br />

zugestellt, zusammen mit Werbematerial<br />

der Verlage Westermann und<br />

Beltz. Oder anders herum: Die Hefte<br />

wurden einer Werbeaussendung von<br />

Verlagen beigelegt. Damit entstanden<br />

dem Verband zwar keine Kosten,<br />

die Hefte drohten aber, im Werbematerial<br />

unterzugehen. Zudem stellte<br />

sich die Frage, ob durch den Verbund<br />

mit Werbung nicht die Neutralität des<br />

Verbandes in Frage gestellt war.<br />

Mit den weißen Heften begann die<br />

Zählung der Mitgliederzeitschrift.<br />

1986 – 1995:<br />

Das gelbe Blättchen<br />

Nr. 15 bis Nr. 52<br />

Die Mitglieder-Mitteilungen sollten<br />

nun mehr in Richtung eigenständige<br />

Zeitschrift entwickelt werden. Weiterhin<br />

aber sollte sie für den Verband kostenneutral<br />

bleiben. Der Westermann-<br />

Verlag war bereit, Arbeitskreis <strong>aktuell</strong><br />

zu finanzieren, der Zeitschrift »<strong>Grundschule</strong>«<br />

kostenfrei beizulegen und für<br />

die Mitglieder, die nicht Abonnent der<br />

Zeitschrift waren, die Versandkosten<br />

zu übernehmen. Inzwischen gab der<br />

Friedrich-Verlag ebenfalls eine Grundschulzeitschrift<br />

heraus. Ab Nr. 27 teilte<br />

er sich die Kosten mit dem Westermann-Verlag.<br />

Als Gegenleistung des<br />

Verbandes konnten beide Verlage in<br />

Arbeitskreis <strong>aktuell</strong> werben.<br />

Die Bemühungen, weitere Grundschulzeitschriften<br />

in die Regelung einzubeziehen,<br />

scheiterten. Lediglich in<br />

der Zeitschrift Unterstufe heute, der<br />

Grundschulzeitschrift der neuen Bundesländer,<br />

wurde nach der Wende zwei<br />

Jahre lang Arbeitskreis <strong>aktuell</strong> kostenfrei<br />

beigelegt.<br />

Im September 1986 erschien mit Heft<br />

15 das erste der »gelben Blättchen«, wie<br />

sie Dieter Haarmann intern nannte,<br />

acht Seiten in DIN A4. »In neuer Gestalt,<br />

aber auch mit neuem Gehalt stellt sich<br />

hiermit ›Arbeitskreis <strong>aktuell</strong>‹ vor«, so<br />

eröffnete Dieter Haarmann in einer<br />

Kolumne das Heft. Und er verwies auf<br />

das, was neu war an diesem Heft gegenüber<br />

den weißen Heften zuvor mit<br />

ihrem Schwerpunkt an <strong>aktuell</strong>en Infos,<br />

Einladungen, Terminen: Arbeitskreis<br />

<strong>aktuell</strong> »wird sich … schwerpunktmäßig<br />

drängenden bildungspolitischen<br />

Fragen zuwenden, beginnend in dieser<br />

Ausgabe mit der programmatischen<br />

Stellungnahme … ›Mehr Zeit für Kinder<br />

– Arbeit für mehr Lehrerinnen und<br />

Lehrer‹ «. Es war die Zeit, in der Jahre<br />

hindurch ausgebildete Grundschullehrkräfte<br />

nicht in den Schuldienst übernommen<br />

wurden, anstatt sie als Chance<br />

zu nutzen, die Bildungssituation der<br />

Kinder zu verbessern: mit kleineren<br />

Klassen, zusätzlichen Förderungen und<br />

dem Ausbau zumindest zum ganzen<br />

Halbtag von 8 bis 1.<br />

Die Orientierung an bedeutsamen<br />

Themen der Bildungspolitik und der<br />

Schulpraxis setzte sich von nun an<br />

kontinuierlich fort. Hier einige typische<br />

Themen aus diesen Jahren:<br />

■ Leistung der <strong>Grundschule</strong> – Leistung<br />

der Kinder<br />

■ Mehr Frieden in die Schule<br />

■ Kinder – Bücher – Bibliothek<br />

■ Fremdsprachen – fremde Sprachen<br />

– Begegnung mit Sprachen<br />

■ Über 16 000 Unterschriften: Proteste<br />

gegen Sparkonzepte<br />

■ Der lange Reformweg von der Stundenschule<br />

zur Kinderschule<br />

■ Lehrersein in der veränderten Schule<br />

– weder Stundenhalterei noch<br />

Halbtagsjob<br />

Im September 1991 beschloss die Mitgliederversammlung<br />

die Änderung der Satzung. Zwei der Änderungen<br />

waren die Einrichtung von Landesgruppen sowie die<br />

Einführung des neuen Verbandsnamens im Untertitel:<br />

der Grundschulverband. Ersteres führte in den Heften<br />

zur Ausweitung der Informationen aus den Ländern,<br />

zweites zum neuen Titel: Arbeitskreis <strong>aktuell</strong> – Mitteilungen<br />

des Grundschulverbandes.<br />

In der Schriftleitung des Heftes gab es in dieser Zeit einen<br />

Wechsel: Dieter Haarmann beendete mit Heft 23<br />

im September 1988 seine redaktionelle Arbeit. Als Nachfolger<br />

für »das Blättchen« schlug er Horst Bartnitzky<br />

vor. Der wurde vom Vorstand mit der Redaktion beauftragt,<br />

beginnend mit Heft 24 vom September 1988. Er<br />

blieb dann der verantwortliche Redakteur bis zum Heft<br />

87 und wurde danach Herausgeber der inzwischen weiter<br />

entwickelten Zeitschrift.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />

3


Thema: Die ersten Hundert<br />

1995 – 1999:<br />

Wieder in weiß,<br />

mit 16, später 24 Seiten<br />

Nr. 53 bis Nr. 65<br />

Inzwischen griff, was mit der Satzungsänderung<br />

bezweckt war: In den Ländern<br />

arbeiteten Landesgruppen-Vorstände<br />

mit eigenen landesbezogenen Maßnahmen.<br />

Sie brauchten zur Darstellung<br />

ihrer Aktivitäten ein <strong>aktuell</strong>es Forum.<br />

Außerdem begann sich der politischere<br />

Namensteil Grundschulverband durchzusetzen.<br />

Um diese Entwicklungen zu<br />

stützen, wurden Änderungen an der<br />

Zeitschrift durchgeführt:<br />

■ Der Umfang wurde verdoppelt, so<br />

dass Platz für die regelmäßigen Berichte<br />

aus 16 Ländern geschaffen<br />

wurde, drei redaktionelle Mitarbeiter<br />

koordinierten die Beiträge aus<br />

den Landesgruppen.<br />

■ Der Titel wurde geändert in: Grundschulverband<br />

<strong>aktuell</strong>.<br />

Die Bestandteile der Zeitschrift waren<br />

von nun an:<br />

■ Editorial,<br />

■ Tagebuch mit einem <strong>aktuell</strong>en Kommentar,<br />

■ ein thematischer Beitrag, wobei bildungspolitische<br />

Beiträge überwogen,<br />

sowie<br />

■ Berichte aus allen Landesgruppen.<br />

Aus dem gelben 8-Seiter wurde zunächst<br />

ein weißer 16-Seiter mit<br />

festerem Papier.<br />

Um den gestiegenen Aktivitäten Rechnung<br />

zu tragen und um neben Bildungspolitik<br />

auch Forschungsaspekte<br />

und mehr die Schulpraxis zu berücksichtigen,<br />

wurden ab Nr. 63 (September<br />

1998) die Hefte um weitere acht Seiten<br />

auf nunmehr 24 Seiten erweitert. Zwischen<br />

Themenbeitrag und Berichten<br />

aus den Landesgruppen wechselten<br />

ein Forschungsbeitrag und eine Dokumentation<br />

aus der laufenden Arbeit<br />

des Verbandes miteinander ab. Um die<br />

Zeitschrift zudem freundlicher zu gestalten,<br />

wurden die Verbandsfarbe Blau<br />

für Überschriften und Markierungen<br />

hinzugefügt und das Layout professionell<br />

modernisiert.<br />

2003 bis heute:<br />

Politik, Forschung und Praxis<br />

im Zusammenhang<br />

Nr. 84 – Nr. 99<br />

In den Heften war aus Platzgründen<br />

der Praxisbereich nur sporadisch vertreten.<br />

Es sollte von nun an deutlicher<br />

werden, dass der Verband drei Felder<br />

miteinander in Bezug setzt: Politik,<br />

Wissenschaft und Praxis. Im Unterschied<br />

zu den sonstigen Grundschulzeitschriften<br />

sollten diese drei Felder<br />

aber nicht in gesonderten Rubriken<br />

ohne Verbindung miteinander bearbeitet<br />

werden, sondern thematisch<br />

aufeinander bezogen werden. Nur so<br />

können die Zusammenhänge von bildungspolitischen<br />

Gegebenheiten und<br />

deren Diskussion, kritisch-konstruktiver<br />

Grundschulforschung sowie innovativer<br />

Praxis verdeutlicht werden.<br />

Das aber war nur zu realisieren, wenn<br />

das Heft umfangreicher wurde. Es wurde<br />

deshalb um weitere acht Seiten auf<br />

nunmehr 32 Seiten aufgestockt.<br />

1999 – 2003:<br />

Farbe und Exklusivität<br />

Nr. 66 bis Nr. 83<br />

Die bisherigen Hefte hatten keinen<br />

Umschlag. Um das Heft aufzuwerten<br />

und den Charakter als eigenständige<br />

Zeitschrift zu erhöhen, wurden drei<br />

Änderungen durchgeführt:<br />

■ Die Hefte erhielten einen vierfarbigen<br />

Umschlag.<br />

■ Sie wurden ab jetzt keiner Zeitschrift<br />

mehr beigelegt, sondern<br />

über den Postzeitungsdienst exklusiv<br />

an die Mitglieder versendet. Die<br />

gesamten Kosten trug von nun an<br />

der Grundschulverband.<br />

■ Die Hefte waren zudem ab sofort<br />

gegen Kaufpreis auch von Nicht-<br />

Mitgliedern zu erwerben.<br />

4 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007


Thema: Die ersten Hundert<br />

Das erste Heft Nr. 84 in dieser erweiterten<br />

Konzeption hatte den Titel: Lesekompetenz<br />

fördern – feststellen – würdigen<br />

und es realisierte die erweiterte<br />

Konzeption modellhaft:<br />

■ Editorial,<br />

■ Tagebuch (zu einem <strong>aktuell</strong>en<br />

Grundschulthema),<br />

■ Themenbeitrag: Lesekompetenz –<br />

was ist das und wie fördert man sie?<br />

(das Thema in bildungspolitischer,<br />

wissenschaftlicher und schulpraktischer<br />

Hinsicht),<br />

■ Praxisbeiträge: Lesekompetenz als<br />

Aufgabe der ganzen Schule (das<br />

Thema als Schulentwicklungsprojekt).<br />

Der Stolperwörter-Lesetest<br />

(Diagnose der Lesefähigkeit mit<br />

einem Lesetest, einschl. der Kopiervorlagen),<br />

■ Forschungsbeitrag: Leseleistungen<br />

und der »Karawanen-Effekt« (Befunde<br />

einer umfangreichen Leseuntersuchung<br />

der Uni Siegen an<br />

<strong>Grundschule</strong>n),<br />

■ Mitteilungen: Aktuelles aus den<br />

Landesgruppen.<br />

Um den Praxisteil für jedes Heft sicherzustellen,<br />

wurden die zusätzlichen<br />

acht Seiten hierfür festgelegt.<br />

Im Mai 2004 gründete die Delegiertenversammlung<br />

das Fachreferat Öffentlichkeitsarbeit<br />

/ Mitgliederzeitschrift.<br />

Als Fachreferent wurde Ulrich Hecker<br />

gewählt, der von Heft 87 an die Redaktion<br />

übernahm. Horst Bartnitzky<br />

wurde Herausgeber im Auftrag des<br />

Vorstandes. Das ist die personelle Situation<br />

bis heute.<br />

Über die Jahre hat sich das ursprüngliche<br />

Mitteilungsblatt über die Mitteilungen<br />

an die Mitglieder hinaus und<br />

in allmählicher Lösung aus Verlagsbindungen<br />

zu einer eigenständigen<br />

Zeitschrift des Verbandes weiterentwickelt.<br />

Neben den Informationen aus<br />

dem Grundschulverband und der Arbeit<br />

der Landesgruppen steht ein Thema<br />

im Mittelpunkt, das die Zeitschrift<br />

aus verschiedenen Blickwinkeln und<br />

Aktionsfeldern entwickelt:<br />

■ Sie beteiligt sich am <strong>aktuell</strong>en kritischen<br />

bildungspolitischen Diskurs.<br />

■ Sie publiziert leserfreundlich <strong>aktuell</strong>e<br />

praxisbedeutsame Ergebnisse<br />

aus der Grundschulforschung.<br />

■ Sie stellt im jeweiligen thematischen<br />

Rahmen <strong>aktuell</strong>e innovative<br />

Schulpraxis vor und vermittelt<br />

Anregungen zur Schul- und Unterrichtsgestaltung.<br />

■ Sie dokumentiert zum Thema Aktivitäten,<br />

Standpunkte, Projekte des<br />

Grundschulverbandes.<br />

Das <strong>aktuell</strong>e Thema der landesweiten<br />

Leistungstests mag dazu als Beispiel<br />

dienen: In mehreren Heften (Nr. 89, 90,<br />

92, 99) wurden die Tests kritisch beleuchtet<br />

– im Detail und im Grundsatz,<br />

Lehrkräfte wie Wissenschaftler kamen<br />

dabei zu Wort; als Alternative entwickelte<br />

der Grundschulverband sein Projekt<br />

»Pädagogische Leistungskultur«,<br />

stellte praxistaugliche Materialien vor<br />

und ließ Lehrerinnen und Lehrer aus<br />

ihrer Praxis berichten.<br />

Damit erfüllt die Zeitschrift für ihren<br />

Teil den Satzungsauftrag des Grundschulverbandes,<br />

nämlich: »die pädagogisch<br />

begründeten Ansprüche der Kinder<br />

dieser Schulstufe zu vertreten, die<br />

Grundschulpädagogik weiter zu entwickeln<br />

und die Stellung der <strong>Grundschule</strong><br />

im öffentlichen Bildungswesen zu verbessern«<br />

(aus § 2, Zweck des Vereins).<br />

Die Veränderung des Charakters<br />

der Zeitschrift vom Mitteilungsblatt<br />

des Arbeitskreises zur Zeitschrift des<br />

Grundschulverbandes drückt sich auch<br />

im Titel aus. Beginnend mit Heft 89,<br />

also ab 2005 lautet er:<br />

GRUNDSCHULE AKTUELL –<br />

Zeitschrift des Grundschulverbandes.<br />

Nun sind wir bei Heft <strong>100</strong> angelangt.<br />

Das Jubiläum soll auch gefeiert<br />

werden. Dieses Heft ist deshalb ein<br />

besonderes: Es hat fast den doppelten<br />

Umfang und ist nicht einem einzigen<br />

Thema gewidmet, sondern so vielen<br />

wie das Alphabet Buchstaben hat.<br />

Von A bis Z enthält es Kostproben von<br />

Beiträgen aus vergangenen Heften<br />

– Kostproben, die auch die Vielfalt der<br />

Themen zeigen, die der Grundschulverband<br />

bearbeitet.<br />

Ab Heft 101 kehren wir dann zum<br />

Alltag der Heftgestaltung zurück.<br />

Aber auch dies lehrt der Rückblick: Nichts muss so bleiben,<br />

wie es ist. Deshalb unsere Fragen an Sie, die Leserinnen<br />

und Leser:<br />

Was fehlt?<br />

Was sollte anders werden an dieser Zeitschrift?<br />

Schreiben oder mailen Sie uns.<br />

Denn nichts ist so gut, dass man es nicht auch noch<br />

besser machen könnte.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />

5


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

A BCDEFGHIJKLMN<br />

… wie Anfangsunterricht<br />

»Mus ma fela machen döfen.« – Im Jahr 2006 gab es in den Medien und dann<br />

auch in vielen Lehrerzimmern Aufregung um das eigene Textschreiben im<br />

Anfangsunterricht. In einem »Lehrerhasserbuch« wurde polemisch ausgebreitet,<br />

Kinder könnten am Ende der Grundschulzeit nicht rechtschreiben. Schuld<br />

sei der »Fehlerkult« im Anfangsunterricht, der sich dann durch die ganze<br />

Grundschulzeit ziehe. Der SPIEGEL setzte nach mit »Schon wida ferpend«.<br />

Andere Medien folgten. In unserer Zeitschrift versuchten wir, das strittige Feld<br />

zu sondieren. Wir stellten an vier Fachleute, die sich in ihrer Konzeption des<br />

Schriftspracherwerbs unterschieden, vier Fragen. Zu zwei der Fragen zitieren<br />

wir Auszüge aus den Antworten und dann verschiedene Reaktionen unserer<br />

Leser/innen darauf.<br />

Welche Bedeutung hat im Anfangsunterricht<br />

das Schreiben? Welche das Lesen?<br />

aus Heft 96 (2006), S. 6 f.<br />

Ute Andresen: Lernt man einen kleinen<br />

Text, einen Vierzeiler etwa, den<br />

man vor sich hat, mit Hilfe eines Lesenden<br />

auswendig, weiß man von ihm,<br />

was da auf dem Blatt steht. Man weiß,<br />

dass man das Ganze noch nicht selbst<br />

gelesen hat. Man kann aber den einen<br />

Buchstaben, den man neu gelernt hat,<br />

in diesem Ganzen aufsuchen. Macht er<br />

bei mehreren Wörtern mit, zeigt er sich<br />

als Baustein. Je mehr Bausteine man<br />

kennt, desto besser.<br />

Hat man auch gelernt, einen Neuen<br />

genau richtig zu schreiben, hat ihn<br />

sich erarbeitet und ist er der Hand so<br />

vertraut, dass man keine Merkhilfe,<br />

keine Buchstaben- oder Anlauttabelle<br />

braucht, um zu wissen, wie man ihn<br />

richtig schreibt, weiß man, was man<br />

kann und was noch zu lernen ist. Je<br />

mehr Buchstaben man schreiben kann,<br />

desto besser! Und bald werden daraus<br />

eigene Wörter und Texte, die andere lesen<br />

können.<br />

Horst Bartnitzky: Dass unsere<br />

Schriftsprache nicht 1:1 die Laute wiedergibt,<br />

dass es auch verschiedene<br />

Buchstaben für denselben Laut gibt,<br />

das erfahren die Kinder schon, wenn<br />

sie an den ersten Schultagen mit ihren<br />

eigenen Namen arbeiten. Viele<br />

Namen haben Buchstaben und Buchstabengruppen,<br />

die sich kaum in der<br />

Anlauttabelle finden. Da aber der eigene<br />

Name für jedes Kind existenziell<br />

wichtig ist, muss er auch ein wichtiges<br />

Schreib- und Lesewort sein.<br />

Die Vernachlässigung des Lesens<br />

ist nur scheinbar eine Erleichterung.<br />

In Wirklichkeit nimmt sie den Kindern<br />

Gelegenheiten, bei ihrem Weg in die<br />

Schrift Entdeckungen zu machen, über<br />

die sie miteinander sprechen und die<br />

sie beim eigenen Schreiben nutzen<br />

können.<br />

Erika Brinkmann und Hans Brügelmann:<br />

Wir haben zu respektieren, was<br />

jedes einzelne Kind ganz persönlich interessiert,<br />

was es wissen will, was es zu<br />

sagen hat. Deshalb ist freies Schreiben<br />

von Anfang an unverzichtbar – auch<br />

unabhängig von seinem fachlichen<br />

Lernertrag …<br />

Daneben ist das freie Lesen die<br />

zweite Säule. Über die Schrift als Medium<br />

erschließen sich die Kinder neue<br />

Welten und durch die Schrift als Modell<br />

gewinnen sie ein Raster für die Lautanalyse<br />

und Impulse für ihre orthographische<br />

Entwicklung.<br />

Wilfried Metze: Viele Kinder sind mit<br />

dem eigenaktiven und selbstgesteuerten<br />

Erwerb dieser Strukturen völlig<br />

überfordert. Sie benötigen eine Modellierung<br />

der Analyse-Synthese-Vorgänge<br />

beim Lesen und Schreiben durch<br />

die Lehrerin und kontrollierte entsprechende<br />

Übungen. Lesen und Schreiben<br />

stellen vom ersten Wort an eine Einheit<br />

dar.<br />

Welche Rolle spielt die<br />

normierte Rechtschreibung<br />

im Anfangsunterricht?<br />

aus Heft 96, S. 10 f.<br />

Ute Andresen: Schreiben Kinder freie<br />

Texte, was sie so bald wie möglich tun<br />

sollten, können sie nicht alles schon<br />

richtig schreiben. Die Lehrerin schreibt<br />

die Texte korrekt ab. Erste und zweite<br />

Fassung werden zusammen aufgehoben.<br />

Manche Texte verbessert sie diskret<br />

im Original. Später leitet sie die<br />

Kinder an, ihre Texte selbst zu korrigieren.<br />

Horst Bartnitzky: Auf die normierte<br />

Rechtschreibung lange zu verzichten,<br />

sie Kindern vorzuenthalten, das macht<br />

die Kinder kleiner als sie sind und es<br />

versagt ihnen Anregungen, die sie zum<br />

Strategielernen brauchen.<br />

Erika Brinkmann und Hans Brügelmann:<br />

Wir sehen in der frühen Begegnung<br />

mit der Orthographie eine<br />

Herausforderung und ein Modell für<br />

die Kinder, ihre –in der Kommunikation<br />

voll akzeptierten Spontanschreibungen-<br />

weiterzuentwickeln, wie sie<br />

es bei der Lautsprache auch durften:<br />

Selbst so reden, wie sie es können, aber<br />

mit einer Umwelt kommunizieren, die<br />

die entfalteten und korrekten Formen<br />

gebraucht<br />

Wilfried Metze: Kinder, die ohne<br />

Schrifterfahrungen den Zugang zur<br />

Schrift über das freie Schreiben mit<br />

Hilfe der Anlauttabelle erlangen, erwerben<br />

eine irrige Vorstellung unseres<br />

Schriftsystems. Dadurch, dass sie angehalten<br />

werden, Wörter ausschließlich<br />

nach ihrer Lautung zu verschriften,<br />

wird ihnen suggeriert, so sei unsere<br />

Schrift aufgebaut. Doch wir haben keine<br />

Lautschrift. Die Buchstaben-Lautund<br />

die Laut-Buchstaben-Beziehungen<br />

sind alles andere als eindeutig.<br />

6 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

OPORSTUVWXYZ<br />

Gegen den Dogmatismus von Ulrich Hecker, Heft 97 (2007), S. 24 f.<br />

Zahlreicher als sonst und teilweise<br />

heftig waren die Reaktionen auf unser<br />

letztes Heft. Die Zustimmung überwog<br />

bei weitem, zum Beispiel:<br />

»Vielen Dank für ein gelungenes<br />

Heft zu einem <strong>aktuell</strong>en Streit-Thema.«<br />

(Christian Kraus, Hanau)<br />

»DANKE! Dieses Heft war dringend<br />

nötig! Hoffentlich hilft es, die Verunsicherung<br />

wieder abzumildern, die der<br />

unsägliche SPIEGEL-Artikel gebracht<br />

hat bei Kolleginnen UND Eltern. Die<br />

Schulen … haben sehr unter dieser<br />

Störung gelitten.« (Wolfhard Kluge,<br />

Gießen)<br />

»… was zu sagen mir nach der Lektüre<br />

eben heftig am Herzen liegt: Super.<br />

Gleichsam wie ein rettender Luftröhrenschnitt.«<br />

(Heide Bambach, Hamburg)<br />

Es gab aber auch empörte Briefe und<br />

gar einen Austritt im Zorn.<br />

Wilfried Metze ist ein entschiedener<br />

Gegner des Konzepts »Lesen<br />

durch Schreiben« von Jürgen Reichen<br />

und behauptete nun, alle anderen Artikel<br />

im Heft und damit der Grundschulverband<br />

insgesamt würden dieses<br />

Konzept vertreten, er selbst erhielte<br />

dadurch eine Außenseiterrolle als ein<br />

»ewig Gestriger«:<br />

»Ich habe soeben das <strong>aktuell</strong>e Heft<br />

überflogen und muss meinem Ärger<br />

Luft machen. Ich erwäge, den Grundschulverband<br />

zu verlassen. Die sog.<br />

Diskussion, zu der Sie mich gebeten<br />

hatten, ist nichts als ein Feigenblatt,<br />

unverblümt die einseitig auf Freies<br />

Schreiben ausgerichtete Haltung der<br />

im Verband dominierenden Gruppe erneut<br />

in die Lehrerschaft zu tragen.«<br />

Es gab auch eine Reihe von Reaktionen,<br />

die ihr Unverständnis darüber<br />

äußerten, dass Metze seine Auffassung<br />

in der Zeitschrift des Grundschulverbandes<br />

überhaupt kundtun durfte.<br />

Marion Lorber und Katrin Ströbl aus<br />

Dresden beispielsweise schrieben:<br />

»Mit Erstaunen, Verwunderung und<br />

abschließend Entsetzen haben wir die<br />

letzte Ausgabe der ›<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>‹<br />

gelesen. Wie ist es möglich, dass<br />

jemandem wie Herrn Metze darin so<br />

viel Raum zur Darstellung seiner offenbar<br />

völlig abstrusen Vorstellungen<br />

vom Unterrichtsalltag in Lesen-durch-<br />

Schreiben-Klassen, die den Namen verdienen,<br />

geboten wird?<br />

Wir laden gern alle diejenigen in unsere<br />

Klassen ein, die immer wieder behaupten,<br />

›Lesen wäre bei Reichen verboten‹.<br />

Unsere Kinder finden in ihren<br />

Klassenzimmern vom ersten Schultag<br />

an mehr als einhundert Kinderbücher<br />

in vielen verschiedenen Leseniveaus<br />

vor. Keinem Kind ist es verboten, diese<br />

Bücher immer wieder zur Hand zu nehmen,<br />

sich von älteren Kindern vorlesen<br />

zu lassen – wofür es zusätzlich regelmäßige,<br />

festgelegte Zeiten gibt – oder<br />

selbst Leseversuche zu unternehmen,<br />

wenn es das von sich aus möchte. Tägliches<br />

Vorlesen durch die Lehrerin hat<br />

Praxisbeispiele<br />

von Ulrich Hecker und<br />

Volkmar Meyer, Heft 96, S. 16 f.<br />

seinen Platz genauso wie Gespräche und das Schreiben zu<br />

den gelesenen Büchern.«<br />

Wir sind der Auffassung, dass dem Grundschulverband jede<br />

Form des Dogmatismus fremd sein sollte. Wir wollen vielmehr<br />

bei strittigen Themen durch unterschiedliche Meinungen<br />

zu professioneller Meinungsbildung der Mitglieder<br />

beitragen, Kontroversen benennen und klären sowie Gemeinsamkeiten<br />

fördern.<br />

»Im November beginnen einige Kinder, spontan den Punkt zu<br />

benutzen.<br />

Sie experimentieren damit und beobachten seine Verwendung in<br />

Lesetexten. Anfang Dezember schreibt Anne einen Text, den sie<br />

stolz anderen Kindern zeigt (siehe Abb.). Einige Kinder kommen zu<br />

mir und berichten, dass sie den Text nicht lesen können, obwohl<br />

Anne ›schön geschrieben‹ habe. Auch ›Lücken zwischen den Wörtern‹<br />

hat Anne gemacht – und einen Punkt hat sie gesetzt, einen<br />

ganz dicken.<br />

Ich kopiere den Text auf Folie und projiziere ihn für alle an die<br />

Wand. Kinder erlesen den Text, bekommen heraus, wo die Sätze<br />

enden. Ich setze die Punkte auf die Folie. Eine wichtige Situation.<br />

Nicht ab sofort ›sitzen‹ alle Punkte an den richtigen Stellen. Kinder,<br />

die noch nie einen Punkt verwendet hatten, machen ihn auf einmal<br />

nach jedem Wort. Aber für alle hat jetzt der Weg begonnen, den<br />

Schluss von Sätzen zu markieren:<br />

›Weil man es dann viel besser lesen kann.‹ «<br />

Eine typische »Textproduktion«: Daniel war am Rhein spazieren, im<br />

Morgenkreis erzählt er von seinen Eindrücken. In der anschließenden<br />

»Schreibzeit« schreibt er seinen Text auf (Entwurf). Im Gespräch äußert<br />

er starken Ärger über die Verschmutzung des Rheinufers. Den letzten<br />

Satz fügt er hinzu, die anderen Sätze werden mit dem Autor vervollständigt,<br />

sortiert, Satzzeichen werden gesetzt, eine Überschrift gefunden<br />

(Überarbeitung). Der Lehrer schreibt am PC die »Satzvorlage« für<br />

Daniel. Mit zwei Helfern setzt Daniel seinen Text, die Kinder drucken<br />

den Text für alle Kinder der eigenen und der Parallelklassen (Veröffentlichung).<br />

Daniels Text findet starke Beachtung.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />

7


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

A B CDEFGHIJKLMN<br />

… wie Bildungsansprüche<br />

Der PISA-Schock hatte ab Ende 2001 bundesweit zu einer neuen Bildungsdebatte<br />

geführt. Eine Forderung war: präziser sei zu definieren, was Kinder am<br />

Ende eines Schulabschnitts können sollen. Im Grundschulverband war hierzu<br />

schon die Debatte um ein Kerncurriculum geführt worden (siehe Buchstabe C).<br />

Hieraus entwickelte sich in mehreren Arbeitssitzungen ein eigener Beitrag<br />

des Grundschulverbandes zur Standarddiskussion: »Bildungsansprüche von<br />

Grundschulkindern«.<br />

Die Kultusministerkonferenz gab dann 2004 die Bildungsstandards für<br />

Deutsch und Mathematik (<strong>Grundschule</strong>) heraus, die sich in wesentlichen<br />

Aspekten und Formulierungen an dem Text des Grundschulverbandes orientierten.<br />

Bildungsgesellschaft statt Wissensgesellschaft aus Heft 81 (2003), S. 3 f.<br />

Der Grundschulverband folgt … einem<br />

traditionsreichen Bildungsbegriff, der<br />

die individuellen Ansprüche des Kindes<br />

und die gesellschaftlichen Ansprüche<br />

an das Kind miteinander in Einklang zu<br />

bringen versucht – realisiert insbesondere<br />

durch den Charakter der Bildungsorganisation<br />

und durch die Auswahl<br />

der Ziele und Inhalte. Die durch Bildung<br />

mögliche Höherentwicklung der Individuen<br />

wird dabei als Voraussetzung<br />

und als Ziel für die Höherentwicklung<br />

der Gesellschaft mitgedacht. Schule<br />

ist demnach immer auch ein gesellschaftliches<br />

Zukunftsmodell. Von hier<br />

her werden individuelle Stärkungen<br />

der persönlichen Autonomie gesellschaftlich<br />

hoch bedeutsam – man<br />

denke an Beispiele wie das Vermeiden<br />

von tiefgreifenden Verletzungen durch<br />

inhumane Umgangsweisen, die Förderungen<br />

des selbstständigen Lernens<br />

oder das Demokratie-Lernen auch in<br />

der <strong>Grundschule</strong>.<br />

Damit stellen wir dem auf Wissen,<br />

Vergleichbarkeit und Abprüfbarkeit<br />

abzielenden verkürzten Lern- und Leistungsbegriff<br />

der <strong>aktuell</strong>en schulpolitischen<br />

Debatte den umfassenderen<br />

Begriff der grundlegenden Bildung gegenüber.<br />

Kurz: Der Grundschulverband setzt<br />

dem derzeit vorherrschenden Begriff<br />

der Wissensgesellschaft den weiteren<br />

der Bildungsgesellschaft entgegen.<br />

Die Bildungsansprüche von Grundschulkindern<br />

werden in zwei Dimensionen<br />

formuliert:<br />

1. In einem Leitkonzept zeitgemäßer<br />

Grundschularbeit werden neun überfachliche<br />

Prinzipien für die Gestaltung<br />

von Unterricht und Schulleben formuliert.<br />

Dazu werden Bedingungen<br />

beschrieben, die Schulen und die für<br />

Schule Verantwortung Tragenden erfüllen<br />

müssen, damit diesen Prinzipien<br />

entsprochen werden kann.<br />

2. Als tragfähige Grundlagen für weiteres<br />

Lernen werden für die Lernbereiche<br />

der <strong>Grundschule</strong> Ziele,<br />

Bedingungen und Bandbreiten der Entwicklung<br />

beschrieben.<br />

Die hier formulierten Bildungsansprüche<br />

im Leitkonzept und in den tragfähigen<br />

Grundlagen betreffen alle Verantwortungsebenen:<br />

■ Schule: Hier werden die Schulprogramme<br />

und schuleigenen Lehrpläne<br />

je nach Standort und den nötigen und<br />

möglichen Bildungschancen der Kinder<br />

eigenverantwortlich formuliert. Dabei<br />

muss sicher gestellt werden, dass<br />

das Leitkonzept und die tragfähigen<br />

Grundlagen in diese Arbeiten integriert<br />

werden …<br />

■ Schulaufsicht, Verwaltung, Schulträger,<br />

Fortbildung: Die Schulen werden<br />

darin unterstützt, ihre Programme und<br />

schuleigenen Lehrpläne zu entwickeln<br />

sowie Leitkonzept und tragfähige<br />

Grundlagen darin zu integrieren. Sie<br />

werden dann unterstützt, diese Vorhaben<br />

realisieren zu können und die Qualität<br />

ihrer Arbeit zu prüfen und auszuweisen.<br />

■ Politik: Die Schulen werden auf dem<br />

Weg zu vermehrter Selbstständigkeit<br />

gefördert. Besondere Beachtung muss<br />

der Bildungsgerechtigkeit gelten: Alle<br />

Schulen … müssen in die Lage versetzt<br />

werden, das Leitkonzept zu realisieren<br />

und die tragfähigen Grundlagen für<br />

weiteres Lernen bei den ihnen anvertrauten<br />

Kindern zu entwickeln. Dies<br />

erfordert, dass die Schulen je nach Bedarf<br />

unterschiedlich mit Personal und<br />

weiteren Ressourcen an Zeit, Material<br />

und Unterstützungen ausgestattet<br />

werden.<br />

8 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

OPORSTUVWXYZ<br />

Neun Prinzipien zeitgemäßer Grundschularbeit<br />

aus Heft 81 (2003), S. 5ff<br />

Die im Folgenden dargelegten Prinzipien<br />

sind nur im Zusammenhang aller<br />

in ihnen enthaltenen Grundpositionen<br />

sinnvoll. Sie konkretisieren insgesamt<br />

ein Grundverständnis zeitgemäßer<br />

Primarschularbeit, das in dem Begriff<br />

»ermutigende Pädagogik« zusammengefasst<br />

werden kann: Die Schule soll<br />

die bereits erworbenen Selbstlernfähigkeiten<br />

der Kinder aufgreifen und<br />

weiterentwickeln und das Kind als<br />

Subjekt des Lernens immer wieder ermutigen,<br />

sich alle notwendigen Kompetenzen<br />

und Erkenntnisse möglichst<br />

selbstständig anzueignen – selbstverständlich<br />

immer mit der gezielten<br />

Unterstützung seiner Lehrerinnen und<br />

Lehrer und immer im sozialen Raum<br />

der Klassengemeinschaft.<br />

■ Lernen als Selbstaneignung von Welt …<br />

■ Geborgenheit und Lebensfreude …<br />

■ <strong>Grundschule</strong> als Leistungsschule …<br />

■ Lernen an bedeutsamen Inhalten …<br />

■ In Zusammenhängen lernen …<br />

■ Lernen in der Gemeinschaft mit anderen …<br />

■ Gleichzeitigkeit von Differenzierung und Integration …<br />

■ Chancengleichheit und Achtung vor dem Anderem …<br />

■ <strong>Grundschule</strong> als Lernfeld für Demokratie …<br />

Zum Beispiel: Tragfähige Grundlagen Lesen aus Heft 81 (2003), S. 10 f.<br />

Didaktische Orientierung<br />

Nicht erst seit der Veröffentlichung<br />

der PISA-Studie wird darauf verwiesen,<br />

dass Lesen eine Schlüsselfunktion für<br />

Schulerfolg und auch zum Umgang<br />

mit den verschiedenen neueren und<br />

neuesten Medien hat.<br />

Lange wurde Lesen als »Sinnentnahme«<br />

definiert. In der neueren didaktischen<br />

Diskussion ist demgegenüber<br />

Lesen ein eigenaktiver Prozess der<br />

Sinnkonstruktion. Dementsprechend<br />

haben solche Umgangsweisen mit<br />

Texten eine besondere didaktische<br />

Qualität, die von einem individuellen<br />

Leseinteresse ausgehen und eine Lesekultur<br />

in der Schule befördern, die operativ<br />

und experimentell mit Texten umgehen<br />

und bei denen sich Leserinnen<br />

und Leser mit anderen offen über Texte<br />

auseinandersetzen. Da viele Kinder in<br />

einem lesefernen Milieu aufwachsen,<br />

muss die Schule die Kinder für das<br />

Lesen aufschließen. Offenbar spielen<br />

unterhaltsame und interessebezogene<br />

Texte in einer leseförderlichen Lernumgebung<br />

eine besondere Rolle, während<br />

die schulisch übliche Textbehandlung<br />

und Didaktisierung von Texten für eine<br />

grundständige Lesemotivation eher<br />

abträglich ist …<br />

Ziele<br />

■ Die Kinder lesen Kinderbücher, die<br />

sie nach eigenem Interesse ausgewählt<br />

haben. Sie lesen selbstvergessen und<br />

genussvoll, auch ohne weitere Didaktisierung<br />

des Leseertrages.<br />

■ Sie finden in Texten gezielt Informationen.<br />

■ Sie denken über Texte nach, nehmen<br />

zu Gedanken, Handlungen, Personen<br />

Stellung; sie entwickeln innere<br />

Vorstellungsbilder.<br />

■ Sie nutzen verschiedene Medien,<br />

gewinnen daraus Anreize zum Schreiben,<br />

zum Lesen, zum Gestalten eigener<br />

Medienbeiträge.<br />

■ Sie praktizieren Methoden:<br />

– Sie äußern Vermutungen über den<br />

weiteren Fortgang,<br />

– sie finden durch überfliegendes Lesen<br />

eine gesuchte Textstelle,<br />

– sie belegen eigene Aussagen mit<br />

Textstellen.<br />

Lernbedingungen<br />

Die Ziele sind nur erreichbar, wenn der<br />

Unterricht folgende Lernbedingungen<br />

schafft:<br />

Der Unterricht vermittelt an die<br />

Kinder persönlich bedeutsame Begründungen<br />

zum Schreiben und zum<br />

Lesen … Dazu ist die Entwicklung einer<br />

Schreib-Lese-Kultur in der Klasse mit<br />

vielfältigen Schreib- und Leseanregungen<br />

auf unterschiedlichem Niveau<br />

erforderlich.<br />

Bandbreiten der Entwicklung<br />

Bezogen auf das Lesen unterscheiden<br />

sich die Kinder erheblich in ihrer Leseerfahrung,<br />

ihrer Lesekompetenz und ihren<br />

Lesevorlieben. Am Ende der Klasse<br />

4 ergibt sich eine Bandbreite in der Lesekompetenz<br />

der Kinder. Es sind Vielleser<br />

und Wenigleser in einer Klasse. Das<br />

ist zu akzeptieren. Aber alle Kinder<br />

verfügen über eine Verstehensfähigkeit,<br />

die sich allerdings beim Verstehen<br />

von unterschiedlich komplexen Texten<br />

bezogen auf deren Inhalt, Satzbau und<br />

Sprachmuster unterscheiden kann.<br />

Wir sind der Auffassung, dass dem<br />

Grundschulverband jede Form des<br />

Dogmatismus fremd sein sollte. Wir<br />

wollen vielmehr bei strittigen Themen<br />

durch unterschiedliche Meinungen zu<br />

professioneller Meinungsbildung der<br />

Mitglieder beitragen, Kontroversen benennen<br />

und klären sowie Gemeinsamkeiten<br />

fördern.<br />

Anmerkung<br />

Der vollständige Text mit Leitkonzept und tragfähigen<br />

Grundlagen zu allen Fächern wurde erstmals in Heft 81<br />

veröffentlicht. Er findet sich wieder in Heft 2 der<br />

folgenden Veröffentlichung: Horst Bartnitzky, Hans<br />

Brügelmann, Ulrich Hecker, Gudrun Schönknecht<br />

(Hg.): Pädagogische Leistungskultur: Materialien<br />

Klasse 1 und 2. Frankfurt a.M.: Grundschulverband 2005<br />

(Band 119 der Reihe: Beiträge zur Reform der <strong>Grundschule</strong>)<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />

9


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

ABC DEFGHIJKLMN<br />

… wie Kern-Curriculum<br />

Worauf haben alle Kinder der <strong>Grundschule</strong> einen Bildungsanspruch?<br />

Horst Bartnitzky hatte im Jahr 2001 dazu ein<br />

»Plädoyer für ein Kerncurriculum« gehalten und in dieser Zeitschrift<br />

veröffentlicht. Das Plädoyer löste eine heftige Debatte<br />

mit Für und Wider aus, die in mehreren Heften der Zeitschrift<br />

dokumentiert wurde. Auf diesen beiden Seiten sind einige in<br />

Auszügen zusammengestellt. Am Ende führte die Debatte<br />

übrigens zur Erarbeitung der »Bildungsansprüche von Grundschulkindern«,<br />

siehe beim Buchstaben B.<br />

Plädoyer für ein<br />

Kerncurriculum<br />

für die <strong>Grundschule</strong><br />

von Horst Bartnitzky<br />

Heft 74 (2001), S. 3<br />

Nehmen wir das Beispiel einer Stadt<br />

im Ruhrgebiet. In einigen nördlichen<br />

Stadtteilen kommen viele Kinder in die<br />

Schule, die kaum die deutsche Sprache<br />

verstehen oder sprechen können. Aber<br />

auch die anderen Kinder mit Migrationshintergrund<br />

und die deutschen<br />

Kinder an diesen Schulen haben vielfältige<br />

Sprach- und Lernprobleme – Spiegelbild<br />

von Stadtteilen in besonderen<br />

sozialen Brennpunktgebieten, oft verbunden<br />

mit Enklaven, in denen sich<br />

eine bestimmte ethnisch bestimmte<br />

Infrastruktur entwickelt hat. In derselben<br />

Ruhrgebietsstadt gehen in <strong>Grundschule</strong>n<br />

der südlichen Stadtteile viele<br />

Kinder aus Elternhäusern der oberen<br />

Mittelschicht. Die Kinder kommen mit<br />

elaborierten Sprachfähigkeiten in die<br />

Schule, sie können bereits vieles und<br />

lernen anderes leicht und locker. 90 %<br />

und mehr der Kinder gehen hier nach<br />

der <strong>Grundschule</strong> jährlich aufs Gymnasium.<br />

Offenkundig sind die Eingangsvoraussetzungen<br />

und die Möglichkeiten<br />

der weiteren Entwicklungsförderung<br />

für die Kinder im Norden und im Süden<br />

extrem unterschiedlich. Offenkundig<br />

brauchen die Kinder unterschiedliche<br />

Lernförderung. Und offenkundig sind<br />

die Unterschiede auch am Ende der<br />

vierjährigen <strong>Grundschule</strong> nicht ausgeglichen.<br />

Im Gegenteil: Vieles deutet<br />

darauf hin, dass die Schere der Entwicklung,<br />

die schon beim Schulanfang<br />

auseinander strebt, sich am Ende der<br />

Klasse vier noch weiter geöffnet hat.<br />

Kann es dann für <strong>Grundschule</strong>n<br />

überhaupt ein gemeinsames Curriculum<br />

geben? Einen harten Kern des<br />

Wissens, der Fertigkeiten und Fähigkeiten,<br />

auf den alle Kinder einen Bildungsanspruch<br />

haben? Den alle Kinder<br />

am Ende der Grundschulzeit als tragfähige<br />

Grundlage für weiteres Lernen<br />

besitzen können und besitzen müssen<br />

– gleich ob sie im Norden oder Süden<br />

dieser Ruhrgebietsstadt wohnen oder<br />

irgendwo anders zwischen Flensburg<br />

und Berchtesgaden, zwischen Aachen<br />

und Cottbus?<br />

Ja, ich glaube, dass dies möglich<br />

ist, und dringlicher: dass einen solchen<br />

Kern festzulegen unabdingbare<br />

Voraussetzung für die Förderung der<br />

einen wie der anderen Kinder ist, wenn<br />

Cartoon von<br />

Mario Urlaß<br />

nur alle Verantwortlichen diesen Kern<br />

als Bildungsanspruch aller Kinder in<br />

der <strong>Grundschule</strong> ernst nehmen – die<br />

Schulen und ihre Lehrerinnen und Lehrer,<br />

die Schulaufsicht und Schulverwaltung,<br />

die Schul- und Finanzpolitik …<br />

Die Probleme wiegen<br />

schwerer als der<br />

vermutete Nutzen<br />

von Hans Brügelmann,<br />

Heft 74 (2001), S. 10<br />

Um der Nachprüfbarkeit willen müssten<br />

Vorgaben an leicht feststellbaren<br />

Merkmalen des Unterrichts bzw. der<br />

Leistungen von SchülerInnen festgemacht<br />

werden. Dies erleichtert einerseits<br />

eine oberflächliche Anpassung,<br />

erspart andererseits eine Auseinandersetzung<br />

mit der Idee »dahinter« …<br />

Die Idee verbindlicher Niveaus wird<br />

zusätzlich bei vielen eine mechani-<br />

10 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

OPORSTUVWXYZ<br />

stische Vorstellung von Pädagogik befördern,<br />

als gäbe es direkte Kausalbeziehungen<br />

zwischen Maßnahmen und<br />

Wirkungen, als lasse sich Lernen «machen«.<br />

Meine größte Sorge ist insofern,<br />

dass ein KC und sein »Drumrum» das<br />

verbreitete Missverständnis weiter fördern,<br />

Unterricht sei ein Mittel-Zweck-<br />

Zusammenhang, der sich technisch<br />

optimieren lasse.<br />

Faktische Grundschul-<br />

Verbesserung ist dringlich<br />

von Hermann Schwarz,<br />

Heft 74 (2001), S. 11<br />

Nicht flächendeckende pädagogisch<br />

kontraproduktive Einengungen Lernender<br />

und Lehrender durch Kerncurricula<br />

braucht die <strong>Grundschule</strong>,<br />

sondern faktische Verbesserungen.<br />

Dazu gehören verbesserte Annäherungsmöglichkeiten<br />

an die Ziele<br />

grundlegender Bildung durch Weiterentwicklung<br />

der Gestaltungs- und<br />

Aneignungsprinzipien im Unterricht,<br />

weiterentwickeltes Leistungsverständnis<br />

und Differenzierungskonzept, Entwicklungsarbeit<br />

unmittelbar an den<br />

Lern- und Lehrprozessen sowie eine<br />

grundlegende Verbesserung der Personalressourcen.<br />

Lernchancen für<br />

Kinder bereitstellen<br />

von Jörg Ramseger,<br />

Heft 74 (2001), S. 17<br />

Der Traum von einer standardisierten<br />

Bildung ist schön, aber wenn man irgendwo<br />

ins Detail geht, wird es fast<br />

immer absurd. Die eigentliche professionelle<br />

Kunst des Lehrers oder der Lehrerin,<br />

der eigentliche Zweck, wofür wir<br />

überhaupt Lehrer brauchen, besteht<br />

meines Erachtens weiterhin vorrangig<br />

in ihrer pädagogisch-didaktischen<br />

Übersetzungsleistung: Sie müssen<br />

– immer wieder neu! – die allgemeinen<br />

Bildungsziele, die der Staat zu Recht<br />

vorgibt, im Hinblick auf die konkreten<br />

Kinder, mit denen sie es jeweils zu tun<br />

haben, interpretieren und aufgrund<br />

einer solchen Interpretationsleistung<br />

dann jene konkreten Lernangebote<br />

entwerfen und Lernchancen eröffnen,<br />

die ihren je spezifischen Schülerinnen<br />

und Schülern gerade dienlich sind.<br />

Jeder Versuch, diese Interpretationsleistungen<br />

durch Standardisierung in<br />

einem Kerncurriculum überflüssig zu<br />

machen, wird vermutlich an der Realität<br />

der Kinder scheitern.<br />

Für schulinterne Curricula<br />

von Barbara Wegner für die<br />

Landesgruppe Brandenburg,<br />

Heft 75 (2001), S. 13<br />

… könnte die Festlegung eines Kerncurriculums<br />

ein Schritt zurück zu geschlossenen<br />

Curricula sein. … Heterogenität<br />

in der Schülerschaft, regionale<br />

Besonderheiten usw. würden dann eher<br />

verwischt, als besonders beachtet …<br />

Das alles darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen,<br />

dass es notwendig ist,<br />

die Qualität der Arbeit in der <strong>Grundschule</strong><br />

weiter zu erhöhen. Ausgehend<br />

von den allgemeinen Richtlinien<br />

könnten hier schulinterne Curricula,<br />

die den Besonderheiten der Schule<br />

Rechnung tragen, ein wichtiger Schritt<br />

sein. Eine Fixierung von Basis und Erweiterungswissen,<br />

das jeweils den<br />

spezifischen Anforderungen innerhalb<br />

einer Klasse bzw. noch individualisierter:<br />

einzelner Kinder angepasst werden<br />

kann, ist denkbar.<br />

Ein Schritt zur Kulturhoheit<br />

der Bundesrepublik<br />

von der Landesgruppe<br />

Niedersachsen, Heft 75 (2001), S. 12<br />

Der Sinn einer Beschäftigung mit<br />

einem Kerncurriculum besteht für uns<br />

darin, ein Kerncurriculum im Sinn eines<br />

neuen »Strukturplans« (1970) zu entwerfen,<br />

der Öffentlichkeit vorzustellen<br />

und die Bundesländer zur Realisierung<br />

aufzufordern. Ein Strukturplan bzw.<br />

ein Kerncurriculum, das für alle Bundesländer<br />

gelten würde, wäre ein erster<br />

Schritt der Annäherung der Kulturhoheit<br />

der Länder an eine Kulturhoheit<br />

der Bundesrepublik.<br />

Länderübergreifende<br />

Entwicklung<br />

von Bernd Küster, Kultusministerium<br />

Sachsen-Anhalt, Heft 75 (2001), S. 15<br />

In einem Kerncurriculum für die <strong>Grundschule</strong>n<br />

sehe ich auch eine Chance,<br />

länderübergreifende Entwicklungslinien<br />

für den Unterricht zu beschreiben,<br />

die Säulen der Weiterentwicklung der<br />

Rahmenrichtlinien werden können.<br />

Aus dieser Sicht scheint es mir sinnvoll,<br />

dass die Entwicklung eines Kerncurriculums<br />

durch ein länderübergreifendes<br />

Expertengremium geleitet wird.<br />

Aus einer solchen Gruppe können Einzelaufträge<br />

hervorgehen. Bei deren<br />

Erledigung können wissenschaftliche<br />

und schulpraktische Erfahrungen zusammengeführt<br />

werden.<br />

Was wir Kindern<br />

schuldig sind<br />

von Heide Bambach,<br />

Heft 75 (2001), S. 12<br />

Wenn es stimmt, dass Lernen und Bildung<br />

eigenaktive Prozesse sind, die auf<br />

einem Gefüge von Bedingungen und<br />

Einflüssen wurzeln, dessen Komplexität<br />

wir vermutlich nie gänzlich durchschauen<br />

können, dann lässt sich nicht<br />

»festlegen«, was bei den Kindern als<br />

Ergebnis unserer Bemühungen herauskommen<br />

muss. Festlegen können wir<br />

nur die Qualität unserer Bemühungen:<br />

Wir können die Arbeitsfelder vereinbaren,<br />

in denen wir nach den für die<br />

jeweiligen Kinder passenden Entwicklungsaufgaben<br />

suchen; wir können die<br />

Bereiche ausfindig machen, in denen<br />

wir ihnen Bildungserfahrungen ermöglichen<br />

müssen. Und wir können didaktische<br />

und pädagogische Standards<br />

vereinbaren und sie uns zu eigen machen.<br />

Darin sehe ich den einzig wirksamen<br />

Weg zur »Qualität von Schule«.<br />

Nicht »was die Kinder gelernt haben<br />

müssen, damit sie …« sollten wir festlegen<br />

wollen, sondern »was wir den<br />

Kindern an Entwicklungsaufgaben und<br />

Bildungserfahrungen schuldig sind<br />

oder bieten wollen, damit sie …« sollten<br />

wir klären.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />

11


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

ABCD EFGHIJKLMN<br />

… wie Demokratie<br />

Oft wird Schule lediglich als Vorbereitung auf die Zukunft gesehen. Kinder aber haben, wie<br />

