Grundschule aktuell 100
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Heft Nr. <strong>100</strong> • IV. Quartal • November 2007 • Best. Nr. 6035 • D9607F<br />
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Grundschulverband – Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V. • Niddastraße 52 • 60329 Frankfurt/Main • Tel. 0 69 / 77 60 06 • www.grundschulverband.de<br />
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Wir feiern Jubiläum<br />
<strong>100</strong>
Editorial<br />
Wir feiern Jubiläum: Unsere Zeitschrift ist bei<br />
Heft <strong>100</strong> angelangt.<br />
Deshalb ist dieses Heft ein besonderes. Es hat den<br />
doppelten Umfang und ist nicht einem einzigen<br />
Thema gewidmet, sondern so vielen wie das Alphabet<br />
Buchstaben hat. Von A bis Z enthält es Kostproben<br />
von Beiträgen aus etlichen der bisherigen<br />
99 Hefte.<br />
Ist eine Zeitschrift auf Papier angesichts der wachsenden<br />
Flut elektronisch vermittelter Informationen<br />
nicht ein Auslaufmodell? Wir meinen »Nein«! Der<br />
Feuilletonist Gunnar Decker beschrieb kürzlich<br />
die »Poesie der Zeitschrift«, der auch wir anhängen,<br />
wenn wir dieses Blatt gestalten: »Es ist der Charme<br />
des Provisorischen, des Vorläufigen, des Gedankens<br />
mitten in seinem ungewissen Flug, der an Zeitschriften<br />
so anziehend zu wirken vermag. Nicht für<br />
den Tag und nicht für die Ewigkeit gemacht zu sein,<br />
sondern der Zeit eine Schrift zu geben, das schafft ihr<br />
eine Kontur.«<br />
Die in diesem Heft versammelten Leseproben zeigen<br />
die Vielfalt der Themen, die der Grundschulverband<br />
Horst Bartnitzky<br />
Herausgeber<br />
»<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>«<br />
Ulrich Hecker<br />
Redakteur<br />
»<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>«<br />
bearbeitet, sie zeigen zudem, dass viele der Texte nach wie vor <strong>aktuell</strong> und<br />
mit Gewinn lesbar sind – und sie zeigen das stets frische Engagement des<br />
Grundschulverbandes und seiner Mitglieder.<br />
Wir würden uns freuen, wenn Sie dieses Jubiläumsheft mit Vergnügen<br />
lesen – vielleicht auch mit der Bestätigung, dass wir gemeinsam für eine<br />
gute Sache eintreten, sowie mit der Ermutigung, sich mit uns zusammen<br />
weiter zu engagieren: für eine Schule mit Kindern und für Kinder.<br />
Der Grundschulverband und seine Positionen und Forderungen brauchen<br />
mehr Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Bitte überlegen Sie, wen Sie ansprechen<br />
können, auch mitzumachen. Es lohnt sich.<br />
Berichtigung zu »Tagebuch« in Heft 99<br />
»Durchgefallen: Sprachtest in NRW«, hatte Bernhard Eibeck seinen Kommentar betitelt.<br />
Durch einen technischen Fehler war die letzte Zeile des Textes nicht zu lesen. Hier noch<br />
einmal der ganze letzte Satz:<br />
»Man kann nur hoffen, dass die Delfin-4-Autorinnen und Autoren nach den ersten Erfahrungen<br />
den Test einer gründlichen Revision unterziehen und sich auf die guten Traditionen einer ganzheitlichen,<br />
dem Kind verpflichteten Pädagogik besinnen.«<br />
Den Autor und unsere Leserinnen und Leser bitten wir um Entschuldigung!<br />
Impressum<br />
, die Zeitschrift des Grundschulverbandes erscheint<br />
viertel jährlich und wird allen Mit glie dern zugestellt.<br />
Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Das einzelne Heft kostet 5 €;<br />
für Mitglieder und bei Sam mel be stel lun gen ab 10 Hefte 3 € (incl. Versand).<br />
Verlag: Grundschulverband – Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V.<br />
Niddastraße 52, 60329 Frankfurt / Main, Tel. 0 69 / 77 60 06, Fax: 0 69 / 7 07 47 80;<br />
Internet: www.grundschulverband.de, E-Mail: info@grundschulverband.de<br />
Herausgeber: Horst Bartnitzky (für den Vorstand des Grundschulverbandes)<br />
Redaktion: Ulrich Hecker, Hülsdonker Str. 64, 47441 Moers, Tel. 0 28 41 / 2 17 14,<br />
E-Mail: ulrichhecker@aol.com<br />
Fotos: Ulrich Hecker (Titel, S. 54), Sylvia Reinisch (S. 55),<br />
alle übrigen wurden schon in früheren Ausgaben dieser Zeitschrift veröffentlicht<br />
Herstellung: novuprint Agentur für Mediendesign, Werbung, Publikationen GmbH,<br />
Bödekerstr. 73, 30161 Hannover, Tel. 05 11 / 9 61 69 – 11, Fax: 05 11 / 9 61 69 – 99<br />
Anzeigenverwaltung: Claudia Klinger, Verlagsgruppe Beltz, Tel. 0 62 01 / 6 00 73 86,<br />
Fax 0 62 01 / 6 00 73 93<br />
Druck: Druck Partner Rübelmann, 69502 Hemsbach<br />
ISSN 1860-8604<br />
Beilagen: »Eine Welt in der Schule« als ständige Beilage, Dossier »Die andere Schule<br />
– jetzt!« der Zeitschrift »Publik Forum«, Beilage des Oldenbourg Schulbuchverlages<br />
und Beilage für die Zeitschrift »Simplify your Life«, Bonn<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />
1
Thema: Die ersten Hundert<br />
Die ersten Hundert –<br />
von den blauen Seiten zur Zeitschrift<br />
VON Horst Bartnitzky<br />
Wer in einem Verband Mitglied ist und eine Mitgliederzeitschrift<br />
erhält, bekommt sie kostenfrei ins Haus geliefert. Sie ist im Mitgliedsbeitrag<br />
inbegriffen. Selbstverständlich – oder?<br />
Eine Mitgliederzeitschrift<br />
im Abonnement<br />
Beim Grundschulverband, damals Arbeitskreis<br />
<strong>Grundschule</strong>, war das in<br />
den ersten Jahren anders: Die Mitgliederzeitschrift<br />
musste man zusätzlich<br />
abonnieren. Und das kam so: Prof. Dr.<br />
Erwin Schwartz, erster Inhaber eines<br />
Lehrstuhl für Grundschulpädagogik,<br />
hatte in den sechziger Jahren quer<br />
durch die Bundesrepublik Menschen<br />
aus Wissenschaft, Schulpraxis, Schulverwaltung<br />
und Politik angesprochen,<br />
die sich für die Reform der <strong>Grundschule</strong><br />
engagieren wollten. Er nannte<br />
das den »Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong>«.<br />
Ende der sechziger Jahre sollte dieser<br />
lockere Zusammenschluss eine Form<br />
und öffentliche Foren erhalten. Dies<br />
geschah dann 1969: Der »Arbeitskreis<br />
<strong>Grundschule</strong>« wurde vom Amtsgericht<br />
Frankfurt a. M. als Verein anerkannt<br />
und im Januar erschien als erste Grundschulzeitschrift:<br />
»Die <strong>Grundschule</strong>« im<br />
Westermann-Verlag – sie war Zeitschrift<br />
und Mitgliedsorgan des neu<br />
gegründeten »Arbeitskreises <strong>Grundschule</strong>«.<br />
Neben schulpolitischen Beiträgen<br />
und Mitteilungen des Arbeitskreises<br />
enthielt sie praxisorientierte Beiträge,<br />
so im 1. Heft von Januar 1969 zur<br />
»Schreiberziehung«. Erwin Schwartz<br />
als Vorsitzender des Vereins und zugleich<br />
als Herausgeber der Zeitschrift<br />
formulierte die Zielsetzung im Heft 1:<br />
»Was man den Kindern in den ersten<br />
vier Schuljahren versagt, ist nicht<br />
gutzumachen – diese Einsicht immer<br />
wieder in das Bewusstsein der Verantwortlichen<br />
und der Öffentlichkeit zu<br />
rufen und am konkreten Beispiel nachzuweisen,<br />
ist die Funktion dieser Zeitschrift,<br />
die sich als ein Sprecher für die<br />
Grundstufe und deren Lehrer verstanden<br />
wissen möchte.«<br />
Als eines der 2132 Mitglieder erhielt<br />
man diese Mitgliederzeitschrift aber<br />
nur, wenn man sie auch gesondert<br />
abonniert hatte, für damals 5 DM. Es<br />
war ein Geschäft auf Gegenseitigkeit:<br />
Der Westermann-Verlag rechnete damit,<br />
dass die Mitglieder des Vereins<br />
auch zahlende Abonnenten wurden;<br />
für den Verein war die Zeitschrift ein<br />
professionell gestalteter Werbeträger<br />
und kostete ihn nichts – sie wurde ja<br />
vom Westermann-Verlag beworben<br />
und finanziert.<br />
Die Rechnung ging für den Verlag<br />
nicht auf. Wie später ein Abgleich<br />
zeigte, wurde nur ein geringerer Teil der<br />
Mitglieder auch Abonnent. Für den Verein<br />
hieß das aber auch: Ein großer Teil<br />
der Mitglieder wurde von den Mitteilungen<br />
in der Zeitschrift nicht erreicht.<br />
Wie also konnte man die Mitglieder<br />
mit Neuigkeiten aus dem Arbeitskreis<br />
versorgen?<br />
1975 – 1980: Die blaue Periode<br />
Der Vorstand suchte nach einer Alternative.<br />
Vorzugsweise einer, die den<br />
Verband kein Geld kostete. Inzwischen<br />
arbeitete Prof. Dr. Dieter Haarmann<br />
im Vorstand des Arbeitskreises mit, ein<br />
glänzender Formulierer mit Händchen<br />
für die leserfreundliche Aufbereitung<br />
von Publikationen. Er übernahm die<br />
Aufgabe. Die Idee war: Den Mitgliederbänden<br />
sollten die <strong>aktuell</strong>en Informationen<br />
beigelegt werden – eingebunden<br />
und auf blauen Seiten. Erstmals im<br />
April 1975 erschienen diese blauen Seiten<br />
im ansonsten weißen Umfeld des<br />
Buches. »Liebe und treue Mitglieder des<br />
Arbeitskreises«, so begann der Text auf<br />
Seite 1 und es folgten 23 Seiten mit <strong>aktuell</strong>er<br />
Berichterstattung, Aufrufen zur<br />
Mitarbeit, mit dem Kassenbericht und<br />
anderem mehr. Später wurde die persönliche<br />
Ansprache abgelöst durch die<br />
sachlichere Überschrift: Mitteilungen<br />
des Arbeitskreises <strong>Grundschule</strong>.<br />
Inzwischen orderten auch Nicht-<br />
Mitglieder die Mitgliederbände und<br />
dies auch noch Jahre nach dem ersten<br />
Erscheinen. Da wurden die eingehefteten<br />
blauen Info-Blätter rasch un<strong>aktuell</strong><br />
und suggerierten beim Durchblättern,<br />
dass der ganze Band nicht mehr<br />
taufrisch war. Diese Erkenntnis läutete<br />
das Ende der blauen Periode ein.<br />
2 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007
Thema: Die ersten Hundert<br />
1980 – 1986:<br />
Die weißen Hefte<br />
Nr. 1 bis Nr. 14<br />
Ein eigenes Heft sollte das Problem lösen:<br />
DIN-A5-Format, weißes Papier. Es<br />
erhielt den Titel: Arbeitskreis <strong>aktuell</strong>.<br />
»Für eine bessere Information unserer<br />
Mitglieder«, so überschrieb Dieter<br />
Haarmann das erste Heft vom April<br />
1980. »Schneller, umfassender und regelmäßiger<br />
sollen Sie, liebe Mitglieder,<br />
in Zukunft informiert werden. Deshalb<br />
machen sich hiermit die ›Blauen Seiten‹<br />
selbstständig und stellen sich Ihnen<br />
erstmals als ›Arbeitskreis <strong>aktuell</strong>‹<br />
vor.« Das 16-Seiten-Heft ent hielt Veranstaltungshinweise,<br />
Kurzberichte von<br />
Tagungen, Informationen über Veröffentlichungen<br />
und Werbung.<br />
In der Folge variierte die Seitenzahl.<br />
Alle Mitglieder erhielten die<br />
Hefte etwa zweimal im Jahr per Post<br />
zugestellt, zusammen mit Werbematerial<br />
der Verlage Westermann und<br />
Beltz. Oder anders herum: Die Hefte<br />
wurden einer Werbeaussendung von<br />
Verlagen beigelegt. Damit entstanden<br />
dem Verband zwar keine Kosten,<br />
die Hefte drohten aber, im Werbematerial<br />
unterzugehen. Zudem stellte<br />
sich die Frage, ob durch den Verbund<br />
mit Werbung nicht die Neutralität des<br />
Verbandes in Frage gestellt war.<br />
Mit den weißen Heften begann die<br />
Zählung der Mitgliederzeitschrift.<br />
1986 – 1995:<br />
Das gelbe Blättchen<br />
Nr. 15 bis Nr. 52<br />
Die Mitglieder-Mitteilungen sollten<br />
nun mehr in Richtung eigenständige<br />
Zeitschrift entwickelt werden. Weiterhin<br />
aber sollte sie für den Verband kostenneutral<br />
bleiben. Der Westermann-<br />
Verlag war bereit, Arbeitskreis <strong>aktuell</strong><br />
zu finanzieren, der Zeitschrift »<strong>Grundschule</strong>«<br />
kostenfrei beizulegen und für<br />
die Mitglieder, die nicht Abonnent der<br />
Zeitschrift waren, die Versandkosten<br />
zu übernehmen. Inzwischen gab der<br />
Friedrich-Verlag ebenfalls eine Grundschulzeitschrift<br />
heraus. Ab Nr. 27 teilte<br />
er sich die Kosten mit dem Westermann-Verlag.<br />
Als Gegenleistung des<br />
Verbandes konnten beide Verlage in<br />
Arbeitskreis <strong>aktuell</strong> werben.<br />
Die Bemühungen, weitere Grundschulzeitschriften<br />
in die Regelung einzubeziehen,<br />
scheiterten. Lediglich in<br />
der Zeitschrift Unterstufe heute, der<br />
Grundschulzeitschrift der neuen Bundesländer,<br />
wurde nach der Wende zwei<br />
Jahre lang Arbeitskreis <strong>aktuell</strong> kostenfrei<br />
beigelegt.<br />
Im September 1986 erschien mit Heft<br />
15 das erste der »gelben Blättchen«, wie<br />
sie Dieter Haarmann intern nannte,<br />
acht Seiten in DIN A4. »In neuer Gestalt,<br />
aber auch mit neuem Gehalt stellt sich<br />
hiermit ›Arbeitskreis <strong>aktuell</strong>‹ vor«, so<br />
eröffnete Dieter Haarmann in einer<br />
Kolumne das Heft. Und er verwies auf<br />
das, was neu war an diesem Heft gegenüber<br />
den weißen Heften zuvor mit<br />
ihrem Schwerpunkt an <strong>aktuell</strong>en Infos,<br />
Einladungen, Terminen: Arbeitskreis<br />
<strong>aktuell</strong> »wird sich … schwerpunktmäßig<br />
drängenden bildungspolitischen<br />
Fragen zuwenden, beginnend in dieser<br />
Ausgabe mit der programmatischen<br />
Stellungnahme … ›Mehr Zeit für Kinder<br />
– Arbeit für mehr Lehrerinnen und<br />
Lehrer‹ «. Es war die Zeit, in der Jahre<br />
hindurch ausgebildete Grundschullehrkräfte<br />
nicht in den Schuldienst übernommen<br />
wurden, anstatt sie als Chance<br />
zu nutzen, die Bildungssituation der<br />
Kinder zu verbessern: mit kleineren<br />
Klassen, zusätzlichen Förderungen und<br />
dem Ausbau zumindest zum ganzen<br />
Halbtag von 8 bis 1.<br />
Die Orientierung an bedeutsamen<br />
Themen der Bildungspolitik und der<br />
Schulpraxis setzte sich von nun an<br />
kontinuierlich fort. Hier einige typische<br />
Themen aus diesen Jahren:<br />
■ Leistung der <strong>Grundschule</strong> – Leistung<br />
der Kinder<br />
■ Mehr Frieden in die Schule<br />
■ Kinder – Bücher – Bibliothek<br />
■ Fremdsprachen – fremde Sprachen<br />
– Begegnung mit Sprachen<br />
■ Über 16 000 Unterschriften: Proteste<br />
gegen Sparkonzepte<br />
■ Der lange Reformweg von der Stundenschule<br />
zur Kinderschule<br />
■ Lehrersein in der veränderten Schule<br />
– weder Stundenhalterei noch<br />
Halbtagsjob<br />
Im September 1991 beschloss die Mitgliederversammlung<br />
die Änderung der Satzung. Zwei der Änderungen<br />
waren die Einrichtung von Landesgruppen sowie die<br />
Einführung des neuen Verbandsnamens im Untertitel:<br />
der Grundschulverband. Ersteres führte in den Heften<br />
zur Ausweitung der Informationen aus den Ländern,<br />
zweites zum neuen Titel: Arbeitskreis <strong>aktuell</strong> – Mitteilungen<br />
des Grundschulverbandes.<br />
In der Schriftleitung des Heftes gab es in dieser Zeit einen<br />
Wechsel: Dieter Haarmann beendete mit Heft 23<br />
im September 1988 seine redaktionelle Arbeit. Als Nachfolger<br />
für »das Blättchen« schlug er Horst Bartnitzky<br />
vor. Der wurde vom Vorstand mit der Redaktion beauftragt,<br />
beginnend mit Heft 24 vom September 1988. Er<br />
blieb dann der verantwortliche Redakteur bis zum Heft<br />
87 und wurde danach Herausgeber der inzwischen weiter<br />
entwickelten Zeitschrift.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />
3
Thema: Die ersten Hundert<br />
1995 – 1999:<br />
Wieder in weiß,<br />
mit 16, später 24 Seiten<br />
Nr. 53 bis Nr. 65<br />
Inzwischen griff, was mit der Satzungsänderung<br />
bezweckt war: In den Ländern<br />
arbeiteten Landesgruppen-Vorstände<br />
mit eigenen landesbezogenen Maßnahmen.<br />
Sie brauchten zur Darstellung<br />
ihrer Aktivitäten ein <strong>aktuell</strong>es Forum.<br />
Außerdem begann sich der politischere<br />
Namensteil Grundschulverband durchzusetzen.<br />
Um diese Entwicklungen zu<br />
stützen, wurden Änderungen an der<br />
Zeitschrift durchgeführt:<br />
■ Der Umfang wurde verdoppelt, so<br />
dass Platz für die regelmäßigen Berichte<br />
aus 16 Ländern geschaffen<br />
wurde, drei redaktionelle Mitarbeiter<br />
koordinierten die Beiträge aus<br />
den Landesgruppen.<br />
■ Der Titel wurde geändert in: Grundschulverband<br />
<strong>aktuell</strong>.<br />
Die Bestandteile der Zeitschrift waren<br />
von nun an:<br />
■ Editorial,<br />
■ Tagebuch mit einem <strong>aktuell</strong>en Kommentar,<br />
■ ein thematischer Beitrag, wobei bildungspolitische<br />
Beiträge überwogen,<br />
sowie<br />
■ Berichte aus allen Landesgruppen.<br />
Aus dem gelben 8-Seiter wurde zunächst<br />
ein weißer 16-Seiter mit<br />
festerem Papier.<br />
Um den gestiegenen Aktivitäten Rechnung<br />
zu tragen und um neben Bildungspolitik<br />
auch Forschungsaspekte<br />
und mehr die Schulpraxis zu berücksichtigen,<br />
wurden ab Nr. 63 (September<br />
1998) die Hefte um weitere acht Seiten<br />
auf nunmehr 24 Seiten erweitert. Zwischen<br />
Themenbeitrag und Berichten<br />
aus den Landesgruppen wechselten<br />
ein Forschungsbeitrag und eine Dokumentation<br />
aus der laufenden Arbeit<br />
des Verbandes miteinander ab. Um die<br />
Zeitschrift zudem freundlicher zu gestalten,<br />
wurden die Verbandsfarbe Blau<br />
für Überschriften und Markierungen<br />
hinzugefügt und das Layout professionell<br />
modernisiert.<br />
2003 bis heute:<br />
Politik, Forschung und Praxis<br />
im Zusammenhang<br />
Nr. 84 – Nr. 99<br />
In den Heften war aus Platzgründen<br />
der Praxisbereich nur sporadisch vertreten.<br />
Es sollte von nun an deutlicher<br />
werden, dass der Verband drei Felder<br />
miteinander in Bezug setzt: Politik,<br />
Wissenschaft und Praxis. Im Unterschied<br />
zu den sonstigen Grundschulzeitschriften<br />
sollten diese drei Felder<br />
aber nicht in gesonderten Rubriken<br />
ohne Verbindung miteinander bearbeitet<br />
werden, sondern thematisch<br />
aufeinander bezogen werden. Nur so<br />
können die Zusammenhänge von bildungspolitischen<br />
Gegebenheiten und<br />
deren Diskussion, kritisch-konstruktiver<br />
Grundschulforschung sowie innovativer<br />
Praxis verdeutlicht werden.<br />
Das aber war nur zu realisieren, wenn<br />
das Heft umfangreicher wurde. Es wurde<br />
deshalb um weitere acht Seiten auf<br />
nunmehr 32 Seiten aufgestockt.<br />
1999 – 2003:<br />
Farbe und Exklusivität<br />
Nr. 66 bis Nr. 83<br />
Die bisherigen Hefte hatten keinen<br />
Umschlag. Um das Heft aufzuwerten<br />
und den Charakter als eigenständige<br />
Zeitschrift zu erhöhen, wurden drei<br />
Änderungen durchgeführt:<br />
■ Die Hefte erhielten einen vierfarbigen<br />
Umschlag.<br />
■ Sie wurden ab jetzt keiner Zeitschrift<br />
mehr beigelegt, sondern<br />
über den Postzeitungsdienst exklusiv<br />
an die Mitglieder versendet. Die<br />
gesamten Kosten trug von nun an<br />
der Grundschulverband.<br />
■ Die Hefte waren zudem ab sofort<br />
gegen Kaufpreis auch von Nicht-<br />
Mitgliedern zu erwerben.<br />
4 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007
Thema: Die ersten Hundert<br />
Das erste Heft Nr. 84 in dieser erweiterten<br />
Konzeption hatte den Titel: Lesekompetenz<br />
fördern – feststellen – würdigen<br />
und es realisierte die erweiterte<br />
Konzeption modellhaft:<br />
■ Editorial,<br />
■ Tagebuch (zu einem <strong>aktuell</strong>en<br />
Grundschulthema),<br />
■ Themenbeitrag: Lesekompetenz –<br />
was ist das und wie fördert man sie?<br />
(das Thema in bildungspolitischer,<br />
wissenschaftlicher und schulpraktischer<br />
Hinsicht),<br />
■ Praxisbeiträge: Lesekompetenz als<br />
Aufgabe der ganzen Schule (das<br />
Thema als Schulentwicklungsprojekt).<br />
Der Stolperwörter-Lesetest<br />
(Diagnose der Lesefähigkeit mit<br />
einem Lesetest, einschl. der Kopiervorlagen),<br />
■ Forschungsbeitrag: Leseleistungen<br />
und der »Karawanen-Effekt« (Befunde<br />
einer umfangreichen Leseuntersuchung<br />
der Uni Siegen an<br />
<strong>Grundschule</strong>n),<br />
■ Mitteilungen: Aktuelles aus den<br />
Landesgruppen.<br />
Um den Praxisteil für jedes Heft sicherzustellen,<br />
wurden die zusätzlichen<br />
acht Seiten hierfür festgelegt.<br />
Im Mai 2004 gründete die Delegiertenversammlung<br />
das Fachreferat Öffentlichkeitsarbeit<br />
/ Mitgliederzeitschrift.<br />
Als Fachreferent wurde Ulrich Hecker<br />
gewählt, der von Heft 87 an die Redaktion<br />
übernahm. Horst Bartnitzky<br />
wurde Herausgeber im Auftrag des<br />
Vorstandes. Das ist die personelle Situation<br />
bis heute.<br />
Über die Jahre hat sich das ursprüngliche<br />
Mitteilungsblatt über die Mitteilungen<br />
an die Mitglieder hinaus und<br />
in allmählicher Lösung aus Verlagsbindungen<br />
zu einer eigenständigen<br />
Zeitschrift des Verbandes weiterentwickelt.<br />
Neben den Informationen aus<br />
dem Grundschulverband und der Arbeit<br />
der Landesgruppen steht ein Thema<br />
im Mittelpunkt, das die Zeitschrift<br />
aus verschiedenen Blickwinkeln und<br />
Aktionsfeldern entwickelt:<br />
■ Sie beteiligt sich am <strong>aktuell</strong>en kritischen<br />
bildungspolitischen Diskurs.<br />
■ Sie publiziert leserfreundlich <strong>aktuell</strong>e<br />
praxisbedeutsame Ergebnisse<br />
aus der Grundschulforschung.<br />
■ Sie stellt im jeweiligen thematischen<br />
Rahmen <strong>aktuell</strong>e innovative<br />
Schulpraxis vor und vermittelt<br />
Anregungen zur Schul- und Unterrichtsgestaltung.<br />
■ Sie dokumentiert zum Thema Aktivitäten,<br />
Standpunkte, Projekte des<br />
Grundschulverbandes.<br />
Das <strong>aktuell</strong>e Thema der landesweiten<br />
Leistungstests mag dazu als Beispiel<br />
dienen: In mehreren Heften (Nr. 89, 90,<br />
92, 99) wurden die Tests kritisch beleuchtet<br />
– im Detail und im Grundsatz,<br />
Lehrkräfte wie Wissenschaftler kamen<br />
dabei zu Wort; als Alternative entwickelte<br />
der Grundschulverband sein Projekt<br />
»Pädagogische Leistungskultur«,<br />
stellte praxistaugliche Materialien vor<br />
und ließ Lehrerinnen und Lehrer aus<br />
ihrer Praxis berichten.<br />
Damit erfüllt die Zeitschrift für ihren<br />
Teil den Satzungsauftrag des Grundschulverbandes,<br />
nämlich: »die pädagogisch<br />
begründeten Ansprüche der Kinder<br />
dieser Schulstufe zu vertreten, die<br />
Grundschulpädagogik weiter zu entwickeln<br />
und die Stellung der <strong>Grundschule</strong><br />
im öffentlichen Bildungswesen zu verbessern«<br />
(aus § 2, Zweck des Vereins).<br />
Die Veränderung des Charakters<br />
der Zeitschrift vom Mitteilungsblatt<br />
des Arbeitskreises zur Zeitschrift des<br />
Grundschulverbandes drückt sich auch<br />
im Titel aus. Beginnend mit Heft 89,<br />
also ab 2005 lautet er:<br />
GRUNDSCHULE AKTUELL –<br />
Zeitschrift des Grundschulverbandes.<br />
Nun sind wir bei Heft <strong>100</strong> angelangt.<br />
Das Jubiläum soll auch gefeiert<br />
werden. Dieses Heft ist deshalb ein<br />
besonderes: Es hat fast den doppelten<br />
Umfang und ist nicht einem einzigen<br />
Thema gewidmet, sondern so vielen<br />
wie das Alphabet Buchstaben hat.<br />
Von A bis Z enthält es Kostproben von<br />
Beiträgen aus vergangenen Heften<br />
– Kostproben, die auch die Vielfalt der<br />
Themen zeigen, die der Grundschulverband<br />
bearbeitet.<br />
Ab Heft 101 kehren wir dann zum<br />
Alltag der Heftgestaltung zurück.<br />
Aber auch dies lehrt der Rückblick: Nichts muss so bleiben,<br />
wie es ist. Deshalb unsere Fragen an Sie, die Leserinnen<br />
und Leser:<br />
Was fehlt?<br />
Was sollte anders werden an dieser Zeitschrift?<br />
Schreiben oder mailen Sie uns.<br />
Denn nichts ist so gut, dass man es nicht auch noch<br />
besser machen könnte.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />
5
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
A BCDEFGHIJKLMN<br />
… wie Anfangsunterricht<br />
»Mus ma fela machen döfen.« – Im Jahr 2006 gab es in den Medien und dann<br />
auch in vielen Lehrerzimmern Aufregung um das eigene Textschreiben im<br />
Anfangsunterricht. In einem »Lehrerhasserbuch« wurde polemisch ausgebreitet,<br />
Kinder könnten am Ende der Grundschulzeit nicht rechtschreiben. Schuld<br />
sei der »Fehlerkult« im Anfangsunterricht, der sich dann durch die ganze<br />
Grundschulzeit ziehe. Der SPIEGEL setzte nach mit »Schon wida ferpend«.<br />
Andere Medien folgten. In unserer Zeitschrift versuchten wir, das strittige Feld<br />
zu sondieren. Wir stellten an vier Fachleute, die sich in ihrer Konzeption des<br />
Schriftspracherwerbs unterschieden, vier Fragen. Zu zwei der Fragen zitieren<br />
wir Auszüge aus den Antworten und dann verschiedene Reaktionen unserer<br />
Leser/innen darauf.<br />
Welche Bedeutung hat im Anfangsunterricht<br />
das Schreiben? Welche das Lesen?<br />
aus Heft 96 (2006), S. 6 f.<br />
Ute Andresen: Lernt man einen kleinen<br />
Text, einen Vierzeiler etwa, den<br />
man vor sich hat, mit Hilfe eines Lesenden<br />
auswendig, weiß man von ihm,<br />
was da auf dem Blatt steht. Man weiß,<br />
dass man das Ganze noch nicht selbst<br />
gelesen hat. Man kann aber den einen<br />
Buchstaben, den man neu gelernt hat,<br />
in diesem Ganzen aufsuchen. Macht er<br />
bei mehreren Wörtern mit, zeigt er sich<br />
als Baustein. Je mehr Bausteine man<br />
kennt, desto besser.<br />
Hat man auch gelernt, einen Neuen<br />
genau richtig zu schreiben, hat ihn<br />
sich erarbeitet und ist er der Hand so<br />
vertraut, dass man keine Merkhilfe,<br />
keine Buchstaben- oder Anlauttabelle<br />
braucht, um zu wissen, wie man ihn<br />
richtig schreibt, weiß man, was man<br />
kann und was noch zu lernen ist. Je<br />
mehr Buchstaben man schreiben kann,<br />
desto besser! Und bald werden daraus<br />
eigene Wörter und Texte, die andere lesen<br />
können.<br />
Horst Bartnitzky: Dass unsere<br />
Schriftsprache nicht 1:1 die Laute wiedergibt,<br />
dass es auch verschiedene<br />
Buchstaben für denselben Laut gibt,<br />
das erfahren die Kinder schon, wenn<br />
sie an den ersten Schultagen mit ihren<br />
eigenen Namen arbeiten. Viele<br />
Namen haben Buchstaben und Buchstabengruppen,<br />
die sich kaum in der<br />
Anlauttabelle finden. Da aber der eigene<br />
Name für jedes Kind existenziell<br />
wichtig ist, muss er auch ein wichtiges<br />
Schreib- und Lesewort sein.<br />
Die Vernachlässigung des Lesens<br />
ist nur scheinbar eine Erleichterung.<br />
In Wirklichkeit nimmt sie den Kindern<br />
Gelegenheiten, bei ihrem Weg in die<br />
Schrift Entdeckungen zu machen, über<br />
die sie miteinander sprechen und die<br />
sie beim eigenen Schreiben nutzen<br />
können.<br />
Erika Brinkmann und Hans Brügelmann:<br />
Wir haben zu respektieren, was<br />
jedes einzelne Kind ganz persönlich interessiert,<br />
was es wissen will, was es zu<br />
sagen hat. Deshalb ist freies Schreiben<br />
von Anfang an unverzichtbar – auch<br />
unabhängig von seinem fachlichen<br />
Lernertrag …<br />
Daneben ist das freie Lesen die<br />
zweite Säule. Über die Schrift als Medium<br />
erschließen sich die Kinder neue<br />
Welten und durch die Schrift als Modell<br />
gewinnen sie ein Raster für die Lautanalyse<br />
und Impulse für ihre orthographische<br />
Entwicklung.<br />
Wilfried Metze: Viele Kinder sind mit<br />
dem eigenaktiven und selbstgesteuerten<br />
Erwerb dieser Strukturen völlig<br />
überfordert. Sie benötigen eine Modellierung<br />
der Analyse-Synthese-Vorgänge<br />
beim Lesen und Schreiben durch<br />
die Lehrerin und kontrollierte entsprechende<br />
Übungen. Lesen und Schreiben<br />
stellen vom ersten Wort an eine Einheit<br />
dar.<br />
Welche Rolle spielt die<br />
normierte Rechtschreibung<br />
im Anfangsunterricht?<br />
aus Heft 96, S. 10 f.<br />
Ute Andresen: Schreiben Kinder freie<br />
Texte, was sie so bald wie möglich tun<br />
sollten, können sie nicht alles schon<br />
richtig schreiben. Die Lehrerin schreibt<br />
die Texte korrekt ab. Erste und zweite<br />
Fassung werden zusammen aufgehoben.<br />
Manche Texte verbessert sie diskret<br />
im Original. Später leitet sie die<br />
Kinder an, ihre Texte selbst zu korrigieren.<br />
Horst Bartnitzky: Auf die normierte<br />
Rechtschreibung lange zu verzichten,<br />
sie Kindern vorzuenthalten, das macht<br />
die Kinder kleiner als sie sind und es<br />
versagt ihnen Anregungen, die sie zum<br />
Strategielernen brauchen.<br />
Erika Brinkmann und Hans Brügelmann:<br />
Wir sehen in der frühen Begegnung<br />
mit der Orthographie eine<br />
Herausforderung und ein Modell für<br />
die Kinder, ihre –in der Kommunikation<br />
voll akzeptierten Spontanschreibungen-<br />
weiterzuentwickeln, wie sie<br />
es bei der Lautsprache auch durften:<br />
Selbst so reden, wie sie es können, aber<br />
mit einer Umwelt kommunizieren, die<br />
die entfalteten und korrekten Formen<br />
gebraucht<br />
Wilfried Metze: Kinder, die ohne<br />
Schrifterfahrungen den Zugang zur<br />
Schrift über das freie Schreiben mit<br />
Hilfe der Anlauttabelle erlangen, erwerben<br />
eine irrige Vorstellung unseres<br />
Schriftsystems. Dadurch, dass sie angehalten<br />
werden, Wörter ausschließlich<br />
nach ihrer Lautung zu verschriften,<br />
wird ihnen suggeriert, so sei unsere<br />
Schrift aufgebaut. Doch wir haben keine<br />
Lautschrift. Die Buchstaben-Lautund<br />
die Laut-Buchstaben-Beziehungen<br />
sind alles andere als eindeutig.<br />
6 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
OPORSTUVWXYZ<br />
Gegen den Dogmatismus von Ulrich Hecker, Heft 97 (2007), S. 24 f.<br />
Zahlreicher als sonst und teilweise<br />
heftig waren die Reaktionen auf unser<br />
letztes Heft. Die Zustimmung überwog<br />
bei weitem, zum Beispiel:<br />
»Vielen Dank für ein gelungenes<br />
Heft zu einem <strong>aktuell</strong>en Streit-Thema.«<br />
(Christian Kraus, Hanau)<br />
»DANKE! Dieses Heft war dringend<br />
nötig! Hoffentlich hilft es, die Verunsicherung<br />
wieder abzumildern, die der<br />
unsägliche SPIEGEL-Artikel gebracht<br />
hat bei Kolleginnen UND Eltern. Die<br />
Schulen … haben sehr unter dieser<br />
Störung gelitten.« (Wolfhard Kluge,<br />
Gießen)<br />
»… was zu sagen mir nach der Lektüre<br />
eben heftig am Herzen liegt: Super.<br />
Gleichsam wie ein rettender Luftröhrenschnitt.«<br />
(Heide Bambach, Hamburg)<br />
Es gab aber auch empörte Briefe und<br />
gar einen Austritt im Zorn.<br />
Wilfried Metze ist ein entschiedener<br />
Gegner des Konzepts »Lesen<br />
durch Schreiben« von Jürgen Reichen<br />
und behauptete nun, alle anderen Artikel<br />
im Heft und damit der Grundschulverband<br />
insgesamt würden dieses<br />
Konzept vertreten, er selbst erhielte<br />
dadurch eine Außenseiterrolle als ein<br />
»ewig Gestriger«:<br />
»Ich habe soeben das <strong>aktuell</strong>e Heft<br />
überflogen und muss meinem Ärger<br />
Luft machen. Ich erwäge, den Grundschulverband<br />
zu verlassen. Die sog.<br />
Diskussion, zu der Sie mich gebeten<br />
hatten, ist nichts als ein Feigenblatt,<br />
unverblümt die einseitig auf Freies<br />
Schreiben ausgerichtete Haltung der<br />
im Verband dominierenden Gruppe erneut<br />
in die Lehrerschaft zu tragen.«<br />
Es gab auch eine Reihe von Reaktionen,<br />
die ihr Unverständnis darüber<br />
äußerten, dass Metze seine Auffassung<br />
in der Zeitschrift des Grundschulverbandes<br />
überhaupt kundtun durfte.<br />
Marion Lorber und Katrin Ströbl aus<br />
Dresden beispielsweise schrieben:<br />
»Mit Erstaunen, Verwunderung und<br />
abschließend Entsetzen haben wir die<br />
letzte Ausgabe der ›<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>‹<br />
gelesen. Wie ist es möglich, dass<br />
jemandem wie Herrn Metze darin so<br />
viel Raum zur Darstellung seiner offenbar<br />
völlig abstrusen Vorstellungen<br />
vom Unterrichtsalltag in Lesen-durch-<br />
Schreiben-Klassen, die den Namen verdienen,<br />
geboten wird?<br />
Wir laden gern alle diejenigen in unsere<br />
Klassen ein, die immer wieder behaupten,<br />
›Lesen wäre bei Reichen verboten‹.<br />
Unsere Kinder finden in ihren<br />
Klassenzimmern vom ersten Schultag<br />
an mehr als einhundert Kinderbücher<br />
in vielen verschiedenen Leseniveaus<br />
vor. Keinem Kind ist es verboten, diese<br />
Bücher immer wieder zur Hand zu nehmen,<br />
sich von älteren Kindern vorlesen<br />
zu lassen – wofür es zusätzlich regelmäßige,<br />
festgelegte Zeiten gibt – oder<br />
selbst Leseversuche zu unternehmen,<br />
wenn es das von sich aus möchte. Tägliches<br />
Vorlesen durch die Lehrerin hat<br />
Praxisbeispiele<br />
von Ulrich Hecker und<br />
Volkmar Meyer, Heft 96, S. 16 f.<br />
seinen Platz genauso wie Gespräche und das Schreiben zu<br />
den gelesenen Büchern.«<br />
Wir sind der Auffassung, dass dem Grundschulverband jede<br />
Form des Dogmatismus fremd sein sollte. Wir wollen vielmehr<br />
bei strittigen Themen durch unterschiedliche Meinungen<br />
zu professioneller Meinungsbildung der Mitglieder<br />
beitragen, Kontroversen benennen und klären sowie Gemeinsamkeiten<br />
fördern.<br />
»Im November beginnen einige Kinder, spontan den Punkt zu<br />
benutzen.<br />
Sie experimentieren damit und beobachten seine Verwendung in<br />
Lesetexten. Anfang Dezember schreibt Anne einen Text, den sie<br />
stolz anderen Kindern zeigt (siehe Abb.). Einige Kinder kommen zu<br />
mir und berichten, dass sie den Text nicht lesen können, obwohl<br />
Anne ›schön geschrieben‹ habe. Auch ›Lücken zwischen den Wörtern‹<br />
hat Anne gemacht – und einen Punkt hat sie gesetzt, einen<br />
ganz dicken.<br />
Ich kopiere den Text auf Folie und projiziere ihn für alle an die<br />
Wand. Kinder erlesen den Text, bekommen heraus, wo die Sätze<br />
enden. Ich setze die Punkte auf die Folie. Eine wichtige Situation.<br />
Nicht ab sofort ›sitzen‹ alle Punkte an den richtigen Stellen. Kinder,<br />
die noch nie einen Punkt verwendet hatten, machen ihn auf einmal<br />
nach jedem Wort. Aber für alle hat jetzt der Weg begonnen, den<br />
Schluss von Sätzen zu markieren:<br />
›Weil man es dann viel besser lesen kann.‹ «<br />
Eine typische »Textproduktion«: Daniel war am Rhein spazieren, im<br />
Morgenkreis erzählt er von seinen Eindrücken. In der anschließenden<br />
»Schreibzeit« schreibt er seinen Text auf (Entwurf). Im Gespräch äußert<br />
er starken Ärger über die Verschmutzung des Rheinufers. Den letzten<br />
Satz fügt er hinzu, die anderen Sätze werden mit dem Autor vervollständigt,<br />
sortiert, Satzzeichen werden gesetzt, eine Überschrift gefunden<br />
(Überarbeitung). Der Lehrer schreibt am PC die »Satzvorlage« für<br />
Daniel. Mit zwei Helfern setzt Daniel seinen Text, die Kinder drucken<br />
den Text für alle Kinder der eigenen und der Parallelklassen (Veröffentlichung).<br />
Daniels Text findet starke Beachtung.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />
7
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
A B CDEFGHIJKLMN<br />
… wie Bildungsansprüche<br />
Der PISA-Schock hatte ab Ende 2001 bundesweit zu einer neuen Bildungsdebatte<br />
geführt. Eine Forderung war: präziser sei zu definieren, was Kinder am<br />
Ende eines Schulabschnitts können sollen. Im Grundschulverband war hierzu<br />
schon die Debatte um ein Kerncurriculum geführt worden (siehe Buchstabe C).<br />
Hieraus entwickelte sich in mehreren Arbeitssitzungen ein eigener Beitrag<br />
des Grundschulverbandes zur Standarddiskussion: »Bildungsansprüche von<br />
Grundschulkindern«.<br />
Die Kultusministerkonferenz gab dann 2004 die Bildungsstandards für<br />
Deutsch und Mathematik (<strong>Grundschule</strong>) heraus, die sich in wesentlichen<br />
Aspekten und Formulierungen an dem Text des Grundschulverbandes orientierten.<br />
Bildungsgesellschaft statt Wissensgesellschaft aus Heft 81 (2003), S. 3 f.<br />
Der Grundschulverband folgt … einem<br />
traditionsreichen Bildungsbegriff, der<br />
die individuellen Ansprüche des Kindes<br />
und die gesellschaftlichen Ansprüche<br />
an das Kind miteinander in Einklang zu<br />
bringen versucht – realisiert insbesondere<br />
durch den Charakter der Bildungsorganisation<br />
und durch die Auswahl<br />
der Ziele und Inhalte. Die durch Bildung<br />
mögliche Höherentwicklung der Individuen<br />
wird dabei als Voraussetzung<br />
und als Ziel für die Höherentwicklung<br />
der Gesellschaft mitgedacht. Schule<br />
ist demnach immer auch ein gesellschaftliches<br />
Zukunftsmodell. Von hier<br />
her werden individuelle Stärkungen<br />
der persönlichen Autonomie gesellschaftlich<br />
hoch bedeutsam – man<br />
denke an Beispiele wie das Vermeiden<br />
von tiefgreifenden Verletzungen durch<br />
inhumane Umgangsweisen, die Förderungen<br />
des selbstständigen Lernens<br />
oder das Demokratie-Lernen auch in<br />
der <strong>Grundschule</strong>.<br />
Damit stellen wir dem auf Wissen,<br />
Vergleichbarkeit und Abprüfbarkeit<br />
abzielenden verkürzten Lern- und Leistungsbegriff<br />
der <strong>aktuell</strong>en schulpolitischen<br />
Debatte den umfassenderen<br />
Begriff der grundlegenden Bildung gegenüber.<br />
Kurz: Der Grundschulverband setzt<br />
dem derzeit vorherrschenden Begriff<br />
der Wissensgesellschaft den weiteren<br />
der Bildungsgesellschaft entgegen.<br />
Die Bildungsansprüche von Grundschulkindern<br />
werden in zwei Dimensionen<br />
formuliert:<br />
1. In einem Leitkonzept zeitgemäßer<br />
Grundschularbeit werden neun überfachliche<br />
Prinzipien für die Gestaltung<br />
von Unterricht und Schulleben formuliert.<br />
Dazu werden Bedingungen<br />
beschrieben, die Schulen und die für<br />
Schule Verantwortung Tragenden erfüllen<br />
müssen, damit diesen Prinzipien<br />
entsprochen werden kann.<br />
2. Als tragfähige Grundlagen für weiteres<br />
Lernen werden für die Lernbereiche<br />
der <strong>Grundschule</strong> Ziele,<br />
Bedingungen und Bandbreiten der Entwicklung<br />
beschrieben.<br />
Die hier formulierten Bildungsansprüche<br />
im Leitkonzept und in den tragfähigen<br />
Grundlagen betreffen alle Verantwortungsebenen:<br />
■ Schule: Hier werden die Schulprogramme<br />
und schuleigenen Lehrpläne<br />
je nach Standort und den nötigen und<br />
möglichen Bildungschancen der Kinder<br />
eigenverantwortlich formuliert. Dabei<br />
muss sicher gestellt werden, dass<br />
das Leitkonzept und die tragfähigen<br />
Grundlagen in diese Arbeiten integriert<br />
werden …<br />
■ Schulaufsicht, Verwaltung, Schulträger,<br />
Fortbildung: Die Schulen werden<br />
darin unterstützt, ihre Programme und<br />
schuleigenen Lehrpläne zu entwickeln<br />
sowie Leitkonzept und tragfähige<br />
Grundlagen darin zu integrieren. Sie<br />
werden dann unterstützt, diese Vorhaben<br />
realisieren zu können und die Qualität<br />
ihrer Arbeit zu prüfen und auszuweisen.<br />
■ Politik: Die Schulen werden auf dem<br />
Weg zu vermehrter Selbstständigkeit<br />
gefördert. Besondere Beachtung muss<br />
der Bildungsgerechtigkeit gelten: Alle<br />
Schulen … müssen in die Lage versetzt<br />
werden, das Leitkonzept zu realisieren<br />
und die tragfähigen Grundlagen für<br />
weiteres Lernen bei den ihnen anvertrauten<br />
Kindern zu entwickeln. Dies<br />
erfordert, dass die Schulen je nach Bedarf<br />
unterschiedlich mit Personal und<br />
weiteren Ressourcen an Zeit, Material<br />
und Unterstützungen ausgestattet<br />
werden.<br />
8 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
OPORSTUVWXYZ<br />
Neun Prinzipien zeitgemäßer Grundschularbeit<br />
aus Heft 81 (2003), S. 5ff<br />
Die im Folgenden dargelegten Prinzipien<br />
sind nur im Zusammenhang aller<br />
in ihnen enthaltenen Grundpositionen<br />
sinnvoll. Sie konkretisieren insgesamt<br />
ein Grundverständnis zeitgemäßer<br />
Primarschularbeit, das in dem Begriff<br />
»ermutigende Pädagogik« zusammengefasst<br />
werden kann: Die Schule soll<br />
die bereits erworbenen Selbstlernfähigkeiten<br />
der Kinder aufgreifen und<br />
weiterentwickeln und das Kind als<br />
Subjekt des Lernens immer wieder ermutigen,<br />
sich alle notwendigen Kompetenzen<br />
und Erkenntnisse möglichst<br />
selbstständig anzueignen – selbstverständlich<br />
immer mit der gezielten<br />
Unterstützung seiner Lehrerinnen und<br />
Lehrer und immer im sozialen Raum<br />
der Klassengemeinschaft.<br />
■ Lernen als Selbstaneignung von Welt …<br />
■ Geborgenheit und Lebensfreude …<br />
■ <strong>Grundschule</strong> als Leistungsschule …<br />
■ Lernen an bedeutsamen Inhalten …<br />
■ In Zusammenhängen lernen …<br />
■ Lernen in der Gemeinschaft mit anderen …<br />
■ Gleichzeitigkeit von Differenzierung und Integration …<br />
■ Chancengleichheit und Achtung vor dem Anderem …<br />
■ <strong>Grundschule</strong> als Lernfeld für Demokratie …<br />
Zum Beispiel: Tragfähige Grundlagen Lesen aus Heft 81 (2003), S. 10 f.<br />
Didaktische Orientierung<br />
Nicht erst seit der Veröffentlichung<br />
der PISA-Studie wird darauf verwiesen,<br />
dass Lesen eine Schlüsselfunktion für<br />
Schulerfolg und auch zum Umgang<br />
mit den verschiedenen neueren und<br />
neuesten Medien hat.<br />
Lange wurde Lesen als »Sinnentnahme«<br />
definiert. In der neueren didaktischen<br />
Diskussion ist demgegenüber<br />
Lesen ein eigenaktiver Prozess der<br />
Sinnkonstruktion. Dementsprechend<br />
haben solche Umgangsweisen mit<br />
Texten eine besondere didaktische<br />
Qualität, die von einem individuellen<br />
Leseinteresse ausgehen und eine Lesekultur<br />
in der Schule befördern, die operativ<br />
und experimentell mit Texten umgehen<br />
und bei denen sich Leserinnen<br />
und Leser mit anderen offen über Texte<br />
auseinandersetzen. Da viele Kinder in<br />
einem lesefernen Milieu aufwachsen,<br />
muss die Schule die Kinder für das<br />
Lesen aufschließen. Offenbar spielen<br />
unterhaltsame und interessebezogene<br />
Texte in einer leseförderlichen Lernumgebung<br />
eine besondere Rolle, während<br />
die schulisch übliche Textbehandlung<br />
und Didaktisierung von Texten für eine<br />
grundständige Lesemotivation eher<br />
abträglich ist …<br />
Ziele<br />
■ Die Kinder lesen Kinderbücher, die<br />
sie nach eigenem Interesse ausgewählt<br />
haben. Sie lesen selbstvergessen und<br />
genussvoll, auch ohne weitere Didaktisierung<br />
des Leseertrages.<br />
■ Sie finden in Texten gezielt Informationen.<br />
■ Sie denken über Texte nach, nehmen<br />
zu Gedanken, Handlungen, Personen<br />
Stellung; sie entwickeln innere<br />
Vorstellungsbilder.<br />
■ Sie nutzen verschiedene Medien,<br />
gewinnen daraus Anreize zum Schreiben,<br />
zum Lesen, zum Gestalten eigener<br />