Janusz Korczak bemerkte, ein »Recht auf den heutigen Tag«. Schon die UN-Kinderrechtskonvention<br />

(1989) verlangt, die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen bereits heute zu<br />

achten. »Wer an Schulen nur fachliches Wissen bzw. Können betrachtet und punktuell<br />

abtestet, dem schrumpft der Blick auf Pädagogik leicht zu PISA«, kritisiert der Erziehungswissenschaftler<br />

Hans Brügelmann, »aber zu einer guten Schule gehört viel mehr. Viele<br />

schauen nur auf fachliche Leistungen, dazu noch beschränkt auf wenige ausgewählte<br />

Bereiche. Durch die Testbrille ist kaum zu erfassen, was Schulen zur Persönlichkeitsentwicklung<br />

und zur Förderung demokratischer Haltungen beitragen.«<br />

Die <strong>Grundschule</strong> als demokratischen Lebens- und Lernort zu gestalten, war stets ein<br />

zentrales Anliegen des Grundschulverbandes. Im Jahr 2002 z. B. wurden bei einem großen<br />

»Grundschulforum« in Berlin Preise für beispielhafte Initiativen verliehen.<br />

Grußwort zum<br />

Grundschulforum 2002<br />

von Wolfgang Thierse,<br />

Präsident des Deutschen Bundestages,<br />

am 20. / 21. 9. 2002 in Berlin,<br />

Heft 80 (2002), S. 4<br />

Demokratie ist nicht von selbst »da«,<br />

sondern muss gelernt – und gelehrt<br />

werden. Gerade die <strong>Grundschule</strong> ist ein<br />

idealer Ort, um Fähigkeiten für demokratisches<br />

Handeln zu entwickeln, um<br />

Kompetenzen zu vermitteln, die Menschen<br />

in einer demokratisch verfassten<br />

Gemeinschaft brauchen.<br />

Nach PISA sehe ich in der Schulpolitik<br />

eine Tendenz, Faktenvermittlung<br />

und Leistungssteigerung einseitig in<br />

den Vordergrund zu rücken. Um kein<br />

Missverständnis aufkommen zu lassen:<br />

Ich bin sehr für Leistung – auch in<br />

der Schule.<br />

Aber es ist doch die Frage, in welcher<br />

Form eine Gesellschaft auf Leistung<br />

setzt. Wollen wir eine Gesellschaft mit<br />

Ellbogenmentalität? Oder wollen wir<br />

eine Gesellschaft, die auf sozialen Ausgleich<br />

setzt, auf Bildungsbeteiligung<br />

für alle, auf Chancengerechtigkeit und<br />

Solidarität? Das ist die Frage, bei der jeder<br />

bildungspolitisch Farbe bekennen<br />

muss! (…)<br />

In der Schule, gerade auch in der<br />

<strong>Grundschule</strong>, muss es Zeiten und Orte<br />

geben, die dem Demokratielernen und<br />

der Werteerziehung vorbehalten sind.<br />

Verlieren wir also – trotz PISA – nicht<br />

eine der wichtigsten Aufgaben der<br />

Schule aus dem Auge: Die Aufgabe umfassender<br />

Persönlichkeitsbildung!<br />

Ich weiß, dass sich der Grundschulverband<br />

diesem Ziel mit großem Engagement<br />

widmet. Dafür danke ich dem<br />

Verband herzlich und wünsche ihm<br />

weiterhin viel Erfolg.<br />

Eine schlechte und<br />

eine gute Nachricht<br />

von Horst Bartnitzky,<br />

Heft 80 (2002), S. 2<br />

Dass deutsche Jugendliche im Lesen,<br />

in Mathematik und in den Naturwissenschaften<br />

im internationalen Schulvergleich<br />

nicht gut dastehen, ist seit<br />

TIMSS und PISA allgemein bekannt.<br />

Kaum bekannt ist, dass das Gleiche<br />

auch für die Bereitschaft zum<br />

politischen Handeln zutrifft. An den<br />

Untersuchungen in 28 Ländern im<br />

Jahre 1999 nahmen auch 4 500 Jugendliche<br />

(14– und 15-Jährige) aus Deutschland<br />

teil. Dass diese Ergebnisse nicht<br />

bekannt und öffentlich diskutiert<br />

wurden, ist so beschämend wie die<br />

Ergebnisse selbst. So weit die schlechte<br />

Nachricht.<br />

Die gute Nachricht: An <strong>Grundschule</strong>n<br />

gibt es bemerkenswerte Beispiele<br />

dafür, wie schon die jüngeren Schulkinder<br />

demokratisches Handeln lernen<br />

können.<br />

Unterstützt wurde das Grundschulforum<br />

von der Aktion Humane Schule,<br />

dem Bundeselternrat, dem Deutschen<br />

Kinderhilfswerk, der National Coalition,<br />

der Stiftung <strong>Grundschule</strong> sowie<br />

von der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung.<br />

Bundestagspräsident Wolfgang<br />

Thierse unterstrich als Schirmherr die<br />

Bedeutung des Forums für die politische<br />

Bildung an <strong>Grundschule</strong>n.<br />

Der Grundschulverband will mit<br />

dem Grundschulforum und der Preisverleihung<br />

Signale für eine breitere<br />

Bildungsdebatte geben:<br />

■ Bildung ist mehr als die PISA-Inhalte;<br />

Bildung in der <strong>Grundschule</strong> ist<br />

mehr als Lesen, Schreiben, Rechnen<br />

und eine Fremdsprache lernen. Die<br />

Demokratie ist auf demokratiefähige<br />

Bürgerinnen und Bürger angewiesen.<br />

Deshalb gehört »Demokratie lernen«<br />

zur Bildung auf allen Schulstufen, auch<br />

in der <strong>Grundschule</strong>.<br />

■ Mit dem Praxispreis verweist der<br />

Grund schulverband auf bemerkenswer<br />

te Beispiele in <strong>Grundschule</strong>n. Beteiligung<br />

an der Unterrichtsplanung, Klas -<br />

senrat, Streitschlichtung, Zukunftswerkstatt<br />

– dies sind nur einige wenige<br />

Beispiele dafür, wie Kinder ihre Belange<br />

in die eigenen Hände nehmen können.<br />

■ Mit dem Politik- und dem Forschungspreis<br />

verweist der Grundschulverband<br />

auf notwendige Unterstützungen:<br />

– durch die Politik, die dem weiten<br />

Bildungsanspruch von Kindern gerecht<br />

werden muss und ihn nicht auf Grundfertigkeiten<br />

verkürzen darf,<br />

– durch die Wissenschaft, die die Weiterentwicklung<br />

der Schulpraxis förderlich<br />

begleiten muss.<br />

Meine Hoffnung ist, dass der Grundschulverband<br />

damit das Bewusstsein<br />

für drei Botschaften schärfen kann:<br />

1. Bei allen trüben Nachrichten aus der<br />

Schulszene: Die <strong>Grundschule</strong> beweist<br />

sich einmal mehr als die erfolgreiche<br />

Reformschule im Bildungssystem.<br />

2. Grundschulkinder können in der<br />

<strong>Grundschule</strong> mehr lernen als Lesen,<br />

Schreiben, Rechnen und eine Fremdsprache.<br />

Und sie haben ein Bildungsrecht<br />

darauf, mehr zu lernen.<br />

12 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

OPORSTUVWXYZ<br />

3. Das deutsche Schulsystem versagt<br />

durch seine Fehlkonstruktion den<br />

Kindern und Jugendlichen die Bildungserfahrungen,<br />

die Kinder und Jugendliche<br />

in anderen Ländern gewinnen<br />

können. Deshalb muss die Schulstruktur-Debatte<br />

auf die politische Tagesordnung.<br />

»Demokratie muss gelernt werden,<br />

um gelebt werden zu können,<br />

und sie muss gelebt werden,<br />

um gelernt werden zu können.«<br />

(Gerhard Himmelmann)<br />

Am 19. 9. 2007 verlieh die Universität Siegen<br />

Horst Bartnitzky die Ehrendoktorwürde<br />

(siehe S. 54). Zu diesem Anlass und<br />

im Rahmen des Internationalen Symposions<br />

»Demokratische Grund schule:<br />

Mitbestimmung von Kindern über ihr<br />

Leben und Lernen« hielt Horst Bartnitzky<br />

einen Vortrag zu diesem Thema.<br />

Wir veröffentlichen das Fazit seiner Überlegungen:<br />

»<strong>Grundschule</strong> in<br />

Deutsch land – ein<br />

Demokratie-Modell?«<br />

von Horst Bartnitzky<br />

Die deutsche <strong>Grundschule</strong> könnte ein<br />

Demokratie-Modell sein, weil viele Ansätze<br />

dazu im Konzept vorhanden und<br />

in der Praxis entwickelt und erprobt<br />

sind.<br />

Sie kann aber ein Demokratie-Modell<br />

nicht sein. Denn sie ist geprägt<br />

vom Ausleseauftrag für ein nachfolgendes<br />

ständisches Schulsystem und<br />

sie ist geprägt vom fachlichen Lernen<br />

für eine spätere Zukunft. Damit behindert<br />

sie sinnerfülltes, selbstverantwortetes<br />

und mitbestimmendes Lernen in<br />

der Gegenwart der Kinder und für ihre<br />

Gegenwart.<br />

Derzeit wird gern als Killerargument<br />

bei der Debatte um die Schulstruktur<br />

eingewendet: »Ja, aber allein<br />

die längere Grundschulzeit ändert<br />

doch nichts, allein der Ganztag …,<br />

allein xy …« »Nicht einzelne Faktoren«,<br />

so schreibt Hans Brügelmann auch<br />

angesichts vieler empirischer Befunde,<br />

»sondern das Zusammenspiel und ihre<br />

oft schwierige Balance machen eine<br />

gute Schule aus.« Und er verweist darauf,<br />

dass es auf den Geist, das Ethos<br />

einer Schule ankomme, von dem aus<br />

alles andere mitbestimmt werde. Was<br />

für die einzelne Schule gilt, gilt ebenso<br />

für das Schulsystem: Meinen wir mit<br />

Mündigkeit, dass wir auch dem Grundschulkind<br />

Mündigkeit zutrauen, dass<br />

wir ihm selbst-, sach- und sozialkompetentes<br />

Handeln ermöglichen und seine<br />

Kompetenzen hierin weiterentwickeln<br />

und stärken müssen; meinen wir, dass<br />

die Demokratie als Lebensform auch<br />

in der <strong>Grundschule</strong> gelebt und mit den<br />

Kindern gestaltet werden muss, dann<br />

hat dies Folgen auch für die Struktur<br />

der Schule.<br />

So herum wird ein Schuh daraus.<br />

Nicht die Abschaffung des Sitzenbleibens<br />

ist die notwendige Reform,<br />

sondern das zu Grunde liegende Menschenbild,<br />

die darauf fußende Pädagogik,<br />

der dann die Änderungen der Rahmenbedingungen<br />

folgen, zwingender:<br />

folgen müssen, unter anderem der<br />

Verzicht auf selektive Maßnahmen wie<br />

das Sitzenbleiben, weil sie kontraproduktiv<br />

sind.<br />

Die mageren Ergebnisse zur Lesekompetenz<br />

der deutschen Schüler bei<br />

der PISA-Studie haben viele Aktivitäten<br />

zur Leseförderung hervorgebracht: von<br />

der Politik, von Institutionen wie der<br />

Stiftung Lesen, von Medien wie dem<br />

Fernsehen oder der Wochenzeitschrift<br />

DIE ZEIT, von Privatpersonen wie der<br />

Lesepaten-Bewegung, von Fortbildungsmaßnahmen<br />

und Verlagen.<br />

Diese Wucht und Vielzahl von Unterstützern<br />

brauchte die Demokratie-<br />

Pädagogik, denn die Demokratie-Kompetenzen<br />

sind ebenso deprimierend<br />

wie die der Lesekompetenz.<br />

Öffentlichkeitswirksam wird das<br />

Thema hoffentlich, wenn realisiert<br />

wird, was die OECD plant: dass nämlich<br />

in zukünftigen PISA-Studien auch<br />

demokratie-bestimmte Kompetenzen<br />

überprüft werden. Allerdings wird<br />

dann zu fragen sein, ob die PISA-Tests<br />

auch das erfassen, was ich hier als wesentlich<br />

für eine demokratische <strong>Grundschule</strong><br />

beschrieben habe.<br />

Der gesamte Vortragstext findet sich im Internet unter http://www.grundschulverband.de/<br />

fileadmin/grundschulverband/Download/<strong>aktuell</strong>/DemokratieRedeH.B.pdf<br />

Cartoon:<br />

Mario Urlaß<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />

13


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

ABCDE FGHIJKLMN<br />

… wie Eltern<br />

Viele Eltern, das zeigen immer wieder auch empirische Untersuchungen, loben die Arbeit der<br />

<strong>Grundschule</strong>. Und viele Eltern engagieren sich aktiv in Schulgremien und Fördervereinen,<br />

bei Klassenfahrten und Schulfesten, bei der Gestaltung des Schulgebäudes und bei anderen<br />

Gelegenheiten. »Dies ist ein Pfund«, heißt es im Editorial zu Heft 60, »mit dem wir in der<br />

<strong>Grundschule</strong> wohl noch mehr und selbstbewusster wuchern müssten: die Eltern als Bundesgenossen<br />

für eine kindgerechtere <strong>Grundschule</strong>.«<br />

»… kommen wir nun,<br />

liebe Eltern,<br />

zum gemeinsamen<br />

Vorhaben im kommenden<br />

Schuljahr«<br />

Mit Eltern die <strong>Grundschule</strong><br />

kindgerecht entwickeln<br />

aus Heft 67 (1999), S. 3 ff.<br />

Der Grundschulverband unterstützt<br />

Bemühungen der Zusammenarbeit von<br />

Eltern und Schulen. Damit wollen wir<br />

zugleich ein Signal für Entwicklungen<br />

im Grundschulschulbereich setzen –<br />

für Schulentwicklungen, die durch die<br />

Beteiligten selber vorangebracht werden:<br />

durch die Lehrkräfte und Schulleitungen,<br />

die Eltern und die Kinder.<br />

Im Mai 1998 trafen sich Eltern,<br />

Lehrkräfte, Schulleitungen von 14<br />

<strong>Grundschule</strong>n mit der Projektgruppe<br />

»Innovative <strong>Grundschule</strong>« des<br />

Grundschulverbandes. Ansätze und<br />

Konzepte, Erfahrungen und Wunschvorstellungen,<br />

Stolpersteine und Gelungenes<br />

kamen zur Sprache. Dabei<br />

wurde auch deutlich, dass die Möglichkeiten<br />

für Zusammenarbeit mit Eltern<br />

vielfältig sind. Wir fanden vier Schwerpunkte:<br />

Die Schule öffnen<br />

(…) Ein Beispiel:<br />

»Wir praktizieren seit 10 Jahren Gemeinsamen<br />

Unterricht. Wegen der unterschiedlichen<br />

Lernvoraussetzungen der<br />

Kinder waren wir als Kollegium bereit,<br />

uns auf neue Formen des Unterrichts einzulassen.<br />

Unter der Prämisse ›vom Kinde<br />

aus‹ entstand eine veränderte Einstellung<br />

zur Lehrer-Schüler-Rolle. Das Kind wurde<br />

in der Wahl der Unterrichtsinhalte mit<br />

einbezogen. Es sollte seinen Weg des Lernens<br />

mitbestimmen dürfen. Die Kinder<br />

teilten ihre Interessen mit, stellten ihre<br />

persönlichen Fragen zum Unterrichtsgegenstand,<br />

worüber sie gerne etwas im<br />

Unterricht erfahren wollten. Ferner beobachten<br />

wir die Kinder im Unterricht sehr<br />

genau und konnten so Rückschlüsse auf<br />

ihre Interessen und Neigungen ziehen.<br />

Um ihrer Unterschiedlichkeit und Individualität<br />

gerecht zu werden, boten wir<br />

offene Unterrichtsformen an, wie sie<br />

in der Literatur hinreichend beschrieben<br />

sind. So gehören Wochenplan und<br />

Freiarbeit, Stationenlernen und Werkstattunterricht<br />

zum täglichen Bild von<br />

Unterricht. Diese andere Form des Unterrichtens<br />

stellte hohe Anforderungen<br />

an die Arbeitskraft, die Fachkompetenz<br />

und den Zeitaufwand jedes Einzelnen.<br />

Schon bald entdeckten wir, wie hilfreich<br />

die Einbeziehung der Eltern in den Unterricht,<br />

die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen<br />

und Kollegen und die Nutzung<br />

außerschulischer Lernorte und Institutionen<br />

ist. So schenkten beispielweise Lesemütter<br />

unseren Kindern stets ein offenes<br />

Ohr, Väter lehrten unsere Kinder den Umgang<br />

mit dem Computer oder führten sie<br />

in die Kunst des ›Rappens‹ ein. Es entstand<br />

ein Schulchor, der bei der Aufnahme einer<br />

Live-CD einer bekannten Mundartgruppe<br />

mitwirkte. ›Fachleute‹ für Gartengestaltung<br />

planten gemeinsam mit Kindern<br />

und Lehrkräften einen Schulgarten.<br />

Mütter gestalteten mit ›Ehemaligen‹, die<br />

mittlerweile eine weiterführende Schule<br />

besuchten, ›lebendige‹ Tunnel und ein<br />

Wigwam aus Kopfweidenstecklingen.<br />

Eine Oma brachte den Schülerinnen und<br />

Schülern Aquarellmalerei bei. Es bildete<br />

sich ein Expertenteam zum Thema Wald,<br />

das für die Schüler und Schülerinnen der<br />

3. Klassen ein Quiz entwickelte mit Fragen<br />

zu Bäumen, Sträuchern, Tieren und<br />

Früchten des Waldes.«<br />

Im Unterricht<br />

miteinander arbeiten<br />

»Durch die Mitarbeit der Eltern haben<br />

sich Unterricht, die Lehrer selbst sowie<br />

die ganze Schule nachhaltig verändert.<br />

Die anfängliche Unsicherheit auf beiden<br />

Seiten, auch Misstrauen und Angst waren<br />

sehr schnell gewichen, und es stellten<br />

sich gegenseitiges Verständnis, Vertrauen<br />

und respektvolle Anerkennung ein.<br />

Man geht heute offener miteinander um,<br />

ist kritikfähiger geworden und ist beiderseits<br />

stolz auf die Schule, die Kinder in<br />

besonderer und vielfältiger Weise fördert<br />

und fordert.«<br />

Diese Darstellung einer Schule fasst<br />

treffend zusammen, was Zielsetzung<br />

beim Miteinander im Unterricht sein<br />

sollte. Dabei gilt: »Eltern in die Schulen<br />

holen heißt aber nicht, sie zur Arbeitserleichterung<br />

der Lehrer zu holen.<br />

Sondern es heißt: Verbindung zu ihnen<br />

finden, sie Schule als (auch) ihre Sache<br />

begreifen zu lassen, mit ihnen gemeinsam<br />

für die Kinder zu arbeiten«<br />

(Sennlaub, G.: Für und Wider Elternaussperrung<br />

in der <strong>Grundschule</strong>? in:<br />

Die <strong>Grundschule</strong> 7/1976, S. 392).<br />

Miteinander Erziehungs -<br />

konzepte entwickeln<br />

In allen Bundesländern regeln Gesetze<br />

und Verordnungen die Beteiligung der<br />

Eltern an schulischer Arbeit. Ihnen liegt<br />

der gemeinsame Erziehungsauftrag von<br />

Elternhaus und Schule zu Grunde. Doch<br />

wie sieht es mit der Umsetzung aus?<br />

14 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

OPORSTUVWXYZ<br />

■ Welche Auslöser, welche Anlässe<br />

gibt es, um erzieherische Fragen zum<br />

gemeinsamen Thema zu machen?<br />

■ Wie können Gespräche hierüber<br />

auch in gemeinsames, zumindest in<br />

miteinander abgestimmtes Handeln<br />

münden?<br />

■ Wie kann die Schule ihr erzieherisches<br />

Konzept verständlich machen?<br />

■ Wie können Lehrerinnen und Lehrer<br />

lernen, mit Eltern akzeptierend umzugehen?<br />

Bei der Fachtagung zeigte sich, dass<br />

jede Schule ihren eigenen Weg gefunden<br />

hatte.<br />

Ein Beispiel:<br />

»In der Projektgruppe entwickelten wir<br />

mit Eltern und Erzieherinnen Schwerpunkte<br />

unserer gemeinsamen Arbeit, die<br />

wir in einen umfangreichen Aktionsplan<br />

eingearbeitet haben.<br />

Dazu gehören in den folgenden<br />

Schuljahren konkret Gewaltprävention,<br />

Gesundheitserziehung (z. B. Vollwertkochkurse<br />

für alle Schuljahre),<br />

Selbstverteidigungskurse für Mädchen,<br />

Umwelterziehung (z. B. jährliche Reinigungsaktionen<br />

rund um die Schule), intensive,<br />

kontinuierliche Zusammenarbeit<br />

mit Kinderärzten und außerschulischen<br />

Institutionen. Dies sind unter anderem:<br />

Psychologische Beratungsstelle, Kinderschutzbund,<br />

Frauenbüro der Stadt, Kinderbeauftragte<br />

der Stadt, Naturschutzbehörde,<br />

Umweltamt.<br />

Kontakte zu diesen Institutionen oder<br />

Personen werden von einzelnen Mitgliedern<br />

/ Eltern der Projektgruppe hergestellt.<br />

Eine Vernetzung mit den anderen Projektgruppen<br />

an unserer Schule hat sich<br />

im Laufe der letzten Monate entwickelt.<br />

(…).«<br />

Die Schule gemeinsam entwickeln<br />

Die Mitwirkung der Eltern an der Entwicklung<br />

der Schule ist verfassungsrechtlich<br />

begründet. Gemäß Art. 7 Abs. 1<br />

des Grundgesetzes tritt zur Erziehung<br />

in der Familie der Bildungs- und Erziehungsauftrag<br />

der Schule hinzu. Dabei<br />

beachtet die Schule das in Art. 6 Abs. 2<br />

Grundgesetz niedergelegte Recht und<br />

die Pflicht der Eltern auf Pflege und<br />

Erziehung der Kinder. Elternhaus und<br />

Schule unterstützen sich somit gegenseitig<br />

in ihrem Erziehungs- und<br />

Bildungsauftrag. Schule gemeinsam<br />

entwickeln kann daher nicht heißen,<br />

Aufgaben der Schule auf die Eltern<br />

abzuwälzen und Bedarfslücken durch<br />

Elternmitarbeit zu schließen. Auch die<br />

Verantwortung für Unterricht und Gestaltung<br />

der Schule bleibt bei den Lehrerinnen<br />

und Lehrern, bei der Schule.<br />

Eltern haben ein Recht auf Mitwirkung;<br />

ihre Mitarbeit ist als Elternrecht zur<br />

Unterstützung der Arbeit der Schule<br />

zu verstehen. Art und Weise, wie dieses<br />

Recht wahrgenommen werden kann,<br />

ist abhängig von den Regelungen in<br />

den Bundesländern, der Ausgestaltung<br />

in jeder einzelnen Schule und vor allem<br />

auch von den Überzeugungen, wie<br />

Schule entwickelt werden soll.<br />

Schulprogramm als Chance<br />

Schulentwicklung heute wird vor allem<br />

als Entwicklung der einzelnen Schule<br />

gesehen. Es gehört zu einem wesentlichen<br />

Ergebnis der neueren Schulforschung,<br />

die einzelne Schule als Handlungseinheit<br />

zu betrachten, die der<br />

pädagogischen Gestaltung durch alle,<br />

die in ihr tätig sind, bedarf. Die Schule<br />

wird begriffen als eine sich selbst<br />

gestaltende Individualität, als verantwortliche<br />

Gestalterin ihrer Schulverhältnisse,<br />

Initiatorin von Reformen<br />

und Trägerin der Verantwortung für die<br />

Qualität. Schule gemeinsam zu gestalten<br />

wird so zur Herausforderung und<br />

zum Auftrag jeder einzelnen Schule.<br />

(…) Ein Schulprogramm soll der einzelnen<br />

Schule vor allem helfen, sich<br />

über die Grundlagen des Handelns,<br />

über gemeinsame Aufgaben und ihre<br />

Arbeitsverteilung zu verständigen.<br />

Schule als lernende Organisation plant<br />

selbständig die Qualität ihrer Arbeit,<br />

kontrolliert sie und schreibt sie fort.<br />

Die Kooperation und Zusammenarbeit<br />

aller Betroffenen (Kinder, Lehrkräfte,<br />

Eltern, Schulgemeinde) ist für die<br />

Entwicklung eines Schulprogrammes<br />

erforderlich. Hieraus ergeben sich viel-<br />

fältige Chancen für eine Mitarbeit und<br />

Mitwirkung von Eltern, ihre Schule gemeinsam<br />

zu entwickeln.<br />

Auch Eltern und<br />

Kinder hören!<br />

von Angelika Speck-Hamdan,<br />

Heft 70 (2000), S. 12<br />

In der Diskussion um die Qualität und<br />

damit auch das Ansehen von Schule<br />

werden zwei Gruppen relativ selten gehört:<br />

die Kinder und die Eltern. Dabei<br />

kann Schule ohne Kinder und Eltern gar<br />

nicht existieren. Auch ist eine vernünftige<br />

pädagogische Arbeit ohne ein konstruktives<br />

Zusammenwirken zwischen<br />

Schule und Elternhaus nicht zu leisten.<br />

(…)<br />

Eltern haben eine klare Vorstellung<br />

davon, was Schulen leisten sollen und<br />

was nicht in ihren Kompetenzbereich<br />

fällt. Die Schulen tun gut daran, sich<br />

beim Bemühen um Qualitätsentwicklung<br />

auch auf die Sicht der Eltern einzulassen.<br />

Es mag sein, dass einige Punkte<br />

erst einmal offen legen, dass und wo<br />

Diskussionsbedarf besteht. Doch genau<br />

damit fängt die Partnerschaft zwischen<br />

Eltern und Lehrer/innen an. (…)<br />

Bleibt zu wünschen, dass auch die<br />

Kinder und ihre Erwartungen künftig<br />

systematischer und gründlicher erfragt<br />

werden.<br />

Cartoons:<br />

Mario Urlaß<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />

15


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

ABCDEF GHIJKLMN<br />

… wie Fördern und Forschung<br />

Welches Förder-Verständnis brauchen wir und was heißt »fördern« in der schulischen Alltagspraxis<br />

genau? Ist Fördern eine Sondermaßnahme für Kinder mit Lerndefiziten oder meint<br />

»individuelle Förderung« nichts anderes als differenzierte Hilfen bei der Entwicklung jedes<br />

Kindes? Dies sind nach wie vor <strong>aktuell</strong>e Fragen, die sich aus der zunehmenden Heterogenität<br />

in Grundschulklassen ergeben haben, und die auch zentrale Fragen von Grundschulforschung<br />

sind. »Schulpraxis, Bildungspolitik und Forschung – das sind die drei Arbeitsschwerpunkte des<br />

Grundschulverbandes. Erst die Trias aus Praxis, Forschung und Politik gewährleistet in ihrer<br />

Verbindung miteinander die Stärkung und Weiterentwicklung der <strong>Grundschule</strong>«, heißt es im<br />

Editorial zu Heft 63 (1998).<br />

Was heißt: Fördern?<br />

von Karlheinz Burk,<br />

Heft 45 (1994), S. 1 ff.<br />

1. Fördern ist eine der zentralen Aufgaben<br />

der Institution Schule. Aus dem Verfassungsauftrag,<br />

jedes Kind in seinen<br />

Kräften und Fähigkeiten bestmöglich<br />

zu fördern, leitet sich der Rechtsanspruch<br />

auf ein alters- und entwicklungsgerechtes<br />

Bildungsangebot ab.<br />

Jeder Unterricht, jede Schulstufe, jede<br />

Schule ist somit »Förder-Unterricht«,<br />

»Förder-Stufe«, »Förder-Schule« bzw.<br />

hat den Auftrag, es zu werden.<br />

Mit einem solchen weiten Förderbegriff<br />

kann die Reduktion des Förderauftrags<br />

auf Förderunterricht bzw.<br />

auf spezielle Maßnahmen zur Beseitigung<br />

von Lernrückständen aufgebrochen<br />

werden.<br />

2. Angesichts der hohen Heterogenität<br />

einer Schulklasse kann der Anspruch<br />

eines jeden Kindes auf Förderung<br />

seiner Anlagen, Begabungen und Neigungen<br />

nur eingelöst werden, wenn<br />

der Grundsatz der Schule nicht lautet<br />

»Allen das Gleiche«, sondern »Jedem<br />

das Seine«. Mit anderen Worten: In<br />

der schulischen Arbeit ist zu berücksichtigen,<br />

dass Kinder unterschiedlich<br />

lernen, dass sie unterschiedlich viel<br />

lernen, tun und erledigen können, dass<br />

sie das, was sie in der Schule tun, sehr<br />

verschieden erleben und verarbeiten,<br />

dass sie gleiche Ziele zu verschiedenen<br />

Zeitpunkten erreichen, dass die einen<br />

mehr, die anderen weniger der Hilfe<br />

bedürfen.<br />

3. Der Anspruch eines jeden Kindes<br />

auf Förderung wird in der <strong>Grundschule</strong><br />

nicht durch Individualisierungskonzepte<br />

eingelöst, sondern jedes Kind<br />

soll mit anderen Kindern zusammen und<br />

auch durch sie gefordert und gefördert<br />

werden.<br />

Nicht der Einzelunterricht oder das<br />

vom Lehrer für jeden Schüler entwickelte<br />

eigene Lernprogramm bilden<br />

das anzustrebende Ideal, sondern Fördern<br />

in der <strong>Grundschule</strong> beinhaltet immer<br />

auch soziales Lernen, Lernen von<br />

und mit anderen Kindern. Erfolgreiche<br />

Förderung des Kindes ist somit nicht<br />

(allein) ein Ergebnis der optimalen Passung<br />

zwischen Kind und Lernziel bzw.<br />

Lerngegenstand, sondern (auch) Ergebnis<br />

sozialer Interaktion.<br />

Da es Homogenität in einer Gruppe<br />

im Grunde nicht gibt, gilt es, Heterogenität<br />

zu bejahen und als Chance für<br />

einen förderlichen Unterricht zu begreifen.<br />

4. Fördern heißt vor allem auch, Kinder<br />

zu stärken, ihnen Mut zu machen,<br />

ihr Selbstwertgefühl und ihr Selbstvertrauen,<br />

ihre Leistungsfreude und ihren<br />

Leistungswillen zu stärken. Eine auf<br />

Funktionstraining verengte Sichtweise<br />

übersieht die Ganzheitlichkeit des<br />

kindlichen Lernens und die kindliche<br />

Entwicklung, übersieht leicht die Grenze<br />

des schulischen Bemühens und akzeptiert<br />

nicht, den Anspruch des Kindes<br />

auf individuelle Entwicklung sowie<br />

sein Recht, so zu sein wie es ist.<br />

Hieraus folgt, dass die <strong>Grundschule</strong><br />

jedem Kind ausreichende Möglichkeiten<br />

geben muss, Selbstvertrauen zu<br />

gewinnen und Leistungsbereitschaft<br />

zu entwickeln. Dies gelingt nur, wenn<br />

jedes Kind die Chance hat, sich selbst<br />

in den schulischen Alltag einzubringen.<br />

Förderunterricht –<br />

mehr als NachhilIfe<br />

Förderunterricht als schulische Sonderveranstaltung<br />

basiert in vielfacher<br />

Hinsicht auf fragwürdigen Prämissen:<br />

■ Die mit den Programmen kompensatorischer<br />

Erziehung im Vor- und<br />

Grundschulalter verbundene Hoffnung,<br />

gleiche Startchancen oder sogar<br />

reale Gleichheit herstellen zu können,<br />

haben sich nicht erfüllt.<br />

Die prägende Wirkung der Lebensverhältnisse,<br />

der familialen, biographischen<br />

und soziokulturellen Erfahrungen sowie<br />

die anthropogenen Voraussetzungen<br />

sind nicht durch Schule überwindbar.<br />

Homogenität in der Schulklasse – eine<br />

durch die jahrgangsbezogene Einschulung<br />

geförderte gefährliche Illusion<br />

– wird auch nicht bei Ausbau des Förderunterrichts<br />

hergestellt.<br />

■ Förderkinder bleiben meist Förderkinder!<br />

Die mehrjährige besondere<br />

Zuwendung kann zu einer »gelernten<br />

Hilflosigkeit« (Seligmann) führen, da<br />

die Fähigkeiten des Kindes, sich aktiv<br />

mit den Lerninhalten auseinanderzusetzen,<br />

schwindet, und sich die Abhängigkeit<br />

von fremder Hilfe vergrößert .<br />

■ Förderunterricht beachtet häufig zu<br />

wenig, wie Kinder lernen. Wird Lernen<br />

als ein aktiver Aneignungsprozess des<br />

Kindes verstanden, in dem das Kind<br />

eigene Lerninteressen entwickeln,<br />

einbringen und verfolgen sowie seine<br />

Lernprozesse selbst kontrollieren kann<br />

(im Sinne Piagets »Das Kind ist Agent<br />

seiner eigenen Entwicklung«), dann<br />

finden Kinder selbst eigene Lernwege<br />

und Aneignungsformen, sie differenzieren<br />

selbst, wenn sie dazu die Chance<br />

in einem offenen Unterrichtskonzept<br />

erhalten.<br />

■ Förderung durch Aufteilung der Kinder<br />

auf vermeintliche homogene Lerngruppen<br />

kann nur als zeitlich befristete<br />

Maßnahme hilfreich sein. Problematisch<br />

wird sie, wenn Förderunterricht für einige<br />

Kinder zu einer Dauereinrichtung<br />

oder zu einem ei-genen Fach mit eigener<br />

Lehrerin wird und die Schüler gegebenenfalls<br />

noch dadurch von freien<br />

Angeboten der Schule (Arbeitsgemein-<br />

16 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

OPORSTUVWXYZ<br />

schaften, Spielkreise) ausgeschlossen<br />

werden. Dann kann Förderunterricht<br />

demotivieren und schwächen.<br />

Förderunterricht als Sondermaßnahme<br />

muss sich im Kontext des gegenwärtigen<br />

Selbstverständnisses der<br />

<strong>Grundschule</strong> legitimieren.<br />

Forschung für die<br />

<strong>Grundschule</strong><br />

von Angelika Speck-Hamdan,<br />

Heft 59 (1997), S. 2<br />

Die (Grundschul-)Forschung bezieht<br />

ihre Fragestellungen im Bereich der<br />

Grundschulpädagogik und -didaktik<br />

nicht nur aus der Theorie, sondern<br />

auch aus dem Anwendungsfeld. Das<br />

Problem der zunehmenden Heterogenität<br />

in unseren Grundschulklassen<br />

zum Beispiel ist in erster Linie durch<br />

gesellschaftliche Veränderungen hervorgerufen<br />

worden. Die Kindheitsforschung<br />

hat sich der Erklärung dieses<br />

Veränderungsprozesses und seiner<br />

Auswirkungen auf Kinder angenommen.<br />

(…) Die Grundschulpädagogik<br />

und -didaktik hat als Konsequenz daraus<br />

für die Organisation schulischer<br />

Lehr-Lern-Prozesse Konzepte offener<br />

Formen des Unterrichts entwickelt.<br />

Der Heterogenität der kindlichen Lernausgangslagen<br />

soll eine Vielfalt von<br />

Lernangeboten gegenübergestellt werden.<br />

Wie aber kann dies genau bewerkstelligt<br />

werden? Wie müssen Lernumgebungen<br />

gestaltet werden, dass problemlösendes<br />

und kreatives Lernen<br />

gefordert ist? (…) Wie kann gesichert<br />

werden, dass alle Kinder die ihnen<br />

zugedachten Angebote effektiv nutzen<br />

können? Profitieren vielleicht doch nur<br />

die, die ohnehin Startvorteile hatten?<br />

(…) Welche Rolle spielen soziale Prozesse<br />

beim Lernen? Wie werden Lehrerinnen<br />

und Lehrer zu Lernbegleitern<br />

bzw. Lernhelfern?<br />

Diese und viele andere Fragen sind<br />

heute noch nicht ausreichend beantwortet.<br />

Die Forschung ist dabei, ihnen<br />

auf den Grund zu gehen. (…) Der<br />

Grundschulverband will sich (…) für<br />

Cartoon: Ute Winter<br />

eine stärkere Beachtung grundschulpädagogischer<br />

Forschung einsetzen.<br />

Wir denken dabei beispielsweise an die<br />

Vergabe von Anerkennungspreisen für<br />

richtungweisende Forschungen, aber<br />

auch an die Intensivierung des Dialogs<br />

zwischen Wissenschaft und Praxis<br />

über Fachtagungen. In unseren Veröffentlichungen<br />

soll sich dieses Interesse<br />

sichtbar niederschlagen.<br />

Im forschenden Blick:<br />

die lernenden Kinder<br />

von Friederike Heinzel,<br />

Heft 91 (2005), S. 2<br />

Seit der Herausbildung einer eigenständigen<br />

empirischen Grundschulforschung<br />

in Westdeutschland sind<br />

inzwischen über 25 Jahre vergangen.<br />

Im Jahr 2000 wurde aus der »Arbeitsgruppe<br />

Grundschulforschung« die<br />

Kom mission »Grundschulforschung<br />

und Pädagogik der Primarstufe« in der<br />

Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft<br />

(DGfE). (…) Inzwischen<br />

hat sich die Grundschulforschung also<br />

etabliert.<br />

Die Notwendigkeit einer eigenen<br />

Grundschulforschung ergibt sich aus<br />

der Besonderheit der Schulform: ihrer<br />

grundlegenden Aufgabe, der Heterogenität<br />

der Schülerschaft und den Anforderungen<br />

der Schuleingangs- und<br />

Alterstufe.<br />

Es gibt eine Vielzahl von Untersuchungen,<br />

die im Bereich der genannten<br />

Schwerpunkte der Grundschulforschung<br />

entstanden sind und Interesse<br />

wecken sollten.<br />

Insgesamt empfehle ich nicht nur<br />

die quantitativen Untersuchungen zur<br />

Kenntnis zu nehmen, sondern auch<br />

Fallstudien oder Mikrostudien, die auf<br />

Beobachtungen aus dem Schulalltag<br />

beruhen oder in denen Unterrichtsprotokolle<br />

interpretiert werden. Gerade für<br />

grundschulpädagogische Forschung<br />

ist die Nähe zur Praxis kennzeichnend<br />

und nicht selten wird dann mit qualitativen<br />

Daten gearbeitet. Auch die Perspektiven<br />

des lernenden Kindes oder<br />

kinderkulturelle Erfahrungen in der<br />

Schule lassen sich besser mit qualitativen<br />

Zugängen erfassen.<br />

Die Rezeption von Beobachtungsoder<br />

Fallstudien kann dazu beitragen,<br />

dass die Komplexität des Lehrerhandeln<br />

und Widersprüche im Schulalltag<br />

besser verstanden werden können und<br />

sich der eigene Blick schärft für den<br />

Sinn von Ordnungen, Regeln und Ritualen<br />

im Schulalltag, für die Bedeutung<br />

der Sozialbeziehungen der Kinder oder<br />

das kollektive Fabrizieren von Antworten<br />

im Unterricht. Solche Studien geben<br />

einen Einblick in andere Klassenzimmer,<br />

können durch die Übertragung<br />

auf eigene Entscheidungssituationen<br />

Spielräume erweitern und die eigenen<br />

Möglichkeiten zu reflektiertem Unterrichtshandeln<br />

ausbauen.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />

17


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

ABCDEFG HIJKLMN<br />

… wie Ganztag und Gerechtigkeit<br />

»Ganztagsschule« – das Thema hat Konjunktur und wird von vielen Eltern, Pädagogen,<br />

Bildungsplanern und Politikern als Problemlöser für das als desolat empfundene Schulwesen<br />

angesehen. Inzwischen scheint jedes Reformvorhaben im Schulbereich mit dem<br />

Thema Ganztagsschule verbunden zu werden und die Lösung für fast alle Probleme des<br />

Bildungswesens durch die Einrichtung von Ganztagsschulen erreichbar. So wird dann<br />

suggeriert, die Ganztagsschule sei eine Antwort auf gesellschaftliche Fragen, z. B. auf<br />

die große Frage nach Gerechtigkeit im Bildungswesen allgemein und für Grundschulkinder<br />

im Besonderen.<br />

<strong>Grundschule</strong> auf dem Weg zum<br />

ganztägigen Lebens- und Lernort<br />

von Karlheinz Burk und Heike Deckert-Peaceman, Heft 94 (2006), S. 3 ff.<br />

Kann die Ganztagsschule die vielfältigen<br />

Erwartungen, reformpädagogischen<br />

Hoffnungen und Wünsche<br />

erfüllen? Skepsis stellt sich ein schon<br />

angesichts der personellen Minimalversorgung<br />

an <strong>Grundschule</strong>n.<br />

Aber der Hinweis auf die Umsetzungsprobleme<br />

und die ungelöste<br />

(vielleicht auch unlösbare) Ressourcenfrage<br />

genügt nicht. In Frage zu stellen<br />

sind auch die überhohen Erwartungen<br />

selbst, die mit dem Konzept der Ganztagsschule<br />

verbunden werden. Anders<br />

gesagt: Es bedarf einer grundschulpädagogischen<br />

Verortung der Ganztagsschulthematik,<br />

um Chancen und Grenzen<br />

der Ganztagsgrundschule schon<br />

im Konzept deutlich zu markieren.<br />

Ganztagsschule als Familienersatz<br />

(…) Soll die Schule nur einen Beitrag<br />

zur Bewältigung des Betreuungsproblems<br />

leisten oder soll sie Aufgaben<br />

übernehmen, die seither den<br />

Familien zugeschrieben wurden? Die<br />

Ganztagsschulmodelle von der »Unterrichtsschule<br />

plus Betreuung« bzw.<br />

von der »Stundenschule plus Suppenküche«,<br />

wie Spötter sagen, bis zur gebundenen<br />

Ganztagsgrundschule von<br />

8 – 17 Uhr bieten hier für die Erwartungen<br />

unterschiedliche Realisierungsmöglichkeiten.<br />

Der Grundschulverband<br />

nimmt hier eine moderate Position ein<br />

und fordert für alle Kinder Bildungszeit<br />

von 30 Zeitstunden pro Woche.<br />

Ganztagsschule als »Lebensort«<br />

In der reformpädagogischen Bewegung<br />

um 1900 wird immer wieder die<br />

Abschaffung der alten Buchschule mit<br />

ihren portionierten Lektionen und ihrer<br />

rezeptiven Lernweise gefordert. (…) In<br />

der Ganztagsschuldebatte findet sich<br />

diese Polarisierung wieder: Die Unterrichtsschule,<br />

die ihre Inhalte in Lektionen<br />

im 45-Minuten-Takt den Kindern<br />

zu vermitteln sucht und die Ganztagsschule,<br />

die nicht nur Unterrichtsstätte,<br />

sondern auch Lebens- und Lernort<br />

gleichzeitig sein will. Mit der Formel<br />

»Schule soll mehr sein als Unterricht«<br />

kann ein breiter Konsens gestiftet<br />

werden. Doch was dieses Mehr konkret<br />

heißt, bleibt umstritten. Je nachdem,<br />

wie dieses »Mehr« definiert wird,<br />

kommt es zu einem anderen Ganztagschulkonzept.<br />

Mehr Zeit für eine neue Lernkultur<br />

Unterricht und Leben sollen miteinander<br />

verknüpft werden und eine Einheit<br />

bilden. Diese Erwartungen sind nicht<br />

bzw. nur begrenzt zu erfüllen. (…) Die<br />

Ganztagsschule (…) kann eine Lernkultur<br />

entwickeln, in der immer auch ein<br />

an den Wissenschaften orientierter<br />

Unterricht und ein an Lebensfragen<br />

und -problemen orientierter Unterricht<br />

gleichermaßen Berücksichtigung<br />

finden.<br />

Mehr Zeit für einen kindgerechteren<br />

Umgang mit der Zeit<br />

Die Vorstellung, dass Kinder länger am<br />

Tag als bisher in der Schule bleiben sollen,<br />

löst unterschiedliche Emotionen<br />

und Reaktionen aus – bei Lehrern und<br />

Eltern, aber vor allem auch bei Kindern.<br />

Soll diese Schule, wie wir sie kennen,<br />

zeitlich verlängert werden? (…) Mehr<br />

Zeit in der Schule bedeutet nicht die<br />

quantitative Ausweitung von herkömmlichem<br />

Unterricht, sondern die<br />

Schule soll einen anderen Umgang mit<br />

Zeit entwickeln: Kinder in deutschen<br />

Schulen leiden gerade darunter, dass<br />

alles sehr schnell gehen muss, gemeinsames<br />

Spielen kaum möglich ist und<br />

soziale Interaktion nur begrenzt stattfinden<br />

kann. (…)<br />

Mehr Zeit für die Beziehungen<br />

zwischen den Menschen<br />

Die Beziehungen zwischen Kindern<br />

und Kindern, zwischen Kindern und<br />

Erwachsenen bestimmen wesentlich<br />

Qualität und Wirksamkeit von Bildungs-<br />

und Erziehungsprozessen. Die<br />

Ganztagsschule bietet gerade besondere<br />

Chancen und Möglichkeiten. Sie<br />

kann eine Vielfalt an Beziehungen eröffnen<br />

und deren Qualität fördern oder<br />

trotz eines »Mehr an Zeit« begrenzen<br />

bzw. beeinträchtigen.<br />

Die längere Verweildauer sowie die<br />

anderen Aktivitäten, beispielsweise<br />

Mittagessen, Spielpausen und Arbeitsgemeinschaften,<br />

geben Kindern neue<br />

schulische Gelegenheiten für den Kontakt<br />

mit Gleichaltrigen. (…) Nur wenn<br />

der Tagesablauf genügend Frei-Zeiten<br />

und Frei-Räume für weitgehend selbstbestimmte<br />

Interaktionen erlaubt,<br />

kann die Ganztagsschule annähernd<br />

vermeintliche Erfahrungsdefizite kompensieren.<br />

(…)<br />

Die Bedeutung des Raums<br />

(…) Räume bedeuten mehr als ihre unmittelbare<br />

Funktion. (…) Priorität in der<br />

Raumgestaltung von Ganztagsschulen<br />

haben zunächst die funktionsgerechte<br />

und hygienischen Standards entsprechende<br />

Küche sowie der Speiseraum.<br />

Daran schließt sich die Ausstattung<br />

weiterer Funktionsräume an, beispiels-<br />

18 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

OPORSTUVWXYZ<br />

weise mit »pädagogisch wertvollem<br />

Lern- und Spielmaterial«. Kinder nutzen<br />

solche Angebote, jedoch suchen<br />

sie in der Ganztagsschule auch Nischen<br />

und Grauzonen wie Flure, Kellerecken,<br />

Vorräume, den Platz unter der Treppe.<br />

Räume, die noch nicht durchorganisiert<br />

sind, die Schutz, Rückzug sowie<br />

die Gestaltung einer eigenen Welt bieten,<br />

in der sie ungestört gemeinschaftliche<br />

Erfahrungen machen können.<br />

Ähnliches gilt für das Außengelände,<br />

dessen Bedeutung bei ganztägigem<br />

Aufenthalt in der Schule zunimmt.<br />

Bildungsgerechtigkeit<br />

für Grundschulkinder!<br />

von Horst Bartnitzky,<br />

Heft 73 (2002), S. 2<br />

Nun innoviert mal schön!<br />

Keiner anderen Schulform wurde und<br />

wird von der Schulpolitik so viel an Innovation<br />

aufgetragen: die Erweiterung<br />

der täglichen Schulzeit (…), die Integration<br />

behinderter Kinder in den gemeinsamen<br />

Unterricht, ein weiteres sprachliches<br />

Schulfach, zumeist Englisch …<br />

Hinzu kommen neue Anforderungen<br />

und Aufgaben für alle Schulformen<br />

wie verstärkte Schulprogramm-Arbeit,<br />

größere Eigenständigkeit der Schulen<br />

(Beispiel: Budgetierung), Lernen mit<br />

neuen Medien, Aufgaben, die wiederum<br />

für die <strong>Grundschule</strong> besonders<br />

arbeitsaufwändig sind. Denn die <strong>Grundschule</strong>n<br />

sind kleine Systeme mit wenigen<br />

Lehrkräften und Schulleitungen<br />

mit wenig Unterrichtsentlastungen<br />

– was an großen Systemen auf viele<br />

Schultern verteilt werden kann, muss<br />

hier von wenigen getragen werden.<br />

Keine andere Schulform hat zudem<br />

so viel an selbst gewollten Innovationen<br />

aufzuweisen: innere Differenzierung<br />

als pädagogischer Königsweg;<br />

neue Unterrichtsformen, die Kinder<br />

selbstständiger werden lassen wie<br />

freie Arbeit oder Werkstattarbeit; Umsetzung<br />

neuer didaktischer Konzepte<br />

wie Spracherfahrungsansatz, Schreibkonferenzen,<br />

Klassenrat und vieles<br />

andere mehr. Diese Innovationen<br />

werden allgemein anerkannt: Andere<br />

Schulformen gucken zunehmend<br />

von der <strong>Grundschule</strong> als didaktischem<br />

Vorreiter ab. Und die Zufriedenheit der<br />

Eltern mit der <strong>Grundschule</strong> ist nach<br />

den regelmäßigen Umfragen des Dortmunder<br />

Instituts für Schulentwicklung<br />

erheblich höher als für alle anderen<br />

Schulformen.<br />

»Die <strong>Grundschule</strong>n<br />

stehen im Schatten«<br />

Man sollte denken, dass der <strong>Grundschule</strong><br />

deshalb nicht nur höchstes Lob,<br />

sondern auch besondere schulpolitische<br />

und schulfinanzielle Zuwendung<br />

gilt. Genau dies geschieht nicht. Im<br />

Gegenteil. Deprimierend ist die finanzielle<br />

Betrachtung: »Die <strong>Grundschule</strong>n<br />

stehen im Schatten«, so titelte der<br />

Tagesspiegel, als im Mai 2000 die letzten<br />

OECD-Vergleichszahlen bekannt<br />

wurden. Im Vergleich der 29 wichtigsten<br />

Industrienationen ist die <strong>Grundschule</strong><br />

weit abgehängt: Im Durchschnitt der<br />

Länder kommen 17,1 Kinder auf eine<br />

Lehrkraft, in Deutschland sind es 21,6.<br />

Im Durchschnitt der Länder werden<br />

für ein Grundschulkind 3 851 US-Dollar,<br />

kaufkraftbereinigt, ausgegeben, in<br />

Deutschland sind es nur 3 490 Dollar.<br />

Dieser Geiz ist für eine der reichsten<br />

Industrienationen blamabel. Und er ist<br />

skandalös: er drückt die Vernachlässigung<br />

der Kinder in unserem Lande aus<br />

und entlarvt die Rede vom hohen Wert<br />

der Bildung am Wirtschaftsstandort<br />

Deutschland zumindest für die <strong>Grundschule</strong><br />

als Gerede.<br />

Noch deprimierender wird die Analyse,<br />

wenn man die Aufwendungen für<br />

die Schulstufen miteinander vergleicht.<br />

Da wird deutlich, was im Schulbereich<br />

gehätschelt wird: die gymnasiale Oberstufe.<br />

Hier liegt Deutschland in seinen<br />

Zuwendungen an der Spitze der<br />

Industrienationen. Im innerdeutschen<br />

Vergleich wird für einen Schüler der<br />

Oberstufe viermal so viel ausgegeben<br />

wie für ein Grundschulkind. Nicht, dass<br />

den Gymnasien diese üppigen Zuwendungen<br />

zu missgönnen wären, aber die<br />

Relationen stimmen nicht:<br />

■ Die größten Zuwendungen müssten<br />

dorthin, wo Kinder grundständig in<br />

systematisches Lernen eingeführt<br />

werden, wo die ersten tragfähigen<br />

Grundlagen für alles weitere Lernen<br />

vermittelt werden.<br />

■ Die größten Zuwendungen müssten<br />

dorthin, wo die politisch gewollt größten<br />

Aufgaben geschultert werden müssen.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />

19


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

ABCDEFGH IJKLMN<br />

… wie Heterogenität<br />

Kinder sind verschieden in vielerlei Hinsicht. Welche<br />

Konsequenzen für die Schule hat die Verschiedenheit?<br />

Der Grundschulverband hat hierzu immer schon klare<br />

Positionen bezogen – schulpraktisch: die Vielfalt respektieren,<br />

als Chance für einen anregenden Unterricht<br />

nutzen, individuelle Leistungen würdigen; schulorganisatorisch:<br />

Kinder nicht aussondern, Kinder länger<br />

gemeinsam lernen lassen. Das Generalthema Heterogenität<br />

zieht sich, ausgesprochen oder nicht, durch fast<br />

alle Hefte unserer Zeitschrift und wirkt bei fast allen<br />

Buchstaben dieses Heftes mit.<br />

Vielfalt und Gemeinsamkeit<br />

von Johannes Rau, als Grußwort<br />

des Bundespräsidenten, anlässlich des<br />

Bundesgrundschulkongresses am<br />

1./2. Oktober 1999, Heft 68 (1999), S. 4 f.<br />

Sie haben für Ihren Kongress ein wichtiges<br />

Thema gewählt: Vielfalt und Gemeinsamkeit<br />

in ihrem Zusammenwirken:<br />

■ Die Vielfalt fördern und erhalten,<br />

ohne dabei gemeinsames Handeln<br />

unmöglich zu machen;<br />

■ Gemeinsam handeln, ohne dass darunter<br />

die Vielfalt leidet.<br />

Beides zusammen zu bringen, halte ich<br />

für eine unserer wichtigsten Zukunftsaufgaben.<br />

Erst der Zusammenklang von Vielfalt<br />

und Gemeinsamkeit verhindert<br />

individualistischen Egoismus auf der<br />

einen und gleichmachenden Kollektivismus<br />

auf der anderen Seite.<br />

Sie formulieren diese Aufgabe für<br />

die Eingangsstufe unseres Bildungssystems,<br />

die <strong>Grundschule</strong>. Hier gilt<br />

sie in besonderer Weise, ist doch die<br />

<strong>Grundschule</strong> die gemeinsame Schule<br />

der Kinder eines Wohnbezirks. In<br />

jeder Grundschulklasse spiegelt sich<br />

die Vielfalt der Menschen und ihrer<br />

Lebenslagen in der Nachbarschaft:<br />

Kinder mit und ohne Behinderungen,<br />

Kinder deutscher und ausländischer<br />

Herkunft, geborgene und ungeborgene<br />

Kinder, Kinder, denen das Lernen nur so<br />

zufliegt, und Kinder, die schwer lernen<br />

oder die sich nur wenig zutrauen. Allen<br />

diesen Kindern muss die <strong>Grundschule</strong><br />

Mut zum Lernen machen und ihnen zu<br />

Könnenserfahrungen und zu Selbstbewusstsein<br />

verhelfen.<br />

Zugleich muss die <strong>Grundschule</strong> die<br />

Kinder, die ja in diesem Alter in besonderer<br />

Weise noch auf sich fixiert sind,<br />

für die anderen Kinder öffnen, so dass<br />

sie das Anderssein akzeptieren. Mehr<br />

noch: die Kinder sollen lernen, ihr gemeinsames<br />

Leben in der Klasse und<br />

Schule zu gestalten und ein Stück mitzuverantworten.<br />

Schule kann damit für<br />

die Kinder ein täglich erfahrbares Modell<br />

für ein tolerantes und gemeinsam<br />

verantwortetes Gemeinwesen werden.<br />

Vor diesem Hintergrund erhalten<br />

<strong>aktuell</strong>e bildungspolitische Themen<br />

ihre angemessene pädagogische Einordnung.<br />

Ich denke hier auch an den<br />

Leistungsaspekt. Natürlich muss die<br />

Leistungsfähigkeit aller Kinder das Ziel<br />

sein, so dass sie in den nachfolgenden<br />

Schulen erfolgreich weiterlernen können.<br />

Aber Kinder entwickeln ihre Leistungsfähigkeit<br />

in der <strong>Grundschule</strong> auf<br />

unterschiedlichem Niveau.<br />

Mit einheitlichen Anforderungen an<br />

alle tun wir Kindern unrecht, weil die<br />

einen hoffnungslos ins Hintertreffen<br />

gerieten und damit mutlos würden,<br />

während andere ihren Erfolg sozusagen<br />

»mit links« erlangten und damit<br />

ihre Kräfte zu wenig entwickelten. Wir<br />

müssen die Vielfalt auch hier akzeptieren,<br />

nur dann werden wir z. B. den<br />

Hochbegabten wie den schwächer Begabten<br />

gerecht. …<br />

Der Grundschulverband hat in<br />

den dreißig Jahren seines Bestehens<br />

wichtige Anregungen zur Weiterentwicklung<br />

der <strong>Grundschule</strong> gegeben.<br />

Sie haben dazu beigetragen, dass die<br />

<strong>Grundschule</strong> zu einem Modellfall für<br />

Schulreform überhaupt geworden ist.<br />

…<br />

In der Vielfalt<br />

das einigende Band<br />

von Ulf Preuss-Lausitz,<br />

Heft 48 (1994), S. 3 f.<br />

Der vor einigen Jahren bei manchen<br />

verbreitete Glaube, die innere Differenzierung<br />

des Grundschulunterricht<br />

sei der einzige Königsweg zur kindgerechten<br />

Leistungsschule, muss ergänzt<br />

werden. Heute mehr denn je ist die<br />

Pädagogik der Vielfalt in der Gemeinsamkeit<br />

zu entwickeln. Gemeinsam<br />

zuhören, singen, miteinander reden,<br />

sich die Arbeitsergebnisse vortragen<br />

und besprechen, die Woche planen<br />

und kritisieren; das gemeinsame<br />

10-Minuten-Rechnen (mit durchaus<br />

niveauunterschiedlichen Aufgaben),<br />

die gleichzeitige kurze Übung der<br />

Stille, das Betrachten eines Films.<br />

Der Morgenkreis kann, in diesem<br />

Sinne verstanden, zu einem didaktischen<br />

Element werden, wo alle Kinder<br />

erleben, wie viel sie doch miteinander<br />

gemein haben an Fragen, Wünschen,<br />

an Ängsten, an Wissbegier, und wie<br />

manches eben unterschiedlich bleibt.<br />

Vor einigen Wochen erlebte ich den<br />

Montag-Morgenkreis mit den Erlebnissen<br />

des Wochenendes, nachdem einige<br />

selbstgewählte Lieder gesungen und<br />

mit Gestik begleitet wurden. Die aufgeregte<br />

Geschichte eines Mädchens<br />

und zweier Jungen, die auf dem Hof<br />

eine »Matschsuppe« aus Schlamm und<br />

20 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

OPORSTUVWXYZ<br />

lebendigen Regenwürmern bereitet<br />

und dabei einen Wurm zerschnitten<br />

hatten, führte erst einmal zu ähnlichen<br />

Geschichten anderer Kinder, dann zu<br />

der neugierigen, völlig ohne moralisches<br />

Entsetzen vorgetragenen Frage,<br />

ob zertrennte Regenwürmer Schmerz<br />

erleiden, warum sie weiterleben, wenn<br />

man sie trennt, warum Erwachsene<br />

sie für das Fischen verwenden dürfen,<br />

kurzum es war eine Viertelstunde in<br />

Ethik und Demokratie. Demokratie<br />

deshalb, weil die erzählenden Kinder<br />

dieser ersten Klasse die Gesprächsleitung<br />

innehatten und niemand – auch<br />

die Lehrerin nicht – ohne Aufforderung,<br />

ohne Melden sprechen durfte. Alle kamen<br />

dran, und die Kollegin hielt nicht<br />

mit ihrer Meinung hinter dem Berg,<br />

ohne zu verurteilen.<br />

Es war eigenartig, aber der einzige<br />

Junge, der sich erfolgreich weigerte,<br />

im Morgenkreis zu sitzen und lieber<br />

in einem Buch weitermalte, hielt inne,<br />

hörte aus der Ferne zu und wollte am<br />

Schluss einmal alles über Regenwürmer<br />

vortragen. Er musste versprechen,<br />

keinen zu töten oder zu zerteilen. Er<br />

galt als verhaltensauffällig. Er blieb an<br />

diesem Morgen auffallend eifrig.<br />

Der Karawaneneffekt<br />

von Hans Brügelmann,<br />

Heft 84 (2003), S. 24 f.<br />

In dem Forschungsbeitrag von Hans<br />

Brügelmann, Universität Siegen, wird<br />

von einer Leseuntersuchung berichtet,<br />

bei der über 18 000 Kinder der Klassen 2<br />

bis 4 mit dem Stolperwörter-Lesetest auf<br />

ihre Lesefähigkeit hin getestet wurden. In<br />

der Auswertung geht es auch um die Frage,<br />

inwieweit die besonders schwachen<br />

Leser in der Grundschulzeit Fortschritte<br />

machen.<br />

Alle Gruppen machen Fortschritte und<br />

proportional am stärksten die unteren<br />

Leistungsgruppen. Aus der Perspektive<br />

der einzelnen Lehrperson »bleiben<br />

die Schwachen schwach«. Durch den<br />

Vergleich allein mit der Bezugsgruppe,<br />

die sich ja auch weiter entwickelt, werden<br />

aber die individuellen Fortschritte<br />

unterbewertet. Das nennen wir den<br />

»Karawanen-Effekt« des Lernens in<br />

Klassen. Die unteren 5 % oder 15 %<br />

einer Gruppe sind definitionsgemäß<br />

immer schlechter als der Durchschnitt.<br />

Mit der Fixierung des Blicks auf ihren<br />

Platz in der Bezugsgrupope wird aber<br />

übersehen, dass alle SchülerInnen von<br />

Jahr zu Jahr Fortschritte machen. Pädagogisch<br />

gesehen sind die Fortschritte<br />

jeder Teilgruppe bedeutsamer als die<br />

Abstände innerhalb der Gesamtgruppe.<br />

Konkret: Wer in der vierten Klasse<br />

auf Prozentrang 15 pro Minute 5.2 Sätze<br />

schafft, hat sich gegenüber Klasse 2<br />

um 3.4 Sätze verbessert. Sein Abstand<br />

zum Durchschnitt beträgt aber nur 2.9<br />

Sätze.<br />

Bei einer Karawane verwundert es<br />

niemanden, wenn der, der zuletzt auf<br />

die Reise gegangen ist, auch als letzter<br />

ankommt. Bedeutsamer ist der Weg,<br />

den die Karawane als Ganze geschafft<br />

hat.<br />

Man muss bedenken, dass sich<br />

schon Schulanfänger in ihren schriftsprachlichen<br />

Voraussetzungen bis zu<br />

drei, vier Jahren durchschnittlicher Entwicklung<br />

unterscheiden. Dann überrascht<br />

der Unterschied von rund drei<br />

Entwicklungsjahren in der Leistung<br />

eines Viertklässlers auf Prozentrang 10<br />

(4.9 Sätze pro Minuten; korrigiert um<br />

die Abgänge: 4.0) und einem auf Prozentrang<br />

90 (11.7 pro Minute) nicht.<br />

Mehr getan werden muss auf jeden Fall<br />

für die leistungsschwächsten 5 – 10 %<br />

– aber was? …<br />

Die zentrale Frage ist, was wir unter<br />

»Förderung« verstehen, insbesondere<br />

ob das im Anfangsunterricht und<br />

in der Sonderpädagogik immer noch<br />

verbreitete Teilleistungskonzept eine<br />

Überwindung oder gar Vermeidung ihrer<br />

Schwierigkeiten verspricht. Unsere<br />

Erfahrungen sprechen eher dafür, dass<br />

eine frühe und selbstständige Beschäftigung<br />

mit anspruchsvollen Texten<br />

auch für diese Kinder förderlicher ist<br />

(vgl. Konzepte wie »Lesewelt Schule«<br />

und »freies Schreiben eigener Texte<br />

von Anfang an«). …<br />

Insbesondere die massiven Leistungsunterschiede<br />

schon in Klasse 2<br />

erfordern von Anfang an in der Gestaltung<br />

des Unterrichts Raum für Aktivitäten<br />

und Aufgaben auf ganz unterschiedlichen<br />

Niveaus.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />

21


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

ABCDEFGHIJKLMN<br />

… wie IGLU und Inklusion<br />

Als »Die Bessermacher« bezeichnete eine große deutsche Tageszeitung die<br />

deutschen Grundschullehrer/innen, nachdem die Ergebnisse der »Internationalen<br />

Grundschul-Lese-Untersuchung« bekannt geworden waren. Ein weiterer Beleg<br />

dafür, dass die <strong>Grundschule</strong> am weitesten fortgeschritten ist auf dem Weg zu<br />

einer Schule, die niemanden ausschließt: zur »inklusiven Schule«.<br />

IGLU: Höchste Zeit<br />

zum Umdenken!<br />

Presseerklärung des Grundschulverbandes,<br />

Heft 83 (2003), S. 15<br />

»Nun ist es amtlich: Nicht die <strong>Grundschule</strong>n,<br />

sondern die Sekundarschulen<br />

sind der Sanierungsfall.« So resümierte<br />

Horst Bartnitzky, Vorsitzender des<br />

Grundschulverbandes, die IGLU-Ergebnisse.<br />

Alle Kultusministerien hatten<br />

nach dem PISA-Debakel, bei dem<br />

15-Jährige getestet worden waren, die<br />

<strong>Grundschule</strong>n und Kindergärten als<br />

die Sündenböcke ausfindig gemacht<br />

und mit hektischen Maßnahmen reagiert.<br />

»Wer sich an der Hand verwundet<br />

hat, wird sich nicht den Fuß verbinden.«<br />

So hatte schon damals der<br />

Grundschulverband diese Absurdität<br />

bewertet.<br />

Modellfall <strong>Grundschule</strong>:<br />

Sie zeigt, wie das deutsche Schulwesen<br />

umgestaltet werden muss<br />

Nun ist zu hoffen, dass endlich die richtigen<br />

Schlüsse gezogen werden. Denn<br />

die Erkenntnisse von PISA bis IGLU<br />

widerlegen viele bisherige Annah -<br />

men:<br />

■ Die so oft gescholtene »Kuschelpädagogik«<br />

der <strong>Grundschule</strong> erweist sich<br />

als leistungsfähiger als der an Test- und<br />

Klausurenterminen orientierte Unterricht<br />

in der Sekundarstufe. Man lernt<br />

eben besser, wenn man sich wohlfühlt<br />

und gerne lernt.<br />

■ Die <strong>Grundschule</strong> ist die Schulform<br />

mit den meisten Erfahrungen an differenzierter<br />

Förderung, an problemlösendem<br />

und an mitbestimmtem<br />

Lernen der Kinder. Genau dies ist ihr<br />

Erfolgskonzept. Deshalb liegen, wie<br />

IGLU beweist, die Leistungen der<br />

Grundschulkinder viel näher zusammen<br />

als die der 15-Jährigen. Damit ist<br />

die <strong>Grundschule</strong> ein Lernmodell für die<br />

weiterführenden Schulen und nicht<br />

umgekehrt.<br />

■ Gerade das erfolgreiche Schulsystem<br />

<strong>Grundschule</strong> hat in Deutschland<br />

die wenigsten Schuljahre. Alle in der<br />

Bildung erfolgreichen Länder haben<br />

eine gemeinsame Schulzeit von 6 bis<br />

zu 9 Jahren. Alles spricht dafür, dass das<br />

gemeinsame Lernen ohne Auslese auf<br />

verschiedene Schulformen länger als<br />

4 Jahre dauern muss. »Gemeinsames<br />

Lernen bis ans Ende der Pflichtschulzeit«,<br />

so eine Forderung des Grundschulverbandes.<br />

Sich herantrauen an<br />

Integration?<br />

von Hermann Schwarz,<br />

Heft 32 (1990), S. 6<br />

Kolleginnen und Kollegen mit Ängsten<br />

und Vorbehalten gegenüber Integration<br />

fragen sich, ob und wie sie mit<br />

Kindergruppen zurechtkommen würden,<br />

deren Unterschiedlichkeit größer<br />

ist als die schon bisher meist sehr unterschiedliche<br />

Grundschulklasse; sie<br />

zweifeln daran, ob es genügend Hilfen<br />

geben wird, der neuen Situation zu<br />

entsprechen; und sie sind unsicher, ob<br />

kooperativer Unterricht ihnen tatsächliche<br />

Vorteile bringt.<br />

Ich kann lediglich raten, solchen<br />

eigenen Ängsten mit Rationalität zu<br />

begegnen und Vorbehalte sorgfältig zu<br />

prüfen. (…) Meine Einschätzung dazu,<br />

die ich auf Aussagen einer großen Zahl<br />

von Experten stütze, ist:<br />

■ Gemeinsames Leben und Lernen<br />

Behinderter und Nichtbehinderter<br />

ist ethisch, pädagogisch und gesellschaftspolitisch<br />

geboten.<br />

■ Es ist belegt, dass Integration in der<br />

<strong>Grundschule</strong> bei Bestehen situationsangemessener<br />

Bedingungen gut gelingen<br />

kann.<br />

■ Integrationsarbeit belebt den<br />

Grundschulunterricht zugunsten des<br />

Lernens und Leistens aller Kinder.<br />

■ Wegen tiefgreifender Veränderung<br />

der heranwachsenden Kindergeneration<br />

werden ohnehin alle <strong>Grundschule</strong>n<br />

– unabhängig davon, ob und in<br />

welchem Maße sie bereits Behinderte<br />

einbeziehen – sehr bald nach pädagogischen<br />

Konzepten arbeiten müssen,<br />

in denen integrative und differenzierende<br />

Unterrichtsformen weit stärker<br />

betont werden müssen als bisher.<br />

■ Da man den Eltern behinderter Kinder<br />

ein Recht auf Nicht-Aussonderung<br />

ihrer Kinder nicht lange mehr wird verweigern<br />

können, gibt es für die <strong>Grundschule</strong><br />

kein Ausweichen.<br />

Überzeugtsein von Richtigkeit und<br />

Notwendigkeit der Sache wäre also<br />

eine der Voraussetzungen dafür, sich<br />

an sie heranzutrauen. (…) Mich haben<br />

Berichte von Kolleginnen und Kollegen<br />

22 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

OPORSTUVWXYZ<br />

aus integrativen Klassen und Einblicke<br />

in deren Arbeit stark beeindruckt und<br />

sicher gemacht, dass die <strong>Grundschule</strong><br />

mit der Bemühung um Ausweitung der<br />

Integration auf richtigem Wege ist.<br />

Verbunden mit der Erfahrung, dass<br />

man sich als Unterrichtender handelnd<br />

allmählich in Neues einarbeiten kann,<br />

führen Beratungsgespräche über die<br />

Praxis integrativer Grundschulpädagogik<br />

– so hoffe ich – bei möglichst<br />

vielen Kolleginnen und Kollegen zu der<br />

Selbsteinschätzung: »Das werde ich<br />

auch können.«<br />

Dies wäre zudem insofern realistisch,<br />

als auch Integrationsarbeit keine<br />

Perfektion erfordert und – im Unterschied<br />

zur bisherigen Berufstätigkeit<br />

– in einem sich einander helfenden und<br />

einander weiterbringenden Team zu<br />

leisten ist.<br />

»Inklusive Schule«<br />

von Reinhard Stähling,<br />

Heft 97 (2007), S. 11 ff.*<br />

Wie müsste eine allgemeine Schule, ein<br />

»Haus des Lernens« beschaffen sein,<br />

wenn sie Uwe, Mike und Susan (deren<br />

Lebensumstände zuvor geschildert wurden,<br />

Red.) zum Schulabschluss bringen<br />

könnte? Was hätten Uwe, Mike und<br />

Susan gebraucht, um sich trotz ihres<br />

belasteten privaten Lebens positiv<br />

entwickeln zu können? Unter welchen<br />

schulischen Bedingungen hätten sie<br />

im Unterricht Fortschritte erzielt und<br />

ein verantwortungsbewusstes Leben<br />

lernen können?<br />

(…) Eine Schule, die dies leisten kann,<br />

sagt nicht: »Du gehörst hier nicht hin!«<br />

Jeder ist willkommen, der in der Nähe<br />

wohnt: Inklusive die »Schwachen«,<br />

»Schwierigen«, »Hochbegabten«, »Behinderten«<br />

oder »Roma«.<br />

Eine solche humane oder »inklusive«<br />

Schule hat folgende Qualitätsmerkmale:<br />

1. Aufsuchende Elternarbeit als fester<br />

Bestandteil des Schulkonzepts: Unterstützt<br />

und in enger Kooperation mit<br />

Schulsozialarbeitern und Jugendhilfe<br />

bekommen Uwes Eltern (und die Eltern<br />

von Susan und Mike) Hilfe.<br />

2. Effiziente Klassenführung als Faktor<br />

der Unterrichtsqualität. Kennzeichen:<br />

■ Regelsystem, das mit Uwe und seinen<br />

Mitschülern gemeinsam im Klassenrat<br />

erarbeitet wird.<br />

■ Konsequente Reaktionen auf Regelverstöße<br />

im Sinne der Klassenrats-<br />

Verabredungen: Uwes Verhalten ist<br />

niemandem gleichgültig, er spürt<br />

umgehend die Konsequenzen seines<br />

Handelns.<br />

■ Transparente Unterrichtsorganisation:<br />

Uwe, Susan und Mike können<br />

genau einschätzen, was von ihnen verlangt<br />

wird und welche Aufgaben auf<br />

sie zukommen. Sie können mitreden<br />

und mitbestimmen.<br />

■ Zusammengehörigkeitsgefühl:<br />

Uwe, Susan und Mike werden ermutigt,<br />

aktive Beiträge zur Klassengemeinschaft<br />

zu leisten.<br />

3. Ganztägige Erziehung, in der Uwe,<br />

Mike und Susan stabile Strukturen für<br />

ihre Entwicklung und verlässliche Bezugspersonen<br />

finden.<br />

4. Kinder mit besonderem Förderbedarf<br />

in jede Klasse, ohne dass sie als<br />

»Sonderschüler« etikettiert werden<br />

(Inklusion).<br />

5. »Multiprofessionelle Teams« in jeder<br />

Klasse: Klassenlehrer, Fachlehrer,<br />

Sonderpädagogen sind gemeinsam für<br />

alle Kinder zuständig. Uwe kann weder<br />

abgewiesen, noch ausgesondert werden<br />

(Inklusion). Als Stützmaßnahme<br />

für das Team ist externe Supervision<br />

erforderlich.<br />

6. Eine einheitliche Schule von der<br />

Vorschule bis zur zehnten bzw. dreizehnten<br />

Klasse ohne Schulwechsel.<br />

Weil er in der Einrichtung bleibt, können<br />

Fördermaßnahmen und Kontakte<br />

ohne Unterbrechung fortgeführt werden.<br />

Heterogene und altersgemischte<br />

Klassen verzichten auf das Sitzenbleiben<br />

und bieten somit Uwe zusätzliche<br />

Chancen, sich in einer stabilen Gruppe<br />

zu erleben.<br />

Es gibt und gab eine Reihe reformpädagogischer<br />

Schulen oder Tagesheime,<br />

die viele dieser Qualitätsmerkmale<br />

erfüllen. Inklusive Schulen können<br />

»Treibhäuser der Zukunft« (Reinhard<br />

Kahl) sein. Verhaltensauffällige Kinder<br />

in allgemeine Schulen zu integrieren<br />

gilt heute unter Sonderpädagogen als<br />

sehr schwierig. 31 000 Schüler besuchen<br />

entsprechende Sonderschulen.<br />

Trotz-dem gehen solche Kinder nicht<br />

überall in Sondereinrichtungen. Auch<br />

in Deutschland werden 12 000 Schüler<br />

mit sonderpädagogischem Förderbedarf<br />

im Bereich »Emotionale und soziale<br />

Entwicklung« in allgemeinen Schulen<br />

integriert. Erfolge sind empirisch<br />

belegt.<br />

Fast 30 000 Schüler mit »Lernbehinderungen«<br />

lernen im Gemeinsamen<br />

Unterricht. Ausländische Schüler werden<br />

anteilmäßig häufiger als deutsche<br />

mit dem Etikett »lernbehindert« eingestuft.<br />

Wie ratlos und überfordert das<br />

deutsche Schulwesen ist, wird daran<br />

deutlich, wie unterschiedlich die einzelnen<br />

Bundesländer auf Folgen von<br />

Kinderarmut reagieren.<br />

So gehen »erziehungsschwierige«<br />

Kinder in Hamburg zu <strong>100</strong> % in die<br />

Allgemeinen Schulen, während sie in<br />

Rheinland-Pfalz zu <strong>100</strong> % in der Sonderschule<br />

lernen. Sachlogische und fachliche<br />

Gründe bestimmen offensichtlich<br />

nicht den Förderort. In einigen Bundesländern<br />

werden kaum ausländische<br />

Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf<br />

in allgemeinen Schulen integriert,<br />

sondern diese Benachteiligten<br />

gehen fast alle in Sonderschulen. Anderswo<br />

ist es umgekehrt, sie besuchen<br />

mehrheitlich die allgemeinen Schulen.<br />

Wer weitere deutsche Kuriositäten<br />

dieser Art sucht, dem empfehle ich die<br />

Lektüre der KMK-Statistik (www.kmk.<br />

org).<br />

An den Kindern kann es nicht liegen!<br />

Wie lange können und müssen sich die<br />

vielen verantwortungsbewussten und<br />

engagierten Grundschulkolleg/innen<br />

noch an diesem Aussonderungssystem<br />

beteiligen?<br />

* aus dem Beitrag » ›An den Kindern kann<br />

es nicht liegen!‹ – Über die Aussonderung der<br />

Armen in Deutschland«<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />

23


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

ABCDEFGHIJ KLMN<br />

… wie jahrgangs -<br />

übergreifend unterrichten<br />

Jahrzehntelang war fast alles in der Schule auf die Jahrgangsklasse abgestellt:<br />

Lehrpläne und Schulbücher, Lehrerausbildung und schulische Arbeit, Unterrichtsplanung<br />

und Leistungs messung, Lehrerversorgung und Schulausstattung. Dass die<br />

überkommene Jahrgangsklasse einer sich in Konzeption und Struktur ändernden<br />

<strong>Grundschule</strong> nicht mehr gerecht wird, wurde im Grundschulverband schon vor einem<br />

Dutzend Jahren problematisiert. Die anhaltende Diskussion um die Neugestaltung<br />

der Schuleingangsstufe gibt diesem Thema <strong>aktuell</strong>e Brisanz.<br />

Lernen in jahrgangsübergreifenden<br />

Gruppen<br />

von Karlheinz Burk,<br />

Heft 60 (1997), S. 3 ff.<br />

(…) Bis in das 19. Jahrhundert ist das<br />

Alter der Schüler und die Dauer ihres<br />

Verbleibs auf einer bestimmten Lehrgangsstufe<br />

belanglos. Das Lehrpensum<br />

wird in Abschnitte zerlegt Schritt<br />

für Schritt einer unterstellten sachimmanenten<br />

Schlüssigkeit folgend<br />

vermittelt. Ist ein Abschnitt durchlaufen,<br />

kommt der Schüler in die nächste<br />

Stufe, bis er den Abschluss (die Prima)<br />

erreicht hat.<br />

Werden die Abschnitte und Stufungen<br />

des Lehrstoffs als Jahrespensum<br />

for muliert und mit der Einschulung<br />

nach Altersjahrgängen verknüpft, ergibt<br />

sich das uns heute so selbstverständlich<br />

erscheinende Konzept der<br />

Jahrgangsklasse mit dem jährlichen<br />

Aufrücken / Versetzen bzw. der Nichtversetzung<br />

oder Einweisung in eine<br />

Sondereinrichtung, wenn das altersbezogene<br />

Pensum nicht bewältigt wurde.<br />

In allen Ländern mit Schulpflicht<br />

für alle Kinder setzte sich die Organisation<br />

nach Jahrgangsklassen durch,<br />

basierend auf der pädagogischen Überzeugung,<br />

dass prinzipiell alle Kinder<br />

eines Jahrgangs gemeinsam gefördert<br />

werden können, wenn sich Aufbau und<br />

Abfolge des Unterrichts an dem Leistungsvermögen<br />

eines durchschnittlichen<br />

Schülers dieser Altersstufe orientieren.<br />

Angesichts des »Sitzenbleiberelends«<br />

konstatiert schon Peter Petersen<br />

in den 20er Jahren »den Bankrott<br />

des Jahres-Klassensystems« und fordert,<br />

Kindergruppen zu bilden, in denen<br />

soziales Leben in seiner Vielgestaltigkeit<br />

ermöglicht wird.<br />

Ingenkamp beklagt (1969), dass<br />

durch die Organisationsform der Jahrgangsklasse<br />

»die natürliche Variationsbreite<br />

der Leistungsfähigkeit innerhalb<br />

eines Jahrgangs weitgehend übersehen<br />

wird« (S. 273).<br />

Die Hoffnung, altersgleiche Kinder<br />

gleichzeitig durch einen kleinschrittigen<br />

Unterricht zum gleichen Ziel<br />

zu bringen, ist gescheitert. Die Heterogenität<br />

schon der Jahrgangsklasse<br />

verlangt einen binnendifferenzierten<br />

Unterricht, offenere Unterrichtsformen<br />

mit veränderten Zeit-, Raum- und<br />

Handlungsstrukturen.<br />

Doch die Not der Lehrerinnen und<br />

Lehrer sowie die Diskrepanz von (vermeintlichem)<br />

Vermittlungsauftrag und<br />

den unterschiedlichen Lebenswelten<br />

der Kinder heute wird immer sichtbarer<br />

und findet sich in solchen Sätzen wie:<br />

»Bei diesen Leistungsunterschieden ist<br />

kein geordneter Unterricht mehr möglich!«<br />

– »Mit dieser Klasse schaffe ich<br />

das Pensum nie!« – »Die Kinder heute<br />

können sich nicht mehr auf die gestellten<br />

Aufgaben konzentrieren!« Der Anteil<br />

der Kinder, die sich ohne Probleme<br />

auf den traditionellen lehrerzentrierten<br />

Unterricht einstellen können, scheint<br />

immer kleiner zu werden. Mehr und<br />

mehr Kinder zeigen sich überfordert;<br />

Disziplinprobleme sind die Folge.<br />

Je mehr die Unterschiedlichkeit der<br />

Kinder wächst, desto illusorischer wird<br />

auch bei erhöhter Anstrengung, zusätzlichen<br />

Ressourcen oder kleineren<br />

homogeneren Gruppen die Hoffnung,<br />

ein Konzept erfolgreich realisieren zu<br />

können, das auf Homogenität aufbaut.<br />

Das Prinzip der Jahrgangsklassen<br />

fördert die Fiktion einer relativ homogenen<br />

Lerngruppe. Kinder, die zu weit<br />

von der mittleren Norm abweichen,<br />

werden am Schulanfang in präventiver<br />

Absicht zurückgestellt oder bleiben<br />

innerhalb der Schulzeit sitzen oder<br />

werden einer Sonderschule zugeführt.<br />

Um die Fiktion der relativ homogenen<br />

Lerngruppe zu erhalten, wird das Prinzip<br />

der Jahrgangsklasse eingeschränkt<br />

und es werden Klassen gebildet, die<br />

Kinder mit einem Entwicklungsstand<br />

und einer Leistungsfähigkeit erfassen<br />

sollen, die gleichschrittiges Vorgehen<br />

ermöglichen.<br />

<strong>Grundschule</strong> heute wendet sich<br />

mehr und mehr gegen Aussonderungen.<br />

Sie stellt sich die Aufgabe, Kinder<br />

mit unterschiedlichen Begabungen,<br />

Neigungen und Fähigkeiten, mit unterschiedlicher<br />

sozialer und kultureller<br />

Herkunft individuell im gemeinsamen<br />

Leben und Lernen zu fördern. Die Förderung<br />

sog. hochbegabter bis zur<br />

Integration lernbeeinträchtigter oder<br />

entwicklungsverzögerter Kinder macht<br />

die Spannweite der Grundschularbeit<br />

deutlich und verlangt eine Abkehr von<br />

den Prämissen, auf denen das Prinzip<br />

der Jahrgangsklasse beruht.<br />

Vor allem die Veränderung der<br />

Kindheit verändert den Anspruch an<br />

die Schule; sie soll zum Ort der Begegnung,<br />

Lebens- und Lernstätte werden.<br />

Arbeit in jahrgangsübergreifenden<br />

Gruppen bietet besondere Chancen<br />

für die soziale Erprobung sowie für die<br />

Entwicklung sozialer Kompetenz.<br />

Aus dem Auftrag der <strong>Grundschule</strong>,<br />

gemeinsame Schule für alle Kinder zu<br />

sein, ergibt sich eine besondere Verpflichtung,<br />

eine »Pädagogik der Vielfalt<br />

in der Gemeinsamkeit« (Preuss-Lausitz)<br />

zu entwickeln und einen Unterricht<br />

zu gestalten, der jedem Kind das<br />

Recht und die Chance auf »eigentümliche«<br />

(Schleiermacher) Entwicklung<br />

24 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

OPORSTUVWXYZ<br />

einräumt; dies beinhaltet, das Kind als<br />

Person, als ein im Kern unverfügbares<br />

Wesen zu achten.<br />

Lernen in altersgemischten<br />

Gruppen steht gleichwertig neben<br />

dem Lernen in Jahrgangsklassen<br />

Jahrgangsübergreifende Gruppenbildungen<br />

schaffen spezifische Chancen,<br />

um die erzieherischen, didaktischen<br />

und schulorganisatorischen Aufgaben<br />

der <strong>Grundschule</strong> zu bewältigen.<br />

In vielen Bundesländern wird daher<br />

die Offenheit im Hinblick auf die adäquate<br />

Organisationsform Jahrgangsklasse<br />

und / oder jahrgangsübergreifende<br />

Gruppen in einem rechtlichen<br />

Rahmen abgesichert. So heißt es z. B.<br />

in der Verordnung für Ausgestaltung<br />

der <strong>Grundschule</strong> des Hessischen Kultusministeriums<br />

vom 23. August 1995:<br />

»Der Unterricht wird in jahrgangsbezogenen<br />

oder jahrgangsübergreifenden<br />

Lerngruppen erteilt.«<br />

Damit wird jahrgangsübergreifende<br />

Gruppenbildung zu einer Anfrage, die<br />

im schuleigenen Konzept, im Schulprogramm<br />

einer Schule zu beantworten<br />

ist.<br />

Mit Jahrgangsmischung individuelle Chancen nutzen<br />

und Benach teiligungen mindern<br />

1993 begannen in Bremen zwei Regelgrundschulen<br />

mit der jahrgangsübergreifenden<br />

Arbeit. (…) Für uns in<br />

der Schule am Pfälzer Weg in Tenever,<br />

dem sozial am stärksten belasteten<br />

Stadtgebiet Bremens, sollte das neue<br />

Konzept für den Schulanfang und die<br />

ersten Schuljahre verhindern, dass<br />

– wie bei der Einschulung in ein traditionelles<br />

Jahrgangsklassensystem –<br />

ausgerechnet den Kindern, die ohnehin<br />

Probleme haben, durch organisatorische<br />

(selektierende) Maßnahmen<br />

zusätzliche Störungen zugemutet werden.<br />

(…)<br />

Erfahrungen nach<br />

12 Jahren Altersmischung<br />

Die nachfolgend beschriebenen Effekte<br />

waren zum Teil erst nach mehreren<br />

Jahren zu spüren: pädagogische Veränderungen<br />

benötigen Zeit, um wirken zu<br />

können.<br />

Die wesentlichen Erfahrungen sind:<br />

■ Die Einschulung in eine jahrgangsübergreifende<br />

Gruppe verändert den<br />

von Maresi Lassek,<br />

Heft 93 (2006), S. 9 ff.<br />

Schulanfang. Die neuen Kinder beginnen in einer Gruppe, die<br />

Arbeitsformen, Gruppenregeln, das Miteinanderumgehen<br />

und Miteinanderkommunizieren vorlebt. Da jüngere Kinder<br />

bestrebt sind, es den älteren gleich zu tun (Anerkennung der<br />

Altershierarchie), übernehmen sie vieles durch Nachahmen.<br />

■ Vergleichsituationen und Beurteilungen erlangen weniger<br />

Bedeutung. Kinder erleben von Anfang an, dass sie unterschiedlich<br />

sind und Unterschiedliches leisten. Es entwickelt<br />

sich mehr Toleranz, das Lernklima wird entspannter.<br />

■ Die Rollenfindung am Schulanfang ist entlastet, da die<br />

Rollen der »Gro ßen« feststehen. Nach einem Jahr rücken<br />

die jüngeren Kinder auf, ihre Position innerhalb der Gruppe<br />

verändert sich »automatisch«, das gilt auch für Kinder mit<br />

Problemen. (…) Jedes Kind entwickelt sich vom unerfahrenen<br />

zum erfahrenen und kann andere unterstützen.<br />

■ Das soziale Lernen wird durch den Umgang mit älteren<br />

und jüngeren Kindern erweitert, Verhaltens- und Disziplinprobleme<br />

verringern sich. Ein Effekt, der im übrigen auch im<br />

Schulklima zu spüren ist. (…)<br />

■ Die Lehrkraft hat viele Helfer (erfahrene Kinder können<br />

unterstützen, erklären usw.), allerdings muss Helfen gelernt<br />

werden.<br />

■ Die Kinder, die ein drittes Jahr in der altersgemischten<br />

Gruppe verbleiben, entwickeln sich deutlich positiver im<br />

Vergleich zu Kindern, die früher eine Vorklasse besucht oder<br />

eine Klasse wiederholt haben.<br />

■ Schnell lernende Kinder müssen nicht »gebremst« werden.<br />

Herausforderungen auf ihrem Niveau fordern sie, weniger<br />

Störungen sind die Folge. Im Ausnahmefall kann ein Kind<br />

nach einem Jahr in die 3. Klasse übergehen. (…)<br />

■ Lehrkräfte müssen sich beim Einstieg in die Altersmischung<br />

auf eine erhöhte Arbeitsbelastung einstellen. Entlastung<br />

lässt sich schaffen durch Teamarbeit, durch Arbeitsteilung<br />

sowie durch eine veränderte Arbeits organisation.<br />

(…)<br />

■ Bei der Veränderung des Unterrichts ist der entscheidende<br />

und schwierige Schritt die Öffnung. Die Alters -<br />

mischung liefert den »zwingenden« Rahmen für deren<br />

konsequente Um setzung. Im Übrigen wechseln im<br />

Unterricht gemeinsame und individuelle Phasen, zentrierte<br />

und selbstbestimmte Anteile, Arbeit in den<br />

Lernmaterialien, Projektarbeit usw. ab. Der Unterricht<br />

wird weitgehend fächer übergreifend und projektbezogen<br />

gestaltet. Ziel ist, die Entwicklung von selbstständigem<br />

und selbstverantwortlichem Lernen und Arbeiten<br />

zu unter stützen. (…)<br />

■ Die Bedeutung der Entwicklung stabiler Grundlagen für<br />

das Lernen gehört zu den wichtigen Erfahrungen. Nicht die<br />

Menge des durchgenommenen Stoffes ist entscheidend,<br />

sondern der Umstand, ob das einzelne Kind auf dem Gelernten<br />

aufbauen kann. (…)<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />

25


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

ABCDEFGHIJK LMN<br />

… wie Kinderrechte<br />

»2,62 € am Tag – genug fürs Leben?«, fragten wir im Editorial zu Heft 94. Um das »Armutszeugnis<br />

Kinderarmut« ging es da, nach wie vor viel mehr als nur ein Randphänomen in diesem<br />

Land. Mit einem »7-Punkte-Aktionsprogramm« wandte sich der Grundschulverband an die<br />

Öffentlichkeit – als Anwalt der Kinder und ihrer Rechte. Engagement für Kinderrechte – nicht<br />

nur in unserem Land –, das ist eine gute Tradition unseres Verbandes von Anfang an: Belegt<br />

z. B. auch durch das Projekt »Eine Welt in der Schule«, das im Internationalen Jahr des Kindes<br />

(1979) seinen Anfang nahm.<br />

Kinderleben in dieser Welt –<br />

Kinder leben in dieser Welt<br />

von Lilli Roffmann,<br />

Heft 76 (2001), S. 2<br />

Ich schreibe diesen Tagebuch-Beitrag<br />

unter dem Eindruck des entsetzlichen<br />

Geschehens vom 11. September – jenes<br />

Geschehens, das so viel Leid über<br />

unzählige Menschen gebracht, das so<br />

viele sicher geglaubte Gegebenheiten<br />

und Gewissheiten auf den Kopf gestellt<br />

und das unendlich viele Fragen aufgeworfen<br />

und (…) Ängste ausgelöst hat …<br />

Mir geht durch den Kopf, dass auch<br />

Kinder mit den <strong>aktuell</strong>en Informationen<br />

und Eindrücken fertig werden und sich<br />

in ihrer Welt orientieren müssen; und<br />

ich frage mich, ob sie zu Hause und<br />

in der Schule die für sie notwendigen<br />

Menschen haben, zu denen sie mit<br />

ihren Fragen und auch Ängsten gehen<br />

können: Eltern, Großeltern, Lehrerinnen<br />

und Lehrer, die vor der schwierigen<br />

Aufgabe stehen, Antworten zu<br />

geben, Ängste zu mindern und Mut<br />

und Vertrauen in die Zukunft zu vermitteln<br />

… Während ich meine Gedanken<br />

niederschreibe, sollten weltweit<br />

eigentlich die letzten Vorbereitungen<br />

für den nach 1990 zweiten Weltkindergipfel<br />

der Vereinten Nationen laufen,<br />

der vom 19. bis 21. September in New<br />

York stattfinden sollte. Zu diesem Gipfel<br />

wollten sich Staats- und Regierungschefs<br />

aus aller Welt treffen, um unter<br />

Beteiligung von ebenfalls eingeladenen<br />

Kindern und Jugendlichen gemeinsam<br />

daran (weiter) zu arbeiten, die Welt<br />

kinderfreundlicher zu gestalten und<br />

die in der UN-Kinderkonvention vom<br />

20. 11. 1989 formulierten Rechte des<br />

Kindes umzusetzen.<br />

Kinder äußern ihre Meinung<br />

Im Vorfeld des Weltkindergipfels und<br />

zu seiner Vorbereitung führte das UN-<br />

Kinderhilfswerk UNICEF in 35 Staaten<br />

Europas und Zentralasiens eine repräsentative<br />

Meinungsumfrage unter<br />

mehr als 15 000 Kindern und Jugendlichen<br />

zwischen 9 und 17 Jahren durch.<br />

(…) Sie enthält – so meine ich – durchaus<br />

Ermutigendes, macht zugleich<br />

aber auch deutlich, dass es aus Sicht<br />

der befragten 9- bis 17-Jährigen Handlungsbedarf<br />

gibt, dem es sicher nicht<br />

nur auf der internationalen Ebene eines<br />

WeltkindergipfeIs zu entsprechen gilt,<br />

sondern auch und besonders auf der<br />

nationalen und auch lokalen Ebene<br />

– bis hinein in die ganz konkrete Situation<br />

der Kinder und Jugendlichen vor<br />

Ort: in ihrer Familie, ihrem Zuhause,<br />

ihrem Wohnort, ihrer Schulklasse, ihrer<br />

Schule …<br />

Interessant ist in diesem Zusammenhang<br />

ein weiteres Umfrage-Ergebnis.<br />

Gefragt, welcher Kinder-Rechte sie<br />

sich bewusst seien, nannten die Kinder<br />

und Jugendlichen mit deutlichem Abstand<br />

vor anderen Kinder-Rechten das<br />

in Artikel 28 der UN-Kinderkonvention<br />

festgeschriebene Recht auf Bildung<br />

(61 %).<br />

Wir alle sind gefordert: In der gemeinsamen<br />

Verantwortung für die<br />

Zukunft müssen wir uns täglich neu<br />

dafür einsetzen, mit Kindern die für<br />

sie bedeutsamen Gegenwarts- und Zukunftsfragen<br />

zu bearbeiten und sie darin<br />

zu unterstützen, mit ihren Lebensproblemen<br />

zurecht zu kommen und<br />

sich in der Welt zu orientieren – auch<br />

wenn diese Welt es ihnen (wie auch<br />

uns) manchmal sehr schwer macht.<br />

Bildungsgerechtigkeit –<br />

ein hohles Versprechen?<br />

von Angelika Speck-Hamdan,<br />

Heft 97 (2007), S. 6 ff.<br />

Der Artikel 26 der allgemeinen Menschenrechte,<br />

von der UN-Vollversammlung<br />

im Jahr 1948 verabschiedet,<br />

schreibt das Recht auf Bildung für jeden<br />

Menschen fest.<br />

Artikel 26<br />

1. Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung.<br />

Der Unterricht muss wenigstens<br />

in den Elementar- und <strong>Grundschule</strong>n<br />

unentgeltlich sein. Der Elementarunterricht<br />

ist obligatorisch. Fachlicher<br />

und beruflicher Unterricht soll allgemein<br />

zugänglich sein; die höheren<br />

Studien sollen allen nach Maßgabe<br />

ihrer Fähigkeiten und Leistungen in<br />

gleicher Weise offen stehen.<br />

2. Die Ausbildung soll die volle Entfaltung<br />

der menschlichen Persönlichkeit<br />

und die Stärkung der Achtung der<br />

Menschenrechte und Grundfreiheiten<br />

zum Ziele haben. Sie soll Verständnis,<br />

Duldsamkeit und Freundschaft<br />

zwischen allen Nationen und allen<br />

rassischen oder religiösen Gruppen<br />

fördern und die Tätigkeit der Vereinten<br />

Nationen zur Aufrechterhaltung<br />

des Friedens begünstigen.<br />

Dahinter steht die Überzeugung, dass<br />

Bildung ein unabdingbares Menschenrecht<br />

ist. Enthalten ist auch der Anspruch,<br />

dass jedem Kind und Jugendlichen<br />

eine seinen Fähigkeiten oder<br />

Begabungen entsprechende Bildung<br />

ermöglicht werden soll. (…)<br />

Welche Bildungsrisiken haben diejenigen<br />

Kinder und Jugendlichen zu<br />

tragen, die unter ungünstigen sozialen<br />

Bedingungen aufwachsen, die als arm<br />

zu bezeichnen sind? Von Armut betroffen<br />

zu sein, bedeutet für Kinder vor<br />

allem dreierlei: Einschränkung, Ausgrenzung,<br />

Belastung.<br />

Schule kann zur Quelle von Versagen<br />

werden, sie kann die sozialen Abwertungsprozesse<br />

verstärken und kann<br />

26 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

OPORSTUVWXYZ<br />

so zur Kumulation der belastenden<br />

Bedingungen beitragen. Schule kann<br />

aber auch zum Schutzfaktor werden.<br />

Konkret sollen im Folgenden sieben<br />

protektive Möglichkeiten aufgezeigt<br />

werden.<br />

Sieben Möglichkeiten<br />

1. Ausbau der (kostenfreien)<br />

vorschulischen Bildung<br />

Da sich Armutseffekte auf die Erfahrungs-<br />

und Lernmöglichkeiten nicht<br />

erst in der Schule zeigen, scheint es<br />

geboten, das Bildungsangebot bereits<br />

früher als bisher und kostenfrei zur<br />

Verfügung zu stellen. Ob ein verpflichtendes<br />

Jahr vor der Schule, wie es der<br />

Grundschulverband bisher fordert, die<br />

schwierige Aufgabe des Nachteilsausgleichs<br />

zumindest weitgehend leisten<br />

kann, sollte weiter untersucht werden.<br />

Es sollte ebenso überlegt werden, ob<br />

nicht durch die Kostenfreiheit vor allem<br />

auch jüngere Kinder in den Genuss erweiterter<br />

Entwicklungsmöglichkeiten<br />

kommen können.<br />

2. Ganztagsschule<br />

Die Ganztagsschule bietet ohne Zweifel<br />

hervorragende Möglichkeiten, die<br />

Erfahrungs- und Lernmöglichkeiten<br />

von armen Kindern zu erweitern und zu<br />

vertiefen (vgl. Band 122 des Grundschulverbandes).<br />

Ein breit gefächertes Angebot<br />

kann Interessen wecken, vielfältige<br />

Kompetenzerfahrungen ermöglichen<br />

und zudem einen geeigneten Rahmen<br />

für geteilte Erfahrungen und Kommunikationen<br />

schaffen. Dass außerdem<br />

die Ernährungssituation dadurch für<br />

viele Kinder verbessert werden kann,<br />

auch die Gesundheitsvorsorge einen<br />

festen Platz im Leben der Kinder erhält,<br />

sei nur am Rand erwähnt.<br />

3. Spezielle, individuell abgestimmte<br />

Förderangebote<br />

Die Einschränkungen des lebensweltlichen<br />

Horizonts machen sich u. a. in<br />

fehlenden Lernvoraussetzungen bemerkbar,<br />

was viele Lehrerinnen und<br />

Lehrer gerade im Hinblick auf die<br />

Sprache bestätigen. Vor allem in einer<br />

Schule mit mehr Zeit zum Lernen<br />

lassen sich vermehrt individuelle Förderangebote<br />

platzieren. Es ist anzunehmen,<br />

dass gerade Kinder, die wenig<br />

Lernerfahrungen haben, mehr auf die<br />

unterstützende Hilfe eines zuverlässigen<br />

Erwachsenen angewiesen sind.<br />

Die Devise muss lauten: Fördern statt<br />

Auslesen!<br />

4. Verzicht auf frühe Selektion<br />

Im Sinne dieser Devise ergibt sich als<br />

weitere protektive Möglichkeit der Verzicht<br />

auf die frühe und – wie gezeigt<br />

– durchaus nicht immer leistungsgerechte<br />

Auslese. Sie grenzt aus statt Zugehörigkeit<br />

zu schaffen. Sie verstärkt<br />

das wenig motivierende Gefühl des<br />

Versagens. Eine längere gemeinsame<br />

Schulzeit für alle Kinder bietet dagegen<br />

Gelegenheit, Entwicklungen Zeit<br />

zu geben und etwaige versäumte Lerngelegenheiten<br />

nachzuholen.<br />

5. Positives Klassenklima<br />

Der Ausgrenzung kann vor allem durch<br />

ein beschützendes und Sicherheit vermittelndes<br />

Klassenklima entgegengewirkt<br />

werden, das Diskriminierung<br />

ausschließt und vor allem auf einer<br />

Haltung des gegenseitigen Respekts<br />

und der gegenseitigen Achtung fußt.<br />

Auch dafür gibt es ausgezeichnete Beispiele.<br />

Gerade Kinder, die Ausgrenzung<br />

im Alltag oft genug erleben, an sich<br />

selbst, an ihrer Familie, an ihrer Wohngegend,<br />

sind äußerst empfindlich, was<br />

Anerkennung angeht. Schädlich ist es<br />

auch, wenn in der Klasse Misserfolge<br />

zu sehr öffentlich gemacht werden,<br />

Kinder also beschämenden Situationen<br />

ausgesetzt sind.<br />

6. Verzicht auf Noten<br />

Noten machen den sozialen Vergleich<br />

öffentlich. Sie schaden Kindern, die im<br />

Vergleich ständig schlecht abschneiden.<br />

Die Mechanismen des Zusammenhangs<br />

zwischen Selbstvertrauen und<br />

Leistungsfähigkeit sind hinlänglich<br />

bekannt. Kinder mit eingeschränkten<br />

Lerndispositionen werden zusätzlich<br />

behindert durch Vergleiche mit denen,<br />

die von völlig anderen Positionen aus<br />

gestartet sind. Wenn Noten schädlich<br />

sind, dann sind sie es für arme Kinder<br />

ganz besonders.<br />

7. Schaffung sozialer Netzwerke<br />

Die Schule allein ist möglicherweise<br />

mit der weit reichenden Aufgabe,<br />

Entwicklungs- und Bildungsrisiken zu<br />

entschärfen oder abzupuffern, überfordert,<br />

zumal die familiäre Situation<br />

von ihr nicht zu ändern ist. Es ist daher<br />

ein viel versprechender Ansatz, um<br />

Kinder in Armutslagen wirksame soziale<br />

Netzwerke aufzubauen, die nicht<br />

nur den Kindern, sondern auch ihren<br />

Familien unterstützend zur Seite stehen<br />

können.<br />

Lässt sich durch die aufgezeigten Maßnahmen<br />

mehr Bildungsgerechtigkeit<br />

schaffen? Der internationale Vergleich<br />

spricht dafür. Denn andere Länder sind<br />

erfolgreicher in der Einlösung des Bildungsanspruchs<br />

für Kinder aus ungünstigen<br />

Herkunftsmilieus. Bildungsangebote<br />

müssen gerade für arme<br />

Kinder leicht erreichbar, ganztägig vorgehalten,<br />

förderorientiert und nichtdiskriminierend<br />

gestaltet sein. Dann<br />

kann die Schule einen kleinen Beitrag<br />

zur Bildungsgerechtigkeit leisten. Um<br />

Wirksamkeit tatsächlich entfalten zu<br />

können, müssen jedoch solche bildungspolitischen<br />

Maßnahmen durch<br />

sozialpolitische ergänzt werden.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />

27


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

ABCDEFGHIJKL MN<br />

… wie Leistung oder Lehrersein<br />

»Die Kinder sind das Maß«, dieser Titel eines Beitrags kennzeichnet die Sichtweise des Grundschulverbandes<br />

auch zum Thema Leistung, siehe ebenso z. B. die Beiträge bei den Buchstaben B,<br />

C oder W. Beim Blick auf die Kinder nehmen Lehrer/innen mehr wahr als deren Lernfortschritte<br />

oder Lernprobleme. Auch ihre Lebensprobleme kommen in den Blick. Auch wächst dabei die Erkenntnis,<br />

wie von Hentig sie formulierte: dass sich oft die Lebensprobleme vor die Lernprobleme<br />

schieben. Leistung in diesem Verständnis trifft das Lehrersein im Mark und fordert dazu heraus,<br />

Wege des pädagogischen Umgangs gemeinsam zu finden, jenseits eines Unterrichts, der lediglich<br />

»durchnimmt« und »abarbeitet«. Siehe auch beim Buchstaben U wie Unruhe.<br />

Die Kinder sind das Maß<br />

von Horst Bartnitzky,<br />

Heft 64 (1998), S. 2<br />

Im Sommer meldete die deutsche<br />

presseagentur, dass die Kultusminister<br />

der SPD-geführten Bundesländer »so<br />

schnell wie möglich« an allen Schulen<br />

regelmäßig die Leistungen testen<br />

lassen wollen. Dabei, so dpa, solle es<br />

sowohl Vergleiche zwischen den einzelnen<br />

Schulen als auch zwischen<br />

den Bundesländern geben. Mehrere<br />

SPD-Bildungspolitiker forderten darüber<br />

hinaus, dass festgestellte Mängel<br />

auch Konsequenzen nach sich ziehen<br />

müssten. Es sei, so die Bildungspolitiker,<br />

nicht hinzunehmen, dass Schüler<br />

gezwungen würden, in schlechte Schulen<br />

zu gehen und weiterhin miserablen<br />

Unterricht zu ertragen, wenn bei Tests<br />

solche Fehler aufgedeckt würden.<br />

Immer ist die <strong>Grundschule</strong> bei solchen<br />

Überlegungen mit im Spiel – bei<br />

den Forderungen nach Vergleichsarbeiten,<br />

nach mehr Förderung im Lesen,<br />

Schreiben und Rechnen. Tatsächlich<br />

trifft der empirische Hintergrund<br />

aber gar nicht die <strong>Grundschule</strong>. Die<br />

TIMSS-II-Studie verglich international<br />

die Leistungen der Klassen 7 und<br />

8 in Mathematik und Physik, die ewig<br />

währenden Klagen der Abnehmer des<br />

Schulsystems müssen im Ernst doch<br />

vor allem die oberen Jahrgänge der weiterführenden<br />

Schulen meinen. Die Diskussion<br />

leidet an den Widersprüchen:<br />

Zur Qualität der Grundschularbeit:<br />

Sie wird in den Untersuchungen nicht<br />

angezweifelt, dennoch wird sie heruntergeredet.<br />

Zu Vergleichsarbeiten und Schulleistungstests:<br />

Sie sollen der Leistungssteigerung<br />

dienen, bewirken aber das<br />

Gegenteil. Es wird dann eben nur das<br />

gelehrt, was beim Test abgefragt wird.<br />

Unterrichtliche Engführung wäre die<br />

Folge.<br />

Zu Vergleichen zwischen Schulen:<br />

Gerade bei der <strong>Grundschule</strong> als Schule<br />

für alle Kinder eines Wohnbezirks ist<br />

diese Zumutung systemwidrig. Schulen<br />

im »Akademikerviertel« wären per<br />

se Leistungsspitze, Schulen im sozialen<br />

Brennpunkt Schlusslichter im Leistungsvergleich.<br />

Der Aussagewert wäre<br />

gleich null, die Wirkung aber leistungsmindernd<br />

– die »Selbstläufer« würden<br />

selbstgenügsam, die »Schlusslichter«<br />

müssten resignieren. Dies gilt für Kinder<br />

ebenso wie für deren Lehrkräfte.<br />

Leistung in der <strong>Grundschule</strong> bestimmt<br />

sich anders. Sie leitet sich vom<br />

Grundrecht jedes Kindes auf Bildung<br />

ab.<br />

Von den Möglichkeiten der Kinder<br />

her, die in der Schule versammelt sind,<br />

muss die Leistungsfähigkeit der Schule<br />

bestimmt werden: Sie muss nämlich<br />

das Recht auf Bildung just dieser<br />

Kinder einlösen. Die Schule im sozialen<br />

Brennpunkt braucht dazu andere<br />

pädagogische Initiativen und andere<br />

Ressourcen als die Schule im Akademikerviertel.<br />

Die Kinder sind damit das<br />

Maß. Neben den Lehrkräften, die für<br />

»ihre« Kinder Leistung definieren und<br />

entsprechenden Unterricht arrangieren<br />

müssen, sind die Schulministerien<br />

in der Pflicht, die Leistungsfähigkeit<br />

der <strong>Grundschule</strong>n herzustellen. Sprich:<br />

Lehrkräfte gut aus- und fortzubilden,<br />

verträgliche Klassengrößen herzustellen,<br />

Raumvorschriften zu erlassen, die<br />

auch freie Bewegung, Funktionsecken,<br />

Kreisgespräche ermöglichen, und Zuwendungszeit<br />

zu Kindern zumindest<br />

über den ungekürzten Vormittag zu gewährleisten.<br />

Leistung ist also zunächst<br />

die Leistung der jeweils sehr konkreten<br />

Schule, damit die Kinder in ihr etwas<br />

leisten können.<br />

28 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

OPORSTUVWXYZ<br />

Für die <strong>Grundschule</strong> ist das Thema<br />

Leistung … hoch bedeutsam. Kinder<br />

zu ihrem Recht auf Bildung und damit<br />

auch zu ihrem Recht auf Leistung zu<br />

verhelfen, das ist eines ihrer Kernanliegen.<br />

Dazu gehört natürlich auch,<br />

Rechenschaft über Geleistetes, über<br />

Geschafftes und Gekonntes abzulegen<br />

– zur Bestärkung und zur weiteren<br />

Lernplanung. Das gilt für Kinder, für<br />

Lehrkräfte, für Schulen. Insofern sind<br />

wir nicht gegen Lernkontrollen. Nur<br />

Vergleichstests befördern dies alles<br />

nicht. Im Gegenteil: Sie schaden, beim<br />

Wort genommen, der Leistungsentwicklung<br />

der Kinder wie der Schulen.<br />

Anspruchsvolle Bildungsarbeit in der<br />

<strong>Grundschule</strong> braucht auch anspruchsvolle<br />

Evaluierungen. Hier müssen neue<br />

Wege gefunden werden, die die Kinder<br />

als aktive Mitgestalter ihrer Lernprozesse<br />

einbeziehen, die schulinterne wie<br />

gegenprüfende externe Evaluation miteinander<br />

verbinden und die Lernbedingungen<br />

der Kinder berücksichtigen. So<br />

anspruchsvoll muss es schon sein.<br />

Meine Kunst des Lehrens<br />

von Petra Uhlig, Heft 63 (1998), S. 2<br />

Handwerk ist die Grundlage einer jeden<br />

Kunst. Nach einigen Jahren Lehrerinnendaseins<br />

an verschiedenen Schulen<br />

und in unterschiedlichen Funktionen<br />

denke ich, dass ich dies Handwerk allmählich<br />

beherrsche. Nun bin ich dabei,<br />

die Meisterschaft zu erlangen, ja eine<br />

Kunst zu entwickeln.<br />

Natürlich sind die vorhandenen<br />

Bedingungen wichtig, als ausschlaggebend<br />

empfinde ich jedoch die Einstellung<br />

zur Sache. Ist die extreme<br />

Heterogenität meiner Klasse eine zusätzliche<br />

Belastung oder nutze ich<br />

die Stärken eines jeden Kindes so geschickt,<br />

dass sie der Gemeinschaft<br />

nützen? Lehre ich die Kinder schreiben,<br />

lesen, rechnen oder beanspruche ich,<br />

diese Kulturtechniken als Mittel zum<br />

Zweck zu nutzen, nämlich die Kinder<br />

allmählich zu einer wichtigen Sache<br />

des gesamten menschlichen Lebens, zu<br />

einer beharrlichen und ausdauernden<br />

Arbeit zu befähigen? Und sollen sie<br />

dabei Aufgaben nacharbeiten oder will<br />

ich sie zur Überwindung auch geistiger<br />

Schwierigkeiten befähigen? Ein Kind<br />

wird nur dann gern zur Schule gehen,<br />

wenn sie ihm ebenso viele Freuden bereitet,<br />

wie es vor der Schule gehabt hat.<br />

Es darf ihm nicht langweilig werden,<br />

sondern es möchte ernst genommen<br />

und seinen Voraussetzungen entsprechend<br />

gefordert werden. Der Lehrer im<br />

sogenannten Helferberuf neigt dazu,<br />

besonders auf die leistungsschwachen<br />

Schüler einzugehen. Doch wie geht es<br />

einem Kind, dem beim Lernen alles<br />

leichtfällt, wird ihm nicht allmählich<br />

Denkträgheit anerzogen? Muss ich als<br />

Lehrerin nicht ebenso auf die begabten<br />

Kinder achten und darf keinen geistigen<br />

Müßiggang zulassen? Dies scheint mir<br />

grundlegend.<br />

Doch als Lehrerin heute habe ich<br />

auch auf die veränderten Lebensbedingungen<br />

der Kinder einzugehen. Da<br />

möchte ich den kleinen Königinnen und<br />

Königen mancher Familien vorstellbar<br />

machen, dass Kinder auch ohne den<br />

letzten Schrei der Werbung glücklich<br />

und zufrieden leben, muss an Wandertagen<br />

bedenken, dass viele Kinder<br />

ihre Wege mit dem Auto zurücklegen,<br />

möchte manchem zeigen, dass Tiere im<br />

Wald anders zu sehen sind als die Großaufnahmen<br />

im Fernsehen oder einigen<br />

bewusst machen, welche Schönheit in<br />

einer sich öffnenden Knospe steckt.<br />

Diese ungezählten Anforderungen zu<br />

bewältigen, zwingen mich in einen<br />

Spagat.<br />

An der Schule für Lernbehinderte<br />

in einem sozialen Brennpunkt fürchtete<br />

ich, dieser könne mich bei den<br />

enormen Problemen der Kinder und<br />

in dieser Ballung zerreißen. In meiner<br />

Grundschulklasse freue ich mich über<br />

deren Heterogenität und habe Lust und<br />

Kraft, diesen Spagat immer formvollendeter<br />

und gekonnter zu leisten. Vor<br />

allem indem ich den Kindern lausche,<br />

ihnen Gelegenheit biete, selbstverantwortlich<br />

zu lernen und immer häufiger<br />

versuche, sie in die Mitgestaltung des<br />

Unterrichts einzubeziehen, übe ich<br />

mich in meiner pädagogischen Kunst.<br />

Mir ist klar, dass eine Person allein<br />

auf Dauer die Aufgaben, die auf die<br />

Schule zukommen, nicht bewältigen<br />

wird. Meine Qualifikationen in Psychologie,<br />

Logopädie oder Motopädie<br />

genügen trotz Fortbildung nicht, um<br />

schwerwiegende Probleme lösen zu<br />

können. Ich wünsche mir eine Schule,<br />

in der alle Kinder lernen können und in<br />

der ich im Team mit Experten, die nicht<br />

unbedingt Pädagogen sind, tätig bin.<br />

Nicht zuletzt deshalb setze ich mich<br />

mit dem Grundschulverband für eine<br />

kindgerechte <strong>Grundschule</strong> ein.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />

29


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

ABCDEFGHIJKLM N<br />

… wie Kinder mit »Migrationshintergrund«<br />

Sprache ist ein<br />

Schlüssel zur Integration<br />

von Angelika Speck-Hamdan,<br />

Heft 92 (2005), S. 3 f.<br />

Fragt man nach den Krankheiten des<br />

deutschen Bildungssystems, so fehlt<br />

ein Hinweis nie: nämlich der auf das<br />

Versagen, Kinder und Jugendliche mit<br />

Migrationshintergrund ausreichend<br />

zu fördern. Kinder und Jugendliche<br />

mit Migrationshintergrund sind die<br />

Verlierer in unserem Bildungssystem.<br />

Sie bleiben häufiger sitzen, werden<br />

häufiger an Sonderschulen überwiesen<br />

und erreichen im Schnitt die niedrigsten<br />

Schulabschlüsse bzw. sind<br />

unter den Abgängern ohne Abschluss<br />

überproportional vertreten. Diese<br />

Tatsachen sind nicht neu; sie werden<br />

mittlerweile seit Jahrzehnten beobachtet<br />

und berichtet. Richtig Alarm<br />

geschlagen aber wurde erst im Zuge<br />

der großen Vergleichsstudien. Man<br />

kann vermuten, dass das Interesse mit<br />

der Erkenntnis zusammen hängt, dass<br />

sich die Durchschnitte aus der Gesamtbreite<br />

der Leistungen errechnen, Dass<br />

es auch erfolgreiche Schülerinnen und<br />

Schüler mit Migrationshintergrund<br />

gibt, dass ihre Quote unter den Abiturienten<br />

zahlenmäßig zugenommen<br />

hat, dass wir auch mehr Studierende<br />

mit Migrationshintergrund an den<br />

Universitäten finden, kann nicht über<br />

die Ungleichheit hinwegtäuschen. Es<br />

erreichen sehr viel weniger unter ihnen<br />

Erst mit den Ergebnissen der PISA-Studie entdeckte die Politik, was Lehrerinnen und Lehrer<br />

längst wussten: Die Kinder der dritten Generation der früheren Gastarbeiter kommen zu<br />

einem großen Teil mit den sprachlichen Anforderungen der Schule nicht zurecht. Dies gilt<br />

übrigens auch für Kinder mit deutschen Eltern aus spracharmem Milieu. Nun sollen es frühe<br />

Sprachtests und vorschulische Sprachförderung richten. Das sind zu kurz gegriffene Aktionen:<br />

Sprachförderung der einen wie der anderen Kinder muss Aufgabe auf jeder Bildungsstufe sein<br />

und ist doch auch nur ein (wenn auch besonders wichtiger) Baustein in den Bemühungen um<br />

Integration und Bildungsgerechtigkeit.<br />

gute Abschlüsse, als es ihrem Anteil an der Gesamtpopulation<br />

der Schülerinnen und Schüler an deutschen Schulen<br />

entspricht …<br />

Schon in den ersten Jahren, als noch von »Gastarbeiterkindern«<br />

die Rede war, wurde die sprachliche Kompetenz<br />

in den Vordergrund gerückt. Erste Lösungsansätze für das<br />

praktische Problem, nicht oder nur wenig Deutsch sprechende<br />

Kinder in einer Schule mit deutscher Unterrichtssprache<br />

aufzunehmen, wurden auf der Ebene zusätzlicher<br />

Hilfestellungen bei Hausaufgaben und Zusatzsprachkursen<br />

in und außerhalb der Schule entwickelt. Die Hoffnung, dass<br />

sich das sprachliche Problem mit der Zeit – im Zuge der Anpassung<br />

– erledigt, erfüllte sich nicht … Im Gegenteil: Lehrerinnen<br />

berichten, dass die deutschen Sprachkenntnisse von<br />

Schulanfängern mit Migrationshintergrund zum Teil lückenhafter<br />

sind als früher.<br />

Die gesellschaftliche Integration von Zuwanderern stellt<br />

sich auch im Jahr 2005 noch als nicht gelöste Aufgabe, wie<br />

ein Blick auf die Website der entsprechenden Behörde zeigt<br />

(www.integrationsbeauftragte.de). Dort wird in einer Presseerklärung<br />

vom 23. 6. 2005 eindrücklich betont: »Nach 50<br />

Jahren Einwanderung muss die ›conditio sine qua non‹ der<br />

Intergrationspolitik lauten: Einwanderer sind Teil dieser Gesellschaft,<br />

sie gehören selbstverständlich dazu … Mulitkulturalität<br />

ist eine Tatsache, Integration ist eine Aufgabe.« Sowohl<br />

die mangelnden Sprachkenntnisse als auch der geringe<br />

Schulerfolg der Kinder von Zugewanderten sind Belege für<br />

mangelnde Integration.<br />

Fachsprache ist mehr<br />

als Unterrichtssprache<br />

von Horst Bartnitzky,<br />

Heft 92 (2005), S. 8 und 10<br />

Kinder mit schwachen Deutschkenntnissen<br />

sind nicht homogen schwach.<br />

In einer Klasse 2 sprechen einige Kinder<br />

von klein auf in ihrer Familie Deutsch,<br />

wenn auch nicht besonders differenziert<br />

oder elaboriert. Andere sprechen<br />

Türkisch oder Arabisch oder eine andere<br />

Sprache ihrer Familienherkunft<br />

und auch deutsch, oft ein Gemisch<br />

aus beiden, je nach familiärer Situation<br />

die eine Sprache mehr als die andere.<br />

Einige Kinder sind ausschließlich mit<br />

ihrer nicht deutschen Familiensprache<br />

aufgewachsen. Sie haben in einem<br />

vorschulischen Sprachkurs ein wenig<br />

Deutsch gelernt. Die Kinder mit türkischer<br />

Familiensprache gehen einmal<br />

in der Woche zum Türkischunterricht;<br />

die Klassenlehrerin kann mit der Türkischlehrerin<br />

Themen und Begriffe absprechen,<br />

die dann die türkischen Kinder<br />

in beiden Sprachen besprechen. Für<br />

die Kinder der vielen anderen Sprachen<br />

gibt es solche Angebote im Stadtteil<br />

nicht.<br />

Damit schließt sich für die meisten<br />

Kinder ein zweisprachiger Unterricht<br />

aus. Ebenso kann kein Konzept verfolgt<br />

werden, bei dem alle Kinder an<br />

denselben sprachlichen Phänomenen<br />

gleichzeitig üben. Überhaupt kann<br />

nicht die linguistische Progression leiten,<br />

vielmehr sollte die gemeinsame<br />

themenbezogene Arbeit alle Kinder<br />

gleichermaßen anregen und herausfor-<br />

30 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

OPORSTUVWXYZ<br />

dern, mit ihrem <strong>aktuell</strong>en Sprachstand<br />

zu agieren und ihn zu erweitern.<br />

Die Kinder brauchen fachsprachliche<br />

Fähigkeiten für ihren weiteren<br />

Schulerfolg.<br />

In dieser Klasse 2 können sich inzwischen<br />

alle Kinder in der deutschen<br />

Sprache miteinander und mit der Lehrerin<br />

verständigen, oft hilft auch die<br />

Mimik und Gestik, wenn die deutschen<br />

Wörter fehlen …<br />

Bliebe es bei solcher Genügsamkeit,<br />

dann wäre bei vielen Kindern in den<br />

kommenden Schuljahren die Folge,<br />

dass sie der fehlenden sprachlichen<br />

Fähigkeiten wegen scheitern. Die Ansprüche<br />

an die Fähigkeiten wachsen,<br />

fachsprachlich zu verstehen und selber<br />

zu argumentieren, mündlich wie<br />

schriftlich; die Ansprüche an die Lesefähigkeiten,<br />

bezogen auf literarische<br />

wie auf Fachtexte, steigen steil an …<br />

Die Förderung der Fachsprache<br />

verlangt nach Sachgebieten, in denen<br />

fachliche Begriffe, fachtypische<br />

Wort- und Satzbildungen zur sachgemäßen<br />

Arbeit nötig sind. Abziehen oder<br />

Körper sind zentrale Fachbegriffe im<br />

Mathematikunterricht, die im Alltag<br />

anders verwendet werden (»zieh ab!«).<br />

Wolkenbildung oder unveränderlich<br />

sind spezifische Wortbildungen, deren<br />

Prinzip durchschaut werden muss. »In<br />

Deutschland findet man an einigen Stellen<br />

Ansammlungen von großen Steinen.<br />

Das waren in der Steinzeit Steingräber<br />

unter großen Erdhügeln.« Diese beiden<br />

schlicht erscheinenden Sätze aus<br />

einem Sachunterrichtsbuch enthalten<br />

mehrere Fachwörter, zusammengesetzte<br />

Nomen, eine Nominalisierung<br />

und ein Verweiswort: das Pronomen<br />

das als Eröffnung des zweiten Satzes.<br />

Der Zusammenhang beider Sätze ist<br />

nur verständlich, wenn man weiß, worauf<br />

sich das Pronomen bezieht. Alles<br />

Eigenheiten, die sich in der Umgangssprache<br />

der Kinder kaum finden.<br />

Das Anregungspotential des thematischen<br />

und handlungsbezogenen<br />

Unterrichts muss genutzt werden.<br />

Die Option gilt einem thematischen<br />

und handlungsbezogenen Unterricht<br />

mit viel gemeinsamer Arbeit und eingebundener<br />

individueller Förderung:<br />

■ Die Kinder »nisten sich« bei einem<br />

Thema ein;<br />

■ sie bringen dazu ihr Vorwissen ein;<br />

■ sie handeln, also: befragen, untersuchen,<br />

beobachten, probieren aus;<br />

sie sprechen und schreiben, erarbeiten<br />

Fragen zum Thema und lesen Texte,<br />

um Antworten zu finden;<br />

■ sie halten wichtige Fachbegriffe auf<br />

einem Lernplakat fest;<br />

■ sie erarbeiten eine Präsentation, bei<br />

der ihre neuen Kenntnisse zum Thema<br />

vorgestellt werden: eine Ausstellung,<br />

eine Wandzeitung, kleine Vorträge.<br />

Den Kern der Unterrichtsarbeit<br />

macht mithin die Integration des<br />

Sprachlernens in die thematischen<br />

Unterrichtseinheiten aus. Kurse als<br />

didaktische Schleifen treten zum thematischen<br />

Unterricht hinzu: In solchen<br />

Kursen können Wortschatz, Wort- und<br />

Satzbildungen wiederholt, systematisiert,<br />

auf andere Inhaltsbereiche angewendet<br />

werden. Verbindungen zur<br />

Erstsprache können hergestellt, reflektiert<br />

und Zweisprachigkeit kann geübt<br />

werden. Solche Kurse beziehen sich<br />

aber auf die Sprachziele des thematischen<br />

Unterrichts, sie gehen inhaltlich<br />

und sprachbezogen von ihm aus<br />

und führen wieder in ihn zurück.<br />

Elterncafé und Kinderpass<br />

von Inge Hirschmann,<br />

Heft 92, S. 15 f.<br />

Bis zum letzten Jahr hatten wir eine »Vorklasse«. Schulfähigkeit<br />

oder was sollten Kinder bis zum Schulanfang gelernt<br />

haben, war ein bedeutendes Thema für diese Eltern.<br />

In Kooperation mit den Lehrer/innen einer benachbarten<br />

<strong>Grundschule</strong> haben wir einen Kinderpass entwickelt. Zu<br />

den Bereichen »Mein Alltag«, »Mein Name«, »Bewegung«,<br />

»Sprache«, »Spielen«, »Ich und du« entstand ein türkischdeutsches,<br />

bebildertes Heftchen. Die bebilderten Texte<br />

geben den Eltern Hinweise, was Kinder können oder was<br />

sie üben sollten. Im Tagebuch wird dann mit Unterschrift<br />

festgehalten, was das Kind schon alles kann. Das Heftchen<br />

kann jetzt in der neuen Schulanfangsphase als<br />

Lernstandsdokumentation gut genutzt werden.<br />

Erst seit Beginn dieses Schuljahres haben wir neben<br />

unserer neuen Mensa einen geeigneten Raum, um regelmäßig<br />

Elterncafés zu organisieren. Wir hoffen, eine<br />

Gruppe von türkischen Müttern zu finden, die für diesen<br />

Caféraum die organisatorische Verantwortung übernimmt,<br />

die Kaffee und Tee kocht, einen kleinen Snack<br />

anbietet und hinterher wieder aufräumt. Diese mit dem<br />

Schul leben erfahrenen Mütter könnten so Ansprechpartner/innen<br />

für neue Eltern sein. Wir Lehrer/innen würden<br />

entlastet und könnten unsere Energien in die inhaltliche<br />

Planung von themenziertrierten Elterncafés stecken …<br />

Unsere türkischen Eltern haben folgende Themen gewünscht:<br />

»Umgang mit Fernsehen und Videospielen«<br />

sowie »Grenzen setzen«. Und – nicht ganz unerwartet:<br />

Intensivere Kontakte zwischen ihren und den deutschen<br />

Kindern, aber auch ganz allgemein zwischen den Eltern<br />

unserer Schule.<br />

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Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

ABCDEFGHIJKLMN<br />

… wie Netzwerk oder Noten<br />

Viele Faktoren tragen zu Gewalt, Gleichgültigkeit, mangelnder Solidarität<br />

in der Gesellschaft bei. Die Schule kann mit ihren derzeitigen Strukturen<br />

bei den Kindern nicht erfolgreich gegensteuern, weil sie selbst durch<br />

Strukturen geprägt ist, die sich auf Kinder gewalttätig auswirken, indem<br />

sie Kinder beschämen, herabsetzen, ausgrenzen. Der Grundschulverband<br />

weist immer wieder auf diese fatalen Gegebenheiten hin und zeigt auf,<br />

was getan werden muss, dass die Schule für Kinder bekömmlich, also<br />

förderlich für Geist und Seele wird.<br />

Netzwerke bilden,<br />

gemeinsam handeln<br />

von Maresi Lassek<br />

Heft 97 (2007), S. 2<br />

Unfassbares hat sich in den vergangenen<br />

Monaten im wohlhabenden<br />

Deutschland ereignet. Jugendliche verübten<br />

Gewalttaten in Schulen. In Bremen<br />

überlebte der kleine Kevin seine<br />

unerträglichen Lebensumstände nicht.<br />

Schule und Sozialarbeit sehen sich auf<br />

dem Prüfstand, nach den Schuldigen<br />

wird gefragt.<br />

Immer mehr Kinder leben in unserem<br />

Land unterhalb des Armutsniveaus.<br />

Kinder aus Familien mit<br />

Migrationshintergrund erfahren zu<br />

wenig Förderung, bleiben hinter ihren<br />

Bildungsmöglichkeiten zurück. Kinder<br />

werden körperlich und emotional vernachlässigt,<br />

und das in einem Land,<br />

dem es an Nachwuchs mangelt …<br />

Worum es gehen muss, ist, dem<br />

Auseinanderdriften der Gesellschaft<br />

in Chancenlose und Gewinner entgegenzuwirken.<br />

Dieser Prozess setzt<br />

schon sehr früh ein. Doch sind der<br />

Vorschul- und der Grundschulbereich<br />

im Vergleich zu anderen Ländern in<br />

Deutschland unzureichend ausgestattet<br />

und die Konzepte für Frühförderung<br />

mangelhaft. Eine bessere finanzielle<br />

Versorgung des Elementarbereichs<br />

und familienergänzender Maßnahmen<br />

muss nach Jahren des Einsparens umgesetzt,<br />

die überfällige Schulstrukturdebatte<br />

endlich geführt werden. Wir<br />

brauchen ein integratives auf längere<br />

gemeinsame Lernzeit angelegtes Bildungssystem.<br />

Die bildungspolitisch<br />

gewollte Ausrichtung auf Erfüllung<br />

von Standards verstärkt die ohnehin<br />

bestehenden Selektionsmechanismen,<br />

ihr Einfluss wirkt immer früher. Schülerinnen<br />

und Schüler mit Lebensproblemen<br />

erfahren darüber keine Hilfe.<br />

Schulen fehlt es an sozialpädagogisch<br />

ausgerichteten Unterstützungssystemen.<br />

Netzwerke zwischen dem Bildungsund<br />

Sozialbereich müssen geknüpft<br />

werden. Dazu tragen bei: Soziale Betreuung<br />

von Geburt an, der obligatorische<br />

Besuch einer Kindertagesstätte,<br />

Gebührenfreiheit für deren Besuch,<br />

Einbindung von Eltern in die Arbeit von<br />

Kindertagesstätten und Schulen, niedrigschwellige<br />

Elternbildungsangebote,<br />

die vor Ort und kostenfrei Eltern unterstützen,<br />

eine konsequente Vernetzung<br />

der an der Erziehung und Bildung beteiligten<br />

Institutionen, die Einstellung,<br />

dass Eltern gemeinsam mit den Pädagoginnen<br />

verantwortlich sind für Kontinuität<br />

in der Entwicklung der Kinder<br />

(gerade im Hinblick auf die in unserem<br />

System schwierigen Übergänge).<br />

Ein Klima ist zu schaffen, in dem<br />

Kinder willkommen sind. Das kann<br />

gelingen, wenn mehr Ressourcen für<br />

Betreuung, Erziehung und Bildung<br />

bereitstehen. Eltern benötigen Entlastung<br />

bei der Betreuung, Eltern in<br />

schwierigen sozialen Verhältnissen<br />

ebenso wie Eltern, die berufstätig sind.<br />

Vermehrte Angebote für unter Dreijährige<br />

sind genauso erforderlich wie noch<br />

mehr Ganztagsschulen.<br />

Der Handlungsbedarf ist offensichtlich,<br />

gemeinsames Handeln gefordert.<br />

Die Praktiker/innen sind bereit, es bedarf<br />

der politischen Schritte.<br />

Wozu brauchen wir<br />

hierbei eigentlich Noten?<br />

von Horst Bartnitzky,<br />

Heft 56 (1996), S. 3 f.<br />

In einer Klasse 4 drehte sich eine Unterrichtseinheit<br />

von etwa vier Wochen<br />

um das Thema »Was machen wir in der<br />

Freizeit?«. Die Kinder berichteten von<br />

ihren Freizeitgewohnheiten, sie stellten<br />

ihre Hobbys vor, sie untersuchten<br />

die Spielmöglichkeiten im Wohnbezirk,<br />

sie gestalteten eine Fotowand, eine<br />

Spielzeug- und Hobby-Ausstellung,<br />

eine Freizeitkarte, eine Freizeit-Geschichten-Mappe<br />

und anderes mehr.<br />

Im Unterricht wurden Texte geschrieben:<br />

Freizeit-Geschichten, Hobby-<br />

Steckbriefe, Spielbeschreibungen, Beschreibungen<br />

von Lieblingssendungen<br />

und -stars, Kritiken über Fernsehserien<br />

und über Spielplätze im Wohnbezirk.<br />

Die Lehrerin konnte bei jedem Kind<br />

beobachten, wie es seine Hobby-Beschreibung<br />

entwickelte von der Vorstellung<br />

im Gesprächskreis über den<br />

Entwurf und die Überarbeitung bis zum<br />

Steckbrief für das Hobby-Buch. Beim<br />

Schreiben der Freizeit-Geschichten<br />

konnte die Lehrerin beobachten, wie<br />

sich die Beratungen in den Schreibkonferenzen<br />

entwickelten – welche<br />

Aspekte die Beraterkinder einbrachten,<br />

welche Textideen, welche sprachlichen<br />

und gestalterischen Mittel sie vorschlugen,<br />

welche dieser Anregungen<br />

das Autorenkind für die Überarbeitung<br />

seines Textes nutzte.<br />

Über jedes Kind konnte die Lehrerin<br />

also spezifische Beobachtungen und<br />

Feststellungen zur Lernentwicklung<br />

32 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

OPORSTUVWXYZ<br />

machen; sie konnte einschätzen, inwieweit<br />

wichtige Qualifikationen des<br />

Textschreibens bei jedem Kind weiterentwickelt<br />

wurden; sie konnte beurteilen,<br />

wie jedes Kind die Anforderungen<br />

an die Texte mit seinen individuellen<br />

Möglichkeiten bewältigte. Die Lehrerin<br />

gab ihre Einschätzung und Beurteilung<br />

während der Arbeit an das Kind zurück<br />

als Zuspruch, als Hinweis oder Rat,<br />

beim gemeinsamen Nachdenken über<br />

Schwierigkeiten, über Optimierungen,<br />

über den Weg des Textes. Wozu also<br />

brauchte die Lehrerin, brauchten die<br />

Kinder und die Eltern noch Noten?<br />

Der besondere didaktische Griff<br />

war, dass die Kinder einen Sinn in ihrem<br />

Schreiben sahen. Es ging um ihre Hobbys,<br />

die sie sich gegenseitig vorstellten,<br />

es ging dann um die Sammlung<br />

der Hobbys in einem gemeinsamen<br />

Hobby-Buch. Gerade in dieser aus der<br />

Aufgabe erwachsenden Schreibmotivation<br />

lag der Wert dieser Arbeit.<br />

Mit einer Note versehen, wird sie<br />

um diesen Wert gebracht. Die Note<br />

erzeugt nämlich eine Dynamik eigener<br />

Art. Sie findet weitaus mehr Beachtung<br />

als der Sinn im Schreibprojekt,<br />

als die Wertschätzung individueller<br />

Entwicklungen vom Entwurf bis zum<br />

gestalteten Steckbrief, als jede mündliche<br />

und schriftliche Bewertung<br />

durch Mitschüler oder Lehrerin. Eltern<br />

und Anverwandte fragen nach Noten.<br />

Tauschgeschäfte Noten gegen Bares,<br />

Belobigungen oder Liebesentzug verstärken<br />

den Eindruck, dass die Note<br />

das Eigentliche ist, dessentwegen<br />

schulisches Lernen stattfindet. Der intelligent<br />

gestaltete und förderliche Unterricht<br />

wird im Verständnis der Kinder<br />

zum Motivationstrick, zur Animationsszenerie<br />

für das eigentlich Wichtige:<br />

die Benotung.<br />

Die Motive für das Schreiben verschieben<br />

sich aber nicht nur von der Sache,<br />

der Schreibaufgabe, hin zur Note.<br />

Die Noten wirken auch individuell unterschiedlich<br />

auf die Einstellungen der<br />

Kinder zum Schreiben zurück. Die Einen<br />

können Honig aus ihren besseren<br />

Noten saugen; schreibgewandte Kinder,<br />

die gute Noten fast ohne sonderliches<br />

Bemühen kassieren, entwickeln<br />

sogar oft eine Selbstgenügsamkeit,<br />

die gar keine Kräfte für besondere Anstrengungen<br />

mehr freisetzt. Die Anderen,<br />

Kinder mit kärglicherem sprachlichen<br />

Entwicklungsstand, lernen aus<br />

ihren schlechteren Noten, dass ihnen<br />

das Aufsatzschreiben wohl nicht so<br />

liegt (»Aufsatz kann ich nicht«), auch<br />

sie werden selbstgenügsam.<br />

Die begeisternde Lehrerin vermag<br />

diese Effekte zunächst zu überspielen<br />

oder zu mildern, zu vermeiden sind sie<br />

nicht. Die Instrumente Klassenaufsatz<br />

und Notengebung sabotieren auf Dauer<br />

das kluge didaktische Konzept.<br />

Sie verhindern, dass der Deutschunterricht<br />

seinen pädagogischen Auftrag<br />

erfüllen kann, nämlich Schreibmotivation<br />

und Schreibkompetenz bei allen<br />

Kindern zu entwickeln und Kinder zur<br />

Entfaltung ihrer sprachlichen Kräfte<br />

anzuspornen. Die Schule wird strukturell<br />

an ihrer möglichen Leistung<br />

gehindert, alle Kinder schreibfähig zu<br />

machen.<br />

Kein Kind beschämen<br />

aus einem in Heft 97 (2007)<br />

eingelegten Plakat<br />

Die moderne Schule bekennt sich zu<br />

dem pädagogischen Grundsatz, dass<br />

alle Kinder in ihrer Entwicklung zu<br />

selbstständigen, sozial verantwortlichen<br />

und selbstwerten Menschen gefördert<br />

werden müssen. Sie verzichtet<br />

auf alle Maßnahmen, die Kinder seelisch<br />

verletzen und ihnen nachhaltigen<br />

Schaden zufügen. Dazu gehören dauerhafte<br />

Erfahrungen des Versagens ebenso<br />

wie Arroganzen der Erfolgreichen.<br />

Die moderne Schule verzichtet auf<br />

frühe und permanente Auslese: auf Bewertungen,<br />

die immer wieder Versager<br />

erzeugen, auf Sitzenbleiben, auf die<br />

zu frühe Entscheidung zum Übergang<br />

auf weiterführende Schulen schon in<br />

Klasse 4. Schulisch erfolgreiche Länder<br />

setzen auf langes gemeinsames Lernen<br />

und individuelle Förderung mit zusätzlichen<br />

Förderlehrkräften. Das entspricht<br />

pädagogischer Ethik und macht<br />

Kinder leistungsfähiger.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />

33


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

ABCDEFGHIJKLMN<br />

… wie Offener Unterricht<br />

Das Stichwort »Offener Unterricht« ist zu einem Markenzeichen für modernen Grundschulunterricht<br />

geworden. Mit Grundschultagen und Veröffentlichungen hat der Grundschulverband<br />

entscheidend dazu beigetragen, dass die Öffnung von Unterricht zur weit verbreiteten<br />

innovativen Praxis geworden ist.<br />

Allerdings gibt es auch Irrwege, Sackgassen und Etikettenschwindel. Denn tatsächlich<br />

»offener Unterricht« hat nichts zu tun mit »professionellem Nichtstun«, nichts mit<br />

»Schmuseschule«, nichts mit »Schule der Beliebigkeit«, nichts mit »Arbeitsblattfetischismus«.<br />

Er ist vielmehr ein für Schulen, Lehrpersonen und Kinder hoch anspruchsvolles pädagogisches<br />

Programm.<br />

Hermann Schwarz, Autor des folgenden, in wesentlichen Auszügen dokumentierten Beitrags,<br />

hat durch zahlreiche Vorträge und Publikationen stets ermutigt, Unterricht zu öffnen.<br />

Sein Beitrag, schon 1991 entstanden, ist ein immer noch <strong>aktuell</strong>er »Ratgeber bei der Öffnung<br />

des Unterrichts und zugleich ein Plädoyer für ihre kritisch-konstruktive Begleitung«, wie es<br />

damals im Editorial hieß.<br />

Probleme »offenen Unterrichts«<br />

von Hermann Schwarz, Heft 34 (1991), S. 1 ff.<br />

Mit »offenem Unterricht« tragen<br />

Grundschulpädagoginnen und -pädagogen<br />

die Idee einer besseren Schule<br />

in Köpfen und Herzen, aus der sie Kraft<br />

schöpfen für ihre Arbeit. (…) Meine<br />

vorwiegenden Eindrücke: Sich-wohl-<br />

Fühlen der Kinder; ein relativ hoher<br />

Grad von Selbststeuerung und Selbstverantwortung<br />

der Lernenden; praktikable<br />

Binnendifferenzierung; Selbstverständlichkeit<br />

von Kommunikation,<br />

Zusammenarbeit und gesittetem Miteinander.<br />

Jene manchmal steril anmutende<br />

Künstlichkeit früheren Schulunterrichts<br />

ist nur selten noch spürbar;<br />

in starkem Maße können hier Kinder<br />

wirklich ›sie selber‹ sein, und das bei<br />

gutem Erreichen der Lernziele.<br />

Nicht selten jedoch gibt es eine Praxis,<br />

die Sorge macht. Probleme, die es<br />

großenteils auch im ›herkömmlichen‹<br />

Unterricht gibt, fallen insbesondere<br />

auf: 1. beim Gewichten notwendiger<br />

Unterrichtsformen und -inhalte, 2.<br />

beim Anleiten der Kinder zum selbstständigen<br />

Arbeiten.<br />

1. Zum richtigen Gewichten<br />

von Formen und Inhalten<br />

■ Offenheit nicht zu eng verstehen<br />

Offenheit bedeutet nicht, unreflektiert<br />

bestimmte Unterrichtsformen<br />

auszuschließen und andere absolut<br />

zu setzen, sondern alle zur Erfüllung<br />

des Erziehungs- und Bildungsauftrags<br />

nötigen Unterrichtsformen so offen zu<br />

gestalten, wie es die Selbstentfaltung<br />

des Kindes und die Erfüllung der schulischen<br />

Ziele erfordern.<br />

Das bedeutet:<br />

1. offen zu den Kindern sein, also ihren<br />

Selbststeuerungskräften, individuellen<br />

Lernweisen, Interessen, Erfahrungen<br />

und ihrem Mitgestaltungskönnen<br />

unter Zurückstellung eigener Vorstellungen<br />

möglichst viel Raum geben;<br />

2. Offenheit zwischen den Kindern fördern,<br />

also Situationen schaffen, in<br />

denen zu wechselseitiger Bereicherung<br />

und vertieftem Miteinander sich<br />

Mitempfinden, Austausch, Dialog und<br />

Zusammenarbeit entwickeln können;<br />

und 3. mehr Offenheit zum Leben schaffen,<br />

also den Kindern, damit sie dadurch<br />

fähiger und wissender werden,<br />

zu intensiven Begegnungen und Auseinandersetzungen<br />

mit bedeutsamen<br />

Inhalten ihrer Welt verhelfen, ohne<br />

diese Begegnungen lehrhaft zu stark<br />

einzuengen oder zu häufig durch Bearbeitung<br />

von Lernmaterialien zu ersetzen.<br />

(…)<br />

■ Phasen selbstständigen Arbeitens<br />

gründlich vorbereiten<br />

Während der Phasen selbstständiger<br />

Arbeit habe ich beobachtet, dass Kinder<br />

beim Üben vieles falsch machten,<br />

weil sie die Aufgaben nicht verstanden.<br />

Nicht selten blätterten sie in Büchem<br />

und Heften ohne Beziehung zu deren<br />

Inhalt. Bei Partnerarbeiten gaben befragte<br />

Kinder die den Karteikarten entnommenen<br />

richtigen Antworten, ohne<br />

zu wissen, was die von ihnen genannten<br />

Begriffe bedeuteten; und den Auftrag,<br />

eine »Geschichte des Waldes« zu<br />

schreiben, wussten Kinder nicht anders<br />

zu bewältigen, als dass sie Unverstandenes<br />

aus einem Buche abschrieben.<br />

Andere Kinder trauten sich an neue<br />

Aufgaben nicht heran, sondern griffen<br />

meist zu ihnen lange bekannten<br />

Übungen, weil sie wussten, dass sie<br />

keine Mühe damit haben würden. – In<br />

allen diesen Fällen schafften es die<br />

Kinder nicht, Neues hinzuzulemen.<br />

Eine einfache Ursache der skizzierten<br />

Schwächen ist leicht zu finden:<br />

Die Pädagoginnen hatten die jeweiligen<br />

Tätigkeiten nicht ausreichend<br />

vorbereitet. (…)<br />

Für selbstständiges ergiebiges Arbeiten<br />

bedarf es also gelenkter gemeinsamer<br />

Einführungen in die Gegenstände<br />

des Lernens. (…) Die Methode<br />

bei Einführungen ist bestimmt durch<br />

Lenkung und Raumgeben. Die Pädagogin<br />

führt die Kinder konsequent, klar,<br />

geduldig und einfühlsam durch ermutigende<br />

und die Kinder immer wieder<br />

neu auf die Suche und auf ein Bei-<br />

34 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

O PORSTUVWXYZ<br />

der-Sache-Bleiben, auf Nachdenklichkeit,<br />

auf Dialog und auf Kooperation<br />

richtende Moderation, vermeidet aber<br />

möglichst alle Aussagen, die auch nur<br />

vielleicht eine Schülerin oder ein Schüler<br />

würde bringen können. (…)<br />

■ Bedeutsame Gehalte auswählen<br />

Die Entscheidung, große Teile des Vormittags<br />

für Wochenplan- und Freiarbeit<br />

zu verwenden, wirkt selektiv auf<br />

die Inhalte des Unterrichts: man sucht<br />

meist vorgefertigte Materialien aus,<br />

die sich für Selbsttätigkeit der Kinder<br />

besonders eignen – ob die jeweiligen<br />

Lerninhalte für das Leben der Kinder<br />

objektiv und subjektiv bedeutsam<br />

sind, ist oft weniger im Blick.<br />

An Fähigkeiten und Kenntnissen<br />

werden Kinder reicher durch intensive<br />

Begegnung und Auseinandersetzung<br />

mit bedeutsamen Gehalten der Welt.<br />

Häufiger müssten daher die Kinder<br />

in der Schule zum Beispiel dem sehr<br />

guten Kinderbuch begegnen, in dem<br />

Menschenleben mit Sorge, Freude,<br />

Liebe, Ablehnung, Angst und Sicherheit<br />

gespiegelt ist; häufiger müsste es<br />

Begegnungen geben mit dem Gestalteten,<br />

dem wirklich sehr guten Bild, der<br />

Skulptur. An bedeutsamen Problemen<br />

und Ereignissen müsste mehr gearbeitet<br />

werden. Öfter müssten wir hingehen<br />

zu dem Baum, dem Busch, dem<br />

Tier und zu dem anderen Menschen.<br />

Mangel der <strong>Grundschule</strong> an Offenheit<br />

zum Leben behindert die Bildung von<br />

Interessen und Fähigkeiten der Kinder,<br />

mit Kultur, Natur und Gesellschaft in<br />

Dialog zu treten; ihre Gefühle entwickeln<br />

sich nicht stark genug für das,<br />

womit es sich im Leben zu befassen<br />

lohnt.<br />

Kinder werden nicht vornehmlich<br />

durch Materialien, sondem durch lebendigen<br />

Umgang mit Sachen inspiriert,<br />

angeregt durch das Interesse<br />

der Pädagogin. Es ist unvollkommene<br />

Offenheit, zwar die Unterrichtsformen<br />

offen zu gestalten, aber den Kindern zu<br />

wenig zu helfen, sich zu öffnen für die<br />

bedeutsamen Gehalte unserer Welt, und<br />

den zu vertieftem Umgang mit der Sache<br />

anregenden Austausch zu gering zu gewichten.<br />

■ Produktive Tätigkeiten verstärken<br />

Lernen durch Herstellung eines Buches<br />

oder eines Biotops, durch Herstellung<br />

von Nützlichem und Erfreulichem<br />

nimmt in der <strong>Grundschule</strong> glücklicherweise<br />

zu, jedoch rangieren die gemeinsamen<br />

projektartigen Arbeitsvorhaben<br />

meist weit hinter der Wochenplan- und<br />

Freiarbeit. Dabei sind solche Vorhaben,<br />

in denen die Kinder auf das Erreichen<br />

gemeinsam geplanter Ziele hinarbeiten,<br />

eine Hochform offenen Unterrichts:<br />

– durch Offenheit zum Kinde insofern,<br />

als das Kind das Vorhaben in Ziel<br />

und Ablauf mitgestalten kann und<br />

während der arbeitsteiligen Phasen<br />

seine Einzelleistung nach seinen Möglichkeiten<br />

einbringt;<br />

– durch Offenheit zwischen den Kindern<br />

in Form fruchtbarer Kooperation;<br />

– durch Offenheit zu bedeutsamen<br />

Lebensinhalten und zu lebensbezogenen<br />

Anwendungen ihrer Interessen<br />

und Fähigkeiten.<br />

Auch das Lesen wünschte man sich<br />

häufiger als produktives Erweitern<br />

der eigenen Welt anzutreffen. Und<br />

müssten die Kinder das Schreiben nicht<br />

möglichst täglich in dem Sinn erleben,<br />

Wahrgenommenes, Gefühltes, Vorgestelltes<br />

und Gewolltes für sich selbst<br />

festzuhalten oder es anderen mitzuteilen?<br />

Mehr Lernen durch Produktivsein gehört<br />

also in die <strong>Grundschule</strong>.<br />

■ Ergebnisse prüfen und bedenken<br />

Wer sein Lernen selbst überprüfen<br />

kann, lernt sicherer und nachhaltiger;<br />

und sich selbst unter Kontrolle zu nehmen,<br />

ist wichtiges allgemeines Lernziel.<br />

Da muss die <strong>Grundschule</strong> neben<br />

notwendig bleibenden Überprüfungen<br />

durch die Pädagogin die Kinder kontinuierlich<br />

zur Selbstüberprüfung und zur<br />

Überprüfung im Miteinander herausfordern.<br />

(…) Überprüfungen in Form gemeinsamer<br />

Beratung und Würdigung<br />

der Arbeitsergebnisse durch Klasse<br />

oder Gruppen – das sind Kontrollen,<br />

die das Lernen der Kinder weiterbringen<br />

können.<br />

2. Anleiten der Kinder zum<br />

selbstständigen Arbeiten<br />

Kinder wollen und können selbstständig<br />

lernen, wenn wir ihnen gute Lernbedingungen<br />

verschaffen und ihnen hilfreich<br />

zur Seite stehen – auf dieser Einsicht<br />

basiert die Methodik offenen Unterrichts.<br />

Wenn nun, wie beobachtet, in<br />

einigen Schulklassen während der Phasen<br />

selbstständiger Arbeit eine relativ<br />

große Minderheit von Kindern häufig<br />

nur sporadisch arbeitet, sich an irgend<br />

etwas zu schaffen macht oder andere<br />

stört, ist für solche Fälle nach Veränderung<br />

von Bedingungen und Hilfen zu<br />

fragen.<br />

Dass dabei das Herstellen kindgerechter<br />

Klassengrößen und ausreichender<br />

Unterrichtszeit bedeutsam ist,<br />

liegt auf der Hand; hier sollen und können<br />

jetzt nur einige der methodischen<br />

Bemühungen lediglich genannt werden,<br />

die sich zusammenwirkend oft<br />

als geeignet erwiesen haben, (soeben<br />

skizzierte) Lern- und Verhaltensprobleme<br />

der Kinder geringzuhalten, zu<br />

mindern oder zu vermeiden.<br />

■ Maß des Lenkens und Freiraumgebens<br />

auf Beobachtung gründen<br />

■ Phasen selbstständigen Lernens<br />

gründlich vorbereiten<br />

■ Sich um Klarheit und Eindeutigkeit<br />

bemühen<br />

■ Durch die Erwartungshaltung den<br />

Lernwillen unterstützen<br />

■ Die pädagogische Arbeit als Lernbegleitung<br />

verstehen<br />

■ Nach selbstständiger Arbeit Würdigungsgespräche<br />

führen<br />

■ Mit längerfristigen Lernprozessen<br />

rechnen<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />

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Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