Medienbeiträge.<br />
■ Sie praktizieren Methoden:<br />
– Sie äußern Vermutungen über den<br />
weiteren Fortgang,<br />
– sie finden durch überfliegendes Lesen<br />
eine gesuchte Textstelle,<br />
– sie belegen eigene Aussagen mit<br />
Textstellen.<br />
Lernbedingungen<br />
Die Ziele sind nur erreichbar, wenn der<br />
Unterricht folgende Lernbedingungen<br />
schafft:<br />
Der Unterricht vermittelt an die<br />
Kinder persönlich bedeutsame Begründungen<br />
zum Schreiben und zum<br />
Lesen … Dazu ist die Entwicklung einer<br />
Schreib-Lese-Kultur in der Klasse mit<br />
vielfältigen Schreib- und Leseanregungen<br />
auf unterschiedlichem Niveau<br />
erforderlich.<br />
Bandbreiten der Entwicklung<br />
Bezogen auf das Lesen unterscheiden<br />
sich die Kinder erheblich in ihrer Leseerfahrung,<br />
ihrer Lesekompetenz und ihren<br />
Lesevorlieben. Am Ende der Klasse<br />
4 ergibt sich eine Bandbreite in der Lesekompetenz<br />
der Kinder. Es sind Vielleser<br />
und Wenigleser in einer Klasse. Das<br />
ist zu akzeptieren. Aber alle Kinder<br />
verfügen über eine Verstehensfähigkeit,<br />
die sich allerdings beim Verstehen<br />
von unterschiedlich komplexen Texten<br />
bezogen auf deren Inhalt, Satzbau und<br />
Sprachmuster unterscheiden kann.<br />
Wir sind der Auffassung, dass dem<br />
Grundschulverband jede Form des<br />
Dogmatismus fremd sein sollte. Wir<br />
wollen vielmehr bei strittigen Themen<br />
durch unterschiedliche Meinungen zu<br />
professioneller Meinungsbildung der<br />
Mitglieder beitragen, Kontroversen benennen<br />
und klären sowie Gemeinsamkeiten<br />
fördern.<br />
Anmerkung<br />
Der vollständige Text mit Leitkonzept und tragfähigen<br />
Grundlagen zu allen Fächern wurde erstmals in Heft 81<br />
veröffentlicht. Er findet sich wieder in Heft 2 der<br />
folgenden Veröffentlichung: Horst Bartnitzky, Hans<br />
Brügelmann, Ulrich Hecker, Gudrun Schönknecht<br />
(Hg.): Pädagogische Leistungskultur: Materialien<br />
Klasse 1 und 2. Frankfurt a.M.: Grundschulverband 2005<br />
(Band 119 der Reihe: Beiträge zur Reform der <strong>Grundschule</strong>)<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />
9
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
ABC DEFGHIJKLMN<br />
… wie Kern-Curriculum<br />
Worauf haben alle Kinder der <strong>Grundschule</strong> einen Bildungsanspruch?<br />
Horst Bartnitzky hatte im Jahr 2001 dazu ein<br />
»Plädoyer für ein Kerncurriculum« gehalten und in dieser Zeitschrift<br />
veröffentlicht. Das Plädoyer löste eine heftige Debatte<br />
mit Für und Wider aus, die in mehreren Heften der Zeitschrift<br />
dokumentiert wurde. Auf diesen beiden Seiten sind einige in<br />
Auszügen zusammengestellt. Am Ende führte die Debatte<br />
übrigens zur Erarbeitung der »Bildungsansprüche von Grundschulkindern«,<br />
siehe beim Buchstaben B.<br />
Plädoyer für ein<br />
Kerncurriculum<br />
für die <strong>Grundschule</strong><br />
von Horst Bartnitzky<br />
Heft 74 (2001), S. 3<br />
Nehmen wir das Beispiel einer Stadt<br />
im Ruhrgebiet. In einigen nördlichen<br />
Stadtteilen kommen viele Kinder in die<br />
Schule, die kaum die deutsche Sprache<br />
verstehen oder sprechen können. Aber<br />
auch die anderen Kinder mit Migrationshintergrund<br />
und die deutschen<br />
Kinder an diesen Schulen haben vielfältige<br />
Sprach- und Lernprobleme – Spiegelbild<br />
von Stadtteilen in besonderen<br />
sozialen Brennpunktgebieten, oft verbunden<br />
mit Enklaven, in denen sich<br />
eine bestimmte ethnisch bestimmte<br />
Infrastruktur entwickelt hat. In derselben<br />
Ruhrgebietsstadt gehen in <strong>Grundschule</strong>n<br />
der südlichen Stadtteile viele<br />
Kinder aus Elternhäusern der oberen<br />
Mittelschicht. Die Kinder kommen mit<br />
elaborierten Sprachfähigkeiten in die<br />
Schule, sie können bereits vieles und<br />
lernen anderes leicht und locker. 90 %<br />
und mehr der Kinder gehen hier nach<br />
der <strong>Grundschule</strong> jährlich aufs Gymnasium.<br />
Offenkundig sind die Eingangsvoraussetzungen<br />
und die Möglichkeiten<br />
der weiteren Entwicklungsförderung<br />
für die Kinder im Norden und im Süden<br />
extrem unterschiedlich. Offenkundig<br />
brauchen die Kinder unterschiedliche<br />
Lernförderung. Und offenkundig sind<br />
die Unterschiede auch am Ende der<br />
vierjährigen <strong>Grundschule</strong> nicht ausgeglichen.<br />
Im Gegenteil: Vieles deutet<br />
darauf hin, dass die Schere der Entwicklung,<br />
die schon beim Schulanfang<br />
auseinander strebt, sich am Ende der<br />
Klasse vier noch weiter geöffnet hat.<br />
Kann es dann für <strong>Grundschule</strong>n<br />
überhaupt ein gemeinsames Curriculum<br />
geben? Einen harten Kern des<br />
Wissens, der Fertigkeiten und Fähigkeiten,<br />
auf den alle Kinder einen Bildungsanspruch<br />
haben? Den alle Kinder<br />
am Ende der Grundschulzeit als tragfähige<br />
Grundlage für weiteres Lernen<br />
besitzen können und besitzen müssen<br />
– gleich ob sie im Norden oder Süden<br />
dieser Ruhrgebietsstadt wohnen oder<br />
irgendwo anders zwischen Flensburg<br />
und Berchtesgaden, zwischen Aachen<br />
und Cottbus?<br />
Ja, ich glaube, dass dies möglich<br />
ist, und dringlicher: dass einen solchen<br />
Kern festzulegen unabdingbare<br />
Voraussetzung für die Förderung der<br />
einen wie der anderen Kinder ist, wenn<br />
Cartoon von<br />
Mario Urlaß<br />
nur alle Verantwortlichen diesen Kern<br />
als Bildungsanspruch aller Kinder in<br />
der <strong>Grundschule</strong> ernst nehmen – die<br />
Schulen und ihre Lehrerinnen und Lehrer,<br />
die Schulaufsicht und Schulverwaltung,<br />
die Schul- und Finanzpolitik …<br />
Die Probleme wiegen<br />
schwerer als der<br />
vermutete Nutzen<br />
von Hans Brügelmann,<br />
Heft 74 (2001), S. 10<br />
Um der Nachprüfbarkeit willen müssten<br />
Vorgaben an leicht feststellbaren<br />
Merkmalen des Unterrichts bzw. der<br />
Leistungen von SchülerInnen festgemacht<br />
werden. Dies erleichtert einerseits<br />
eine oberflächliche Anpassung,<br />
erspart andererseits eine Auseinandersetzung<br />
mit der Idee »dahinter« …<br />
Die Idee verbindlicher Niveaus wird<br />
zusätzlich bei vielen eine mechani-<br />
10 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
OPORSTUVWXYZ<br />
stische Vorstellung von Pädagogik befördern,<br />
als gäbe es direkte Kausalbeziehungen<br />
zwischen Maßnahmen und<br />
Wirkungen, als lasse sich Lernen «machen«.<br />
Meine größte Sorge ist insofern,<br />
dass ein KC und sein »Drumrum» das<br />
verbreitete Missverständnis weiter fördern,<br />
Unterricht sei ein Mittel-Zweck-<br />
Zusammenhang, der sich technisch<br />
optimieren lasse.<br />
Faktische Grundschul-<br />
Verbesserung ist dringlich<br />
von Hermann Schwarz,<br />
Heft 74 (2001), S. 11<br />
Nicht flächendeckende pädagogisch<br />
kontraproduktive Einengungen Lernender<br />
und Lehrender durch Kerncurricula<br />
braucht die <strong>Grundschule</strong>,<br />
sondern faktische Verbesserungen.<br />
Dazu gehören verbesserte Annäherungsmöglichkeiten<br />
an die Ziele<br />
grundlegender Bildung durch Weiterentwicklung<br />
der Gestaltungs- und<br />
Aneignungsprinzipien im Unterricht,<br />
weiterentwickeltes Leistungsverständnis<br />
und Differenzierungskonzept, Entwicklungsarbeit<br />
unmittelbar an den<br />
Lern- und Lehrprozessen sowie eine<br />
grundlegende Verbesserung der Personalressourcen.<br />
Lernchancen für<br />
Kinder bereitstellen<br />
von Jörg Ramseger,<br />
Heft 74 (2001), S. 17<br />
Der Traum von einer standardisierten<br />
Bildung ist schön, aber wenn man irgendwo<br />
ins Detail geht, wird es fast<br />
immer absurd. Die eigentliche professionelle<br />
Kunst des Lehrers oder der Lehrerin,<br />
der eigentliche Zweck, wofür wir<br />
überhaupt Lehrer brauchen, besteht<br />
meines Erachtens weiterhin vorrangig<br />
in ihrer pädagogisch-didaktischen<br />
Übersetzungsleistung: Sie müssen<br />
– immer wieder neu! – die allgemeinen<br />
Bildungsziele, die der Staat zu Recht<br />
vorgibt, im Hinblick auf die konkreten<br />
Kinder, mit denen sie es jeweils zu tun<br />
haben, interpretieren und aufgrund<br />
einer solchen Interpretationsleistung<br />
dann jene konkreten Lernangebote<br />
entwerfen und Lernchancen eröffnen,<br />
die ihren je spezifischen Schülerinnen<br />
und Schülern gerade dienlich sind.<br />
Jeder Versuch, diese Interpretationsleistungen<br />
durch Standardisierung in<br />
einem Kerncurriculum überflüssig zu<br />
machen, wird vermutlich an der Realität<br />
der Kinder scheitern.<br />
Für schulinterne Curricula<br />
von Barbara Wegner für die<br />
Landesgruppe Brandenburg,<br />
Heft 75 (2001), S. 13<br />
… könnte die Festlegung eines Kerncurriculums<br />
ein Schritt zurück zu geschlossenen<br />
Curricula sein. … Heterogenität<br />
in der Schülerschaft, regionale<br />
Besonderheiten usw. würden dann eher<br />
verwischt, als besonders beachtet …<br />
Das alles darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen,<br />
dass es notwendig ist,<br />
die Qualität der Arbeit in der <strong>Grundschule</strong><br />
weiter zu erhöhen. Ausgehend<br />
von den allgemeinen Richtlinien<br />
könnten hier schulinterne Curricula,<br />
die den Besonderheiten der Schule<br />
Rechnung tragen, ein wichtiger Schritt<br />
sein. Eine Fixierung von Basis und Erweiterungswissen,<br />
das jeweils den<br />
spezifischen Anforderungen innerhalb<br />
einer Klasse bzw. noch individualisierter:<br />
einzelner Kinder angepasst werden<br />
kann, ist denkbar.<br />
Ein Schritt zur Kulturhoheit<br />
der Bundesrepublik<br />
von der Landesgruppe<br />
Niedersachsen, Heft 75 (2001), S. 12<br />
Der Sinn einer Beschäftigung mit<br />
einem Kerncurriculum besteht für uns<br />
darin, ein Kerncurriculum im Sinn eines<br />
neuen »Strukturplans« (1970) zu entwerfen,<br />
der Öffentlichkeit vorzustellen<br />
und die Bundesländer zur Realisierung<br />
aufzufordern. Ein Strukturplan bzw.<br />
ein Kerncurriculum, das für alle Bundesländer<br />
gelten würde, wäre ein erster<br />
Schritt der Annäherung der Kulturhoheit<br />
der Länder an eine Kulturhoheit<br />
der Bundesrepublik.<br />
Länderübergreifende<br />
Entwicklung<br />
von Bernd Küster, Kultusministerium<br />
Sachsen-Anhalt, Heft 75 (2001), S. 15<br />
In einem Kerncurriculum für die <strong>Grundschule</strong>n<br />
sehe ich auch eine Chance,<br />
länderübergreifende Entwicklungslinien<br />
für den Unterricht zu beschreiben,<br />
die Säulen der Weiterentwicklung der<br />
Rahmenrichtlinien werden können.<br />
Aus dieser Sicht scheint es mir sinnvoll,<br />
dass die Entwicklung eines Kerncurriculums<br />
durch ein länderübergreifendes<br />
Expertengremium geleitet wird.<br />
Aus einer solchen Gruppe können Einzelaufträge<br />
hervorgehen. Bei deren<br />
Erledigung können wissenschaftliche<br />
und schulpraktische Erfahrungen zusammengeführt<br />
werden.<br />
Was wir Kindern<br />
schuldig sind<br />
von Heide Bambach,<br />
Heft 75 (2001), S. 12<br />
Wenn es stimmt, dass Lernen und Bildung<br />
eigenaktive Prozesse sind, die auf<br />
einem Gefüge von Bedingungen und<br />
Einflüssen wurzeln, dessen Komplexität<br />
wir vermutlich nie gänzlich durchschauen<br />
können, dann lässt sich nicht<br />
»festlegen«, was bei den Kindern als<br />
Ergebnis unserer Bemühungen herauskommen<br />
muss. Festlegen können wir<br />
nur die Qualität unserer Bemühungen:<br />
Wir können die Arbeitsfelder vereinbaren,<br />
in denen wir nach den für die<br />
jeweiligen Kinder passenden Entwicklungsaufgaben<br />
suchen; wir können die<br />
Bereiche ausfindig machen, in denen<br />
wir ihnen Bildungserfahrungen ermöglichen<br />
müssen. Und wir können didaktische<br />
und pädagogische Standards<br />
vereinbaren und sie uns zu eigen machen.<br />
Darin sehe ich den einzig wirksamen<br />
Weg zur »Qualität von Schule«.<br />
Nicht »was die Kinder gelernt haben<br />
müssen, damit sie …« sollten wir festlegen<br />
wollen, sondern »was wir den<br />
Kindern an Entwicklungsaufgaben und<br />
Bildungserfahrungen schuldig sind<br />
oder bieten wollen, damit sie …« sollten<br />
wir klären.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />
11
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
ABCD EFGHIJKLMN<br />
… wie Demokratie<br />
Oft wird Schule lediglich als Vorbereitung auf die Zukunft gesehen. Kinder aber haben, wie<br />
Janusz Korczak bemerkte, ein »Recht auf den heutigen Tag«. Schon die UN-Kinderrechtskonvention<br />
(1989) verlangt, die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen bereits heute zu<br />
achten. »Wer an Schulen nur fachliches Wissen bzw. Können betrachtet und punktuell<br />
abtestet, dem schrumpft der Blick auf Pädagogik leicht zu PISA«, kritisiert der Erziehungswissenschaftler<br />
Hans Brügelmann, »aber zu einer guten Schule gehört viel mehr. Viele<br />
schauen nur auf fachliche Leistungen, dazu noch beschränkt auf wenige ausgewählte<br />
Bereiche. Durch die Testbrille ist kaum zu erfassen, was Schulen zur Persönlichkeitsentwicklung<br />
und zur Förderung demokratischer Haltungen beitragen.«<br />
Die <strong>Grundschule</strong> als demokratischen Lebens- und Lernort zu gestalten, war stets ein<br />
zentrales Anliegen des Grundschulverbandes. Im Jahr 2002 z. B. wurden bei einem großen<br />
»Grundschulforum« in Berlin Preise für beispielhafte Initiativen verliehen.<br />
Grußwort zum<br />
Grundschulforum 2002<br />
von Wolfgang Thierse,<br />
Präsident des Deutschen Bundestages,<br />
am 20. / 21. 9. 2002 in Berlin,<br />
Heft 80 (2002), S. 4<br />
Demokratie ist nicht von selbst »da«,<br />
sondern muss gelernt – und gelehrt<br />
werden. Gerade die <strong>Grundschule</strong> ist ein<br />
idealer Ort, um Fähigkeiten für demokratisches<br />
Handeln zu entwickeln, um<br />
Kompetenzen zu vermitteln, die Menschen<br />
in einer demokratisch verfassten<br />
Gemeinschaft brauchen.<br />
Nach PISA sehe ich in der Schulpolitik<br />
eine Tendenz, Faktenvermittlung<br />
und Leistungssteigerung einseitig in<br />
den Vordergrund zu rücken. Um kein<br />
Missverständnis aufkommen zu lassen:<br />
Ich bin sehr für Leistung – auch in<br />
der Schule.<br />
Aber es ist doch die Frage, in welcher<br />
Form eine Gesellschaft auf Leistung<br />
setzt. Wollen wir eine Gesellschaft mit<br />
Ellbogenmentalität? Oder wollen wir<br />
eine Gesellschaft, die auf sozialen Ausgleich<br />
setzt, auf Bildungsbeteiligung<br />
für alle, auf Chancengerechtigkeit und<br />
Solidarität? Das ist die Frage, bei der jeder<br />
bildungspolitisch Farbe bekennen<br />
muss! (…)<br />
In der Schule, gerade auch in der<br />
<strong>Grundschule</strong>, muss es Zeiten und Orte<br />
geben, die dem Demokratielernen und<br />
der Werteerziehung vorbehalten sind.<br />
Verlieren wir also – trotz PISA – nicht<br />
eine der wichtigsten Aufgaben der<br />
Schule aus dem Auge: Die Aufgabe umfassender<br />
Persönlichkeitsbildung!<br />
Ich weiß, dass sich der Grundschulverband<br />
diesem Ziel mit großem Engagement<br />
widmet. Dafür danke ich dem<br />
Verband herzlich und wünsche ihm<br />
weiterhin viel Erfolg.<br />
Eine schlechte und<br />
eine gute Nachricht<br />
von Horst Bartnitzky,<br />
Heft 80 (2002), S. 2<br />
Dass deutsche Jugendliche im Lesen,<br />
in Mathematik und in den Naturwissenschaften<br />
im internationalen Schulvergleich<br />
nicht gut dastehen, ist seit<br />
TIMSS und PISA allgemein bekannt.<br />
Kaum bekannt ist, dass das Gleiche<br />
auch für die Bereitschaft zum<br />
politischen Handeln zutrifft. An den<br />
Untersuchungen in 28 Ländern im<br />
Jahre 1999 nahmen auch 4 500 Jugendliche<br />
(14– und 15-Jährige) aus Deutschland<br />
teil. Dass diese Ergebnisse nicht<br />
bekannt und öffentlich diskutiert<br />
wurden, ist so beschämend wie die<br />
Ergebnisse selbst. So weit die schlechte<br />
Nachricht.<br />
Die gute Nachricht: An <strong>Grundschule</strong>n<br />
gibt es bemerkenswerte Beispiele<br />
dafür, wie schon die jüngeren Schulkinder<br />
demokratisches Handeln lernen<br />
können.<br />
Unterstützt wurde das Grundschulforum<br />
von der Aktion Humane Schule,<br />
dem Bundeselternrat, dem Deutschen<br />
Kinderhilfswerk, der National Coalition,<br />
der Stiftung <strong>Grundschule</strong> sowie<br />
von der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung.<br />
Bundestagspräsident Wolfgang<br />
Thierse unterstrich als Schirmherr die<br />
Bedeutung des Forums für die politische<br />
Bildung an <strong>Grundschule</strong>n.<br />
Der Grundschulverband will mit<br />
dem Grundschulforum und der Preisverleihung<br />
Signale für eine breitere<br />
Bildungsdebatte geben:<br />
■ Bildung ist mehr als die PISA-Inhalte;<br />
Bildung in der <strong>Grundschule</strong> ist<br />
mehr als Lesen, Schreiben, Rechnen<br />
und eine Fremdsprache lernen. Die<br />
Demokratie ist auf demokratiefähige<br />
Bürgerinnen und Bürger angewiesen.<br />
Deshalb gehört »Demokratie lernen«<br />
zur Bildung auf allen Schulstufen, auch<br />
in der <strong>Grundschule</strong>.<br />
■ Mit dem Praxispreis verweist der<br />
Grund schulverband auf bemerkenswer<br />
te Beispiele in <strong>Grundschule</strong>n. Beteiligung<br />
an der Unterrichtsplanung, Klas -<br />
senrat, Streitschlichtung, Zukunftswerkstatt<br />
– dies sind nur einige wenige<br />
Beispiele dafür, wie Kinder ihre Belange<br />
in die eigenen Hände nehmen können.<br />
■ Mit dem Politik- und dem Forschungspreis<br />
verweist der Grundschulverband<br />
auf notwendige Unterstützungen:<br />
– durch die Politik, die dem weiten<br />
Bildungsanspruch von Kindern gerecht<br />
werden muss und ihn nicht auf Grundfertigkeiten<br />
verkürzen darf,<br />
– durch die Wissenschaft, die die Weiterentwicklung<br />
der Schulpraxis förderlich<br />
begleiten muss.<br />
Meine Hoffnung ist, dass der Grundschulverband<br />
damit das Bewusstsein<br />
für drei Botschaften schärfen kann:<br />
1. Bei allen trüben Nachrichten aus der<br />
Schulszene: Die <strong>Grundschule</strong> beweist<br />
sich einmal mehr als die erfolgreiche<br />
Reformschule im Bildungssystem.<br />
2. Grundschulkinder können in der<br />
<strong>Grundschule</strong> mehr lernen als Lesen,<br />
Schreiben, Rechnen und eine Fremdsprache.<br />
Und sie haben ein Bildungsrecht<br />
darauf, mehr zu lernen.<br />
12 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
OPORSTUVWXYZ<br />
3. Das deutsche Schulsystem versagt<br />
durch seine Fehlkonstruktion den<br />
Kindern und Jugendlichen die Bildungserfahrungen,<br />
die Kinder und Jugendliche<br />
in anderen Ländern gewinnen<br />
können. Deshalb muss die Schulstruktur-Debatte<br />
auf die politische Tagesordnung.<br />
»Demokratie muss gelernt werden,<br />
um gelebt werden zu können,<br />
und sie muss gelebt werden,<br />
um gelernt werden zu können.«<br />
(Gerhard Himmelmann)<br />
Am 19. 9. 2007 verlieh die Universität Siegen<br />
Horst Bartnitzky die Ehrendoktorwürde<br />
(siehe S. 54). Zu diesem Anlass und<br />
im Rahmen des Internationalen Symposions<br />
»Demokratische Grund schule:<br />
Mitbestimmung von Kindern über ihr<br />
Leben und Lernen« hielt Horst Bartnitzky<br />
einen Vortrag zu diesem Thema.<br />
Wir veröffentlichen das Fazit seiner Überlegungen:<br />
»<strong>Grundschule</strong> in<br />
Deutsch land – ein<br />
Demokratie-Modell?«<br />
von Horst Bartnitzky<br />
Die deutsche <strong>Grundschule</strong> könnte ein<br />
Demokratie-Modell sein, weil viele Ansätze<br />
dazu im Konzept vorhanden und<br />
in der Praxis entwickelt und erprobt<br />
sind.<br />
Sie kann aber ein Demokratie-Modell<br />
nicht sein. Denn sie ist geprägt<br />
vom Ausleseauftrag für ein nachfolgendes<br />
ständisches Schulsystem und<br />
sie ist geprägt vom fachlichen Lernen<br />
für eine spätere Zukunft. Damit behindert<br />
sie sinnerfülltes, selbstverantwortetes<br />
und mitbestimmendes Lernen in<br />
der Gegenwart der Kinder und für ihre<br />
Gegenwart.<br />
Derzeit wird gern als Killerargument<br />
bei der Debatte um die Schulstruktur<br />
eingewendet: »Ja, aber allein<br />
die längere Grundschulzeit ändert<br />
doch nichts, allein der Ganztag …,<br />
allein xy …« »Nicht einzelne Faktoren«,<br />
so schreibt Hans Brügelmann auch<br />
angesichts vieler empirischer Befunde,<br />
»sondern das Zusammenspiel und ihre<br />
oft schwierige Balance machen eine<br />
gute Schule aus.« Und er verweist darauf,<br />
dass es auf den Geist, das Ethos<br />
einer Schule ankomme, von dem aus<br />
alles andere mitbestimmt werde. Was<br />
für die einzelne Schule gilt, gilt ebenso<br />
für das Schulsystem: Meinen wir mit<br />
Mündigkeit, dass wir auch dem Grundschulkind<br />
Mündigkeit zutrauen, dass<br />
wir ihm selbst-, sach- und sozialkompetentes<br />
Handeln ermöglichen und seine<br />
Kompetenzen hierin weiterentwickeln<br />
und stärken müssen; meinen wir, dass<br />
die Demokratie als Lebensform auch<br />
in der <strong>Grundschule</strong> gelebt und mit den<br />
Kindern gestaltet werden muss, dann<br />
hat dies Folgen auch für die Struktur<br />
der Schule.<br />
So herum wird ein Schuh daraus.<br />
Nicht die Abschaffung des Sitzenbleibens<br />
ist die notwendige Reform,<br />
sondern das zu Grunde liegende Menschenbild,<br />
die darauf fußende Pädagogik,<br />
der dann die Änderungen der Rahmenbedingungen<br />
folgen, zwingender:<br />
folgen müssen, unter anderem der<br />
Verzicht auf selektive Maßnahmen wie<br />
das Sitzenbleiben, weil sie kontraproduktiv<br />
sind.<br />
Die mageren Ergebnisse zur Lesekompetenz<br />
der deutschen Schüler bei<br />
der PISA-Studie haben viele Aktivitäten<br />
zur Leseförderung hervorgebracht: von<br />
der Politik, von Institutionen wie der<br />
Stiftung Lesen, von Medien wie dem<br />
Fernsehen oder der Wochenzeitschrift<br />
DIE ZEIT, von Privatpersonen wie der<br />
Lesepaten-Bewegung, von Fortbildungsmaßnahmen<br />
und Verlagen.<br />
Diese Wucht und Vielzahl von Unterstützern<br />
brauchte die Demokratie-<br />
Pädagogik, denn die Demokratie-Kompetenzen<br />
sind ebenso deprimierend<br />
wie die der Lesekompetenz.<br />
Öffentlichkeitswirksam wird das<br />
Thema hoffentlich, wenn realisiert<br />
wird, was die OECD plant: dass nämlich<br />
in zukünftigen PISA-Studien auch<br />
demokratie-bestimmte Kompetenzen<br />
überprüft werden. Allerdings wird<br />
dann zu fragen sein, ob die PISA-Tests<br />
auch das erfassen, was ich hier als wesentlich<br />
für eine demokratische <strong>Grundschule</strong><br />
beschrieben habe.<br />
Der gesamte Vortragstext findet sich im Internet unter http://www.grundschulverband.de/<br />
fileadmin/grundschulverband/Download/<strong>aktuell</strong>/DemokratieRedeH.B.pdf<br />
Cartoon:<br />
Mario Urlaß<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />
13
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
ABCDE FGHIJKLMN<br />
… wie Eltern<br />
Viele Eltern, das zeigen immer wieder auch empirische Untersuchungen, loben die Arbeit der<br />
<strong>Grundschule</strong>. Und viele Eltern engagieren sich aktiv in Schulgremien und Fördervereinen,<br />
bei Klassenfahrten und Schulfesten, bei der Gestaltung des Schulgebäudes und bei anderen<br />
Gelegenheiten. »Dies ist ein Pfund«, heißt es im Editorial zu Heft 60, »mit dem wir in der<br />
<strong>Grundschule</strong> wohl noch mehr und selbstbewusster wuchern müssten: die Eltern als Bundesgenossen<br />
für eine kindgerechtere <strong>Grundschule</strong>.«<br />
»… kommen wir nun,<br />
liebe Eltern,<br />
zum gemeinsamen<br />
Vorhaben im kommenden<br />
Schuljahr«<br />
Mit Eltern die <strong>Grundschule</strong><br />
kindgerecht entwickeln<br />
aus Heft 67 (1999), S. 3 ff.<br />
Der Grundschulverband unterstützt<br />
Bemühungen der Zusammenarbeit von<br />
Eltern und Schulen. Damit wollen wir<br />
zugleich ein Signal für Entwicklungen<br />
im Grundschulschulbereich setzen –<br />
für Schulentwicklungen, die durch die<br />
Beteiligten selber vorangebracht werden:<br />
durch die Lehrkräfte und Schulleitungen,<br />
die Eltern und die Kinder.<br />
Im Mai 1998 trafen sich Eltern,<br />
Lehrkräfte, Schulleitungen von 14<br />
<strong>Grundschule</strong>n mit der Projektgruppe<br />
»Innovative <strong>Grundschule</strong>« des<br />
Grundschulverbandes. Ansätze und<br />
Konzepte, Erfahrungen und Wunschvorstellungen,<br />
Stolpersteine und Gelungenes<br />
kamen zur Sprache. Dabei<br />
wurde auch deutlich, dass die Möglichkeiten<br />
für Zusammenarbeit mit Eltern<br />
vielfältig sind. Wir fanden vier Schwerpunkte:<br />
Die Schule öffnen<br />
(…) Ein Beispiel:<br />
»Wir praktizieren seit 10 Jahren Gemeinsamen<br />
Unterricht. Wegen der unterschiedlichen<br />
Lernvoraussetzungen der<br />
Kinder waren wir als Kollegium bereit,<br />
uns auf neue Formen des Unterrichts einzulassen.<br />
Unter der Prämisse ›vom Kinde<br />
aus‹ entstand eine veränderte Einstellung<br />
zur Lehrer-Schüler-Rolle. Das Kind wurde<br />
in der Wahl der Unterrichtsinhalte mit<br />
einbezogen. Es sollte seinen Weg des Lernens<br />
mitbestimmen dürfen. Die Kinder<br />
teilten ihre Interessen mit, stellten ihre<br />
persönlichen Fragen zum Unterrichtsgegenstand,<br />
worüber sie gerne etwas im<br />
Unterricht erfahren wollten. Ferner beobachten<br />
wir die Kinder im Unterricht sehr<br />
genau und konnten so Rückschlüsse auf<br />
ihre Interessen und Neigungen ziehen.<br />
Um ihrer Unterschiedlichkeit und Individualität<br />
gerecht zu werden, boten wir<br />
offene Unterrichtsformen an, wie sie<br />
in der Literatur hinreichend beschrieben<br />
sind. So gehören Wochenplan und<br />
Freiarbeit, Stationenlernen und Werkstattunterricht<br />
zum täglichen Bild von<br />
Unterricht. Diese andere Form des Unterrichtens<br />
stellte hohe Anforderungen<br />
an die Arbeitskraft, die Fachkompetenz<br />
und den Zeitaufwand jedes Einzelnen.<br />
Schon bald entdeckten wir, wie hilfreich<br />
die Einbeziehung der Eltern in den Unterricht,<br />
die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen<br />
und Kollegen und die Nutzung<br />
außerschulischer Lernorte und Institutionen<br />
ist. So schenkten beispielweise Lesemütter<br />
unseren Kindern stets ein offenes<br />
Ohr, Väter lehrten unsere Kinder den Umgang<br />
mit dem Computer oder führten sie<br />
in die Kunst des ›Rappens‹ ein. Es entstand<br />
ein Schulchor, der bei der Aufnahme einer<br />
Live-CD einer bekannten Mundartgruppe<br />
mitwirkte. ›Fachleute‹ für Gartengestaltung<br />
planten gemeinsam mit Kindern<br />
und Lehrkräften einen Schulgarten.<br />
Mütter gestalteten mit ›Ehemaligen‹, die<br />
mittlerweile eine weiterführende Schule<br />
besuchten, ›lebendige‹ Tunnel und ein<br />
Wigwam aus Kopfweidenstecklingen.<br />
Eine Oma brachte den Schülerinnen und<br />
Schülern Aquarellmalerei bei. Es bildete<br />
sich ein Expertenteam zum Thema Wald,<br />
das für die Schüler und Schülerinnen der<br />
3. Klassen ein Quiz entwickelte mit Fragen<br />
zu Bäumen, Sträuchern, Tieren und<br />
Früchten des Waldes.«<br />
Im Unterricht<br />
miteinander arbeiten<br />
»Durch die Mitarbeit der Eltern haben<br />
sich Unterricht, die Lehrer selbst sowie<br />
die ganze Schule nachhaltig verändert.<br />
Die anfängliche Unsicherheit auf beiden<br />
Seiten, auch Misstrauen und Angst waren<br />
sehr schnell gewichen, und es stellten<br />
sich gegenseitiges Verständnis, Vertrauen<br />
und respektvolle Anerkennung ein.<br />
Man geht heute offener miteinander um,<br />
ist kritikfähiger geworden und ist beiderseits<br />
stolz auf die Schule, die Kinder in<br />
besonderer und vielfältiger Weise fördert<br />
und fordert.«<br />
Diese Darstellung einer Schule fasst<br />
treffend zusammen, was Zielsetzung<br />
beim Miteinander im Unterricht sein<br />
sollte. Dabei gilt: »Eltern in die Schulen<br />
holen heißt aber nicht, sie zur Arbeitserleichterung<br />
der Lehrer zu holen.<br />
Sondern es heißt: Verbindung zu ihnen<br />
finden, sie Schule als (auch) ihre Sache<br />
begreifen zu lassen, mit ihnen gemeinsam<br />
für die Kinder zu arbeiten«<br />
(Sennlaub, G.: Für und Wider Elternaussperrung<br />
in der <strong>Grundschule</strong>? in:<br />
Die <strong>Grundschule</strong> 7/1976, S. 392).<br />
Miteinander Erziehungs -<br />
konzepte entwickeln<br />
In allen Bundesländern regeln Gesetze<br />
und Verordnungen die Beteiligung der<br />
Eltern an schulischer Arbeit. Ihnen liegt<br />
der gemeinsame Erziehungsauftrag von<br />
Elternhaus und Schule zu Grunde. Doch<br />
wie sieht es mit der Umsetzung aus?<br />
14 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
OPORSTUVWXYZ<br />
■ Welche Auslöser, welche Anlässe<br />
gibt es, um erzieherische Fragen zum<br />
gemeinsamen Thema zu machen?<br />
■ Wie können Gespräche hierüber<br />
auch in gemeinsames, zumindest in<br />
miteinander abgestimmtes Handeln<br />
münden?<br />
■ Wie kann die Schule ihr erzieherisches<br />
Konzept verständlich machen?<br />
■ Wie können Lehrerinnen und Lehrer<br />
lernen, mit Eltern akzeptierend umzugehen?<br />
Bei der Fachtagung zeigte sich, dass<br />
jede Schule ihren eigenen Weg gefunden<br />
hatte.<br />
Ein Beispiel:<br />
»In der Projektgruppe entwickelten wir<br />
mit Eltern und Erzieherinnen Schwerpunkte<br />
unserer gemeinsamen Arbeit, die<br />
wir in einen umfangreichen Aktionsplan<br />
eingearbeitet haben.<br />
Dazu gehören in den folgenden<br />
Schuljahren konkret Gewaltprävention,<br />
Gesundheitserziehung (z. B. Vollwertkochkurse<br />
für alle Schuljahre),<br />
Selbstverteidigungskurse für Mädchen,<br />
Umwelterziehung (z. B. jährliche Reinigungsaktionen<br />
rund um die Schule), intensive,<br />
kontinuierliche Zusammenarbeit<br />
mit Kinderärzten und außerschulischen<br />
Institutionen. Dies sind unter anderem:<br />
Psychologische Beratungsstelle, Kinderschutzbund,<br />
Frauenbüro der Stadt, Kinderbeauftragte<br />
der Stadt, Naturschutzbehörde,<br />
Umweltamt.<br />
Kontakte zu diesen Institutionen oder<br />
Personen werden von einzelnen Mitgliedern<br />
/ Eltern der Projektgruppe hergestellt.<br />
Eine Vernetzung mit den anderen Projektgruppen<br />
an unserer Schule hat sich<br />
im Laufe der letzten Monate entwickelt.<br />
(…).«<br />
Die Schule gemeinsam entwickeln<br />
Die Mitwirkung der Eltern an der Entwicklung<br />
der Schule ist verfassungsrechtlich<br />
begründet. Gemäß Art. 7 Abs. 1<br />
des Grundgesetzes tritt zur Erziehung<br />
in der Familie der Bildungs- und Erziehungsauftrag<br />
der Schule hinzu. Dabei<br />
beachtet die Schule das in Art. 6 Abs. 2<br />
Grundgesetz niedergelegte Recht und<br />
die Pflicht der Eltern auf Pflege und<br />
Erziehung der Kinder. Elternhaus und<br />
Schule unterstützen sich somit gegenseitig<br />
in ihrem Erziehungs- und<br />
Bildungsauftrag. Schule gemeinsam<br />
entwickeln kann daher nicht heißen,<br />
Aufgaben der Schule auf die Eltern<br />
abzuwälzen und Bedarfslücken durch<br />
Elternmitarbeit zu schließen. Auch die<br />
Verantwortung für Unterricht und Gestaltung<br />
der Schule bleibt bei den Lehrerinnen<br />
und Lehrern, bei der Schule.<br />
Eltern haben ein Recht auf Mitwirkung;<br />
ihre Mitarbeit ist als Elternrecht zur<br />
Unterstützung der Arbeit der Schule<br />
zu verstehen. Art und Weise, wie dieses<br />
Recht wahrgenommen werden kann,<br />
ist abhängig von den Regelungen in<br />
den Bundesländern, der Ausgestaltung<br />
in jeder einzelnen Schule und vor allem<br />
auch von den Überzeugungen, wie<br />
Schule entwickelt werden soll.<br />
Schulprogramm als Chance<br />
Schulentwicklung heute wird vor allem<br />
als Entwicklung der einzelnen Schule<br />
gesehen. Es gehört zu einem wesentlichen<br />
Ergebnis der neueren Schulforschung,<br />
die einzelne Schule als Handlungseinheit<br />
zu betrachten, die der<br />
pädagogischen Gestaltung durch alle,<br />
die in ihr tätig sind, bedarf. Die Schule<br />
wird begriffen als eine sich selbst<br />
gestaltende Individualität, als verantwortliche<br />
Gestalterin ihrer Schulverhältnisse,<br />
Initiatorin von Reformen<br />
und Trägerin der Verantwortung für die<br />
Qualität. Schule gemeinsam zu gestalten<br />
wird so zur Herausforderung und<br />
zum Auftrag jeder einzelnen Schule.<br />
(…) Ein Schulprogramm soll der einzelnen<br />
Schule vor allem helfen, sich<br />
über die Grundlagen des Handelns,<br />
über gemeinsame Aufgaben und ihre<br />
Arbeitsverteilung zu verständigen.<br />
Schule als lernende Organisation plant<br />
selbständig die Qualität ihrer Arbeit,<br />
kontrolliert sie und schreibt sie fort.<br />
Die Kooperation und Zusammenarbeit<br />
aller Betroffenen (Kinder, Lehrkräfte,<br />
Eltern, Schulgemeinde) ist für die<br />
Entwicklung eines Schulprogrammes<br />
erforderlich. Hieraus ergeben sich viel-<br />
fältige Chancen für eine Mitarbeit und<br />
Mitwirkung von Eltern, ihre Schule gemeinsam<br />
zu entwickeln.<br />
Auch Eltern und<br />
Kinder hören!<br />
von Angelika Speck-Hamdan,<br />
Heft 70 (2000), S. 12<br />
In der Diskussion um die Qualität und<br />
damit auch das Ansehen von Schule<br />
werden zwei Gruppen relativ selten gehört:<br />
die Kinder und die Eltern. Dabei<br />
kann Schule ohne Kinder und Eltern gar<br />
nicht existieren. Auch ist eine vernünftige<br />
pädagogische Arbeit ohne ein konstruktives<br />
Zusammenwirken zwischen<br />
Schule und Elternhaus nicht zu leisten.<br />
(…)<br />
Eltern haben eine klare Vorstellung<br />
davon, was Schulen leisten sollen und<br />
was nicht in ihren Kompetenzbereich<br />
fällt. Die Schulen tun gut daran, sich<br />
beim Bemühen um Qualitätsentwicklung<br />
auch auf die Sicht der Eltern einzulassen.<br />
Es mag sein, dass einige Punkte<br />
erst einmal offen legen, dass und wo<br />
Diskussionsbedarf besteht. Doch genau<br />
damit fängt die Partnerschaft zwischen<br />
Eltern und Lehrer/innen an. (…)<br />
Bleibt zu wünschen, dass auch die<br />
Kinder und ihre Erwartungen künftig<br />
systematischer und gründlicher erfragt<br />
werden.<br />
Cartoons:<br />
Mario Urlaß<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />
15
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
ABCDEF GHIJKLMN<br />
… wie Fördern und Forschung<br />
Welches Förder-Verständnis brauchen wir und was heißt »fördern« in der schulischen Alltagspraxis<br />
genau? Ist Fördern eine Sondermaßnahme für Kinder mit Lerndefiziten oder meint<br />
»individuelle Förderung« nichts anderes als differenzierte Hilfen bei der Entwicklung jedes<br />
Kindes? Dies sind nach wie vor <strong>aktuell</strong>e Fragen, die sich aus der zunehmenden Heterogenität<br />
in Grundschulklassen ergeben haben, und die auch zentrale Fragen von Grundschulforschung<br />
sind. »Schulpraxis, Bildungspolitik und Forschung – das sind die drei Arbeitsschwerpunkte des<br />
Grundschulverbandes. Erst die Trias aus Praxis, Forschung und Politik gewährleistet in ihrer<br />
Verbindung miteinander die Stärkung und Weiterentwicklung der <strong>Grundschule</strong>«, heißt es im<br />
Editorial zu Heft 63 (1998).<br />
Was heißt: Fördern?<br />
von Karlheinz Burk,<br />
Heft 45 (1994), S. 1 ff.<br />
1. Fördern ist eine der zentralen Aufgaben<br />
der Institution Schule. Aus dem Verfassungsauftrag,<br />
jedes Kind in seinen<br />
Kräften und Fähigkeiten bestmöglich<br />
zu fördern, leitet sich der Rechtsanspruch<br />
auf ein alters- und entwicklungsgerechtes<br />
Bildungsangebot ab.<br />
Jeder Unterricht, jede Schulstufe, jede<br />
Schule ist somit »Förder-Unterricht«,<br />
»Förder-Stufe«, »Förder-Schule« bzw.<br />
hat den Auftrag, es zu werden.<br />
Mit einem solchen weiten Förderbegriff<br />
kann die Reduktion des Förderauftrags<br />
auf Förderunterricht bzw.<br />
auf spezielle Maßnahmen zur Beseitigung<br />
von Lernrückständen aufgebrochen<br />
werden.<br />
2. Angesichts der hohen Heterogenität<br />
einer Schulklasse kann der Anspruch<br />
eines jeden Kindes auf Förderung<br />
seiner Anlagen, Begabungen und Neigungen<br />
nur eingelöst werden, wenn<br />
der Grundsatz der Schule nicht lautet<br />
»Allen das Gleiche«, sondern »Jedem<br />
das Seine«. Mit anderen Worten: In<br />
der schulischen Arbeit ist zu berücksichtigen,<br />
dass Kinder unterschiedlich<br />
lernen, dass sie unterschiedlich viel<br />
lernen, tun und erledigen können, dass<br />
sie das, was sie in der Schule tun, sehr<br />
verschieden erleben und verarbeiten,<br />
dass sie gleiche Ziele zu verschiedenen<br />
Zeitpunkten erreichen, dass die einen<br />
mehr, die anderen weniger der Hilfe<br />
bedürfen.<br />
3. Der Anspruch eines jeden Kindes<br />
auf Förderung wird in der <strong>Grundschule</strong><br />
nicht durch Individualisierungskonzepte<br />
eingelöst, sondern jedes Kind<br />
soll mit anderen Kindern zusammen und<br />
auch durch sie gefordert und gefördert<br />
werden.<br />
Nicht der Einzelunterricht oder das<br />
vom Lehrer für jeden Schüler entwickelte<br />
eigene Lernprogramm bilden<br />
das anzustrebende Ideal, sondern Fördern<br />
in der <strong>Grundschule</strong> beinhaltet immer<br />
auch soziales Lernen, Lernen von<br />
und mit anderen Kindern. Erfolgreiche<br />
Förderung des Kindes ist somit nicht<br />
(allein) ein Ergebnis der optimalen Passung<br />
zwischen Kind und Lernziel bzw.<br />
Lerngegenstand, sondern (auch) Ergebnis<br />
sozialer Interaktion.<br />
Da es Homogenität in einer Gruppe<br />
im Grunde nicht gibt, gilt es, Heterogenität<br />
zu bejahen und als Chance für<br />
einen förderlichen Unterricht zu begreifen.<br />
4. Fördern heißt vor allem auch, Kinder<br />
zu stärken, ihnen Mut zu machen,<br />
ihr Selbstwertgefühl und ihr Selbstvertrauen,<br />
ihre Leistungsfreude und ihren<br />
Leistungswillen zu stärken. Eine auf<br />
Funktionstraining verengte Sichtweise<br />
übersieht die Ganzheitlichkeit des<br />
kindlichen Lernens und die kindliche<br />
Entwicklung, übersieht leicht die Grenze<br />
des schulischen Bemühens und akzeptiert<br />
nicht, den Anspruch des Kindes<br />
auf individuelle Entwicklung sowie<br />
sein Recht, so zu sein wie es ist.<br />
Hieraus folgt, dass die <strong>Grundschule</strong><br />
jedem Kind ausreichende Möglichkeiten<br />
geben muss, Selbstvertrauen zu<br />
gewinnen und Leistungsbereitschaft<br />
zu entwickeln. Dies gelingt nur, wenn<br />
jedes Kind die Chance hat, sich selbst<br />
in den schulischen Alltag einzubringen.<br />
Förderunterricht –<br />
mehr als NachhilIfe<br />
Förderunterricht als schulische Sonderveranstaltung<br />
basiert in vielfacher<br />
Hinsicht auf fragwürdigen Prämissen:<br />
■ Die mit den Programmen kompensatorischer<br />
Erziehung im Vor- und<br />
Grundschulalter verbundene Hoffnung,<br />
gleiche Startchancen oder sogar<br />
reale Gleichheit herstellen zu können,<br />
haben sich nicht erfüllt.<br />
Die prägende Wirkung der Lebensverhältnisse,<br />
der familialen, biographischen<br />
und soziokulturellen Erfahrungen sowie<br />
die anthropogenen Voraussetzungen<br />
sind nicht durch Schule überwindbar.<br />
Homogenität in der Schulklasse – eine<br />
durch die jahrgangsbezogene Einschulung<br />
geförderte gefährliche Illusion<br />
– wird auch nicht bei Ausbau des Förderunterrichts<br />
hergestellt.<br />
■ Förderkinder bleiben meist Förderkinder!<br />
Die mehrjährige besondere<br />
Zuwendung kann zu einer »gelernten<br />
Hilflosigkeit« (Seligmann) führen, da<br />
die Fähigkeiten des Kindes, sich aktiv<br />
mit den Lerninhalten auseinanderzusetzen,<br />
schwindet, und sich die Abhängigkeit<br />
von fremder Hilfe vergrößert .<br />
■ Förderunterricht beachtet häufig zu<br />
wenig, wie Kinder lernen. Wird Lernen<br />
als ein aktiver Aneignungsprozess des<br />
Kindes verstanden, in dem das Kind<br />
eigene Lerninteressen entwickeln,<br />
einbringen und verfolgen sowie seine<br />
Lernprozesse selbst kontrollieren kann<br />
(im Sinne Piagets »Das Kind ist Agent<br />
seiner eigenen Entwicklung«), dann<br />
finden Kinder selbst eigene Lernwege<br />
und Aneignungsformen, sie differenzieren<br />
selbst, wenn sie dazu die Chance<br />
in einem offenen Unterrichtskonzept<br />
erhalten.<br />
■ Förderung durch Aufteilung der Kinder<br />
auf vermeintliche homogene Lerngruppen<br />
kann nur als zeitlich befristete<br />
Maßnahme hilfreich sein. Problematisch<br />
wird sie, wenn Förderunterricht für einige<br />
Kinder zu einer Dauereinrichtung<br />
oder zu einem ei-genen Fach mit eigener<br />
Lehrerin wird und die Schüler gegebenenfalls<br />
noch dadurch von freien<br />
Angeboten der Schule (Arbeitsgemein-<br />
16 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
OPORSTUVWXYZ<br />
schaften, Spielkreise) ausgeschlossen<br />
werden. Dann kann Förderunterricht<br />
demotivieren und schwächen.<br />
Förderunterricht als Sondermaßnahme<br />
muss sich im Kontext des gegenwärtigen<br />
Selbstverständnisses der<br />
<strong>Grundschule</strong> legitimieren.<br />
Forschung für die<br />
<strong>Grundschule</strong><br />
von Angelika Speck-Hamdan,<br />
Heft 59 (1997), S. 2<br />
Die (Grundschul-)Forschung bezieht<br />
ihre Fragestellungen im Bereich der<br />
Grundschulpädagogik und -didaktik<br />
nicht nur aus der Theorie, sondern<br />
auch aus dem Anwendungsfeld. Das<br />
Problem der zunehmenden Heterogenität<br />
in unseren Grundschulklassen<br />
zum Beispiel ist in erster Linie durch<br />
gesellschaftliche Veränderungen hervorgerufen<br />
worden. Die Kindheitsforschung<br />
hat sich der Erklärung dieses<br />
Veränderungsprozesses und seiner<br />
Auswirkungen auf Kinder angenommen.<br />
(…) Die Grundschulpädagogik<br />
und -didaktik hat als Konsequenz daraus<br />
für die Organisation schulischer<br />
Lehr-Lern-Prozesse Konzepte offener<br />
Formen des Unterrichts entwickelt.<br />
Der Heterogenität der kindlichen Lernausgangslagen<br />
soll eine Vielfalt von<br />
Lernangeboten gegenübergestellt werden.<br />
Wie aber kann dies genau bewerkstelligt<br />
werden? Wie müssen Lernumgebungen<br />
gestaltet werden, dass problemlösendes<br />
und kreatives Lernen<br />
gefordert ist? (…) Wie kann gesichert<br />
werden, dass alle Kinder die ihnen<br />
zugedachten Angebote effektiv nutzen<br />
können? Profitieren vielleicht doch nur<br />
die, die ohnehin Startvorteile hatten?<br />
(…) Welche Rolle spielen soziale Prozesse<br />
beim Lernen? Wie werden Lehrerinnen<br />
und Lehrer zu Lernbegleitern<br />
bzw. Lernhelfern?<br />
Diese und viele andere Fragen sind<br />
heute noch nicht ausreichend beantwortet.<br />
Die Forschung ist dabei, ihnen<br />
auf den Grund zu gehen. (…) Der<br />
Grundschulverband will sich (…) für<br />
Cartoon: Ute Winter<br />
eine stärkere Beachtung grundschulpädagogischer<br />
Forschung einsetzen.<br />
Wir denken dabei beispielsweise an die<br />
Vergabe von Anerkennungspreisen für<br />
richtungweisende Forschungen, aber<br />
auch an die Intensivierung des Dialogs<br />
zwischen Wissenschaft und Praxis<br />
über Fachtagungen. In unseren Veröffentlichungen<br />
soll sich dieses Interesse<br />
sichtbar niederschlagen.<br />
Im forschenden Blick:<br />
die lernenden Kinder<br />
von Friederike Heinzel,<br />
Heft 91 (2005), S. 2<br />
Seit der Herausbildung einer eigenständigen<br />
empirischen Grundschulforschung<br />
in Westdeutschland sind<br />
inzwischen über 25 Jahre vergangen.<br />
Im Jahr 2000 wurde aus der »Arbeitsgruppe<br />
Grundschulforschung« die<br />
Kom mission »Grundschulforschung<br />
und Pädagogik der Primarstufe« in der<br />
Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft<br />
(DGfE). (…) Inzwischen<br />
hat sich die Grundschulforschung also<br />
etabliert.<br />
Die Notwendigkeit einer eigenen<br />
Grundschulforschung ergibt sich aus<br />
der Besonderheit der Schulform: ihrer<br />
grundlegenden Aufgabe, der Heterogenität<br />
der Schülerschaft und den Anforderungen<br />
der Schuleingangs- und<br />
Alterstufe.<br />
Es gibt eine Vielzahl von Untersuchungen,<br />
die im Bereich der genannten<br />
Schwerpunkte der Grundschulforschung<br />
entstanden sind und Interesse<br />
wecken sollten.<br />
Insgesamt empfehle ich nicht nur<br />
die quantitativen Untersuchungen zur<br />
Kenntnis zu nehmen, sondern auch<br />
Fallstudien oder Mikrostudien, die auf<br />
Beobachtungen aus dem Schulalltag<br />
beruhen oder in denen Unterrichtsprotokolle<br />
interpretiert werden. Gerade für<br />
grundschulpädagogische Forschung<br />
ist die Nähe zur Praxis kennzeichnend<br />
und nicht selten wird dann mit qualitativen<br />
Daten gearbeitet. Auch die Perspektiven<br />
des lernenden Kindes oder<br />
kinderkulturelle Erfahrungen in der<br />
Schule lassen sich besser mit qualitativen<br />
Zugängen erfassen.<br />
Die Rezeption von Beobachtungsoder<br />
Fallstudien kann dazu beitragen,<br />
dass die Komplexität des Lehrerhandeln<br />
und Widersprüche im Schulalltag<br />
besser verstanden werden können und<br />
sich der eigene Blick schärft für den<br />
Sinn von Ordnungen, Regeln und Ritualen<br />
im Schulalltag, für die Bedeutung<br />
der Sozialbeziehungen der Kinder oder<br />
das kollektive Fabrizieren von Antworten<br />
im Unterricht. Solche Studien geben<br />
einen Einblick in andere Klassenzimmer,<br />
können durch die Übertragung<br />
auf eigene Entscheidungssituationen<br />
Spielräume erweitern und die eigenen<br />
Möglichkeiten zu reflektiertem Unterrichtshandeln<br />
ausbauen.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />
17
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
ABCDEFG HIJKLMN<br />
… wie Ganztag und Gerechtigkeit<br />
»Ganztagsschule« – das Thema hat Konjunktur und wird von vielen Eltern, Pädagogen,<br />
Bildungsplanern und Politikern als Problemlöser für das als desolat empfundene Schulwesen<br />
angesehen. Inzwischen scheint jedes Reformvorhaben im Schulbereich mit dem<br />
Thema Ganztagsschule verbunden zu werden und die Lösung für fast alle Probleme des<br />
Bildungswesens durch die Einrichtung von Ganztagsschulen erreichbar. So wird dann<br />
suggeriert, die Ganztagsschule sei eine Antwort auf gesellschaftliche Fragen, z. B. auf<br />
die große Frage nach Gerechtigkeit im Bildungswesen allgemein und für Grundschulkinder<br />
im Besonderen.<br />
<strong>Grundschule</strong> auf dem Weg zum<br />
ganztägigen Lebens- und Lernort<br />
von Karlheinz Burk und Heike Deckert-Peaceman, Heft 94 (2006), S. 3 ff.<br />
Kann die Ganztagsschule die vielfältigen<br />
Erwartungen, reformpädagogischen<br />
Hoffnungen und Wünsche<br />
erfüllen? Skepsis stellt sich ein schon<br />
angesichts der personellen Minimalversorgung<br />
an <strong>Grundschule</strong>n.<br />
Aber der Hinweis auf die Umsetzungsprobleme<br />
und die ungelöste<br />
(vielleicht auch unlösbare) Ressourcenfrage<br />
genügt nicht. In Frage zu stellen<br />
sind auch die überhohen Erwartungen<br />
selbst, die mit dem Konzept der Ganztagsschule<br />
verbunden werden. Anders<br />
gesagt: Es bedarf einer grundschulpädagogischen<br />
Verortung der Ganztagsschulthematik,<br />
um Chancen und Grenzen<br />
der Ganztagsgrundschule schon<br />
im Konzept deutlich zu markieren.<br />
Ganztagsschule als Familienersatz<br />
(…) Soll die Schule nur einen Beitrag<br />
zur Bewältigung des Betreuungsproblems<br />
leisten oder soll sie Aufgaben<br />
übernehmen, die seither den<br />
Familien zugeschrieben wurden? Die<br />
Ganztagsschulmodelle von der »Unterrichtsschule<br />
plus Betreuung« bzw.<br />
von der »Stundenschule plus Suppenküche«,<br />
wie Spötter sagen, bis zur gebundenen<br />
Ganztagsgrundschule von<br />
8 – 17 Uhr bieten hier für die Erwartungen<br />
unterschiedliche Realisierungsmöglichkeiten.<br />
Der Grundschulverband<br />
nimmt hier eine moderate Position ein<br />
und fordert für alle Kinder Bildungszeit<br />
von 30 Zeitstunden pro Woche.<br />
Ganztagsschule als »Lebensort«<br />
In der reformpädagogischen Bewegung<br />
um 1900 wird immer wieder die<br />
Abschaffung der alten Buchschule mit<br />
ihren portionierten Lektionen und ihrer<br />
rezeptiven Lernweise gefordert. (…) In<br />
der Ganztagsschuldebatte findet sich<br />
diese Polarisierung wieder: Die Unterrichtsschule,<br />
die ihre Inhalte in Lektionen<br />
im 45-Minuten-Takt den Kindern<br />
zu vermitteln sucht und die Ganztagsschule,<br />
die nicht nur Unterrichtsstätte,<br />
sondern auch Lebens- und Lernort<br />
gleichzeitig sein will. Mit der Formel<br />
»Schule soll mehr sein als Unterricht«<br />
kann ein breiter Konsens gestiftet<br />
werden. Doch was dieses Mehr konkret<br />
heißt, bleibt umstritten. Je nachdem,<br />
wie dieses »Mehr« definiert wird,<br />
kommt es zu einem anderen Ganztagschulkonzept.<br />
Mehr Zeit für eine neue Lernkultur<br />
Unterricht und Leben sollen miteinander<br />
verknüpft werden und eine Einheit<br />
bilden. Diese Erwartungen sind nicht<br />
bzw. nur begrenzt zu erfüllen. (…) Die<br />
Ganztagsschule (…) kann eine Lernkultur<br />
entwickeln, in der immer auch ein<br />
an den Wissenschaften orientierter<br />
Unterricht und ein an Lebensfragen<br />
und -problemen orientierter Unterricht<br />
gleichermaßen Berücksichtigung<br />
finden.<br />
Mehr Zeit für einen kindgerechteren<br />
Umgang mit der Zeit<br />
Die Vorstellung, dass Kinder länger am<br />
Tag als bisher in der Schule bleiben sollen,<br />
löst unterschiedliche Emotionen<br />
und Reaktionen aus – bei Lehrern und<br />
Eltern, aber vor allem auch bei Kindern.<br />
Soll diese Schule, wie wir sie kennen,<br />
zeitlich verlängert werden? (…) Mehr<br />
Zeit in der Schule bedeutet nicht die<br />
quantitative Ausweitung von herkömmlichem<br />
Unterricht, sondern die<br />
Schule soll einen anderen Umgang mit<br />
Zeit entwickeln: Kinder in deutschen<br />
Schulen leiden gerade darunter, dass<br />
alles sehr schnell gehen muss, gemeinsames<br />
Spielen kaum möglich ist und<br />
soziale Interaktion nur begrenzt stattfinden<br />
kann. (…)<br />
Mehr Zeit für die Beziehungen<br />
zwischen den Menschen<br />
Die Beziehungen zwischen Kindern<br />
und Kindern, zwischen Kindern und<br />
Erwachsenen bestimmen wesentlich<br />
Qualität und Wirksamkeit von Bildungs-<br />
und Erziehungsprozessen. Die<br />
Ganztagsschule bietet gerade besondere<br />
Chancen und Möglichkeiten. Sie<br />
kann eine Vielfalt an Beziehungen eröffnen<br />
und deren Qualität fördern oder<br />
trotz eines »Mehr an Zeit« begrenzen<br />
bzw. beeinträchtigen.<br />
Die längere Verweildauer sowie die<br />
anderen Aktivitäten, beispielsweise<br />
Mittagessen, Spielpausen und Arbeitsgemeinschaften,<br />
geben Kindern neue<br />
schulische Gelegenheiten für den Kontakt<br />
mit Gleichaltrigen. (…) Nur wenn<br />
der Tagesablauf genügend Frei-Zeiten<br />
und Frei-Räume für weitgehend selbstbestimmte<br />
Interaktionen erlaubt,<br />
kann die Ganztagsschule annähernd<br />
vermeintliche Erfahrungsdefizite kompensieren.<br />
(…)<br />
Die Bedeutung des Raums<br />
(…) Räume bedeuten mehr als ihre unmittelbare<br />
Funktion. (…) Priorität in der<br />
Raumgestaltung von Ganztagsschulen<br />
haben zunächst die funktionsgerechte<br />
und hygienischen Standards entsprechende<br />
Küche sowie der Speiseraum.<br />
Daran schließt sich die Ausstattung<br />
weiterer Funktionsräume an, beispiels-<br />
18 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
OPORSTUVWXYZ<br />
weise mit »pädagogisch wertvollem<br />
Lern- und Spielmaterial«. Kinder nutzen<br />
solche Angebote, jedoch suchen<br />
sie in der Ganztagsschule auch Nischen<br />
und Grauzonen wie Flure, Kellerecken,<br />
Vorräume, den Platz unter der Treppe.<br />
Räume, die noch nicht durchorganisiert<br />
sind, die Schutz, Rückzug sowie<br />
die Gestaltung einer eigenen Welt bieten,<br />
in der sie ungestört gemeinschaftliche<br />
Erfahrungen machen können.<br />
Ähnliches gilt für das Außengelände,<br />
dessen Bedeutung bei ganztägigem<br />
Aufenthalt in der Schule zunimmt.<br />
Bildungsgerechtigkeit<br />
für Grundschulkinder!<br />
von Horst Bartnitzky,<br />
Heft 73 (2002), S. 2<br />
Nun innoviert mal schön!<br />
Keiner anderen Schulform wurde und<br />
wird von der Schulpolitik so viel an Innovation<br />
aufgetragen: die Erweiterung<br />
der täglichen Schulzeit (…), die Integration<br />
behinderter Kinder in den gemeinsamen<br />
Unterricht, ein weiteres sprachliches<br />
Schulfach, zumeist Englisch …<br />
Hinzu kommen neue Anforderungen<br />
und Aufgaben für alle Schulformen<br />
wie verstärkte Schulprogramm-Arbeit,<br />
größere Eigenständigkeit der Schulen<br />
(Beispiel: Budgetierung), Lernen mit<br />
neuen Medien, Aufgaben, die wiederum<br />
für die <strong>Grundschule</strong> besonders<br />
arbeitsaufwändig sind. Denn die <strong>Grundschule</strong>n<br />
sind kleine Systeme mit wenigen<br />
Lehrkräften und Schulleitungen<br />
mit wenig Unterrichtsentlastungen<br />
– was an großen Systemen auf viele<br />
Schultern verteilt werden kann, muss<br />
hier von wenigen getragen werden.<br />
Keine andere Schulform hat zudem<br />
so viel an selbst gewollten Innovationen<br />
aufzuweisen: innere Differenzierung<br />
als pädagogischer Königsweg;<br />
neue Unterrichtsformen, die Kinder<br />
selbstständiger werden lassen wie<br />
freie Arbeit oder Werkstattarbeit; Umsetzung<br />
neuer didaktischer Konzepte<br />
wie Spracherfahrungsansatz, Schreibkonferenzen,<br />
Klassenrat und vieles<br />
andere mehr. Diese Innovationen<br />
werden allgemein anerkannt: Andere<br />
Schulformen gucken zunehmend<br />
von der <strong>Grundschule</strong> als didaktischem<br />
Vorreiter ab. Und die Zufriedenheit der<br />
Eltern mit der <strong>Grundschule</strong> ist nach<br />
den regelmäßigen Umfragen des Dortmunder<br />
Instituts für Schulentwicklung<br />
erheblich höher als für alle anderen<br />
Schulformen.<br />
»Die <strong>Grundschule</strong>n<br />
stehen im Schatten«<br />
Man sollte denken, dass der <strong>Grundschule</strong><br />
deshalb nicht nur höchstes Lob,<br />
sondern auch besondere schulpolitische<br />
und schulfinanzielle Zuwendung<br />
gilt. Genau dies geschieht nicht. Im<br />
Gegenteil. Deprimierend ist die finanzielle<br />
Betrachtung: »Die <strong>Grundschule</strong>n<br />
stehen im Schatten«, so titelte der<br />
Tagesspiegel, als im Mai 2000 die letzten<br />
OECD-Vergleichszahlen bekannt<br />
wurden. Im Vergleich der 29 wichtigsten<br />
Industrienationen ist die <strong>Grundschule</strong><br />
weit abgehängt: Im Durchschnitt der<br />
Länder kommen 17,1 Kinder auf eine<br />
Lehrkraft, in Deutschland sind es 21,6.<br />
Im Durchschnitt der Länder werden<br />
für ein Grundschulkind 3 851 US-Dollar,<br />
kaufkraftbereinigt, ausgegeben, in<br />
Deutschland sind es nur 3 490 Dollar.<br />
Dieser Geiz ist für eine der reichsten<br />
Industrienationen blamabel. Und er ist<br />
skandalös: er drückt die Vernachlässigung<br />
der Kinder in unserem Lande aus<br />
und entlarvt die Rede vom hohen Wert<br />
der Bildung am Wirtschaftsstandort<br />
Deutschland zumindest für die <strong>Grundschule</strong><br />
als Gerede.<br />
Noch deprimierender wird die Analyse,<br />
wenn man die Aufwendungen für<br />
die Schulstufen miteinander vergleicht.<br />
Da wird deutlich, was im Schulbereich<br />
gehätschelt wird: die gymnasiale Oberstufe.<br />
Hier liegt Deutschland in seinen<br />
Zuwendungen an der Spitze der<br />
Industrienationen. Im innerdeutschen<br />
Vergleich wird für einen Schüler der<br />
Oberstufe viermal so viel ausgegeben<br />
wie für ein Grundschulkind. Nicht, dass<br />
den Gymnasien diese üppigen Zuwendungen<br />
zu missgönnen wären, aber die<br />
Relationen stimmen nicht:<br />
■ Die größten Zuwendungen müssten<br />
dorthin, wo Kinder grundständig in<br />
systematisches Lernen eingeführt<br />
werden, wo die ersten tragfähigen<br />
Grundlagen für alles weitere Lernen<br />
vermittelt werden.<br />
■ Die größten Zuwendungen müssten<br />
dorthin, wo die politisch gewollt größten<br />
Aufgaben geschultert werden müssen.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />
19
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
ABCDEFGH IJKLMN<br />
… wie Heterogenität<br />
Kinder sind verschieden in vielerlei Hinsicht. Welche<br />
Konsequenzen für die Schule hat die Verschiedenheit?<br />
Der Grundschulverband hat hierzu immer schon klare<br />
Positionen bezogen – schulpraktisch: die Vielfalt respektieren,<br />
als Chance für einen anregenden Unterricht<br />
nutzen, individuelle Leistungen würdigen; schulorganisatorisch:<br />
Kinder nicht aussondern, Kinder länger<br />
gemeinsam lernen lassen. Das Generalthema Heterogenität<br />
zieht sich, ausgesprochen oder nicht, durch fast<br />
alle Hefte unserer Zeitschrift und wirkt bei fast allen<br />
Buchstaben dieses Heftes mit.<br />
Vielfalt und Gemeinsamkeit<br />
von Johannes Rau, als Grußwort<br />
des Bundespräsidenten, anlässlich des<br />
Bundesgrundschulkongresses am<br />
1./2. Oktober 1999, Heft 68 (1999), S. 4 f.<br />
Sie haben für Ihren Kongress ein wichtiges<br />
Thema gewählt: Vielfalt und Gemeinsamkeit<br />
in ihrem Zusammenwirken:<br />
■ Die Vielfalt fördern und erhalten,<br />
ohne dabei gemeinsames Handeln<br />
unmöglich zu machen;<br />
■ Gemeinsam handeln, ohne dass darunter<br />
die Vielfalt leidet.<br />
Beides zusammen zu bringen, halte ich<br />
für eine unserer wichtigsten Zukunftsaufgaben.<br />
Erst der Zusammenklang von Vielfalt<br />
und Gemeinsamkeit verhindert<br />
individualistischen Egoismus auf der<br />
einen und gleichmachenden Kollektivismus<br />
auf der anderen Seite.<br />
Sie formulieren diese Aufgabe für<br />
die Eingangsstufe unseres Bildungssystems,<br />
die <strong>Grundschule</strong>. Hier gilt<br />
sie in besonderer Weise, ist doch die<br />
<strong>Grundschule</strong> die gemeinsame Schule<br />
der Kinder eines Wohnbezirks. In<br />
jeder Grundschulklasse spiegelt sich<br />
die Vielfalt der Menschen und ihrer<br />
Lebenslagen in der Nachbarschaft:<br />
Kinder mit und ohne Behinderungen,<br />
Kinder deutscher und ausländischer<br />
Herkunft, geborgene und ungeborgene<br />
Kinder, Kinder, denen das Lernen nur so<br />
zufliegt, und Kinder, die schwer lernen<br />
oder die sich nur wenig zutrauen. Allen<br />
diesen Kindern muss die <strong>Grundschule</strong><br />
Mut zum Lernen machen und ihnen zu<br />
Könnenserfahrungen und zu Selbstbewusstsein<br />
verhelfen.<br />
Zugleich muss die <strong>Grundschule</strong> die<br />
Kinder, die ja in diesem Alter in besonderer<br />
Weise noch auf sich fixiert sind,<br />
für die anderen Kinder öffnen, so dass<br />
sie das Anderssein akzeptieren. Mehr<br />
noch: die Kinder sollen lernen, ihr gemeinsames<br />
Leben in der Klasse und<br />
Schule zu gestalten und ein Stück mitzuverantworten.<br />
Schule kann damit für<br />
die Kinder ein täglich erfahrbares Modell<br />
für ein tolerantes und gemeinsam<br />
verantwortetes Gemeinwesen werden.<br />
Vor diesem Hintergrund erhalten<br />
<strong>aktuell</strong>e bildungspolitische Themen<br />
ihre angemessene pädagogische Einordnung.<br />
Ich denke hier auch an den<br />
Leistungsaspekt. Natürlich muss die<br />
Leistungsfähigkeit aller Kinder das Ziel<br />
sein, so dass sie in den nachfolgenden<br />
Schulen erfolgreich weiterlernen können.<br />
Aber Kinder entwickeln ihre Leistungsfähigkeit<br />
in der <strong>Grundschule</strong> auf<br />
unterschiedlichem Niveau.<br />
Mit einheitlichen Anforderungen an<br />
alle tun wir Kindern unrecht, weil die<br />
einen hoffnungslos ins Hintertreffen<br />
gerieten und damit mutlos würden,<br />
während andere ihren Erfolg sozusagen<br />
»mit links« erlangten und damit<br />
ihre Kräfte zu wenig entwickelten. Wir<br />
müssen die Vielfalt auch hier akzeptieren,<br />
nur dann werden wir z. B. den<br />
Hochbegabten wie den schwächer Begabten<br />
gerecht. …<br />
Der Grundschulverband hat in<br />
den dreißig Jahren seines Bestehens<br />
wichtige Anregungen zur Weiterentwicklung<br />
der <strong>Grundschule</strong> gegeben.<br />
Sie haben dazu beigetragen, dass die<br />
<strong>Grundschule</strong> zu einem Modellfall für<br />
Schulreform überhaupt geworden ist.<br />
…<br />
In der Vielfalt<br />
das einigende Band<br />
von Ulf Preuss-Lausitz,<br />
Heft 48 (1994), S. 3 f.<br />
Der vor einigen Jahren bei manchen<br />
verbreitete Glaube, die innere Differenzierung<br />
des Grundschulunterricht<br />
sei der einzige Königsweg zur kindgerechten<br />
Leistungsschule, muss ergänzt<br />
werden. Heute mehr denn je ist die<br />
Pädagogik der Vielfalt in der Gemeinsamkeit<br />
zu entwickeln. Gemeinsam<br />
zuhören, singen, miteinander reden,<br />
sich die Arbeitsergebnisse vortragen<br />
und besprechen, die Woche planen<br />
und kritisieren; das gemeinsame<br />
10-Minuten-Rechnen (mit durchaus<br />
niveauunterschiedlichen Aufgaben),<br />
die gleichzeitige kurze Übung der<br />
Stille, das Betrachten eines Films.<br />
Der Morgenkreis kann, in diesem<br />
Sinne verstanden, zu einem didaktischen<br />
Element werden, wo alle Kinder<br />
erleben, wie viel sie doch miteinander<br />
gemein haben an Fragen, Wünschen,<br />
an Ängsten, an Wissbegier, und wie<br />
manches eben unterschiedlich bleibt.<br />
Vor einigen Wochen erlebte ich den<br />
Montag-Morgenkreis mit den Erlebnissen<br />
des Wochenendes, nachdem einige<br />
selbstgewählte Lieder gesungen und<br />
mit Gestik begleitet wurden. Die aufgeregte<br />
Geschichte eines Mädchens<br />
und zweier Jungen, die auf dem Hof<br />
eine »Matschsuppe« aus Schlamm und<br />
20 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
OPORSTUVWXYZ<br />
lebendigen Regenwürmern bereitet<br />
und dabei einen Wurm zerschnitten<br />
hatten, führte erst einmal zu ähnlichen<br />
Geschichten anderer Kinder, dann zu<br />
der neugierigen, völlig ohne moralisches<br />
Entsetzen vorgetragenen Frage,<br />
ob zertrennte Regenwürmer Schmerz<br />
erleiden, warum sie weiterleben, wenn<br />
man sie trennt, warum Erwachsene<br />
sie für das Fischen verwenden dürfen,<br />
kurzum es war eine Viertelstunde in<br />
Ethik und Demokratie. Demokratie<br />
deshalb, weil die erzählenden Kinder<br />
dieser ersten Klasse die Gesprächsleitung<br />
innehatten und niemand – auch<br />
die Lehrerin nicht – ohne Aufforderung,<br />
ohne Melden sprechen durfte. Alle kamen<br />
dran, und die Kollegin hielt nicht<br />
mit ihrer Meinung hinter dem Berg,<br />
ohne zu verurteilen.<br />
Es war eigenartig, aber der einzige<br />
Junge, der sich erfolgreich weigerte,<br />
im Morgenkreis zu sitzen und lieber<br />
in einem Buch weitermalte, hielt inne,<br />
hörte aus der Ferne zu und wollte am<br />
Schluss einmal alles über Regenwürmer<br />
vortragen. Er musste versprechen,<br />
keinen zu töten oder zu zerteilen. Er<br />
galt als verhaltensauffällig. Er blieb an<br />
diesem Morgen auffallend eifrig.<br />
Der Karawaneneffekt<br />
von Hans Brügelmann,<br />
Heft 84 (2003), S. 24 f.<br />
In dem Forschungsbeitrag von Hans<br />
Brügelmann, Universität Siegen, wird<br />
von einer Leseuntersuchung berichtet,<br />
bei der über 18 000 Kinder der Klassen 2<br />
bis 4 mit dem Stolperwörter-Lesetest auf<br />
ihre Lesefähigkeit hin getestet wurden. In<br />
der Auswertung geht es auch um die Frage,<br />
inwieweit die besonders schwachen<br />
Leser in der Grundschulzeit Fortschritte<br />
machen.<br />
Alle Gruppen machen Fortschritte und<br />
proportional am stärksten die unteren<br />
Leistungsgruppen. Aus der Perspektive<br />
der einzelnen Lehrperson »bleiben<br />
die Schwachen schwach«. Durch den<br />
Vergleich allein mit der Bezugsgruppe,<br />
die sich ja auch weiter entwickelt, werden<br />
aber die individuellen Fortschritte<br />
unterbewertet. Das nennen wir den<br />
»Karawanen-Effekt« des Lernens in<br />
Klassen. Die unteren 5 % oder 15 %<br />
einer Gruppe sind definitionsgemäß<br />
immer schlechter als der Durchschnitt.<br />
Mit der Fixierung des Blicks auf ihren<br />
Platz in der Bezugsgrupope wird aber<br />
übersehen, dass alle SchülerInnen von<br />
Jahr zu Jahr Fortschritte machen. Pädagogisch<br />
gesehen sind die Fortschritte<br />
jeder Teilgruppe bedeutsamer als die<br />
Abstände innerhalb der Gesamtgruppe.<br />
Konkret: Wer in der vierten Klasse<br />
auf Prozentrang 15 pro Minute 5.2 Sätze<br />
schafft, hat sich gegenüber Klasse 2<br />
um 3.4 Sätze verbessert. Sein Abstand<br />
zum Durchschnitt beträgt aber nur 2.9<br />
Sätze.<br />
Bei einer Karawane verwundert es<br />
niemanden, wenn der, der zuletzt auf<br />
die Reise gegangen ist, auch als letzter<br />
ankommt. Bedeutsamer ist der Weg,<br />
den die Karawane als Ganze geschafft<br />
hat.<br />
Man muss bedenken, dass sich<br />
schon Schulanfänger in ihren schriftsprachlichen<br />
Voraussetzungen bis zu<br />
drei, vier Jahren durchschnittlicher Entwicklung<br />
unterscheiden. Dann überrascht<br />
der Unterschied von rund drei<br />
Entwicklungsjahren in der Leistung<br />
eines Viertklässlers auf Prozentrang 10<br />
(4.9 Sätze pro Minuten; korrigiert um<br />
die Abgänge: 4.0) und einem auf Prozentrang<br />
90 (11.7 pro Minute) nicht.<br />
Mehr getan werden muss auf jeden Fall<br />
für die leistungsschwächsten 5 – 10 %<br />
– aber was? …<br />
Die zentrale Frage ist, was wir unter<br />
»Förderung« verstehen, insbesondere<br />
ob das im Anfangsunterricht und<br />
in der Sonderpädagogik immer noch<br />
verbreitete Teilleistungskonzept eine<br />
Überwindung oder gar Vermeidung ihrer<br />
Schwierigkeiten verspricht. Unsere<br />
Erfahrungen sprechen eher dafür, dass<br />
eine frühe und selbstständige Beschäftigung<br />
mit anspruchsvollen Texten<br />
auch für diese Kinder förderlicher ist<br />
(vgl. Konzepte wie »Lesewelt Schule«<br />
und »freies Schreiben eigener Texte<br />
von Anfang an«). …<br />
Insbesondere die massiven Leistungsunterschiede<br />
schon in Klasse 2<br />
erfordern von Anfang an in der Gestaltung<br />
des Unterrichts Raum für Aktivitäten<br />
und Aufgaben auf ganz unterschiedlichen<br />
Niveaus.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />
21
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
ABCDEFGHIJKLMN<br />
… wie IGLU und Inklusion<br />
Als »Die Bessermacher« bezeichnete eine große deutsche Tageszeitung die<br />
deutschen Grundschullehrer/innen, nachdem die Ergebnisse der »Internationalen<br />
Grundschul-Lese-Untersuchung« bekannt geworden waren. Ein weiterer Beleg<br />
dafür, dass die <strong>Grundschule</strong> am weitesten fortgeschritten ist auf dem Weg zu<br />
einer Schule, die niemanden ausschließt: zur »inklusiven Schule«.<br />
IGLU: Höchste Zeit<br />
zum Umdenken!<br />
Presseerklärung des Grundschulverbandes,<br />
Heft 83 (2003), S. 15<br />
»Nun ist es amtlich: Nicht die <strong>Grundschule</strong>n,<br />
sondern die Sekundarschulen<br />
sind der Sanierungsfall.« So resümierte<br />
Horst Bartnitzky, Vorsitzender des<br />
Grundschulverbandes, die IGLU-Ergebnisse.<br />
Alle Kultusministerien hatten<br />
nach dem PISA-Debakel, bei dem<br />
15-Jährige getestet worden waren, die<br />
<strong>Grundschule</strong>n und Kindergärten als<br />
die Sündenböcke ausfindig gemacht<br />
und mit hektischen Maßnahmen reagiert.<br />
»Wer sich an der Hand verwundet<br />
hat, wird sich nicht den Fuß verbinden.«<br />
So hatte schon damals der<br />
Grundschulverband diese Absurdität<br />
bewertet.<br />
Modellfall <strong>Grundschule</strong>:<br />
Sie zeigt, wie das deutsche Schulwesen<br />
umgestaltet werden muss<br />
Nun ist zu hoffen, dass endlich die richtigen<br />
Schlüsse gezogen werden. Denn<br />
die Erkenntnisse von PISA bis IGLU<br />
widerlegen viele bisherige Annah -<br />
men:<br />
■ Die so oft gescholtene »Kuschelpädagogik«<br />
der <strong>Grundschule</strong> erweist sich<br />
als leistungsfähiger als der an Test- und<br />
Klausurenterminen orientierte Unterricht<br />
in der Sekundarstufe. Man lernt<br />
eben besser, wenn man sich wohlfühlt<br />
und gerne lernt.<br />
■ Die <strong>Grundschule</strong> ist die Schulform<br />
mit den meisten Erfahrungen an differenzierter<br />
Förderung, an problemlösendem<br />
und an mitbestimmtem<br />
Lernen der Kinder. Genau dies ist ihr<br />
Erfolgskonzept. Deshalb liegen, wie<br />
IGLU beweist, die Leistungen der<br />
Grundschulkinder viel näher zusammen<br />
als die der 15-Jährigen. Damit ist<br />
die <strong>Grundschule</strong> ein Lernmodell für die<br />
weiterführenden Schulen und nicht<br />
umgekehrt.<br />
■ Gerade das erfolgreiche Schulsystem<br />
<strong>Grundschule</strong> hat in Deutschland<br />
die wenigsten Schuljahre. Alle in der<br />
Bildung erfolgreichen Länder haben<br />
eine gemeinsame Schulzeit von 6 bis<br />
zu 9 Jahren. Alles spricht dafür, dass das<br />
gemeinsame Lernen ohne Auslese auf<br />
verschiedene Schulformen länger als<br />
4 Jahre dauern muss. »Gemeinsames<br />
Lernen bis ans Ende der Pflichtschulzeit«,<br />
so eine Forderung des Grundschulverbandes.<br />
Sich herantrauen an<br />
Integration?<br />
von Hermann Schwarz,<br />
Heft 32 (1990), S. 6<br />
Kolleginnen und Kollegen mit Ängsten<br />
und Vorbehalten gegenüber Integration<br />
fragen sich, ob und wie sie mit<br />
Kindergruppen zurechtkommen würden,<br />
deren Unterschiedlichkeit größer<br />
ist als die schon bisher meist sehr unterschiedliche<br />
Grundschulklasse; sie<br />
zweifeln daran, ob es genügend Hilfen<br />
geben wird, der neuen Situation zu<br />
entsprechen; und sie sind unsicher, ob<br />
kooperativer Unterricht ihnen tatsächliche<br />
Vorteile bringt.<br />
Ich kann lediglich raten, solchen<br />
eigenen Ängsten mit Rationalität zu<br />
begegnen und Vorbehalte sorgfältig zu<br />
prüfen. (…) Meine Einschätzung dazu,<br />
die ich auf Aussagen einer großen Zahl<br />
von Experten stütze, ist:<br />
■ Gemeinsames Leben und Lernen<br />
Behinderter und Nichtbehinderter<br />
ist ethisch, pädagogisch und gesellschaftspolitisch<br />
geboten.<br />
■ Es ist belegt, dass Integration in der<br />
<strong>Grundschule</strong> bei Bestehen situationsangemessener<br />
Bedingungen gut gelingen<br />
kann.<br />
■ Integrationsarbeit belebt den<br />
Grundschulunterricht zugunsten des<br />
Lernens und Leistens aller Kinder.<br />
■ Wegen tiefgreifender Veränderung<br />
der heranwachsenden Kindergeneration<br />
werden ohnehin alle <strong>Grundschule</strong>n<br />
– unabhängig davon, ob und in<br />
welchem Maße sie bereits Behinderte<br />
einbeziehen – sehr bald nach pädagogischen<br />
Konzepten arbeiten müssen,<br />
in denen integrative und differenzierende<br />
Unterrichtsformen weit stärker<br />
betont werden müssen als bisher.<br />
■ Da man den Eltern behinderter Kinder<br />
ein Recht auf Nicht-Aussonderung<br />
ihrer Kinder nicht lange mehr wird verweigern<br />
können, gibt es für die <strong>Grundschule</strong><br />
kein Ausweichen.<br />
Überzeugtsein von Richtigkeit und<br />
Notwendigkeit der Sache wäre also<br />
eine der Voraussetzungen dafür, sich<br />
an sie heranzutrauen. (…) Mich haben<br />
Berichte von Kolleginnen und Kollegen<br />
22 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
OPORSTUVWXYZ<br />
aus integrativen Klassen und Einblicke<br />
in deren Arbeit stark beeindruckt und<br />
sicher gemacht, dass die <strong>Grundschule</strong><br />
mit der Bemühung um Ausweitung der<br />
Integration auf richtigem Wege ist.<br />
Verbunden mit der Erfahrung, dass<br />
man sich als Unterrichtender handelnd<br />
allmählich in Neues einarbeiten kann,<br />
führen Beratungsgespräche über die<br />
Praxis integrativer Grundschulpädagogik<br />
– so hoffe ich – bei möglichst<br />
vielen Kolleginnen und Kollegen zu der<br />
Selbsteinschätzung: »Das werde ich<br />
auch können.«<br />
Dies wäre zudem insofern realistisch,<br />
als auch Integrationsarbeit keine<br />
Perfektion erfordert und – im Unterschied<br />
zur bisherigen Berufstätigkeit<br />
– in einem sich einander helfenden und<br />
einander weiterbringenden Team zu<br />
leisten ist.<br />
»Inklusive Schule«<br />
von Reinhard Stähling,<br />
Heft 97 (2007), S. 11 ff.*<br />
Wie müsste eine allgemeine Schule, ein<br />
»Haus des Lernens« beschaffen sein,<br />
wenn sie Uwe, Mike und Susan (deren<br />
Lebensumstände zuvor geschildert wurden,<br />
Red.) zum Schulabschluss bringen<br />
könnte? Was hätten Uwe, Mike und<br />
Susan gebraucht, um sich trotz ihres<br />
belasteten privaten Lebens positiv<br />
entwickeln zu können? Unter welchen<br />
schulischen Bedingungen hätten sie<br />
im Unterricht Fortschritte erzielt und<br />
ein verantwortungsbewusstes Leben<br />
lernen können?<br />
(…) Eine Schule, die dies leisten kann,<br />
sagt nicht: »Du gehörst hier nicht hin!«<br />
Jeder ist willkommen, der in der Nähe<br />
wohnt: Inklusive die »Schwachen«,<br />
»Schwierigen«, »Hochbegabten«, »Behinderten«<br />
oder »Roma«.<br />
Eine solche humane oder »inklusive«<br />
Schule hat folgende Qualitätsmerkmale:<br />
1. Aufsuchende Elternarbeit als fester<br />
Bestandteil des Schulkonzepts: Unterstützt<br />
und in enger Kooperation mit<br />
Schulsozialarbeitern und Jugendhilfe<br />
bekommen Uwes Eltern (und die Eltern<br />
von Susan und Mike) Hilfe.<br />
2. Effiziente Klassenführung als Faktor<br />
der Unterrichtsqualität. Kennzeichen:<br />
■ Regelsystem, das mit Uwe und seinen<br />
Mitschülern gemeinsam im Klassenrat<br />
erarbeitet wird.<br />
■ Konsequente Reaktionen auf Regelverstöße<br />
im Sinne der Klassenrats-<br />
Verabredungen: Uwes Verhalten ist<br />
niemandem gleichgültig, er spürt<br />
umgehend die Konsequenzen seines<br />
Handelns.<br />
■ Transparente Unterrichtsorganisation:<br />
Uwe, Susan und Mike können<br />
genau einschätzen, was von ihnen verlangt<br />
wird und welche Aufgaben auf<br />
sie zukommen. Sie können mitreden<br />
und mitbestimmen.<br />
■ Zusammengehörigkeitsgefühl:<br />
Uwe, Susan und Mike werden ermutigt,<br />
aktive Beiträge zur Klassengemeinschaft<br />
zu leisten.<br />
3. Ganztägige Erziehung, in der Uwe,<br />
Mike und Susan stabile Strukturen für<br />
ihre Entwicklung und verlässliche Bezugspersonen<br />
finden.<br />
4. Kinder mit besonderem Förderbedarf<br />
in jede Klasse, ohne dass sie als<br />
»Sonderschüler« etikettiert werden<br />
(Inklusion).<br />
5. »Multiprofessionelle Teams« in jeder<br />
Klasse: Klassenlehrer, Fachlehrer,<br />
Sonderpädagogen sind gemeinsam für<br />
alle Kinder zuständig. Uwe kann weder<br />
abgewiesen, noch ausgesondert werden<br />
(Inklusion). Als Stützmaßnahme<br />
für das Team ist externe Supervision<br />
erforderlich.<br />
6. Eine einheitliche Schule von der<br />
Vorschule bis zur zehnten bzw. dreizehnten<br />
Klasse ohne Schulwechsel.<br />
Weil er in der Einrichtung bleibt, können<br />
Fördermaßnahmen und Kontakte<br />
ohne Unterbrechung fortgeführt werden.<br />
Heterogene und altersgemischte<br />
Klassen verzichten auf das Sitzenbleiben<br />
und bieten somit Uwe zusätzliche<br />
Chancen, sich in einer stabilen Gruppe<br />
zu erleben.<br />
Es gibt und gab eine Reihe reformpädagogischer<br />
Schulen oder Tagesheime,<br />
die viele dieser Qualitätsmerkmale<br />
erfüllen. Inklusive Schulen können<br />
»Treibhäuser der Zukunft« (Reinhard<br />
Kahl) sein. Verhaltensauffällige Kinder<br />
in allgemeine Schulen zu integrieren<br />
gilt heute unter Sonderpädagogen als<br />
sehr schwierig. 31 000 Schüler besuchen<br />
entsprechende Sonderschulen.<br />
Trotz-dem gehen solche Kinder nicht<br />
überall in Sondereinrichtungen. Auch<br />
in Deutschland werden 12 000 Schüler<br />
mit sonderpädagogischem Förderbedarf<br />
im Bereich »Emotionale und soziale<br />
Entwicklung« in allgemeinen Schulen<br />
integriert. Erfolge sind empirisch<br />
belegt.<br />
Fast 30 000 Schüler mit »Lernbehinderungen«<br />
lernen im Gemeinsamen<br />
Unterricht. Ausländische Schüler werden<br />
anteilmäßig häufiger als deutsche<br />
mit dem Etikett »lernbehindert« eingestuft.<br />
Wie ratlos und überfordert das<br />
deutsche Schulwesen ist, wird daran<br />
deutlich, wie unterschiedlich die einzelnen<br />
Bundesländer auf Folgen von<br />
Kinderarmut reagieren.<br />
So gehen »erziehungsschwierige«<br />
Kinder in Hamburg zu <strong>100</strong> % in die<br />
Allgemeinen Schulen, während sie in<br />
Rheinland-Pfalz zu <strong>100</strong> % in der Sonderschule<br />
lernen. Sachlogische und fachliche<br />
Gründe bestimmen offensichtlich<br />
nicht den Förderort. In einigen Bundesländern<br />
werden kaum ausländische<br />
Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf<br />
in allgemeinen Schulen integriert,<br />
sondern diese Benachteiligten<br />
gehen fast alle in Sonderschulen. Anderswo<br />
ist es umgekehrt, sie besuchen<br />
mehrheitlich die allgemeinen Schulen.<br />
Wer weitere deutsche Kuriositäten<br />
dieser Art sucht, dem empfehle ich die<br />
Lektüre der KMK-Statistik (www.kmk.<br />
org).<br />
An den Kindern kann es nicht liegen!<br />
Wie lange können und müssen sich die<br />
vielen verantwortungsbewussten und<br />
engagierten Grundschulkolleg/innen<br />
noch an diesem Aussonderungssystem<br />
beteiligen?<br />
* aus dem Beitrag » ›An den Kindern kann<br />
es nicht liegen!‹ – Über die Aussonderung der<br />
Armen in Deutschland«<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />
23
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
ABCDEFGHIJ KLMN<br />
… wie jahrgangs -<br />
übergreifend unterrichten<br />
Jahrzehntelang war fast alles in der Schule auf die Jahrgangsklasse abgestellt:<br />
Lehrpläne und Schulbücher, Lehrerausbildung und schulische Arbeit, Unterrichtsplanung<br />
und Leistungs messung, Lehrerversorgung und Schulausstattung. Dass die<br />
überkommene Jahrgangsklasse einer sich in Konzeption und Struktur ändernden<br />
<strong>Grundschule</strong> nicht mehr gerecht wird, wurde im Grundschulverband schon vor einem<br />
Dutzend Jahren problematisiert. Die anhaltende Diskussion um die Neugestaltung<br />
der Schuleingangsstufe gibt diesem Thema <strong>aktuell</strong>e Brisanz.<br />
Lernen in jahrgangsübergreifenden<br />
Gruppen<br />
von Karlheinz Burk,<br />
Heft 60 (1997), S. 3 ff.<br />
(…) Bis in das 19. Jahrhundert ist das<br />
Alter der Schüler und die Dauer ihres<br />
Verbleibs auf einer bestimmten Lehrgangsstufe<br />
belanglos. Das Lehrpensum<br />
wird in Abschnitte zerlegt Schritt<br />
für Schritt einer unterstellten sachimmanenten<br />
Schlüssigkeit folgend<br />
vermittelt. Ist ein Abschnitt durchlaufen,<br />
kommt der Schüler in die nächste<br />
Stufe, bis er den Abschluss (die Prima)<br />
erreicht hat.<br />
Werden die Abschnitte und Stufungen<br />
des Lehrstoffs als Jahrespensum<br />
for muliert und mit der Einschulung<br />
nach Altersjahrgängen verknüpft, ergibt<br />
sich das uns heute so selbstverständlich<br />
erscheinende Konzept der<br />
Jahrgangsklasse mit dem jährlichen<br />
Aufrücken / Versetzen bzw. der Nichtversetzung<br />
oder Einweisung in eine<br />
Sondereinrichtung, wenn das altersbezogene<br />
Pensum nicht bewältigt wurde.<br />
In allen Ländern mit Schulpflicht<br />
für alle Kinder setzte sich die Organisation<br />
nach Jahrgangsklassen durch,<br />
basierend auf der pädagogischen Überzeugung,<br />
dass prinzipiell alle Kinder<br />
eines Jahrgangs gemeinsam gefördert<br />
werden können, wenn sich Aufbau und<br />
Abfolge des Unterrichts an dem Leistungsvermögen<br />
eines durchschnittlichen<br />
Schülers dieser Altersstufe orientieren.<br />
Angesichts des »Sitzenbleiberelends«<br />
konstatiert schon Peter Petersen<br />
in den 20er Jahren »den Bankrott<br />
des Jahres-Klassensystems« und fordert,<br />
Kindergruppen zu bilden, in denen<br />
soziales Leben in seiner Vielgestaltigkeit<br />
ermöglicht wird.<br />
Ingenkamp beklagt (1969), dass<br />
durch die Organisationsform der Jahrgangsklasse<br />
»die natürliche Variationsbreite<br />
der Leistungsfähigkeit innerhalb<br />
eines Jahrgangs weitgehend übersehen<br />
wird« (S. 273).<br />
Die Hoffnung, altersgleiche Kinder<br />
gleichzeitig durch einen kleinschrittigen<br />
Unterricht zum gleichen Ziel<br />
zu bringen, ist gescheitert. Die Heterogenität<br />
schon der Jahrgangsklasse<br />
verlangt einen binnendifferenzierten<br />
Unterricht, offenere Unterrichtsformen<br />
mit veränderten Zeit-, Raum- und<br />
Handlungsstrukturen.<br />
Doch die Not der Lehrerinnen und<br />
Lehrer sowie die Diskrepanz von (vermeintlichem)<br />
Vermittlungsauftrag und<br />
den unterschiedlichen Lebenswelten<br />
der Kinder heute wird immer sichtbarer<br />
und findet sich in solchen Sätzen wie:<br />
»Bei diesen Leistungsunterschieden ist<br />
kein geordneter Unterricht mehr möglich!«<br />
– »Mit dieser Klasse schaffe ich<br />
das Pensum nie!« – »Die Kinder heute<br />
können sich nicht mehr auf die gestellten<br />
Aufgaben konzentrieren!« Der Anteil<br />
der Kinder, die sich ohne Probleme<br />
auf den traditionellen lehrerzentrierten<br />
Unterricht einstellen können, scheint<br />
immer kleiner zu werden. Mehr und<br />
mehr Kinder zeigen sich überfordert;<br />
Disziplinprobleme sind die Folge.<br />
Je mehr die Unterschiedlichkeit der<br />
Kinder wächst, desto illusorischer wird<br />
auch bei erhöhter Anstrengung, zusätzlichen<br />
Ressourcen oder kleineren<br />
homogeneren Gruppen die Hoffnung,<br />
ein Konzept erfolgreich realisieren zu<br />
können, das auf Homogenität aufbaut.<br />
Das Prinzip der Jahrgangsklassen<br />
fördert die Fiktion einer relativ homogenen<br />
Lerngruppe. Kinder, die zu weit<br />
von der mittleren Norm abweichen,<br />
werden am Schulanfang in präventiver<br />
Absicht zurückgestellt oder bleiben<br />
innerhalb der Schulzeit sitzen oder<br />
werden einer Sonderschule zugeführt.<br />
Um die Fiktion der relativ homogenen<br />
Lerngruppe zu erhalten, wird das Prinzip<br />
der Jahrgangsklasse eingeschränkt<br />
und es werden Klassen gebildet, die<br />
Kinder mit einem Entwicklungsstand<br />
und einer Leistungsfähigkeit erfassen<br />
sollen, die gleichschrittiges Vorgehen<br />
ermöglichen.<br />
<strong>Grundschule</strong> heute wendet sich<br />
mehr und mehr gegen Aussonderungen.<br />
Sie stellt sich die Aufgabe, Kinder<br />
mit unterschiedlichen Begabungen,<br />
Neigungen und Fähigkeiten, mit unterschiedlicher<br />
sozialer und kultureller<br />
Herkunft individuell im gemeinsamen<br />
Leben und Lernen zu fördern. Die Förderung<br />
sog. hochbegabter bis zur<br />
Integration lernbeeinträchtigter oder<br />
entwicklungsverzögerter Kinder macht<br />
die Spannweite der Grundschularbeit<br />
deutlich und verlangt eine Abkehr von<br />
den Prämissen, auf denen das Prinzip<br />
der Jahrgangsklasse beruht.<br />
Vor allem die Veränderung der<br />
Kindheit verändert den Anspruch an<br />
die Schule; sie soll zum Ort der Begegnung,<br />
Lebens- und Lernstätte werden.<br />
Arbeit in jahrgangsübergreifenden<br />
Gruppen bietet besondere Chancen<br />
für die soziale Erprobung sowie für die<br />
Entwicklung sozialer Kompetenz.<br />
Aus dem Auftrag der <strong>Grundschule</strong>,<br />
gemeinsame Schule für alle Kinder zu<br />
sein, ergibt sich eine besondere Verpflichtung,<br />
eine »Pädagogik der Vielfalt<br />
in der Gemeinsamkeit« (Preuss-Lausitz)<br />
zu entwickeln und einen Unterricht<br />
zu gestalten, der jedem Kind das<br />
Recht und die Chance auf »eigentümliche«<br />
(Schleiermacher) Entwicklung<br />
24 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
OPORSTUVWXYZ<br />
einräumt; dies beinhaltet, das Kind als<br />
Person, als ein im Kern unverfügbares<br />
Wesen zu achten.<br />
Lernen in altersgemischten<br />
Gruppen steht gleichwertig neben<br />
dem Lernen in Jahrgangsklassen<br />
Jahrgangsübergreifende Gruppenbildungen<br />
schaffen spezifische Chancen,<br />
um die erzieherischen, didaktischen<br />
und schulorganisatorischen Aufgaben<br />
der <strong>Grundschule</strong> zu bewältigen.<br />
In vielen Bundesländern wird daher<br />
die Offenheit im Hinblick auf die adäquate<br />
Organisationsform Jahrgangsklasse<br />
und / oder jahrgangsübergreifende<br />
Gruppen in einem rechtlichen<br />