ABCDEFGHIJKLMN<br />

… wie PISA<br />

Starken Widerhall fand die bildungspolitische Debatte um die Ergebnisse von PISA<br />

und die deutsche Ergänzungsstudie PISA-E natürlich in den Spalten unserer Zeitschrift.<br />

Die Positionen und Analysen des Grundschulverbandes sind heute noch von<br />

frappierender Aktualität. Auch hier zeigt sich sein klares Profil als Fachverband<br />

für kind- und zeitgemäße Grundschulpädgogik und als Reformverband zur Durchsetzung<br />

der Bildungsansprüche von Grundschulkindern.<br />

Und immer wieder PISA …<br />

von Angelika Speck-Hamdan,<br />

Heft 77 (2002), S. 2<br />

Zum Jahresausklang 2001 hatte er das<br />

ganze Land gepackt: der PISA-Schock!<br />

Deutschlands Schülerinnen und Schüler<br />

im internationalen Leistungsvergleich<br />

weit abgeschlagen, Spitzenwerte<br />

nur, was die schlechtesten Leistungen<br />

angeht, fünfunddreißig Jahre nach<br />

der Picht’schen »Bildungskatastrophe«<br />

wieder ein solches Desaster. Die<br />

Kommentare hat jeder noch im Ohr;<br />

Schuldzuweisungen nach allen Seiten<br />

wurden vorgebracht, schnell und laut.<br />

Die Eltern kümmerten sich zu wenig,<br />

das System sei zu unflexibel, die Lehrer/innen<br />

bildeten sich zu wenig fort,<br />

die Lehrpläne seien überfrachtet, die<br />

Kinder würden zu spät eingeschult,<br />

gingen zu lang in die Schule … Von jeder<br />

bildungspolitischen Position aus<br />

ließ sich trefflich argumentieren, (alte)<br />

Patentrezepte erlebten ihr Comeback.<br />

Wenn man nur auf dies oder jenes gehört<br />

hätte …!<br />

Eines sollte uns als Vertreter/innen der<br />

Interessen der <strong>Grundschule</strong> allerdings<br />

aufhorchen lassen: Die <strong>Grundschule</strong> ist<br />

auf einmal in aller Munde, zwar durchaus<br />

auch mit einem kritischen Unterton,<br />

aber mit einem Interesse, das man<br />

lange Zeit in der Öffentlichkeit vermisst<br />

hat. (…)<br />

Es mag sein, dass sich die <strong>Grundschule</strong><br />

nicht zuletzt wegen ihrer<br />

Zweit- oder gar Drittrangigkeit in der<br />

öffentlichen und bildungpolitischen<br />

Aufmerksamkeit eigenständiger und<br />

wirksamer von innen heraus verändern<br />

konnte. Keine andere Schulart gilt als<br />

so reformfreudig wie die <strong>Grundschule</strong>.<br />

Nun wird ihr das von einigen PISA-Desaster-Schuldzuweisern<br />

wohl auch negativ<br />

angekreidet, aber derartige Vorwürfe<br />

sind nicht haltbar. Wer der Pauk- und<br />

Drillschule nun das Wort redet, übersieht<br />

die Komplexität von Schulleistungen.<br />

Der Leistungsvergleich der<br />

PISA-Studie fußt auf dem internationalen<br />

Begriff der »literacy« oder »Grundbildung«,<br />

der weit mehr umfasst als<br />

die Abfragbarkeit von Faktenwissen;<br />

er orientiert sich an Basiskompetenzen,<br />

die für die Teilhabe in modernen<br />

Gesellschaften notwendig sind. Dies<br />

kommt dem Bildungsverständnis der<br />

<strong>Grundschule</strong> sehr nah. Sie versteht<br />

sich von jeher als Stätte grundlegender<br />

Bildung im umfassenden Sinn. Aus diesem<br />

Verständnis heraus formuliert sie<br />

ihren eigenständigen Bildungsauftrag,<br />

der selbstverständlich mehr beinhaltet<br />

als den Erwerb von Kulturtechniken im<br />

engen und eingeschränkten Sinn.<br />

PISA – das deutsche<br />

Debakel und die richtigen<br />

Lehren daraus<br />

Presseerklärung des Grundschulverbandes,<br />

Heft 77 (2002), S. 3<br />

Die Ergebnisse der PISA-Studie sind deprimierend.<br />

Ebenso deprimierend ist,<br />

was die Schulpolitik an Folgerungen<br />

zieht: Der Ministerpräsident von Hessen<br />

fordert eine »Kultur der Anstrengung«,<br />

die baden-württembergische<br />

Schulministerin schärfere Zensuren,<br />

der Bremer Schulsenator frühe Diagnose,<br />

der nordrhein-westäflische<br />

Ministerpräsident die Verkürzung der<br />

gymnasialen Schulzeit auf 12 Jahre, die<br />

bayrische Kultusministerin frühere Einschulungen<br />

usw. »Alles am Thema vorbei«,<br />

beklagt der geschäftsführende<br />

Vorsitzende des Grundschulverbandes<br />

Horst Bartnitzky, »denn nichts davon<br />

fördert die Lesekompetenzen gerade<br />

auch der Wenig- und der Nicht leser.<br />

Und genau darum müsste es doch gehen.«<br />

Dabei sind die wirklich wirksamen Konzepte<br />

bekannt. Der Grundschulverband<br />

verweist auf die Ergebnisse von Leseforschung<br />

und Lesepädagogik. Zwei<br />

Drittel aller Kinder und Jugendlichen<br />

haben zu Hause keine erwachsenen<br />

Lesevorbilder und nicht erfahren, dass<br />

Lesen eine Lust ist. Sie sind deshalb für<br />

diese Grunderfahrungen auf die Schule<br />

angewiesen. Diese Kinder erwerben<br />

Lesekompetenz aber nicht durch Lesetraining<br />

in zusätzlichen Förderstunden,<br />

nicht durch stotternde Vorleseübungen,<br />

nicht durch das Durchnehmen<br />

von Texten aus dem Lese buch.<br />

Lesekompetenz erwirbt man durch<br />

Lesen selbst – vor allem und zunächst<br />

durch freiwilliges und lustvolles Lesen,<br />

ohne dass dies gleich zensiert wird.<br />

Horst Bartnitzky bringt dies auf die<br />

Formel: »Nur wer gerne liest, unterzieht<br />

sich der Anstrengung, die Lesen z. B. im<br />

Unterschied zum Fernsehen bedeutet.<br />

Nur wer gerne liest, liest auch viel.<br />

Und nur wer viel liest, entwickelt seine<br />

Lese kompetenzen.«<br />

Der Grundschulverband verweist auf<br />

die lesepädagogische Schatzkammer<br />

voller Ideen und schulischer Erfahrungen,<br />

wie solche Leselust bei allen<br />

Kindern in der Schule gefördert werden<br />

kann und wie sich darauf aufbauend<br />

Lesekompetenzen entwickeln lassen:<br />

freie Lesezeiten, Leseprojekte, Lesetagebücher,<br />

Autorenlesungen, fantasievoller<br />

Umgang mit Gelesenem; bei<br />

Kindern mit nicht-deutscher Familiensprache<br />

das Lesenlernen in der Sprache,<br />

36 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

O P ORSTUVWXYZ<br />

die sie bereits kennen, und die ersten<br />

Kinderbücher auch in dieser Sprache;<br />

Leseförderung weit über die Grundschuljahre<br />

hinaus und vieles mehr.<br />

PISA – Welche Lehren<br />

ziehen eigentlich die<br />

Sekundarschulen?<br />

Presseerklärung des Grundschulverbandes,<br />

Heft 78 (2002), S. 12<br />

Wer sich an der Hand verwundet hat,<br />

wird sich nicht den Fuß verbinden. So<br />

absurd ist aber die gegenwärtige Diskussionslage.<br />

Es wurden 15-Jährige getestet mit<br />

beschämenden Ergebnissen – nach<br />

vier bis fünf Jahren in den Schulen der<br />

Sekundarstufe. Wo soll nun die Besserung<br />

ansetzen? Wenn es nach der<br />

vorherrschenden politischen Diskussionslage<br />

geht: nicht in den Schulen der<br />

Sekundarstufe, sondern im Kindergarten<br />

und in der <strong>Grundschule</strong>.<br />

Natürlich ist in Kindergärten und<br />

<strong>Grundschule</strong>n vieles zu verbessern<br />

– und PISA hat deutlich gemacht, was<br />

neben anderen auch der Grundschulverband<br />

seit Jahren angemahnt hat:<br />

Dass gerade in den Beginn des Bildungsweges<br />

eines Menschen besonders<br />

viele Ressourcen gesteckt werden<br />

müssen.<br />

Aber die untersuchten Jugendlichen<br />

waren seit Jahren Schülerinnen und<br />

Schüler der Sekundarschulen. Hier also<br />

müssten sich doch auch – und warum<br />

nicht zuallererst? – die Fragen stellen:<br />

■ Warum ist die Leistungsspitze in<br />

deutschen Sekundarschulen so viel<br />

schmaler als in den meisten anderen<br />

Ländern? Was also läuft z. B. an den<br />

Gymnasien falsch?<br />

■ Warum liefert das von vielen hochgelobte<br />

differenzierte deutsche Schulsystem<br />

so viel kärglichere Leistungen<br />

als andere weniger differenzierte<br />

Schulsysteme?<br />

■ Warum werden in der Sekundarstufe<br />

die meisten schwachen Leserinnen<br />

und Leser von den Lehrkräften, die sie<br />

jahrelang unterrichten, gar nicht als<br />

solche erkannt (und deshalb wohl auch<br />

nicht gefördert)?<br />

■ Warum lesen über 40 % der 15-Jährigen<br />

nicht gern? Was läuft falsch in<br />

der schulischen Leseförderung in den<br />

Jahren der Pubertät, in denen bekanntlich<br />

Jugendliche zu »Leseratten« werden<br />

oder nicht?<br />

Der Grundschulverband mahnt deshalb<br />

an: Die Schulen und das Schulsystem<br />

der Sekundarstufe müssen ins<br />

Zentrum der kritischen Auseinandersetzung<br />

kommen. Hier sind offenbar<br />

tiefgreifende Änderungen nötig.<br />

PISA-E: Das Ablenken<br />

von den wirklichen<br />

Problemen des deutschen<br />

Schul systems geht weiter<br />

Presseerklärung des Grundschulverbandes,<br />

Heft 79 (2002), S. 5<br />

Der innerdeutsche Leistungsvergleich<br />

droht den eigentlichen Maßstab zu<br />

verlieren: nämlich die Orientierung an<br />

internationalen Standards. Auch die<br />

Bestplatzierten in Deutschland haben<br />

international nur bessere Mittelplätze,<br />

eine kleinere Leistungsspitze und<br />

eine größere Zahl von Schulversagern<br />

als andere Industrienationen. Deshalb<br />

sind die deutschland-internen Rangplätze<br />

nur ein weiteres Ablenkungsmanöver<br />

von den eigentlichen Problemen<br />

des deutschen Schulsystems und ihren<br />

Ursachen.<br />

Ablenkungsmanöver<br />

Denn das Ablenken von der Wahrheit<br />

ist leider zur Methode geworden:<br />

■ Da sollen Kindergarten und <strong>Grundschule</strong><br />

die Misere bessern. Dabei ging<br />

es in den bisherigen Untersuchungen<br />

um 15-Jährige. Die erste Frage müsste<br />

also sein: Was läuft in den weiterführenden<br />

Schulen falsch?<br />

■ Da sollen Leistungstests helfen,<br />

landesweite wie die SPD sie will, oder<br />

bundesweite wie die CDU sie fordert.<br />

Doch entscheidend ist die Anschlussfrage:<br />

Wie werden die schlechter abschneidenden<br />

Schüler gefördert? Denn<br />

genau dies gelingt in vergleichbaren<br />

Ländern besser.<br />

■ Da sollen Ganztags-<strong>Grundschule</strong>n<br />

flächendeckend eingerichtet werden.<br />

Doch in Wirklichkeit werden es Schulen<br />

werden mit traditionellem Unterricht<br />

plus Betreuung durch nicht weiter<br />

qualifiziertes Personal. Wie soll das die<br />

schulische Leistungsfähigkeit fördern?<br />

Das Kneifen vor der Wahrheit<br />

Tatsächlich scheuen die Schulpolitiker<br />

der großen Parteien offenbar eines wie<br />

der Teufel das Weihwasser – die Schulsystem-Frage,<br />

die unweigerlich einen<br />

Widerspruch offenbart: Das hochselektive<br />

deutsche Schulsystem soll<br />

besonders leistungsfördernd sein –<br />

tatsächlich aber erzeugt es die gegenteiligen<br />

Effekte. International einmalig<br />

ist die Dichte an Auslesesituationen:<br />

Auslese schon beim Schulstart, Auslese<br />

am Ende eines jeden Schuljahres,<br />

Auslese bereits nach Klasse 4, Auslese<br />

in Gute und Schlechte täglich durch<br />

Noten oder Punktsysteme, Auslese Behinderter<br />

an Sonderschulen. Kein vergleichbares<br />

Land macht die Schulzeit<br />

zu einer derartigen ständigen Test- und<br />

Auslesestrecke. Stattdessen setzen erfolgreichere<br />

Länder auf langes gemeinsames<br />

Lernen, auf differenzierte Förderung<br />

und auf insgesamt mehr Zeit<br />

zum Lernen.<br />

Sitzenbleiben, Noten, vierjährige<br />

Grundschulzeit, dreigliedriges Schulsystem<br />

… alles »heilige Kühe«. Bloß nicht<br />

dran rühren, das kostet Wählerstimmen.<br />

Dem Wahlvolk darf die Wahrheit<br />

also nicht zugemutet werden? Auch um<br />

den Preis, dass deutsche Kinder und<br />

Jugendliche dieses politische Kneifen<br />

vor der Wahrheit ausbaden müssen?<br />

Das darf doch nicht wahr sein.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />

37


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

ABCDEFGHIJKLMN<br />

… wie Qualität<br />

Bildungs-Ansprüche.<br />

Von VERA und dem Mut<br />

zur Wahrheit, von Standards<br />

und der guten Schule<br />

von Horst Bartnitzky und<br />

Ulrich Hecker, Heft 88 (2004), S. 3 ff.<br />

»Qualitätsentwicklung« ist die Überschrift des bunten Puzzlespiels<br />

von Maßnahmen, die die Kultusminister nach den PISA-Ergebnissen<br />

eingeleitet haben. Hinter dem Begriff der »Qualität von Schule« steckt<br />

die alte Frage danach, was denn eine »gute Schule« ist. Und welche<br />

Qualität Leistung(en) haben können und sollen: Was Schulen leisten<br />

müssen, damit Kinder in ihnen etwas leisten können.<br />

Ganztagsschulen anbieten, nationale<br />

Bildungsstandards setzen – auf diese<br />

Schwerpunkte beschränken sich im<br />

Wesentlichen die Folgerungen, die die<br />

Kultusminister/innen in Deutschland<br />

gezogen haben, um das ins Gerede gekommene<br />

Bildungswesen wieder voranzubringen.<br />

»Doch dessen Krise«, resümiert<br />

Joachim Güntner, »ist umfassend<br />

kultureller Art. Freudlosigkeit, Angst,<br />

Geringschätzung prägen die Atmosphäre«<br />

(in: »Die lieblose Lehranstalt«, Neue<br />

Zürcher Zeitung, 7. 7. 2004).<br />

(…) Die bislang öffentlich diskutierten<br />

»Bildungsstandards« stellen ausschließlich<br />

Ansprüche an die Kinder<br />

(Kompetenzen, die die Kinder »in der<br />

Bundesrepublik Deutschland am Ende<br />

der Jahrgangsstufe 4 in den Fächern<br />

Deutsch und Mathematik … erworben<br />

haben sollten«, heißt das im KMK-Entwurf).<br />

Ihre Leistungen genügen offenbar<br />

den Ansprüchen »der Gesellschaft«<br />

derzeit nicht, daher werden Maßstäbe<br />

formuliert, an denen die Leistungen<br />

der Kinder gemessen werden.<br />

Erika Brinkmann fordert dazu auf,<br />

»die ganze Diskussion vom Kopf auf die<br />

Füße zu stellen: Welche Bildungsansprüche<br />

haben die Kinder eigentlich an die<br />

Schule?« (E. Brinkmann, Bildungschancen<br />

für alle. Standards für den Deutschunterricht,<br />

in: »<strong>Grundschule</strong>«, Heft<br />

10/2004, S. 12 – 15, hier: S. 12).<br />

Der Grundschulverband sieht in<br />

Bildungsstandards nicht nur Schulleistungsstandards.<br />

Er versteht sie auch<br />

als Ansprüche von Kindern an Schule.<br />

Die Bildungsansprüche der Kinder<br />

sind der höchstmögliche Leistungsanspruch,<br />

der denkbar ist.<br />

»Ein Ort, an dem ich gebraucht<br />

werde«<br />

Der Begriff »Kultur« taucht in den<br />

letzten Jahren immer häufiger auf im<br />

Kontext von pädagogischem Handeln.<br />

Kultur ist, wie der ganze Mensch lebt,<br />

notierte Bertolt Brecht einmal.<br />

»Pädagogische Kultur« bezieht sich<br />

auf die Schule als Ganzes: »auf ihre<br />

praktische Qualität, ihre Zuträglichkeit<br />

für das Leben und Lernen von Kindern und<br />

Jugendlichen, ihre Zuträglichkeit auch<br />

als Arbeitsplatz von Lehrern« (P. Fauser,<br />

Nachdenken über pädagogische Kultur,<br />

in: »Die Deutsche Schule«, Heft 1/1989,<br />

S. 5 – 25, hier: S. 6 f.). (…)<br />

»Schule«, schreibt Hartmut von<br />

Hentig, »das sind in erster Linie Menschen.<br />

Sie ist keine Produktionsstätte,<br />

die – der Name sagt es – sich am Produkt<br />

ausrichtet. Ihre Arbeit besteht nicht im<br />

›Herstellen von‹, sondern im ›Anregen,<br />

Verhelfen, Ermutigen zu‹.«<br />

Um mehr als um Schulleistungen<br />

geht es, es geht um Bildung. Die »Mindeststandards«<br />

einer »guten Schule«<br />

als »Raum zum Wachsen« könnte man<br />

so fassen:<br />

»Der Grundgedanke sollte sein, dass wir<br />

die Schule zu einem Ort machen, an dem<br />

man vornehmlich durch Beteiligung lernt<br />

und weniger durch Belehrung;<br />

ein Ort, an dem man die Verantwortung<br />

für den eigenen Weg als etwas befriedigendes<br />

und Gemeinsinn als etwas auch<br />

mir dienliches erfährt;<br />

ein Ort, an dem die demokratische<br />

polis verständlich ist und meine Mitwirkung<br />

in ihr Folgen hat;<br />

ein Ort, an dem ich gebraucht werde«<br />

(H. v. Hentig in »Neue Sammlung«,<br />

Heft 3 / 91).<br />

Zur Qualität der Leistung<br />

5 Thesen zu Evaluation<br />

und Rechenschaft<br />

der Grundschularbeit<br />

von Horst Bartnitzky, Hans Brügelmann,<br />

Lilli Roffmann und Hermann Schwarz,<br />

Heft 66 (1999), S. 14 ff.<br />

Der Grundschulverband begrüßt, dass die<br />

Qualität von Schule und Unterricht wieder<br />

mehr öffentliche Aufmerksamkeit findet. Er<br />

ist allerdings besorgt, dass die notwendige<br />

Diskussion über die pädagogische Qualität<br />

der Grundschularbeit in wesentlichen Punkten<br />

verkürzt wird – zum Schaden ihrer Weiterentwicklung.<br />

Insbesondere die öffentlichkeitswirksame<br />

Behauptung eines angeblichen »Leistungsverfalls«<br />

ist nicht belegt und (ver)führt<br />

zu falschen Folgerungen. Zudem wird bei<br />

vielen Vorschlägen für »Bestandsaufnahmen«<br />

oder »Vergleichsarbeiten« nicht zureichend<br />

bedacht, dass Evaluation der Verbesserung<br />

von Unterricht zu dienen hat und welche Informationen<br />

für diese Aufgabe notwendig<br />

bzw. hilfreich sind.<br />

38 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

OPO RSTUVWXYZ<br />

Der Grundschulverband fasst seine Forderungen<br />

in fünf Thesen zusammen:<br />

1. These<br />

Die Diskussion über Aufgaben und Leistung der<br />

Schule muss sich an den heutigen und künftigen<br />

Anforderungen orientieren, statt die Vergangenheit<br />

zu verklären.<br />

Klagen über einen angeblichen Leistungsverfall<br />

gab es zu allen Zeiten und gibt es in allen<br />

Ländern. Soweit empirisch überhaupt belegbar,<br />

sind die gegenwärtigen Defizite nicht<br />

dramatisch. Auch historisch ist kein genereller<br />

Leistungsverfall nachweisbar. In wichtigen Bereichen<br />

ist sogar eine Zunahme des Bildungsniveaus<br />

festzustellen, z. B. im kognitiven<br />

Niveau, im Lesen, in der Fremdsprachenkenntnis.<br />

(…) Trotz dieser Zurückweisung oft leichtfertiger<br />

Kritik ist darüber nachzudenken, wie<br />

auch innerhalb des Schulsystems Rechenschaft<br />

besser organisiert und Maßnahmen<br />

der Evaluation für die Verbesserung des Unterrichts<br />

produktiv gemacht werden können.<br />

2. These<br />

Die oft wenig fundierte Kritik an den Refomen<br />

der <strong>Grundschule</strong> ist zu versachlichen und zu korrigieren.<br />

Die wiederholt behaupteten Nega tivfolgen<br />

einer Öffnung des Unterrichts in den letzten<br />

10 bis 20 Jahren sind nicht nachgewiesen.<br />

Neue Konzepte von Unterricht sind in so geringer<br />

Breite und Intensität umgesetzt, dass<br />

sie schon wegen ihres quantitativ begrenzten<br />

Umfangs für den gegenwärtigen Zustand des<br />

Systems nicht verantwortlich sein können.<br />

Aus dem <strong>aktuell</strong>en Forschungsstand lässt sich<br />

generell keine Überlegenheit traditionellen<br />

Unterrichts ableiten.<br />

3. These<br />

Bevor über Maßnahmen der Evaluierung entschieden<br />

wird, sind die Kriterien der Bewertung<br />

inhaltlich zu begründen, müssen Indikatoren<br />

und Instrumente auf ihre methodische Eignung<br />

hin überprüft werden.<br />

Im Einzelnen ist zu klären:<br />

a) Welche inhaltlichen Ansprüche stellen wir<br />

heute an eine grundlegende Bildung und wie<br />

weisen wir sie aus?<br />

Bei der Auswahl von Verfahren und Instrumenten<br />

sind insbesondere drei Probleme im<br />

Blick zu behalten:<br />

■ Die bevorzugt überpüften fachlichen<br />

Leistungen erfassen nur Ausschnitte aus dem<br />

Spektrum schulischer Aufgaben. Decken die<br />

Kriterien und Verfahren der Evaluation die<br />

volle Breite des Bildungsanspruchs ab?<br />

■ Wesentliche Aspekte pädagogischer Qualität<br />

lassen sich über die Effekte von Unterricht<br />

nicht erfassen. Berücksichtigen die Kriterien<br />

und Verfahren zureichend die Qualität der Prozesse,<br />

die zu bestimmten Leistungen führen?<br />

■ Gleiche Anforderungsniveaus für alle sind<br />

eine Illusion. Differenzieren die Evaluierungsmaßnahmen<br />

nach den unterschiedlichen<br />

Voraussetzungen der Klassen und einzelner<br />

Schülerinnen und Schüler?<br />

b) Welche Indikatoren und welche Methoden<br />

eignen sich zur Untersuchung und zur Förderung<br />

pädagogischer Qualität?<br />

Instrumente sind in drei Dimensionen zu<br />

entwickeln, um für eine Verbesserung des Unterrichts<br />

wesentliche Faktoren zu erfassen:<br />

■ Aufgabenbeispiele zur Feststellung spezifischer<br />

Leistungen,<br />

■ Prozesskriterien für die Qualität von Unterricht,<br />

■ Standards für die Rahmenbedingungen pädagogischer<br />

Arbeit.<br />

Es sind also verschiedene Kriterien und unterschiedliche<br />

Aktivitäten der Evaluation zu kombinieren,<br />

um der Komplexität von Unterricht<br />

gerecht zu werden, um über eine bloße Bestandsaufnahme<br />

hinaus Bedingungen für Unterschiede<br />

aufzuklären und um Ansatzpunkte<br />

für eine Verbesserung der Praxis gewinnen zu<br />

können.<br />

4. These<br />

Im Blick auf Unterricht und Schule sind verschiedene<br />

Verantwortlichkeiten zu unterscheiden.<br />

Rechenschaftspflichten und Evaluationsformen<br />

sind entsprechend zu differenzieren.<br />

(…) Der Grundschulverband schlägt eine<br />

Gliederung der Rechenschaftspflichten nach<br />

drei Ebenen vor: Politik und Verwaltung<br />

– Schule – Klasse. Auf diesen Ebenen der Verantwortung<br />

sind interne und externe Rechenschaftspflichten<br />

sowie formelle und informelle<br />

Verfahren der Evaluation mit ein ander<br />

abgestimmt zu entwickeln.<br />

Ebene Klasse<br />

■ Die Schülerinnen und Schüler bemühen<br />

sich um Klarheit über die eigenen Ziele und<br />

den Erfolg der eigenen Arbeit, um ihr Lernen<br />

selbstständig und erfolgreich organisieren zu<br />

können.<br />

■ Die Lehrerinnen und Lehrer beob achten im<br />

Blick auf einzelne Kinder und auf die Klasse die<br />

Lernprozesse und werten sie aus; sie können<br />

damit Anforderungen, Aufgaben und Hilfen<br />

besser auf den jeweiligen Lernstand abstimmen.<br />

Ebene Schule<br />

■ Die Lehrerinnen und Lehrer beob achten<br />

sich gegenseitig im Unterricht, überprüfen<br />

damit die Wirkung ihrer Arbeit und entwickeln<br />

ihr methodisches Repertoire kontinuierlich<br />

weiter.<br />

■ Das Kollegium formuliert nach einer Bestandsaufnahme<br />

der pädagogischen Arbeit an<br />

der eigenen Schule das Schulprogramm und<br />

schreibt es periodisch fort. Die Schulleitung<br />

regt diese Aktivitäten an, fördert sie und sichert<br />

sie ab. Die Eltern werden in die Entwicklungsarbeit<br />

eingebunden.<br />

■ Die Schulaufsicht stärkt in den schulinternen<br />

Evaluationen den Fremdblick, erkennt<br />

Entwicklungen an, unterstützt sie und fordert<br />

sie gegebenenfalls ein.<br />

Ebene Politik und Verwaltung<br />

Die Verantwortlichen in Parlament und Ministerien<br />

machen im Blick auf das Gesamtsystem<br />

allgemeine Problemstellen aus und überprüfen<br />

politische Prioritäten. Sie sichern die<br />

materiellen Voraussetzungen und rechtlichen<br />

Rahmenbedingungen.<br />

5. These<br />

Evaluation dient der Verbesserung von Unterricht<br />

und Schule.<br />

Um die konstruktive Funktion von Evaluation<br />

hervorzuheben und zu nutzen, emp-fiehlt<br />

der Grundschulverband vorrangig Untersuchungen<br />

von Schulen, die unter er-schwerten<br />

Bedingungen erfolgreich sind. In Form von<br />

Fallstudien können sie helfen, lernförderliche<br />

Bedingungen auszumachen.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />

39


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

ABCDEFGHIJKLMN<br />

… wie Reform der <strong>Grundschule</strong><br />

Ist die <strong>Grundschule</strong> reformbedürftig? Seitdem Erwin Schwartz, der<br />

Gründer des Grundschulverbandes, damals Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong>,<br />

1966 diese Frage stellte, wurde sie unzählige Male neu gestellt, mit Ja<br />

beantwortet und jeweils <strong>aktuell</strong> begründet. Manche Problemstellen<br />

wurden in den Jahrzehnten gemildert, z. B. wurden die Klassen kleiner,<br />

differenzierter Unterricht wurde zum Alltag. Die meisten schwerwiegenden<br />

Problemstellen blieben dies aber über die Jahrzehnte. Beim Blättern<br />

in den Heften dieser Zeitschrift wird das sehr augenfällig.<br />

Die <strong>Grundschule</strong> ist<br />

reformbedürftig – heute!<br />

von Horst Bartnitzky,<br />

Heft 86 (2004), S. 12 f.<br />

Als Erwin Schwartz 1968/69 den damaligen<br />

Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong><br />

gründete, legte er für dessen Arbeit mit<br />

seinem Gutachten »Funktion und Reform<br />

der <strong>Grundschule</strong>« die erziehungswissenschaftlichen<br />

und bildungspolitischen<br />

Grundlagen … Zentrale<br />

Forderungen von Erwin Schwartz sind<br />

nach wie vor nicht eingelöst – nicht,<br />

weil sie un<strong>aktuell</strong> geworden wären,<br />

sondern weil die <strong>Grundschule</strong> nach wie<br />

vor die vernachlässigte Schulform im<br />

Bildungssystem ist. Und es sind genau<br />

die Ansatzpunkte, die Erwin Schwartz<br />

herausgearbeitet hat, die der Grundschulverband<br />

heute aktualisiert.<br />

Stiefkind <strong>Grundschule</strong><br />

Erwin Schwartz: »Zur elementaren<br />

und allgemeinen Schulbildung bis zum<br />

zehnten Lebensjahr wird in der Bundesrepublik<br />

für das einzelne Kind (in<br />

der <strong>Grundschule</strong>) jeweils nur etwa ein<br />

Drittel jener Mittel aufgewendet, welche<br />

dieser Staat jedem Fünfzehn- bis<br />

Zwanzigjährigen für seine weiterführende<br />

und selektive Schullaufbahn zur<br />

Verfügung stellt.«<br />

Dieses Missverhältnis ist über die<br />

Jahrzehnte hinweg unverändert geblieben,<br />

wie inzwischen alle Jahre wieder<br />

durch die OECD bestätigt wird: Im<br />

Vergleich der Bildungsausgaben des<br />

Staates wird für einen Jugendlichen<br />

in der gymnasialen Oberstufe das<br />

Dreifache von dem investiert wie für<br />

ein Grundschulkind. Kinder, die der<br />

Zuwendung und Unterstützung im<br />

Besonderen bedürfen, erhalten damit<br />

viel weniger Unterricht und eine ärmere<br />

Ausstattung als Jugendliche, die<br />

selbstständig lernen können. Der Missstand<br />

wird zur Zeit durch Betreuungskonzepte<br />

verschleiert, die die magere<br />

Stundentafel familienfreundlich ergänzen<br />

sollen. Der Grundschulverband<br />

wird weiterhin diesen gesellschaftlichen<br />

Skandal anprangern und z. B.<br />

qualifizierte Konzepte für den Ausbau<br />

der ganzen Halbtagsschule zur Ganztagesschule<br />

einfordern.<br />

Bildungsbenachteiligung<br />

Erwin Schwartz: »Gerade gegen<br />

diesen Verfassungsauftrag (gemeint<br />

ist das Gleichberechtigungsprinzip,<br />

Grundgesetz Art. 3) wird in der <strong>Grundschule</strong><br />

verstoßen; und mit unserer<br />

Hilfe wird solchen Verstößen noch<br />

ein Schein amtlichen Rechts verliehen<br />

durch Leistungsnorm und Leistungsmessung,<br />

durch Zensur und Zeugnis.«<br />

Aktuell deutlich geworden ist die<br />

Bildungsbenachteiligung durch das<br />

deutsche Schulsystem mit den Ergebnissen<br />

der PISA- und der IGLU-Studie:<br />

In Deutschland bestimmen die<br />

soziale Herkunft und der Migrationshintergrund<br />

von Kindern und Jugend-<br />

lichen entscheidend mit über den<br />

Bildungserfolg. Dies ist in der Sekundarstufe<br />

(PISA) noch erheblich ausgeprägter<br />

als in der <strong>Grundschule</strong> (IGLU).<br />

Doch auch hier zählen noch 10,3 % der<br />

Neunjährigen zu den »Risikokindern«.<br />

Diese Bildungsbenachteiligung ganzer<br />

Kindergruppen ist ein beschämender<br />

Befund. Der Grundschulverband hat<br />

die notwendigen schulpolitischen<br />

Weichenstellungen in einigen seiner<br />

»Standpunkte zur Grundschulreform«<br />

ausgeführt, die seitdem die inhaltliche<br />

Arbeit des Verbandes bestimmen. Um<br />

Bildungsgerechtigkeit herzustellen,<br />

braucht die <strong>Grundschule</strong> zudem (um<br />

einen alten Slogan des Verbandes zu<br />

zitieren) »Mehr Zeit für Kinder«.<br />

Das leistungshemmende<br />

Schulsystem<br />

Erwin Schwartz: »Die Grundstufe<br />

ist als integrierter Bestandteil der Gesamtschule<br />

anzusehen und auszustatten.«<br />

Das Auslesesystem des deutschen<br />

Schulwesens auf fünf verschiedene<br />

weiterführende Schulen ( Hauptschule,<br />

Realschule, Gymnasium, Gesamtschule,<br />

Sonderschulen) hat sich gerade<br />

durch die <strong>aktuell</strong>en internationalen<br />

Schulleistungsuntersuchungen als Irrweg<br />

erwiesen: Die immer behauptete<br />

besondere Leistungsförderung des gegliederten<br />

Schulsystems geht fehl: Die<br />

Leistungsspitze ist bei den 15-Jährigen<br />

mit 8,8 % deutlich geringer als in vergleichbaren<br />

Ländern mit längerer gemeinsamer<br />

Schulzeit, die Risikogruppe<br />

ist mit 23 % erheblich größer und die<br />

soziale Herkunft bestimmt den Schulerfolg<br />

erheblich mehr. Das deutsche<br />

Gymnasium sorgt eben nicht für eine<br />

breite Leistungsspitze und die Hauptschule<br />

kann die Lerndefizite nicht<br />

hinreichend ausgleichen. In Schweden<br />

wurde im Verlauf von 30 Jahren<br />

das ehemals verzweigte Schulsystem<br />

in ein System des gemeinsamen Lernens<br />

umgewandelt. Heute rangieren<br />

schwedische Schülerinnen und Schüler<br />

bei internationalen Vergleichen in der<br />

40 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

OPOR STUVWXYZ<br />

Spitzengruppe. Der Grundschulverband<br />

hat im Jahr 2001 zusammen mit<br />

dem Gesamtschulverband eine Grundsatzposition<br />

erarbeitet: »Länger miteinander<br />

und voneinander lernen« (siehe<br />

hierzu beim Buchstaben S). Inzwischen<br />

unterstützen viele bildungspolitisch<br />

wirkende Verbände ausdrücklich unsere<br />

Position, z. B. der Bundeselternrat,<br />

die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft,<br />

der Verband Sonderpädagogik.<br />

Die offizielle Schulpolitik ficht dies<br />

alles derzeit nicht an. Die meisten Parteien<br />

erklären (noch) die Schulstrukturfrage<br />

zu einem Tabu-Thema.<br />

7 Prüfsteine für die<br />

moderne <strong>Grundschule</strong><br />

Kommentar zu einem eingelegten<br />

Plakat, Heft 97 (2007), innere Umschlagseite<br />

hinten<br />

Die gegenwärtige »Output-Orientierung«<br />

der Schulpolitik meint, durch<br />

Standards und Tests absichern zu können,<br />

»was hinten herauskommt«. Kinder<br />

sind aber keine Stopfgänse, sondern<br />

Subjekte ihres Lernens.<br />

Deshalb gilt der 1. Prüfstein dem Bild<br />

vom Kind:<br />

■ Mit Kindern Schule machen.<br />

Fördern und fordern lautet eine gängige<br />

Formel. Verlage überbieten sich mit<br />

Material zur individuellen Förderung.<br />

Dabei wird häufig übersehen, dass die<br />

Schule dem Zwillingsprinzip verpflichtet<br />

ist: Individualität und Sozialität.<br />

Den 2. Prüfstein nennen wir deshalb:<br />

■ Individuell fördern – Gemeinsamkeit<br />

stärken.<br />

Frühe Auslese ist ein Kennzeichen der<br />

deutschen Schule. Schulisch erfolgreichere<br />

Länder verzichten darauf und<br />

fahren damit besser.<br />

Den Titel des 3. Prüfsteins übernehmen<br />

wir von einem Grundprinzip finnischer<br />

Schulen:<br />

■ Kein Kind beschämen.<br />

Frühes Zensieren ist ein weiteres Kennzeichen<br />

der deutschen Schule. Damit<br />

werden früh die Kinder in Gewinner<br />

und Verlierer eingeteilt. Ihre Motivation<br />

vom Sachinteresse wird auf das<br />

Noteninteresse abgelenkt. Zensieren<br />

ist ein würdeloser Umgang mit Kinderleistungen.<br />

Dem halten wir den<br />

4. Prüfstein entgegen:<br />

■ Leistungen der Kinder würdigen.<br />

Unterricht plus Betreuung ist die gegenwärtig<br />

verbreitete Lösung zum Thema<br />

Ganztag. Dabei hat der Unterricht in der<br />

<strong>Grundschule</strong> nach wie vor die knappste<br />

Stundentafel aller Schulformen. Was<br />

Kinder brauchen ist nicht nur längere<br />

»Verweildauer« in der Schule, sondern<br />

was wir als 5. Prüfstein formulieren:<br />

■ Mehr Bildungszeit für Kinder.<br />

Freie Schulwahl ist das Motto derer,<br />

die Schulen mit Firmen verwechseln.<br />

<strong>Grundschule</strong>n sollen in Konkurrenz gesetzt<br />

werden, damit sich das pädagogische<br />

Geschäft belebe und »schlechte«<br />

Schulen vom Markt verschwänden.<br />

Der pädagogische Flurschaden, der dabei<br />

entsteht, bleibt unbeachtet. Deshalb<br />

formulieren wir als 6. Prüfstein:<br />

■ Schule im Wohnbezirk stärken.<br />

Erhaltung der vierjährigen <strong>Grundschule</strong>,<br />

jeder der anders denkt, ist ein Ideologe,<br />

so die Gralshüter des deutschen<br />

Sonderweges. Mit diesem Killerwort<br />

versuchen sie, die Debatte zu unterbinden.<br />

Andere Länder sind aber schulisch<br />

erfolgreicher mit viel längerer gemeinsamer<br />

Schulzeit. Deshalb nennen wir<br />

den 7. Prüfstein:<br />

■ Länger gemeinsam lernen.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />

41


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

ABCDEFGHIJKLMN<br />

… wie Schul-Struktur oder<br />

selektives Schulsystem<br />

Die zumeist vierjährige <strong>Grundschule</strong> in Deutschland geht auf einen politischen Kompromiss<br />

zu Beginn der Weimarer Republik 1920 zurück. Dieser Kompromiss erweist sich für<br />

die <strong>Grundschule</strong> als belastende Hypothek, weil die Ausleseentscheidungen ihre Schatten<br />

weit in die Grundschuljahre hineinwirft, die frühe Notengebung bewirkt und die ermutigende<br />

Pädagogik torpediert. Der Weimarer Kompromiss ist auch für die Kinder und<br />

Jugendlichen verhängnisvoll, weil er zum Zusammenhang von sozialer Herkunft und<br />

Bildungserfolg ebenso beiträgt wie zur Entsolidarisierung der nachwachsenden Generation.<br />

Der Grundschulverband hat von Anfang an die Ausweitung der Zeit des gemeinsamen<br />

Lernens gefordert, viele Jahre verbunden mit der Forderung nach der sechsjährigen<br />