Rahmen abgesichert. So heißt es z. B.<br />
in der Verordnung für Ausgestaltung<br />
der <strong>Grundschule</strong> des Hessischen Kultusministeriums<br />
vom 23. August 1995:<br />
»Der Unterricht wird in jahrgangsbezogenen<br />
oder jahrgangsübergreifenden<br />
Lerngruppen erteilt.«<br />
Damit wird jahrgangsübergreifende<br />
Gruppenbildung zu einer Anfrage, die<br />
im schuleigenen Konzept, im Schulprogramm<br />
einer Schule zu beantworten<br />
ist.<br />
Mit Jahrgangsmischung individuelle Chancen nutzen<br />
und Benach teiligungen mindern<br />
1993 begannen in Bremen zwei Regelgrundschulen<br />
mit der jahrgangsübergreifenden<br />
Arbeit. (…) Für uns in<br />
der Schule am Pfälzer Weg in Tenever,<br />
dem sozial am stärksten belasteten<br />
Stadtgebiet Bremens, sollte das neue<br />
Konzept für den Schulanfang und die<br />
ersten Schuljahre verhindern, dass<br />
– wie bei der Einschulung in ein traditionelles<br />
Jahrgangsklassensystem –<br />
ausgerechnet den Kindern, die ohnehin<br />
Probleme haben, durch organisatorische<br />
(selektierende) Maßnahmen<br />
zusätzliche Störungen zugemutet werden.<br />
(…)<br />
Erfahrungen nach<br />
12 Jahren Altersmischung<br />
Die nachfolgend beschriebenen Effekte<br />
waren zum Teil erst nach mehreren<br />
Jahren zu spüren: pädagogische Veränderungen<br />
benötigen Zeit, um wirken zu<br />
können.<br />
Die wesentlichen Erfahrungen sind:<br />
■ Die Einschulung in eine jahrgangsübergreifende<br />
Gruppe verändert den<br />
von Maresi Lassek,<br />
Heft 93 (2006), S. 9 ff.<br />
Schulanfang. Die neuen Kinder beginnen in einer Gruppe, die<br />
Arbeitsformen, Gruppenregeln, das Miteinanderumgehen<br />
und Miteinanderkommunizieren vorlebt. Da jüngere Kinder<br />
bestrebt sind, es den älteren gleich zu tun (Anerkennung der<br />
Altershierarchie), übernehmen sie vieles durch Nachahmen.<br />
■ Vergleichsituationen und Beurteilungen erlangen weniger<br />
Bedeutung. Kinder erleben von Anfang an, dass sie unterschiedlich<br />
sind und Unterschiedliches leisten. Es entwickelt<br />
sich mehr Toleranz, das Lernklima wird entspannter.<br />
■ Die Rollenfindung am Schulanfang ist entlastet, da die<br />
Rollen der »Gro ßen« feststehen. Nach einem Jahr rücken<br />
die jüngeren Kinder auf, ihre Position innerhalb der Gruppe<br />
verändert sich »automatisch«, das gilt auch für Kinder mit<br />
Problemen. (…) Jedes Kind entwickelt sich vom unerfahrenen<br />
zum erfahrenen und kann andere unterstützen.<br />
■ Das soziale Lernen wird durch den Umgang mit älteren<br />
und jüngeren Kindern erweitert, Verhaltens- und Disziplinprobleme<br />
verringern sich. Ein Effekt, der im übrigen auch im<br />
Schulklima zu spüren ist. (…)<br />
■ Die Lehrkraft hat viele Helfer (erfahrene Kinder können<br />
unterstützen, erklären usw.), allerdings muss Helfen gelernt<br />
werden.<br />
■ Die Kinder, die ein drittes Jahr in der altersgemischten<br />
Gruppe verbleiben, entwickeln sich deutlich positiver im<br />
Vergleich zu Kindern, die früher eine Vorklasse besucht oder<br />
eine Klasse wiederholt haben.<br />
■ Schnell lernende Kinder müssen nicht »gebremst« werden.<br />
Herausforderungen auf ihrem Niveau fordern sie, weniger<br />
Störungen sind die Folge. Im Ausnahmefall kann ein Kind<br />
nach einem Jahr in die 3. Klasse übergehen. (…)<br />
■ Lehrkräfte müssen sich beim Einstieg in die Altersmischung<br />
auf eine erhöhte Arbeitsbelastung einstellen. Entlastung<br />
lässt sich schaffen durch Teamarbeit, durch Arbeitsteilung<br />
sowie durch eine veränderte Arbeits organisation.<br />
(…)<br />
■ Bei der Veränderung des Unterrichts ist der entscheidende<br />
und schwierige Schritt die Öffnung. Die Alters -<br />
mischung liefert den »zwingenden« Rahmen für deren<br />
konsequente Um setzung. Im Übrigen wechseln im<br />
Unterricht gemeinsame und individuelle Phasen, zentrierte<br />
und selbstbestimmte Anteile, Arbeit in den<br />
Lernmaterialien, Projektarbeit usw. ab. Der Unterricht<br />
wird weitgehend fächer übergreifend und projektbezogen<br />
gestaltet. Ziel ist, die Entwicklung von selbstständigem<br />
und selbstverantwortlichem Lernen und Arbeiten<br />
zu unter stützen. (…)<br />
■ Die Bedeutung der Entwicklung stabiler Grundlagen für<br />
das Lernen gehört zu den wichtigen Erfahrungen. Nicht die<br />
Menge des durchgenommenen Stoffes ist entscheidend,<br />
sondern der Umstand, ob das einzelne Kind auf dem Gelernten<br />
aufbauen kann. (…)<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />
25
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
ABCDEFGHIJK LMN<br />
… wie Kinderrechte<br />
»2,62 € am Tag – genug fürs Leben?«, fragten wir im Editorial zu Heft 94. Um das »Armutszeugnis<br />
Kinderarmut« ging es da, nach wie vor viel mehr als nur ein Randphänomen in diesem<br />
Land. Mit einem »7-Punkte-Aktionsprogramm« wandte sich der Grundschulverband an die<br />
Öffentlichkeit – als Anwalt der Kinder und ihrer Rechte. Engagement für Kinderrechte – nicht<br />
nur in unserem Land –, das ist eine gute Tradition unseres Verbandes von Anfang an: Belegt<br />
z. B. auch durch das Projekt »Eine Welt in der Schule«, das im Internationalen Jahr des Kindes<br />
(1979) seinen Anfang nahm.<br />
Kinderleben in dieser Welt –<br />
Kinder leben in dieser Welt<br />
von Lilli Roffmann,<br />
Heft 76 (2001), S. 2<br />
Ich schreibe diesen Tagebuch-Beitrag<br />
unter dem Eindruck des entsetzlichen<br />
Geschehens vom 11. September – jenes<br />
Geschehens, das so viel Leid über<br />
unzählige Menschen gebracht, das so<br />
viele sicher geglaubte Gegebenheiten<br />
und Gewissheiten auf den Kopf gestellt<br />
und das unendlich viele Fragen aufgeworfen<br />
und (…) Ängste ausgelöst hat …<br />
Mir geht durch den Kopf, dass auch<br />
Kinder mit den <strong>aktuell</strong>en Informationen<br />
und Eindrücken fertig werden und sich<br />
in ihrer Welt orientieren müssen; und<br />
ich frage mich, ob sie zu Hause und<br />
in der Schule die für sie notwendigen<br />
Menschen haben, zu denen sie mit<br />
ihren Fragen und auch Ängsten gehen<br />
können: Eltern, Großeltern, Lehrerinnen<br />
und Lehrer, die vor der schwierigen<br />
Aufgabe stehen, Antworten zu<br />
geben, Ängste zu mindern und Mut<br />
und Vertrauen in die Zukunft zu vermitteln<br />
… Während ich meine Gedanken<br />
niederschreibe, sollten weltweit<br />
eigentlich die letzten Vorbereitungen<br />
für den nach 1990 zweiten Weltkindergipfel<br />
der Vereinten Nationen laufen,<br />
der vom 19. bis 21. September in New<br />
York stattfinden sollte. Zu diesem Gipfel<br />
wollten sich Staats- und Regierungschefs<br />
aus aller Welt treffen, um unter<br />
Beteiligung von ebenfalls eingeladenen<br />
Kindern und Jugendlichen gemeinsam<br />
daran (weiter) zu arbeiten, die Welt<br />
kinderfreundlicher zu gestalten und<br />
die in der UN-Kinderkonvention vom<br />
20. 11. 1989 formulierten Rechte des<br />
Kindes umzusetzen.<br />
Kinder äußern ihre Meinung<br />
Im Vorfeld des Weltkindergipfels und<br />
zu seiner Vorbereitung führte das UN-<br />
Kinderhilfswerk UNICEF in 35 Staaten<br />
Europas und Zentralasiens eine repräsentative<br />
Meinungsumfrage unter<br />
mehr als 15 000 Kindern und Jugendlichen<br />
zwischen 9 und 17 Jahren durch.<br />
(…) Sie enthält – so meine ich – durchaus<br />
Ermutigendes, macht zugleich<br />
aber auch deutlich, dass es aus Sicht<br />
der befragten 9- bis 17-Jährigen Handlungsbedarf<br />
gibt, dem es sicher nicht<br />
nur auf der internationalen Ebene eines<br />
WeltkindergipfeIs zu entsprechen gilt,<br />
sondern auch und besonders auf der<br />
nationalen und auch lokalen Ebene<br />
– bis hinein in die ganz konkrete Situation<br />
der Kinder und Jugendlichen vor<br />
Ort: in ihrer Familie, ihrem Zuhause,<br />
ihrem Wohnort, ihrer Schulklasse, ihrer<br />
Schule …<br />
Interessant ist in diesem Zusammenhang<br />
ein weiteres Umfrage-Ergebnis.<br />
Gefragt, welcher Kinder-Rechte sie<br />
sich bewusst seien, nannten die Kinder<br />
und Jugendlichen mit deutlichem Abstand<br />
vor anderen Kinder-Rechten das<br />
in Artikel 28 der UN-Kinderkonvention<br />
festgeschriebene Recht auf Bildung<br />
(61 %).<br />
Wir alle sind gefordert: In der gemeinsamen<br />
Verantwortung für die<br />
Zukunft müssen wir uns täglich neu<br />
dafür einsetzen, mit Kindern die für<br />
sie bedeutsamen Gegenwarts- und Zukunftsfragen<br />
zu bearbeiten und sie darin<br />
zu unterstützen, mit ihren Lebensproblemen<br />
zurecht zu kommen und<br />
sich in der Welt zu orientieren – auch<br />
wenn diese Welt es ihnen (wie auch<br />
uns) manchmal sehr schwer macht.<br />
Bildungsgerechtigkeit –<br />
ein hohles Versprechen?<br />
von Angelika Speck-Hamdan,<br />
Heft 97 (2007), S. 6 ff.<br />
Der Artikel 26 der allgemeinen Menschenrechte,<br />
von der UN-Vollversammlung<br />
im Jahr 1948 verabschiedet,<br />
schreibt das Recht auf Bildung für jeden<br />
Menschen fest.<br />
Artikel 26<br />
1. Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung.<br />
Der Unterricht muss wenigstens<br />
in den Elementar- und <strong>Grundschule</strong>n<br />
unentgeltlich sein. Der Elementarunterricht<br />
ist obligatorisch. Fachlicher<br />
und beruflicher Unterricht soll allgemein<br />
zugänglich sein; die höheren<br />
Studien sollen allen nach Maßgabe<br />
ihrer Fähigkeiten und Leistungen in<br />
gleicher Weise offen stehen.<br />
2. Die Ausbildung soll die volle Entfaltung<br />
der menschlichen Persönlichkeit<br />
und die Stärkung der Achtung der<br />
Menschenrechte und Grundfreiheiten<br />
zum Ziele haben. Sie soll Verständnis,<br />
Duldsamkeit und Freundschaft<br />
zwischen allen Nationen und allen<br />
rassischen oder religiösen Gruppen<br />
fördern und die Tätigkeit der Vereinten<br />
Nationen zur Aufrechterhaltung<br />
des Friedens begünstigen.<br />
Dahinter steht die Überzeugung, dass<br />
Bildung ein unabdingbares Menschenrecht<br />
ist. Enthalten ist auch der Anspruch,<br />
dass jedem Kind und Jugendlichen<br />
eine seinen Fähigkeiten oder<br />
Begabungen entsprechende Bildung<br />
ermöglicht werden soll. (…)<br />
Welche Bildungsrisiken haben diejenigen<br />
Kinder und Jugendlichen zu<br />
tragen, die unter ungünstigen sozialen<br />
Bedingungen aufwachsen, die als arm<br />
zu bezeichnen sind? Von Armut betroffen<br />
zu sein, bedeutet für Kinder vor<br />
allem dreierlei: Einschränkung, Ausgrenzung,<br />
Belastung.<br />
Schule kann zur Quelle von Versagen<br />
werden, sie kann die sozialen Abwertungsprozesse<br />
verstärken und kann<br />
26 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
OPORSTUVWXYZ<br />
so zur Kumulation der belastenden<br />
Bedingungen beitragen. Schule kann<br />
aber auch zum Schutzfaktor werden.<br />
Konkret sollen im Folgenden sieben<br />
protektive Möglichkeiten aufgezeigt<br />
werden.<br />
Sieben Möglichkeiten<br />
1. Ausbau der (kostenfreien)<br />
vorschulischen Bildung<br />
Da sich Armutseffekte auf die Erfahrungs-<br />
und Lernmöglichkeiten nicht<br />
erst in der Schule zeigen, scheint es<br />
geboten, das Bildungsangebot bereits<br />
früher als bisher und kostenfrei zur<br />
Verfügung zu stellen. Ob ein verpflichtendes<br />
Jahr vor der Schule, wie es der<br />
Grundschulverband bisher fordert, die<br />
schwierige Aufgabe des Nachteilsausgleichs<br />
zumindest weitgehend leisten<br />
kann, sollte weiter untersucht werden.<br />
Es sollte ebenso überlegt werden, ob<br />
nicht durch die Kostenfreiheit vor allem<br />
auch jüngere Kinder in den Genuss erweiterter<br />
Entwicklungsmöglichkeiten<br />
kommen können.<br />
2. Ganztagsschule<br />
Die Ganztagsschule bietet ohne Zweifel<br />
hervorragende Möglichkeiten, die<br />
Erfahrungs- und Lernmöglichkeiten<br />
von armen Kindern zu erweitern und zu<br />
vertiefen (vgl. Band 122 des Grundschulverbandes).<br />
Ein breit gefächertes Angebot<br />
kann Interessen wecken, vielfältige<br />
Kompetenzerfahrungen ermöglichen<br />
und zudem einen geeigneten Rahmen<br />
für geteilte Erfahrungen und Kommunikationen<br />
schaffen. Dass außerdem<br />
die Ernährungssituation dadurch für<br />
viele Kinder verbessert werden kann,<br />
auch die Gesundheitsvorsorge einen<br />
festen Platz im Leben der Kinder erhält,<br />
sei nur am Rand erwähnt.<br />
3. Spezielle, individuell abgestimmte<br />
Förderangebote<br />
Die Einschränkungen des lebensweltlichen<br />
Horizonts machen sich u. a. in<br />
fehlenden Lernvoraussetzungen bemerkbar,<br />
was viele Lehrerinnen und<br />
Lehrer gerade im Hinblick auf die<br />
Sprache bestätigen. Vor allem in einer<br />
Schule mit mehr Zeit zum Lernen<br />
lassen sich vermehrt individuelle Förderangebote<br />
platzieren. Es ist anzunehmen,<br />
dass gerade Kinder, die wenig<br />
Lernerfahrungen haben, mehr auf die<br />
unterstützende Hilfe eines zuverlässigen<br />
Erwachsenen angewiesen sind.<br />
Die Devise muss lauten: Fördern statt<br />
Auslesen!<br />
4. Verzicht auf frühe Selektion<br />
Im Sinne dieser Devise ergibt sich als<br />
weitere protektive Möglichkeit der Verzicht<br />
auf die frühe und – wie gezeigt<br />
– durchaus nicht immer leistungsgerechte<br />
Auslese. Sie grenzt aus statt Zugehörigkeit<br />
zu schaffen. Sie verstärkt<br />
das wenig motivierende Gefühl des<br />
Versagens. Eine längere gemeinsame<br />
Schulzeit für alle Kinder bietet dagegen<br />
Gelegenheit, Entwicklungen Zeit<br />
zu geben und etwaige versäumte Lerngelegenheiten<br />
nachzuholen.<br />
5. Positives Klassenklima<br />
Der Ausgrenzung kann vor allem durch<br />
ein beschützendes und Sicherheit vermittelndes<br />
Klassenklima entgegengewirkt<br />
werden, das Diskriminierung<br />
ausschließt und vor allem auf einer<br />
Haltung des gegenseitigen Respekts<br />
und der gegenseitigen Achtung fußt.<br />
Auch dafür gibt es ausgezeichnete Beispiele.<br />
Gerade Kinder, die Ausgrenzung<br />
im Alltag oft genug erleben, an sich<br />
selbst, an ihrer Familie, an ihrer Wohngegend,<br />
sind äußerst empfindlich, was<br />
Anerkennung angeht. Schädlich ist es<br />
auch, wenn in der Klasse Misserfolge<br />
zu sehr öffentlich gemacht werden,<br />
Kinder also beschämenden Situationen<br />
ausgesetzt sind.<br />
6. Verzicht auf Noten<br />
Noten machen den sozialen Vergleich<br />
öffentlich. Sie schaden Kindern, die im<br />
Vergleich ständig schlecht abschneiden.<br />
Die Mechanismen des Zusammenhangs<br />
zwischen Selbstvertrauen und<br />
Leistungsfähigkeit sind hinlänglich<br />
bekannt. Kinder mit eingeschränkten<br />
Lerndispositionen werden zusätzlich<br />
behindert durch Vergleiche mit denen,<br />
die von völlig anderen Positionen aus<br />
gestartet sind. Wenn Noten schädlich<br />
sind, dann sind sie es für arme Kinder<br />
ganz besonders.<br />
7. Schaffung sozialer Netzwerke<br />
Die Schule allein ist möglicherweise<br />
mit der weit reichenden Aufgabe,<br />
Entwicklungs- und Bildungsrisiken zu<br />
entschärfen oder abzupuffern, überfordert,<br />
zumal die familiäre Situation<br />
von ihr nicht zu ändern ist. Es ist daher<br />
ein viel versprechender Ansatz, um<br />
Kinder in Armutslagen wirksame soziale<br />
Netzwerke aufzubauen, die nicht<br />
nur den Kindern, sondern auch ihren<br />
Familien unterstützend zur Seite stehen<br />
können.<br />
Lässt sich durch die aufgezeigten Maßnahmen<br />
mehr Bildungsgerechtigkeit<br />
schaffen? Der internationale Vergleich<br />
spricht dafür. Denn andere Länder sind<br />
erfolgreicher in der Einlösung des Bildungsanspruchs<br />
für Kinder aus ungünstigen<br />
Herkunftsmilieus. Bildungsangebote<br />
müssen gerade für arme<br />
Kinder leicht erreichbar, ganztägig vorgehalten,<br />
förderorientiert und nichtdiskriminierend<br />
gestaltet sein. Dann<br />
kann die Schule einen kleinen Beitrag<br />
zur Bildungsgerechtigkeit leisten. Um<br />
Wirksamkeit tatsächlich entfalten zu<br />
können, müssen jedoch solche bildungspolitischen<br />
Maßnahmen durch<br />
sozialpolitische ergänzt werden.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />
27
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
ABCDEFGHIJKL MN<br />
… wie Leistung oder Lehrersein<br />
»Die Kinder sind das Maß«, dieser Titel eines Beitrags kennzeichnet die Sichtweise des Grundschulverbandes<br />
auch zum Thema Leistung, siehe ebenso z. B. die Beiträge bei den Buchstaben B,<br />
C oder W. Beim Blick auf die Kinder nehmen Lehrer/innen mehr wahr als deren Lernfortschritte<br />
oder Lernprobleme. Auch ihre Lebensprobleme kommen in den Blick. Auch wächst dabei die Erkenntnis,<br />
wie von Hentig sie formulierte: dass sich oft die Lebensprobleme vor die Lernprobleme<br />
schieben. Leistung in diesem Verständnis trifft das Lehrersein im Mark und fordert dazu heraus,<br />
Wege des pädagogischen Umgangs gemeinsam zu finden, jenseits eines Unterrichts, der lediglich<br />
»durchnimmt« und »abarbeitet«. Siehe auch beim Buchstaben U wie Unruhe.<br />
Die Kinder sind das Maß<br />
von Horst Bartnitzky,<br />
Heft 64 (1998), S. 2<br />
Im Sommer meldete die deutsche<br />
presseagentur, dass die Kultusminister<br />
der SPD-geführten Bundesländer »so<br />
schnell wie möglich« an allen Schulen<br />
regelmäßig die Leistungen testen<br />
lassen wollen. Dabei, so dpa, solle es<br />
sowohl Vergleiche zwischen den einzelnen<br />
Schulen als auch zwischen<br />
den Bundesländern geben. Mehrere<br />
SPD-Bildungspolitiker forderten darüber<br />
hinaus, dass festgestellte Mängel<br />
auch Konsequenzen nach sich ziehen<br />
müssten. Es sei, so die Bildungspolitiker,<br />
nicht hinzunehmen, dass Schüler<br />
gezwungen würden, in schlechte Schulen<br />
zu gehen und weiterhin miserablen<br />
Unterricht zu ertragen, wenn bei Tests<br />
solche Fehler aufgedeckt würden.<br />
Immer ist die <strong>Grundschule</strong> bei solchen<br />
Überlegungen mit im Spiel – bei<br />
den Forderungen nach Vergleichsarbeiten,<br />
nach mehr Förderung im Lesen,<br />
Schreiben und Rechnen. Tatsächlich<br />
trifft der empirische Hintergrund<br />
aber gar nicht die <strong>Grundschule</strong>. Die<br />
TIMSS-II-Studie verglich international<br />
die Leistungen der Klassen 7 und<br />
8 in Mathematik und Physik, die ewig<br />
währenden Klagen der Abnehmer des<br />
Schulsystems müssen im Ernst doch<br />
vor allem die oberen Jahrgänge der weiterführenden<br />
Schulen meinen. Die Diskussion<br />
leidet an den Widersprüchen:<br />
Zur Qualität der Grundschularbeit:<br />
Sie wird in den Untersuchungen nicht<br />
angezweifelt, dennoch wird sie heruntergeredet.<br />
Zu Vergleichsarbeiten und Schulleistungstests:<br />
Sie sollen der Leistungssteigerung<br />
dienen, bewirken aber das<br />
Gegenteil. Es wird dann eben nur das<br />
gelehrt, was beim Test abgefragt wird.<br />
Unterrichtliche Engführung wäre die<br />
Folge.<br />
Zu Vergleichen zwischen Schulen:<br />
Gerade bei der <strong>Grundschule</strong> als Schule<br />
für alle Kinder eines Wohnbezirks ist<br />
diese Zumutung systemwidrig. Schulen<br />
im »Akademikerviertel« wären per<br />
se Leistungsspitze, Schulen im sozialen<br />
Brennpunkt Schlusslichter im Leistungsvergleich.<br />
Der Aussagewert wäre<br />
gleich null, die Wirkung aber leistungsmindernd<br />
– die »Selbstläufer« würden<br />
selbstgenügsam, die »Schlusslichter«<br />
müssten resignieren. Dies gilt für Kinder<br />
ebenso wie für deren Lehrkräfte.<br />
Leistung in der <strong>Grundschule</strong> bestimmt<br />
sich anders. Sie leitet sich vom<br />
Grundrecht jedes Kindes auf Bildung<br />
ab.<br />
Von den Möglichkeiten der Kinder<br />
her, die in der Schule versammelt sind,<br />
muss die Leistungsfähigkeit der Schule<br />
bestimmt werden: Sie muss nämlich<br />
das Recht auf Bildung just dieser<br />
Kinder einlösen. Die Schule im sozialen<br />
Brennpunkt braucht dazu andere<br />
pädagogische Initiativen und andere<br />
Ressourcen als die Schule im Akademikerviertel.<br />
Die Kinder sind damit das<br />
Maß. Neben den Lehrkräften, die für<br />
»ihre« Kinder Leistung definieren und<br />
entsprechenden Unterricht arrangieren<br />
müssen, sind die Schulministerien<br />
in der Pflicht, die Leistungsfähigkeit<br />
der <strong>Grundschule</strong>n herzustellen. Sprich:<br />
Lehrkräfte gut aus- und fortzubilden,<br />
verträgliche Klassengrößen herzustellen,<br />
Raumvorschriften zu erlassen, die<br />
auch freie Bewegung, Funktionsecken,<br />
Kreisgespräche ermöglichen, und Zuwendungszeit<br />
zu Kindern zumindest<br />
über den ungekürzten Vormittag zu gewährleisten.<br />
Leistung ist also zunächst<br />
die Leistung der jeweils sehr konkreten<br />
Schule, damit die Kinder in ihr etwas<br />
leisten können.<br />
28 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
OPORSTUVWXYZ<br />
Für die <strong>Grundschule</strong> ist das Thema<br />
Leistung … hoch bedeutsam. Kinder<br />
zu ihrem Recht auf Bildung und damit<br />
auch zu ihrem Recht auf Leistung zu<br />
verhelfen, das ist eines ihrer Kernanliegen.<br />
Dazu gehört natürlich auch,<br />
Rechenschaft über Geleistetes, über<br />
Geschafftes und Gekonntes abzulegen<br />
– zur Bestärkung und zur weiteren<br />
Lernplanung. Das gilt für Kinder, für<br />
Lehrkräfte, für Schulen. Insofern sind<br />
wir nicht gegen Lernkontrollen. Nur<br />
Vergleichstests befördern dies alles<br />
nicht. Im Gegenteil: Sie schaden, beim<br />
Wort genommen, der Leistungsentwicklung<br />
der Kinder wie der Schulen.<br />
Anspruchsvolle Bildungsarbeit in der<br />
<strong>Grundschule</strong> braucht auch anspruchsvolle<br />
Evaluierungen. Hier müssen neue<br />
Wege gefunden werden, die die Kinder<br />
als aktive Mitgestalter ihrer Lernprozesse<br />
einbeziehen, die schulinterne wie<br />
gegenprüfende externe Evaluation miteinander<br />
verbinden und die Lernbedingungen<br />
der Kinder berücksichtigen. So<br />
anspruchsvoll muss es schon sein.<br />
Meine Kunst des Lehrens<br />
von Petra Uhlig, Heft 63 (1998), S. 2<br />
Handwerk ist die Grundlage einer jeden<br />
Kunst. Nach einigen Jahren Lehrerinnendaseins<br />
an verschiedenen Schulen<br />
und in unterschiedlichen Funktionen<br />
denke ich, dass ich dies Handwerk allmählich<br />
beherrsche. Nun bin ich dabei,<br />
die Meisterschaft zu erlangen, ja eine<br />
Kunst zu entwickeln.<br />
Natürlich sind die vorhandenen<br />
Bedingungen wichtig, als ausschlaggebend<br />
empfinde ich jedoch die Einstellung<br />
zur Sache. Ist die extreme<br />
Heterogenität meiner Klasse eine zusätzliche<br />
Belastung oder nutze ich<br />
die Stärken eines jeden Kindes so geschickt,<br />
dass sie der Gemeinschaft<br />
nützen? Lehre ich die Kinder schreiben,<br />
lesen, rechnen oder beanspruche ich,<br />
diese Kulturtechniken als Mittel zum<br />
Zweck zu nutzen, nämlich die Kinder<br />
allmählich zu einer wichtigen Sache<br />
des gesamten menschlichen Lebens, zu<br />
einer beharrlichen und ausdauernden<br />
Arbeit zu befähigen? Und sollen sie<br />
dabei Aufgaben nacharbeiten oder will<br />
ich sie zur Überwindung auch geistiger<br />
Schwierigkeiten befähigen? Ein Kind<br />
wird nur dann gern zur Schule gehen,<br />
wenn sie ihm ebenso viele Freuden bereitet,<br />
wie es vor der Schule gehabt hat.<br />
Es darf ihm nicht langweilig werden,<br />
sondern es möchte ernst genommen<br />
und seinen Voraussetzungen entsprechend<br />
gefordert werden. Der Lehrer im<br />
sogenannten Helferberuf neigt dazu,<br />
besonders auf die leistungsschwachen<br />
Schüler einzugehen. Doch wie geht es<br />
einem Kind, dem beim Lernen alles<br />
leichtfällt, wird ihm nicht allmählich<br />
Denkträgheit anerzogen? Muss ich als<br />
Lehrerin nicht ebenso auf die begabten<br />
Kinder achten und darf keinen geistigen<br />
Müßiggang zulassen? Dies scheint mir<br />
grundlegend.<br />
Doch als Lehrerin heute habe ich<br />
auch auf die veränderten Lebensbedingungen<br />
der Kinder einzugehen. Da<br />
möchte ich den kleinen Königinnen und<br />
Königen mancher Familien vorstellbar<br />
machen, dass Kinder auch ohne den<br />
letzten Schrei der Werbung glücklich<br />
und zufrieden leben, muss an Wandertagen<br />
bedenken, dass viele Kinder<br />
ihre Wege mit dem Auto zurücklegen,<br />
möchte manchem zeigen, dass Tiere im<br />
Wald anders zu sehen sind als die Großaufnahmen<br />
im Fernsehen oder einigen<br />
bewusst machen, welche Schönheit in<br />
einer sich öffnenden Knospe steckt.<br />
Diese ungezählten Anforderungen zu<br />
bewältigen, zwingen mich in einen<br />
Spagat.<br />
An der Schule für Lernbehinderte<br />
in einem sozialen Brennpunkt fürchtete<br />
ich, dieser könne mich bei den<br />
enormen Problemen der Kinder und<br />
in dieser Ballung zerreißen. In meiner<br />
Grundschulklasse freue ich mich über<br />
deren Heterogenität und habe Lust und<br />
Kraft, diesen Spagat immer formvollendeter<br />
und gekonnter zu leisten. Vor<br />
allem indem ich den Kindern lausche,<br />
ihnen Gelegenheit biete, selbstverantwortlich<br />
zu lernen und immer häufiger<br />
versuche, sie in die Mitgestaltung des<br />
Unterrichts einzubeziehen, übe ich<br />
mich in meiner pädagogischen Kunst.<br />
Mir ist klar, dass eine Person allein<br />
auf Dauer die Aufgaben, die auf die<br />
Schule zukommen, nicht bewältigen<br />
wird. Meine Qualifikationen in Psychologie,<br />
Logopädie oder Motopädie<br />
genügen trotz Fortbildung nicht, um<br />
schwerwiegende Probleme lösen zu<br />
können. Ich wünsche mir eine Schule,<br />
in der alle Kinder lernen können und in<br />
der ich im Team mit Experten, die nicht<br />
unbedingt Pädagogen sind, tätig bin.<br />
Nicht zuletzt deshalb setze ich mich<br />
mit dem Grundschulverband für eine<br />
kindgerechte <strong>Grundschule</strong> ein.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />
29
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
ABCDEFGHIJKLM N<br />
… wie Kinder mit »Migrationshintergrund«<br />
Sprache ist ein<br />
Schlüssel zur Integration<br />
von Angelika Speck-Hamdan,<br />
Heft 92 (2005), S. 3 f.<br />
Fragt man nach den Krankheiten des<br />
deutschen Bildungssystems, so fehlt<br />
ein Hinweis nie: nämlich der auf das<br />
Versagen, Kinder und Jugendliche mit<br />
Migrationshintergrund ausreichend<br />
zu fördern. Kinder und Jugendliche<br />
mit Migrationshintergrund sind die<br />
Verlierer in unserem Bildungssystem.<br />
Sie bleiben häufiger sitzen, werden<br />
häufiger an Sonderschulen überwiesen<br />
und erreichen im Schnitt die niedrigsten<br />
Schulabschlüsse bzw. sind<br />
unter den Abgängern ohne Abschluss<br />
überproportional vertreten. Diese<br />
Tatsachen sind nicht neu; sie werden<br />
mittlerweile seit Jahrzehnten beobachtet<br />
und berichtet. Richtig Alarm<br />
geschlagen aber wurde erst im Zuge<br />
der großen Vergleichsstudien. Man<br />
kann vermuten, dass das Interesse mit<br />
der Erkenntnis zusammen hängt, dass<br />
sich die Durchschnitte aus der Gesamtbreite<br />
der Leistungen errechnen, Dass<br />
es auch erfolgreiche Schülerinnen und<br />
Schüler mit Migrationshintergrund<br />
gibt, dass ihre Quote unter den Abiturienten<br />
zahlenmäßig zugenommen<br />
hat, dass wir auch mehr Studierende<br />
mit Migrationshintergrund an den<br />
Universitäten finden, kann nicht über<br />
die Ungleichheit hinwegtäuschen. Es<br />
erreichen sehr viel weniger unter ihnen<br />
Erst mit den Ergebnissen der PISA-Studie entdeckte die Politik, was Lehrerinnen und Lehrer<br />
längst wussten: Die Kinder der dritten Generation der früheren Gastarbeiter kommen zu<br />
einem großen Teil mit den sprachlichen Anforderungen der Schule nicht zurecht. Dies gilt<br />
übrigens auch für Kinder mit deutschen Eltern aus spracharmem Milieu. Nun sollen es frühe<br />
Sprachtests und vorschulische Sprachförderung richten. Das sind zu kurz gegriffene Aktionen:<br />
Sprachförderung der einen wie der anderen Kinder muss Aufgabe auf jeder Bildungsstufe sein<br />
und ist doch auch nur ein (wenn auch besonders wichtiger) Baustein in den Bemühungen um<br />
Integration und Bildungsgerechtigkeit.<br />
gute Abschlüsse, als es ihrem Anteil an der Gesamtpopulation<br />
der Schülerinnen und Schüler an deutschen Schulen<br />
entspricht …<br />
Schon in den ersten Jahren, als noch von »Gastarbeiterkindern«<br />
die Rede war, wurde die sprachliche Kompetenz<br />
in den Vordergrund gerückt. Erste Lösungsansätze für das<br />
praktische Problem, nicht oder nur wenig Deutsch sprechende<br />
Kinder in einer Schule mit deutscher Unterrichtssprache<br />
aufzunehmen, wurden auf der Ebene zusätzlicher<br />
Hilfestellungen bei Hausaufgaben und Zusatzsprachkursen<br />
in und außerhalb der Schule entwickelt. Die Hoffnung, dass<br />
sich das sprachliche Problem mit der Zeit – im Zuge der Anpassung<br />
– erledigt, erfüllte sich nicht … Im Gegenteil: Lehrerinnen<br />
berichten, dass die deutschen Sprachkenntnisse von<br />
Schulanfängern mit Migrationshintergrund zum Teil lückenhafter<br />
sind als früher.<br />
Die gesellschaftliche Integration von Zuwanderern stellt<br />
sich auch im Jahr 2005 noch als nicht gelöste Aufgabe, wie<br />
ein Blick auf die Website der entsprechenden Behörde zeigt<br />
(www.integrationsbeauftragte.de). Dort wird in einer Presseerklärung<br />
vom 23. 6. 2005 eindrücklich betont: »Nach 50<br />
Jahren Einwanderung muss die ›conditio sine qua non‹ der<br />
Intergrationspolitik lauten: Einwanderer sind Teil dieser Gesellschaft,<br />
sie gehören selbstverständlich dazu … Mulitkulturalität<br />
ist eine Tatsache, Integration ist eine Aufgabe.« Sowohl<br />
die mangelnden Sprachkenntnisse als auch der geringe<br />
Schulerfolg der Kinder von Zugewanderten sind Belege für<br />
mangelnde Integration.<br />
Fachsprache ist mehr<br />
als Unterrichtssprache<br />
von Horst Bartnitzky,<br />
Heft 92 (2005), S. 8 und 10<br />
Kinder mit schwachen Deutschkenntnissen<br />
sind nicht homogen schwach.<br />
In einer Klasse 2 sprechen einige Kinder<br />
von klein auf in ihrer Familie Deutsch,<br />
wenn auch nicht besonders differenziert<br />
oder elaboriert. Andere sprechen<br />
Türkisch oder Arabisch oder eine andere<br />
Sprache ihrer Familienherkunft<br />
und auch deutsch, oft ein Gemisch<br />
aus beiden, je nach familiärer Situation<br />
die eine Sprache mehr als die andere.<br />
Einige Kinder sind ausschließlich mit<br />
ihrer nicht deutschen Familiensprache<br />
aufgewachsen. Sie haben in einem<br />
vorschulischen Sprachkurs ein wenig<br />
Deutsch gelernt. Die Kinder mit türkischer<br />
Familiensprache gehen einmal<br />
in der Woche zum Türkischunterricht;<br />
die Klassenlehrerin kann mit der Türkischlehrerin<br />
Themen und Begriffe absprechen,<br />
die dann die türkischen Kinder<br />
in beiden Sprachen besprechen. Für<br />
die Kinder der vielen anderen Sprachen<br />
gibt es solche Angebote im Stadtteil<br />
nicht.<br />
Damit schließt sich für die meisten<br />
Kinder ein zweisprachiger Unterricht<br />
aus. Ebenso kann kein Konzept verfolgt<br />
werden, bei dem alle Kinder an<br />
denselben sprachlichen Phänomenen<br />
gleichzeitig üben. Überhaupt kann<br />
nicht die linguistische Progression leiten,<br />
vielmehr sollte die gemeinsame<br />
themenbezogene Arbeit alle Kinder<br />
gleichermaßen anregen und herausfor-<br />
30 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
OPORSTUVWXYZ<br />
dern, mit ihrem <strong>aktuell</strong>en Sprachstand<br />
zu agieren und ihn zu erweitern.<br />
Die Kinder brauchen fachsprachliche<br />
Fähigkeiten für ihren weiteren<br />
Schulerfolg.<br />
In dieser Klasse 2 können sich inzwischen<br />
alle Kinder in der deutschen<br />
Sprache miteinander und mit der Lehrerin<br />
verständigen, oft hilft auch die<br />
Mimik und Gestik, wenn die deutschen<br />
Wörter fehlen …<br />
Bliebe es bei solcher Genügsamkeit,<br />
dann wäre bei vielen Kindern in den<br />
kommenden Schuljahren die Folge,<br />
dass sie der fehlenden sprachlichen<br />
Fähigkeiten wegen scheitern. Die Ansprüche<br />
an die Fähigkeiten wachsen,<br />
fachsprachlich zu verstehen und selber<br />
zu argumentieren, mündlich wie<br />
schriftlich; die Ansprüche an die Lesefähigkeiten,<br />
bezogen auf literarische<br />
wie auf Fachtexte, steigen steil an …<br />
Die Förderung der Fachsprache<br />
verlangt nach Sachgebieten, in denen<br />
fachliche Begriffe, fachtypische<br />
Wort- und Satzbildungen zur sachgemäßen<br />
Arbeit nötig sind. Abziehen oder<br />
Körper sind zentrale Fachbegriffe im<br />
Mathematikunterricht, die im Alltag<br />
anders verwendet werden (»zieh ab!«).<br />
Wolkenbildung oder unveränderlich<br />
sind spezifische Wortbildungen, deren<br />
Prinzip durchschaut werden muss. »In<br />
Deutschland findet man an einigen Stellen<br />
Ansammlungen von großen Steinen.<br />
Das waren in der Steinzeit Steingräber<br />
unter großen Erdhügeln.« Diese beiden<br />
schlicht erscheinenden Sätze aus<br />
einem Sachunterrichtsbuch enthalten<br />
mehrere Fachwörter, zusammengesetzte<br />
Nomen, eine Nominalisierung<br />
und ein Verweiswort: das Pronomen<br />
das als Eröffnung des zweiten Satzes.<br />
Der Zusammenhang beider Sätze ist<br />
nur verständlich, wenn man weiß, worauf<br />
sich das Pronomen bezieht. Alles<br />
Eigenheiten, die sich in der Umgangssprache<br />
der Kinder kaum finden.<br />
Das Anregungspotential des thematischen<br />
und handlungsbezogenen<br />
Unterrichts muss genutzt werden.<br />
Die Option gilt einem thematischen<br />
und handlungsbezogenen Unterricht<br />
mit viel gemeinsamer Arbeit und eingebundener<br />
individueller Förderung:<br />
■ Die Kinder »nisten sich« bei einem<br />
Thema ein;<br />
■ sie bringen dazu ihr Vorwissen ein;<br />
■ sie handeln, also: befragen, untersuchen,<br />
beobachten, probieren aus;<br />
sie sprechen und schreiben, erarbeiten<br />
Fragen zum Thema und lesen Texte,<br />
um Antworten zu finden;<br />
■ sie halten wichtige Fachbegriffe auf<br />
einem Lernplakat fest;<br />
■ sie erarbeiten eine Präsentation, bei<br />
der ihre neuen Kenntnisse zum Thema<br />
vorgestellt werden: eine Ausstellung,<br />
eine Wandzeitung, kleine Vorträge.<br />
Den Kern der Unterrichtsarbeit<br />
macht mithin die Integration des<br />
Sprachlernens in die thematischen<br />
Unterrichtseinheiten aus. Kurse als<br />
didaktische Schleifen treten zum thematischen<br />
Unterricht hinzu: In solchen<br />
Kursen können Wortschatz, Wort- und<br />
Satzbildungen wiederholt, systematisiert,<br />
auf andere Inhaltsbereiche angewendet<br />
werden. Verbindungen zur<br />
Erstsprache können hergestellt, reflektiert<br />
und Zweisprachigkeit kann geübt<br />
werden. Solche Kurse beziehen sich<br />
aber auf die Sprachziele des thematischen<br />
Unterrichts, sie gehen inhaltlich<br />
und sprachbezogen von ihm aus<br />
und führen wieder in ihn zurück.<br />
Elterncafé und Kinderpass<br />
von Inge Hirschmann,<br />
Heft 92, S. 15 f.<br />
Bis zum letzten Jahr hatten wir eine »Vorklasse«. Schulfähigkeit<br />
oder was sollten Kinder bis zum Schulanfang gelernt<br />
haben, war ein bedeutendes Thema für diese Eltern.<br />
In Kooperation mit den Lehrer/innen einer benachbarten<br />
<strong>Grundschule</strong> haben wir einen Kinderpass entwickelt. Zu<br />
den Bereichen »Mein Alltag«, »Mein Name«, »Bewegung«,<br />
»Sprache«, »Spielen«, »Ich und du« entstand ein türkischdeutsches,<br />
bebildertes Heftchen. Die bebilderten Texte<br />
geben den Eltern Hinweise, was Kinder können oder was<br />
sie üben sollten. Im Tagebuch wird dann mit Unterschrift<br />
festgehalten, was das Kind schon alles kann. Das Heftchen<br />
kann jetzt in der neuen Schulanfangsphase als<br />
Lernstandsdokumentation gut genutzt werden.<br />
Erst seit Beginn dieses Schuljahres haben wir neben<br />
unserer neuen Mensa einen geeigneten Raum, um regelmäßig<br />
Elterncafés zu organisieren. Wir hoffen, eine<br />
Gruppe von türkischen Müttern zu finden, die für diesen<br />
Caféraum die organisatorische Verantwortung übernimmt,<br />
die Kaffee und Tee kocht, einen kleinen Snack<br />
anbietet und hinterher wieder aufräumt. Diese mit dem<br />
Schul leben erfahrenen Mütter könnten so Ansprechpartner/innen<br />
für neue Eltern sein. Wir Lehrer/innen würden<br />
entlastet und könnten unsere Energien in die inhaltliche<br />
Planung von themenziertrierten Elterncafés stecken …<br />
Unsere türkischen Eltern haben folgende Themen gewünscht:<br />
»Umgang mit Fernsehen und Videospielen«<br />
sowie »Grenzen setzen«. Und – nicht ganz unerwartet:<br />
Intensivere Kontakte zwischen ihren und den deutschen<br />
Kindern, aber auch ganz allgemein zwischen den Eltern<br />
unserer Schule.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />
31
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
ABCDEFGHIJKLMN<br />
… wie Netzwerk oder Noten<br />
Viele Faktoren tragen zu Gewalt, Gleichgültigkeit, mangelnder Solidarität<br />
in der Gesellschaft bei. Die Schule kann mit ihren derzeitigen Strukturen<br />
bei den Kindern nicht erfolgreich gegensteuern, weil sie selbst durch<br />
Strukturen geprägt ist, die sich auf Kinder gewalttätig auswirken, indem<br />
sie Kinder beschämen, herabsetzen, ausgrenzen. Der Grundschulverband<br />
weist immer wieder auf diese fatalen Gegebenheiten hin und zeigt auf,<br />
was getan werden muss, dass die Schule für Kinder bekömmlich, also<br />
förderlich für Geist und Seele wird.<br />
Netzwerke bilden,<br />
gemeinsam handeln<br />
von Maresi Lassek<br />
Heft 97 (2007), S. 2<br />
Unfassbares hat sich in den vergangenen<br />
Monaten im wohlhabenden<br />
Deutschland ereignet. Jugendliche verübten<br />
Gewalttaten in Schulen. In Bremen<br />
überlebte der kleine Kevin seine<br />
unerträglichen Lebensumstände nicht.<br />
Schule und Sozialarbeit sehen sich auf<br />
dem Prüfstand, nach den Schuldigen<br />
wird gefragt.<br />
Immer mehr Kinder leben in unserem<br />
Land unterhalb des Armutsniveaus.<br />
Kinder aus Familien mit<br />
Migrationshintergrund erfahren zu<br />
wenig Förderung, bleiben hinter ihren<br />
Bildungsmöglichkeiten zurück. Kinder<br />
werden körperlich und emotional vernachlässigt,<br />
und das in einem Land,<br />
dem es an Nachwuchs mangelt …<br />
Worum es gehen muss, ist, dem<br />
Auseinanderdriften der Gesellschaft<br />
in Chancenlose und Gewinner entgegenzuwirken.<br />
Dieser Prozess setzt<br />
schon sehr früh ein. Doch sind der<br />
Vorschul- und der Grundschulbereich<br />
im Vergleich zu anderen Ländern in<br />
Deutschland unzureichend ausgestattet<br />
und die Konzepte für Frühförderung<br />
mangelhaft. Eine bessere finanzielle<br />
Versorgung des Elementarbereichs<br />
und familienergänzender Maßnahmen<br />
muss nach Jahren des Einsparens umgesetzt,<br />
die überfällige Schulstrukturdebatte<br />
endlich geführt werden. Wir<br />
brauchen ein integratives auf längere<br />
gemeinsame Lernzeit angelegtes Bildungssystem.<br />
Die bildungspolitisch<br />
gewollte Ausrichtung auf Erfüllung<br />
von Standards verstärkt die ohnehin<br />
bestehenden Selektionsmechanismen,<br />
ihr Einfluss wirkt immer früher. Schülerinnen<br />
und Schüler mit Lebensproblemen<br />
erfahren darüber keine Hilfe.<br />
Schulen fehlt es an sozialpädagogisch<br />
ausgerichteten Unterstützungssystemen.<br />
Netzwerke zwischen dem Bildungsund<br />
Sozialbereich müssen geknüpft<br />
werden. Dazu tragen bei: Soziale Betreuung<br />
von Geburt an, der obligatorische<br />
Besuch einer Kindertagesstätte,<br />
Gebührenfreiheit für deren Besuch,<br />
Einbindung von Eltern in die Arbeit von<br />
Kindertagesstätten und Schulen, niedrigschwellige<br />
Elternbildungsangebote,<br />
die vor Ort und kostenfrei Eltern unterstützen,<br />
eine konsequente Vernetzung<br />
der an der Erziehung und Bildung beteiligten<br />
Institutionen, die Einstellung,<br />
dass Eltern gemeinsam mit den Pädagoginnen<br />
verantwortlich sind für Kontinuität<br />
in der Entwicklung der Kinder<br />
(gerade im Hinblick auf die in unserem<br />
System schwierigen Übergänge).<br />
Ein Klima ist zu schaffen, in dem<br />
Kinder willkommen sind. Das kann<br />
gelingen, wenn mehr Ressourcen für<br />
Betreuung, Erziehung und Bildung<br />
bereitstehen. Eltern benötigen Entlastung<br />
bei der Betreuung, Eltern in<br />
schwierigen sozialen Verhältnissen<br />
ebenso wie Eltern, die berufstätig sind.<br />
Vermehrte Angebote für unter Dreijährige<br />
sind genauso erforderlich wie noch<br />
mehr Ganztagsschulen.<br />
Der Handlungsbedarf ist offensichtlich,<br />
gemeinsames Handeln gefordert.<br />
Die Praktiker/innen sind bereit, es bedarf<br />
der politischen Schritte.<br />
Wozu brauchen wir<br />
hierbei eigentlich Noten?<br />
von Horst Bartnitzky,<br />
Heft 56 (1996), S. 3 f.<br />
In einer Klasse 4 drehte sich eine Unterrichtseinheit<br />
von etwa vier Wochen<br />
um das Thema »Was machen wir in der<br />
Freizeit?«. Die Kinder berichteten von<br />
ihren Freizeitgewohnheiten, sie stellten<br />
ihre Hobbys vor, sie untersuchten<br />
die Spielmöglichkeiten im Wohnbezirk,<br />
sie gestalteten eine Fotowand, eine<br />
Spielzeug- und Hobby-Ausstellung,<br />
eine Freizeitkarte, eine Freizeit-Geschichten-Mappe<br />
und anderes mehr.<br />
Im Unterricht wurden Texte geschrieben:<br />
Freizeit-Geschichten, Hobby-<br />
Steckbriefe, Spielbeschreibungen, Beschreibungen<br />
von Lieblingssendungen<br />
und -stars, Kritiken über Fernsehserien<br />
und über Spielplätze im Wohnbezirk.<br />
Die Lehrerin konnte bei jedem Kind<br />
beobachten, wie es seine Hobby-Beschreibung<br />
entwickelte von der Vorstellung<br />
im Gesprächskreis über den<br />
Entwurf und die Überarbeitung bis zum<br />
Steckbrief für das Hobby-Buch. Beim<br />
Schreiben der Freizeit-Geschichten<br />
konnte die Lehrerin beobachten, wie<br />
sich die Beratungen in den Schreibkonferenzen<br />
entwickelten – welche<br />
Aspekte die Beraterkinder einbrachten,<br />
welche Textideen, welche sprachlichen<br />
und gestalterischen Mittel sie vorschlugen,<br />
welche dieser Anregungen<br />
das Autorenkind für die Überarbeitung<br />
seines Textes nutzte.<br />
Über jedes Kind konnte die Lehrerin<br />
also spezifische Beobachtungen und<br />
Feststellungen zur Lernentwicklung<br />
32 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
OPORSTUVWXYZ<br />
machen; sie konnte einschätzen, inwieweit<br />
wichtige Qualifikationen des<br />
Textschreibens bei jedem Kind weiterentwickelt<br />
wurden; sie konnte beurteilen,<br />
wie jedes Kind die Anforderungen<br />
an die Texte mit seinen individuellen<br />
Möglichkeiten bewältigte. Die Lehrerin<br />
gab ihre Einschätzung und Beurteilung<br />
während der Arbeit an das Kind zurück<br />
als Zuspruch, als Hinweis oder Rat,<br />
beim gemeinsamen Nachdenken über<br />
Schwierigkeiten, über Optimierungen,<br />
über den Weg des Textes. Wozu also<br />
brauchte die Lehrerin, brauchten die<br />
Kinder und die Eltern noch Noten?<br />
Der besondere didaktische Griff<br />
war, dass die Kinder einen Sinn in ihrem<br />
Schreiben sahen. Es ging um ihre Hobbys,<br />
die sie sich gegenseitig vorstellten,<br />
es ging dann um die Sammlung<br />
der Hobbys in einem gemeinsamen<br />
Hobby-Buch. Gerade in dieser aus der<br />
Aufgabe erwachsenden Schreibmotivation<br />
lag der Wert dieser Arbeit.<br />
Mit einer Note versehen, wird sie<br />
um diesen Wert gebracht. Die Note<br />
erzeugt nämlich eine Dynamik eigener<br />
Art. Sie findet weitaus mehr Beachtung<br />
als der Sinn im Schreibprojekt,<br />
als die Wertschätzung individueller<br />
Entwicklungen vom Entwurf bis zum<br />
gestalteten Steckbrief, als jede mündliche<br />
und schriftliche Bewertung<br />
durch Mitschüler oder Lehrerin. Eltern<br />
und Anverwandte fragen nach Noten.<br />
Tauschgeschäfte Noten gegen Bares,<br />
Belobigungen oder Liebesentzug verstärken<br />
den Eindruck, dass die Note<br />
das Eigentliche ist, dessentwegen<br />
schulisches Lernen stattfindet. Der intelligent<br />
gestaltete und förderliche Unterricht<br />
wird im Verständnis der Kinder<br />
zum Motivationstrick, zur Animationsszenerie<br />
für das eigentlich Wichtige:<br />
die Benotung.<br />
Die Motive für das Schreiben verschieben<br />
sich aber nicht nur von der Sache,<br />
der Schreibaufgabe, hin zur Note.<br />
Die Noten wirken auch individuell unterschiedlich<br />
auf die Einstellungen der<br />
Kinder zum Schreiben zurück. Die Einen<br />
können Honig aus ihren besseren<br />
Noten saugen; schreibgewandte Kinder,<br />
die gute Noten fast ohne sonderliches<br />
Bemühen kassieren, entwickeln<br />
sogar oft eine Selbstgenügsamkeit,<br />
die gar keine Kräfte für besondere Anstrengungen<br />
mehr freisetzt. Die Anderen,<br />
Kinder mit kärglicherem sprachlichen<br />
Entwicklungsstand, lernen aus<br />
ihren schlechteren Noten, dass ihnen<br />
das Aufsatzschreiben wohl nicht so<br />
liegt (»Aufsatz kann ich nicht«), auch<br />
sie werden selbstgenügsam.<br />
Die begeisternde Lehrerin vermag<br />
diese Effekte zunächst zu überspielen<br />
oder zu mildern, zu vermeiden sind sie<br />
nicht. Die Instrumente Klassenaufsatz<br />
und Notengebung sabotieren auf Dauer<br />
das kluge didaktische Konzept.<br />
Sie verhindern, dass der Deutschunterricht<br />
seinen pädagogischen Auftrag<br />
erfüllen kann, nämlich Schreibmotivation<br />
und Schreibkompetenz bei allen<br />
Kindern zu entwickeln und Kinder zur<br />
Entfaltung ihrer sprachlichen Kräfte<br />
anzuspornen. Die Schule wird strukturell<br />
an ihrer möglichen Leistung<br />
gehindert, alle Kinder schreibfähig zu<br />
machen.<br />
Kein Kind beschämen<br />
aus einem in Heft 97 (2007)<br />
eingelegten Plakat<br />
Die moderne Schule bekennt sich zu<br />
dem pädagogischen Grundsatz, dass<br />
alle Kinder in ihrer Entwicklung zu<br />
selbstständigen, sozial verantwortlichen<br />
und selbstwerten Menschen gefördert<br />
werden müssen. Sie verzichtet<br />
auf alle Maßnahmen, die Kinder seelisch<br />
verletzen und ihnen nachhaltigen<br />
Schaden zufügen. Dazu gehören dauerhafte<br />
Erfahrungen des Versagens ebenso<br />
wie Arroganzen der Erfolgreichen.<br />
Die moderne Schule verzichtet auf<br />
frühe und permanente Auslese: auf Bewertungen,<br />
die immer wieder Versager<br />
erzeugen, auf Sitzenbleiben, auf die<br />
zu frühe Entscheidung zum Übergang<br />
auf weiterführende Schulen schon in<br />
Klasse 4. Schulisch erfolgreiche Länder<br />
setzen auf langes gemeinsames Lernen<br />
und individuelle Förderung mit zusätzlichen<br />
Förderlehrkräften. Das entspricht<br />
pädagogischer Ethik und macht<br />
Kinder leistungsfähiger.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />
33
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
ABCDEFGHIJKLMN<br />
… wie Offener Unterricht<br />
Das Stichwort »Offener Unterricht« ist zu einem Markenzeichen für modernen Grundschulunterricht<br />
geworden. Mit Grundschultagen und Veröffentlichungen hat der Grundschulverband<br />
entscheidend dazu beigetragen, dass die Öffnung von Unterricht zur weit verbreiteten<br />
innovativen Praxis geworden ist.<br />
Allerdings gibt es auch Irrwege, Sackgassen und Etikettenschwindel. Denn tatsächlich<br />
»offener Unterricht« hat nichts zu tun mit »professionellem Nichtstun«, nichts mit<br />
»Schmuseschule«, nichts mit »Schule der Beliebigkeit«, nichts mit »Arbeitsblattfetischismus«.<br />
Er ist vielmehr ein für Schulen, Lehrpersonen und Kinder hoch anspruchsvolles pädagogisches<br />
Programm.<br />
Hermann Schwarz, Autor des folgenden, in wesentlichen Auszügen dokumentierten Beitrags,<br />
hat durch zahlreiche Vorträge und Publikationen stets ermutigt, Unterricht zu öffnen.<br />
Sein Beitrag, schon 1991 entstanden, ist ein immer noch <strong>aktuell</strong>er »Ratgeber bei der Öffnung<br />
des Unterrichts und zugleich ein Plädoyer für ihre kritisch-konstruktive Begleitung«, wie es<br />
damals im Editorial hieß.<br />
Probleme »offenen Unterrichts«<br />
von Hermann Schwarz, Heft 34 (1991), S. 1 ff.<br />
Mit »offenem Unterricht« tragen<br />
Grundschulpädagoginnen und -pädagogen<br />
die Idee einer besseren Schule<br />
in Köpfen und Herzen, aus der sie Kraft<br />
schöpfen für ihre Arbeit. (…) Meine<br />
vorwiegenden Eindrücke: Sich-wohl-<br />
Fühlen der Kinder; ein relativ hoher<br />
Grad von Selbststeuerung und Selbstverantwortung<br />
der Lernenden; praktikable<br />
Binnendifferenzierung; Selbstverständlichkeit<br />
von Kommunikation,<br />
Zusammenarbeit und gesittetem Miteinander.<br />
Jene manchmal steril anmutende<br />
Künstlichkeit früheren Schulunterrichts<br />
ist nur selten noch spürbar;<br />
in starkem Maße können hier Kinder<br />
wirklich ›sie selber‹ sein, und das bei<br />
gutem Erreichen der Lernziele.<br />
Nicht selten jedoch gibt es eine Praxis,<br />
die Sorge macht. Probleme, die es<br />
großenteils auch im ›herkömmlichen‹<br />
Unterricht gibt, fallen insbesondere<br />
auf: 1. beim Gewichten notwendiger<br />
Unterrichtsformen und -inhalte, 2.<br />
beim Anleiten der Kinder zum selbstständigen<br />
Arbeiten.<br />
1. Zum richtigen Gewichten<br />
von Formen und Inhalten<br />
■ Offenheit nicht zu eng verstehen<br />
Offenheit bedeutet nicht, unreflektiert<br />
bestimmte Unterrichtsformen<br />
auszuschließen und andere absolut<br />
zu setzen, sondern alle zur Erfüllung<br />
des Erziehungs- und Bildungsauftrags<br />
nötigen Unterrichtsformen so offen zu<br />
gestalten, wie es die Selbstentfaltung<br />
des Kindes und die Erfüllung der schulischen<br />
Ziele erfordern.<br />
Das bedeutet:<br />
1. offen zu den Kindern sein, also ihren<br />
Selbststeuerungskräften, individuellen<br />
Lernweisen, Interessen, Erfahrungen<br />
und ihrem Mitgestaltungskönnen<br />
unter Zurückstellung eigener Vorstellungen<br />
möglichst viel Raum geben;<br />
2. Offenheit zwischen den Kindern fördern,<br />
also Situationen schaffen, in<br />
denen zu wechselseitiger Bereicherung<br />
und vertieftem Miteinander sich<br />
Mitempfinden, Austausch, Dialog und<br />
Zusammenarbeit entwickeln können;<br />
und 3. mehr Offenheit zum Leben schaffen,<br />
also den Kindern, damit sie dadurch<br />
fähiger und wissender werden,<br />
zu intensiven Begegnungen und Auseinandersetzungen<br />
mit bedeutsamen<br />
Inhalten ihrer Welt verhelfen, ohne<br />
diese Begegnungen lehrhaft zu stark<br />
einzuengen oder zu häufig durch Bearbeitung<br />
von Lernmaterialien zu ersetzen.<br />
(…)<br />
■ Phasen selbstständigen Arbeitens<br />
gründlich vorbereiten<br />
Während der Phasen selbstständiger<br />
Arbeit habe ich beobachtet, dass Kinder<br />
beim Üben vieles falsch machten,<br />
weil sie die Aufgaben nicht verstanden.<br />
Nicht selten blätterten sie in Büchem<br />
und Heften ohne Beziehung zu deren<br />
Inhalt. Bei Partnerarbeiten gaben befragte<br />
Kinder die den Karteikarten entnommenen<br />
richtigen Antworten, ohne<br />
zu wissen, was die von ihnen genannten<br />
Begriffe bedeuteten; und den Auftrag,<br />
eine »Geschichte des Waldes« zu<br />
schreiben, wussten Kinder nicht anders<br />
zu bewältigen, als dass sie Unverstandenes<br />
aus einem Buche abschrieben.<br />
Andere Kinder trauten sich an neue<br />
Aufgaben nicht heran, sondern griffen<br />
meist zu ihnen lange bekannten<br />
Übungen, weil sie wussten, dass sie<br />
keine Mühe damit haben würden. – In<br />
allen diesen Fällen schafften es die<br />
Kinder nicht, Neues hinzuzulemen.<br />
Eine einfache Ursache der skizzierten<br />
Schwächen ist leicht zu finden:<br />
Die Pädagoginnen hatten die jeweiligen<br />
Tätigkeiten nicht ausreichend<br />
vorbereitet. (…)<br />
Für selbstständiges ergiebiges Arbeiten<br />
bedarf es also gelenkter gemeinsamer<br />
Einführungen in die Gegenstände<br />
des Lernens. (…) Die Methode<br />
bei Einführungen ist bestimmt durch<br />
Lenkung und Raumgeben. Die Pädagogin<br />
führt die Kinder konsequent, klar,<br />
geduldig und einfühlsam durch ermutigende<br />
und die Kinder immer wieder<br />
neu auf die Suche und auf ein Bei-<br />
34 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
O PORSTUVWXYZ<br />
der-Sache-Bleiben, auf Nachdenklichkeit,<br />
auf Dialog und auf Kooperation<br />
richtende Moderation, vermeidet aber<br />
möglichst alle Aussagen, die auch nur<br />
vielleicht eine Schülerin oder ein Schüler<br />
würde bringen können. (…)<br />
■ Bedeutsame Gehalte auswählen<br />
Die Entscheidung, große Teile des Vormittags<br />
für Wochenplan- und Freiarbeit<br />
zu verwenden, wirkt selektiv auf<br />
die Inhalte des Unterrichts: man sucht<br />
meist vorgefertigte Materialien aus,<br />
die sich für Selbsttätigkeit der Kinder<br />
besonders eignen – ob die jeweiligen<br />
Lerninhalte für das Leben der Kinder<br />
objektiv und subjektiv bedeutsam<br />
sind, ist oft weniger im Blick.<br />
An Fähigkeiten und Kenntnissen<br />
werden Kinder reicher durch intensive<br />
Begegnung und Auseinandersetzung<br />
mit bedeutsamen Gehalten der Welt.<br />
Häufiger müssten daher die Kinder<br />
in der Schule zum Beispiel dem sehr<br />
guten Kinderbuch begegnen, in dem<br />
Menschenleben mit Sorge, Freude,<br />
Liebe, Ablehnung, Angst und Sicherheit<br />
gespiegelt ist; häufiger müsste es<br />
Begegnungen geben mit dem Gestalteten,<br />
dem wirklich sehr guten Bild, der<br />
Skulptur. An bedeutsamen Problemen<br />
und Ereignissen müsste mehr gearbeitet<br />
werden. Öfter müssten wir hingehen<br />
zu dem Baum, dem Busch, dem<br />
Tier und zu dem anderen Menschen.<br />
Mangel der <strong>Grundschule</strong> an Offenheit<br />
zum Leben behindert die Bildung von<br />
Interessen und Fähigkeiten der Kinder,<br />
mit Kultur, Natur und Gesellschaft in<br />
Dialog zu treten; ihre Gefühle entwickeln<br />
sich nicht stark genug für das,<br />
womit es sich im Leben zu befassen<br />
lohnt.<br />
Kinder werden nicht vornehmlich<br />
durch Materialien, sondem durch lebendigen<br />
Umgang mit Sachen inspiriert,<br />
angeregt durch das Interesse<br />
der Pädagogin. Es ist unvollkommene<br />
Offenheit, zwar die Unterrichtsformen<br />
offen zu gestalten, aber den Kindern zu<br />
wenig zu helfen, sich zu öffnen für die<br />
bedeutsamen Gehalte unserer Welt, und<br />
den zu vertieftem Umgang mit der Sache<br />
anregenden Austausch zu gering zu gewichten.<br />
■ Produktive Tätigkeiten verstärken<br />
Lernen durch Herstellung eines Buches<br />
oder eines Biotops, durch Herstellung<br />
von Nützlichem und Erfreulichem<br />
nimmt in der <strong>Grundschule</strong> glücklicherweise<br />
zu, jedoch rangieren die gemeinsamen<br />
projektartigen Arbeitsvorhaben<br />
meist weit hinter der Wochenplan- und<br />
Freiarbeit. Dabei sind solche Vorhaben,<br />
in denen die Kinder auf das Erreichen<br />
gemeinsam geplanter Ziele hinarbeiten,<br />
eine Hochform offenen Unterrichts:<br />
– durch Offenheit zum Kinde insofern,<br />
als das Kind das Vorhaben in Ziel<br />
und Ablauf mitgestalten kann und<br />
während der arbeitsteiligen Phasen<br />
seine Einzelleistung nach seinen Möglichkeiten<br />
einbringt;<br />
– durch Offenheit zwischen den Kindern<br />
in Form fruchtbarer Kooperation;<br />
– durch Offenheit zu bedeutsamen<br />
Lebensinhalten und zu lebensbezogenen<br />
Anwendungen ihrer Interessen<br />
und Fähigkeiten.<br />
Auch das Lesen wünschte man sich<br />
häufiger als produktives Erweitern<br />
der eigenen Welt anzutreffen. Und<br />
müssten die Kinder das Schreiben nicht<br />
möglichst täglich in dem Sinn erleben,<br />
Wahrgenommenes, Gefühltes, Vorgestelltes<br />
und Gewolltes für sich selbst<br />
festzuhalten oder es anderen mitzuteilen?<br />
Mehr Lernen durch Produktivsein gehört<br />
also in die <strong>Grundschule</strong>.<br />
■ Ergebnisse prüfen und bedenken<br />
Wer sein Lernen selbst überprüfen<br />
kann, lernt sicherer und nachhaltiger;<br />
und sich selbst unter Kontrolle zu nehmen,<br />
ist wichtiges allgemeines Lernziel.<br />
Da muss die <strong>Grundschule</strong> neben<br />
notwendig bleibenden Überprüfungen<br />
durch die Pädagogin die Kinder kontinuierlich<br />
zur Selbstüberprüfung und zur<br />
Überprüfung im Miteinander herausfordern.<br />
(…) Überprüfungen in Form gemeinsamer<br />
Beratung und Würdigung<br />
der Arbeitsergebnisse durch Klasse<br />
oder Gruppen – das sind Kontrollen,<br />
die das Lernen der Kinder weiterbringen<br />
können.<br />
2. Anleiten der Kinder zum<br />
selbstständigen Arbeiten<br />
Kinder wollen und können selbstständig<br />
lernen, wenn wir ihnen gute Lernbedingungen<br />
verschaffen und ihnen hilfreich<br />
zur Seite stehen – auf dieser Einsicht<br />
basiert die Methodik offenen Unterrichts.<br />
Wenn nun, wie beobachtet, in<br />
einigen Schulklassen während der Phasen<br />
selbstständiger Arbeit eine relativ<br />
große Minderheit von Kindern häufig<br />
nur sporadisch arbeitet, sich an irgend<br />
etwas zu schaffen macht oder andere<br />
stört, ist für solche Fälle nach Veränderung<br />
von Bedingungen und Hilfen zu<br />
fragen.<br />
Dass dabei das Herstellen kindgerechter<br />
Klassengrößen und ausreichender<br />
Unterrichtszeit bedeutsam ist,<br />
liegt auf der Hand; hier sollen und können<br />
jetzt nur einige der methodischen<br />
Bemühungen lediglich genannt werden,<br />
die sich zusammenwirkend oft<br />
als geeignet erwiesen haben, (soeben<br />
skizzierte) Lern- und Verhaltensprobleme<br />
der Kinder geringzuhalten, zu<br />
mindern oder zu vermeiden.<br />
■ Maß des Lenkens und Freiraumgebens<br />
auf Beobachtung gründen<br />
■ Phasen selbstständigen Lernens<br />
gründlich vorbereiten<br />
■ Sich um Klarheit und Eindeutigkeit<br />
bemühen<br />
■ Durch die Erwartungshaltung den<br />
Lernwillen unterstützen<br />
■ Die pädagogische Arbeit als Lernbegleitung<br />
verstehen<br />
■ Nach selbstständiger Arbeit Würdigungsgespräche<br />
führen<br />
■ Mit längerfristigen Lernprozessen<br />
rechnen<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />
35
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
ABCDEFGHIJKLMN<br />
… wie PISA<br />
Starken Widerhall fand die bildungspolitische Debatte um die Ergebnisse von PISA<br />
und die deutsche Ergänzungsstudie PISA-E natürlich in den Spalten unserer Zeitschrift.<br />
Die Positionen und Analysen des Grundschulverbandes sind heute noch von<br />
frappierender Aktualität. Auch hier zeigt sich sein klares Profil als Fachverband<br />
für kind- und zeitgemäße Grundschulpädgogik und als Reformverband zur Durchsetzung<br />
der Bildungsansprüche von Grundschulkindern.<br />
Und immer wieder PISA …<br />
von Angelika Speck-Hamdan,<br />
Heft 77 (2002), S. 2<br />
Zum Jahresausklang 2001 hatte er das<br />
ganze Land gepackt: der PISA-Schock!<br />
Deutschlands Schülerinnen und Schüler<br />
im internationalen Leistungsvergleich<br />
weit abgeschlagen, Spitzenwerte<br />
nur, was die schlechtesten Leistungen<br />
angeht, fünfunddreißig Jahre nach<br />
der Picht’schen »Bildungskatastrophe«<br />
wieder ein solches Desaster. Die<br />
Kommentare hat jeder noch im Ohr;<br />
Schuldzuweisungen nach allen Seiten<br />
wurden vorgebracht, schnell und laut.<br />
Die Eltern kümmerten sich zu wenig,<br />
das System sei zu unflexibel, die Lehrer/innen<br />
bildeten sich zu wenig fort,<br />
die Lehrpläne seien überfrachtet, die<br />
Kinder würden zu spät eingeschult,<br />
gingen zu lang in die Schule … Von jeder<br />
bildungspolitischen Position aus<br />
ließ sich trefflich argumentieren, (alte)<br />
Patentrezepte erlebten ihr Comeback.<br />
Wenn man nur auf dies oder jenes gehört<br />
hätte …!<br />
Eines sollte uns als Vertreter/innen der<br />
Interessen der <strong>Grundschule</strong> allerdings<br />
aufhorchen lassen: Die <strong>Grundschule</strong> ist<br />
auf einmal in aller Munde, zwar durchaus<br />
auch mit einem kritischen Unterton,<br />
aber mit einem Interesse, das man<br />
lange Zeit in der Öffentlichkeit vermisst<br />
hat. (…)<br />
Es mag sein, dass sich die <strong>Grundschule</strong><br />
nicht zuletzt wegen ihrer<br />
Zweit- oder gar Drittrangigkeit in der<br />
öffentlichen und bildungpolitischen<br />
Aufmerksamkeit eigenständiger und<br />
wirksamer von innen heraus verändern<br />
konnte. Keine andere Schulart gilt als<br />
so reformfreudig wie die <strong>Grundschule</strong>.<br />
Nun wird ihr das von einigen PISA-Desaster-Schuldzuweisern<br />
wohl auch negativ<br />
angekreidet, aber derartige Vorwürfe<br />
sind nicht haltbar. Wer der Pauk- und<br />
Drillschule nun das Wort redet, übersieht<br />
die Komplexität von Schulleistungen.<br />
Der Leistungsvergleich der<br />
PISA-Studie fußt auf dem internationalen<br />
Begriff der »literacy« oder »Grundbildung«,<br />
der weit mehr umfasst als<br />
die Abfragbarkeit von Faktenwissen;<br />
er orientiert sich an Basiskompetenzen,<br />
die für die Teilhabe in modernen<br />
Gesellschaften notwendig sind. Dies<br />
kommt dem Bildungsverständnis der<br />
<strong>Grundschule</strong> sehr nah. Sie versteht<br />
sich von jeher als Stätte grundlegender<br />
Bildung im umfassenden Sinn. Aus diesem<br />
Verständnis heraus formuliert sie<br />
ihren eigenständigen Bildungsauftrag,<br />
der selbstverständlich mehr beinhaltet<br />
als den Erwerb von Kulturtechniken im<br />
engen und eingeschränkten Sinn.<br />
PISA – das deutsche<br />
Debakel und die richtigen<br />
Lehren daraus<br />
Presseerklärung des Grundschulverbandes,<br />
Heft 77 (2002), S. 3<br />
Die Ergebnisse der PISA-Studie sind deprimierend.<br />
Ebenso deprimierend ist,<br />
was die Schulpolitik an Folgerungen<br />
zieht: Der Ministerpräsident von Hessen<br />
fordert eine »Kultur der Anstrengung«,<br />
die baden-württembergische<br />
Schulministerin schärfere Zensuren,<br />
der Bremer Schulsenator frühe Diagnose,<br />
der nordrhein-westäflische<br />
Ministerpräsident die Verkürzung der<br />
gymnasialen Schulzeit auf 12 Jahre, die<br />
bayrische Kultusministerin frühere Einschulungen<br />
usw. »Alles am Thema vorbei«,<br />
beklagt der geschäftsführende<br />
Vorsitzende des Grundschulverbandes<br />
Horst Bartnitzky, »denn nichts davon<br />
fördert die Lesekompetenzen gerade<br />
auch der Wenig- und der Nicht leser.<br />
Und genau darum müsste es doch gehen.«<br />
Dabei sind die wirklich wirksamen Konzepte<br />
bekannt. Der Grundschulverband<br />
verweist auf die Ergebnisse von Leseforschung<br />
und Lesepädagogik. Zwei<br />
Drittel aller Kinder und Jugendlichen<br />
haben zu Hause keine erwachsenen<br />
Lesevorbilder und nicht erfahren, dass<br />
Lesen eine Lust ist. Sie sind deshalb für<br />
diese Grunderfahrungen auf die Schule<br />
angewiesen. Diese Kinder erwerben<br />
Lesekompetenz aber nicht durch Lesetraining<br />
in zusätzlichen Förderstunden,<br />
nicht durch stotternde Vorleseübungen,<br />
nicht durch das Durchnehmen<br />
von Texten aus dem Lese buch.<br />
Lesekompetenz erwirbt man durch<br />
Lesen selbst – vor allem und zunächst<br />
durch freiwilliges und lustvolles Lesen,<br />
ohne dass dies gleich zensiert wird.<br />
Horst Bartnitzky bringt dies auf die<br />
Formel: »Nur wer gerne liest, unterzieht<br />
sich der Anstrengung, die Lesen z. B. im<br />
Unterschied zum Fernsehen bedeutet.<br />
Nur wer gerne liest, liest auch viel.<br />
Und nur wer viel liest, entwickelt seine<br />
Lese kompetenzen.«<br />
Der Grundschulverband verweist auf<br />
die lesepädagogische Schatzkammer<br />
voller Ideen und schulischer Erfahrungen,<br />
wie solche Leselust bei allen<br />
Kindern in der Schule gefördert werden<br />
kann und wie sich darauf aufbauend<br />
Lesekompetenzen entwickeln lassen:<br />
freie Lesezeiten, Leseprojekte, Lesetagebücher,<br />
Autorenlesungen, fantasievoller<br />
Umgang mit Gelesenem; bei<br />
Kindern mit nicht-deutscher Familiensprache<br />
das Lesenlernen in der Sprache,<br />
36 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
O P ORSTUVWXYZ<br />
die sie bereits kennen, und die ersten<br />
Kinderbücher auch in dieser Sprache;<br />
Leseförderung weit über die Grundschuljahre<br />
hinaus und vieles mehr.<br />
PISA – Welche Lehren<br />
ziehen eigentlich die<br />
Sekundarschulen?<br />
Presseerklärung des Grundschulverbandes,<br />
Heft 78 (2002), S. 12<br />
Wer sich an der Hand verwundet hat,<br />
wird sich nicht den Fuß verbinden. So<br />
absurd ist aber die gegenwärtige Diskussionslage.<br />
Es wurden 15-Jährige getestet mit<br />
beschämenden Ergebnissen – nach<br />
vier bis fünf Jahren in den Schulen der<br />
Sekundarstufe. Wo soll nun die Besserung<br />
ansetzen? Wenn es nach der<br />
vorherrschenden politischen Diskussionslage<br />
geht: nicht in den Schulen der<br />
Sekundarstufe, sondern im Kindergarten<br />
und in der <strong>Grundschule</strong>.<br />
Natürlich ist in Kindergärten und<br />
<strong>Grundschule</strong>n vieles zu verbessern<br />
– und PISA hat deutlich gemacht, was<br />
neben anderen auch der Grundschulverband<br />
seit Jahren angemahnt hat:<br />
Dass gerade in den Beginn des Bildungsweges<br />
eines Menschen besonders<br />
viele Ressourcen gesteckt werden<br />
müssen.<br />
Aber die untersuchten Jugendlichen<br />
waren seit Jahren Schülerinnen und<br />
Schüler der Sekundarschulen. Hier also<br />
müssten sich doch auch – und warum<br />
nicht zuallererst? – die Fragen stellen:<br />
■ Warum ist die Leistungsspitze in<br />
deutschen Sekundarschulen so viel<br />
schmaler als in den meisten anderen<br />
Ländern? Was also läuft z. B. an den<br />
Gymnasien falsch?<br />
■ Warum liefert das von vielen hochgelobte<br />
differenzierte deutsche Schulsystem<br />
so viel kärglichere Leistungen<br />
als andere weniger differenzierte<br />
Schulsysteme?<br />
■ Warum werden in der Sekundarstufe<br />
die meisten schwachen Leserinnen<br />
und Leser von den Lehrkräften, die sie<br />
jahrelang unterrichten, gar nicht als<br />
solche erkannt (und deshalb wohl auch<br />
nicht gefördert)?<br />
■ Warum lesen über 40 % der 15-Jährigen<br />
nicht gern? Was läuft falsch in<br />
der schulischen Leseförderung in den<br />
Jahren der Pubertät, in denen bekanntlich<br />
Jugendliche zu »Leseratten« werden<br />
oder nicht?<br />
Der Grundschulverband mahnt deshalb<br />
an: Die Schulen und das Schulsystem<br />
der Sekundarstufe müssen ins<br />
Zentrum der kritischen Auseinandersetzung<br />
kommen. Hier sind offenbar<br />
tiefgreifende Änderungen nötig.<br />
PISA-E: Das Ablenken<br />
von den wirklichen<br />
Problemen des deutschen<br />
Schul systems geht weiter<br />
Presseerklärung des Grundschulverbandes,<br />
Heft 79 (2002), S. 5<br />
Der innerdeutsche Leistungsvergleich<br />
droht den eigentlichen Maßstab zu<br />
verlieren: nämlich die Orientierung an<br />
internationalen Standards. Auch die<br />
Bestplatzierten in Deutschland haben<br />
international nur bessere Mittelplätze,<br />
eine kleinere Leistungsspitze und<br />
eine größere Zahl von Schulversagern<br />
als andere Industrienationen. Deshalb<br />
sind die deutschland-internen Rangplätze<br />
nur ein weiteres Ablenkungsmanöver<br />
von den eigentlichen Problemen<br />
des deutschen Schulsystems und ihren<br />
Ursachen.<br />
Ablenkungsmanöver<br />
Denn das Ablenken von der Wahrheit<br />
ist leider zur Methode geworden:<br />
■ Da sollen Kindergarten und <strong>Grundschule</strong><br />
die Misere bessern. Dabei ging<br />
es in den bisherigen Untersuchungen<br />
um 15-Jährige. Die erste Frage müsste<br />
also sein: Was läuft in den weiterführenden<br />
Schulen falsch?<br />
■ Da sollen Leistungstests helfen,<br />
landesweite wie die SPD sie will, oder<br />
bundesweite wie die CDU sie fordert.<br />
Doch entscheidend ist die Anschlussfrage:<br />
Wie werden die schlechter abschneidenden<br />
Schüler gefördert? Denn<br />
genau dies gelingt in vergleichbaren<br />
Ländern besser.<br />
■ Da sollen Ganztags-<strong>Grundschule</strong>n<br />
flächendeckend eingerichtet werden.<br />
Doch in Wirklichkeit werden es Schulen<br />
werden mit traditionellem Unterricht<br />
plus Betreuung durch nicht weiter<br />
qualifiziertes Personal. Wie soll das die<br />
schulische Leistungsfähigkeit fördern?<br />
Das Kneifen vor der Wahrheit<br />
Tatsächlich scheuen die Schulpolitiker<br />
der großen Parteien offenbar eines wie<br />
der Teufel das Weihwasser – die Schulsystem-Frage,<br />
die unweigerlich einen<br />
Widerspruch offenbart: Das hochselektive<br />
deutsche Schulsystem soll<br />
besonders leistungsfördernd sein –<br />
tatsächlich aber erzeugt es die gegenteiligen<br />
Effekte. International einmalig<br />
ist die Dichte an Auslesesituationen:<br />
Auslese schon beim Schulstart, Auslese<br />
am Ende eines jeden Schuljahres,<br />
Auslese bereits nach Klasse 4, Auslese<br />
in Gute und Schlechte täglich durch<br />
Noten oder Punktsysteme, Auslese Behinderter<br />
an Sonderschulen. Kein vergleichbares<br />
Land macht die Schulzeit<br />
zu einer derartigen ständigen Test- und<br />
Auslesestrecke. Stattdessen setzen erfolgreichere<br />
Länder auf langes gemeinsames<br />
Lernen, auf differenzierte Förderung<br />
und auf insgesamt mehr Zeit<br />
zum Lernen.<br />
Sitzenbleiben, Noten, vierjährige<br />
Grundschulzeit, dreigliedriges Schulsystem<br />
… alles »heilige Kühe«. Bloß nicht<br />
dran rühren, das kostet Wählerstimmen.<br />
Dem Wahlvolk darf die Wahrheit<br />
also nicht zugemutet werden? Auch um<br />
den Preis, dass deutsche Kinder und<br />
Jugendliche dieses politische Kneifen<br />
vor der Wahrheit ausbaden müssen?<br />
Das darf doch nicht wahr sein.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />
37
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
ABCDEFGHIJKLMN<br />
… wie Qualität<br />
Bildungs-Ansprüche.<br />
Von VERA und dem Mut<br />
zur Wahrheit, von Standards<br />
und der guten Schule<br />
von Horst Bartnitzky und<br />
Ulrich Hecker, Heft 88 (2004), S. 3 ff.<br />
»Qualitätsentwicklung« ist die Überschrift des bunten Puzzlespiels<br />
von Maßnahmen, die die Kultusminister nach den PISA-Ergebnissen<br />
eingeleitet haben. Hinter dem Begriff der »Qualität von Schule« steckt<br />
die alte Frage danach, was denn eine »gute Schule« ist. Und welche<br />
Qualität Leistung(en) haben können und sollen: Was Schulen leisten<br />
müssen, damit Kinder in ihnen etwas leisten können.<br />
Ganztagsschulen anbieten, nationale<br />
Bildungsstandards setzen – auf diese<br />
Schwerpunkte beschränken sich im<br />
Wesentlichen die Folgerungen, die die<br />
Kultusminister/innen in Deutschland<br />
gezogen haben, um das ins Gerede gekommene<br />
Bildungswesen wieder voranzubringen.<br />
»Doch dessen Krise«, resümiert<br />
Joachim Güntner, »ist umfassend<br />
kultureller Art. Freudlosigkeit, Angst,<br />
Geringschätzung prägen die Atmosphäre«<br />
(in: »Die lieblose Lehranstalt«, Neue<br />
Zürcher Zeitung, 7. 7. 2004).<br />
(…) Die bislang öffentlich diskutierten<br />
»Bildungsstandards« stellen ausschließlich<br />
Ansprüche an die Kinder<br />
(Kompetenzen, die die Kinder »in der<br />
Bundesrepublik Deutschland am Ende<br />
der Jahrgangsstufe 4 in den Fächern<br />
Deutsch und Mathematik … erworben<br />
haben sollten«, heißt das im KMK-Entwurf).<br />
Ihre Leistungen genügen offenbar<br />
den Ansprüchen »der Gesellschaft«<br />
derzeit nicht, daher werden Maßstäbe<br />
formuliert, an denen die Leistungen<br />
der Kinder gemessen werden.<br />
Erika Brinkmann fordert dazu auf,<br />
»die ganze Diskussion vom Kopf auf die<br />
Füße zu stellen: Welche Bildungsansprüche<br />
haben die Kinder eigentlich an die<br />
Schule?« (E. Brinkmann, Bildungschancen<br />
für alle. Standards für den Deutschunterricht,<br />
in: »<strong>Grundschule</strong>«, Heft<br />
10/2004, S. 12 – 15, hier: S. 12).<br />
Der Grundschulverband sieht in<br />
Bildungsstandards nicht nur Schulleistungsstandards.<br />
Er versteht sie auch<br />
als Ansprüche von Kindern an Schule.<br />
Die Bildungsansprüche der Kinder<br />
sind der höchstmögliche Leistungsanspruch,<br />
der denkbar ist.<br />
»Ein Ort, an dem ich gebraucht<br />
werde«<br />
Der Begriff »Kultur« taucht in den<br />
letzten Jahren immer häufiger auf im<br />
Kontext von pädagogischem Handeln.<br />
Kultur ist, wie der ganze Mensch lebt,<br />
notierte Bertolt Brecht einmal.<br />
»Pädagogische Kultur« bezieht sich<br />
auf die Schule als Ganzes: »auf ihre<br />
praktische Qualität, ihre Zuträglichkeit<br />
für das Leben und Lernen von Kindern und<br />
Jugendlichen, ihre Zuträglichkeit auch<br />
als Arbeitsplatz von Lehrern« (P. Fauser,<br />
Nachdenken über pädagogische Kultur,<br />
in: »Die Deutsche Schule«, Heft 1/1989,<br />
S. 5 – 25, hier: S. 6 f.). (…)<br />
»Schule«, schreibt Hartmut von<br />
Hentig, »das sind in erster Linie Menschen.<br />
Sie ist keine Produktionsstätte,<br />
die – der Name sagt es – sich am Produkt<br />
ausrichtet. Ihre Arbeit besteht nicht im<br />
›Herstellen von‹, sondern im ›Anregen,<br />
Verhelfen, Ermutigen zu‹.«<br />
Um mehr als um Schulleistungen<br />
geht es, es geht um Bildung. Die »Mindeststandards«<br />
einer »guten Schule«<br />
als »Raum zum Wachsen« könnte man<br />
so fassen:<br />
»Der Grundgedanke sollte sein, dass wir<br />
die Schule zu einem Ort machen, an dem<br />
man vornehmlich durch Beteiligung lernt<br />
und weniger durch Belehrung;<br />
ein Ort, an dem man die Verantwortung<br />
für den eigenen Weg als etwas befriedigendes<br />
und Gemeinsinn als etwas auch<br />
mir dienliches erfährt;<br />
ein Ort, an dem die demokratische<br />
polis verständlich ist und meine Mitwirkung<br />
in ihr Folgen hat;<br />
ein Ort, an dem ich gebraucht werde«<br />
(H. v. Hentig in »Neue Sammlung«,<br />
Heft 3 / 91).<br />
Zur Qualität der Leistung<br />
5 Thesen zu Evaluation<br />
und Rechenschaft<br />
der Grundschularbeit<br />
von Horst Bartnitzky, Hans Brügelmann,<br />
Lilli Roffmann und Hermann Schwarz,<br />
Heft 66 (1999), S. 14 ff.<br />
Der Grundschulverband begrüßt, dass die<br />
Qualität von Schule und Unterricht wieder<br />
mehr öffentliche Aufmerksamkeit findet. Er<br />
ist allerdings besorgt, dass die notwendige<br />
Diskussion über die pädagogische Qualität<br />
der Grundschularbeit in wesentlichen Punkten<br />
verkürzt wird – zum Schaden ihrer Weiterentwicklung.<br />
Insbesondere die öffentlichkeitswirksame<br />
Behauptung eines angeblichen »Leistungsverfalls«<br />
ist nicht belegt und (ver)führt<br />
zu falschen Folgerungen. Zudem wird bei<br />
vielen Vorschlägen für »Bestandsaufnahmen«<br />
oder »Vergleichsarbeiten« nicht zureichend<br />
bedacht, dass Evaluation der Verbesserung<br />
von Unterricht zu dienen hat und welche Informationen<br />
für diese Aufgabe notwendig<br />
bzw. hilfreich sind.<br />
38 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
OPO RSTUVWXYZ<br />
Der Grundschulverband fasst seine Forderungen<br />
in fünf Thesen zusammen:<br />
1. These<br />
Die Diskussion über Aufgaben und Leistung der<br />
Schule muss sich an den heutigen und künftigen<br />
Anforderungen orientieren, statt die Vergangenheit<br />
zu verklären.<br />
Klagen über einen angeblichen Leistungsverfall<br />
gab es zu allen Zeiten und gibt es in allen<br />
Ländern. Soweit empirisch überhaupt belegbar,<br />
sind die gegenwärtigen Defizite nicht<br />
dramatisch. Auch historisch ist kein genereller<br />
Leistungsverfall nachweisbar. In wichtigen Bereichen<br />
ist sogar eine Zunahme des Bildungsniveaus<br />
festzustellen, z. B. im kognitiven<br />
Niveau, im Lesen, in der Fremdsprachenkenntnis.<br />
(…) Trotz dieser Zurückweisung oft leichtfertiger<br />
Kritik ist darüber nachzudenken, wie<br />
auch innerhalb des Schulsystems Rechenschaft<br />
besser organisiert und Maßnahmen<br />
der Evaluation für die Verbesserung des Unterrichts<br />
produktiv gemacht werden können.<br />
2. These<br />
Die oft wenig fundierte Kritik an den Refomen<br />
der <strong>Grundschule</strong> ist zu versachlichen und zu korrigieren.<br />
Die wiederholt behaupteten Nega tivfolgen<br />
einer Öffnung des Unterrichts in den letzten<br />
10 bis 20 Jahren sind nicht nachgewiesen.<br />
Neue Konzepte von Unterricht sind in so geringer<br />
Breite und Intensität umgesetzt, dass<br />
sie schon wegen ihres quantitativ begrenzten<br />
Umfangs für den gegenwärtigen Zustand des<br />
Systems nicht verantwortlich sein können.<br />
Aus dem <strong>aktuell</strong>en Forschungsstand lässt sich<br />
generell keine Überlegenheit traditionellen<br />
Unterrichts ableiten.<br />
3. These<br />
Bevor über Maßnahmen der Evaluierung entschieden<br />
wird, sind die Kriterien der Bewertung<br />
inhaltlich zu begründen, müssen Indikatoren<br />
und Instrumente auf ihre methodische Eignung<br />
hin überprüft werden.<br />
Im Einzelnen ist zu klären:<br />
a) Welche inhaltlichen Ansprüche stellen wir<br />
heute an eine grundlegende Bildung und wie<br />
weisen wir sie aus?<br />
Bei der Auswahl von Verfahren und Instrumenten<br />
sind insbesondere drei Probleme im<br />
Blick zu behalten:<br />
■ Die bevorzugt überpüften fachlichen<br />
Leistungen erfassen nur Ausschnitte aus dem<br />
Spektrum schulischer Aufgaben. Decken die<br />
Kriterien und Verfahren der Evaluation die<br />
volle Breite des Bildungsanspruchs ab?<br />
■ Wesentliche Aspekte pädagogischer Qualität<br />
lassen sich über die Effekte von Unterricht<br />
nicht erfassen. Berücksichtigen die Kriterien<br />
und Verfahren zureichend die Qualität der Prozesse,<br />
die zu bestimmten Leistungen führen?<br />
■ Gleiche Anforderungsniveaus für alle sind<br />
eine Illusion. Differenzieren die Evaluierungsmaßnahmen<br />
nach den unterschiedlichen<br />
Voraussetzungen der Klassen und einzelner<br />
Schülerinnen und Schüler?<br />
b) Welche Indikatoren und welche Methoden<br />
eignen sich zur Untersuchung und zur Förderung<br />
pädagogischer Qualität?<br />
Instrumente sind in drei Dimensionen zu<br />
entwickeln, um für eine Verbesserung des Unterrichts<br />
wesentliche Faktoren zu erfassen:<br />
■ Aufgabenbeispiele zur Feststellung spezifischer<br />
Leistungen,<br />
■ Prozesskriterien für die Qualität von Unterricht,<br />
■ Standards für die Rahmenbedingungen pädagogischer<br />
Arbeit.<br />
Es sind also verschiedene Kriterien und unterschiedliche<br />
Aktivitäten der Evaluation zu kombinieren,<br />
um der Komplexität von Unterricht<br />
gerecht zu werden, um über eine bloße Bestandsaufnahme<br />
hinaus Bedingungen für Unterschiede<br />
aufzuklären und um Ansatzpunkte<br />
für eine Verbesserung der Praxis gewinnen zu<br />
können.<br />
4. These<br />
Im Blick auf Unterricht und Schule sind verschiedene<br />
Verantwortlichkeiten zu unterscheiden.<br />
Rechenschaftspflichten und Evaluationsformen<br />
sind entsprechend zu differenzieren.<br />
(…) Der Grundschulverband schlägt eine<br />
Gliederung der Rechenschaftspflichten nach<br />
drei Ebenen vor: Politik und Verwaltung<br />
– Schule – Klasse. Auf diesen Ebenen der Verantwortung<br />
sind interne und externe Rechenschaftspflichten<br />
sowie formelle und informelle<br />
Verfahren der Evaluation mit ein ander<br />
abgestimmt zu entwickeln.<br />
Ebene Klasse<br />
■ Die Schülerinnen und Schüler bemühen<br />
sich um Klarheit über die eigenen Ziele und<br />
den Erfolg der eigenen Arbeit, um ihr Lernen<br />
selbstständig und erfolgreich organisieren zu<br />
können.<br />
■ Die Lehrerinnen und Lehrer beob achten im<br />
Blick auf einzelne Kinder und auf die Klasse die<br />
Lernprozesse und werten sie aus; sie können<br />
damit Anforderungen, Aufgaben und Hilfen<br />
besser auf den jeweiligen Lernstand abstimmen.<br />
Ebene Schule<br />
■ Die Lehrerinnen und Lehrer beob achten<br />
sich gegenseitig im Unterricht, überprüfen<br />
damit die Wirkung ihrer Arbeit und entwickeln<br />
ihr methodisches Repertoire kontinuierlich<br />
weiter.<br />
■ Das Kollegium formuliert nach einer Bestandsaufnahme<br />
der pädagogischen Arbeit an<br />
der eigenen Schule das Schulprogramm und<br />
schreibt es periodisch fort. Die Schulleitung<br />
regt diese Aktivitäten an, fördert sie und sichert<br />
sie ab. Die Eltern werden in die Entwicklungsarbeit<br />
eingebunden.<br />
■ Die Schulaufsicht stärkt in den schulinternen<br />
Evaluationen den Fremdblick, erkennt<br />
Entwicklungen an, unterstützt sie und fordert<br />
sie gegebenenfalls ein.<br />
Ebene Politik und Verwaltung<br />
Die Verantwortlichen in Parlament und Ministerien<br />
machen im Blick auf das Gesamtsystem<br />
allgemeine Problemstellen aus und überprüfen<br />
politische Prioritäten. Sie sichern die<br />
materiellen Voraussetzungen und rechtlichen<br />
Rahmenbedingungen.<br />
5. These<br />
Evaluation dient der Verbesserung von Unterricht<br />
und Schule.<br />
Um die konstruktive Funktion von Evaluation<br />
hervorzuheben und zu nutzen, emp-fiehlt<br />
der Grundschulverband vorrangig Untersuchungen<br />
von Schulen, die unter er-schwerten<br />
Bedingungen erfolgreich sind. In Form von<br />
Fallstudien können sie helfen, lernförderliche<br />
Bedingungen auszumachen.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />
39
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
ABCDEFGHIJKLMN<br />
… wie Reform der <strong>Grundschule</strong><br />
Ist die <strong>Grundschule</strong> reformbedürftig? Seitdem Erwin Schwartz, der<br />
Gründer des Grundschulverbandes, damals Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong>,<br />
1966 diese Frage stellte, wurde sie unzählige Male neu gestellt, mit Ja<br />
beantwortet und jeweils <strong>aktuell</strong> begründet. Manche Problemstellen<br />
wurden in den Jahrzehnten gemildert, z. B. wurden die Klassen kleiner,<br />
differenzierter Unterricht wurde zum Alltag. Die meisten schwerwiegenden<br />
Problemstellen blieben dies aber über die Jahrzehnte. Beim Blättern<br />
in den Heften dieser Zeitschrift wird das sehr augenfällig.<br />
Die <strong>Grundschule</strong> ist<br />
reformbedürftig – heute!<br />
von Horst Bartnitzky,<br />
Heft 86 (2004), S. 12 f.<br />
Als Erwin Schwartz 1968/69 den damaligen<br />
Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong><br />
gründete, legte er für dessen Arbeit mit<br />
seinem Gutachten »Funktion und Reform<br />
der <strong>Grundschule</strong>« die erziehungswissenschaftlichen<br />
und bildungspolitischen<br />
Grundlagen … Zentrale<br />
Forderungen von Erwin Schwartz sind<br />
nach wie vor nicht eingelöst – nicht,<br />
weil sie un<strong>aktuell</strong> geworden wären,<br />
sondern weil die <strong>Grundschule</strong> nach wie<br />
vor die vernachlässigte Schulform im<br />
Bildungssystem ist. Und es sind genau<br />
die Ansatzpunkte, die Erwin Schwartz<br />
herausgearbeitet hat, die der Grundschulverband<br />
heute aktualisiert.<br />
Stiefkind <strong>Grundschule</strong><br />
Erwin Schwartz: »Zur elementaren<br />
und allgemeinen Schulbildung bis zum<br />
zehnten Lebensjahr wird in der Bundesrepublik<br />
für das einzelne Kind (in<br />
der <strong>Grundschule</strong>) jeweils nur etwa ein<br />
Drittel jener Mittel aufgewendet, welche<br />
dieser Staat jedem Fünfzehn- bis<br />
Zwanzigjährigen für seine weiterführende<br />
und selektive Schullaufbahn zur<br />
Verfügung stellt.«<br />
Dieses Missverhältnis ist über die<br />
Jahrzehnte hinweg unverändert geblieben,<br />
wie inzwischen alle Jahre wieder<br />
durch die OECD bestätigt wird: Im<br />
Vergleich der Bildungsausgaben des<br />
Staates wird für einen Jugendlichen<br />
in der gymnasialen Oberstufe das<br />
Dreifache von dem investiert wie für<br />
ein Grundschulkind. Kinder, die der<br />
Zuwendung und Unterstützung im<br />
Besonderen bedürfen, erhalten damit<br />
viel weniger Unterricht und eine ärmere<br />
Ausstattung als Jugendliche, die<br />
selbstständig lernen können. Der Missstand<br />
wird zur Zeit durch Betreuungskonzepte<br />
verschleiert, die die magere<br />
Stundentafel familienfreundlich ergänzen<br />
sollen. Der Grundschulverband<br />
wird weiterhin diesen gesellschaftlichen<br />
Skandal anprangern und z. B.<br />
qualifizierte Konzepte für den Ausbau<br />
der ganzen Halbtagsschule zur Ganztagesschule<br />
einfordern.<br />
Bildungsbenachteiligung<br />
Erwin Schwartz: »Gerade gegen<br />
diesen Verfassungsauftrag (gemeint<br />