<strong>Grundschule</strong>, heute mit der Forderung nach der »gemeinsamen Schule für alle, und dies<br />

für die Dauer der Pflichtschulzeit«.<br />

Diese Position findet sich in einer offiziellen Erklärung wieder, die hier in Auszügen<br />

dokumentiert wird. Die <strong>aktuell</strong>e Entwicklung zeigt, dass »Länger gemeinsam lernen«<br />

nicht mehr eine Utopie ist, sondern dass sich diese Option in der Gesellschaft zunehmend<br />

durchsetzt: Der Beton bröckelt.<br />

Länger miteinander<br />

und voneinander lernen<br />

Aus der gemeinsamen<br />

Grundsatzposition von Grundschulverband<br />

und Gesamtschulverband, *<br />

Heft 74 (2001), 3. Umschlagseite<br />

■ Die nach dem ersten Weltkrieg und<br />

der Beseitigung des Ständestaates eingeführte<br />

»für alle gemeinsame <strong>Grundschule</strong>«<br />

war ein großer erster Schritt<br />

zu dem Ziel auf dem Weg vom ständisch<br />

zum demokratisch organisierten<br />

Schulwesen. Sie blieb damals als<br />

bildungspolitischer Kompromiss wegen<br />

großer Widerstände restaurativer<br />

Kräfte gegen längeres gemeinsames<br />

Lernen auf nur vier Jahre begrenzt und<br />

dadurch auf halbem Wege stecken. Sie<br />

ist bis heute die einzige für (fast) alle<br />

Kinder gemeinsame Schule geblieben,<br />

die es überall in Deutschland gibt.<br />

■ In nahezu allen europäischen Ländern<br />

lernen heute alle Kinder sechs oder<br />

mehr Jahre gemeinsam und die Hälfte<br />

der europäischen Länder hat inzwischen<br />

eine für alle gemeinsame Schule<br />

* Die vollständige Fassung findet sich unter:<br />

www.grundschulverband.de/illgl.html<br />

(Initiative Länger gemeinsam lernen)<br />

für die gesamte Dauer der Schulpflicht.<br />

Im internationalen Vergleich spielt das<br />

gegliederte Schulwesen ab Klasse 5 nur<br />

noch eine Außenseiterrolle.<br />

■ Wir lehnen alle Versuche ab, unsere<br />

Schulen zu immer stärker selektiven<br />

Systemen zu entwickeln …<br />

■ Demgegenüber treten wir ein für<br />

ein langes gemeinsames Lernen aller<br />

Kinder und Jugendlicher und für die<br />

Stärkung integrativer Tendenzen in<br />

den Schulsystemen aller Bundesländer<br />

sowie in der Alltagspraxis jeder Einzelschule.<br />

Das Ziel der gemeinsamen<br />

Schule für alle für die Dauer der Pflichtschulzeit<br />

kann nicht von heute auf<br />

morgen erreicht werden. Es gibt keinen<br />

für alle Bundesländer gleicherweise<br />

geltenden Weg zu diesem Ziel. Wir<br />

streiten nicht grundsätzlich über die<br />

Zuordnung des 5. und 6. Schuljahres<br />

zu Primar- oder Sekundarbereich, wenn<br />

am Ziel des gemeinsamen Lernens in<br />

einer Schule für alle festgehalten wird.<br />

Länger miteinander und voneinander<br />

lernen: Die Beschränkung des gemeinsamen<br />

Lernens auf eine nur vierjährige<br />

gemeinsame Schule muss endlich<br />

überwunden, frühes Trennen und Ausgrenzen<br />

verhindert werden.<br />

Wir unterstützen alle Bemühungen,<br />

die dazu führen, dass alle Kinder und<br />

Jugendlichen mit ihren individuellen<br />

Begabungen und Beeinträchtigungen<br />

möglichst lange gemeinsam lernen<br />

können.<br />

Länger als 4 Jahre!<br />

von Peter Heyer,<br />

Heft 74 (2001), S. 18<br />

Grundschulverband und GGG (Gemeinnützige<br />

Gesellschaft Gesamtschule<br />

/ Gesamtschulverband) wenden sich<br />

gemeinsam gegen das gegliederte<br />

deutsche Schulwesen ab Klasse 5. Beide<br />

Verbände haben die gemeinsame<br />

Grundsatzposition »Länger miteinander<br />

und voneinander lernen« auf einer<br />

Fachtagung am 16. / 17. Februar 2001<br />

in Kassel erarbeitet. Sie wollen mit<br />

dieser Erklärung, der inzwischen die<br />

entsprechenden Gremien beider Verbände<br />

zugestimmt haben, deutlich<br />

machen, dass sie künftig gemeinsam<br />

initiativ werden, um die Einengung der<br />

deutschen Schule auf eine nur vierjährige<br />

gemeinsame Schulzeit endlich zu<br />

überwinden. Beide Verbände halten<br />

die »gemeinsame Schule für alle« für<br />

erforderlich, eine gemeinsame Schule<br />

für die Dauer der Pflichtschulzeit, eine<br />

Schule, die Verschiedenheit respektiert<br />

und die nicht von allen das Gleiche verlangt,<br />

eine Schule, wie sie bereits in der<br />

Hälfte aller europäischer Staaten gängige<br />

Praxis ist.<br />

Oft genug waren sich zuvor Grundschul-<br />

und Gesamtschulvertreter in<br />

dieser Frage nicht einig. Während die<br />

einen für die sechsjährige <strong>Grundschule</strong><br />

eintraten, wollten die anderen an Stelle<br />

einer sechsjährigen <strong>Grundschule</strong> möglichst<br />

viele Gesamtschulen ab Klasse 5.<br />

So kam es, dass in einigen Bundesländern<br />

Entwicklungen in Richtung auf<br />

die sechsjährige <strong>Grundschule</strong> gerade<br />

auch von Gesamtschulbefürwortern<br />

behindert wurden. Diese unnötigen<br />

Spannungen scheinen mit der gemeinsamen<br />

Grundsatzposition von GGG<br />

und Grundschulverband überwunden.<br />

42 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

OPORS TUVWXYZ<br />

Es geht beiden Verbänden nicht mehr<br />

um ein Entweder – Oder, sondern um<br />

die »Stärkung integrativer Tendenzen<br />

in den Schulsystemen aller Bundesländer<br />

sowie in der Alltagspraxis jeder Einzelschule«.<br />

Gestritten wird nicht mehr<br />

um die grundsätzliche Zuordnung des<br />

5. und 6. Schuljahres zu Primar- oder<br />

Sekundarbereich. Übergeordnetes Ziel<br />

ist beiden Verbänden die längere gemeinsame<br />

Schulzeit für alle bzw. für<br />

möglichst viele Kinder und Jugendliche<br />

für die Dauer ihrer Pflichtschulzeit, wo<br />

auch immer.<br />

Der Beton bröckelt<br />

In die Schulstruktur-Debatte<br />

ist Bewegung gekommen<br />

von Angelika Speck-Hamdan,<br />

Heft 86 (2004)<br />

»Länger gemeinsam lernen«<br />

Die internationalen Vergleichsstudien<br />

hatten den Stein ins Rollen gebracht:<br />

Das deutsche Schulsystem zeichnet<br />

sich durch eine besonders strikte und<br />

frühe Auslese aus. Stets war mit den<br />

besseren Leistungen in leistungshomogenen<br />

Gruppen argumentiert<br />

worden. Dieses Argument war jedoch<br />

nun obsolet geworden. Neben den<br />

»üblichen Verdächtigen« (Erziehungswissenschaftlern<br />

und Gewerkschaften)<br />

meldete sich als einer der Ersten der unverdächtige<br />

baden-württembergische<br />

Handwerkstag zu Wort und forderte<br />

eine neunjährige <strong>Grundschule</strong>. Die<br />

weltweit operierende Unternehmensberatung<br />

McKinsey (Projekt »McKinsey<br />

bildet«) analysierte die Bildungsmisere<br />

und empfahl dringend den Verzicht auf<br />

die viel zu frühe Selektion der Schüler/<br />

innen nach nur vier Schuljahren.<br />

Für Lehrerverbände (z. B. auch den<br />

Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband)<br />

ist der Gedanke an eine wenigstens<br />

sechsjährige <strong>Grundschule</strong><br />

ohnehin kein Tabu. Der Grundschulverband<br />

hat seine bekannte Haltung<br />

(»Länger gemeinsam lernen«) in einer<br />

gemeinsamen Grundsatzposition mit<br />

dem Gesamtschulverband formuliert<br />

und im Band 115 untermauert. Selbst<br />

der »Normalbürger« – repräsentativ<br />

befragt im Juni 2003 im Auftrag der<br />

dpa – sprach sich zu 45 Prozent für<br />

eine sechsjährige, zu 5 Prozent für eine<br />

neunjährige und zu 6 Prozent sogar für<br />

eine zehnjährige gemeinsame Schulzeit<br />

aus. Es bewegt sich auch etwas in<br />

den Köpfen.<br />

Der Vielfalt kindlichen Lernens<br />

gerecht werden<br />

Warum aber ist es so schwierig, die öffentliche<br />

Debatte unaufgeregt und gelassen<br />

zu führen? Hinter uns liegt eine<br />

fruchtlose dreißigjährige Diskussion<br />

um die Gesamtschule, die oft viel zu<br />

ideologisch geführt wurde und deshalb<br />

Gräben eher aufriss und vertiefte als<br />

überwand. Der Gesamtschulbegriff ist<br />

– schreibt Klaus Klemm – »verbrannt«,<br />

durch Kunstfehler und Halbherzigkeit.<br />

De facto ist das dreigliedrige Schulsystem<br />

mittlerweile längst aufgeweicht<br />

worden. Diese Veränderung vollzog<br />

sich in den einzelnen Bundesländern<br />

unterschiedlich, oft der Not einer<br />

schrumpfenden Schulart gehorchend.<br />

Die Lösungen sind vielfältig.<br />

Wenn der Leiter der IGLU-Studie,<br />

Wilfried Bos, einerseits die ungerechte<br />

Selektionspraxis anprangert,<br />

aber andererseits davor warnt, die Pround<br />

Contra-Debatte um die Gesamtschule<br />

wieder aufzunehmen, so liegt<br />

ihm wohl auch daran, nicht die alten<br />

Grabenkämpfe wieder aufzunehmen,<br />

sondern eine neue gemeinsame Anstrengung<br />

zur Verbesserung unserer<br />

Schulen zu unternehmen. Das kann<br />

aber nur gelingen, wenn alle an einem<br />

Strang ziehen. Er empfiehlt, sich auf<br />

die Verbesserung des konkreten Unterrichts<br />

zu konzentrieren. Man könnte<br />

auch auf einen Wandel in der Grundhaltung<br />

den lernenden Kindern und<br />

Jugendlichen gegenüber setzen. An<br />

die Stelle einer kontrollierenden und<br />

abfordernden Einstellung müssten Verantwortung<br />

und Vertrauen treten.<br />

Von beiden Zielvorstellungen aus<br />

gelangt man höchstwahrscheinlich<br />

auch zu Veränderungen in der<br />

Schulstruktur. Mit unterschiedlichen<br />

Lösungen, unterschiedlichen Benennungen,<br />

aber stets der Vielfalt des<br />

kindlichen Lernens gerecht und dem<br />

Wohl der lernenden Kinder verpflichtet.<br />

Dass dies auch eine andere Einstellung<br />

gegenüber dem Lehrerstand zur Folge<br />

hätte, ist eine andere und hoch interessante<br />

Geschichte …<br />

Cartoons von<br />

Mario Urlaß<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />

43


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

ABCDEFGHIJKLMN<br />

… wie Team und Tests<br />

Vom »Ich und meine Klasse« zum »Wir und unsere Schule« – die nützliche Perspektive<br />

der Kooperation von Lehrerinnen und Lehrern war für den Grundschulverband stets<br />

grundlegend: Bereits der erste Name – »Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong>« – war Ausdruck<br />

dieser Haltung. Zur pädagogischen Teamarbeit gehört es, über »Standards« und<br />

Anforderungen, Leistungen und ihre Würdigung nachzudenken und Vereinbarungen<br />

zu treffen. Auch Tests können in einem solchen Kontext dazu dienen, Informationen<br />

über genau definierte Aspekte der Lernentwicklung der einzelnen Kinder zu erhalten.<br />

Zudem können sich Hinweise auf die Wirksamkeit des Unterrichts ergeben.<br />

Gemeinsam statt einsam.<br />

Teamarbeit in der <strong>Grundschule</strong><br />

von Karlheinz Burk,<br />

Heft 51 (1995), S. 1 ff.<br />

Die »gute Schule« –<br />

eine Teamschule<br />

Wandel der Kindheit, Gleichberechtigung<br />

von Mann und Frau, Integrationsaufgaben,<br />

ökologische und mediale<br />

Veränderungen etc. stellen an die<br />

Schulen neue Anforderungen, z. B.:<br />

vermehrte Gelegenheiten und Formen<br />

gemeinschaftlichen Zusammenlebens<br />

und -arbeitens, Erziehung zur Rücksicht<br />

und Mitmenschlichkeit, zu interkulturellem<br />

Verständnis, zur Selbstbestimmung<br />

und Selbsttätigkeit.<br />

Um diese Ziele zu erreichen, genügt<br />

es nicht zu belehren, sondern die pädagogische<br />

Arbeit ist so anzulegen, dass<br />

Kinder die Chance haben mitzudenken,<br />

mitzuerleben und mitzugestalten.<br />

<strong>Grundschule</strong> wird daher als Ort grundlegender<br />

Erfahrungen, als Lebensraum<br />

und Lernstätte interpretiert. Dies ist<br />

nicht neu und war schon immer Teil des<br />

pädagogischen Verständnisses einer<br />

kindgerechten <strong>Grundschule</strong>. Dies findet<br />

seinen Ausdruck in gestalterischen<br />

Momenten, vor allem: Freie Arbeit,<br />

Wochenplanarbeit, fächer-, klassen-,<br />

jahrgangsübergreifende Unterrichtsgestaltung,<br />

Arbeitsgemeinschaften,<br />

Wochenabschlusskreise, Rhythmisierung<br />

des Schulvormittags, Spiel- und<br />

Bewegungszeit, flexibler Wechsel von<br />

freien und gelenkten Arbeitsformen.<br />

Um eine so reichhaltige Palette für<br />

die Gestaltung des Schulvormittages<br />

zu nutzen, bedarf es flexibler Zeitpläne,<br />

einer flexiblen Raumnutzung sowie<br />

der Kommunikation, Kooperation<br />

und der Teamarbeit. <strong>Grundschule</strong> als<br />

Lebensraum und Lernstätte zu begreifen,<br />

muss seinen Ausdruck finden in<br />

gestalterischen Momenten, die nicht<br />

allein der einzelnen Lehrerin und dem<br />

einzelnen Lehrer überlassen bleiben;<br />

vielmehr ist Schule als Ganzes in den<br />

Blick zu nehmen.<br />

Es gehört zu einem der wesentlichen<br />

Ergebnisse der neuen Schulforschung,<br />

die Schule als Ganzes, als<br />

pädagogische Handlungseinheit zu<br />

betrachten, die der pädagogischen<br />

Gestaltung bedarf. (…) Empirische Untersuchungen<br />

über Unterschiede zwischen<br />

»guten« und »schlechten« Schulen<br />

besagen, dass dichte Kollegialität<br />

und vertrauensvolle Zusammenarbeit<br />

als eine der zentralen Bedingungen<br />

für eine gute Schule gelten. Bildungsund<br />

Erziehungsprozesse in der Schule<br />

sind nicht allein abhängig von der Gestaltung<br />

des Klassenunterrichts durch<br />

die Lehrerin, sondern ebenso von den<br />

Rahmenbedingungen, den Strukturen<br />

und dem »Geist« einer Schule. Die verengende<br />

Perspektive »Ich und meine<br />

Klasse« ist daher zu ergänzen mit »Ich<br />

und unsere Schule«. Die komplexen<br />

Erziehungs- und Bildungsaufgaben<br />

können nur in gemeinsamer pädagogischer<br />

Verantwortung aller Lehrkräfte<br />

einer Schule gelöst werden.<br />

Lesen- und Schreibenlernen<br />

in der Eingangstufe:<br />

beobachten, dokumentieren,<br />

begleiten<br />

von Angelika Gadow,<br />

Heft 89 (2005), S. 24 ff.<br />

Diagnostische Kompetenzen gehören<br />

zu den Schlüsselkompetenzen des Lehrerberufes.<br />

Vor allem in der <strong>Grundschule</strong><br />

und hier in besonderem Maße in der<br />

Eingangsstufe hat diese Kompetenz an<br />

Bedeutung gewonnen. Dabei geht es<br />

um mehr, als es Lernstandserhebungen,<br />

engmaschige Beobachtungsraster und<br />

computerausgewertete Leistungskurven<br />

nahe legen: Es geht um ein professionelles<br />

Handeln im Schulalltag, um<br />

in heterogenen Lerngruppen Entwicklungsprozesse<br />

angemessen fördern zu<br />

können. Es geht um die Erhebung der<br />

individuellen Lernvoraussetzungen,<br />

damit Aufgabenstellungen, die Materialauswahl,<br />

unterschiedliche methodische<br />

Zugänge und die Zeitplanung<br />

kurzfristig und auf längere Sicht besser<br />

auf die Bedürfnisse der einzelnen Kinder<br />

abgestimmt werden können.<br />

In der Regel kommen Kinder neugierig<br />

und lernfreudig in die Schule – und sie<br />

kommen dort an mit sehr unterschiedlichen<br />

Vorerfahrungen. Für einige von<br />

ihnen eröffnet die Schule einen Blick in<br />

eine neue Welt, in die Welt der Schriftsprache.<br />

Viele aber haben schon vielfältige<br />

Erfahrungen im Umgang mit<br />

Schrift gemacht. Diesen unterschiedlichen<br />

Voraussetzungen muss eine<br />

Lehrerin in Deutschland in der Regel in<br />

Klassen gerecht werden, die eher von<br />

30 als nur von 20 Kindern besucht werden.<br />

Diese Kinder bleiben im Durchschnitt<br />

nicht mehr als fünf Stunden<br />

täglich in der Schule, sie werden durchweg<br />

von einer Lehrperson unterrichtet<br />

und nur im Ausnahmefall von einem<br />

Team. (…)<br />

Für diesen Alltag müssen geeignete<br />

Elemente und eine Organisation der<br />

Dokumentation gefunden werden, die<br />

es erlauben, den Überblick zu behalten,<br />

44 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

OPORST UVWXYZ<br />

Beobachtungen zu bündeln, Akzente<br />

zu setzen, die aber vor allem auch Gelegenheit<br />

geben, mit den Eltern und<br />

zunehmend auch mit dem Kind über<br />

diese Beobachtungen in Austausch zu<br />

treten.<br />

Ein Hängeregister mit farbigen Hängetaschen,<br />

in denen die Dokumente<br />

gesammelt werden, steht auf dem Arbeitstisch<br />

der Lehrerin oder in ihrem<br />

Arbeitsbereich. Hier werden Beobachtungsbögen<br />

zum Lern- und Arbeitsverhalten<br />

und solche zum Leistungsstand<br />

in den einzelnen Bereichen, die<br />

Ergebnisse punktueller Leistungsfeststellungen,<br />

aber auch kommentierte<br />

Kopien von einigen aussagekräftigen<br />

Kinderarbeiten gesammelt.<br />

Ein zweites Hängeregister mit<br />

ebensolchen farbigen, geschlossenen<br />

Hängetaschen steht den Kindern zur<br />

Verfügung. Hier heben sie ihre fortlaufend<br />

wachsenden Lerndokumentationen<br />

auf. Für Deutsch können das z. B.<br />

der Lesepass, das Lesetagebuch, das<br />

Geschichtenheft, das Abschreibheft,<br />

das Wörterforscher- und das Abc-Heft<br />

sein.<br />

Die Reiter der beiden Hängetaschen<br />

werden von den Kindern selbst beschriftet<br />

werden, auf die Vorderseite<br />

der Mappe kann ein mit Folie überzogenes<br />

Bild des Kindes geklebt werden:<br />

Hier wird keine »Akte« geführt, hier<br />

werden gemeinsam Lerndokumente<br />

gesammelt.<br />

Erste Einblicke in den<br />

Umgang mit Schrift<br />

Bereits kurz nach dem Schulanfang erlauben<br />

Beobachtungsaufgaben 1 , wie<br />

sie an vielen Stellen in der Fachliteratur<br />

vorgestellt werden, einen Blick darauf,<br />

welche Vorstellungen Kinder von<br />

Schrift haben: Buchstabendiktate, freie<br />

Schreibaufgaben und Aufgaben zum<br />

Wiedererkennen von bekannten Logos<br />

geben Aufschluss darüber, wie viele<br />

Buchstaben ein Kind bereits kennt,<br />

wie groß der Umfang seines »naiven<br />

Sichtwortschatzes« ist und ob es Wörter<br />

auch dann erkennen kann, wenn<br />

sie nicht in einem vertrauten Kontext<br />

und im Kontrast zu ähnlichen Wörtern<br />

stehen. Diese Groberhebung kann mit<br />

der gesamten Gruppe gemacht werden<br />

und ist weder in der Durchführung<br />

noch in der Auswertung aufwändig.<br />

Trotz ihrer einfachen Handhabung<br />

erlauben diese ersten Lese- und<br />

Schreibaufgaben den Lehrerinnen, die<br />

Kinder genauer wahrzunehmen, bei<br />

denen auf Grund fehlender Vorläuferfertigkeiten<br />

eventuelle Schwierigkeiten<br />

beim Schriftspracherwerb möglich<br />

sind. (…) Die von Hans Brügelmann<br />

und Erika Brinkmann zusammengestellte<br />

»Ideenkiste« bietet hierzu und<br />

zu den weiteren Lernfeldern des Anfangsunterrichts<br />

eine Fülle von Aufgaben<br />

und gezielten Beobachtungshinweisen.<br />

2<br />

Begleitung auf dem weiteren Weg<br />

Im weiteren Verlauf der ersten Klasse<br />

lassen sich Einblicke in die Entwicklung<br />

der Verschriftungsfähigkeiten gewinnen,<br />

wenn Kinder wiederholt vor die<br />

Aufgabe gestellt werden, bisher nicht<br />

geübte Wörter selbständig zu konstruieren.<br />

Im Abstand von 6 bis 8 Wochen<br />

wird den Kindern eine Anzahl von<br />

Wörtern diktiert, die die Kinder je nach<br />

Vermögen selbständig konstruieren<br />

können.<br />

Diese Aufgabenform wird seit vielen<br />

Jahren mit immer wieder leicht verändertem<br />

Wortmaterial von verschiedenen<br />

Autoren vorgestellt. 3<br />

An vielen Schulen wird inzwischen<br />

die Hamburger-Schreib-Probe 4 eingesetzt,<br />

die die Lernentwicklung vom<br />

Ende der 1. Klasse an über die <strong>Grundschule</strong><br />

hinweg bis Klasse 9 erfassen<br />

kann.<br />

Die Texte der Kinder<br />

Darüber hinaus kann die Lehrerin das<br />

Konzept der HSP für ihre »Alltagsdiagnose«<br />

anwenden. 5 Denn weitaus interessanter<br />

als die bisher dargestellten<br />

»Stichproben« und in ihrer Aussagekraft<br />

viel deutlicher sind die eigenen<br />

Texte der Kinder.<br />

Texte schreiben die Kinder von Anfang<br />

an. Sind es zunächst Bilder, die<br />

das Gemeinte ausdrücken, so nutzen<br />

Kinder, die im Unterricht dazu ermuntert<br />

werden, schnell die Möglichkeit,<br />

nicht Darstellbares durch Schrift zu ergänzen<br />

und zu ersetzen. Lehrerinnen,<br />

die mit Hilfe der oben aufgeführten<br />

Diagnoseverfahren ihren Blick für die<br />

Besonderheiten der Verschriftlichung<br />

während des Schriftspracherwerbs<br />

geschärft haben, erhalten durch diese<br />

Texte vielfältige Hinweise, die im Laufe<br />

der beiden Eingangsklassen kontinuierlich<br />

erweitert werden können. In die<br />

Matrix eines Beobachtungsbogens gebracht,<br />

können die verschiedenen Beobachtungen<br />

übersichtlich gebündelt<br />

werden. 6<br />

(…) Um sich als Lehrerin selbst schnell<br />

einen Überblick zu verschaffen, kann<br />

es hilfreich sein, einige aussagekräftige<br />

Texte eines Kindes pro Halbjahr zu<br />

kopieren, schriftlich zu kommentieren<br />

und in die eigene Dokumententasche<br />

zu übernehmen.<br />

Anmerkungen<br />

1 Richter/Brügelmann: Der Schulanfang ist keine Stunde Null.<br />

Schrifterfahrungen, die Kinder in die Schule mitbringen. In: Brügelmann/Richter<br />

(Hrsg.): Wie wir recht schreiben lernen. Lengwil, 1994<br />

Brinkmann: Lernen die Kinder denn dabei genug? In : <strong>Grundschule</strong><br />

Deutsch 1/2004<br />

2 Brinkmann/Brügelmann: Ideen-Kiste 1, Schrift-Sprache. Hamburg<br />

2000<br />

3 Dehn: Zeit für die Schrift. Lesenlernen und Schreibenkönnen.<br />

Bochum, 1988<br />

Brinkmann: Lernen die Kinder denn dabei genug? In : <strong>Grundschule</strong><br />

Deutsch 1/2004<br />

Brinkmann/Brügelmann: 9 Wörter Diktat. In: Buchstaben, Wörter<br />

und Bilder. Kopiervorlagen zur Ideen-Kiste<br />

4 May: Hamburger Schreibprobe (HSP 1-9)<br />

5 Vgl. May: Strategiebezogene Rechtschreibdiagnose – mit und ohne<br />

Test: Analyse von freien Schreibungen mit Hilfe der HSP-Kategorien.<br />

In: Balhorn/Bartnitzky/Büchner/Speck-Hamdan (Hrsg.): Schatzkiste<br />

Sprache 1. Frankfurt (AKG –Band 103)<br />

6 Anmerkung der Red.: Inzwischen hat der Grundschulverband<br />

drei Schuber mit »Materialien zur pädagogischen Leistungskultur«<br />

herausgegeben, die solche Werkzeuge – in sinnvoller und begründeter<br />

Auswahl – für die eigene Arbeit anbieten.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />

45


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

ABCDEFGHIJKLMN<br />

… wie Unruhe<br />

Eigentlich wollten wir beim Buchstaben U einige Beiträge zum Thema Unterricht versammeln.<br />

Die Auswahl war riesig. Viele der Beiträge stellen Unterricht im freudigen Lern-Miteinander von<br />

Kindern und Lehrern dar – sozusagen die Sonnenseite der Schule mit einer Sonntagsdidaktik.<br />

Der Alltag sieht oft anders aus. Da schieben sich immer wieder die Lebensprobleme der Kinder<br />

in den Unterricht hinein – Probleme mit der Konzentration, der Aufmerksamkeit, der Achtung,<br />

der Verträglichkeit. Deshalb wählten wir beim Buchstaben U wie Unterricht das Stichwort<br />

Unruhe.<br />

Der Unruhe mit<br />

Ruhe begegnen<br />

von Rosemarie Portmann,<br />

Heft 44 (1993), S. 1ff.<br />

Die Klagen über Unruhe, Unaufmerksamkeit<br />

und Undiszipliniertheit bei<br />

Kindern schon am Schulbeginn nehmen<br />

zu. In Umfragen und Untersuchungen<br />

werden nicht selten 20 bis<br />

40 % als »gestört« eingeschätzt.<br />

Schule sieht als Ursache dafür eher die<br />

nicht mehr »intakten« Familien, nicht<br />

mehr erziehungsfähige, vernachlässigende,<br />

überbehütende, überforderte<br />

Eltern. Eltern dagegen suchen oft mit<br />

ärztlicher Unterstützung eher Entlastung<br />

durch quasi »organische« Erklärungen.<br />

Noch nie gab es so viele Kinder<br />

mit Hirnfunktionsstörungen, die sog.<br />

»MCD«-Kinder, die »Hyperaktiven«,<br />

die »Legastheniker« und zunehmend<br />

auch »Aritmasteniker« (Kinder mit Rechenschwäche).<br />

Die »kranke« Umwelt<br />

wird verantwortlich gemacht und besonders<br />

nach einer Eindämmung des<br />

Medienkonsums gerufen bei gleichzeitiger<br />

Ausweitung des Angebots.<br />

Es ist müßig, sich darüber auseinanderzusetzen,<br />

welche Meinung<br />

»richtig«, welche »falsch« ist. Für<br />

menschliches Verhalten gibt es keine<br />

einfachen, line aren Erklärungen.<br />

Verhalten ist stets das Ergebnis eines<br />

komplexen, vielfältig vernetzten Prozesses<br />

ständiger Wechselbeziehungen<br />

zwischen Individuen und Umwelt. Und<br />

ob ein Verhalten noch als »normal«<br />

oder schon als »gestört« anzusehen<br />

ist, liegt immer auch an Einstellung<br />

und Toleranzschwelle der Personen, die<br />

es wahrnehmen und beurteilen. Diese<br />

ökologisch systemische Sichtweise<br />

macht deutlich, dass niemals nur das<br />

Kind, das uns als »unkonzentriert«,<br />

»unruhig«, »undiszipliniert« auffällt,<br />

für dieses Verhalten verantwortlich<br />

gemacht werden kann. Kinder, die stören<br />

und Schwierigkeiten machen, werden<br />

selbst gestört und haben selbst<br />

Schwierigkeiten – vielleicht durch uns?<br />

Unruhe, Unaufmerksamkeit, Undiszipliniertheit<br />

sind im Übrigen nicht<br />

nur Kinderfehler. Viele Erwachsene, die<br />

über Unruhe ihrer Kinder klagen, können<br />

selbst Ruhe und Stille nicht mehr<br />

ertragen. Untersuchungen haben z. B.<br />

gezeigt, dass die meisten selbst beim<br />

Autofahren ständig Musik brauchen<br />

wie überhaupt das Verhalten im Verkehr<br />

auch besonders eindrucksvolle<br />

Beispiele für die zunehmende und<br />

schon selbstverständliche Disziplinlosigkeit<br />

und Aggressivität der Erwachsenen<br />

liefert. Rücksichtsloses Drängeln,<br />

Streiten (und Prügeln) um Parkplätze<br />

und freie Fahrt sind keineswegs Ausnahmen.<br />

Was ich damit sagen will, ist Folgendes:<br />

Wir alle verhalten uns in zunehmender<br />

Weise hektisch und unruhig<br />

und undiszipliniert. Unsere Kinder<br />

tun genau das, was wir ihnen vormachen<br />

und was sie bei uns als erfolgreich<br />

wahrnehmen. Sie können nicht<br />

ruhiger und disziplinierter sein als die<br />

Welt, in der sie leben und die wir für sie<br />

gestalten. Ich halte es deshalb nicht<br />

für ausreichend, Hilfen »von außen«<br />

zu fordern, z. B. Schulsozialarbeit (die<br />

zweifellos verstärkt werden müsste)<br />

oder (noch mehr) Therapie für Kinder,<br />

ohne uns auch selbst in Frage zu stellen,<br />

die eigenen Kompetenzen auszuschöpfen<br />

und den »inneren« Schulbetrieb<br />

zu verändern. Natürlich ist der<br />

»innere« Schulbetrieb nicht ohne den<br />

»äußeren« zu sehen. Die Notwendigkeit<br />

kleiner Klassen, ausreichender<br />

Lehrerversorgung, geeigneter Klassenräume,<br />

kindgerechter Ausstattung<br />

usw. ist unbenommen und die Sparpolitik<br />

zuungunsten unserer Kinder kann<br />

nicht hingenommen werden. Aber immer<br />

noch sind Schule und Unterricht<br />

gegenüber den in ihnen ablaufenden<br />

Lernprozessen mehr reaktiv als präventiv<br />

orientiert. Die Möglichkeiten<br />

zur Verhinderung und Behebung von<br />

Schwierigkeiten werden nicht genügend<br />

genutzt.<br />

Es wird viel darüber gesprochen,<br />

was andere tun müssten, damit Unterricht<br />

möglich ist (oder wieder möglich<br />

wird). Ich möchte im Folgenden darüber<br />

sprechen, was wir selbst tun können<br />

…<br />

(Es folgen 9 Ratschläge der Autorin. Aus<br />

Platzgründen drucken wir hier nur die<br />

Überschriften ab. Leserinnen und Leser<br />

mögen sich dazu auch eigene Gedanken<br />

machen.)<br />

1. Nicht selbst Unruhe, Unkonzentriertheit<br />

oder Disziplinprobleme<br />

verstärken<br />

2. Grenzen setzen und konsequent<br />

sein<br />

3. Sich bewußt Zeit nehmen für erzieherische<br />

Ziele<br />

4. Unterricht gliedern und akzentuieren<br />

5. Differenzieren<br />

6. Den Kindern – und sich selbst Zeit<br />

lassen<br />

7. Bedürfnisse der Kinder zulassen<br />

8. Die Kinder einbeziehen<br />

9. Vertrauen in die Kinder und sich<br />

selbst setzen<br />

46 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

OPORSTU VWXYZ<br />

Dabei muss Scheitern stets für möglich<br />

gehalten werden. Wer bei jedem<br />

Rückschlag in Panik gerät, dass ja<br />

»doch alles nicht genützt hat«, wird vor<br />

lauter Furcht vor neuen Rückschlägen<br />

auch welche erleiden. Wer hingegen<br />

Rückschläge als selbstverständlich einkalkuliert<br />

und auch die Kinder darauf<br />

vorbereitet, mindert die Angst, die der<br />

Kinder und die eigene, und hat die besten<br />

Voraussetzungen, auf Dauer der<br />

Unruhe mit Ruhe zu begegnen.<br />

Von Kindern, deren<br />

Fäuste dicht neben den<br />

Tränen liegen<br />

von Heide Bambach,<br />

Heft 99 (2007), S. 28<br />

Freie Arbeitszeit: Zwanzig Drittklässler<br />

gehen ihren Vorhaben nach … Plötzlich<br />

sehe ich Marco mit seinen Fäusten<br />

wie besinnungslos auf Mustafa einschlagen.<br />

Ich springe dazwischen und<br />

beginne mit großer Heftigkeit, Marco<br />

wegen seiner gewalttätigen Attacke<br />

zurechtzuweisen. Aber ein Blick in sein<br />

Gesicht lässt mich innehalten. »Er hat<br />

Adoptivkind zu mir gesagt! Aber es<br />

nicht wahr!«, schreit er im Kampf mit<br />

den Tränen.<br />

Marco ist keiner, der sich tröstend<br />

in den Arm nehmen oder beruhigend<br />

über das Haar streicheln ließe. Also<br />

versuche ich es mit dem Finger an seiner<br />

Schulter und dem Satz, dass fast<br />

alle Kinder irgendwann einmal Angst<br />

hätten, nicht in ihre Familie zu gehören.<br />

Ich wisse noch genau, was für ein<br />

schlimmes Gefühl das gewesen sei.<br />

Unter der Anteilnahme entspannt sich<br />

Marco. »Nur weil mein Vater und meine<br />

Mutter geschieden sind und meine<br />

Mutter einen Freund hat …«, schluchzt<br />

er. Aber er wisse doch, dass seine Mutter<br />

ihn lieb hat und dass er ihr Kind ist.<br />

Marco nickt – tapfer, nicht überzeugt.<br />

Sein Problem ist ein anderes. »Meine<br />

Mutter will Herbert heiraten. Sie hat<br />

gesagt, dass er mich dann adoptiert«,<br />

sagt er. Und dann – fast unhörbar leise:<br />

»Ich will aber nicht.« Nun erst beginne<br />

ich zu verstehen: Gegen die Heirat hat<br />

Marco nichts. Er hängt an seiner Mutter<br />

und möchte, dass es ihr gut geht.<br />

Aber adoptiert werden will er nicht,<br />

denn er liebt seinen Vater und will ihm<br />

die Treue halten. Ein Adoptivkind zu<br />

sein wäre gleichbedeutend mit Verrat.<br />

Dagegen wehrt sich Marco – mit<br />

voller Kraft. Vermutlich steckt in den<br />

Fäusten, mit denen er an seinem leiblichen<br />

Vater festhält, auch die Ahnung,<br />

ihn endgültig zu verlieren …<br />

Später klärt sich auf, dass Mustafa<br />

das A-DO-P-TI-V-KIND nicht als Schmähung<br />

gemeint, sondern arglos in der<br />

Manier von Leseanfängern den Titel<br />

eines zufällig daliegenden Buches vor<br />

dem zufällig in der Nähe sitzenden<br />

Marco zusammenbuchstabiert und<br />

leseerfolgs-vergnügt skandiert hat<br />

– nicht ahnend, dass dies bei Marco in<br />

eine Wunde trifft. Marcos Antwort gerät<br />

schlimm: auf den ersten Blick und<br />

von außen besehen ist es »Gewalt«.<br />

Die Innenansicht der Szene zeigt,<br />

dass Marco eines jener Kinder ist, bei<br />

denen die Fäuste dicht neben den Tränen<br />

liegen. Es gibt viele solcher Kinder<br />

heutzutage und sie scheinen füreinander<br />

Gespür und Verständnis zu haben.<br />

Als ich Mustafa und Marco am nächsten<br />

Tag zusammen sehen und frage, ob sie<br />

wieder Freunde seien, zuckt Marco wie<br />

schuldbewusst die Schultern und sagt<br />

zweifelnd: »Ich weiß nicht?«<br />

Da streckt Mustafa ihm mit großer<br />

Geste die Hand hin fragt: »Vertragen?«<br />

– »Vertragen!«, sagt Marco und schlägt<br />

ein.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />

47


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

ABCDEFGHIJKLMN<br />

… wie Vergleichsarbeiten<br />

und Verwandtes<br />

Nach dem PISA-Schock kamen die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz.<br />

Einer galt der neuen »Output«-Steuerung, dazu wurden neben Bildungsstandards<br />

auch landesweite Vergleichsarbeiten/Orientierungsarbeiten vereinbart.<br />

Seit 2004 werden sie in den <strong>Grundschule</strong>n geschrieben, ab 2008 werden sie<br />

sogar bundesweit einheitlich sein: immer im Mai in allen 3. Klassen in Mathematik<br />

und Deutsch, VERA geheißen – das Kürzel für VERgleichsArbeiten.<br />

In dieser Zeitschrift wurden unter dem Rahmentitel: «Kinder vermessen« in<br />

mehreren Ausgaben die Aufgaben einer grundsätzlichen sowie einer fachdidaktischen<br />

Prüfung unterzogen (Hefte 89, 90, 92, 99). Für die Wiedergabe<br />

dieser ausführlichen Expertisen sowie die Stellungnahmen der Testkonstrukteure<br />

fehlt hier der Platz. Wir geben stattdessen einige Stellungnahmen aus<br />

Wissenschaft und Schulpraxis in Auszügen wieder.<br />

Deutsch:<br />

Keine Chance für Kinder mit<br />

Deutsch als Zweitsprache<br />

von Maria Rüppell,<br />

Heft 99 (2007), S. 9<br />

Für die hier beschriebenen Kinder war<br />

der VERA-Lesetest eine absolute Überforderung.<br />

In der Testsituation war es<br />

noch nicht einmal möglich, die Kinder<br />

thematisch auf die Inhalte und Absichten<br />

der beiden Texte hin zu orientieren.<br />

So scheiterten die ersten Kinder<br />

vermutlich schon an dem ersten Wort<br />

der Überschrift: »Geschmäcker« – diese<br />

Pluralbildung haben sie vermutlich<br />

noch nie gehört. Wer am Anfang durch<br />

ein Missverständnis auf die falsche<br />

Spur geraten ist, für den erschließt sich<br />

der Sinn des Textes überhaupt nicht.<br />

Eine Vielzahl von zusammengesetzten<br />

Nomen und Adjektiven stellte<br />

die Kinder vor Probleme, die Menschen<br />

mit deutscher Muttersprache<br />

sich wahrscheinlich kaum vorstellen<br />

können: Geschmacksknospen, Wangenschleimhaut,<br />

zusammenziehend,<br />

Gesamtgeschmack, farblos … Wer die<br />

enthaltenen Einzelwörter nicht schnell<br />

erkennt, für den handelt es sich um<br />

unverständliche Wortmonstren. »Geschmacksarten«<br />

– aus welchen Teilen<br />

ist das Wort zusammengesetzt? Was<br />

sind Sarten? (»Arten« gehört vermutlich<br />

nicht zum gut vertrauten Wortschatz).<br />

Und was heißt »far-blos«? Auch diese<br />

Wörter waren für die Kinder unbekannt:<br />

»Gaumen, Rhabarber, Gerichte,<br />

Düfte, prickelnd, knusprig, gluckert,<br />

beeinflusst, fleischig, herzhaft« …<br />

Der Anteil von Fremdwörtern, seltenen<br />

Wörtern und Wörtern mit englischer<br />

Schreibweise im zweiten Text<br />

dürfte auch für Kinder mit deutscher<br />

Muttersprache schwierig sein: Favorit,<br />

Portionen, Konditorei, Milkshake, Frisbee,<br />

erstplatziert.<br />

Dieser zweite Text verlangte ein<br />

Vorwissen, das kein Kind bei uns hat:<br />

»Kreuzberg« ist ein Stadtteil von Berlin.<br />

»Berliner Morgenpost« ist der Name<br />

einer Zeitung. »im Allerheiligsten« –<br />

schon die eigentliche Wortbedeutung<br />

kennt kein Kind, erst recht kann niemand<br />

die hier gemeinte übertragene<br />

Bedeutung verstehen. »Spagetti à la<br />

Frisbee« – »à la« als Teil eines Gerichtenamens<br />

ist vollkommen unbekannt.<br />

Wahrscheinlich waren auch nur wenige<br />

Kinder bisher überhaupt mit ihren<br />

Eltern je in einem Restaurant der hier<br />

geschilderten Art und können Maries<br />

Idee deshalb kaum nachvollziehen.<br />

Die Mehrzahl meiner Schüler hat bei<br />

dem zweiten Text aufgegeben oder nur<br />

noch eine Frage beantwortet. Schließlich<br />

lag vor dieser Anstrengung schon<br />

das Schreiben einer Geschichte und<br />

die frustrierende Beschäftigung mit<br />

dem ersten Lesetext. Ein kurdisches<br />

Kind hat trotzdem bis zur letzten Frage<br />

durchgehalten und als eigenen<br />

Vorschlag für ein lustiges Gericht für<br />

Kinder aufgeschrieben: »ein Ball als<br />

Schokolade«. Einen Punkt durfte ich<br />

ihm nicht dafür geben, denn es hatte<br />

für seine Idee keinen für eine Speisekarte<br />

üblichen »Titel« gefunden (was in<br />

der Aufgabe auch nicht verlangt war).<br />

Mathematik:<br />

Kinder brauchen mehr Zeit,<br />

um ihre Kompetenzen zu<br />

zeigen<br />

von Ulrich Schwätzer,<br />

Heft 99, S. 15<br />

Viele der Aufgaben, die bei den Vergleichsarbeiten<br />

verwendet werden,<br />

lassen sich mit Hilfe der »8 Bausteine«<br />

einfach und schnell zu offenen Aufgaben<br />

umwandeln.* Dann können die<br />

Kinder ihre Potenziale entfalten und<br />

uns ihre Kompetenzen demonstrie-<br />

48 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

OPORSTUV WXYZ<br />

ren. Und dazu brauchen sie eines: Zeit.<br />

Gerade der Zeitdruck ist beim Bereich<br />

Sachrechnen eigentlich fehl am Platz.<br />

Kinder brauchen Zeit, sich den Kontext<br />

zu erlesen, ihn zu verstehen, sich<br />

mit ihm zu beschäftigen, Lösungshypothesen<br />

zu bilden, Zahlenwerte zu<br />

sortieren, in rechnerische Ansätze zu<br />

bringen, auf eigenen Wegen zu rechnen,<br />

ihr Vorgehen zu kommentieren,<br />

und – am Ende – ihr Ergebnis mit dem<br />

Kontext wieder in Bezug zu bringen<br />

und zu hinterfragen. Das alles kann<br />

nicht in 3 Minuten pro Aufgabe funktionieren.<br />

Das Öffnen der Aufgaben<br />

kostet sicherlich Zeit – ebenso wie das<br />

Interpretieren der Schüler lösungen –,<br />

aber es ist sinnvollere Zeit, als seitenlange<br />

Excel-Tabellen auszufüllen,<br />

hochzuladen und Balkendiagramme<br />

mit geringer Aussagekraft langatmig<br />

in Schulgremien zu diskutieren. Letztlich<br />

sind die offenen Aufgaben nicht<br />

Leistungsmessung nach Abschluss des<br />

Unterrichts, sondern zugleich eine offene<br />

Lernsituation. Die Bearbeitungen<br />

der offenen Aufgaben durch die Kinder<br />

lassen direkt Konsequenzen für den<br />

weiteren Unterricht für jedes einzelne<br />

Kind offenbar werden und leisten<br />

somit einen Beitrag zur Qualitätsentwicklung<br />

im Mathematikunterricht.<br />

* Der Autor demonstriert dies in seinem Heftbeitrag.<br />

Alle vier bis fünf Jahre –<br />

das reicht<br />

von Hans Brügelmann,<br />

Heft 89 (2005), S. 9<br />

■ Für ein regelmäßiges System-Monitoring,<br />

bei dem die Entwicklung des<br />

Schulsystems insgesamt erfasst werden<br />

soll, würde es reichen, alle vier bis<br />

sechs Jahre Erhebungen durchzuführen.<br />

Außerdem könnte man sich (wie<br />

bei PISA und IGLU) auf repräsentative<br />

Stichproben beschränken und anderen<br />

Schulen eine freiwillige Teilnahme<br />

… ermöglichen, was die Belastungen<br />

solcher Testprogramme mindern und<br />

ihre Akzeptanz beträchtlich erhöhen<br />

dürfte. Zugleich würden damit Mittel<br />

frei für andere Evaluationsaktivitäten.<br />

■ Um Lehrer/innen hilfreiche Informationen<br />

zur Kalibrierung ihrer Maßstäbe<br />

und für den Vergleich der eigenen mit<br />

anderen Klassen zu geben, wäre bei<br />

den nächsten Terminen ein Wechsel<br />

auf andere Kompetenzbereiche von<br />

Deutsch bzw. Mathematik und auch<br />

auf andere Lernbereiche wie Sachunterricht<br />

und die musisch-ästhetischen<br />

Fächer sinnvoll. Dabei sollten generell<br />

auch weniger standardisierte Formate<br />

erprobt werden.<br />

■ Für die Individualbeobachtung<br />

müssten Instrumente zur Lernbegleitung<br />

entwickelt werden, um differenziertere<br />

Einschätzungen anzuregen<br />

und zu unterstützen, als sie durch eine<br />

punktuelle Messung möglich sind.<br />

Verfehlte<br />

Evaluationspolitik<br />

von Georg Lind,<br />

Heft 92 (2005), S. 27<br />

Besonders ärgerlich ist,<br />

■ dass wegen dieser völlig verfehlten<br />

Evaluationspolitik immer auf Rechnen<br />

und Lesen herumgeritten wird,<br />

als wenn es sonst keine Grundkompetenzen<br />

gäbe, die man im Leben<br />

braucht,<br />

■ dass immer wieder solche (geschlossene)<br />

Testaufgaben verwendet<br />

werden, die in großen Datenbanken<br />

behortet werden und die man nur etwas<br />

abändern muss, um sie ständig<br />

wieder zu »recyceln«,<br />

■ dass durch solche Instant-Aufgaben<br />

implizit eine völlig veraltete Vorstellung<br />

über Lernentwicklung bei Kindern<br />

zementiert wird, die von einem eindimensionalen<br />

Lernen vom »einfachen«<br />

zum »Komplexen« ausgeht …,<br />

■ dass durch den Primat der Masse<br />

über die Klasse bei den gegenwärtigen<br />

Tests höhere Lernformen (Produzieren,<br />

Verstehen, Anwenden, Verantworten)<br />

völlig ausgeblendet werden, was mit<br />

der Zeit den fatalen Effekt haben wird,<br />

dass die Schule höhere Lernformen<br />

ganz aufgibt zugunsten von Testdrill,<br />

weil ihr sonst massive finanzielle Nachteile<br />

drohen.<br />

Aber: Wenn wir eine qualitativ hochwertige<br />

Schule wollen, müssen wir<br />

auch auf einer qualitativ hochwertigen<br />

Evaluation bestehen, wie sie u. a. vom<br />

Grundschulverband gefordert wird.<br />

Abschied von VERA<br />

von Lehrkräften der <strong>Grundschule</strong><br />

Engelbertstraße in Schwelm,<br />

Heft 90 (2005), S. 14<br />

Wir verabschieden uns von VERA und<br />

sagen weder »Auf Wiedersehen!« noch<br />

»Lebe wohl!«. Sie war für uns von keinerlei<br />

Nutzen. Auch die Auswertungen<br />

bedeuten keine Hilfe, da sie nichts über<br />

die Tests der einzelnen Kinder aussagten.<br />

Die von uns erwartete Hilfe,<br />

eventuell verdeckte Schwächen einzelner<br />

Kinder in einzelnen Bereichen als<br />

Rückmeldung zu bekommen, haben<br />

wir schmerzlich vermisst.<br />

Gemäß unseres pädagogischen<br />

Gewissens, nach den Richtlinien und<br />

unserem Schulprogramm arbeiten und<br />

leben wir gewissenhaft mit unseren<br />

Kindern, um sie darin zu unterstützen<br />

und ihnen zu helfen, Schritte in ein bewusstes<br />

und selbstständiges Leben zu<br />

gehen. Darauf zielt unser Lernen und<br />

Lehren. Wir sind froh darüber, uns wieder<br />

unserer eigentlichen Arbeit zuwenden<br />

zu können.<br />

Wir hoffen, dass in den nächsten<br />

Jahren unsere Zeit und Kräfte nicht<br />

auf ähnliche Weise sinnlos vergeudet<br />

werden ohne jedweden Nutzen für den<br />

Lernerfolg unserer Kinder.<br />

PS: Gibt es zurzeit noch eine Grundschullehrerin<br />

oder einen Grundschullehrer,<br />

der sein Kind »Vera« nennen<br />

würde?<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />

49


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

ABCDEFGHIJKLMN<br />

… wie Würdigen<br />

Zu einer guten Schule, die sich die Bildungsansprüche der Kinder zu eigen macht,<br />

gehört die Entwicklung einer pädagogischen Leistungskultur. Aktivitäten und<br />

praktische Anstöße dazu gehören zur Tradition des Grundschulverbandes.<br />

»Leistungen der Kinder – würdigen statt urteilen« war der Titel unseres Heftes 85.<br />

Seither hat der Grundschulverband sein viel beachtetes Projekt »Pädagogische<br />

Leistungskultur« angestoßen, um Überlegungen und Argumente wirksam in die<br />

Bildungsdiskussion einzubringen. Dazu wurden alltagstaugliche Materialien für<br />

eine pädagogische Leistungsbewertung veröffentlicht, zunächst für die Fächer<br />

Deutsch, Mathematik und Sachunterricht in den Klassen 1 bis 4, jetzt zu Englisch,<br />