ist das Gleichberechtigungsprinzip,<br />
Grundgesetz Art. 3) wird in der <strong>Grundschule</strong><br />
verstoßen; und mit unserer<br />
Hilfe wird solchen Verstößen noch<br />
ein Schein amtlichen Rechts verliehen<br />
durch Leistungsnorm und Leistungsmessung,<br />
durch Zensur und Zeugnis.«<br />
Aktuell deutlich geworden ist die<br />
Bildungsbenachteiligung durch das<br />
deutsche Schulsystem mit den Ergebnissen<br />
der PISA- und der IGLU-Studie:<br />
In Deutschland bestimmen die<br />
soziale Herkunft und der Migrationshintergrund<br />
von Kindern und Jugend-<br />
lichen entscheidend mit über den<br />
Bildungserfolg. Dies ist in der Sekundarstufe<br />
(PISA) noch erheblich ausgeprägter<br />
als in der <strong>Grundschule</strong> (IGLU).<br />
Doch auch hier zählen noch 10,3 % der<br />
Neunjährigen zu den »Risikokindern«.<br />
Diese Bildungsbenachteiligung ganzer<br />
Kindergruppen ist ein beschämender<br />
Befund. Der Grundschulverband hat<br />
die notwendigen schulpolitischen<br />
Weichenstellungen in einigen seiner<br />
»Standpunkte zur Grundschulreform«<br />
ausgeführt, die seitdem die inhaltliche<br />
Arbeit des Verbandes bestimmen. Um<br />
Bildungsgerechtigkeit herzustellen,<br />
braucht die <strong>Grundschule</strong> zudem (um<br />
einen alten Slogan des Verbandes zu<br />
zitieren) »Mehr Zeit für Kinder«.<br />
Das leistungshemmende<br />
Schulsystem<br />
Erwin Schwartz: »Die Grundstufe<br />
ist als integrierter Bestandteil der Gesamtschule<br />
anzusehen und auszustatten.«<br />
Das Auslesesystem des deutschen<br />
Schulwesens auf fünf verschiedene<br />
weiterführende Schulen ( Hauptschule,<br />
Realschule, Gymnasium, Gesamtschule,<br />
Sonderschulen) hat sich gerade<br />
durch die <strong>aktuell</strong>en internationalen<br />
Schulleistungsuntersuchungen als Irrweg<br />
erwiesen: Die immer behauptete<br />
besondere Leistungsförderung des gegliederten<br />
Schulsystems geht fehl: Die<br />
Leistungsspitze ist bei den 15-Jährigen<br />
mit 8,8 % deutlich geringer als in vergleichbaren<br />
Ländern mit längerer gemeinsamer<br />
Schulzeit, die Risikogruppe<br />
ist mit 23 % erheblich größer und die<br />
soziale Herkunft bestimmt den Schulerfolg<br />
erheblich mehr. Das deutsche<br />
Gymnasium sorgt eben nicht für eine<br />
breite Leistungsspitze und die Hauptschule<br />
kann die Lerndefizite nicht<br />
hinreichend ausgleichen. In Schweden<br />
wurde im Verlauf von 30 Jahren<br />
das ehemals verzweigte Schulsystem<br />
in ein System des gemeinsamen Lernens<br />
umgewandelt. Heute rangieren<br />
schwedische Schülerinnen und Schüler<br />
bei internationalen Vergleichen in der<br />
40 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
OPOR STUVWXYZ<br />
Spitzengruppe. Der Grundschulverband<br />
hat im Jahr 2001 zusammen mit<br />
dem Gesamtschulverband eine Grundsatzposition<br />
erarbeitet: »Länger miteinander<br />
und voneinander lernen« (siehe<br />
hierzu beim Buchstaben S). Inzwischen<br />
unterstützen viele bildungspolitisch<br />
wirkende Verbände ausdrücklich unsere<br />
Position, z. B. der Bundeselternrat,<br />
die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft,<br />
der Verband Sonderpädagogik.<br />
Die offizielle Schulpolitik ficht dies<br />
alles derzeit nicht an. Die meisten Parteien<br />
erklären (noch) die Schulstrukturfrage<br />
zu einem Tabu-Thema.<br />
7 Prüfsteine für die<br />
moderne <strong>Grundschule</strong><br />
Kommentar zu einem eingelegten<br />
Plakat, Heft 97 (2007), innere Umschlagseite<br />
hinten<br />
Die gegenwärtige »Output-Orientierung«<br />
der Schulpolitik meint, durch<br />
Standards und Tests absichern zu können,<br />
»was hinten herauskommt«. Kinder<br />
sind aber keine Stopfgänse, sondern<br />
Subjekte ihres Lernens.<br />
Deshalb gilt der 1. Prüfstein dem Bild<br />
vom Kind:<br />
■ Mit Kindern Schule machen.<br />
Fördern und fordern lautet eine gängige<br />
Formel. Verlage überbieten sich mit<br />
Material zur individuellen Förderung.<br />
Dabei wird häufig übersehen, dass die<br />
Schule dem Zwillingsprinzip verpflichtet<br />
ist: Individualität und Sozialität.<br />
Den 2. Prüfstein nennen wir deshalb:<br />
■ Individuell fördern – Gemeinsamkeit<br />
stärken.<br />
Frühe Auslese ist ein Kennzeichen der<br />
deutschen Schule. Schulisch erfolgreichere<br />
Länder verzichten darauf und<br />
fahren damit besser.<br />
Den Titel des 3. Prüfsteins übernehmen<br />
wir von einem Grundprinzip finnischer<br />
Schulen:<br />
■ Kein Kind beschämen.<br />
Frühes Zensieren ist ein weiteres Kennzeichen<br />
der deutschen Schule. Damit<br />
werden früh die Kinder in Gewinner<br />
und Verlierer eingeteilt. Ihre Motivation<br />
vom Sachinteresse wird auf das<br />
Noteninteresse abgelenkt. Zensieren<br />
ist ein würdeloser Umgang mit Kinderleistungen.<br />
Dem halten wir den<br />
4. Prüfstein entgegen:<br />
■ Leistungen der Kinder würdigen.<br />
Unterricht plus Betreuung ist die gegenwärtig<br />
verbreitete Lösung zum Thema<br />
Ganztag. Dabei hat der Unterricht in der<br />
<strong>Grundschule</strong> nach wie vor die knappste<br />
Stundentafel aller Schulformen. Was<br />
Kinder brauchen ist nicht nur längere<br />
»Verweildauer« in der Schule, sondern<br />
was wir als 5. Prüfstein formulieren:<br />
■ Mehr Bildungszeit für Kinder.<br />
Freie Schulwahl ist das Motto derer,<br />
die Schulen mit Firmen verwechseln.<br />
<strong>Grundschule</strong>n sollen in Konkurrenz gesetzt<br />
werden, damit sich das pädagogische<br />
Geschäft belebe und »schlechte«<br />
Schulen vom Markt verschwänden.<br />
Der pädagogische Flurschaden, der dabei<br />
entsteht, bleibt unbeachtet. Deshalb<br />
formulieren wir als 6. Prüfstein:<br />
■ Schule im Wohnbezirk stärken.<br />
Erhaltung der vierjährigen <strong>Grundschule</strong>,<br />
jeder der anders denkt, ist ein Ideologe,<br />
so die Gralshüter des deutschen<br />
Sonderweges. Mit diesem Killerwort<br />
versuchen sie, die Debatte zu unterbinden.<br />
Andere Länder sind aber schulisch<br />
erfolgreicher mit viel längerer gemeinsamer<br />
Schulzeit. Deshalb nennen wir<br />
den 7. Prüfstein:<br />
■ Länger gemeinsam lernen.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />
41
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
ABCDEFGHIJKLMN<br />
… wie Schul-Struktur oder<br />
selektives Schulsystem<br />
Die zumeist vierjährige <strong>Grundschule</strong> in Deutschland geht auf einen politischen Kompromiss<br />
zu Beginn der Weimarer Republik 1920 zurück. Dieser Kompromiss erweist sich für<br />
die <strong>Grundschule</strong> als belastende Hypothek, weil die Ausleseentscheidungen ihre Schatten<br />
weit in die Grundschuljahre hineinwirft, die frühe Notengebung bewirkt und die ermutigende<br />
Pädagogik torpediert. Der Weimarer Kompromiss ist auch für die Kinder und<br />
Jugendlichen verhängnisvoll, weil er zum Zusammenhang von sozialer Herkunft und<br />
Bildungserfolg ebenso beiträgt wie zur Entsolidarisierung der nachwachsenden Generation.<br />
Der Grundschulverband hat von Anfang an die Ausweitung der Zeit des gemeinsamen<br />
Lernens gefordert, viele Jahre verbunden mit der Forderung nach der sechsjährigen<br />
<strong>Grundschule</strong>, heute mit der Forderung nach der »gemeinsamen Schule für alle, und dies<br />
für die Dauer der Pflichtschulzeit«.<br />
Diese Position findet sich in einer offiziellen Erklärung wieder, die hier in Auszügen<br />
dokumentiert wird. Die <strong>aktuell</strong>e Entwicklung zeigt, dass »Länger gemeinsam lernen«<br />
nicht mehr eine Utopie ist, sondern dass sich diese Option in der Gesellschaft zunehmend<br />
durchsetzt: Der Beton bröckelt.<br />
Länger miteinander<br />
und voneinander lernen<br />
Aus der gemeinsamen<br />
Grundsatzposition von Grundschulverband<br />
und Gesamtschulverband, *<br />
Heft 74 (2001), 3. Umschlagseite<br />
■ Die nach dem ersten Weltkrieg und<br />
der Beseitigung des Ständestaates eingeführte<br />
»für alle gemeinsame <strong>Grundschule</strong>«<br />
war ein großer erster Schritt<br />
zu dem Ziel auf dem Weg vom ständisch<br />
zum demokratisch organisierten<br />
Schulwesen. Sie blieb damals als<br />
bildungspolitischer Kompromiss wegen<br />
großer Widerstände restaurativer<br />
Kräfte gegen längeres gemeinsames<br />
Lernen auf nur vier Jahre begrenzt und<br />
dadurch auf halbem Wege stecken. Sie<br />
ist bis heute die einzige für (fast) alle<br />
Kinder gemeinsame Schule geblieben,<br />
die es überall in Deutschland gibt.<br />
■ In nahezu allen europäischen Ländern<br />
lernen heute alle Kinder sechs oder<br />
mehr Jahre gemeinsam und die Hälfte<br />
der europäischen Länder hat inzwischen<br />
eine für alle gemeinsame Schule<br />
* Die vollständige Fassung findet sich unter:<br />
www.grundschulverband.de/illgl.html<br />
(Initiative Länger gemeinsam lernen)<br />
für die gesamte Dauer der Schulpflicht.<br />
Im internationalen Vergleich spielt das<br />
gegliederte Schulwesen ab Klasse 5 nur<br />
noch eine Außenseiterrolle.<br />
■ Wir lehnen alle Versuche ab, unsere<br />
Schulen zu immer stärker selektiven<br />
Systemen zu entwickeln …<br />
■ Demgegenüber treten wir ein für<br />
ein langes gemeinsames Lernen aller<br />
Kinder und Jugendlicher und für die<br />
Stärkung integrativer Tendenzen in<br />
den Schulsystemen aller Bundesländer<br />
sowie in der Alltagspraxis jeder Einzelschule.<br />
Das Ziel der gemeinsamen<br />
Schule für alle für die Dauer der Pflichtschulzeit<br />
kann nicht von heute auf<br />
morgen erreicht werden. Es gibt keinen<br />
für alle Bundesländer gleicherweise<br />
geltenden Weg zu diesem Ziel. Wir<br />
streiten nicht grundsätzlich über die<br />
Zuordnung des 5. und 6. Schuljahres<br />
zu Primar- oder Sekundarbereich, wenn<br />
am Ziel des gemeinsamen Lernens in<br />
einer Schule für alle festgehalten wird.<br />
Länger miteinander und voneinander<br />
lernen: Die Beschränkung des gemeinsamen<br />
Lernens auf eine nur vierjährige<br />
gemeinsame Schule muss endlich<br />
überwunden, frühes Trennen und Ausgrenzen<br />
verhindert werden.<br />
Wir unterstützen alle Bemühungen,<br />
die dazu führen, dass alle Kinder und<br />
Jugendlichen mit ihren individuellen<br />
Begabungen und Beeinträchtigungen<br />
möglichst lange gemeinsam lernen<br />
können.<br />
Länger als 4 Jahre!<br />
von Peter Heyer,<br />
Heft 74 (2001), S. 18<br />
Grundschulverband und GGG (Gemeinnützige<br />
Gesellschaft Gesamtschule<br />
/ Gesamtschulverband) wenden sich<br />
gemeinsam gegen das gegliederte<br />
deutsche Schulwesen ab Klasse 5. Beide<br />
Verbände haben die gemeinsame<br />
Grundsatzposition »Länger miteinander<br />
und voneinander lernen« auf einer<br />
Fachtagung am 16. / 17. Februar 2001<br />
in Kassel erarbeitet. Sie wollen mit<br />
dieser Erklärung, der inzwischen die<br />
entsprechenden Gremien beider Verbände<br />
zugestimmt haben, deutlich<br />
machen, dass sie künftig gemeinsam<br />
initiativ werden, um die Einengung der<br />
deutschen Schule auf eine nur vierjährige<br />
gemeinsame Schulzeit endlich zu<br />
überwinden. Beide Verbände halten<br />
die »gemeinsame Schule für alle« für<br />
erforderlich, eine gemeinsame Schule<br />
für die Dauer der Pflichtschulzeit, eine<br />
Schule, die Verschiedenheit respektiert<br />
und die nicht von allen das Gleiche verlangt,<br />
eine Schule, wie sie bereits in der<br />
Hälfte aller europäischer Staaten gängige<br />
Praxis ist.<br />
Oft genug waren sich zuvor Grundschul-<br />
und Gesamtschulvertreter in<br />
dieser Frage nicht einig. Während die<br />
einen für die sechsjährige <strong>Grundschule</strong><br />
eintraten, wollten die anderen an Stelle<br />
einer sechsjährigen <strong>Grundschule</strong> möglichst<br />
viele Gesamtschulen ab Klasse 5.<br />
So kam es, dass in einigen Bundesländern<br />
Entwicklungen in Richtung auf<br />
die sechsjährige <strong>Grundschule</strong> gerade<br />
auch von Gesamtschulbefürwortern<br />
behindert wurden. Diese unnötigen<br />
Spannungen scheinen mit der gemeinsamen<br />
Grundsatzposition von GGG<br />
und Grundschulverband überwunden.<br />
42 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
OPORS TUVWXYZ<br />
Es geht beiden Verbänden nicht mehr<br />
um ein Entweder – Oder, sondern um<br />
die »Stärkung integrativer Tendenzen<br />
in den Schulsystemen aller Bundesländer<br />
sowie in der Alltagspraxis jeder Einzelschule«.<br />
Gestritten wird nicht mehr<br />
um die grundsätzliche Zuordnung des<br />
5. und 6. Schuljahres zu Primar- oder<br />
Sekundarbereich. Übergeordnetes Ziel<br />
ist beiden Verbänden die längere gemeinsame<br />
Schulzeit für alle bzw. für<br />
möglichst viele Kinder und Jugendliche<br />
für die Dauer ihrer Pflichtschulzeit, wo<br />
auch immer.<br />
Der Beton bröckelt<br />
In die Schulstruktur-Debatte<br />
ist Bewegung gekommen<br />
von Angelika Speck-Hamdan,<br />
Heft 86 (2004)<br />
»Länger gemeinsam lernen«<br />
Die internationalen Vergleichsstudien<br />
hatten den Stein ins Rollen gebracht:<br />
Das deutsche Schulsystem zeichnet<br />
sich durch eine besonders strikte und<br />
frühe Auslese aus. Stets war mit den<br />
besseren Leistungen in leistungshomogenen<br />
Gruppen argumentiert<br />
worden. Dieses Argument war jedoch<br />
nun obsolet geworden. Neben den<br />
»üblichen Verdächtigen« (Erziehungswissenschaftlern<br />
und Gewerkschaften)<br />
meldete sich als einer der Ersten der unverdächtige<br />
baden-württembergische<br />
Handwerkstag zu Wort und forderte<br />
eine neunjährige <strong>Grundschule</strong>. Die<br />
weltweit operierende Unternehmensberatung<br />
McKinsey (Projekt »McKinsey<br />
bildet«) analysierte die Bildungsmisere<br />
und empfahl dringend den Verzicht auf<br />
die viel zu frühe Selektion der Schüler/<br />
innen nach nur vier Schuljahren.<br />
Für Lehrerverbände (z. B. auch den<br />
Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband)<br />
ist der Gedanke an eine wenigstens<br />
sechsjährige <strong>Grundschule</strong><br />
ohnehin kein Tabu. Der Grundschulverband<br />
hat seine bekannte Haltung<br />
(»Länger gemeinsam lernen«) in einer<br />
gemeinsamen Grundsatzposition mit<br />
dem Gesamtschulverband formuliert<br />
und im Band 115 untermauert. Selbst<br />
der »Normalbürger« – repräsentativ<br />
befragt im Juni 2003 im Auftrag der<br />
dpa – sprach sich zu 45 Prozent für<br />
eine sechsjährige, zu 5 Prozent für eine<br />
neunjährige und zu 6 Prozent sogar für<br />
eine zehnjährige gemeinsame Schulzeit<br />
aus. Es bewegt sich auch etwas in<br />
den Köpfen.<br />
Der Vielfalt kindlichen Lernens<br />
gerecht werden<br />
Warum aber ist es so schwierig, die öffentliche<br />
Debatte unaufgeregt und gelassen<br />
zu führen? Hinter uns liegt eine<br />
fruchtlose dreißigjährige Diskussion<br />
um die Gesamtschule, die oft viel zu<br />
ideologisch geführt wurde und deshalb<br />
Gräben eher aufriss und vertiefte als<br />
überwand. Der Gesamtschulbegriff ist<br />
– schreibt Klaus Klemm – »verbrannt«,<br />
durch Kunstfehler und Halbherzigkeit.<br />
De facto ist das dreigliedrige Schulsystem<br />
mittlerweile längst aufgeweicht<br />
worden. Diese Veränderung vollzog<br />
sich in den einzelnen Bundesländern<br />
unterschiedlich, oft der Not einer<br />
schrumpfenden Schulart gehorchend.<br />
Die Lösungen sind vielfältig.<br />
Wenn der Leiter der IGLU-Studie,<br />
Wilfried Bos, einerseits die ungerechte<br />
Selektionspraxis anprangert,<br />
aber andererseits davor warnt, die Pround<br />
Contra-Debatte um die Gesamtschule<br />
wieder aufzunehmen, so liegt<br />
ihm wohl auch daran, nicht die alten<br />
Grabenkämpfe wieder aufzunehmen,<br />
sondern eine neue gemeinsame Anstrengung<br />
zur Verbesserung unserer<br />
Schulen zu unternehmen. Das kann<br />
aber nur gelingen, wenn alle an einem<br />
Strang ziehen. Er empfiehlt, sich auf<br />
die Verbesserung des konkreten Unterrichts<br />
zu konzentrieren. Man könnte<br />
auch auf einen Wandel in der Grundhaltung<br />
den lernenden Kindern und<br />
Jugendlichen gegenüber setzen. An<br />
die Stelle einer kontrollierenden und<br />
abfordernden Einstellung müssten Verantwortung<br />
und Vertrauen treten.<br />
Von beiden Zielvorstellungen aus<br />
gelangt man höchstwahrscheinlich<br />
auch zu Veränderungen in der<br />
Schulstruktur. Mit unterschiedlichen<br />
Lösungen, unterschiedlichen Benennungen,<br />
aber stets der Vielfalt des<br />
kindlichen Lernens gerecht und dem<br />
Wohl der lernenden Kinder verpflichtet.<br />
Dass dies auch eine andere Einstellung<br />
gegenüber dem Lehrerstand zur Folge<br />
hätte, ist eine andere und hoch interessante<br />
Geschichte …<br />
Cartoons von<br />
Mario Urlaß<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />
43
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
ABCDEFGHIJKLMN<br />
… wie Team und Tests<br />
Vom »Ich und meine Klasse« zum »Wir und unsere Schule« – die nützliche Perspektive<br />
der Kooperation von Lehrerinnen und Lehrern war für den Grundschulverband stets<br />
grundlegend: Bereits der erste Name – »Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong>« – war Ausdruck<br />
dieser Haltung. Zur pädagogischen Teamarbeit gehört es, über »Standards« und<br />
Anforderungen, Leistungen und ihre Würdigung nachzudenken und Vereinbarungen<br />
zu treffen. Auch Tests können in einem solchen Kontext dazu dienen, Informationen<br />
über genau definierte Aspekte der Lernentwicklung der einzelnen Kinder zu erhalten.<br />
Zudem können sich Hinweise auf die Wirksamkeit des Unterrichts ergeben.<br />
Gemeinsam statt einsam.<br />
Teamarbeit in der <strong>Grundschule</strong><br />
von Karlheinz Burk,<br />
Heft 51 (1995), S. 1 ff.<br />
Die »gute Schule« –<br />
eine Teamschule<br />
Wandel der Kindheit, Gleichberechtigung<br />
von Mann und Frau, Integrationsaufgaben,<br />
ökologische und mediale<br />
Veränderungen etc. stellen an die<br />
Schulen neue Anforderungen, z. B.:<br />
vermehrte Gelegenheiten und Formen<br />
gemeinschaftlichen Zusammenlebens<br />
und -arbeitens, Erziehung zur Rücksicht<br />
und Mitmenschlichkeit, zu interkulturellem<br />
Verständnis, zur Selbstbestimmung<br />
und Selbsttätigkeit.<br />
Um diese Ziele zu erreichen, genügt<br />
es nicht zu belehren, sondern die pädagogische<br />
Arbeit ist so anzulegen, dass<br />
Kinder die Chance haben mitzudenken,<br />
mitzuerleben und mitzugestalten.<br />
<strong>Grundschule</strong> wird daher als Ort grundlegender<br />
Erfahrungen, als Lebensraum<br />
und Lernstätte interpretiert. Dies ist<br />
nicht neu und war schon immer Teil des<br />
pädagogischen Verständnisses einer<br />
kindgerechten <strong>Grundschule</strong>. Dies findet<br />
seinen Ausdruck in gestalterischen<br />
Momenten, vor allem: Freie Arbeit,<br />
Wochenplanarbeit, fächer-, klassen-,<br />
jahrgangsübergreifende Unterrichtsgestaltung,<br />
Arbeitsgemeinschaften,<br />
Wochenabschlusskreise, Rhythmisierung<br />
des Schulvormittags, Spiel- und<br />
Bewegungszeit, flexibler Wechsel von<br />
freien und gelenkten Arbeitsformen.<br />
Um eine so reichhaltige Palette für<br />
die Gestaltung des Schulvormittages<br />
zu nutzen, bedarf es flexibler Zeitpläne,<br />
einer flexiblen Raumnutzung sowie<br />
der Kommunikation, Kooperation<br />
und der Teamarbeit. <strong>Grundschule</strong> als<br />
Lebensraum und Lernstätte zu begreifen,<br />
muss seinen Ausdruck finden in<br />
gestalterischen Momenten, die nicht<br />
allein der einzelnen Lehrerin und dem<br />
einzelnen Lehrer überlassen bleiben;<br />
vielmehr ist Schule als Ganzes in den<br />
Blick zu nehmen.<br />
Es gehört zu einem der wesentlichen<br />
Ergebnisse der neuen Schulforschung,<br />
die Schule als Ganzes, als<br />
pädagogische Handlungseinheit zu<br />
betrachten, die der pädagogischen<br />
Gestaltung bedarf. (…) Empirische Untersuchungen<br />
über Unterschiede zwischen<br />
»guten« und »schlechten« Schulen<br />
besagen, dass dichte Kollegialität<br />
und vertrauensvolle Zusammenarbeit<br />
als eine der zentralen Bedingungen<br />
für eine gute Schule gelten. Bildungsund<br />
Erziehungsprozesse in der Schule<br />
sind nicht allein abhängig von der Gestaltung<br />
des Klassenunterrichts durch<br />
die Lehrerin, sondern ebenso von den<br />
Rahmenbedingungen, den Strukturen<br />
und dem »Geist« einer Schule. Die verengende<br />
Perspektive »Ich und meine<br />
Klasse« ist daher zu ergänzen mit »Ich<br />
und unsere Schule«. Die komplexen<br />
Erziehungs- und Bildungsaufgaben<br />
können nur in gemeinsamer pädagogischer<br />
Verantwortung aller Lehrkräfte<br />
einer Schule gelöst werden.<br />
Lesen- und Schreibenlernen<br />
in der Eingangstufe:<br />
beobachten, dokumentieren,<br />
begleiten<br />
von Angelika Gadow,<br />
Heft 89 (2005), S. 24 ff.<br />
Diagnostische Kompetenzen gehören<br />
zu den Schlüsselkompetenzen des Lehrerberufes.<br />
Vor allem in der <strong>Grundschule</strong><br />
und hier in besonderem Maße in der<br />
Eingangsstufe hat diese Kompetenz an<br />
Bedeutung gewonnen. Dabei geht es<br />
um mehr, als es Lernstandserhebungen,<br />
engmaschige Beobachtungsraster und<br />
computerausgewertete Leistungskurven<br />
nahe legen: Es geht um ein professionelles<br />
Handeln im Schulalltag, um<br />
in heterogenen Lerngruppen Entwicklungsprozesse<br />
angemessen fördern zu<br />
können. Es geht um die Erhebung der<br />
individuellen Lernvoraussetzungen,<br />
damit Aufgabenstellungen, die Materialauswahl,<br />
unterschiedliche methodische<br />
Zugänge und die Zeitplanung<br />
kurzfristig und auf längere Sicht besser<br />
auf die Bedürfnisse der einzelnen Kinder<br />
abgestimmt werden können.<br />
In der Regel kommen Kinder neugierig<br />
und lernfreudig in die Schule – und sie<br />
kommen dort an mit sehr unterschiedlichen<br />
Vorerfahrungen. Für einige von<br />
ihnen eröffnet die Schule einen Blick in<br />
eine neue Welt, in die Welt der Schriftsprache.<br />
Viele aber haben schon vielfältige<br />
Erfahrungen im Umgang mit<br />
Schrift gemacht. Diesen unterschiedlichen<br />
Voraussetzungen muss eine<br />
Lehrerin in Deutschland in der Regel in<br />
Klassen gerecht werden, die eher von<br />
30 als nur von 20 Kindern besucht werden.<br />
Diese Kinder bleiben im Durchschnitt<br />
nicht mehr als fünf Stunden<br />
täglich in der Schule, sie werden durchweg<br />
von einer Lehrperson unterrichtet<br />
und nur im Ausnahmefall von einem<br />
Team. (…)<br />
Für diesen Alltag müssen geeignete<br />
Elemente und eine Organisation der<br />
Dokumentation gefunden werden, die<br />
es erlauben, den Überblick zu behalten,<br />
44 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
OPORST UVWXYZ<br />
Beobachtungen zu bündeln, Akzente<br />
zu setzen, die aber vor allem auch Gelegenheit<br />
geben, mit den Eltern und<br />
zunehmend auch mit dem Kind über<br />
diese Beobachtungen in Austausch zu<br />
treten.<br />
Ein Hängeregister mit farbigen Hängetaschen,<br />
in denen die Dokumente<br />
gesammelt werden, steht auf dem Arbeitstisch<br />
der Lehrerin oder in ihrem<br />
Arbeitsbereich. Hier werden Beobachtungsbögen<br />
zum Lern- und Arbeitsverhalten<br />
und solche zum Leistungsstand<br />
in den einzelnen Bereichen, die<br />
Ergebnisse punktueller Leistungsfeststellungen,<br />
aber auch kommentierte<br />
Kopien von einigen aussagekräftigen<br />
Kinderarbeiten gesammelt.<br />
Ein zweites Hängeregister mit<br />
ebensolchen farbigen, geschlossenen<br />
Hängetaschen steht den Kindern zur<br />
Verfügung. Hier heben sie ihre fortlaufend<br />
wachsenden Lerndokumentationen<br />
auf. Für Deutsch können das z. B.<br />
der Lesepass, das Lesetagebuch, das<br />
Geschichtenheft, das Abschreibheft,<br />
das Wörterforscher- und das Abc-Heft<br />
sein.<br />
Die Reiter der beiden Hängetaschen<br />
werden von den Kindern selbst beschriftet<br />
werden, auf die Vorderseite<br />
der Mappe kann ein mit Folie überzogenes<br />
Bild des Kindes geklebt werden:<br />
Hier wird keine »Akte« geführt, hier<br />
werden gemeinsam Lerndokumente<br />
gesammelt.<br />
Erste Einblicke in den<br />
Umgang mit Schrift<br />
Bereits kurz nach dem Schulanfang erlauben<br />
Beobachtungsaufgaben 1 , wie<br />
sie an vielen Stellen in der Fachliteratur<br />
vorgestellt werden, einen Blick darauf,<br />
welche Vorstellungen Kinder von<br />
Schrift haben: Buchstabendiktate, freie<br />
Schreibaufgaben und Aufgaben zum<br />
Wiedererkennen von bekannten Logos<br />
geben Aufschluss darüber, wie viele<br />
Buchstaben ein Kind bereits kennt,<br />
wie groß der Umfang seines »naiven<br />
Sichtwortschatzes« ist und ob es Wörter<br />
auch dann erkennen kann, wenn<br />
sie nicht in einem vertrauten Kontext<br />
und im Kontrast zu ähnlichen Wörtern<br />
stehen. Diese Groberhebung kann mit<br />
der gesamten Gruppe gemacht werden<br />
und ist weder in der Durchführung<br />
noch in der Auswertung aufwändig.<br />
Trotz ihrer einfachen Handhabung<br />
erlauben diese ersten Lese- und<br />
Schreibaufgaben den Lehrerinnen, die<br />
Kinder genauer wahrzunehmen, bei<br />
denen auf Grund fehlender Vorläuferfertigkeiten<br />
eventuelle Schwierigkeiten<br />
beim Schriftspracherwerb möglich<br />
sind. (…) Die von Hans Brügelmann<br />
und Erika Brinkmann zusammengestellte<br />
»Ideenkiste« bietet hierzu und<br />
zu den weiteren Lernfeldern des Anfangsunterrichts<br />
eine Fülle von Aufgaben<br />
und gezielten Beobachtungshinweisen.<br />
2<br />
Begleitung auf dem weiteren Weg<br />
Im weiteren Verlauf der ersten Klasse<br />
lassen sich Einblicke in die Entwicklung<br />
der Verschriftungsfähigkeiten gewinnen,<br />
wenn Kinder wiederholt vor die<br />
Aufgabe gestellt werden, bisher nicht<br />
geübte Wörter selbständig zu konstruieren.<br />
Im Abstand von 6 bis 8 Wochen<br />
wird den Kindern eine Anzahl von<br />
Wörtern diktiert, die die Kinder je nach<br />
Vermögen selbständig konstruieren<br />
können.<br />
Diese Aufgabenform wird seit vielen<br />
Jahren mit immer wieder leicht verändertem<br />
Wortmaterial von verschiedenen<br />
Autoren vorgestellt. 3<br />
An vielen Schulen wird inzwischen<br />
die Hamburger-Schreib-Probe 4 eingesetzt,<br />
die die Lernentwicklung vom<br />
Ende der 1. Klasse an über die <strong>Grundschule</strong><br />
hinweg bis Klasse 9 erfassen<br />
kann.<br />
Die Texte der Kinder<br />
Darüber hinaus kann die Lehrerin das<br />
Konzept der HSP für ihre »Alltagsdiagnose«<br />
anwenden. 5 Denn weitaus interessanter<br />
als die bisher dargestellten<br />
»Stichproben« und in ihrer Aussagekraft<br />
viel deutlicher sind die eigenen<br />
Texte der Kinder.<br />
Texte schreiben die Kinder von Anfang<br />
an. Sind es zunächst Bilder, die<br />
das Gemeinte ausdrücken, so nutzen<br />
Kinder, die im Unterricht dazu ermuntert<br />
werden, schnell die Möglichkeit,<br />
nicht Darstellbares durch Schrift zu ergänzen<br />
und zu ersetzen. Lehrerinnen,<br />
die mit Hilfe der oben aufgeführten<br />
Diagnoseverfahren ihren Blick für die<br />
Besonderheiten der Verschriftlichung<br />
während des Schriftspracherwerbs<br />
geschärft haben, erhalten durch diese<br />
Texte vielfältige Hinweise, die im Laufe<br />
der beiden Eingangsklassen kontinuierlich<br />
erweitert werden können. In die<br />
Matrix eines Beobachtungsbogens gebracht,<br />
können die verschiedenen Beobachtungen<br />
übersichtlich gebündelt<br />
werden. 6<br />
(…) Um sich als Lehrerin selbst schnell<br />
einen Überblick zu verschaffen, kann<br />
es hilfreich sein, einige aussagekräftige<br />
Texte eines Kindes pro Halbjahr zu<br />
kopieren, schriftlich zu kommentieren<br />
und in die eigene Dokumententasche<br />
zu übernehmen.<br />
Anmerkungen<br />
1 Richter/Brügelmann: Der Schulanfang ist keine Stunde Null.<br />
Schrifterfahrungen, die Kinder in die Schule mitbringen. In: Brügelmann/Richter<br />
(Hrsg.): Wie wir recht schreiben lernen. Lengwil, 1994<br />
Brinkmann: Lernen die Kinder denn dabei genug? In : <strong>Grundschule</strong><br />
Deutsch 1/2004<br />
2 Brinkmann/Brügelmann: Ideen-Kiste 1, Schrift-Sprache. Hamburg<br />
2000<br />
3 Dehn: Zeit für die Schrift. Lesenlernen und Schreibenkönnen.<br />
Bochum, 1988<br />
Brinkmann: Lernen die Kinder denn dabei genug? In : <strong>Grundschule</strong><br />
Deutsch 1/2004<br />
Brinkmann/Brügelmann: 9 Wörter Diktat. In: Buchstaben, Wörter<br />
und Bilder. Kopiervorlagen zur Ideen-Kiste<br />
4 May: Hamburger Schreibprobe (HSP 1-9)<br />
5 Vgl. May: Strategiebezogene Rechtschreibdiagnose – mit und ohne<br />
Test: Analyse von freien Schreibungen mit Hilfe der HSP-Kategorien.<br />
In: Balhorn/Bartnitzky/Büchner/Speck-Hamdan (Hrsg.): Schatzkiste<br />
Sprache 1. Frankfurt (AKG –Band 103)<br />
6 Anmerkung der Red.: Inzwischen hat der Grundschulverband<br />
drei Schuber mit »Materialien zur pädagogischen Leistungskultur«<br />
herausgegeben, die solche Werkzeuge – in sinnvoller und begründeter<br />
Auswahl – für die eigene Arbeit anbieten.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />
45
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
ABCDEFGHIJKLMN<br />
… wie Unruhe<br />
Eigentlich wollten wir beim Buchstaben U einige Beiträge zum Thema Unterricht versammeln.<br />
Die Auswahl war riesig. Viele der Beiträge stellen Unterricht im freudigen Lern-Miteinander von<br />
Kindern und Lehrern dar – sozusagen die Sonnenseite der Schule mit einer Sonntagsdidaktik.<br />
Der Alltag sieht oft anders aus. Da schieben sich immer wieder die Lebensprobleme der Kinder<br />
in den Unterricht hinein – Probleme mit der Konzentration, der Aufmerksamkeit, der Achtung,<br />
der Verträglichkeit. Deshalb wählten wir beim Buchstaben U wie Unterricht das Stichwort<br />
Unruhe.<br />
Der Unruhe mit<br />
Ruhe begegnen<br />
von Rosemarie Portmann,<br />
Heft 44 (1993), S. 1ff.<br />
Die Klagen über Unruhe, Unaufmerksamkeit<br />
und Undiszipliniertheit bei<br />
Kindern schon am Schulbeginn nehmen<br />
zu. In Umfragen und Untersuchungen<br />
werden nicht selten 20 bis<br />
40 % als »gestört« eingeschätzt.<br />
Schule sieht als Ursache dafür eher die<br />
nicht mehr »intakten« Familien, nicht<br />
mehr erziehungsfähige, vernachlässigende,<br />
überbehütende, überforderte<br />
Eltern. Eltern dagegen suchen oft mit<br />
ärztlicher Unterstützung eher Entlastung<br />
durch quasi »organische« Erklärungen.<br />
Noch nie gab es so viele Kinder<br />
mit Hirnfunktionsstörungen, die sog.<br />
»MCD«-Kinder, die »Hyperaktiven«,<br />
die »Legastheniker« und zunehmend<br />
auch »Aritmasteniker« (Kinder mit Rechenschwäche).<br />
Die »kranke« Umwelt<br />
wird verantwortlich gemacht und besonders<br />
nach einer Eindämmung des<br />
Medienkonsums gerufen bei gleichzeitiger<br />
Ausweitung des Angebots.<br />
Es ist müßig, sich darüber auseinanderzusetzen,<br />
welche Meinung<br />
»richtig«, welche »falsch« ist. Für<br />
menschliches Verhalten gibt es keine<br />
einfachen, line aren Erklärungen.<br />
Verhalten ist stets das Ergebnis eines<br />
komplexen, vielfältig vernetzten Prozesses<br />
ständiger Wechselbeziehungen<br />
zwischen Individuen und Umwelt. Und<br />
ob ein Verhalten noch als »normal«<br />
oder schon als »gestört« anzusehen<br />
ist, liegt immer auch an Einstellung<br />
und Toleranzschwelle der Personen, die<br />
es wahrnehmen und beurteilen. Diese<br />
ökologisch systemische Sichtweise<br />
macht deutlich, dass niemals nur das<br />
Kind, das uns als »unkonzentriert«,<br />
»unruhig«, »undiszipliniert« auffällt,<br />
für dieses Verhalten verantwortlich<br />
gemacht werden kann. Kinder, die stören<br />
und Schwierigkeiten machen, werden<br />
selbst gestört und haben selbst<br />
Schwierigkeiten – vielleicht durch uns?<br />
Unruhe, Unaufmerksamkeit, Undiszipliniertheit<br />
sind im Übrigen nicht<br />
nur Kinderfehler. Viele Erwachsene, die<br />
über Unruhe ihrer Kinder klagen, können<br />
selbst Ruhe und Stille nicht mehr<br />
ertragen. Untersuchungen haben z. B.<br />
gezeigt, dass die meisten selbst beim<br />
Autofahren ständig Musik brauchen<br />
wie überhaupt das Verhalten im Verkehr<br />
auch besonders eindrucksvolle<br />
Beispiele für die zunehmende und<br />
schon selbstverständliche Disziplinlosigkeit<br />
und Aggressivität der Erwachsenen<br />
liefert. Rücksichtsloses Drängeln,<br />
Streiten (und Prügeln) um Parkplätze<br />
und freie Fahrt sind keineswegs Ausnahmen.<br />
Was ich damit sagen will, ist Folgendes:<br />
Wir alle verhalten uns in zunehmender<br />
Weise hektisch und unruhig<br />
und undiszipliniert. Unsere Kinder<br />
tun genau das, was wir ihnen vormachen<br />
und was sie bei uns als erfolgreich<br />
wahrnehmen. Sie können nicht<br />
ruhiger und disziplinierter sein als die<br />
Welt, in der sie leben und die wir für sie<br />
gestalten. Ich halte es deshalb nicht<br />
für ausreichend, Hilfen »von außen«<br />
zu fordern, z. B. Schulsozialarbeit (die<br />
zweifellos verstärkt werden müsste)<br />
oder (noch mehr) Therapie für Kinder,<br />
ohne uns auch selbst in Frage zu stellen,<br />
die eigenen Kompetenzen auszuschöpfen<br />
und den »inneren« Schulbetrieb<br />
zu verändern. Natürlich ist der<br />
»innere« Schulbetrieb nicht ohne den<br />
»äußeren« zu sehen. Die Notwendigkeit<br />
kleiner Klassen, ausreichender<br />
Lehrerversorgung, geeigneter Klassenräume,<br />
kindgerechter Ausstattung<br />
usw. ist unbenommen und die Sparpolitik<br />
zuungunsten unserer Kinder kann<br />
nicht hingenommen werden. Aber immer<br />
noch sind Schule und Unterricht<br />
gegenüber den in ihnen ablaufenden<br />
Lernprozessen mehr reaktiv als präventiv<br />
orientiert. Die Möglichkeiten<br />
zur Verhinderung und Behebung von<br />
Schwierigkeiten werden nicht genügend<br />
genutzt.<br />
Es wird viel darüber gesprochen,<br />
was andere tun müssten, damit Unterricht<br />
möglich ist (oder wieder möglich<br />
wird). Ich möchte im Folgenden darüber<br />
sprechen, was wir selbst tun können<br />
…<br />
(Es folgen 9 Ratschläge der Autorin. Aus<br />
Platzgründen drucken wir hier nur die<br />
Überschriften ab. Leserinnen und Leser<br />
mögen sich dazu auch eigene Gedanken<br />
machen.)<br />
1. Nicht selbst Unruhe, Unkonzentriertheit<br />
oder Disziplinprobleme<br />
verstärken<br />
2. Grenzen setzen und konsequent<br />
sein<br />
3. Sich bewußt Zeit nehmen für erzieherische<br />
Ziele<br />
4. Unterricht gliedern und akzentuieren<br />
5. Differenzieren<br />
6. Den Kindern – und sich selbst Zeit<br />
lassen<br />
7. Bedürfnisse der Kinder zulassen<br />
8. Die Kinder einbeziehen<br />
9. Vertrauen in die Kinder und sich<br />
selbst setzen<br />
46 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
OPORSTU VWXYZ<br />
Dabei muss Scheitern stets für möglich<br />
gehalten werden. Wer bei jedem<br />
Rückschlag in Panik gerät, dass ja<br />
»doch alles nicht genützt hat«, wird vor<br />
lauter Furcht vor neuen Rückschlägen<br />
auch welche erleiden. Wer hingegen<br />
Rückschläge als selbstverständlich einkalkuliert<br />
und auch die Kinder darauf<br />
vorbereitet, mindert die Angst, die der<br />
Kinder und die eigene, und hat die besten<br />
Voraussetzungen, auf Dauer der<br />
Unruhe mit Ruhe zu begegnen.<br />
Von Kindern, deren<br />
Fäuste dicht neben den<br />
Tränen liegen<br />
von Heide Bambach,<br />
Heft 99 (2007), S. 28<br />
Freie Arbeitszeit: Zwanzig Drittklässler<br />
gehen ihren Vorhaben nach … Plötzlich<br />
sehe ich Marco mit seinen Fäusten<br />
wie besinnungslos auf Mustafa einschlagen.<br />
Ich springe dazwischen und<br />
beginne mit großer Heftigkeit, Marco<br />
wegen seiner gewalttätigen Attacke<br />
zurechtzuweisen. Aber ein Blick in sein<br />
Gesicht lässt mich innehalten. »Er hat<br />
Adoptivkind zu mir gesagt! Aber es<br />
nicht wahr!«, schreit er im Kampf mit<br />
den Tränen.<br />
Marco ist keiner, der sich tröstend<br />
in den Arm nehmen oder beruhigend<br />
über das Haar streicheln ließe. Also<br />
versuche ich es mit dem Finger an seiner<br />
Schulter und dem Satz, dass fast<br />
alle Kinder irgendwann einmal Angst<br />
hätten, nicht in ihre Familie zu gehören.<br />
Ich wisse noch genau, was für ein<br />
schlimmes Gefühl das gewesen sei.<br />
Unter der Anteilnahme entspannt sich<br />
Marco. »Nur weil mein Vater und meine<br />
Mutter geschieden sind und meine<br />
Mutter einen Freund hat …«, schluchzt<br />
er. Aber er wisse doch, dass seine Mutter<br />
ihn lieb hat und dass er ihr Kind ist.<br />
Marco nickt – tapfer, nicht überzeugt.<br />
Sein Problem ist ein anderes. »Meine<br />
Mutter will Herbert heiraten. Sie hat<br />
gesagt, dass er mich dann adoptiert«,<br />
sagt er. Und dann – fast unhörbar leise:<br />
»Ich will aber nicht.« Nun erst beginne<br />
ich zu verstehen: Gegen die Heirat hat<br />
Marco nichts. Er hängt an seiner Mutter<br />
und möchte, dass es ihr gut geht.<br />
Aber adoptiert werden will er nicht,<br />
denn er liebt seinen Vater und will ihm<br />
die Treue halten. Ein Adoptivkind zu<br />
sein wäre gleichbedeutend mit Verrat.<br />
Dagegen wehrt sich Marco – mit<br />
voller Kraft. Vermutlich steckt in den<br />
Fäusten, mit denen er an seinem leiblichen<br />
Vater festhält, auch die Ahnung,<br />
ihn endgültig zu verlieren …<br />
Später klärt sich auf, dass Mustafa<br />
das A-DO-P-TI-V-KIND nicht als Schmähung<br />
gemeint, sondern arglos in der<br />
Manier von Leseanfängern den Titel<br />
eines zufällig daliegenden Buches vor<br />
dem zufällig in der Nähe sitzenden<br />
Marco zusammenbuchstabiert und<br />
leseerfolgs-vergnügt skandiert hat<br />
– nicht ahnend, dass dies bei Marco in<br />
eine Wunde trifft. Marcos Antwort gerät<br />
schlimm: auf den ersten Blick und<br />
von außen besehen ist es »Gewalt«.<br />
Die Innenansicht der Szene zeigt,<br />
dass Marco eines jener Kinder ist, bei<br />
denen die Fäuste dicht neben den Tränen<br />
liegen. Es gibt viele solcher Kinder<br />
heutzutage und sie scheinen füreinander<br />
Gespür und Verständnis zu haben.<br />
Als ich Mustafa und Marco am nächsten<br />
Tag zusammen sehen und frage, ob sie<br />
wieder Freunde seien, zuckt Marco wie<br />
schuldbewusst die Schultern und sagt<br />
zweifelnd: »Ich weiß nicht?«<br />
Da streckt Mustafa ihm mit großer<br />
Geste die Hand hin fragt: »Vertragen?«<br />
– »Vertragen!«, sagt Marco und schlägt<br />
ein.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />
47
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
ABCDEFGHIJKLMN<br />
… wie Vergleichsarbeiten<br />
und Verwandtes<br />
Nach dem PISA-Schock kamen die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz.<br />
Einer galt der neuen »Output«-Steuerung, dazu wurden neben Bildungsstandards<br />
auch landesweite Vergleichsarbeiten/Orientierungsarbeiten vereinbart.<br />
Seit 2004 werden sie in den <strong>Grundschule</strong>n geschrieben, ab 2008 werden sie<br />
sogar bundesweit einheitlich sein: immer im Mai in allen 3. Klassen in Mathematik<br />
und Deutsch, VERA geheißen – das Kürzel für VERgleichsArbeiten.<br />
In dieser Zeitschrift wurden unter dem Rahmentitel: «Kinder vermessen« in<br />
mehreren Ausgaben die Aufgaben einer grundsätzlichen sowie einer fachdidaktischen<br />
Prüfung unterzogen (Hefte 89, 90, 92, 99). Für die Wiedergabe<br />
dieser ausführlichen Expertisen sowie die Stellungnahmen der Testkonstrukteure<br />
fehlt hier der Platz. Wir geben stattdessen einige Stellungnahmen aus<br />
Wissenschaft und Schulpraxis in Auszügen wieder.<br />
Deutsch:<br />
Keine Chance für Kinder mit<br />
Deutsch als Zweitsprache<br />
von Maria Rüppell,<br />
Heft 99 (2007), S. 9<br />
Für die hier beschriebenen Kinder war<br />
der VERA-Lesetest eine absolute Überforderung.<br />
In der Testsituation war es<br />
noch nicht einmal möglich, die Kinder<br />
thematisch auf die Inhalte und Absichten<br />
der beiden Texte hin zu orientieren.<br />
So scheiterten die ersten Kinder<br />
vermutlich schon an dem ersten Wort<br />
der Überschrift: »Geschmäcker« – diese<br />
Pluralbildung haben sie vermutlich<br />
noch nie gehört. Wer am Anfang durch<br />
ein Missverständnis auf die falsche<br />
Spur geraten ist, für den erschließt sich<br />
der Sinn des Textes überhaupt nicht.<br />
Eine Vielzahl von zusammengesetzten<br />
Nomen und Adjektiven stellte<br />
die Kinder vor Probleme, die Menschen<br />
mit deutscher Muttersprache<br />
sich wahrscheinlich kaum vorstellen<br />
können: Geschmacksknospen, Wangenschleimhaut,<br />
zusammenziehend,<br />
Gesamtgeschmack, farblos … Wer die<br />
enthaltenen Einzelwörter nicht schnell<br />
erkennt, für den handelt es sich um<br />
unverständliche Wortmonstren. »Geschmacksarten«<br />
– aus welchen Teilen<br />
ist das Wort zusammengesetzt? Was<br />
sind Sarten? (»Arten« gehört vermutlich<br />
nicht zum gut vertrauten Wortschatz).<br />
Und was heißt »far-blos«? Auch diese<br />
Wörter waren für die Kinder unbekannt:<br />
»Gaumen, Rhabarber, Gerichte,<br />
Düfte, prickelnd, knusprig, gluckert,<br />
beeinflusst, fleischig, herzhaft« …<br />
Der Anteil von Fremdwörtern, seltenen<br />
Wörtern und Wörtern mit englischer<br />
Schreibweise im zweiten Text<br />
dürfte auch für Kinder mit deutscher<br />
Muttersprache schwierig sein: Favorit,<br />
Portionen, Konditorei, Milkshake, Frisbee,<br />
erstplatziert.<br />
Dieser zweite Text verlangte ein<br />
Vorwissen, das kein Kind bei uns hat:<br />
»Kreuzberg« ist ein Stadtteil von Berlin.<br />
»Berliner Morgenpost« ist der Name<br />
einer Zeitung. »im Allerheiligsten« –<br />
schon die eigentliche Wortbedeutung<br />
kennt kein Kind, erst recht kann niemand<br />
die hier gemeinte übertragene<br />
Bedeutung verstehen. »Spagetti à la<br />
Frisbee« – »à la« als Teil eines Gerichtenamens<br />
ist vollkommen unbekannt.<br />
Wahrscheinlich waren auch nur wenige<br />
Kinder bisher überhaupt mit ihren<br />
Eltern je in einem Restaurant der hier<br />
geschilderten Art und können Maries<br />
Idee deshalb kaum nachvollziehen.<br />
Die Mehrzahl meiner Schüler hat bei<br />
dem zweiten Text aufgegeben oder nur<br />