Kunst, Musik, Sport und zum »Arbeits- und Sozialverhalten«.<br />

Vom Wert der Mühe.<br />

Pädagogische Leistungs kultur<br />

als Aufgabe der ganzen Schule<br />

von Ulrich Hecker,<br />

Heft 85 (2004), S. 9 ff.<br />

Die tradierte Leistungsbeurteilung ist<br />

ein hemmendes Element der Schulentwicklung.<br />

Solange unser Schulsystem<br />

sich mehr mit Auslese und Sortierung<br />

beschäftigt als mit der Entwicklung<br />

einer neuen Lernkultur, die Unterstützung<br />

und Ermutigung individuellen<br />

Lernens zum Zentrum hat, so lange<br />

werden es neue Formen der Leistungsbewertung<br />

im Schulalltag nicht leicht<br />

haben.<br />

In den letzten 20 Jahren hat sich in<br />

vielen <strong>Grundschule</strong>n eine neue Lernkultur<br />

entwickelt, die zunehmend in<br />

Widerspruch zu den überkommen Formen<br />

der Leistungsbeurteilung gerät.<br />

Eine neue Lernkultur führt zu mehr<br />

und vielfältigeren Leistungen. Dies hat<br />

die Notwendigkeit zur Folge, neue, intelligentere<br />

Formen der Leistungsbewertung<br />

zu entwickeln.<br />

Schulen, die sich auf den Weg zu einer<br />

neuen Lernkultur gemacht haben,<br />

haben vielfältige Möglichkeiten, eine<br />

»pädagogische Leistungskultur« zu<br />

entwickeln, Leistungen von Kindern zu<br />

würdigen. (…)<br />

Dokumentation von<br />

Lern- und Arbeitsergebnissen<br />

Eine Schule ist dann »gut«, wenn Kinder<br />

vielfältige Gelegenheit erhalten, Aufgaben<br />

zu bewältigen, zu gemeinsamen<br />

Vorhaben beizutragen und auch ganz<br />

persönlichen Interessen zu folgen.<br />

Wenn sie dabei begleitet werden, durch<br />

hohe Ansprüche herausgefordert sind<br />

und auf Situationen treffen, in denen<br />

sie sich bewähren können und Anerkennung<br />

finden, dann kommen »gute«<br />

Leistungen zustande. Der Lehrer und<br />

die Lehrerin sind eingeladen, untereinander<br />

und mit den Lernenden ins<br />

Gespräch zu kommen. Ganz natürlich<br />

erhalten die Schülerinnen und Schüler<br />

»Mit-Sprache« in ihren (Lern-) Angelegenheiten.<br />

Wer das will und anstrebt,<br />

der geht von der Annahme aus, dass<br />

Kinder lernen und leisten wollen.<br />

Das Anlegen eines Portfolios ist<br />

eine Möglichkeit zur Förderung der<br />

Selbstbewertung. Kinder schreiben<br />

auf und halten fest, was sie beobachtet,<br />

entdeckt, herausgefunden haben,<br />

was ihnen »merk-würdig« ist. Auf<br />

diese Weise sammeln sie aussagekräftige<br />

Materialien und dokumentieren<br />

so ihren Lernprozess. In regelmäßigen<br />

Ab-ständen präsentieren die Kinder<br />

ihre »gesammelten Lernspuren« unter<br />

Aspekten wie »Daran habe ich gearbeitet«,<br />

»Das habe ich gelernt«, »Das<br />

kann ich jetzt«. Dadurch erfahren sie<br />

selbst Rückmeldungen und lernen, die<br />

Arbeitsprozesse und -produkte ihrer<br />

Lernpartner zu würdigen. (…)<br />

Aus der Beilage zu Heft 89 (2005):<br />

Ein Leporello mit griffigen Kurztexten zu<br />

den Aspekten pädagogischer Leistungskultur,<br />

das augenfällig präsentiert,<br />

worum es geht: um die Kinder!<br />

Bestätigung und<br />

Selbsteinschätzung<br />

Es ist ein zentrales Anliegen einer neuen<br />

Kultur pädagogischer Leistungsbewertung,<br />

dass Kinder lernen, sich und<br />

ihre Arbeit selbst einzuschätzen. Durch<br />

die Rückmeldungen der Lehrerin und<br />

der anderen Kinder, durch das Nachdenken<br />

über das eigene Lernen und<br />

die eigene Arbeit lernen Kinder, »sich<br />

durch das Werk selbst (zu) prüfen«<br />

(Georg Kerschensteiner).<br />

Die Lehrpersonen können die jeweils<br />

vereinbarten »Lernsachen« (über<br />

die es möglichst einen dokumentierten<br />

Konsens im Kollegium und in der Jahrgangsstufe<br />

gibt) in übersichtlicher und<br />

kindgerechter Form darstellen.<br />

»Lese-Ausweis«, »Forscherdiplom«,<br />

»Mathe-Pass«, »Einmaleins-Ausweis«<br />

oder »Schreiber-Urkunde« sind Beispiele<br />

für vielfältige Möglichkeiten,<br />

iLeistungen<br />

der Kinder<br />

würdigen<br />

Um Kinder auf ihren Lernwegen<br />

zu fördern, werden sie in ihrem<br />

Entwicklungsprozess ermutigend<br />

begleitet. Generelle Anforderungen<br />

dienen als Arbeitsperspektive,<br />

nicht aber als Hürde. Würdigen<br />

heißt dann: Lernentwicklungen<br />

bestätigen, Schwierigkeiten als<br />

Stationen auf dem Lernweg sehen,<br />

mit dem Kind über das Lernen<br />

nachdenken. Die Kinder sind in<br />

das Würdigen dialogisch eingebunden:<br />

mit individuellen und<br />

gemeinsamen Lerngesprächen,<br />

mit Portfolios und Lerntagebüchern,<br />

mit Präsentationen<br />

und Projektergebnissen. Noten<br />

sind hierbei nicht nur entbehrlich,<br />

sondern kontraproduktiv.<br />

50 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

OPORSTUVW XYZ<br />

erbrachte Leistungen, erworbene Fertigkeiten<br />

und erreichte Lernziele festzuhalten<br />

und zu bestätigen: Leistungsfeststellung<br />

ohne Schrecken.<br />

Erhalten Schülerinnen und Schüler<br />

tatsächliche Verantwortung für ihr<br />

Lernen, dann entwickeln sie die Fähigkeit,<br />

sich und ihre Leistung selbst einzuschätzen.<br />

Schon am Ende der ersten<br />

Klasse können Kinder Fragebögen zur<br />

Selbsteinschätzung bearbeiten und ins<br />

Gespräch mit der Lehrerin einbringen.<br />

Wenn Kinder als eigenaktive Lerner<br />

ernst genommen werden und ihre<br />

Fähigkeit gefördert wird, über das<br />

eigene Lernen nachzudenken und es<br />

mitzugestalten, dann wird ihre Lernkompetenz<br />

… entwickelt. Metakognition<br />

ist wesentliches Moment von<br />

Lernkompetenz (als Fähigkeit nämlich,<br />

den eigenen Lern- und Erkenntnisweg<br />

nach-, mit- und vordenkend zu begleiten).<br />

»Lerntexte« im Sinne von eigenen<br />

Lernspuren können in allen Fächern<br />

entstehen. Sie dokumentieren »eigene<br />

Entscheidungen, Lösungswege und<br />

Lösungen der Kinder und sind für Kinder<br />

und Lehrerin ein Fenster in das Lernen<br />

des Kindes. Es sind damit … Texte<br />

personalen Schreibens mit erkenntnisfördernder<br />

Funktion« (Horst Bartnitzky).<br />

Die Schriftlichkeit macht die<br />

Lernreflexionen zudem erinnerbar, die<br />

Lerntexte können mit den Erfahrungen<br />

anderer Kinder verglichen werden.<br />

Zu einer neuen Lernkultur gehört<br />

es, die Kinder in die Planung und Gestaltung<br />

der Lernprozesse einzubeziehen.<br />

Dabei sind konkrete, aufgabenbezogene<br />

und individuell gerichtete<br />

Rückmeldungen über das Lernen, die<br />

Lernprozesse und die Lernergebnisse<br />

wichtig, und zwar als<br />

■ Rückmeldungen für die Kinder, die<br />

sich aus der Lernkultur der Klasse ergeben<br />

und die Hinweise auf Erfolge<br />

und Schwierigkeiten, Hilfestellung und<br />

Absprachen sowie die weitere Lernperspektive<br />

einbeziehen;<br />

■ Rückmeldungen für Eltern über die<br />

Lernentwicklung, Schwierigkeiten und<br />

Lernerfolge des Kindes, die Bestandteil<br />

der Beratung mit Eltern sind;<br />

■ Rückmeldungen für die Lehrkräfte<br />

der Klasse und der Schule über die Lernentwicklung<br />

der Kinder zur weiteren<br />

Unterrichtsplanung und für den Diskurs<br />

über die Unterrichtsqualität und<br />

ihre Weiterentwicklung.<br />

Die Rückmeldungen beziehen sich<br />

■ auf die »Lernsachen«, d. h. die klassenbezogenen<br />

und die individuellen<br />

Ziele, die Vereinbarungen und Vorhaben;<br />

■ auf die Lernentwicklung und den<br />

Lernstand des Kindes (im Hinblick auf<br />

die »Lernsachen«);<br />

■ auf die weiteren Lernperspektiven<br />

des Kindes.<br />

Leistungen zeigen<br />

»Gute Schulen« verstehen es, die<br />

Leistungen ihrer Schüler wahrzunehmen<br />

und sichtbar zu machen. Das<br />

wusste schon Michael Rutter in seiner<br />

berühmten Studie »15 000 Stunden«.<br />

Kinder haben das ursprüngliche<br />

Bedürfnis, »zur Geltung« zu kommen.<br />

Texte, Zeichnungen, Modelle und<br />

Werkstücke (bzw. Fotos davon) – die<br />

Auswahl in der Sammlung (im »Portfolio«)<br />

darf höchst exemplarisch sein.<br />

Die Arbeiten der Schüler werden »an<br />

sich« interessant, ihre Anstrengungen<br />

bleiben nicht mehr spurlos. Die Arbeit<br />

aller Beteiligten bewirkt etwas, sie<br />

hinterlässt Spuren. Das ist schon ein<br />

»Lohn der Mühe«.<br />

Eine Schule, an der Lehrerinnen und<br />

Lehrer auf solche Weise mit Schülerarbeiten<br />

umgehen, wird ihre Leistungen<br />

nicht verstecken, sondern sie gern darstellen<br />

und auch anderen zeigen.<br />

Leistungen sichtbar und öffent lich<br />

machen. Das wirkt als Bekräftigung<br />

und Bestätigung vorausgegangener<br />

Bemühungen. Schüler gewinnen dadurch<br />

Identität und Selbstbewusstsein.<br />

»Leistungskultur« heißt Leistungen<br />

lebendig werden lassen, sie zu zeigen<br />

und ins Gespräch zu bringen. So kann<br />

Schule auch öffentlich Rechenschaft<br />

ablegen.<br />

Präsentationen sind sichtbare und<br />

sinnvolle »Zeugnisse« für die Schule<br />

und die in ihr Lernenden. Schule zeigt<br />

dann ihre Leistung durch die Leistungen<br />

ihrer Schülerinnen und Schüler.<br />

»Feste der Leistung« zu feiern am Ende<br />

eines Schuljahres, zur Präsentation<br />

und Kommunikation der Ergebnisse aller<br />

an Schule Beteiligten – wie anders<br />

und um wie vieles reicher ist diese Idee<br />

im Vergleich zur Rückgabe von Klassenarbeitsheften<br />

an ihre (nur formalen)<br />

Eigentümer oder zur Ausgabe von<br />

Zeugnissen.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />

51


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

ABCDEFGHIJKLMN<br />

… wie Zeit<br />

Die Aufgaben für die <strong>Grundschule</strong> wachsen ständig: Es sind die mehr individuelle<br />

Aufmerk samkeit fordernden Kinder, das Wachsen der sozial-emotionalen Dimension<br />

der pädagogischen Arbeit; es sind neue fachliche Schwerpunkte wie Fremdsprache,<br />

Naturwissenschaften, Deutsch als Zweitsprache, dazu neue organisatorische<br />

Auflagen wie Koordinierung mit der Betreuung, Zusammenarbeit mit den<br />

Kitas, Sprachtests, vermehrte Konferenzarbeit für Schulprogrammentwicklung<br />

und anderes mehr. Dem gegenüber steht die knapp gehaltene Stundentafel, die<br />

heute noch so ist wie zur Zeit von Heimatkunde und Schönschreiben. »Mehr Zeit<br />

für Kinder« ist deshalb eine Uraltforderung des Grundschulverbandes, die wir<br />

heute präzisieren:<br />

»Mehr Bildungszeit für Kinder«.<br />

Unterricht ist nicht genug<br />

von Heide Bambach,<br />

Heft 98, S. 2<br />

Vielleicht, so könnte man hoffen, kann<br />

die gesellschaftspolitische Diskussion<br />

um Kitas, Krippen und die »heutige<br />

Familie« auch die <strong>Grundschule</strong> weiter<br />

bringen – weg von Unterrichtsdeputaten,<br />

hin zu einem Ganzen. Denn eigentlich<br />

wissen es doch alle: Unterricht<br />

allein – egal wie kunstvoll und kindgerecht<br />

– ist nicht genug, die große<br />

Mehrheit der heutigen Kinder braucht<br />

die Schule auch als freundlichen Ort<br />

zum Leben.<br />

Kinder, die außerhalb der Schule<br />

überwiegend von Erwartungen und<br />

Terminen ihrer Eltern bestimmt werden,<br />

brauchen Zeiten für Eigenes und<br />

den Austausch mit anderen; Kinder, die<br />

nach Schulschluss sich selbst und den<br />

PC-Welten überlassen sind, brauchen<br />

unmittelbare Ansprache und Erfahrungen<br />

mit ihren Händen und Sinnen;<br />

Kinder, die sich zwischen mehreren<br />

Sprachen und Kulturen zurechtfinden<br />

müssen, brauchen Aufmerksamkeit<br />

und die Anerkennung ihrer besonderen<br />

Leistung; Kinder, deren familiäres<br />

Leben von Armut bestimmt ist, brauchen<br />

Versorgung und ab und an auch<br />

Verwöhnung – und so weiter.<br />

Wer das Zerbrechen seiner Familie<br />

zu verkraften hat, braucht in der Schule<br />

Beruhigung, Verlässlichkeit und Anerkennung<br />

der Balanceakte, die er zu<br />

Hause leistet. Mit der Erkenntnis »Wenn<br />

du’s hinter dir hast, ist es nicht mehr<br />

so schlimm« tröstet zum Beispiel der<br />

zehnjährige Fabian, der fast zwei Jahre<br />

lang seiner davongegangenen Mutter<br />

hinterhergesucht, -gesehnt, -gewütet<br />

und -getrauert hat, den Freund, dessen<br />

Eltern sich »nun auch« scheiden<br />

lassen. Und als Ina, die mit Unruhe und<br />

Gereiztheit die Erzählrunde stört, von<br />

ihrer Lehrerin zu hören bekommt: »Du<br />

bist heute scheußlich nervig und keifig!<br />

Bist du mit dem linken Fuß aufgestanden?<br />

Oder zu spät ins Bett gegangen?«<br />

wird sie plötzlich ruhig und ernst und<br />

erzählt vom nächtlichen Streit ihrer Eltern,<br />

wie sie weinend im Bett gelegen<br />

und Angst gehabt habe, »… dass wieder<br />

einer von beiden abhaut«, und wie sie<br />

so sehr gerne zu dem einen oder dem<br />

anderen ins Zimmer gegangen und ins<br />

Bett gekrochen wäre, um sich trösten<br />

zu lassen. »… aber dann habe ich es<br />

nicht getan. Weil der andere denken<br />

könnte, ihn habe ich weniger lieb.«<br />

Freundliche Schultage beginnen<br />

mit Gelassenheit – Zeit zum Ankommen,<br />

Zeit sich einzufinden, Zeit, um<br />

mit den anderen zusammenzufinden.<br />

Alle brauchen das – die wohlbehüteten<br />

Kinder ebenso wie diejenigen mit<br />

schlaflosen Nächten, die Schulanfänger<br />

ebenso wie die Viertklässler – und<br />

auch wir Erwachsenen. Alle tragen die<br />

Nacht, den Morgen und die Wichtigkeiten<br />

ihres Lebens mit in die Schule<br />

hinein; alle brauchen – jeder auf seine<br />

Weise – Zeit, sie beiseite zu tun und<br />

sich auf das Kommende einzustellen.<br />

Ein gemütlicher Anfang tut nicht nur<br />

denen gut, die morgendlichen Tee und<br />

Zuwendung in der Schule besonders<br />

nötig brauchen; vom anfänglichen<br />

Klima hängt ab, wie der weitere Tag<br />

verläuft, also auch, ob die Kinder für<br />

unterrichtliche Dinge aufnahmebereit<br />

und -fähig sein werden.<br />

Es gibt Schulen, die nehmen sich<br />

dafür Zeit. Dort schließt sich dem »Ankommen«<br />

während der ersten halben<br />

Stunde des Schultages eine »Morgenrunde«<br />

als erste Gemeinsamkeit an<br />

– Zeit zum Sich-Austauschen und Aneinander-Anteilnehmen.<br />

Weil es diese<br />

Erzählrunde an jedem Tag gibt, muss<br />

kein Kind auf den eigenen Redebetrag<br />

fixiert sein, können sie sich zuhörend<br />

und antwortend einlassen. Mitteilung,<br />

Austausch und Anteilnahme – manchmal<br />

wird daraus eine Kette mehr als<br />

eine Stunde lang. Mit ihren »Das-kennich-auch-von-mir«-Erzählungen<br />

antworten<br />

die Kinder einander und zeigen,<br />

dass sie mitfühlen und verstehen. Sie<br />

hören auf, sich mit den eigenen Nöten<br />

ganz allein zu fühlen; sie stärken einander<br />

mit den Beweisen ihrer Tapferkeit.<br />

Es ist Teil ihrer Gemeinsamkeit …<br />

Wenn wir wollen, dass Kinder mit<br />

aufmerksamen Augen und Ohren<br />

durch die Welt gehen, über Zusammenhänge<br />

nachdenken und sich in Beziehungen<br />

einfühlen, dann müssen wir<br />

ihnen und uns Zeit lassen, das Lernen<br />

mit dem zu verbinden, was unmittelbar<br />

zu ihrem Leben gehört; es bewegt<br />

sie besonders, und offenbar hinterlassen<br />

Anteilnahme von anderen und Gemeinsamkeiten<br />

mit ihnen besonders<br />

tiefe Spuren in ihren Köpfen und Gemütern.<br />

Aber – das braucht mehr Zeit,<br />

als die Unterrichts-Schule vorgibt.<br />

52 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007


Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />

OPORSTUVWXYZ<br />

Mehr Bildungszeit<br />

für Kinder<br />

aus einem Plakat als Einleger<br />

in Heft 97 (2007)<br />

Zur Lehrer-Arbeitszeit<br />

Illustrationen von Ute Winter, Heft 52 (1995), S. 1 ff.<br />

(Im Heft 52 Heft hatte Hermann Schwarz einen neuen Berechnungsmodus<br />

für die Arbeitszeit von Lehrerinnen und Lehrern vorgeschlagen.<br />

Sie sollte sich nicht mehr nur an der Wochenstundenzahl von Unterricht<br />

orientieren, sondern alle Lehrerarbeiten in ein realistisches Verhältnis<br />

zueinander setzen:<br />

■ die Kinderzeit (Arbeit mit Kindern: Unterricht, Beratung, Aufsicht …)<br />

■ die VN-Zeit (Vor- und Nachbereitungszeit sowie schülerbezogene<br />

Verwaltungsaufgaben …)<br />

■ die Kooperationszeit (Teambesprechungen, Zusammenarbeit mit<br />

Eltern, Institutionen, Personen im Umfeld, Dienstbesprechungen …)<br />

Unberücksichtigt sind dabei Fortbildungszeiten, Arbeit für<br />

besondere Innovationen, Betreuung von Lehramtsanwärtern,<br />

Zusatzzeiten bei Klassenfahrten und anderes mehr.)<br />

Die moderne Schule will weit mehr als<br />

fachbezogenes Wissen vermitteln. Sie<br />

ist eine Schule sozialen und individuellen<br />

Lernens; eine Schule, in der Kinder<br />

erkunden, erforschen, entdecken,<br />

Lernergebnisse präsentieren; eine<br />

Schule, in der Kinder eigene Lernwege<br />

gehen können und das Schulleben<br />

mitgestalten. Das geht nicht mehr<br />

als »Stundenschule« mit stündlichem<br />

Fächerwechsel, auch nicht mit der<br />

knappen Stundentafel aus der Zeit der<br />

preußischen Stillsitz- und Buchschule.<br />

Selbst eine Schule mit Unterrichtszeit<br />

wie gehabt und angehängter Betreuung,<br />

an der Kinder wahlweise teilnehmen,<br />

erfüllt diese Anforderungen<br />

nicht.<br />

Die moderne <strong>Grundschule</strong> braucht<br />

gemeinsame Bildungszeit über den<br />

Vormittag hinaus – als Bildungszeit für<br />

alle.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />

53


Grundschulverband <strong>aktuell</strong><br />

… auf Bundesebene<br />

Ehrendoktorwürde<br />

für Horst Bartnitzky<br />

Horst Bartnitzky, Vorsitzender des Grundschulverbandes,<br />

wurde von der Universität Siegen die<br />

Ehrendoktorwürde verliehen. Diese Auszeichnung<br />

erfolgte in Anerkennung seiner vielfältigen<br />

wissenschaftlichen, bildungs politischen und<br />

unterrichts praktischen Beiträge. Im Folgen den<br />

Auszüge aus der Laudatio von Prof. Dr. Hans<br />

Brügelmann:<br />

Horst Bartnitzky hat die pädagogische<br />

und didaktische Diskussion über die<br />

<strong>Grundschule</strong> in Deutschland in den letzten drei<br />

Jahrzehnte entscheidend mit geprägt. Grundlegend<br />

für Bartnitzkys Denken und seine wissenschaftlichen<br />

Arbeiten ist die Idee eines im<br />

doppelten Sinn integrativen Unterrichts:<br />

Pädagogisch zielt sie auf die demokratisierende<br />

Wirkung eines möglichst langen gemeinsamen<br />

Unterrichts für alle Kinder, in einer Ganztagsschule,<br />

die Kinder verschiedener Begabungen<br />

und aus unterschiedlichen sozialen Schichten<br />

und Kulturen mehr als die gegenwärtig vier<br />

Jahre zusammen leben und qualitativ anders<br />

lernen lässt.<br />

Didaktisch bedeutet Integration für Bartnitzky,<br />

dass Unterricht nicht fachlich parzelliert wird,<br />

sondern dass Lernen funktional in Situationen<br />

stattfindet, die von den Kindern als persönlich<br />

bedeutsam erfahren werden. Diesen Gedanken<br />

hat er z. B. mit dem Konzept eines integrativen<br />

Deutschunterrichts, der beispielsweise Grammatik<br />

und Rechtschreibung nicht in isolierte<br />

Übungen ausgliedert, konkretisiert.<br />

Bartnitzkys konzeptuelle Kraft wird<br />

besonders deutlich in seinen Publikationen<br />

zur Leistungserziehung und zur Evaluation<br />

von Leistung. Mit verschiedenen Arbeiten<br />

(seit 1977) hat er zur Klärung des Begriffs<br />

»Leistung« und insbesondere zur Begründung<br />

eines pädagogischen Leistungsverständnisses<br />

beigetragen. Vor allem die zunehmende Testorientierung<br />

nach PISA hat er mit mehreren<br />

Beiträgen fundiert kritisiert.<br />

Darüber hinaus hat er durch grundlegende<br />

Publikationen sowohl zur allgemeinen<br />

Grundschulpädagogik und -didaktik als auch<br />

zum Sprachunterricht wesentlich zur fachlichen<br />

Fundierung der Grundschulreform beigetragen.<br />

Bartnitzkys wissenschaftliche Beiträge<br />

umspannen ein breites Spektrum an Themen<br />

– von der Fachdidaktik bis hin zu grundsätz-<br />

Überreichung der Urkunde zur Ehrenpromotion (von links nach rechts):<br />

Prof. Dr. Kurt Sokolowski; Prodekan Fachbereich 2 (Eziehungswissenschaften<br />

und Psychologie), Prof. Dr. Hans Brügelmann, Dr. Horst Bartnitzky<br />

lichen pädagogischen Fragen der Primarstufe.<br />

Diese große Spannbreite wird eindrucksvoll<br />

markiert durch zwei Aktivitäten als Herausgeber.<br />

Schon 1981 veröffentlichte Bartnitzky<br />

gemeinsam mit Reinhold Christiani das<br />

erste deutschsprachige »Handbuch der Grundschulpraxis<br />

und Grundschuldidaktik«.<br />

Genau 25 Jahre später entwickelt er <strong>aktuell</strong> die<br />

Konzeption für ein umfassendes »Kursbuch<br />

<strong>Grundschule</strong>«, an dem unter seiner Leitung ein<br />

Team von WissenschaftlerInnen und PraktikerInnen<br />

arbeitet, um es 2009 zum 90. Geburtstag<br />

der <strong>Grundschule</strong> herauszubringen.<br />

Dies macht deutlich: Horst Bartnitzky<br />

ist ein »Übersetzer« im besten Sinne des<br />

Wortes. Damit meine ich die Fähigkeit, komplexe<br />

Zusammenhänge für Nichtspezialisten<br />

inhaltlich zugänglich zu machen, aber auch<br />

die sprachliche Fähigkeit, kompli-zierte Sachverhalte<br />

verständlich darzustellen – und dabei<br />

fachlich redlich zu bleiben. Horst Bartnitzky<br />

schreibt eine klare Wissenschaftsprosa, die<br />

sich schön liest – ein Stil, der selten geworden<br />

ist in den Zeiten der raschen Massenproduktion.<br />

Bildungspolitisch hat Bartnitzky sich –<br />

neben seinem Engagement in verschiedenen<br />

Kommissionen des Schulministeriums<br />

NRW – mit ganzer Kraft im Grundschulverband<br />

e. V., mit seinen rund 12 000 Mitgliedern<br />

der größte pädagogische Fachverband<br />

in Deutschland, engagiert. Dessen Vorstand<br />

gehörte er von 1983 an, ehe er 2000 selbst<br />

den Vorsitz übernahm. In dieser Funktion<br />

hat er an vielen Stellungnahmen und öffentlichen<br />

Veranstaltungen verantwortlich mitgewirkt,<br />

in denen es um grundsätzliche<br />

Fragen der Schulreform ging.<br />

Ab Heft 24 (November 1988) hat Horst Bartnitzky<br />

die Redaktion der Zeitschrift des<br />

Grundschulverbandes (damals noch »Arbeitskreis<br />

<strong>Grundschule</strong>«) übernommen. Dank seiner<br />

Schriftleitung ist die Zeitschrift zu einem<br />

weithin wahrgenommenen Fachorgan und<br />

zugleich zu einem bildungspolitischen Diskussionsforum<br />

geworden.<br />

Meines Wissens sind in Deutschland in<br />

den 40 Jahren, seitdem es eine Grundschulpädagogik<br />

an den Universitäten gibt,<br />

erst zwei Personen in diesem Fach ehrenhalber<br />

promoviert worden:<br />

Erwin Schwartz, der das Fach Ende der 1960er<br />

Jahre an der Universität Frankfurt etablierte<br />

und<br />

Hermann Schwarz , der Hamburger Schulrat,<br />

der weit über die Region hinaus gewirkt hat.<br />

Und jetzt Horst Bartnitzky in Siegen – eine<br />

Reihe, die sich sehen lassen kann!<br />

Die Universität Siegen kann sich glücklich<br />

schätzen, mit Horst Bartnitzky ein neues<br />

Mitglied gewonnen zu haben.<br />

Der gesamte Text der Laudatio findet sich im Internet<br />

unter http://www.grundschulverband.de/fileadmin/<br />

grundschulverband/Download/<strong>aktuell</strong>/laudatio_br_<br />

gelmann_f_r_H.B.pdf<br />

54 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007


Grundschulverband <strong>aktuell</strong><br />

… auf Bundesebene<br />

Nachrichten aus<br />

dem Bundesverband<br />

Bundesverdienstkreuz<br />

für Gertraud Greiling<br />

Gertraud Greiling, ehem. Mitglied<br />

des Landesvorstandes<br />

NRW, erhielt – weil sie sich in vielen<br />

Jahren um die Bildung von<br />

Grundschulkindern in besonderer<br />

Weise verdient gemacht hat<br />

– in einem Festakt auf Schloss<br />

Bellevue in Berlin von Bundespräsident<br />

DR. Horst Köhler<br />

das Bundesverdienstkreuz. In<br />

der Würdigung heißt es: »Bereits<br />

Ende der 60er Jahre entwickelte<br />

die ehemalige Grundschulrektorin<br />

ein zukunftsweisendes Konzept<br />

für Ganztagsgrundschulen, das<br />

zum Ziel hatte, Kinder mit unterschiedlichen<br />

Lerngeschwindigkeiten<br />

gemeinsam zu fördern. Teil<br />

dieses Konzeptes war eine Nachmittagsschule<br />

mit Mittagsmahlzeit<br />

und Hausaufgabenbetreuung.<br />

Hierfür wurde sie 1981 mit dem<br />

Grundschulpreis des Grundschulverbandes<br />

ausgezeichnet. Später<br />

gründete sie einen Gesprächs- und<br />

Arbeitskreis reformorientierter<br />

Pädagogen, um aktiv an der Entwicklung<br />

der Grundschulpädagogik<br />

mitzuwirken. 1992 wurde<br />

sie dann Mitglied im Landesvorstand<br />

des nordrhein-westfälischen<br />

Grundschulverbandes. Auch nach<br />

ihrer Pensionierung setzt sie ihr<br />

Engagement u. a. in der Schulbibliothek<br />

und in der kirchlichen<br />

Jugendarbeit fort.«<br />

Mehr unter: http://www.grund<br />

schulverband.de/<strong>aktuell</strong>_<br />

single+M59b2241f79b.html<br />

Gründungsprotokoll übergeben<br />

In einer kleinen Feierstunde<br />

in der Frankfurter Geschäftsstelle<br />

überreichte Prof. Kurt<br />

Meiers das Gründungsprotokoll<br />

des Grundschulverbandes (1969<br />

als »Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong>«<br />

gegründet) mit allen Unterlagen<br />

an den Vorsitzenden Horst<br />

Bartnitzky.<br />

Anwesend waren Prof. Richard<br />

Meier (als Schriftführer Mitglied<br />

des Gründungsvorstandes,<br />

später Mitglied des wissenschaftlichen<br />

Beirats), Prof. Dr.<br />

Kurt Meiers (von 1983 – 1986<br />

Mitglied im Vorstand und danach<br />

Beisitzer), Horst Bartnitzky,<br />

Dr. Karlheinz Burk (von 1983<br />

– 1986 Mitglied des Vorstandes),<br />

Maresi Lassek und Ulrich<br />

Hecker (Stellv. Vorsitzende),<br />

Marlies Hergarten (Schatzmeisterin),<br />

Sylvia Reinisch und<br />

Barbara Kielblock von der<br />

Geschäftsstelle.<br />

Bis weit in die neunziger Jahre<br />

waren die Gründungsdokumente<br />

im Besitz der Familie Schwartz.<br />

Mit der Erkrankung von Erwin<br />

Schwartz und der Kenntnis,<br />

dass Kurt Meiers an einer Dokumentation<br />

zur Geschichte des<br />

Grundschulverbandes mit Texten<br />

und Dokumenten aus den Jahren<br />

1966 bis 1970 arbeitete, überreichten<br />

die Eheleute Schwartz<br />

dem Familienfreund Kurt Meiers<br />

Prof. Kurt Meiers überreicht das<br />

Gründungsprotokoll des Verbandes an<br />

den Vorsitzenden Horst Bartnitzky<br />

die Gründungsdokumente. Der<br />

Band »Erwin Schwartz und sein<br />

Beitrag zur Reform der <strong>Grundschule</strong>«<br />

erschien 1999 im Dieck<br />

Verlag, Heinsberg – die Gründungsdokumente<br />

blieben bis zur<br />

feierlichen Überreichung in seinen<br />

Händen. Wir freuen uns, dass<br />

sie nun ihren Platz im Archiv des<br />

Verbandes gefunden haben.<br />

Demokratie leben und lernen:<br />

Symposion an der Uni Siegen<br />

»Wer an Schulen nur fachliches<br />

Wissen bzw. Können betrachtet<br />

und punktuell abtestet, dem<br />

schrumpft der Blick auf Pädagogik<br />

leicht zu PISA«, kritisierte Prof.<br />

Dr. Hans Brügelmann, einer der<br />

Veranstalter des Internationalen<br />

Symposions »Demokratische<br />

<strong>Grundschule</strong>«, das vom 19. bis<br />

21. September an der Universität<br />

Siegen stattfand.<br />

»Aber zu einer guten Schule gehört<br />

viel mehr. Viele schauen nur auf<br />

fachliche Leistungen, dazu noch<br />

beschränkt auf wenige ausgewählte<br />

Bereiche. Durch die Testbrille<br />

ist kaum zu erfassen, was<br />

Schulen zur Persönlichkeitsentwicklung<br />

und zur Förderung demokratischer<br />

Haltungen beitragen.«<br />

Nähere Informationen zum Symposion<br />

finden sich unter www.<br />

demokratische-grundschule.de,<br />

dort gibt es auch einen Offenen<br />

Brief an die Kultusministerkonferenz,<br />

dem man sich online<br />

anschließen kann: »Kinder haben<br />

das Recht mitzubestimmen –<br />

auch in der Schule«.<br />

Dossier »Schule für alle«<br />

»Es ist etwas in Bewegung geraten.<br />

Lange wurde nicht mehr so<br />

viel über Schule diskutiert, formierten<br />

sich so viele Bündnisse,<br />

Netzwerke, Initiativen und Runde<br />

Tische. Nach langer Lähmung<br />

herrscht auf einmal Aufbruchsstimmung.<br />

Immer mehr Menschen<br />

wird klar: Wir brauchen<br />

eine Schule für alle Kinder. Eine<br />

Schule, die nicht selektiert, die<br />

niemanden ausgrenzt, die kein<br />

Kind beschämt. Eine Schule, in<br />

der jedes Kind willkommen ist<br />

und sich seinen Fähigkeiten entsprechend<br />

entwickeln darf. Eine<br />

Schule, in der Vielfalt nicht als<br />

Problem, sondern als Chance<br />

wahrgenommen wird«, schreibt<br />

Andrea Teupke, Redakteurin der<br />

Zeitschrift »Publik Forum« und<br />

verantwortlich für das Dossier<br />

über Schule und Bildung, das diesem<br />

Heft beiliegt.<br />

Herausgeberin des Dossiers ist<br />

»Publik Forum«, die namhafte,<br />

ebenso unabhängige wie engagierte<br />

»Zeitschrift kritischer<br />

Christen«. Ursprung war die<br />

Wochenzeitung »PUBLIK«, die<br />

vor 30 Jahren von den deutschen<br />

katholischen Bischöfen herausgegeben<br />

und dann trotz massiver<br />

Proteste eingestellt wurde.<br />

Die Zeitung aber und ihre Leser/<br />

innen machten weiter: »Publik<br />

Forum« entstand.<br />

Nähere Informationen zur Zeitschrift<br />

finden sich unter www.<br />

publik-forum.de.<br />

Der Grundschulverband hat am<br />

Zustandekommen des Dossiers<br />

aktiv mitgewirkt, wie im Inhalt<br />

und an unserem Verbandslogo zu<br />

sehen ist.<br />

Horst Bartnitzky ist mit einem<br />

Interview vertreten, unser Fachreferent<br />

Peter Heyer, der uns in<br />

der Initiative »länger gemeinsam<br />

lernen« vertritt, kommt ebenfalls<br />

mit einem Beitrag zu Wort.<br />

In diesem Dossier spiegelt sich<br />

das Engagement vieler tatkräftiger<br />

Menschen für eine Schule<br />

für alle Kinder wider.<br />

Das Heft ist gut auch für die<br />

Elternarbeit, für Veranstaltungen<br />

und Fortbildungen geeignet.<br />

Unter www.publik-forum.de/<br />

schule finden sich verschiedene<br />

Links, Texte aus Publik-Forum<br />

zum Thema Schule sowie alle<br />

Texte des Dossiers. Dort kann<br />

man auch das Dossier bestellen.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />

55


Grundschulverband <strong>aktuell</strong><br />

… auf Bundesebene<br />

Gegen die »Testeritis«<br />

Unmittelbar nach Erscheinen unseres Heftes 99 sandte der Grundschulverband<br />

an über 13.000 <strong>Grundschule</strong>n ein »Mailing« mit der<br />

<strong>aktuell</strong>en Pressemitteilung zu »VERA«. »Gegen die Testeritis« war der<br />

provozierende Titel. Hier der Wortlaut:<br />

Grundschulverband warnt:<br />

Vergleichsarbeiten beschädigen Unterrichtskultur<br />

An deutschen Schulen wird so viel getestet, verglichen und evaluiert<br />

wie nie zuvor. In sieben Ländern – ab 2008 dann in allen 16 Bundesländern<br />

– schwitzen die Drittklässler über VERA-Tests.<br />

Allein in Nordrhein-Westfalen füllten rund 180.000 Kinder die Prüfungshefte<br />

eines Forscherteams der Universität Landau aus. Die<br />

Lehrkräfte mussten die Deutsch- und Mathetests selbst bewerten<br />

und die Ergebnisse per Internet an eine zentrale Datensammelstelle<br />

senden.<br />

In den letzten Tagen haben sie erfahren, wo ihre Klasse »im Landesschnitt«<br />

steht, sonst passierte nicht viel.<br />

Gegen schlechtes Abschneiden in internationalen Vergleichstests wie<br />

PISA, so glauben Deutschlands Schulminister, hilft vor allem Testen.<br />

Zwar hat sich die Kultusministerkonferenz als Reaktion auf den »PISA-<br />

Schock« sieben Verbesserungsstrategien vorgenommen – darunter<br />

Sprachkurse für Migrantenkinder, mehr Ganztagsschulen, gezielte<br />

Leseförderung –, doch konsequent umgesetzt haben sie bislang nur<br />

eine: Flächendeckende Tests!<br />

Dahinter steht die vage Hoffnung, dass vom Überprüfen alles auch<br />

irgendwie besser wird.<br />

Nach PISA verfallen Bildungs politik und Ministerialbürokratie buchstäblich<br />

in eine Manie des quantitativen Testens und Klassifizierens<br />

und vernachlässigen den pädagogischen Auftrag der Schule.<br />

Die Schulpolitik wollte Vergleichstests als Leistungsbaro meter einführen.<br />

Entsprechend werden die Testergebnisse gehandelt: als Anzeiger<br />

des <strong>aktuell</strong>en Bildungsstandes in den Schulen. Die Wissenschaftler<br />

sind in dieser Strategie offenbar gefangen: Denn eigentlich wissen sie,<br />

dass Vergleichstests nur höchst begrenzte Ausschnitte aus dem spiegeln<br />

können, was als »Bildungsstandards« definiert wurde.<br />

Erziehungswissenschaftler warnen vor den Folgen der empirischen<br />

Evaluation für das deutsche Bildungssystem. »Das ständige Messen,<br />

Managen und Zollstock ansetzen«, so Horst Bartnitzky, Vorsitzender<br />

des Grundschulverbandes, »läuft der Zielvorstellung einer ›guten Schule‹<br />

diametral entgegen. Die grassierende ›Testeritis‹ macht Kinder lernunwilliger<br />

statt erfolgreicher.«<br />

Bildungsinhalte werden dadurch drastisch verkürzt. Im Zentrum der<br />

»Output-Beobachtung« liegen die Bereiche, die in den internationalen<br />

Tests besonders im Blickpunkt stehen. Deshalb gibt es Bildungsstandards<br />

auch nur für Deutsch und Mathematik – und nur auf diese<br />

Fächer beziehen sich die Vergleichsarbeiten. Alle anderen Fächer wie<br />

Sachunterricht, Musik, Kunst, Sport werden, der schulpolitischen und<br />

öffentlichen Aufmerksamkeit entzogen, zur Nebensache.<br />

Horst Bartnitzky weiter: »Die flächendeckende ›Testeritis‹ beschädigt<br />

die Unterrichtskultur: Das Lernen wird auf die Vermittlung von überprüfbaren<br />

Zielen reduziert. Damit wird der Blick auf nachhaltig wirksame<br />

und qualifizierende Bildungsprozesse verstellt, die außerhalb von Papier-<br />

Bleistift-Evaluierungen liegen.«<br />

Ästhetische Bildung, Friedens- und Umwelterziehung, neue Medien<br />

z. B. galten vor Jahr und Tag noch als wichtige überfachliche Felder –<br />

als seien sie über Nacht unwichtig geworden, spielen sie nur noch eine<br />

Randrolle. Selbst in den getesteten Fächern begrenzen sich die Tests<br />

auf leicht abhakbare Ausschnitte der Lerninhalte.<br />

Diese fachlich eng begrenzten Ergebnisse werden nun Schulen und<br />

Eltern in Tabellenform vorgelegt, so als seien sie Aussagen zum Leistungsprofil<br />

der einzelnen Kinder.<br />

In den Schulen werden die Leistungsprofile der Parallelklassen veröffentlicht<br />

– so entsteht ein innerschulisches »Ranking« – Vergleiche<br />

ohne Hand und Fuß zwar, aber im Resultat: Testorientierter Unterricht<br />

wird zum Leitbild für Schulentwicklung.<br />

»Solche Art Tabellen-Akrobatik«, stellt Horst Bartnitzky fest, »ist weder<br />

für die pädagogische Praxis, noch für Eltern, erst recht nicht für die Kinder<br />

hilfreich.«<br />

Der Presse und den elektronischen Medien wurden mit dieser Erklärung<br />

zu Hintergrund-informationen das Heft 99 von »<strong>Grundschule</strong><br />

<strong>aktuell</strong>« zugestellt. Im Mailing an die <strong>Grundschule</strong>n haben wir ebenfalls<br />

angeboten, das Heft – in diesem Fall kostenfrei – zu bestellen.<br />

Das Echo war überwältigend. Hunderte Schulen bestellten schon am<br />

ersten Tag das Heft, wir erhielten eine Vielzahl von zustimmenden<br />

Mails und Anrufen.<br />

Das Thema bleibt brisant – und der Grundschulverband bleibt dran!<br />

Beitragserhöhung<br />

ab 2008<br />

Liebe Mitglieder,<br />

natürlich hat die allgemeine<br />

Kostensteigerung (Papier, Porto,<br />

Druckkosten …) auch beim<br />

Grundschulverband zu höheren<br />

Ausgaben geführt. Wir haben<br />

versucht, dies durch Sparmaßnahmen<br />

an anderen Stellen<br />

aufzufangen. Zugleich haben wir<br />

unsere Arbeit für die <strong>Grundschule</strong><br />

ausgebaut, z. B. durch unseren<br />

Internet-Auftritt mit einigen<br />

Zusatzleistungen, durch regel-<br />

mäßiges Mailing an alle <strong>Grundschule</strong>n,<br />

durch den Ausbau<br />

unserer Publikationen (Zeitschrift,<br />

Schuber zur Pädagogischen<br />

Leistungskultur), durch<br />

vermehrte Presse arbeit. Zudem<br />

müssen wir für den großen<br />

BundesGrundschulKongress im<br />

September 2009 ansparen.<br />

Nachdem wir den Mitgliedsbeitrag<br />

in den letzten vier Jahren<br />

stabil halten konnten, führt nun<br />

kein Weg an einer Erhöhung<br />

vorbei, wenn wir unsere<br />

Leistungen beibehalten wollen.<br />

Die Delegiertenversammlung<br />

beschloss deshalb am<br />

11. / 12. Mai 2007, die Beiträge ab<br />

2008 zu erhöhen, und zwar<br />

■ den Mitgliedsbeitrag von<br />

50 € auf 55 € im Jahr (auf den<br />

Monat umgerechnet beträgt der<br />

Mitgliedsbeitrag dann 4,59 €)<br />

■ den ermäßigten Beitrag von<br />

30 € auf 33 € (auf den Monat<br />

umgerech net beträgt der Beitrag<br />

dann 2,75 €).<br />

56 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007


Grundschulverband <strong>aktuell</strong><br />

… aus den Landesgruppen<br />

Baden-Württemberg<br />

Anschrift: Dipl.-Päd. Adolf Messer, Stockacker 15, 79252 Stegen; www.gsv-bw.de<br />

Landesgruppe zeigt Flagge:<br />

Gespräch mit Volker Schebesta<br />

Am 25. Juli führten Vertreter der<br />

Landesgruppe ein Gespräch mit<br />

Volker Schebesta, dem<br />

bildungspolitischen Sprecher der<br />

CDU-Landtagsfraktion in Baden-<br />

Württemberg. Das Gespräch ging<br />

über <strong>aktuell</strong>e bildungspolitische<br />

Fragestellungen.<br />

Unterrichtsversorgung: Die Landesgruppe<br />

wies auf massive<br />

Probleme bei der Unterrichtsversorgung<br />

hin, die vor dem Hintergrund,<br />

dass nur ein Bruchteil<br />

der Lehramtsabsolventen in<br />

diesem Jahr eingestellt wurde,<br />

besonders brisant erscheinen.<br />

Dabei handelt es sich um Studierendenjahrgänge,<br />

die von der<br />

Landesregierung ausdrücklich<br />

zum Studium ermutigt wurden<br />

und in einem Ausmaß zum<br />

Studium zugelassen wurden,<br />

welches die Kapazitäten der<br />

Pädagogischen Hochschulen des<br />

Landes weit überstieg.<br />

Frühe Bildung: Die Landesgruppe<br />

begrüßte, dass an den Pädagogischen<br />

Hochschulen ab WS<br />

2007/08 Bachelorstudiengänge<br />

für Frühkindliche Bildung und<br />

Erziehung eingerichtet werden.<br />

Es geht um die Wertigkeit und<br />

Wichtigkeit der frühen Bildung<br />

und um den Brückenbau zwischen<br />

Kindertagesstätten und<br />

Schulen. Dabei gilt es, den Bildungsgedanken<br />

zu stärken, ohne<br />

schulisch-curriculare Vorstellung<br />

von oben in die Bildungsprozesse<br />

kleiner Kinder hineinzudrücken.<br />

Neben Fragen der Lehrerbildung<br />

wurden auch schulstrukturelle<br />

Grundsatzprobleme thematisiert:<br />

Die Landesregierung wird<br />

weiterhin an dem gegliederten,<br />

selektiven System festhalten.<br />

Allerdings wurde Einigkeit dahingehend<br />

erzielt, dass eine Verbesserung<br />

der Förderkultur (und der<br />

Förderressourcen) an den Schulen<br />

anzustreben sei.<br />

»Mathematik entdecken als<br />

gemeinsame Aufgabe von<br />

Kindergarten und <strong>Grundschule</strong>«<br />

Nach der Sprache und dem<br />

naturwissenschaflichen Experimentieren<br />

wurde nun auch die<br />

Mathematik im Rahmen einer<br />

Fachtagung im Bildungszusammenhang<br />

von Kindergarten und<br />

<strong>Grundschule</strong> untersucht. Die<br />

Tagung wurde am 5. Oktober in<br />

der Pädagogischen Hochschule<br />

in Karlsruhe durchgeführt. Als<br />

Referentin stand Frau Prof. Dr.<br />

Christiane Benz zur Verfügung.<br />

Im Vortrag wurde auf verschiedene<br />

Sichtweisen von Mathematik<br />

und Lernen von Mathematik<br />

eingegangen. Schwerpunktmäßig<br />

wurde dabei aufgezeigt,<br />

was es in der Mathematik zu entdecken<br />

gibt und wie man Kinder<br />

dabei unterstützen kann. »Einem<br />

Kind etwas zu verraten, was es<br />

selbst entdecken kann, ist nicht<br />

nur schlechte Didaktik, es ist ein<br />

Verbrechen! Hast du jemals Sechsjährige<br />

beobachtet, wie eifrig und<br />

leidenschaftlich sie entdecken und<br />

erfinden und wie du sie enttäuschen<br />

kannst, wenn du Geheimnisse<br />

zu früh verrätst?« (Hans<br />

Freudenthal)<br />

Der Bologna-Prozess:<br />

Bedrohung oder Chance<br />

für die Qualität der Ausbildung<br />

von Lehrerinnen und Lehrern an<br />

<strong>Grundschule</strong>n in Baden-Württemberg?<br />

Dazu hat die Landesgruppe<br />

ein Positionspapier vorgelegt.<br />

Grundschullehrer brauchen eine<br />

wissenschaftliche, gleichwohl<br />

aufgabenbezogene Ausbildung,<br />

die sowohl spezifisch angelegt<br />

als auch mit der Ausbildung<br />

anderer Lehrämter vernetzt ist,<br />

eine Ausbildung zumal, die alle<br />

wichtigen Bildungsbereiche einschließt.<br />

Im Blick auf die europäische<br />

Vereinheitlichung des<br />

Studienwesens gilt es Gefahren<br />

abzuwehren, aber auch Möglichkeiten<br />

zu nutzen. So ist auch<br />

für das GS-Lehramt der Master<br />

als Regelabschluss zu fordern.<br />

Eine stärkere Orientierung am<br />

Lernprozess der Studierenden<br />

darf nicht zu mehr Verschulung<br />

führen. Die Vernetzungsmöglichkeiten<br />

im europäischen Bildungsraum<br />

und in individuellen<br />

Bildungsbiografien sind sicher<br />

zu begrüßen. Allerdings drohen<br />

Gefahren von einem Formalismus,<br />

dem wichtige Essentials der<br />

Grundschullehrerbildung, z. B.<br />

eine aufgabenorientierte Ausbildung<br />

schon im Bachelorstudium,<br />

zum Opfer fallen könnten.<br />

(für die Landesgruppe:<br />

Hans-Joachim Fischer)<br />

Bayern<br />

Vorsitzende: Dr. Gudrun Schönknecht, Pfirsichweg 37b, 86169 Augsburg<br />

Wir bitten um Ihr Verständnis.<br />

Sie erhalten wie bisher für Ihren<br />

Beitrag die Veröffentlichungen<br />

des Verbands sowie die Mitgliederzeitschrift.<br />

Bitte werben Sie weiterhin für<br />

die Mitgliedschaft. Denn die<br />

<strong>Grundschule</strong> braucht einen<br />

starken Fachverband. Nur mit<br />

vielen Mitgliedern sind wir<br />

stark.<br />

Horst Bartnitzky<br />

Vorsitzender des<br />

Grundschulverbandes<br />

30. November 2007,<br />

15 bis 17.30 Uhr,<br />

Mönchbergschule,<br />

Richard-Wagner-Str. 62,<br />

97074 Würzburg<br />

Öffentliche Landesgruppensitzung<br />

mit Referat:<br />

Pädagogische Leistungskultur<br />

der <strong>Grundschule</strong> – dargestellt<br />

im Bereich Heimat- und Sachunterricht<br />

(Bianca Ederer,<br />

Gabriele Klenk)<br />

Außerdem berichten Mitglieder<br />

der Landesgruppe von ihrer<br />

Arbeit in den Regionalgruppen.<br />

Herzlich eingeladen sind alle Mitglieder<br />

und interessierte Lehrkräfte.<br />

(für die Landesgruppe: Bianca Ederer)<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />

57


Grundschulverband <strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />

Berlin<br />

Kontakt: Ing rid Kornmesser, Kohlfurter Str. 4, 10999 Berlin; www.gsv-berlin.de<br />

Gespräch mit dem<br />

Bildungssenator<br />

Die beiden Vorsitzenden der Berliner<br />

Landesgruppe (Inge Hirschmann<br />

/ Peter Heyer) führten<br />

Mitte August ein einstündiges<br />

Gespräch mit dem Bildungssenator<br />

Prof. Dr. E. Jürgen Zöllner in<br />

Anwesenheit von Frau A. Rühle<br />

(Leitungsstab) und Frau D. Wilde<br />

(Grundschulreferentin). Dem<br />

Grundschulverband ging es bei<br />

diesem Gespräch sowohl um die<br />

Erörterung <strong>aktuell</strong>er Probleme<br />

und deren Lösungsmöglichkeiten<br />

als auch um Fragen der längerfristigen<br />

<strong>Grundschule</strong>ntwicklung.<br />

Im Grundsätzlichen gab<br />

es große Übereinstimmung. Wir<br />

konnten nur bestätigen, dass<br />

inzwischen viele Reformen in die<br />

Wege geleitet wurden, für die<br />

wir uns als Grundschulverband<br />

teilweise jahrzehntelang eingesetzt<br />

haben. Zugleich hatten wir<br />

jedoch nachdrücklich darauf hinzuweisen,<br />

dass bei der Umsetzung<br />

dieser Reformen in konkrete<br />

Praxis immer noch vieles<br />

schief läuft. Wir erläuterten an<br />

Beispielen, dass seitens Schulträger<br />

und Schulverwaltung die<br />

tatsächlichen Probleme einzelner<br />

<strong>Grundschule</strong>n – insbesondere<br />

im Zusammenhang mit der<br />

Entwicklung aller <strong>Grundschule</strong>n<br />

zu Ganztagsschulen und bei<br />

der Einführung der jahrgangsgemischten<br />

Schulanfangsphase<br />

– teilweise nur unzureichend<br />

wahrgenommen und / oder schön<br />

geredet werden. Außerdem<br />

kritisierten wir den oft indiskutablen<br />

Kommunikationsstil seitens<br />

Schul träger und Schulverwaltung<br />

gegenüber den in den<br />

Schulen tätigen Menschen. Als<br />

großes Problem stellten wir die<br />

Ungleichwertigkeit der Berliner<br />

<strong>Grundschule</strong>n heraus. Wir<br />

forderten den Bildungssenator<br />

auf, sich dafür einzusetzen, dass<br />

Eltern sicher sein können, dass<br />

die wichtigen Prinzipien guter<br />

pädagogischer Arbeit an jeder<br />

einzelnen Berliner <strong>Grundschule</strong><br />

gewährleistet sind, also auch an<br />

der <strong>Grundschule</strong> um die Ecke,<br />

und dass den Entwicklungen in<br />

Richtung auf eine falsch verstandene<br />

Profilbildung unbedingt<br />

gegenzusteuern ist. Kinder im<br />

Grundschulalter brauchen möglichst<br />

wohnungsnahe Schulen.<br />

Jede <strong>Grundschule</strong> muss deshalb<br />

die für alle Kinder wichtigen<br />

Bildungsangebote bereit stellen<br />

können, nicht nur spezielle<br />

»Leuchtturmschulen«!<br />

Stellungnahme zum Berliner<br />

Bildungsprogramm für die<br />

offene Ganztagsgrundschule<br />

Zur – lesenswerten – Entwurfsfassung<br />

des »Berliner Bildungsprogramms<br />

für die offene Ganztagsgrundschule«<br />

von Jörg<br />

Ramseger, Christa Preissing<br />

und Ludger Pesch<br />

(http://www.ina-fu.org/bildungs<br />

programm/BildungsProg_GTGS_<br />

Webfassung_06-03-2007.pdf)<br />

gab der Vorstand der Berliner<br />

Landesgruppe eine mit kritischen<br />

Anmerkungen versehene grundsätzlich<br />

positive Stellungnahme<br />

ab, nachzulesen auf der website<br />

der Berliner Landesgruppe<br />

(www.gsv-berlin.de).<br />

(für die Landesgruppe: Peter Heyer;<br />

peterheyer@snafu.de)<br />

Brandenburg<br />

Vorsitzende: Denise Sommer, Weinbergweg 21, 15834 Rangsdorf; www.gsv-brandenburg.de<br />