noch eine Frage beantwortet. Schließlich<br />
lag vor dieser Anstrengung schon<br />
das Schreiben einer Geschichte und<br />
die frustrierende Beschäftigung mit<br />
dem ersten Lesetext. Ein kurdisches<br />
Kind hat trotzdem bis zur letzten Frage<br />
durchgehalten und als eigenen<br />
Vorschlag für ein lustiges Gericht für<br />
Kinder aufgeschrieben: »ein Ball als<br />
Schokolade«. Einen Punkt durfte ich<br />
ihm nicht dafür geben, denn es hatte<br />
für seine Idee keinen für eine Speisekarte<br />
üblichen »Titel« gefunden (was in<br />
der Aufgabe auch nicht verlangt war).<br />
Mathematik:<br />
Kinder brauchen mehr Zeit,<br />
um ihre Kompetenzen zu<br />
zeigen<br />
von Ulrich Schwätzer,<br />
Heft 99, S. 15<br />
Viele der Aufgaben, die bei den Vergleichsarbeiten<br />
verwendet werden,<br />
lassen sich mit Hilfe der »8 Bausteine«<br />
einfach und schnell zu offenen Aufgaben<br />
umwandeln.* Dann können die<br />
Kinder ihre Potenziale entfalten und<br />
uns ihre Kompetenzen demonstrie-<br />
48 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
OPORSTUV WXYZ<br />
ren. Und dazu brauchen sie eines: Zeit.<br />
Gerade der Zeitdruck ist beim Bereich<br />
Sachrechnen eigentlich fehl am Platz.<br />
Kinder brauchen Zeit, sich den Kontext<br />
zu erlesen, ihn zu verstehen, sich<br />
mit ihm zu beschäftigen, Lösungshypothesen<br />
zu bilden, Zahlenwerte zu<br />
sortieren, in rechnerische Ansätze zu<br />
bringen, auf eigenen Wegen zu rechnen,<br />
ihr Vorgehen zu kommentieren,<br />
und – am Ende – ihr Ergebnis mit dem<br />
Kontext wieder in Bezug zu bringen<br />
und zu hinterfragen. Das alles kann<br />
nicht in 3 Minuten pro Aufgabe funktionieren.<br />
Das Öffnen der Aufgaben<br />
kostet sicherlich Zeit – ebenso wie das<br />
Interpretieren der Schüler lösungen –,<br />
aber es ist sinnvollere Zeit, als seitenlange<br />
Excel-Tabellen auszufüllen,<br />
hochzuladen und Balkendiagramme<br />
mit geringer Aussagekraft langatmig<br />
in Schulgremien zu diskutieren. Letztlich<br />
sind die offenen Aufgaben nicht<br />
Leistungsmessung nach Abschluss des<br />
Unterrichts, sondern zugleich eine offene<br />
Lernsituation. Die Bearbeitungen<br />
der offenen Aufgaben durch die Kinder<br />
lassen direkt Konsequenzen für den<br />
weiteren Unterricht für jedes einzelne<br />
Kind offenbar werden und leisten<br />
somit einen Beitrag zur Qualitätsentwicklung<br />
im Mathematikunterricht.<br />
* Der Autor demonstriert dies in seinem Heftbeitrag.<br />
Alle vier bis fünf Jahre –<br />
das reicht<br />
von Hans Brügelmann,<br />
Heft 89 (2005), S. 9<br />
■ Für ein regelmäßiges System-Monitoring,<br />
bei dem die Entwicklung des<br />
Schulsystems insgesamt erfasst werden<br />
soll, würde es reichen, alle vier bis<br />
sechs Jahre Erhebungen durchzuführen.<br />
Außerdem könnte man sich (wie<br />
bei PISA und IGLU) auf repräsentative<br />
Stichproben beschränken und anderen<br />
Schulen eine freiwillige Teilnahme<br />
… ermöglichen, was die Belastungen<br />
solcher Testprogramme mindern und<br />
ihre Akzeptanz beträchtlich erhöhen<br />
dürfte. Zugleich würden damit Mittel<br />
frei für andere Evaluationsaktivitäten.<br />
■ Um Lehrer/innen hilfreiche Informationen<br />
zur Kalibrierung ihrer Maßstäbe<br />
und für den Vergleich der eigenen mit<br />
anderen Klassen zu geben, wäre bei<br />
den nächsten Terminen ein Wechsel<br />
auf andere Kompetenzbereiche von<br />
Deutsch bzw. Mathematik und auch<br />
auf andere Lernbereiche wie Sachunterricht<br />
und die musisch-ästhetischen<br />
Fächer sinnvoll. Dabei sollten generell<br />
auch weniger standardisierte Formate<br />
erprobt werden.<br />
■ Für die Individualbeobachtung<br />
müssten Instrumente zur Lernbegleitung<br />
entwickelt werden, um differenziertere<br />
Einschätzungen anzuregen<br />
und zu unterstützen, als sie durch eine<br />
punktuelle Messung möglich sind.<br />
Verfehlte<br />
Evaluationspolitik<br />
von Georg Lind,<br />
Heft 92 (2005), S. 27<br />
Besonders ärgerlich ist,<br />
■ dass wegen dieser völlig verfehlten<br />
Evaluationspolitik immer auf Rechnen<br />
und Lesen herumgeritten wird,<br />
als wenn es sonst keine Grundkompetenzen<br />
gäbe, die man im Leben<br />
braucht,<br />
■ dass immer wieder solche (geschlossene)<br />
Testaufgaben verwendet<br />
werden, die in großen Datenbanken<br />
behortet werden und die man nur etwas<br />
abändern muss, um sie ständig<br />
wieder zu »recyceln«,<br />
■ dass durch solche Instant-Aufgaben<br />
implizit eine völlig veraltete Vorstellung<br />
über Lernentwicklung bei Kindern<br />
zementiert wird, die von einem eindimensionalen<br />
Lernen vom »einfachen«<br />
zum »Komplexen« ausgeht …,<br />
■ dass durch den Primat der Masse<br />
über die Klasse bei den gegenwärtigen<br />
Tests höhere Lernformen (Produzieren,<br />
Verstehen, Anwenden, Verantworten)<br />
völlig ausgeblendet werden, was mit<br />
der Zeit den fatalen Effekt haben wird,<br />
dass die Schule höhere Lernformen<br />
ganz aufgibt zugunsten von Testdrill,<br />
weil ihr sonst massive finanzielle Nachteile<br />
drohen.<br />
Aber: Wenn wir eine qualitativ hochwertige<br />
Schule wollen, müssen wir<br />
auch auf einer qualitativ hochwertigen<br />
Evaluation bestehen, wie sie u. a. vom<br />
Grundschulverband gefordert wird.<br />
Abschied von VERA<br />
von Lehrkräften der <strong>Grundschule</strong><br />
Engelbertstraße in Schwelm,<br />
Heft 90 (2005), S. 14<br />
Wir verabschieden uns von VERA und<br />
sagen weder »Auf Wiedersehen!« noch<br />
»Lebe wohl!«. Sie war für uns von keinerlei<br />
Nutzen. Auch die Auswertungen<br />
bedeuten keine Hilfe, da sie nichts über<br />
die Tests der einzelnen Kinder aussagten.<br />
Die von uns erwartete Hilfe,<br />
eventuell verdeckte Schwächen einzelner<br />
Kinder in einzelnen Bereichen als<br />
Rückmeldung zu bekommen, haben<br />
wir schmerzlich vermisst.<br />
Gemäß unseres pädagogischen<br />
Gewissens, nach den Richtlinien und<br />
unserem Schulprogramm arbeiten und<br />
leben wir gewissenhaft mit unseren<br />
Kindern, um sie darin zu unterstützen<br />
und ihnen zu helfen, Schritte in ein bewusstes<br />
und selbstständiges Leben zu<br />
gehen. Darauf zielt unser Lernen und<br />
Lehren. Wir sind froh darüber, uns wieder<br />
unserer eigentlichen Arbeit zuwenden<br />
zu können.<br />
Wir hoffen, dass in den nächsten<br />
Jahren unsere Zeit und Kräfte nicht<br />
auf ähnliche Weise sinnlos vergeudet<br />
werden ohne jedweden Nutzen für den<br />
Lernerfolg unserer Kinder.<br />
PS: Gibt es zurzeit noch eine Grundschullehrerin<br />
oder einen Grundschullehrer,<br />
der sein Kind »Vera« nennen<br />
würde?<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />
49
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
ABCDEFGHIJKLMN<br />
… wie Würdigen<br />
Zu einer guten Schule, die sich die Bildungsansprüche der Kinder zu eigen macht,<br />
gehört die Entwicklung einer pädagogischen Leistungskultur. Aktivitäten und<br />
praktische Anstöße dazu gehören zur Tradition des Grundschulverbandes.<br />
»Leistungen der Kinder – würdigen statt urteilen« war der Titel unseres Heftes 85.<br />
Seither hat der Grundschulverband sein viel beachtetes Projekt »Pädagogische<br />
Leistungskultur« angestoßen, um Überlegungen und Argumente wirksam in die<br />
Bildungsdiskussion einzubringen. Dazu wurden alltagstaugliche Materialien für<br />
eine pädagogische Leistungsbewertung veröffentlicht, zunächst für die Fächer<br />
Deutsch, Mathematik und Sachunterricht in den Klassen 1 bis 4, jetzt zu Englisch,<br />
Kunst, Musik, Sport und zum »Arbeits- und Sozialverhalten«.<br />
Vom Wert der Mühe.<br />
Pädagogische Leistungs kultur<br />
als Aufgabe der ganzen Schule<br />
von Ulrich Hecker,<br />
Heft 85 (2004), S. 9 ff.<br />
Die tradierte Leistungsbeurteilung ist<br />
ein hemmendes Element der Schulentwicklung.<br />
Solange unser Schulsystem<br />
sich mehr mit Auslese und Sortierung<br />
beschäftigt als mit der Entwicklung<br />
einer neuen Lernkultur, die Unterstützung<br />
und Ermutigung individuellen<br />
Lernens zum Zentrum hat, so lange<br />
werden es neue Formen der Leistungsbewertung<br />
im Schulalltag nicht leicht<br />
haben.<br />
In den letzten 20 Jahren hat sich in<br />
vielen <strong>Grundschule</strong>n eine neue Lernkultur<br />
entwickelt, die zunehmend in<br />
Widerspruch zu den überkommen Formen<br />
der Leistungsbeurteilung gerät.<br />
Eine neue Lernkultur führt zu mehr<br />
und vielfältigeren Leistungen. Dies hat<br />
die Notwendigkeit zur Folge, neue, intelligentere<br />
Formen der Leistungsbewertung<br />
zu entwickeln.<br />
Schulen, die sich auf den Weg zu einer<br />
neuen Lernkultur gemacht haben,<br />
haben vielfältige Möglichkeiten, eine<br />
»pädagogische Leistungskultur« zu<br />
entwickeln, Leistungen von Kindern zu<br />
würdigen. (…)<br />
Dokumentation von<br />
Lern- und Arbeitsergebnissen<br />
Eine Schule ist dann »gut«, wenn Kinder<br />
vielfältige Gelegenheit erhalten, Aufgaben<br />
zu bewältigen, zu gemeinsamen<br />
Vorhaben beizutragen und auch ganz<br />
persönlichen Interessen zu folgen.<br />
Wenn sie dabei begleitet werden, durch<br />
hohe Ansprüche herausgefordert sind<br />
und auf Situationen treffen, in denen<br />
sie sich bewähren können und Anerkennung<br />
finden, dann kommen »gute«<br />
Leistungen zustande. Der Lehrer und<br />
die Lehrerin sind eingeladen, untereinander<br />
und mit den Lernenden ins<br />
Gespräch zu kommen. Ganz natürlich<br />
erhalten die Schülerinnen und Schüler<br />
»Mit-Sprache« in ihren (Lern-) Angelegenheiten.<br />
Wer das will und anstrebt,<br />
der geht von der Annahme aus, dass<br />
Kinder lernen und leisten wollen.<br />
Das Anlegen eines Portfolios ist<br />
eine Möglichkeit zur Förderung der<br />
Selbstbewertung. Kinder schreiben<br />
auf und halten fest, was sie beobachtet,<br />
entdeckt, herausgefunden haben,<br />
was ihnen »merk-würdig« ist. Auf<br />
diese Weise sammeln sie aussagekräftige<br />
Materialien und dokumentieren<br />
so ihren Lernprozess. In regelmäßigen<br />
Ab-ständen präsentieren die Kinder<br />
ihre »gesammelten Lernspuren« unter<br />
Aspekten wie »Daran habe ich gearbeitet«,<br />
»Das habe ich gelernt«, »Das<br />
kann ich jetzt«. Dadurch erfahren sie<br />
selbst Rückmeldungen und lernen, die<br />
Arbeitsprozesse und -produkte ihrer<br />
Lernpartner zu würdigen. (…)<br />
Aus der Beilage zu Heft 89 (2005):<br />
Ein Leporello mit griffigen Kurztexten zu<br />
den Aspekten pädagogischer Leistungskultur,<br />
das augenfällig präsentiert,<br />
worum es geht: um die Kinder!<br />
Bestätigung und<br />
Selbsteinschätzung<br />
Es ist ein zentrales Anliegen einer neuen<br />
Kultur pädagogischer Leistungsbewertung,<br />
dass Kinder lernen, sich und<br />
ihre Arbeit selbst einzuschätzen. Durch<br />
die Rückmeldungen der Lehrerin und<br />
der anderen Kinder, durch das Nachdenken<br />
über das eigene Lernen und<br />
die eigene Arbeit lernen Kinder, »sich<br />
durch das Werk selbst (zu) prüfen«<br />
(Georg Kerschensteiner).<br />
Die Lehrpersonen können die jeweils<br />
vereinbarten »Lernsachen« (über<br />
die es möglichst einen dokumentierten<br />
Konsens im Kollegium und in der Jahrgangsstufe<br />
gibt) in übersichtlicher und<br />
kindgerechter Form darstellen.<br />
»Lese-Ausweis«, »Forscherdiplom«,<br />
»Mathe-Pass«, »Einmaleins-Ausweis«<br />
oder »Schreiber-Urkunde« sind Beispiele<br />
für vielfältige Möglichkeiten,<br />
iLeistungen<br />
der Kinder<br />
würdigen<br />
Um Kinder auf ihren Lernwegen<br />
zu fördern, werden sie in ihrem<br />
Entwicklungsprozess ermutigend<br />
begleitet. Generelle Anforderungen<br />
dienen als Arbeitsperspektive,<br />
nicht aber als Hürde. Würdigen<br />
heißt dann: Lernentwicklungen<br />
bestätigen, Schwierigkeiten als<br />
Stationen auf dem Lernweg sehen,<br />
mit dem Kind über das Lernen<br />
nachdenken. Die Kinder sind in<br />
das Würdigen dialogisch eingebunden:<br />
mit individuellen und<br />
gemeinsamen Lerngesprächen,<br />
mit Portfolios und Lerntagebüchern,<br />
mit Präsentationen<br />
und Projektergebnissen. Noten<br />
sind hierbei nicht nur entbehrlich,<br />
sondern kontraproduktiv.<br />
50 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
OPORSTUVW XYZ<br />
erbrachte Leistungen, erworbene Fertigkeiten<br />
und erreichte Lernziele festzuhalten<br />
und zu bestätigen: Leistungsfeststellung<br />
ohne Schrecken.<br />
Erhalten Schülerinnen und Schüler<br />
tatsächliche Verantwortung für ihr<br />
Lernen, dann entwickeln sie die Fähigkeit,<br />
sich und ihre Leistung selbst einzuschätzen.<br />
Schon am Ende der ersten<br />
Klasse können Kinder Fragebögen zur<br />
Selbsteinschätzung bearbeiten und ins<br />
Gespräch mit der Lehrerin einbringen.<br />
Wenn Kinder als eigenaktive Lerner<br />
ernst genommen werden und ihre<br />
Fähigkeit gefördert wird, über das<br />
eigene Lernen nachzudenken und es<br />
mitzugestalten, dann wird ihre Lernkompetenz<br />
… entwickelt. Metakognition<br />
ist wesentliches Moment von<br />
Lernkompetenz (als Fähigkeit nämlich,<br />
den eigenen Lern- und Erkenntnisweg<br />
nach-, mit- und vordenkend zu begleiten).<br />
»Lerntexte« im Sinne von eigenen<br />
Lernspuren können in allen Fächern<br />
entstehen. Sie dokumentieren »eigene<br />
Entscheidungen, Lösungswege und<br />
Lösungen der Kinder und sind für Kinder<br />
und Lehrerin ein Fenster in das Lernen<br />
des Kindes. Es sind damit … Texte<br />
personalen Schreibens mit erkenntnisfördernder<br />
Funktion« (Horst Bartnitzky).<br />
Die Schriftlichkeit macht die<br />
Lernreflexionen zudem erinnerbar, die<br />
Lerntexte können mit den Erfahrungen<br />
anderer Kinder verglichen werden.<br />
Zu einer neuen Lernkultur gehört<br />
es, die Kinder in die Planung und Gestaltung<br />
der Lernprozesse einzubeziehen.<br />
Dabei sind konkrete, aufgabenbezogene<br />
und individuell gerichtete<br />
Rückmeldungen über das Lernen, die<br />
Lernprozesse und die Lernergebnisse<br />
wichtig, und zwar als<br />
■ Rückmeldungen für die Kinder, die<br />
sich aus der Lernkultur der Klasse ergeben<br />
und die Hinweise auf Erfolge<br />
und Schwierigkeiten, Hilfestellung und<br />
Absprachen sowie die weitere Lernperspektive<br />
einbeziehen;<br />
■ Rückmeldungen für Eltern über die<br />
Lernentwicklung, Schwierigkeiten und<br />
Lernerfolge des Kindes, die Bestandteil<br />
der Beratung mit Eltern sind;<br />
■ Rückmeldungen für die Lehrkräfte<br />
der Klasse und der Schule über die Lernentwicklung<br />
der Kinder zur weiteren<br />
Unterrichtsplanung und für den Diskurs<br />
über die Unterrichtsqualität und<br />
ihre Weiterentwicklung.<br />
Die Rückmeldungen beziehen sich<br />
■ auf die »Lernsachen«, d. h. die klassenbezogenen<br />
und die individuellen<br />
Ziele, die Vereinbarungen und Vorhaben;<br />
■ auf die Lernentwicklung und den<br />
Lernstand des Kindes (im Hinblick auf<br />
die »Lernsachen«);<br />
■ auf die weiteren Lernperspektiven<br />
des Kindes.<br />
Leistungen zeigen<br />
»Gute Schulen« verstehen es, die<br />
Leistungen ihrer Schüler wahrzunehmen<br />
und sichtbar zu machen. Das<br />
wusste schon Michael Rutter in seiner<br />
berühmten Studie »15 000 Stunden«.<br />
Kinder haben das ursprüngliche<br />
Bedürfnis, »zur Geltung« zu kommen.<br />
Texte, Zeichnungen, Modelle und<br />
Werkstücke (bzw. Fotos davon) – die<br />
Auswahl in der Sammlung (im »Portfolio«)<br />
darf höchst exemplarisch sein.<br />
Die Arbeiten der Schüler werden »an<br />
sich« interessant, ihre Anstrengungen<br />
bleiben nicht mehr spurlos. Die Arbeit<br />
aller Beteiligten bewirkt etwas, sie<br />
hinterlässt Spuren. Das ist schon ein<br />
»Lohn der Mühe«.<br />
Eine Schule, an der Lehrerinnen und<br />
Lehrer auf solche Weise mit Schülerarbeiten<br />
umgehen, wird ihre Leistungen<br />
nicht verstecken, sondern sie gern darstellen<br />
und auch anderen zeigen.<br />
Leistungen sichtbar und öffent lich<br />
machen. Das wirkt als Bekräftigung<br />
und Bestätigung vorausgegangener<br />
Bemühungen. Schüler gewinnen dadurch<br />
Identität und Selbstbewusstsein.<br />
»Leistungskultur« heißt Leistungen<br />
lebendig werden lassen, sie zu zeigen<br />
und ins Gespräch zu bringen. So kann<br />
Schule auch öffentlich Rechenschaft<br />
ablegen.<br />
Präsentationen sind sichtbare und<br />
sinnvolle »Zeugnisse« für die Schule<br />
und die in ihr Lernenden. Schule zeigt<br />
dann ihre Leistung durch die Leistungen<br />
ihrer Schülerinnen und Schüler.<br />
»Feste der Leistung« zu feiern am Ende<br />
eines Schuljahres, zur Präsentation<br />
und Kommunikation der Ergebnisse aller<br />
an Schule Beteiligten – wie anders<br />
und um wie vieles reicher ist diese Idee<br />
im Vergleich zur Rückgabe von Klassenarbeitsheften<br />
an ihre (nur formalen)<br />
Eigentümer oder zur Ausgabe von<br />
Zeugnissen.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />
51
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
ABCDEFGHIJKLMN<br />
… wie Zeit<br />
Die Aufgaben für die <strong>Grundschule</strong> wachsen ständig: Es sind die mehr individuelle<br />
Aufmerk samkeit fordernden Kinder, das Wachsen der sozial-emotionalen Dimension<br />
der pädagogischen Arbeit; es sind neue fachliche Schwerpunkte wie Fremdsprache,<br />
Naturwissenschaften, Deutsch als Zweitsprache, dazu neue organisatorische<br />
Auflagen wie Koordinierung mit der Betreuung, Zusammenarbeit mit den<br />
Kitas, Sprachtests, vermehrte Konferenzarbeit für Schulprogrammentwicklung<br />
und anderes mehr. Dem gegenüber steht die knapp gehaltene Stundentafel, die<br />
heute noch so ist wie zur Zeit von Heimatkunde und Schönschreiben. »Mehr Zeit<br />
für Kinder« ist deshalb eine Uraltforderung des Grundschulverbandes, die wir<br />
heute präzisieren:<br />
»Mehr Bildungszeit für Kinder«.<br />
Unterricht ist nicht genug<br />
von Heide Bambach,<br />
Heft 98, S. 2<br />
Vielleicht, so könnte man hoffen, kann<br />
die gesellschaftspolitische Diskussion<br />
um Kitas, Krippen und die »heutige<br />
Familie« auch die <strong>Grundschule</strong> weiter<br />
bringen – weg von Unterrichtsdeputaten,<br />
hin zu einem Ganzen. Denn eigentlich<br />
wissen es doch alle: Unterricht<br />
allein – egal wie kunstvoll und kindgerecht<br />
– ist nicht genug, die große<br />
Mehrheit der heutigen Kinder braucht<br />
die Schule auch als freundlichen Ort<br />
zum Leben.<br />
Kinder, die außerhalb der Schule<br />
überwiegend von Erwartungen und<br />
Terminen ihrer Eltern bestimmt werden,<br />
brauchen Zeiten für Eigenes und<br />
den Austausch mit anderen; Kinder, die<br />
nach Schulschluss sich selbst und den<br />
PC-Welten überlassen sind, brauchen<br />
unmittelbare Ansprache und Erfahrungen<br />
mit ihren Händen und Sinnen;<br />
Kinder, die sich zwischen mehreren<br />
Sprachen und Kulturen zurechtfinden<br />
müssen, brauchen Aufmerksamkeit<br />
und die Anerkennung ihrer besonderen<br />
Leistung; Kinder, deren familiäres<br />
Leben von Armut bestimmt ist, brauchen<br />
Versorgung und ab und an auch<br />
Verwöhnung – und so weiter.<br />
Wer das Zerbrechen seiner Familie<br />
zu verkraften hat, braucht in der Schule<br />
Beruhigung, Verlässlichkeit und Anerkennung<br />
der Balanceakte, die er zu<br />
Hause leistet. Mit der Erkenntnis »Wenn<br />
du’s hinter dir hast, ist es nicht mehr<br />
so schlimm« tröstet zum Beispiel der<br />
zehnjährige Fabian, der fast zwei Jahre<br />
lang seiner davongegangenen Mutter<br />
hinterhergesucht, -gesehnt, -gewütet<br />
und -getrauert hat, den Freund, dessen<br />
Eltern sich »nun auch« scheiden<br />
lassen. Und als Ina, die mit Unruhe und<br />
Gereiztheit die Erzählrunde stört, von<br />
ihrer Lehrerin zu hören bekommt: »Du<br />
bist heute scheußlich nervig und keifig!<br />
Bist du mit dem linken Fuß aufgestanden?<br />
Oder zu spät ins Bett gegangen?«<br />
wird sie plötzlich ruhig und ernst und<br />
erzählt vom nächtlichen Streit ihrer Eltern,<br />
wie sie weinend im Bett gelegen<br />
und Angst gehabt habe, »… dass wieder<br />
einer von beiden abhaut«, und wie sie<br />
so sehr gerne zu dem einen oder dem<br />
anderen ins Zimmer gegangen und ins<br />
Bett gekrochen wäre, um sich trösten<br />
zu lassen. »… aber dann habe ich es<br />
nicht getan. Weil der andere denken<br />
könnte, ihn habe ich weniger lieb.«<br />
Freundliche Schultage beginnen<br />
mit Gelassenheit – Zeit zum Ankommen,<br />
Zeit sich einzufinden, Zeit, um<br />
mit den anderen zusammenzufinden.<br />
Alle brauchen das – die wohlbehüteten<br />
Kinder ebenso wie diejenigen mit<br />
schlaflosen Nächten, die Schulanfänger<br />
ebenso wie die Viertklässler – und<br />
auch wir Erwachsenen. Alle tragen die<br />
Nacht, den Morgen und die Wichtigkeiten<br />
ihres Lebens mit in die Schule<br />
hinein; alle brauchen – jeder auf seine<br />
Weise – Zeit, sie beiseite zu tun und<br />
sich auf das Kommende einzustellen.<br />
Ein gemütlicher Anfang tut nicht nur<br />
denen gut, die morgendlichen Tee und<br />
Zuwendung in der Schule besonders<br />
nötig brauchen; vom anfänglichen<br />
Klima hängt ab, wie der weitere Tag<br />
verläuft, also auch, ob die Kinder für<br />
unterrichtliche Dinge aufnahmebereit<br />
und -fähig sein werden.<br />
Es gibt Schulen, die nehmen sich<br />
dafür Zeit. Dort schließt sich dem »Ankommen«<br />
während der ersten halben<br />
Stunde des Schultages eine »Morgenrunde«<br />
als erste Gemeinsamkeit an<br />
– Zeit zum Sich-Austauschen und Aneinander-Anteilnehmen.<br />
Weil es diese<br />
Erzählrunde an jedem Tag gibt, muss<br />
kein Kind auf den eigenen Redebetrag<br />
fixiert sein, können sie sich zuhörend<br />
und antwortend einlassen. Mitteilung,<br />
Austausch und Anteilnahme – manchmal<br />
wird daraus eine Kette mehr als<br />
eine Stunde lang. Mit ihren »Das-kennich-auch-von-mir«-Erzählungen<br />
antworten<br />
die Kinder einander und zeigen,<br />
dass sie mitfühlen und verstehen. Sie<br />
hören auf, sich mit den eigenen Nöten<br />
ganz allein zu fühlen; sie stärken einander<br />
mit den Beweisen ihrer Tapferkeit.<br />
Es ist Teil ihrer Gemeinsamkeit …<br />
Wenn wir wollen, dass Kinder mit<br />
aufmerksamen Augen und Ohren<br />
durch die Welt gehen, über Zusammenhänge<br />
nachdenken und sich in Beziehungen<br />
einfühlen, dann müssen wir<br />
ihnen und uns Zeit lassen, das Lernen<br />
mit dem zu verbinden, was unmittelbar<br />
zu ihrem Leben gehört; es bewegt<br />
sie besonders, und offenbar hinterlassen<br />
Anteilnahme von anderen und Gemeinsamkeiten<br />
mit ihnen besonders<br />
tiefe Spuren in ihren Köpfen und Gemütern.<br />
Aber – das braucht mehr Zeit,<br />
als die Unterrichts-Schule vorgibt.<br />
52 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007
Thema: Die ersten Hundert von A bis Z<br />
OPORSTUVWXYZ<br />
Mehr Bildungszeit<br />
für Kinder<br />
aus einem Plakat als Einleger<br />
in Heft 97 (2007)<br />
Zur Lehrer-Arbeitszeit<br />
Illustrationen von Ute Winter, Heft 52 (1995), S. 1 ff.<br />
(Im Heft 52 Heft hatte Hermann Schwarz einen neuen Berechnungsmodus<br />
für die Arbeitszeit von Lehrerinnen und Lehrern vorgeschlagen.<br />
Sie sollte sich nicht mehr nur an der Wochenstundenzahl von Unterricht<br />
orientieren, sondern alle Lehrerarbeiten in ein realistisches Verhältnis<br />
zueinander setzen:<br />
■ die Kinderzeit (Arbeit mit Kindern: Unterricht, Beratung, Aufsicht …)<br />
■ die VN-Zeit (Vor- und Nachbereitungszeit sowie schülerbezogene<br />
Verwaltungsaufgaben …)<br />
■ die Kooperationszeit (Teambesprechungen, Zusammenarbeit mit<br />
Eltern, Institutionen, Personen im Umfeld, Dienstbesprechungen …)<br />
Unberücksichtigt sind dabei Fortbildungszeiten, Arbeit für<br />
besondere Innovationen, Betreuung von Lehramtsanwärtern,<br />
Zusatzzeiten bei Klassenfahrten und anderes mehr.)<br />
Die moderne Schule will weit mehr als<br />
fachbezogenes Wissen vermitteln. Sie<br />
ist eine Schule sozialen und individuellen<br />
Lernens; eine Schule, in der Kinder<br />
erkunden, erforschen, entdecken,<br />
Lernergebnisse präsentieren; eine<br />
Schule, in der Kinder eigene Lernwege<br />
gehen können und das Schulleben<br />
mitgestalten. Das geht nicht mehr<br />
als »Stundenschule« mit stündlichem<br />
Fächerwechsel, auch nicht mit der<br />
knappen Stundentafel aus der Zeit der<br />
preußischen Stillsitz- und Buchschule.<br />
Selbst eine Schule mit Unterrichtszeit<br />
wie gehabt und angehängter Betreuung,<br />
an der Kinder wahlweise teilnehmen,<br />
erfüllt diese Anforderungen<br />
nicht.<br />
Die moderne <strong>Grundschule</strong> braucht<br />
gemeinsame Bildungszeit über den<br />
Vormittag hinaus – als Bildungszeit für<br />
alle.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />
53
Grundschulverband <strong>aktuell</strong><br />
… auf Bundesebene<br />
Ehrendoktorwürde<br />
für Horst Bartnitzky<br />
Horst Bartnitzky, Vorsitzender des Grundschulverbandes,<br />
wurde von der Universität Siegen die<br />
Ehrendoktorwürde verliehen. Diese Auszeichnung<br />
erfolgte in Anerkennung seiner vielfältigen<br />
wissenschaftlichen, bildungs politischen und<br />
unterrichts praktischen Beiträge. Im Folgen den<br />
Auszüge aus der Laudatio von Prof. Dr. Hans<br />
Brügelmann:<br />
Horst Bartnitzky hat die pädagogische<br />
und didaktische Diskussion über die<br />
<strong>Grundschule</strong> in Deutschland in den letzten drei<br />
Jahrzehnte entscheidend mit geprägt. Grundlegend<br />
für Bartnitzkys Denken und seine wissenschaftlichen<br />
Arbeiten ist die Idee eines im<br />
doppelten Sinn integrativen Unterrichts:<br />
Pädagogisch zielt sie auf die demokratisierende<br />
Wirkung eines möglichst langen gemeinsamen<br />
Unterrichts für alle Kinder, in einer Ganztagsschule,<br />
die Kinder verschiedener Begabungen<br />
und aus unterschiedlichen sozialen Schichten<br />
und Kulturen mehr als die gegenwärtig vier<br />
Jahre zusammen leben und qualitativ anders<br />
lernen lässt.<br />
Didaktisch bedeutet Integration für Bartnitzky,<br />
dass Unterricht nicht fachlich parzelliert wird,<br />
sondern dass Lernen funktional in Situationen<br />
stattfindet, die von den Kindern als persönlich<br />
bedeutsam erfahren werden. Diesen Gedanken<br />
hat er z. B. mit dem Konzept eines integrativen<br />
Deutschunterrichts, der beispielsweise Grammatik<br />
und Rechtschreibung nicht in isolierte<br />
Übungen ausgliedert, konkretisiert.<br />
Bartnitzkys konzeptuelle Kraft wird<br />
besonders deutlich in seinen Publikationen<br />
zur Leistungserziehung und zur Evaluation<br />
von Leistung. Mit verschiedenen Arbeiten<br />
(seit 1977) hat er zur Klärung des Begriffs<br />
»Leistung« und insbesondere zur Begründung<br />
eines pädagogischen Leistungsverständnisses<br />
beigetragen. Vor allem die zunehmende Testorientierung<br />
nach PISA hat er mit mehreren<br />
Beiträgen fundiert kritisiert.<br />
Darüber hinaus hat er durch grundlegende<br />
Publikationen sowohl zur allgemeinen<br />
Grundschulpädagogik und -didaktik als auch<br />
zum Sprachunterricht wesentlich zur fachlichen<br />
Fundierung der Grundschulreform beigetragen.<br />
Bartnitzkys wissenschaftliche Beiträge<br />
umspannen ein breites Spektrum an Themen<br />
– von der Fachdidaktik bis hin zu grundsätz-<br />
Überreichung der Urkunde zur Ehrenpromotion (von links nach rechts):<br />
Prof. Dr. Kurt Sokolowski; Prodekan Fachbereich 2 (Eziehungswissenschaften<br />
und Psychologie), Prof. Dr. Hans Brügelmann, Dr. Horst Bartnitzky<br />
lichen pädagogischen Fragen der Primarstufe.<br />
Diese große Spannbreite wird eindrucksvoll<br />
markiert durch zwei Aktivitäten als Herausgeber.<br />
Schon 1981 veröffentlichte Bartnitzky<br />
gemeinsam mit Reinhold Christiani das<br />
erste deutschsprachige »Handbuch der Grundschulpraxis<br />
und Grundschuldidaktik«.<br />
Genau 25 Jahre später entwickelt er <strong>aktuell</strong> die<br />
Konzeption für ein umfassendes »Kursbuch<br />
<strong>Grundschule</strong>«, an dem unter seiner Leitung ein<br />
Team von WissenschaftlerInnen und PraktikerInnen<br />
arbeitet, um es 2009 zum 90. Geburtstag<br />
der <strong>Grundschule</strong> herauszubringen.<br />
Dies macht deutlich: Horst Bartnitzky<br />
ist ein »Übersetzer« im besten Sinne des<br />
Wortes. Damit meine ich die Fähigkeit, komplexe<br />
Zusammenhänge für Nichtspezialisten<br />
inhaltlich zugänglich zu machen, aber auch<br />
die sprachliche Fähigkeit, kompli-zierte Sachverhalte<br />
verständlich darzustellen – und dabei<br />
fachlich redlich zu bleiben. Horst Bartnitzky<br />
schreibt eine klare Wissenschaftsprosa, die<br />
sich schön liest – ein Stil, der selten geworden<br />
ist in den Zeiten der raschen Massenproduktion.<br />
Bildungspolitisch hat Bartnitzky sich –<br />
neben seinem Engagement in verschiedenen<br />
Kommissionen des Schulministeriums<br />
NRW – mit ganzer Kraft im Grundschulverband<br />
e. V., mit seinen rund 12 000 Mitgliedern<br />
der größte pädagogische Fachverband<br />
in Deutschland, engagiert. Dessen Vorstand<br />
gehörte er von 1983 an, ehe er 2000 selbst<br />
den Vorsitz übernahm. In dieser Funktion<br />
hat er an vielen Stellungnahmen und öffentlichen<br />
Veranstaltungen verantwortlich mitgewirkt,<br />
in denen es um grundsätzliche<br />
Fragen der Schulreform ging.<br />
Ab Heft 24 (November 1988) hat Horst Bartnitzky<br />
die Redaktion der Zeitschrift des<br />
Grundschulverbandes (damals noch »Arbeitskreis<br />
<strong>Grundschule</strong>«) übernommen. Dank seiner<br />
Schriftleitung ist die Zeitschrift zu einem<br />
weithin wahrgenommenen Fachorgan und<br />
zugleich zu einem bildungspolitischen Diskussionsforum<br />
geworden.<br />
Meines Wissens sind in Deutschland in<br />
den 40 Jahren, seitdem es eine Grundschulpädagogik<br />
an den Universitäten gibt,<br />
erst zwei Personen in diesem Fach ehrenhalber<br />
promoviert worden:<br />
Erwin Schwartz, der das Fach Ende der 1960er<br />
Jahre an der Universität Frankfurt etablierte<br />
und<br />
Hermann Schwarz , der Hamburger Schulrat,<br />
der weit über die Region hinaus gewirkt hat.<br />
Und jetzt Horst Bartnitzky in Siegen – eine<br />
Reihe, die sich sehen lassen kann!<br />
Die Universität Siegen kann sich glücklich<br />
schätzen, mit Horst Bartnitzky ein neues<br />
Mitglied gewonnen zu haben.<br />
Der gesamte Text der Laudatio findet sich im Internet<br />
unter http://www.grundschulverband.de/fileadmin/<br />
grundschulverband/Download/<strong>aktuell</strong>/laudatio_br_<br />
gelmann_f_r_H.B.pdf<br />
54 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007
Grundschulverband <strong>aktuell</strong><br />
… auf Bundesebene<br />
Nachrichten aus<br />
dem Bundesverband<br />
Bundesverdienstkreuz<br />
für Gertraud Greiling<br />
Gertraud Greiling, ehem. Mitglied<br />
des Landesvorstandes<br />
NRW, erhielt – weil sie sich in vielen<br />
Jahren um die Bildung von<br />
Grundschulkindern in besonderer<br />
Weise verdient gemacht hat<br />
– in einem Festakt auf Schloss<br />
Bellevue in Berlin von Bundespräsident<br />
DR. Horst Köhler<br />
das Bundesverdienstkreuz. In<br />
der Würdigung heißt es: »Bereits<br />
Ende der 60er Jahre entwickelte<br />
die ehemalige Grundschulrektorin<br />
ein zukunftsweisendes Konzept<br />
für Ganztagsgrundschulen, das<br />
zum Ziel hatte, Kinder mit unterschiedlichen<br />
Lerngeschwindigkeiten<br />
gemeinsam zu fördern. Teil<br />
dieses Konzeptes war eine Nachmittagsschule<br />
mit Mittagsmahlzeit<br />
und Hausaufgabenbetreuung.<br />
Hierfür wurde sie 1981 mit dem<br />
Grundschulpreis des Grundschulverbandes<br />
ausgezeichnet. Später<br />
gründete sie einen Gesprächs- und<br />
Arbeitskreis reformorientierter<br />
Pädagogen, um aktiv an der Entwicklung<br />
der Grundschulpädagogik<br />
mitzuwirken. 1992 wurde<br />
sie dann Mitglied im Landesvorstand<br />
des nordrhein-westfälischen<br />
Grundschulverbandes. Auch nach<br />
ihrer Pensionierung setzt sie ihr<br />
Engagement u. a. in der Schulbibliothek<br />
und in der kirchlichen<br />
Jugendarbeit fort.«<br />
Mehr unter: http://www.grund<br />
schulverband.de/<strong>aktuell</strong>_<br />
single+M59b2241f79b.html<br />
Gründungsprotokoll übergeben<br />
In einer kleinen Feierstunde<br />
in der Frankfurter Geschäftsstelle<br />
überreichte Prof. Kurt<br />
Meiers das Gründungsprotokoll<br />
des Grundschulverbandes (1969<br />
als »Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong>«<br />
gegründet) mit allen Unterlagen<br />
an den Vorsitzenden Horst<br />
Bartnitzky.<br />
Anwesend waren Prof. Richard<br />
Meier (als Schriftführer Mitglied<br />
des Gründungsvorstandes,<br />
später Mitglied des wissenschaftlichen<br />
Beirats), Prof. Dr.<br />
Kurt Meiers (von 1983 – 1986<br />
Mitglied im Vorstand und danach<br />
Beisitzer), Horst Bartnitzky,<br />
Dr. Karlheinz Burk (von 1983<br />
– 1986 Mitglied des Vorstandes),<br />
Maresi Lassek und Ulrich<br />
Hecker (Stellv. Vorsitzende),<br />
Marlies Hergarten (Schatzmeisterin),<br />
Sylvia Reinisch und<br />
Barbara Kielblock von der<br />
Geschäftsstelle.<br />
Bis weit in die neunziger Jahre<br />
waren die Gründungsdokumente<br />
im Besitz der Familie Schwartz.<br />
Mit der Erkrankung von Erwin<br />
Schwartz und der Kenntnis,<br />
dass Kurt Meiers an einer Dokumentation<br />
zur Geschichte des<br />
Grundschulverbandes mit Texten<br />
und Dokumenten aus den Jahren<br />
1966 bis 1970 arbeitete, überreichten<br />
die Eheleute Schwartz<br />
dem Familienfreund Kurt Meiers<br />
Prof. Kurt Meiers überreicht das<br />
Gründungsprotokoll des Verbandes an<br />
den Vorsitzenden Horst Bartnitzky<br />
die Gründungsdokumente. Der<br />
Band »Erwin Schwartz und sein<br />
Beitrag zur Reform der <strong>Grundschule</strong>«<br />
erschien 1999 im Dieck<br />
Verlag, Heinsberg – die Gründungsdokumente<br />
blieben bis zur<br />
feierlichen Überreichung in seinen<br />
Händen. Wir freuen uns, dass<br />
sie nun ihren Platz im Archiv des<br />
Verbandes gefunden haben.<br />
Demokratie leben und lernen:<br />
Symposion an der Uni Siegen<br />
»Wer an Schulen nur fachliches<br />
Wissen bzw. Können betrachtet<br />
und punktuell abtestet, dem<br />
schrumpft der Blick auf Pädagogik<br />
leicht zu PISA«, kritisierte Prof.<br />
Dr. Hans Brügelmann, einer der<br />
Veranstalter des Internationalen<br />
Symposions »Demokratische<br />
<strong>Grundschule</strong>«, das vom 19. bis<br />
21. September an der Universität<br />
Siegen stattfand.<br />
»Aber zu einer guten Schule gehört<br />
viel mehr. Viele schauen nur auf<br />
fachliche Leistungen, dazu noch<br />
beschränkt auf wenige ausgewählte<br />
Bereiche. Durch die Testbrille<br />
ist kaum zu erfassen, was<br />
Schulen zur Persönlichkeitsentwicklung<br />
und zur Förderung demokratischer<br />
Haltungen beitragen.«<br />
Nähere Informationen zum Symposion<br />
finden sich unter www.<br />
demokratische-grundschule.de,<br />
dort gibt es auch einen Offenen<br />
Brief an die Kultusministerkonferenz,<br />
dem man sich online<br />
anschließen kann: »Kinder haben<br />
das Recht mitzubestimmen –<br />
auch in der Schule«.<br />
Dossier »Schule für alle«<br />
»Es ist etwas in Bewegung geraten.<br />
Lange wurde nicht mehr so<br />
viel über Schule diskutiert, formierten<br />
sich so viele Bündnisse,<br />
Netzwerke, Initiativen und Runde<br />
Tische. Nach langer Lähmung<br />
herrscht auf einmal Aufbruchsstimmung.<br />
Immer mehr Menschen<br />
wird klar: Wir brauchen<br />
eine Schule für alle Kinder. Eine<br />
Schule, die nicht selektiert, die<br />
niemanden ausgrenzt, die kein<br />
Kind beschämt. Eine Schule, in<br />
der jedes Kind willkommen ist<br />
und sich seinen Fähigkeiten entsprechend<br />
entwickeln darf. Eine<br />
Schule, in der Vielfalt nicht als<br />
Problem, sondern als Chance<br />
wahrgenommen wird«, schreibt<br />
Andrea Teupke, Redakteurin der<br />
Zeitschrift »Publik Forum« und<br />
verantwortlich für das Dossier<br />
über Schule und Bildung, das diesem<br />
Heft beiliegt.<br />
Herausgeberin des Dossiers ist<br />
»Publik Forum«, die namhafte,<br />
ebenso unabhängige wie engagierte<br />
»Zeitschrift kritischer<br />
Christen«. Ursprung war die<br />
Wochenzeitung »PUBLIK«, die<br />
vor 30 Jahren von den deutschen<br />
katholischen Bischöfen herausgegeben<br />
und dann trotz massiver<br />
Proteste eingestellt wurde.<br />
Die Zeitung aber und ihre Leser/<br />
innen machten weiter: »Publik<br />
Forum« entstand.<br />
Nähere Informationen zur Zeitschrift<br />
finden sich unter www.<br />
publik-forum.de.<br />
Der Grundschulverband hat am<br />
Zustandekommen des Dossiers<br />
aktiv mitgewirkt, wie im Inhalt<br />
und an unserem Verbandslogo zu<br />
sehen ist.<br />
Horst Bartnitzky ist mit einem<br />
Interview vertreten, unser Fachreferent<br />
Peter Heyer, der uns in<br />
der Initiative »länger gemeinsam<br />
lernen« vertritt, kommt ebenfalls<br />
mit einem Beitrag zu Wort.<br />
In diesem Dossier spiegelt sich<br />
das Engagement vieler tatkräftiger<br />
Menschen für eine Schule<br />
für alle Kinder wider.<br />
Das Heft ist gut auch für die<br />
Elternarbeit, für Veranstaltungen<br />
und Fortbildungen geeignet.<br />
Unter www.publik-forum.de/<br />
schule finden sich verschiedene<br />
Links, Texte aus Publik-Forum<br />
zum Thema Schule sowie alle<br />
Texte des Dossiers. Dort kann<br />
man auch das Dossier bestellen.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />
55
Grundschulverband <strong>aktuell</strong><br />
… auf Bundesebene<br />
Gegen die »Testeritis«<br />
Unmittelbar nach Erscheinen unseres Heftes 99 sandte der Grundschulverband<br />
an über 13.000 <strong>Grundschule</strong>n ein »Mailing« mit der<br />
<strong>aktuell</strong>en Pressemitteilung zu »VERA«. »Gegen die Testeritis« war der<br />
provozierende Titel. Hier der Wortlaut:<br />
Grundschulverband warnt:<br />
Vergleichsarbeiten beschädigen Unterrichtskultur<br />
An deutschen Schulen wird so viel getestet, verglichen und evaluiert<br />
wie nie zuvor. In sieben Ländern – ab 2008 dann in allen 16 Bundesländern<br />
– schwitzen die Drittklässler über VERA-Tests.<br />
Allein in Nordrhein-Westfalen füllten rund 180.000 Kinder die Prüfungshefte<br />
eines Forscherteams der Universität Landau aus. Die<br />
Lehrkräfte mussten die Deutsch- und Mathetests selbst bewerten<br />
und die Ergebnisse per Internet an eine zentrale Datensammelstelle<br />
senden.<br />
In den letzten Tagen haben sie erfahren, wo ihre Klasse »im Landesschnitt«<br />
steht, sonst passierte nicht viel.<br />
Gegen schlechtes Abschneiden in internationalen Vergleichstests wie<br />
PISA, so glauben Deutschlands Schulminister, hilft vor allem Testen.<br />
Zwar hat sich die Kultusministerkonferenz als Reaktion auf den »PISA-<br />
Schock« sieben Verbesserungsstrategien vorgenommen – darunter<br />
Sprachkurse für Migrantenkinder, mehr Ganztagsschulen, gezielte<br />
Leseförderung –, doch konsequent umgesetzt haben sie bislang nur<br />
eine: Flächendeckende Tests!<br />
Dahinter steht die vage Hoffnung, dass vom Überprüfen alles auch<br />
irgendwie besser wird.<br />
Nach PISA verfallen Bildungs politik und Ministerialbürokratie buchstäblich<br />
in eine Manie des quantitativen Testens und Klassifizierens<br />
und vernachlässigen den pädagogischen Auftrag der Schule.<br />
Die Schulpolitik wollte Vergleichstests als Leistungsbaro meter einführen.<br />
Entsprechend werden die Testergebnisse gehandelt: als Anzeiger<br />
des <strong>aktuell</strong>en Bildungsstandes in den Schulen. Die Wissenschaftler<br />
sind in dieser Strategie offenbar gefangen: Denn eigentlich wissen sie,<br />
dass Vergleichstests nur höchst begrenzte Ausschnitte aus dem spiegeln<br />
können, was als »Bildungsstandards« definiert wurde.<br />
Erziehungswissenschaftler warnen vor den Folgen der empirischen<br />
Evaluation für das deutsche Bildungssystem. »Das ständige Messen,<br />
Managen und Zollstock ansetzen«, so Horst Bartnitzky, Vorsitzender<br />
des Grundschulverbandes, »läuft der Zielvorstellung einer ›guten Schule‹<br />
diametral entgegen. Die grassierende ›Testeritis‹ macht Kinder lernunwilliger<br />
statt erfolgreicher.«<br />
Bildungsinhalte werden dadurch drastisch verkürzt. Im Zentrum der<br />
»Output-Beobachtung« liegen die Bereiche, die in den internationalen<br />
Tests besonders im Blickpunkt stehen. Deshalb gibt es Bildungsstandards<br />
auch nur für Deutsch und Mathematik – und nur auf diese<br />
Fächer beziehen sich die Vergleichsarbeiten. Alle anderen Fächer wie<br />
Sachunterricht, Musik, Kunst, Sport werden, der schulpolitischen und<br />
öffentlichen Aufmerksamkeit entzogen, zur Nebensache.<br />
Horst Bartnitzky weiter: »Die flächendeckende ›Testeritis‹ beschädigt<br />
die Unterrichtskultur: Das Lernen wird auf die Vermittlung von überprüfbaren<br />
Zielen reduziert. Damit wird der Blick auf nachhaltig wirksame<br />
und qualifizierende Bildungsprozesse verstellt, die außerhalb von Papier-<br />
Bleistift-Evaluierungen liegen.«<br />
Ästhetische Bildung, Friedens- und Umwelterziehung, neue Medien<br />
z. B. galten vor Jahr und Tag noch als wichtige überfachliche Felder –<br />
als seien sie über Nacht unwichtig geworden, spielen sie nur noch eine<br />
Randrolle. Selbst in den getesteten Fächern begrenzen sich die Tests<br />
auf leicht abhakbare Ausschnitte der Lerninhalte.<br />
Diese fachlich eng begrenzten Ergebnisse werden nun Schulen und<br />
Eltern in Tabellenform vorgelegt, so als seien sie Aussagen zum Leistungsprofil<br />
der einzelnen Kinder.<br />
In den Schulen werden die Leistungsprofile der Parallelklassen veröffentlicht<br />
– so entsteht ein innerschulisches »Ranking« – Vergleiche<br />
ohne Hand und Fuß zwar, aber im Resultat: Testorientierter Unterricht<br />
wird zum Leitbild für Schulentwicklung.<br />
»Solche Art Tabellen-Akrobatik«, stellt Horst Bartnitzky fest, »ist weder<br />
für die pädagogische Praxis, noch für Eltern, erst recht nicht für die Kinder<br />
hilfreich.«<br />