Rahmenlehrpläne erfolgreich<br />

implementiert – neues Schulgesetz<br />

in Kraft<br />

Kein alltägliches bildungspolitisches<br />

Ereignis war die<br />

gemeinsame Entwicklung neuer<br />

Rahmenlehrpläne für die <strong>Grundschule</strong><br />

im Vierländerprojekt mit<br />

Berlin, Bremen und Mecklenburg-<br />

Vorpommern. Um dem<br />

innovativen Anspruch der Rahmenlehrpläne<br />

Genüge zu tun,<br />

begleitete das Ministerium für<br />

Bildung, Jugend und Sport / Ref.<br />

32 unter Federführung von Anne<br />

Knauf die Einführung der Pläne<br />

als ein bisher einmaliges, zentral<br />

gesteuertes dreijähriges Implementierungsvorhaben.<br />

Ziel war es dabei, die Qualitätswirksamkeit<br />

der Rahmenlehrpläne<br />

in Bezug auf eine veränderte<br />

Schul- und Lernkultur und<br />

die Erreichung besserer Lernergebnisse<br />

auszurichten. Die vorliegenden<br />

Daten aus der begleitenden<br />

Evaluation bieten ein<br />

optimistischeres Bild als das<br />

aus bisherigen Untersuchungen<br />

zur Lehrplanforschung vorliegende:<br />

Darin wurde den Lehrplänen<br />

nur eine sehr geringe<br />

praktische Bedeutsamkeit für<br />

Lehrkräfte zugesprochen. Für die<br />

vielen anderen Bildungsbaustellen<br />

wünscht man sich deshalb<br />

Tansfer- und Synergieeffekte aus<br />

diesem Projekt.<br />

Auch das neue Schulgesetz wartet<br />

mit weiteren Neuerungen auf.<br />

Erstmalig wurden die im Schulgesetz<br />

beschlossenen Leistungsund<br />

Begabungsklassen an Gymnasien<br />

eingerichtet, in denen<br />

besonders begabte Schülerinnen<br />

und Schüler nach Abschluss der<br />

4. Klasse gefördert werden. Das<br />

neue KITA-Gesetz ist zum 1. Juli<br />

2007 in Kraft getreten. Damit<br />

sind die Einrichtungen verpflichtet,<br />

im letzten Jahr vor der Einschulung<br />

bei den Kindern den<br />

Sprachstand zu überprüfen und<br />

ggf. Sprachförderkurse anzubieten.<br />

Neu sind auch die zentralen Vergleichsarbeiten<br />

in Mathematik<br />

und Deutsch, die als Instrument<br />

zur Feststellung der Eignung<br />

zum Übergang in die weiterführende<br />

Schule definiert werden.<br />

Die Noten dieser Arbeit gehen<br />

zu 40 % in die Halbjahresnote<br />

ein. Brandenburger Sechstklässler,<br />

die auf ein Gymnasium gehen<br />

wollen, benötigen nun von der<br />

<strong>Grundschule</strong> eine Empfehlung<br />

für den Bildungsgang zum Abitur<br />

und dürfen die Notensumme<br />

7 in den Fächern Deutsch, Mathe<br />

und Englisch nicht überschreiten.<br />

Scheitert es an einer dieser<br />

Voraussetzungen, müssen sie an<br />

einem Eignungstest in Form des<br />

Probeunterrichtes teilnehmen. So<br />

stehen vielleicht vergleichbarere<br />

Abschlüsse auf der einen Seite,<br />

auf der anderen wächst aber<br />

der Druck auf Kinder, Eltern und<br />

Grundschullehrkräfte.<br />

(für die Landesgruppe:<br />

Marion Gutzmann)<br />

58 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007


Grundschulverband <strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />

Bremen<br />

Gemeinsamer Vorsitz: Nina Bode-Kirchhoff, Ilona Rother, Inga Weiland;<br />

www.grundschulverband-bremen.de<br />

Abbau von Lehrerstellen<br />

In den Koalitionsvereinbarungen<br />

zwischen SPD und Grünen wird<br />

dem Bereich Bildung und insbesondere<br />

der Arbeit in den <strong>Grundschule</strong>n<br />

eine wichtige Bedeutung<br />

zugesprochen. Um allen Kindern<br />

die gleichen Bildungschancen<br />

einzuräumen, sollen Schülerrückgänge<br />

genutzt werden, um Klassengrößen<br />

und Förderinten sität<br />

nach Sozialindikatoren zu staffeln.<br />

Leider wurde eine Möglichkeit,<br />

dieses Versprechen einzulösen,<br />

jetzt vertan. Wie die GEW<br />

bekannt gab, wurden in diesem<br />

Schuljahr an <strong>Grundschule</strong>n und<br />

Förderzentren 43 Lehrerstellen<br />

abgebaut. Die Bildungsbehör de<br />

bestätigte die Zahlen und<br />

be gründete die Streichungen mit<br />

dem Rückgang der Schülerzahlen<br />

und veränderten Klassenstrukturen.<br />

Die Bildungssenatorin Renate<br />

Jürgens-Pieper kündigt neue<br />

Entwicklungen in Bremens Schullandschaft<br />

an:<br />

Befreiung von der Zensurengebung<br />

■ <strong>Grundschule</strong>n, die ein entsprechendes<br />

pädagogisches Konzept<br />

vorlegen, können von der<br />

Zensurengebung befreit werden.<br />

Lernentwicklungsberichte<br />

und verbindliche Elterngespräche<br />

können die derzeitige Kombination<br />

aus Ziffernzeugnis und<br />

Bericht ersetzen. Gleichzeitig<br />

werden die sehr umfangreichen<br />

Zeugnisse für die Klassen 3 und<br />

4 überarbeitet. Die neue Grundschulreferentin<br />

Gabi Langel-<br />

Carossa befasst sich bereits<br />

damit.<br />

Ausbau des Ganztagsschulangebotes<br />

■ Das Ganztagsschulangebot<br />

soll in der nächsten Zeit weiter<br />

ausgebaut werden. Für alle Schulstufen<br />

sollen jährlich drei Ganztagsschulen<br />

hinzukommen.<br />

Pilotprojekt »Eigenverantwortliche<br />

Schule«<br />

■ In diesem Schuljahr startet<br />

ein Pilotprojekt, an dem sich<br />

sechs bis acht allgemein bildende<br />

Schulen beteiligen können. Die<br />

Schulen sollen eigenverantwortliche<br />

Gestaltungsspielräume für<br />

die Bereiche Pädagogik, Organisation,<br />

Personalverantwortung<br />

und Budgetierung erhalten.<br />

Durch diese größere Eigenverantwortung<br />

soll die Qualität des<br />

Lehrens und Lernens verbessert<br />

werden. Die Schulen sind<br />

verpflichtet ihr Handeln für die<br />

Öffentlichkeit transparent zu<br />

machen. Nach zwei Jahren Laufzeit<br />

ist der Einstieg weiterer<br />

Schulen in das Projekt geplant.<br />

Schulbegleitforschung<br />

Zum Schuljahr 2007/2008 wurden<br />

von der Senatorin für Bildung<br />

und Wissenschaft fünf Netzwerke<br />

eingerichtet, in denen<br />

Lehrer/innenteams drei Jahre<br />

forschen werden.<br />

Für jedes Netzwerk ist eine<br />

Professorin / ein Professor der<br />

Universität verantwortlich. Die<br />

Netzwerke werden vom Landesinstitut<br />

für Schule und einem<br />

Beirat begleitet. In den <strong>aktuell</strong>en<br />

Schulbegleitforschungs prozess<br />

sind hauptsächlich Bremer<br />

<strong>Grundschule</strong>n einbezogen worden.<br />

Die Netzwerkthemen Diagnostik<br />

/ Förderung / Migration, Übergänge<br />

und Mathematik wurden<br />

in diesem Jahr von der Bildungsbehörde<br />

vorgegeben. Zukünftig<br />

sollen aber auch wieder Forschungsfragen<br />

aus den Schulen<br />

aufgenommen werden.<br />

Am 5. September 2007 wurde<br />

in einer Eröffnungsveranstaltung<br />

im Haus der Wissenschaft<br />

mit einem Vortrag von Prof.<br />

Dr. Klaus-Jürgen Tillmann die<br />

Netzwerkarbeit gestartet.<br />

(für die Landesgruppe:<br />

Nina Bode-Kirchhoff)<br />

Hamburg<br />

Vorsitzende: Susanne Peters, Güntherstraße 10, 22087 Hamburg;<br />

susanne.peters@gsvhh.dwww.gsvhh.de<br />

Noten in Integrationsklassen<br />

Nach den Sommerferien wurden<br />

die 29 Hamburger Schulen<br />

mit Integrationsklassen von<br />

der Weisung der Schulbehörde<br />

überrascht, dass ab sofort auch<br />

in Integrationsklassen 3 und 4<br />

generell Ziffernzeugnisse zu<br />

erteilen sind. Nur die behinderten<br />

Schülerinnen und Schüler erhalten<br />

weiterhin Berichtszeugnisse.<br />

Dadurch wird die integrative<br />

Arbeit entscheidend beeinträchtigt.<br />

Der Landesverband fordert,<br />

die bisherige Praxis der Berichtszeugnisse<br />

beizubehalten.<br />

Frühbeete der Gegenwart<br />

Susanne Peters referierte vor<br />

ca. 20 Zuhörern über die niederländische<br />

<strong>Grundschule</strong> »De Klaverweide«<br />

in Almere, die sich mit<br />

dem Konzept »Natürliches Lernen«<br />

auf den Weg gemacht hat,<br />

den Schulalltag grundlegend zu<br />

verändern. In jahrgangsübergreifenden<br />

Klassen wird den Schülern<br />

selbsttätiges, stark praxisorientiertes<br />

Lernen ermöglicht.<br />

An Hand von Lern- und Entwicklungslinien<br />

bestimmen Lehrer<br />

und Schüler regelmäßig den<br />

jeweiligen Stand und die nächsten<br />

Ziele. Im Anschluss an den<br />

Vortrag wurden Möglichkeiten<br />

diskutiert, zumindest Teilbereiche<br />

in die eigene Schul- und<br />

Unterrichtsarbeit zu transportieren.<br />

Welche Schule für mein Kind?<br />

Diese Frage wird sich für die<br />

Hamburger Eltern von Viertklässlern<br />

in Zukunft neu stellen.<br />

Bereits zum Sommer 2009 soll<br />

es in Hamburg nur noch zwei allgemeinbildende<br />

weiterführende<br />

Schulformen geben, die beide<br />

zum Abitur führen können: das<br />

Gymnasium und die Stadtteilschule.<br />

Bislang ist völlig unklar,<br />

welche Schulen sich zu Stadtteilschulen<br />

zusammenfinden,<br />

welche Standorte es geben wird<br />

und welche Profile die einzelnen<br />

Schulen entwickeln. Wir bedauern,<br />

dass in die Überlegungen<br />

zu einer grundlegenden Schulreform<br />

keine Verlängerung der<br />

Grundschulzeit auf sechs Jahre<br />

mit in Betracht gezogen worden<br />

ist, durch die sich viele Probleme<br />

lösen ließen.<br />

(für die Landesgruppe: Marion Lindner)<br />

Donnerstag,<br />

22. November 2007<br />

um 19 Uhr<br />

Lesung mit Heide Bambach<br />

Preisträgerin des<br />

Erwin-Schwartz-Preises<br />

Davids Café, Alsterdorf,<br />

Elisabeth-Flügge-Straße 3<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />

59


Grundschulverband <strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />

Niedersachsen<br />

Kontakt: Dr. Eva Gläser, Fasanenstr. 1, 38102 Braunschweig, ww.gsv-nds.de<br />

Der Schulvorstand –<br />

das neue Beschlussorgan<br />

Alle öffentlichen Schulen in<br />

Niedersachsen sind seit diesem<br />

Schuljahr eigenverantwortlich.<br />

Damit wird auch ein neues Gremium,<br />

der Schulvorstand, in den<br />

Schulen eingeführt. Die Gesamtkonferenz<br />

büßt ihre bisherige<br />

Stellung als oberstes Beschlussgremium<br />

der Schule ein. Viele<br />

ihrer bisherigen administrativen<br />

und pädagogischen Zuständigkeiten<br />

sind nun auf die Schulleitung<br />

oder auf den Schulvorstand<br />

übergegangen. In den <strong>Grundschule</strong>n<br />

stellen die Eltern eine<br />

Hälfte des Schulvorstandes, die<br />

Lehrenden die andere. Für die<br />

<strong>Grundschule</strong>n gilt zudem: Auch<br />

pädagogische Mitarbeiterinnen<br />

oder Mitarbeiter können von der<br />

Gesamtkonferenz in den Schulvorstand<br />

gewählt werden. Die<br />

Schulleiterin oder der Schulleiter<br />

ist Vorsitzende bzw. Vorsitzender.<br />

Bei Stimmengleichheit gibt<br />

ihre bzw. seine Stimme den Ausschlag.<br />

Mecklenburg-Vorpommern<br />

Vorsitzender: Ralph Grothe, Hasengang 3, 17309 Pasewalk, ralphgrothe@aol.com<br />

»Brücken bauen«<br />

Am Sonnabend, dem 14. 7. 2007<br />

versammelten sich 400 Lehrerinnen<br />

und Erzieherinnen zum<br />

zentralen Grundschultag in<br />

Güstrow, um über die Gestaltung<br />

des Überganges von der Kindertagesstätte<br />

zur <strong>Grundschule</strong> zu<br />

diskutieren..<br />

Prof. Dr. phil. Marion Musiol,<br />

die die Fachrichtung »Early Education<br />

– Vorschulpädagogik« in<br />

der Fachhochschule Neubrandenburg<br />

leitet, ging in ihrem Eingangsreferat<br />

der Frage nach,<br />

wie sich Kinder zu Bildungsexperten<br />

entwickeln und wie<br />

Erzieherinnen und Lehrerinnen<br />

diese Prozesse bewusst mitgestalten<br />

können.<br />

Kinder verblüffen durch ihre<br />

Neugier, ihren ständigen Drang,<br />

wissen zu wollen, ihre Experimentierfreude,<br />

ihre Lust am Lernen.<br />

Kinder sind geborene Lern-<br />

Umfangreicher Aufgaben katalog<br />

des Schulvorstandes<br />

Der Schulvorstand kann beispielsweise<br />

entscheiden, ob die<br />

Schule zur Ganztagsschule weiterentwickelt<br />

oder ob eine Integrationsklasse<br />

eingerichtet werden<br />

soll. Aber auch der Antrag,<br />

einen Schulversuch durchzuführen<br />

bzw. sich zu beteiligen, wird<br />

in diesem Gremium in Zukunft<br />

entschieden. Auch die finanzielle<br />

Seite wird hier diskutiert:<br />

Über die Verwendung der Mittel<br />

entscheidet im Einzelnen die<br />

Schulleiterin oder der Schulleiter.<br />

Jedoch muss die Schulleitung<br />

gegenüber dem Schulvorstand<br />

Rechenschaft ablegen. Aber nicht<br />

nur organisatorisch-administrative<br />

Dinge sollen hier geklärt<br />

werden, sondern auch pädagogische<br />

Fragen. Wenn nach Erlasslage<br />

die Möglichkeit besteht, die<br />

Stunden tafel zu verändern, entscheidet<br />

über ihre Ausgestaltung<br />

der Schulvorstand. Grundsatzbeschlüsse<br />

über die Durchführung<br />

von Projektwochen sind zudem<br />

experten. Wissenschaftliche Forschungsergebnisse<br />

zeigen, dass<br />

Bildungsprozesse nicht erst mit<br />

dem Eintritt in die Schule beginnen,<br />

sondern mit der Geburt des<br />

Kindes. neuere Erkenntnisse aus<br />

der Neurobiologie oder der Entwicklungspsychologie<br />

verweisen<br />

einerseits darauf, dass die Ressourcen,<br />

die ein Kind von Geburt<br />

an für seine Selbstbildungsprozesse<br />

mitbringt, nur ungenügend<br />

genutzt werden. Andererseits<br />

zeigen sie, dass jedes Kind<br />

bereits in einem sehr frühen Alter<br />

und mit hoher Eigenmotivation<br />

sich aktiv eine Vorstellung von<br />

sich selbst und der Welt aufbaut.<br />

In diesen Bildungsprozessen<br />

kommt der Bewegungsentwicklung,<br />

der Verbindung von Gefühl<br />

und Denken sowie der ästhetischen<br />

Bildung eine weitaus<br />

größere Bedeutung zu als bisher<br />

angenommen wurde. In diesem<br />

Kontext kommt den pädago-<br />

möglich. Solange der Schulvorstand<br />

nicht ordnungsgemäß<br />

zusammengesetzt ist, etwa weil<br />

die Gesamtkonferenz keine Vertretung<br />

wählt oder weil sich niemand<br />

zur Wahl stellt, gehen die<br />

Beschlusszuständigkeiten des<br />

Schulvorstandes auf die Schulleiterin<br />

oder den Schulleiter über.<br />

Projekt »Brückenjahr« –<br />

Zusammenarbeit von Kindergarten<br />

und <strong>Grundschule</strong><br />

Mit dem Programm »Brückenjahr«<br />

will das Land Niedersachsen<br />

die Anschlussfähigkeit der beiden<br />

Bildungseinrichtungen Kindertageseinrichtungen<br />

und <strong>Grundschule</strong>n<br />

verbessern. Insbesondere<br />

das letzte Kindergartenjahr,<br />

das seit diesem Jahr beitragsfrei<br />

in Niedersachsen ist, steht hierbei<br />

im Mittelpunkt.<br />

Das Programm »Brückenjahr«<br />

hat im August 2007 begonnen<br />

und wird für vier Jahre gefördert.<br />

Zudem wird die Zusammen -<br />

arbeit von Kindergarten und<br />

Schule durch den Einsatz von<br />

gischen Fachkräften eine andere<br />

Aufgabe zu, indem sie sich<br />

immer mehr als Expertinnen /<br />

Experten für frühe Bildung verstehen<br />

(müssen).<br />

In seinem Grußwort hob Bildungsminister<br />

Henry Tesch<br />

hervor, dass diese Frage einen<br />

besonderen Schwerpunkt in der<br />

Arbeit seines Ministeriums<br />

bildet. So wird die fachliche Aufsicht<br />

der Vorschulbildung in den<br />

Kindertagesstätten nun vom Bildungsministerium<br />

übernommen.<br />

Aber auch die in der Praxis gelungenen<br />

Projekte sollten viel mehr<br />

Verbreitung finden.<br />

Wir laden Sie ein, auf unserer<br />

Homepage www.grundschul<br />

verband-mv.de ihre Erfahrungen<br />

zu veröffentlichen.<br />

(für die Landesgruppe: R. Grothe)<br />

50 Bera tungs teams unterstützt.<br />

Die Anzahl der Modellprojekte<br />

umfasst zurzeit 226, in denen<br />

Fachkräfte aus Kindergarten und<br />

Schule gemeinsam arbeiten. Alle<br />

Fachkräfte aus dem Elementarund<br />

dem Primarbereich werden<br />

gemeinsam fortgebildet.<br />

(für die Landesgruppe: Dr. Eva Gläser)<br />

Wir möchten mit Ihnen über das<br />

»Brückenjahr« diskutieren<br />

Donnerstag,<br />

28. Februar 2008,<br />

15.30 – 17.30 Uhr<br />

Erfahrungsaustausch<br />

»Brückenjahr«<br />

Ort: Hotel Loccumer Hof,<br />

Kurt-Schumacher-Straße 14/16,<br />

Hannover<br />

Anmeldungen erbeten bei:<br />

e.glaeser@tu-bs.de<br />

Rheinland-Pfalz<br />

Anschrift: Werner Lang,<br />

<strong>Grundschule</strong> auf dem Weg<br />

zur neuen Lernkultur<br />

Unter diesem bereits bewährten<br />

Motto findet am<br />

26. Februar 2008<br />

der Grundschultag der<br />

Landesgruppe Rheinland-<br />

Pfalz an der Universität<br />

Koblenz- Landau, Campus<br />

Koblenz, statt. In Zusammenarbeit<br />

mit dem Institut für<br />

Grundschulpädagogik soll der<br />

Blick auf das Schwerpunktthema<br />

Gute Schule – Guter Unterricht<br />

gerichtet werden. Ab Ende<br />

November werden auf der<br />

Homepage der Landesgruppe<br />

(www.wl-lang.de) weitere Informationen<br />

zu finden sein. Im<br />

Anschluss an den Grundschultag<br />

findet eine Mitgliederversammlung<br />

der Landes gruppe Rheinland-Pfalz<br />

mit Neuwahlen statt,<br />

zu der an dieser Stelle schon<br />

herzlich eingeladen wird.<br />

länger gemeinsam lernen<br />

In einem offenen Brief an Frau<br />

Ministerin Doris Ahnen hat die<br />

Landesgruppe RLP ihre Forde-<br />

60 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007


Grundschulverband <strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />

Nordrhein-Westfalen<br />

Vorsitzende: Gisela Cappel, Habichtstr. 1 d, 58285 Gevelsberg<br />

»<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>« wird <strong>100</strong><br />

– Landesgruppe NRW seit 1992<br />

dabei!<br />

Das Jubiläumsheft ist auch für<br />

die Landesgruppe NRW Anlass,<br />

auf die bisherige Arbeit zurückzublicken:<br />

Wie auf Bundesebene,<br />

so war auch die bildungspolitische<br />

Arbeit in der Landesgruppe<br />

davon geprägt, die <strong>Grundschule</strong><br />

als reformorientierte Schule für<br />

alle Kinder zu entwickeln. Seit<br />

Gründung der Landesgruppe (mit<br />

Horst Bartnitzky als erstem<br />

Vorsitzendem) bestimmten insbesondere<br />

die Themen pädagogische<br />

Leistungskultur, mehr Zeit<br />

für Kinder, Integration, länger<br />

gemeinsam lernen die Diskussion<br />

in der Landesgruppe und spiegelten<br />

sich in vielfältigen Aktivitäten<br />

(u. a. Grundschultage, Symposien,<br />

Fortbildungen) und den<br />

Beiträgen für GSV <strong>aktuell</strong> wider.<br />

Angesichts der bildungspolitischen<br />

Weichenstellung durch<br />

die jetzige Landesregierung und<br />

den Rückfall in überholte und<br />

längst widerlegte Konzepte geraten<br />

diese Bereiche wieder verstärkt<br />

in den Fokus der öffentlichen<br />

Wahrnehmung. Für die<br />

Landesgruppe stellt sich in dieser<br />

Situation die Aufgabe, ihre<br />

Positionen deutlich zu vertreten<br />

und auf die vielen Beispiele<br />

von in diesem Sinne gelungener<br />

Praxis hinzuweisen. Zwei Beispiele<br />

aus jüngerer Zeit sprechen<br />

für sich: Im letzten Jahr<br />

wurde die GS Kleine Kielstraße<br />

in Dortmund mit dem deutschen<br />

Schulpreis ausgezeichnet<br />

und erst vor kurzem erhielt Gertraud<br />

Greiling (Gründungsmitglied<br />

der Landesgruppe NRW)<br />

für ihr langjähriges Engagement<br />

für das Ziel ›Bildung für alle‹ den<br />

Verdienst orden der Bundesrepublik<br />

Deutschland. Die Landesgruppe<br />

NRW gratuliert, freut sich<br />

mit den Ausgezeichneten über<br />

die Anerkennung ihrer Arbeit und<br />

nimmt dies als Auftrag zur Fortsetzung<br />

und Weiterentwicklung<br />

ihrer Tätigkeit.<br />

Landesgruppe begrüßt NRW-<br />

Eckpunkte zur Lehrerausbildung<br />

Mit den kürzlich verabschiedeten<br />

Eckpunkten für ein neues Lehrerbildungsgesetz<br />

leistet NRW einen<br />

wichtigen und positiven Beitrag<br />

zur Anerkennung der pädagogischen<br />

Arbeit von Grundschullehrerinnen<br />

und -lehrern. Durch<br />

eine gleich lange universitäre<br />

Ausbildung für alle Lehrämter<br />

wird die Ausbildung für das Lehramt<br />

<strong>Grundschule</strong> deutlich aufgewertet<br />

und der anspruchsvollen<br />

Tätigkeit Rechnung getragen.<br />

Weitere Informationen zum<br />

Beschluss finden sich auf unserer<br />

homepage www.grundschul<br />

verband-nrw.de<br />

Mitgliederversammlung<br />

20. Oktober 2007 in der<br />

GS Kleine Kielstr., Dortmund<br />

Die diesjährige MV findet statt in<br />

der Schule, die im vergangenen<br />

Jahr den Deutschen Schulpreis<br />

erhalten hat. Als Gast dürfen wir<br />

die ehemalige Leiterin der Laborschule<br />

Bielefeld, Heide Bambach,<br />

begrüßen, die jüngst den Erwin-<br />

Schwartz-Grundschulpreis erhalten<br />

hat. Sie wird ermutigende<br />

Texte aus ihren Büchern lesen.<br />

Nähere Information und Anmeldung<br />

auf unserer Homepage!<br />

(für die Landesgruppe: Beate Schweitzer)<br />

Am Wingertsberg 8, 67756 Hinzweiler<br />

rung nach einer grundlegenden<br />

Reform des Schulsystems deutlich<br />

gemacht. Als langfristiges<br />

Ziel soll eine »Schule für alle«<br />

angestrebt werden, in der das<br />

gemeinsame Lernen von der<br />

ersten bis zur neunten oder<br />

zehnten Klasse den demokratischen<br />

Auftrag zur Kompensation<br />

sozialer Startnachteile<br />

erfüllt und Heterogenität als<br />

Chance begreift. Die nicht mehr<br />

zeitgemäße Dreigliedrigkeit des<br />

Schulsystems muss überwunden<br />

und ein mutiger Schritt in Richtung<br />

»Länger gemeinsam lernen<br />

– eine Schule für alle« gemacht<br />

werden.<br />

Demokratie lernen und leben<br />

Die Landesgruppe RLP hat sich<br />

in den vergangenen Jahren aktiv<br />

an der Durchführung des BLK-<br />

Programms »Demokratie lernen<br />

und leben« beteiligt, weil sie von<br />

der besonderen Bedeutung der<br />

Demokratisierung von Schule<br />

und Unterricht überzeugt ist.<br />

Dies wird aber nur dann nachhaltig<br />

Erfolg haben, wenn die<br />

Demokratisierung von Schule<br />

und Unterricht zu einem regulären<br />

Modul in der Lehrerausbildung<br />

wird. Um dieser Forderung<br />

Nachdruck zu verleihen, führte<br />

die Landesgruppe mit Unterstützung<br />

von Frau Student (aus dem<br />

BLK-Projekt-Team) an allen Staatlichen<br />

Studienseminaren des<br />

Landes mit den LehramtsanwärterInnen<br />

ein »Demokratie-<br />

Seminar mit Modell-Charakter«<br />

durch. Die Landesgruppe RLP hat<br />

dem Ministerium für BWJK ihre<br />

Mithilfe bei der Qualifizierung<br />

von FachleiterInnen, die dieses<br />

Modul zukünftig eigenverantwortlich<br />

umsetzen sollen, zugesagt.<br />

Diese Qualifizierung soll<br />

2008 in Zusammenarbeit mit<br />

der Deutschen Gesellschaft für<br />

Demokratiepädagogik anlaufen.<br />

Tipps für Lehrer<br />

Die Landesgruppe RLP<br />

möchte ab Oktober in<br />

regelmäßigen Abständen<br />

zu einem Austausch<br />

über die »alltäglichen Herausforderungen«<br />

in Schule und<br />

Unterricht einladen. Ansprechen<br />

möchte der Grundschulverband<br />

insbesondere die Kolleginnen<br />

und Kollegen, die nach erfolgreicher<br />

Prüfung als »JunglehrerInnen«<br />

erstmals allein für eine<br />

Klasse verantwortlich sind. Die<br />

Landesgruppe RLP will einen<br />

organisatorischen Rahmen bieten,<br />

der diese Kolleginnen und<br />

Kollegen zusammenbringt und<br />

so einen Austausch über die<br />

Unterrichtsarbeit und Unterstützung<br />

und Beratung ermöglicht.<br />

Erste Gruppen haben sich in Trier<br />

und in St. Julian (Kreis Kusel)<br />

gefunden. Weitere sollen folgen.<br />

Forschungsprojekt »Musiklehrer<br />

und Musiklehrerinnen in der<br />

<strong>Grundschule</strong> in Rheinland-Pfalz«<br />

Bitte um Mitarbeit<br />

Bislang gibt es kaum empirische<br />

Untersuchungen, die Aufschluss<br />

geben über die Diskrepanz von<br />

Idealvorstellungen zum Musikunterricht<br />

und der tatsächlichen<br />

Schulrealität, von der Berufszufriedenheit<br />

und Berufsunzufriedenheit<br />

unter Musiklehrer/<br />

innen bzw. unter den zahlreichen<br />

fachfremd unterrichtenden Lehrkräften.<br />

Die psychischen und<br />

physischen Belastungen von<br />

Grundschulmusiklehrern und<br />

-lehrerinnen werden häufig<br />

unterschätzt.<br />

Wir möchten Sie einladen, an dieser<br />

landesweiten Studie teilzunehmen.<br />

Vielleicht können Sie in<br />

Ihrem Kollegenkreis um weitere<br />

Mitwirkung werben. Die Ergebnisse<br />

können dazu beitragen, Ihre<br />

persönlichen beruflichen Bedingungen<br />

vor Ort zu verbessern.<br />

Die Durchführung liegt in den<br />

Händen von Dirk Hübinger,<br />

Päd. Assistent am Institut für<br />

Musikwissenschaft und Musik<br />

an der Universität Koblenz.<br />

Betreut wird die Studie von<br />

Prof. Dr. Hans Günther Bastian,<br />

Institut für Musikpädagogik<br />

der Goethe-Universität Frankfurt<br />

/ Main. Den Fragebogen und<br />

weitere Informationen erhalten<br />

Sie unter www.uni-koblenz.<br />

de/~huebinger/studie.htm<br />

(für die Landesgruppe:<br />

Konstanze Rosinus)<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />

61


Grundschulverband <strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />

Saarland<br />

Vorsitzende: Lilo Groll, Holbeinstr. 11, 66128 Saarbrücken<br />

»Bildungs-Familienministerin«?<br />

Seit September 2007 hat das<br />

Saarland eine neue Bildungsministerin<br />

oder sollte man sagen,<br />

eine »Bildungs-Familienministerin«?<br />

Nach einer Regierungsumbildung<br />

wechselte der bisherige<br />

Kultusminister Jürgen Schreier<br />

auf den Sessel des CDU- Fraktionsvorsitzenden<br />

im Saarländischen<br />

Landtag und die ehemalige<br />

Innenministerin Annegret<br />

Kramp-Karrenbauer in das in<br />

»Ministerium für Bildung, Familie,<br />

Frauen und Kultur (MBFFK)«<br />

umbenannte »Ministerium für<br />

Bildung, Kultur und Wissenschaft«.<br />

»Nomen est omen«,<br />

wenn man die Regierungserklärung<br />

des Ministerpräsidenten<br />

Peter Müller liest.<br />

Nur sehr spärlich äußerte sich<br />

dieser zur Zukunft der <strong>Grundschule</strong><br />

und zu weiteren schulpolitischen<br />

Vorhaben. Der<br />

Schwerpunkt lag auf dem familienpolitischen<br />

Ansatz:<br />

■ Vereinbarkeit von Beruf und<br />

Familie durch Schaffung zusätzlicher<br />

Betreuungsmöglichkeiten,<br />

insbesondere durch den Ausbau<br />

von Krippenplätzen<br />

■ bestmögliche Bildungsangebote<br />

zur Förderung unterschiedlicher<br />

Begabungen; allerdings<br />

ohne konkrete Aussagen zur<br />

<strong>Grundschule</strong><br />

Die in der Regierungserklärung<br />

erwähnte Stärkung des Vorschulbereiches<br />

vor allem durch<br />

die Vorlage eines Bildungsprogramms<br />

und den kostenlosen<br />

Besuch des letzten Kindergartenjahres<br />

hatte die Landesgruppe<br />

bereits in der Vergangenheit<br />

begrüßt, fordert allerdings verstärkte<br />

Anstrengung zur Verbesserung<br />

der Sprachkompetenz<br />

sowohl der deutschen als auch<br />

der ausländischen Kinder. Das<br />

Programm »Früh Deutsch lernen«<br />

einschließlich der Einrichtung<br />

von Vorklassen zum Erwerb der<br />

deutschen Sprache ist zu unterstützen.<br />

Erkannt hat die Landesregierung<br />

auch das Sprachdefizit<br />

deutscher Kinder im Kindergarten-Alter.<br />

An allen Schulformen sollen die<br />

im Saarland von Freien Trägern<br />

organisierten, freiwillig besuchten<br />

Betreuungsmöglichkeiten<br />

am Nachmittag ausgebaut werden.<br />

Den <strong>Grundschule</strong>n wurden<br />

bereits in diesem Schuljahr pro<br />

Gruppe fünf statt bisher drei<br />

Lehrerwochenstunden zur »nachunterrichtlichen<br />

Bildung« (Hausaufgabenhilfe)<br />

zur Verfügung<br />

gestellt.<br />

Zur Zukunft der <strong>Grundschule</strong><br />

wurde lediglich ausgeführt, dass<br />

die Qualitätsoffensive fortgeführt<br />

und die Klassenmesszahl<br />

der <strong>Grundschule</strong> auf das Gymnasium<br />

übertragen wird. Erinnert<br />

wurde an die Anhebung der<br />

Jahreswochenstunden, die die<br />

Landesgruppe vehement gefordert<br />

hatte, und daran, dass trotz<br />

Anhebung der Klassenfrequenz<br />

im Rahmen der Grundschulreform<br />

(Schließung von über<br />

40 % aller <strong>Grundschule</strong>n) die<br />

Klassen im Vergleich zu anderen<br />

Ländern relativ klein seien. Übersehen<br />

wird hierbei allerdings,<br />

dass weiterhin erste Schuljahre<br />

mit 29 Kindern existieren, die<br />

einer gezielten Förderung unterschiedlicher<br />

Begabungen entgegenstehen.<br />

Die Landesgruppe vermisst<br />

zudem Aussagen z. B. zur besseren<br />

Förderung der Kinder mit<br />

sonderpädagogischem Förderbedarf,<br />

zum Übergangs-Verfahren<br />

zu weiterführenden Schulen,<br />

zur Einstellung sozialpädagogischer<br />

Fachkräfte als Bindeglied<br />

zwischen Schule und Familie, zur<br />

Überlastung der Lehrerinnen und<br />

Lehrer mit der höchsten Pflichtstundenzahl,<br />

deren vielfältige<br />

außerunterrichtliche Aufgaben<br />

unberücksichtigt bleiben, oder<br />

zu einer verbesserten Lehrerausbildung.<br />

In diesem Zusammenhang<br />

wartet die Landesgruppe<br />

auf ein klares Bekenntnis zur<br />

Gleichwertigkeit aller Lehrämter.<br />

Sachsen<br />

Kontakt: Sibylle Jaszovics, Südwestring 11, 04668 Klinga<br />

Kraftakt<br />

Nach einem Erprobungsjahr<br />

müssen sich die Schulleitungen,<br />

Lehrkräfte und Sachbearbeiterinnen<br />

in allen sächsischen Schulen,<br />

aber auch die Mitarbeiter in<br />

den sächsischen Bildungsagenturen<br />

bis hin ins Ministerium an<br />

den Umgang mit der Sächsischen<br />

Schulverwaltungssoftware<br />

(SaxSVS) gewöhnen. Das erforderte<br />

ausgerechnet am Anfang<br />

des Schuljahres, der bekanntermaßen<br />

besonders arbeitsintensiv<br />

und mit Terminen gespickt<br />

ist, einen immensen Kraftakt.<br />

Schulleitungen und Sachbearbeiterinnen<br />

mussten an mehreren<br />

Schulungen teilnehmen, um<br />

in den Gebrauch der Software<br />

eingeführt zu werden und um<br />

als Multiplikatoren ihr Wissen an<br />

die Lehrkräfte weiterzugeben.<br />

Viele Kollegen und Kolleginnen<br />

brauchten auch die Wochenenden<br />

oder arbeiteten bis spät in<br />

den Abend, um alle erforderlichen<br />

Daten einzugeben und so<br />

den Stichtagstermin einhalten zu<br />

können.<br />

Als Trost blieb die Orientierung<br />

an den Zielen, die man mit der<br />

Einführung dieser Software verfolgt.<br />

SaxSVS soll<br />

■ den Arbeitsaufwand der Schulen<br />

für Verwaltung, Planung,<br />

Berichterstattung und Informationsbereitstellung<br />

senken,<br />

■ die Qualität, Aktualität, Verfügbarkeit<br />

und Auswertbarkeit<br />

der erhobenen Daten und den<br />

Informationsfluss auf allen<br />

Ebenen der Kultusverwaltung<br />

und im Statistischen Landesamtverbessern<br />

und<br />

■ mehr Eigenverantwortung der<br />

Schulen ermöglichen.<br />

Erfreulich wäre, wenn die Software<br />

um ein Zeugnisprogramm<br />

und ein Programm zum Stundenplanbau<br />

erweitert würde. Damit<br />

wäre auch eine kleine finanzielle<br />

Entlastung der Schulen möglich.<br />

Einladung<br />

Für den 1. Dezember 2007 hat<br />

der Landesgruppenvorstand eine<br />

Fachtagung mit dem Arbeitstitel<br />

»Rechenstörungen, Dyskalkulie«<br />

organisiert. Sie findet in der<br />

Pestalozzi-<strong>Grundschule</strong> Nossen<br />

statt. Anschließend möchten<br />

wir möglichst viele Landesgruppenmitglieder<br />

zur Mitgliederversammlung<br />

begrüßen. Wir müssen<br />

dringend über die Zukunft<br />

des Landesgruppenvorsitzes diskutieren.<br />

Nossen liegt sehr zentral<br />

und ist aus allen Richtungen<br />

gut zu erreichen. Mitglieder<br />

erhalten eine persönliche Einladung.<br />

(für die Landesgruppe: Sibylle Jaszovics)<br />

1. Dezember 2007,<br />

9.30 – 14 Uhr<br />

Fachtagung »Rechenstörungen,<br />

Dyskalkulie«<br />

in der Pestalozzi-<strong>Grundschule</strong><br />

in Nossen, anschließend<br />

bis ca. 16 Uhr Mitgliederversammlung<br />

62 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007


Grundschulverband <strong>aktuell</strong><br />

… aus den Landesgruppen<br />

Schleswig-Holstein<br />

Vositzender: Bent Hirschelmann, Flörkendorfer Weg 15, 23623 Ahrensbök; www. grundschulverband-sh.de<br />

Experimente im Sachunterricht<br />

– Ein Workshop der Uni Flensburg<br />

Im Rahmen eines Seminars hatten<br />

Studierende des Instituts für<br />

Heimat- und Sachunterricht im<br />

Sommersemester 2007 Experimente<br />

mit Lebensmitteln zusammengestellt,<br />

erprobt und ausgewertet.<br />

Der von ihnen im Juli<br />

durchgeführte Workshop gab<br />

interessierten LehrerInnnen die<br />

Möglichkeit, diese Versuche kennenzulernen<br />

und auszuprobieren.<br />

Der Vorstand der Landesgruppe<br />

war durch Jutta Schweitzer,<br />

Andrea Klimmek und Dr. Beate<br />

Blaseio vertreten.<br />

Nach einem Grußwort und der<br />

Einführung in experimentelles<br />

Arbeiten mit Kindern vergaßen<br />

ca. 40 Teilnehmer und Teilnehmerinnen<br />

für einen Nachmittag<br />

die anstehenden Zeugnisse und<br />

experimentierten an 30 Stationen<br />

mit leicht zu beschaffenden<br />

Alltagsmaterialien. Dabei<br />

wurden sie von den Studierenden<br />

aufmerksam und kompetent<br />

betreut.<br />

Die bereitgestellten CDs mit<br />

Schülerarbeitsbögen und Lehrerinformationen<br />

gaben jedem die<br />

Möglichkeit, das Gelernte sofort<br />

in der Schule in die Tat umzusetzen.<br />

Es war eine gelungene Veranstaltung,<br />

die laut Aussage von Dr.<br />

Beate Blaseio, die das Seminar<br />

zusammen mit Dipl.Päd. Ulrich<br />

Brinkmann durchgeführt hat,<br />

ohne den tatkräftigen Einsatz<br />

der Studierenden nicht möglich<br />

gewesen wäre.<br />

Die Zusammenarbeit mit der<br />

Universität verschafft uns Möglichkeiten,<br />

die Standpunkte des<br />

Grundschulverbands vor Ort darzustellen.<br />

Studierende der Vermittlungswissenschaften<br />

erfahren<br />

so mindestens »<strong>100</strong> Gründe«,<br />

für die es sich lohnt Mitglied zu<br />

werden.<br />

Der Vorstand der Landesgruppe<br />

sendet an dieser Stelle der Redaktion<br />

zur <strong>100</strong>. Ausgabe herzliche<br />

Glückwünsche und weiterhin ein<br />

gutes Gelingen für die nächsten<br />

<strong>100</strong> Exemplare.<br />

(für die Landesgruppe:<br />

Sabine Jesumann, Andrea Klimmek)<br />

Thüringen<br />

Vositzende: Steffi Jünemann, Hauptstr. 7, 99734 Nordhausen<br />

»Es ist normal,<br />

verschieden zu sein!«<br />

Mit dem Inkrafttreten des novellierten<br />

Thüringer Schulgesetzes<br />

zum 1. August 2003 können im<br />

Freistaat Thüringen Schüler/in -<br />

nen mit sonderpädagogischem<br />

Förderbedarf unabhängig von<br />

ihrer individuellen Ausprägung<br />

nicht nur an Förderschulen, sondern<br />

auch an Grund- und Regelschulen<br />

unterrichtet werden. Für<br />

diesen gemeinsamen Unterricht<br />

von Schülern mit und ohne sonderpädagogischem<br />

Förderbedarf<br />

müssen materielle, personelle<br />

und räumliche Bedingungen<br />

geschaffen werden.<br />

Doch wie sieht die praktische<br />

Umsetzung dieser gesetzlichen<br />

Forderung aus?<br />

Laut Kultusministerium<br />

besuchten letztes Schuljahr 2200<br />

behinderte Kinder von insgesamt<br />

184 500 Schülern gemeinsam mit<br />

Nichtbehinderten eine Schule,<br />

das entspricht nur 1,1 %.<br />

Etwa 9 % aller Schüler haben sonderpädagogischen<br />

Förderbedarf<br />

und besuchen meist eine der<br />

99 Förderschulen. Ada Sasse,<br />

ehemals Professorin für Sonderpädagogik<br />

an der Uni Erfurt, jetzt<br />

Humboldt-Universität zu Berlin,<br />

meint, dass fast die Hälfte der<br />

Förderschüler »normale Schulen«<br />

besuchen könnte. Eine Diskrepanz?<br />

An vielen Schulen sind die räumlichen<br />

Bedingungen für einen<br />

gemeinsamen Unterricht, der<br />

als Einzel- oder Kleingruppenförderung<br />

parallel oder integrativ<br />

erfolgen kann, nicht gegeben.<br />

Den Pädagogen fehlen teilweise<br />

die nötigen sonderpädagogischen<br />

Kompetenzen, um bestmögliche<br />

Förderung und soziale<br />

Integration zu gestalten. Insbesondere<br />

bei Bewertung, Zeugnisschreibung<br />

und LP-Erfüllung<br />

sind Unsicherheiten vorhanden.<br />

Große Reserven sehen wir in der<br />

Stundenzuweisung an die Schulen.<br />

Die Möglichkeit einer Zweitbesetzung<br />

im Unterricht, die wir<br />

als dringend erforderlich sehen,<br />

ist begrenzt.<br />

Dass gemeinsamer Unterricht<br />

gelingen kann, zeigen jedoch<br />

zunehmend auch Thüringer<br />

Schulen: »Lernen unter einem<br />

Dach« heißt das Projekt der Stiftung<br />

Finneck Rastenberg mit<br />

den GS Rastenberg und Ebeleben.<br />

Hier lernen ca. 2 bis 4 geistig<br />

behinderte Kinder mit Grundschülern<br />

an einem gemeinsamen<br />

Unterrichtsinhalt. Die Wochen-<br />

pläne sind differenziert. Patenschaften<br />

sind eingerichtet. Klare<br />

Regeln gelten für alle Kinder.<br />

Freundschaft, Achtung, Vertrauen<br />

wird täglich erlebt.<br />

Damit sich auch die anderen<br />

Schulen der Problematik<br />

»Integration« öffnen und entsprechende<br />

Beratung bei der<br />

Umsetzung des gemeinsamen<br />

Unterrichts erfahren, wurden je<br />

Schulamtsbereich Berater für den<br />

gemeinsamen Unterricht qualifiziert.<br />

Diese haben auch die Aufgabe,<br />

die Kooperation zwischen<br />

Pädagogen, Eltern, Schulträger,<br />

Jugendämtern und Schulamt zu<br />

unterstützen.<br />

Zunehmend ordnen die Förderschulen<br />

Sonderpädagogen für<br />

einige Stunden an Grund- und<br />

Regelschulen für den gemeinsamen<br />

Unterricht ab. Unterschiedlichste<br />

Fortbildungsangebote<br />

beschäftigen sich mit dem<br />

Thema »Integration«.<br />

So fand am 12. Mai 2007 an der<br />

Uni Erfurt eine Konferenz zum<br />

Gemeinsamen Unterricht statt,<br />

an der die Landesgruppe Thüringen<br />

durch aktive Mitwirkung von<br />

Steffi Jünemann und Heike Eckstein<br />

sich beteiligte.<br />

(für die Landesgruppe: Katrin Heckert)<br />

Ausblick<br />

Im Frühjahr 2008 wird<br />

der Arbeitskreis Sonderpädagogische<br />

Förderung<br />

in Thüringen,<br />

in dem alle Verbände<br />

und Parteien involviert sind,<br />

zur Podiumsdiskussion<br />

»Gemeinsames Lernen in<br />

Thüringer Schulen« einladen.<br />

Dazu sind alle Mitglieder und<br />

Interessierte herzlich eingeladen.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />

63


Grundschulverband <strong>aktuell</strong><br />

An den<br />

Grundschulverband · Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V.<br />

Niddastraße 52 · 60329 Frankfurt/Main<br />

oder per Fax 0 69 / 77 60 06<br />

Als Mitglied im Grundschulverband<br />

… unterstützen Sie unsere Ziele:<br />

»Die pädagogisch begründeten<br />

Ansprüche der Kinder dieser Schulstufe<br />

zu vertreten, die Grundschulpädagogik<br />

weiter zu ent wickeln und die Stellung<br />

der <strong>Grundschule</strong> im öffent lichen<br />

Bildungswesen zu verbessern.«<br />

(aus der Satzung)<br />

… erhalten Sie jährlich zwei neue Bände<br />

der Reihe »Beiträge zur Reform der<br />

<strong>Grundschule</strong>«<br />

… erhalten Sie viermal jährlich die<br />

32-seitige Mitglieder zeitschrift<br />

»<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>« mit Beiträgen<br />

zur Bildungs politik, aus der Grundschulforschung<br />

und zur pädagogischen Praxis<br />

Beitrittserklärung<br />

Ich beantrage die Mitgliedschaft im Grundschulverband · Arbeitskreis<br />

<strong>Grundschule</strong> e. V.<br />

Als Mitglied erhalte ich jährlich zwei neue Mitgliedsbände aus der Reihe »Beiträge<br />

zur Reform der <strong>Grundschule</strong>« sowie die 32-seitige Vierteljahreszeitschrift »<strong>Grundschule</strong><br />

<strong>aktuell</strong>« jeweils nach Fertigstellung kostenfrei zugesandt.<br />

Den angekreuzten Betrag<br />

Mitgliedsbeitrag 50,– € (ab 2008: 55,– €)<br />

Ermäßigter Beitrag (bitte belegen!) 30,– € (ab 2008: 33,– €)<br />

(für Studierende, Arbeitslose, Lehramts anwärter/innen<br />

sowie für Teilzeitbeschäftigte in den neuen Ländern)<br />

Förderbeitrag, mindestens 30,– € (ab 2008: 33,– €)<br />

(keine Mitgliedsbände, nur Zeitschrift<br />

– für Pensionäre, die weiterhin <strong>aktuell</strong> informiert<br />

werden wollen und andere Förderer, die die Arbeit<br />

des Grundschulverbandes unterstützen möchten)<br />

zahle ich nach Erhalt der Jahresrechnung per Bankeinzug<br />

Konto Nr.<br />

bei<br />

Bankleitzahl<br />

Name<br />

Straße und Hausnummer<br />

PLZ und Ort<br />

E-Mail<br />

Tel.<br />

Datum und Unterschrift<br />

Für Ihren Beitritt zum Grundschulverband · Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V. halten wir<br />

folgendes Werbeangebot für Sie bereit:<br />

(Bitte nur eine der beiden Möglichkeiten ankreuzen!)<br />

Name<br />

Als neues Mitglied im Grundschulverband · Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V. wünsche<br />

ich mir den Band<br />

als Aufnahmegeschenk.<br />

Oben genanntes Mitglied habe ich für den Grundschulverband · Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong><br />

e. V. geworben. Als Werbeprämie senden Sie mir bitte den Band<br />

an folgende Anschrift:<br />

Straße und Hausnummer<br />

64 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />

PLZ und Ort


1<br />

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<br />

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Pädagogische<br />

Leistungskultur<br />

Band 121<br />

ISBN 3-930024-94-2<br />

Best.-Nr. 1079<br />

17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />

Band 118<br />

ISBN 3-930024-87-X<br />

Best.-Nr. 1076<br />

17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />

Band 119<br />

ISBN 3-930024-88-8<br />

Best.-Nr. 1077<br />

17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />

… das Projekt geht weiter:<br />

Band 124<br />

ISBN 3-930024-96-9<br />

Best.-Nr. 1082<br />

17,– € / f. Mitgl. 13,– €


Heft Nr. <strong>100</strong> • IV. Quartal • November 2007 • Best. Nr. 6035 • D9607F<br />

0<br />

Grundschulverband – Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V. • Niddastraße 52 • 60329 Frankfurt/Main • Tel. 0 69 / 77 60 06 • www.grundschulverband.de<br />

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