Der Presse und den elektronischen Medien wurden mit dieser Erklärung<br />
zu Hintergrund-informationen das Heft 99 von »<strong>Grundschule</strong><br />
<strong>aktuell</strong>« zugestellt. Im Mailing an die <strong>Grundschule</strong>n haben wir ebenfalls<br />
angeboten, das Heft – in diesem Fall kostenfrei – zu bestellen.<br />
Das Echo war überwältigend. Hunderte Schulen bestellten schon am<br />
ersten Tag das Heft, wir erhielten eine Vielzahl von zustimmenden<br />
Mails und Anrufen.<br />
Das Thema bleibt brisant – und der Grundschulverband bleibt dran!<br />
Beitragserhöhung<br />
ab 2008<br />
Liebe Mitglieder,<br />
natürlich hat die allgemeine<br />
Kostensteigerung (Papier, Porto,<br />
Druckkosten …) auch beim<br />
Grundschulverband zu höheren<br />
Ausgaben geführt. Wir haben<br />
versucht, dies durch Sparmaßnahmen<br />
an anderen Stellen<br />
aufzufangen. Zugleich haben wir<br />
unsere Arbeit für die <strong>Grundschule</strong><br />
ausgebaut, z. B. durch unseren<br />
Internet-Auftritt mit einigen<br />
Zusatzleistungen, durch regel-<br />
mäßiges Mailing an alle <strong>Grundschule</strong>n,<br />
durch den Ausbau<br />
unserer Publikationen (Zeitschrift,<br />
Schuber zur Pädagogischen<br />
Leistungskultur), durch<br />
vermehrte Presse arbeit. Zudem<br />
müssen wir für den großen<br />
BundesGrundschulKongress im<br />
September 2009 ansparen.<br />
Nachdem wir den Mitgliedsbeitrag<br />
in den letzten vier Jahren<br />
stabil halten konnten, führt nun<br />
kein Weg an einer Erhöhung<br />
vorbei, wenn wir unsere<br />
Leistungen beibehalten wollen.<br />
Die Delegiertenversammlung<br />
beschloss deshalb am<br />
11. / 12. Mai 2007, die Beiträge ab<br />
2008 zu erhöhen, und zwar<br />
■ den Mitgliedsbeitrag von<br />
50 € auf 55 € im Jahr (auf den<br />
Monat umgerechnet beträgt der<br />
Mitgliedsbeitrag dann 4,59 €)<br />
■ den ermäßigten Beitrag von<br />
30 € auf 33 € (auf den Monat<br />
umgerech net beträgt der Beitrag<br />
dann 2,75 €).<br />
56 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007
Grundschulverband <strong>aktuell</strong><br />
… aus den Landesgruppen<br />
Baden-Württemberg<br />
Anschrift: Dipl.-Päd. Adolf Messer, Stockacker 15, 79252 Stegen; www.gsv-bw.de<br />
Landesgruppe zeigt Flagge:<br />
Gespräch mit Volker Schebesta<br />
Am 25. Juli führten Vertreter der<br />
Landesgruppe ein Gespräch mit<br />
Volker Schebesta, dem<br />
bildungspolitischen Sprecher der<br />
CDU-Landtagsfraktion in Baden-<br />
Württemberg. Das Gespräch ging<br />
über <strong>aktuell</strong>e bildungspolitische<br />
Fragestellungen.<br />
Unterrichtsversorgung: Die Landesgruppe<br />
wies auf massive<br />
Probleme bei der Unterrichtsversorgung<br />
hin, die vor dem Hintergrund,<br />
dass nur ein Bruchteil<br />
der Lehramtsabsolventen in<br />
diesem Jahr eingestellt wurde,<br />
besonders brisant erscheinen.<br />
Dabei handelt es sich um Studierendenjahrgänge,<br />
die von der<br />
Landesregierung ausdrücklich<br />
zum Studium ermutigt wurden<br />
und in einem Ausmaß zum<br />
Studium zugelassen wurden,<br />
welches die Kapazitäten der<br />
Pädagogischen Hochschulen des<br />
Landes weit überstieg.<br />
Frühe Bildung: Die Landesgruppe<br />
begrüßte, dass an den Pädagogischen<br />
Hochschulen ab WS<br />
2007/08 Bachelorstudiengänge<br />
für Frühkindliche Bildung und<br />
Erziehung eingerichtet werden.<br />
Es geht um die Wertigkeit und<br />
Wichtigkeit der frühen Bildung<br />
und um den Brückenbau zwischen<br />
Kindertagesstätten und<br />
Schulen. Dabei gilt es, den Bildungsgedanken<br />
zu stärken, ohne<br />
schulisch-curriculare Vorstellung<br />
von oben in die Bildungsprozesse<br />
kleiner Kinder hineinzudrücken.<br />
Neben Fragen der Lehrerbildung<br />
wurden auch schulstrukturelle<br />
Grundsatzprobleme thematisiert:<br />
Die Landesregierung wird<br />
weiterhin an dem gegliederten,<br />
selektiven System festhalten.<br />
Allerdings wurde Einigkeit dahingehend<br />
erzielt, dass eine Verbesserung<br />
der Förderkultur (und der<br />
Förderressourcen) an den Schulen<br />
anzustreben sei.<br />
»Mathematik entdecken als<br />
gemeinsame Aufgabe von<br />
Kindergarten und <strong>Grundschule</strong>«<br />
Nach der Sprache und dem<br />
naturwissenschaflichen Experimentieren<br />
wurde nun auch die<br />
Mathematik im Rahmen einer<br />
Fachtagung im Bildungszusammenhang<br />
von Kindergarten und<br />
<strong>Grundschule</strong> untersucht. Die<br />
Tagung wurde am 5. Oktober in<br />
der Pädagogischen Hochschule<br />
in Karlsruhe durchgeführt. Als<br />
Referentin stand Frau Prof. Dr.<br />
Christiane Benz zur Verfügung.<br />
Im Vortrag wurde auf verschiedene<br />
Sichtweisen von Mathematik<br />
und Lernen von Mathematik<br />
eingegangen. Schwerpunktmäßig<br />
wurde dabei aufgezeigt,<br />
was es in der Mathematik zu entdecken<br />
gibt und wie man Kinder<br />
dabei unterstützen kann. »Einem<br />
Kind etwas zu verraten, was es<br />
selbst entdecken kann, ist nicht<br />
nur schlechte Didaktik, es ist ein<br />
Verbrechen! Hast du jemals Sechsjährige<br />
beobachtet, wie eifrig und<br />
leidenschaftlich sie entdecken und<br />
erfinden und wie du sie enttäuschen<br />
kannst, wenn du Geheimnisse<br />
zu früh verrätst?« (Hans<br />
Freudenthal)<br />
Der Bologna-Prozess:<br />
Bedrohung oder Chance<br />
für die Qualität der Ausbildung<br />
von Lehrerinnen und Lehrern an<br />
<strong>Grundschule</strong>n in Baden-Württemberg?<br />
Dazu hat die Landesgruppe<br />
ein Positionspapier vorgelegt.<br />
Grundschullehrer brauchen eine<br />
wissenschaftliche, gleichwohl<br />
aufgabenbezogene Ausbildung,<br />
die sowohl spezifisch angelegt<br />
als auch mit der Ausbildung<br />
anderer Lehrämter vernetzt ist,<br />
eine Ausbildung zumal, die alle<br />
wichtigen Bildungsbereiche einschließt.<br />
Im Blick auf die europäische<br />
Vereinheitlichung des<br />
Studienwesens gilt es Gefahren<br />
abzuwehren, aber auch Möglichkeiten<br />
zu nutzen. So ist auch<br />
für das GS-Lehramt der Master<br />
als Regelabschluss zu fordern.<br />
Eine stärkere Orientierung am<br />
Lernprozess der Studierenden<br />
darf nicht zu mehr Verschulung<br />
führen. Die Vernetzungsmöglichkeiten<br />
im europäischen Bildungsraum<br />
und in individuellen<br />
Bildungsbiografien sind sicher<br />
zu begrüßen. Allerdings drohen<br />
Gefahren von einem Formalismus,<br />
dem wichtige Essentials der<br />
Grundschullehrerbildung, z. B.<br />
eine aufgabenorientierte Ausbildung<br />
schon im Bachelorstudium,<br />
zum Opfer fallen könnten.<br />
(für die Landesgruppe:<br />
Hans-Joachim Fischer)<br />
Bayern<br />
Vorsitzende: Dr. Gudrun Schönknecht, Pfirsichweg 37b, 86169 Augsburg<br />
Wir bitten um Ihr Verständnis.<br />
Sie erhalten wie bisher für Ihren<br />
Beitrag die Veröffentlichungen<br />
des Verbands sowie die Mitgliederzeitschrift.<br />
Bitte werben Sie weiterhin für<br />
die Mitgliedschaft. Denn die<br />
<strong>Grundschule</strong> braucht einen<br />
starken Fachverband. Nur mit<br />
vielen Mitgliedern sind wir<br />
stark.<br />
Horst Bartnitzky<br />
Vorsitzender des<br />
Grundschulverbandes<br />
30. November 2007,<br />
15 bis 17.30 Uhr,<br />
Mönchbergschule,<br />
Richard-Wagner-Str. 62,<br />
97074 Würzburg<br />
Öffentliche Landesgruppensitzung<br />
mit Referat:<br />
Pädagogische Leistungskultur<br />
der <strong>Grundschule</strong> – dargestellt<br />
im Bereich Heimat- und Sachunterricht<br />
(Bianca Ederer,<br />
Gabriele Klenk)<br />
Außerdem berichten Mitglieder<br />
der Landesgruppe von ihrer<br />
Arbeit in den Regionalgruppen.<br />
Herzlich eingeladen sind alle Mitglieder<br />
und interessierte Lehrkräfte.<br />
(für die Landesgruppe: Bianca Ederer)<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />
57
Grundschulverband <strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Berlin<br />
Kontakt: Ing rid Kornmesser, Kohlfurter Str. 4, 10999 Berlin; www.gsv-berlin.de<br />
Gespräch mit dem<br />
Bildungssenator<br />
Die beiden Vorsitzenden der Berliner<br />
Landesgruppe (Inge Hirschmann<br />
/ Peter Heyer) führten<br />
Mitte August ein einstündiges<br />
Gespräch mit dem Bildungssenator<br />
Prof. Dr. E. Jürgen Zöllner in<br />
Anwesenheit von Frau A. Rühle<br />
(Leitungsstab) und Frau D. Wilde<br />
(Grundschulreferentin). Dem<br />
Grundschulverband ging es bei<br />
diesem Gespräch sowohl um die<br />
Erörterung <strong>aktuell</strong>er Probleme<br />
und deren Lösungsmöglichkeiten<br />
als auch um Fragen der längerfristigen<br />
<strong>Grundschule</strong>ntwicklung.<br />
Im Grundsätzlichen gab<br />
es große Übereinstimmung. Wir<br />
konnten nur bestätigen, dass<br />
inzwischen viele Reformen in die<br />
Wege geleitet wurden, für die<br />
wir uns als Grundschulverband<br />
teilweise jahrzehntelang eingesetzt<br />
haben. Zugleich hatten wir<br />
jedoch nachdrücklich darauf hinzuweisen,<br />
dass bei der Umsetzung<br />
dieser Reformen in konkrete<br />
Praxis immer noch vieles<br />
schief läuft. Wir erläuterten an<br />
Beispielen, dass seitens Schulträger<br />
und Schulverwaltung die<br />
tatsächlichen Probleme einzelner<br />
<strong>Grundschule</strong>n – insbesondere<br />
im Zusammenhang mit der<br />
Entwicklung aller <strong>Grundschule</strong>n<br />
zu Ganztagsschulen und bei<br />
der Einführung der jahrgangsgemischten<br />
Schulanfangsphase<br />
– teilweise nur unzureichend<br />
wahrgenommen und / oder schön<br />
geredet werden. Außerdem<br />
kritisierten wir den oft indiskutablen<br />
Kommunikationsstil seitens<br />
Schul träger und Schulverwaltung<br />
gegenüber den in den<br />
Schulen tätigen Menschen. Als<br />
großes Problem stellten wir die<br />
Ungleichwertigkeit der Berliner<br />
<strong>Grundschule</strong>n heraus. Wir<br />
forderten den Bildungssenator<br />
auf, sich dafür einzusetzen, dass<br />
Eltern sicher sein können, dass<br />
die wichtigen Prinzipien guter<br />
pädagogischer Arbeit an jeder<br />
einzelnen Berliner <strong>Grundschule</strong><br />
gewährleistet sind, also auch an<br />
der <strong>Grundschule</strong> um die Ecke,<br />
und dass den Entwicklungen in<br />
Richtung auf eine falsch verstandene<br />
Profilbildung unbedingt<br />
gegenzusteuern ist. Kinder im<br />
Grundschulalter brauchen möglichst<br />
wohnungsnahe Schulen.<br />
Jede <strong>Grundschule</strong> muss deshalb<br />
die für alle Kinder wichtigen<br />
Bildungsangebote bereit stellen<br />
können, nicht nur spezielle<br />
»Leuchtturmschulen«!<br />
Stellungnahme zum Berliner<br />
Bildungsprogramm für die<br />
offene Ganztagsgrundschule<br />
Zur – lesenswerten – Entwurfsfassung<br />
des »Berliner Bildungsprogramms<br />
für die offene Ganztagsgrundschule«<br />
von Jörg<br />
Ramseger, Christa Preissing<br />
und Ludger Pesch<br />
(http://www.ina-fu.org/bildungs<br />
programm/BildungsProg_GTGS_<br />
Webfassung_06-03-2007.pdf)<br />
gab der Vorstand der Berliner<br />
Landesgruppe eine mit kritischen<br />
Anmerkungen versehene grundsätzlich<br />
positive Stellungnahme<br />
ab, nachzulesen auf der website<br />
der Berliner Landesgruppe<br />
(www.gsv-berlin.de).<br />
(für die Landesgruppe: Peter Heyer;<br />
peterheyer@snafu.de)<br />
Brandenburg<br />
Vorsitzende: Denise Sommer, Weinbergweg 21, 15834 Rangsdorf; www.gsv-brandenburg.de<br />
Rahmenlehrpläne erfolgreich<br />
implementiert – neues Schulgesetz<br />
in Kraft<br />
Kein alltägliches bildungspolitisches<br />
Ereignis war die<br />
gemeinsame Entwicklung neuer<br />
Rahmenlehrpläne für die <strong>Grundschule</strong><br />
im Vierländerprojekt mit<br />
Berlin, Bremen und Mecklenburg-<br />
Vorpommern. Um dem<br />
innovativen Anspruch der Rahmenlehrpläne<br />
Genüge zu tun,<br />
begleitete das Ministerium für<br />
Bildung, Jugend und Sport / Ref.<br />
32 unter Federführung von Anne<br />
Knauf die Einführung der Pläne<br />
als ein bisher einmaliges, zentral<br />
gesteuertes dreijähriges Implementierungsvorhaben.<br />
Ziel war es dabei, die Qualitätswirksamkeit<br />
der Rahmenlehrpläne<br />
in Bezug auf eine veränderte<br />
Schul- und Lernkultur und<br />
die Erreichung besserer Lernergebnisse<br />
auszurichten. Die vorliegenden<br />
Daten aus der begleitenden<br />
Evaluation bieten ein<br />
optimistischeres Bild als das<br />
aus bisherigen Untersuchungen<br />
zur Lehrplanforschung vorliegende:<br />
Darin wurde den Lehrplänen<br />
nur eine sehr geringe<br />
praktische Bedeutsamkeit für<br />
Lehrkräfte zugesprochen. Für die<br />
vielen anderen Bildungsbaustellen<br />
wünscht man sich deshalb<br />
Tansfer- und Synergieeffekte aus<br />
diesem Projekt.<br />
Auch das neue Schulgesetz wartet<br />
mit weiteren Neuerungen auf.<br />
Erstmalig wurden die im Schulgesetz<br />
beschlossenen Leistungsund<br />
Begabungsklassen an Gymnasien<br />
eingerichtet, in denen<br />
besonders begabte Schülerinnen<br />
und Schüler nach Abschluss der<br />
4. Klasse gefördert werden. Das<br />
neue KITA-Gesetz ist zum 1. Juli<br />
2007 in Kraft getreten. Damit<br />
sind die Einrichtungen verpflichtet,<br />
im letzten Jahr vor der Einschulung<br />
bei den Kindern den<br />
Sprachstand zu überprüfen und<br />
ggf. Sprachförderkurse anzubieten.<br />
Neu sind auch die zentralen Vergleichsarbeiten<br />
in Mathematik<br />
und Deutsch, die als Instrument<br />
zur Feststellung der Eignung<br />
zum Übergang in die weiterführende<br />
Schule definiert werden.<br />
Die Noten dieser Arbeit gehen<br />
zu 40 % in die Halbjahresnote<br />
ein. Brandenburger Sechstklässler,<br />
die auf ein Gymnasium gehen<br />
wollen, benötigen nun von der<br />
<strong>Grundschule</strong> eine Empfehlung<br />
für den Bildungsgang zum Abitur<br />
und dürfen die Notensumme<br />
7 in den Fächern Deutsch, Mathe<br />
und Englisch nicht überschreiten.<br />
Scheitert es an einer dieser<br />
Voraussetzungen, müssen sie an<br />
einem Eignungstest in Form des<br />
Probeunterrichtes teilnehmen. So<br />
stehen vielleicht vergleichbarere<br />
Abschlüsse auf der einen Seite,<br />
auf der anderen wächst aber<br />
der Druck auf Kinder, Eltern und<br />
Grundschullehrkräfte.<br />
(für die Landesgruppe:<br />
Marion Gutzmann)<br />
58 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007
Grundschulverband <strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Bremen<br />
Gemeinsamer Vorsitz: Nina Bode-Kirchhoff, Ilona Rother, Inga Weiland;<br />
www.grundschulverband-bremen.de<br />
Abbau von Lehrerstellen<br />
In den Koalitionsvereinbarungen<br />
zwischen SPD und Grünen wird<br />
dem Bereich Bildung und insbesondere<br />
der Arbeit in den <strong>Grundschule</strong>n<br />
eine wichtige Bedeutung<br />
zugesprochen. Um allen Kindern<br />
die gleichen Bildungschancen<br />
einzuräumen, sollen Schülerrückgänge<br />
genutzt werden, um Klassengrößen<br />
und Förderinten sität<br />
nach Sozialindikatoren zu staffeln.<br />
Leider wurde eine Möglichkeit,<br />
dieses Versprechen einzulösen,<br />
jetzt vertan. Wie die GEW<br />
bekannt gab, wurden in diesem<br />
Schuljahr an <strong>Grundschule</strong>n und<br />
Förderzentren 43 Lehrerstellen<br />
abgebaut. Die Bildungsbehör de<br />
bestätigte die Zahlen und<br />
be gründete die Streichungen mit<br />
dem Rückgang der Schülerzahlen<br />
und veränderten Klassenstrukturen.<br />
Die Bildungssenatorin Renate<br />
Jürgens-Pieper kündigt neue<br />
Entwicklungen in Bremens Schullandschaft<br />
an:<br />
Befreiung von der Zensurengebung<br />
■ <strong>Grundschule</strong>n, die ein entsprechendes<br />
pädagogisches Konzept<br />
vorlegen, können von der<br />
Zensurengebung befreit werden.<br />
Lernentwicklungsberichte<br />
und verbindliche Elterngespräche<br />
können die derzeitige Kombination<br />
aus Ziffernzeugnis und<br />
Bericht ersetzen. Gleichzeitig<br />
werden die sehr umfangreichen<br />
Zeugnisse für die Klassen 3 und<br />
4 überarbeitet. Die neue Grundschulreferentin<br />
Gabi Langel-<br />
Carossa befasst sich bereits<br />
damit.<br />
Ausbau des Ganztagsschulangebotes<br />
■ Das Ganztagsschulangebot<br />
soll in der nächsten Zeit weiter<br />
ausgebaut werden. Für alle Schulstufen<br />
sollen jährlich drei Ganztagsschulen<br />
hinzukommen.<br />
Pilotprojekt »Eigenverantwortliche<br />
Schule«<br />
■ In diesem Schuljahr startet<br />
ein Pilotprojekt, an dem sich<br />
sechs bis acht allgemein bildende<br />
Schulen beteiligen können. Die<br />
Schulen sollen eigenverantwortliche<br />
Gestaltungsspielräume für<br />
die Bereiche Pädagogik, Organisation,<br />
Personalverantwortung<br />
und Budgetierung erhalten.<br />
Durch diese größere Eigenverantwortung<br />
soll die Qualität des<br />
Lehrens und Lernens verbessert<br />
werden. Die Schulen sind<br />
verpflichtet ihr Handeln für die<br />
Öffentlichkeit transparent zu<br />
machen. Nach zwei Jahren Laufzeit<br />
ist der Einstieg weiterer<br />
Schulen in das Projekt geplant.<br />
Schulbegleitforschung<br />
Zum Schuljahr 2007/2008 wurden<br />
von der Senatorin für Bildung<br />
und Wissenschaft fünf Netzwerke<br />
eingerichtet, in denen<br />
Lehrer/innenteams drei Jahre<br />
forschen werden.<br />
Für jedes Netzwerk ist eine<br />
Professorin / ein Professor der<br />
Universität verantwortlich. Die<br />
Netzwerke werden vom Landesinstitut<br />
für Schule und einem<br />
Beirat begleitet. In den <strong>aktuell</strong>en<br />
Schulbegleitforschungs prozess<br />
sind hauptsächlich Bremer<br />
<strong>Grundschule</strong>n einbezogen worden.<br />
Die Netzwerkthemen Diagnostik<br />
/ Förderung / Migration, Übergänge<br />
und Mathematik wurden<br />
in diesem Jahr von der Bildungsbehörde<br />
vorgegeben. Zukünftig<br />
sollen aber auch wieder Forschungsfragen<br />
aus den Schulen<br />
aufgenommen werden.<br />
Am 5. September 2007 wurde<br />
in einer Eröffnungsveranstaltung<br />
im Haus der Wissenschaft<br />
mit einem Vortrag von Prof.<br />
Dr. Klaus-Jürgen Tillmann die<br />
Netzwerkarbeit gestartet.<br />
(für die Landesgruppe:<br />
Nina Bode-Kirchhoff)<br />
Hamburg<br />
Vorsitzende: Susanne Peters, Güntherstraße 10, 22087 Hamburg;<br />
susanne.peters@gsvhh.dwww.gsvhh.de<br />
Noten in Integrationsklassen<br />
Nach den Sommerferien wurden<br />
die 29 Hamburger Schulen<br />
mit Integrationsklassen von<br />
der Weisung der Schulbehörde<br />
überrascht, dass ab sofort auch<br />
in Integrationsklassen 3 und 4<br />
generell Ziffernzeugnisse zu<br />
erteilen sind. Nur die behinderten<br />
Schülerinnen und Schüler erhalten<br />
weiterhin Berichtszeugnisse.<br />
Dadurch wird die integrative<br />
Arbeit entscheidend beeinträchtigt.<br />
Der Landesverband fordert,<br />
die bisherige Praxis der Berichtszeugnisse<br />
beizubehalten.<br />
Frühbeete der Gegenwart<br />
Susanne Peters referierte vor<br />
ca. 20 Zuhörern über die niederländische<br />
<strong>Grundschule</strong> »De Klaverweide«<br />
in Almere, die sich mit<br />
dem Konzept »Natürliches Lernen«<br />
auf den Weg gemacht hat,<br />
den Schulalltag grundlegend zu<br />
verändern. In jahrgangsübergreifenden<br />
Klassen wird den Schülern<br />
selbsttätiges, stark praxisorientiertes<br />
Lernen ermöglicht.<br />
An Hand von Lern- und Entwicklungslinien<br />
bestimmen Lehrer<br />
und Schüler regelmäßig den<br />
jeweiligen Stand und die nächsten<br />
Ziele. Im Anschluss an den<br />
Vortrag wurden Möglichkeiten<br />
diskutiert, zumindest Teilbereiche<br />
in die eigene Schul- und<br />
Unterrichtsarbeit zu transportieren.<br />
Welche Schule für mein Kind?<br />
Diese Frage wird sich für die<br />
Hamburger Eltern von Viertklässlern<br />
in Zukunft neu stellen.<br />
Bereits zum Sommer 2009 soll<br />
es in Hamburg nur noch zwei allgemeinbildende<br />
weiterführende<br />
Schulformen geben, die beide<br />
zum Abitur führen können: das<br />
Gymnasium und die Stadtteilschule.<br />
Bislang ist völlig unklar,<br />
welche Schulen sich zu Stadtteilschulen<br />
zusammenfinden,<br />
welche Standorte es geben wird<br />
und welche Profile die einzelnen<br />
Schulen entwickeln. Wir bedauern,<br />
dass in die Überlegungen<br />
zu einer grundlegenden Schulreform<br />
keine Verlängerung der<br />
Grundschulzeit auf sechs Jahre<br />
mit in Betracht gezogen worden<br />
ist, durch die sich viele Probleme<br />
lösen ließen.<br />
(für die Landesgruppe: Marion Lindner)<br />
Donnerstag,<br />
22. November 2007<br />
um 19 Uhr<br />
Lesung mit Heide Bambach<br />
Preisträgerin des<br />
Erwin-Schwartz-Preises<br />
Davids Café, Alsterdorf,<br />
Elisabeth-Flügge-Straße 3<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />
59
Grundschulverband <strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Niedersachsen<br />
Kontakt: Dr. Eva Gläser, Fasanenstr. 1, 38102 Braunschweig, ww.gsv-nds.de<br />
Der Schulvorstand –<br />
das neue Beschlussorgan<br />
Alle öffentlichen Schulen in<br />
Niedersachsen sind seit diesem<br />
Schuljahr eigenverantwortlich.<br />
Damit wird auch ein neues Gremium,<br />
der Schulvorstand, in den<br />
Schulen eingeführt. Die Gesamtkonferenz<br />
büßt ihre bisherige<br />
Stellung als oberstes Beschlussgremium<br />
der Schule ein. Viele<br />
ihrer bisherigen administrativen<br />
und pädagogischen Zuständigkeiten<br />
sind nun auf die Schulleitung<br />
oder auf den Schulvorstand<br />
übergegangen. In den <strong>Grundschule</strong>n<br />
stellen die Eltern eine<br />
Hälfte des Schulvorstandes, die<br />
Lehrenden die andere. Für die<br />
<strong>Grundschule</strong>n gilt zudem: Auch<br />
pädagogische Mitarbeiterinnen<br />
oder Mitarbeiter können von der<br />
Gesamtkonferenz in den Schulvorstand<br />
gewählt werden. Die<br />
Schulleiterin oder der Schulleiter<br />
ist Vorsitzende bzw. Vorsitzender.<br />
Bei Stimmengleichheit gibt<br />
ihre bzw. seine Stimme den Ausschlag.<br />
Mecklenburg-Vorpommern<br />
Vorsitzender: Ralph Grothe, Hasengang 3, 17309 Pasewalk, ralphgrothe@aol.com<br />
»Brücken bauen«<br />
Am Sonnabend, dem 14. 7. 2007<br />
versammelten sich 400 Lehrerinnen<br />
und Erzieherinnen zum<br />
zentralen Grundschultag in<br />
Güstrow, um über die Gestaltung<br />
des Überganges von der Kindertagesstätte<br />
zur <strong>Grundschule</strong> zu<br />
diskutieren..<br />
Prof. Dr. phil. Marion Musiol,<br />
die die Fachrichtung »Early Education<br />
– Vorschulpädagogik« in<br />
der Fachhochschule Neubrandenburg<br />
leitet, ging in ihrem Eingangsreferat<br />
der Frage nach,<br />
wie sich Kinder zu Bildungsexperten<br />
entwickeln und wie<br />
Erzieherinnen und Lehrerinnen<br />
diese Prozesse bewusst mitgestalten<br />
können.<br />
Kinder verblüffen durch ihre<br />
Neugier, ihren ständigen Drang,<br />
wissen zu wollen, ihre Experimentierfreude,<br />
ihre Lust am Lernen.<br />
Kinder sind geborene Lern-<br />
Umfangreicher Aufgaben katalog<br />
des Schulvorstandes<br />
Der Schulvorstand kann beispielsweise<br />
entscheiden, ob die<br />
Schule zur Ganztagsschule weiterentwickelt<br />
oder ob eine Integrationsklasse<br />
eingerichtet werden<br />
soll. Aber auch der Antrag,<br />
einen Schulversuch durchzuführen<br />
bzw. sich zu beteiligen, wird<br />
in diesem Gremium in Zukunft<br />
entschieden. Auch die finanzielle<br />
Seite wird hier diskutiert:<br />
Über die Verwendung der Mittel<br />
entscheidet im Einzelnen die<br />
Schulleiterin oder der Schulleiter.<br />
Jedoch muss die Schulleitung<br />
gegenüber dem Schulvorstand<br />
Rechenschaft ablegen. Aber nicht<br />
nur organisatorisch-administrative<br />
Dinge sollen hier geklärt<br />
werden, sondern auch pädagogische<br />
Fragen. Wenn nach Erlasslage<br />
die Möglichkeit besteht, die<br />
Stunden tafel zu verändern, entscheidet<br />
über ihre Ausgestaltung<br />
der Schulvorstand. Grundsatzbeschlüsse<br />
über die Durchführung<br />
von Projektwochen sind zudem<br />
experten. Wissenschaftliche Forschungsergebnisse<br />
zeigen, dass<br />
Bildungsprozesse nicht erst mit<br />
dem Eintritt in die Schule beginnen,<br />
sondern mit der Geburt des<br />
Kindes. neuere Erkenntnisse aus<br />
der Neurobiologie oder der Entwicklungspsychologie<br />
verweisen<br />
einerseits darauf, dass die Ressourcen,<br />
die ein Kind von Geburt<br />
an für seine Selbstbildungsprozesse<br />
mitbringt, nur ungenügend<br />
genutzt werden. Andererseits<br />
zeigen sie, dass jedes Kind<br />
bereits in einem sehr frühen Alter<br />
und mit hoher Eigenmotivation<br />
sich aktiv eine Vorstellung von<br />
sich selbst und der Welt aufbaut.<br />
In diesen Bildungsprozessen<br />
kommt der Bewegungsentwicklung,<br />
der Verbindung von Gefühl<br />
und Denken sowie der ästhetischen<br />
Bildung eine weitaus<br />
größere Bedeutung zu als bisher<br />
angenommen wurde. In diesem<br />
Kontext kommt den pädago-<br />
möglich. Solange der Schulvorstand<br />
nicht ordnungsgemäß<br />
zusammengesetzt ist, etwa weil<br />
die Gesamtkonferenz keine Vertretung<br />
wählt oder weil sich niemand<br />
zur Wahl stellt, gehen die<br />
Beschlusszuständigkeiten des<br />
Schulvorstandes auf die Schulleiterin<br />
oder den Schulleiter über.<br />
Projekt »Brückenjahr« –<br />
Zusammenarbeit von Kindergarten<br />
und <strong>Grundschule</strong><br />
Mit dem Programm »Brückenjahr«<br />
will das Land Niedersachsen<br />
die Anschlussfähigkeit der beiden<br />
Bildungseinrichtungen Kindertageseinrichtungen<br />
und <strong>Grundschule</strong>n<br />
verbessern. Insbesondere<br />
das letzte Kindergartenjahr,<br />
das seit diesem Jahr beitragsfrei<br />
in Niedersachsen ist, steht hierbei<br />
im Mittelpunkt.<br />
Das Programm »Brückenjahr«<br />
hat im August 2007 begonnen<br />
und wird für vier Jahre gefördert.<br />
Zudem wird die Zusammen -<br />
arbeit von Kindergarten und<br />
Schule durch den Einsatz von<br />
gischen Fachkräften eine andere<br />
Aufgabe zu, indem sie sich<br />
immer mehr als Expertinnen /<br />
Experten für frühe Bildung verstehen<br />
(müssen).<br />
In seinem Grußwort hob Bildungsminister<br />
Henry Tesch<br />
hervor, dass diese Frage einen<br />
besonderen Schwerpunkt in der<br />
Arbeit seines Ministeriums<br />
bildet. So wird die fachliche Aufsicht<br />
der Vorschulbildung in den<br />
Kindertagesstätten nun vom Bildungsministerium<br />
übernommen.<br />
Aber auch die in der Praxis gelungenen<br />
Projekte sollten viel mehr<br />
Verbreitung finden.<br />
Wir laden Sie ein, auf unserer<br />
Homepage www.grundschul<br />
verband-mv.de ihre Erfahrungen<br />
zu veröffentlichen.<br />
(für die Landesgruppe: R. Grothe)<br />
50 Bera tungs teams unterstützt.<br />
Die Anzahl der Modellprojekte<br />
umfasst zurzeit 226, in denen<br />
Fachkräfte aus Kindergarten und<br />
Schule gemeinsam arbeiten. Alle<br />
Fachkräfte aus dem Elementarund<br />
dem Primarbereich werden<br />
gemeinsam fortgebildet.<br />
(für die Landesgruppe: Dr. Eva Gläser)<br />
Wir möchten mit Ihnen über das<br />
»Brückenjahr« diskutieren<br />
Donnerstag,<br />
28. Februar 2008,<br />
15.30 – 17.30 Uhr<br />
Erfahrungsaustausch<br />
»Brückenjahr«<br />
Ort: Hotel Loccumer Hof,<br />
Kurt-Schumacher-Straße 14/16,<br />
Hannover<br />
Anmeldungen erbeten bei:<br />
e.glaeser@tu-bs.de<br />
Rheinland-Pfalz<br />
Anschrift: Werner Lang,<br />
<strong>Grundschule</strong> auf dem Weg<br />
zur neuen Lernkultur<br />
Unter diesem bereits bewährten<br />
Motto findet am<br />
26. Februar 2008<br />
der Grundschultag der<br />
Landesgruppe Rheinland-<br />
Pfalz an der Universität<br />
Koblenz- Landau, Campus<br />
Koblenz, statt. In Zusammenarbeit<br />
mit dem Institut für<br />
Grundschulpädagogik soll der<br />
Blick auf das Schwerpunktthema<br />
Gute Schule – Guter Unterricht<br />
gerichtet werden. Ab Ende<br />
November werden auf der<br />
Homepage der Landesgruppe<br />
(www.wl-lang.de) weitere Informationen<br />
zu finden sein. Im<br />
Anschluss an den Grundschultag<br />
findet eine Mitgliederversammlung<br />
der Landes gruppe Rheinland-Pfalz<br />
mit Neuwahlen statt,<br />
zu der an dieser Stelle schon<br />
herzlich eingeladen wird.<br />
länger gemeinsam lernen<br />
In einem offenen Brief an Frau<br />
Ministerin Doris Ahnen hat die<br />
Landesgruppe RLP ihre Forde-<br />
60 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007
Grundschulverband <strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Nordrhein-Westfalen<br />
Vorsitzende: Gisela Cappel, Habichtstr. 1 d, 58285 Gevelsberg<br />
»<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>« wird <strong>100</strong><br />
– Landesgruppe NRW seit 1992<br />
dabei!<br />
Das Jubiläumsheft ist auch für<br />
die Landesgruppe NRW Anlass,<br />
auf die bisherige Arbeit zurückzublicken:<br />
Wie auf Bundesebene,<br />
so war auch die bildungspolitische<br />
Arbeit in der Landesgruppe<br />
davon geprägt, die <strong>Grundschule</strong><br />
als reformorientierte Schule für<br />
alle Kinder zu entwickeln. Seit<br />
Gründung der Landesgruppe (mit<br />
Horst Bartnitzky als erstem<br />
Vorsitzendem) bestimmten insbesondere<br />
die Themen pädagogische<br />
Leistungskultur, mehr Zeit<br />
für Kinder, Integration, länger<br />
gemeinsam lernen die Diskussion<br />
in der Landesgruppe und spiegelten<br />
sich in vielfältigen Aktivitäten<br />
(u. a. Grundschultage, Symposien,<br />
Fortbildungen) und den<br />
Beiträgen für GSV <strong>aktuell</strong> wider.<br />
Angesichts der bildungspolitischen<br />
Weichenstellung durch<br />
die jetzige Landesregierung und<br />
den Rückfall in überholte und<br />
längst widerlegte Konzepte geraten<br />
diese Bereiche wieder verstärkt<br />
in den Fokus der öffentlichen<br />
Wahrnehmung. Für die<br />
Landesgruppe stellt sich in dieser<br />
Situation die Aufgabe, ihre<br />
Positionen deutlich zu vertreten<br />
und auf die vielen Beispiele<br />
von in diesem Sinne gelungener<br />
Praxis hinzuweisen. Zwei Beispiele<br />
aus jüngerer Zeit sprechen<br />
für sich: Im letzten Jahr<br />
wurde die GS Kleine Kielstraße<br />
in Dortmund mit dem deutschen<br />
Schulpreis ausgezeichnet<br />
und erst vor kurzem erhielt Gertraud<br />
Greiling (Gründungsmitglied<br />
der Landesgruppe NRW)<br />
für ihr langjähriges Engagement<br />
für das Ziel ›Bildung für alle‹ den<br />
Verdienst orden der Bundesrepublik<br />
Deutschland. Die Landesgruppe<br />
NRW gratuliert, freut sich<br />
mit den Ausgezeichneten über<br />
die Anerkennung ihrer Arbeit und<br />
nimmt dies als Auftrag zur Fortsetzung<br />
und Weiterentwicklung<br />
ihrer Tätigkeit.<br />
Landesgruppe begrüßt NRW-<br />
Eckpunkte zur Lehrerausbildung<br />
Mit den kürzlich verabschiedeten<br />
Eckpunkten für ein neues Lehrerbildungsgesetz<br />
leistet NRW einen<br />
wichtigen und positiven Beitrag<br />
zur Anerkennung der pädagogischen<br />
Arbeit von Grundschullehrerinnen<br />
und -lehrern. Durch<br />
eine gleich lange universitäre<br />
Ausbildung für alle Lehrämter<br />
wird die Ausbildung für das Lehramt<br />
<strong>Grundschule</strong> deutlich aufgewertet<br />
und der anspruchsvollen<br />
Tätigkeit Rechnung getragen.<br />
Weitere Informationen zum<br />
Beschluss finden sich auf unserer<br />
homepage www.grundschul<br />
verband-nrw.de<br />
Mitgliederversammlung<br />
20. Oktober 2007 in der<br />
GS Kleine Kielstr., Dortmund<br />
Die diesjährige MV findet statt in<br />
der Schule, die im vergangenen<br />
Jahr den Deutschen Schulpreis<br />
erhalten hat. Als Gast dürfen wir<br />
die ehemalige Leiterin der Laborschule<br />
Bielefeld, Heide Bambach,<br />
begrüßen, die jüngst den Erwin-<br />
Schwartz-Grundschulpreis erhalten<br />
hat. Sie wird ermutigende<br />
Texte aus ihren Büchern lesen.<br />
Nähere Information und Anmeldung<br />
auf unserer Homepage!<br />
(für die Landesgruppe: Beate Schweitzer)<br />
Am Wingertsberg 8, 67756 Hinzweiler<br />
rung nach einer grundlegenden<br />
Reform des Schulsystems deutlich<br />
gemacht. Als langfristiges<br />
Ziel soll eine »Schule für alle«<br />
angestrebt werden, in der das<br />
gemeinsame Lernen von der<br />
ersten bis zur neunten oder<br />
zehnten Klasse den demokratischen<br />
Auftrag zur Kompensation<br />
sozialer Startnachteile<br />
erfüllt und Heterogenität als<br />
Chance begreift. Die nicht mehr<br />
zeitgemäße Dreigliedrigkeit des<br />
Schulsystems muss überwunden<br />
und ein mutiger Schritt in Richtung<br />
»Länger gemeinsam lernen<br />
– eine Schule für alle« gemacht<br />
werden.<br />
Demokratie lernen und leben<br />
Die Landesgruppe RLP hat sich<br />
in den vergangenen Jahren aktiv<br />
an der Durchführung des BLK-<br />
Programms »Demokratie lernen<br />
und leben« beteiligt, weil sie von<br />
der besonderen Bedeutung der<br />
Demokratisierung von Schule<br />
und Unterricht überzeugt ist.<br />
Dies wird aber nur dann nachhaltig<br />
Erfolg haben, wenn die<br />
Demokratisierung von Schule<br />
und Unterricht zu einem regulären<br />
Modul in der Lehrerausbildung<br />
wird. Um dieser Forderung<br />
Nachdruck zu verleihen, führte<br />
die Landesgruppe mit Unterstützung<br />
von Frau Student (aus dem<br />
BLK-Projekt-Team) an allen Staatlichen<br />
Studienseminaren des<br />
Landes mit den LehramtsanwärterInnen<br />
ein »Demokratie-<br />
Seminar mit Modell-Charakter«<br />
durch. Die Landesgruppe RLP hat<br />
dem Ministerium für BWJK ihre<br />
Mithilfe bei der Qualifizierung<br />
von FachleiterInnen, die dieses<br />
Modul zukünftig eigenverantwortlich<br />
umsetzen sollen, zugesagt.<br />
Diese Qualifizierung soll<br />
2008 in Zusammenarbeit mit<br />
der Deutschen Gesellschaft für<br />
Demokratiepädagogik anlaufen.<br />
Tipps für Lehrer<br />
Die Landesgruppe RLP<br />
möchte ab Oktober in<br />
regelmäßigen Abständen<br />
zu einem Austausch<br />
über die »alltäglichen Herausforderungen«<br />
in Schule und<br />
Unterricht einladen. Ansprechen<br />
möchte der Grundschulverband<br />
insbesondere die Kolleginnen<br />
und Kollegen, die nach erfolgreicher<br />
Prüfung als »JunglehrerInnen«<br />
erstmals allein für eine<br />
Klasse verantwortlich sind. Die<br />
Landesgruppe RLP will einen<br />
organisatorischen Rahmen bieten,<br />
der diese Kolleginnen und<br />
Kollegen zusammenbringt und<br />
so einen Austausch über die<br />
Unterrichtsarbeit und Unterstützung<br />
und Beratung ermöglicht.<br />
Erste Gruppen haben sich in Trier<br />
und in St. Julian (Kreis Kusel)<br />
gefunden. Weitere sollen folgen.<br />
Forschungsprojekt »Musiklehrer<br />
und Musiklehrerinnen in der<br />
<strong>Grundschule</strong> in Rheinland-Pfalz«<br />
Bitte um Mitarbeit<br />
Bislang gibt es kaum empirische<br />
Untersuchungen, die Aufschluss<br />
geben über die Diskrepanz von<br />
Idealvorstellungen zum Musikunterricht<br />
und der tatsächlichen<br />
Schulrealität, von der Berufszufriedenheit<br />
und Berufsunzufriedenheit<br />
unter Musiklehrer/<br />
innen bzw. unter den zahlreichen<br />
fachfremd unterrichtenden Lehrkräften.<br />
Die psychischen und<br />
physischen Belastungen von<br />
Grundschulmusiklehrern und<br />
-lehrerinnen werden häufig<br />
unterschätzt.<br />
Wir möchten Sie einladen, an dieser<br />
landesweiten Studie teilzunehmen.<br />
Vielleicht können Sie in<br />
Ihrem Kollegenkreis um weitere<br />
Mitwirkung werben. Die Ergebnisse<br />
können dazu beitragen, Ihre<br />
persönlichen beruflichen Bedingungen<br />
vor Ort zu verbessern.<br />
Die Durchführung liegt in den<br />
Händen von Dirk Hübinger,<br />
Päd. Assistent am Institut für<br />
Musikwissenschaft und Musik<br />
an der Universität Koblenz.<br />
Betreut wird die Studie von<br />
Prof. Dr. Hans Günther Bastian,<br />
Institut für Musikpädagogik<br />
der Goethe-Universität Frankfurt<br />
/ Main. Den Fragebogen und<br />
weitere Informationen erhalten<br />
Sie unter www.uni-koblenz.<br />
de/~huebinger/studie.htm<br />
(für die Landesgruppe:<br />
Konstanze Rosinus)<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />
61
Grundschulverband <strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Saarland<br />
Vorsitzende: Lilo Groll, Holbeinstr. 11, 66128 Saarbrücken<br />
»Bildungs-Familienministerin«?<br />
Seit September 2007 hat das<br />
Saarland eine neue Bildungsministerin<br />
oder sollte man sagen,<br />
eine »Bildungs-Familienministerin«?<br />
Nach einer Regierungsumbildung<br />
wechselte der bisherige<br />
Kultusminister Jürgen Schreier<br />
auf den Sessel des CDU- Fraktionsvorsitzenden<br />
im Saarländischen<br />
Landtag und die ehemalige<br />
Innenministerin Annegret<br />
Kramp-Karrenbauer in das in<br />
»Ministerium für Bildung, Familie,<br />
Frauen und Kultur (MBFFK)«<br />
umbenannte »Ministerium für<br />
Bildung, Kultur und Wissenschaft«.<br />
»Nomen est omen«,<br />
wenn man die Regierungserklärung<br />
des Ministerpräsidenten<br />
Peter Müller liest.<br />
Nur sehr spärlich äußerte sich<br />
dieser zur Zukunft der <strong>Grundschule</strong><br />
und zu weiteren schulpolitischen<br />
Vorhaben. Der<br />
Schwerpunkt lag auf dem familienpolitischen<br />
Ansatz:<br />
■ Vereinbarkeit von Beruf und<br />
Familie durch Schaffung zusätzlicher<br />
Betreuungsmöglichkeiten,<br />
insbesondere durch den Ausbau<br />
von Krippenplätzen<br />
■ bestmögliche Bildungsangebote<br />
zur Förderung unterschiedlicher<br />
Begabungen; allerdings<br />
ohne konkrete Aussagen zur<br />
<strong>Grundschule</strong><br />
Die in der Regierungserklärung<br />
erwähnte Stärkung des Vorschulbereiches<br />
vor allem durch<br />
die Vorlage eines Bildungsprogramms<br />
und den kostenlosen<br />
Besuch des letzten Kindergartenjahres<br />
hatte die Landesgruppe<br />
bereits in der Vergangenheit<br />
begrüßt, fordert allerdings verstärkte<br />
Anstrengung zur Verbesserung<br />
der Sprachkompetenz<br />
sowohl der deutschen als auch<br />
der ausländischen Kinder. Das<br />
Programm »Früh Deutsch lernen«<br />
einschließlich der Einrichtung<br />
von Vorklassen zum Erwerb der<br />
deutschen Sprache ist zu unterstützen.<br />
Erkannt hat die Landesregierung<br />
auch das Sprachdefizit<br />
deutscher Kinder im Kindergarten-Alter.<br />
An allen Schulformen sollen die<br />
im Saarland von Freien Trägern<br />
organisierten, freiwillig besuchten<br />
Betreuungsmöglichkeiten<br />
am Nachmittag ausgebaut werden.<br />
Den <strong>Grundschule</strong>n wurden<br />
bereits in diesem Schuljahr pro<br />
Gruppe fünf statt bisher drei<br />
Lehrerwochenstunden zur »nachunterrichtlichen<br />
Bildung« (Hausaufgabenhilfe)<br />
zur Verfügung<br />
gestellt.<br />
Zur Zukunft der <strong>Grundschule</strong><br />
wurde lediglich ausgeführt, dass<br />
die Qualitätsoffensive fortgeführt<br />
und die Klassenmesszahl<br />
der <strong>Grundschule</strong> auf das Gymnasium<br />
übertragen wird. Erinnert<br />
wurde an die Anhebung der<br />
Jahreswochenstunden, die die<br />
Landesgruppe vehement gefordert<br />
hatte, und daran, dass trotz<br />
Anhebung der Klassenfrequenz<br />
im Rahmen der Grundschulreform<br />
(Schließung von über<br />
40 % aller <strong>Grundschule</strong>n) die<br />
Klassen im Vergleich zu anderen<br />
Ländern relativ klein seien. Übersehen<br />
wird hierbei allerdings,<br />
dass weiterhin erste Schuljahre<br />
mit 29 Kindern existieren, die<br />
einer gezielten Förderung unterschiedlicher<br />
Begabungen entgegenstehen.<br />
Die Landesgruppe vermisst<br />
zudem Aussagen z. B. zur besseren<br />
Förderung der Kinder mit<br />
sonderpädagogischem Förderbedarf,<br />
zum Übergangs-Verfahren<br />
zu weiterführenden Schulen,<br />
zur Einstellung sozialpädagogischer<br />
Fachkräfte als Bindeglied<br />
zwischen Schule und Familie, zur<br />
Überlastung der Lehrerinnen und<br />
Lehrer mit der höchsten Pflichtstundenzahl,<br />
deren vielfältige<br />
außerunterrichtliche Aufgaben<br />
unberücksichtigt bleiben, oder<br />
zu einer verbesserten Lehrerausbildung.<br />
In diesem Zusammenhang<br />
wartet die Landesgruppe<br />
auf ein klares Bekenntnis zur<br />
Gleichwertigkeit aller Lehrämter.<br />
Sachsen<br />
Kontakt: Sibylle Jaszovics, Südwestring 11, 04668 Klinga<br />
Kraftakt<br />
Nach einem Erprobungsjahr<br />
müssen sich die Schulleitungen,<br />
Lehrkräfte und Sachbearbeiterinnen<br />
in allen sächsischen Schulen,<br />
aber auch die Mitarbeiter in<br />
den sächsischen Bildungsagenturen<br />
bis hin ins Ministerium an<br />
den Umgang mit der Sächsischen<br />
Schulverwaltungssoftware<br />
(SaxSVS) gewöhnen. Das erforderte<br />
ausgerechnet am Anfang<br />
des Schuljahres, der bekanntermaßen<br />
besonders arbeitsintensiv<br />
und mit Terminen gespickt<br />
ist, einen immensen Kraftakt.<br />
Schulleitungen und Sachbearbeiterinnen<br />
mussten an mehreren<br />
Schulungen teilnehmen, um<br />
in den Gebrauch der Software<br />
eingeführt zu werden und um<br />
als Multiplikatoren ihr Wissen an<br />
die Lehrkräfte weiterzugeben.<br />
Viele Kollegen und Kolleginnen<br />
brauchten auch die Wochenenden<br />
oder arbeiteten bis spät in<br />
den Abend, um alle erforderlichen<br />
Daten einzugeben und so<br />
den Stichtagstermin einhalten zu<br />
können.<br />
Als Trost blieb die Orientierung<br />
an den Zielen, die man mit der<br />
Einführung dieser Software verfolgt.<br />
SaxSVS soll<br />
■ den Arbeitsaufwand der Schulen<br />
für Verwaltung, Planung,<br />
Berichterstattung und Informationsbereitstellung<br />
senken,<br />
■ die Qualität, Aktualität, Verfügbarkeit<br />
und Auswertbarkeit<br />
der erhobenen Daten und den<br />
Informationsfluss auf allen<br />
Ebenen der Kultusverwaltung<br />
und im Statistischen Landesamtverbessern<br />
und<br />
■ mehr Eigenverantwortung der<br />
Schulen ermöglichen.<br />
Erfreulich wäre, wenn die Software<br />
um ein Zeugnisprogramm<br />
und ein Programm zum Stundenplanbau<br />
erweitert würde. Damit<br />
wäre auch eine kleine finanzielle<br />
Entlastung der Schulen möglich.<br />
Einladung<br />
Für den 1. Dezember 2007 hat<br />
der Landesgruppenvorstand eine<br />
Fachtagung mit dem Arbeitstitel<br />
»Rechenstörungen, Dyskalkulie«<br />
organisiert. Sie findet in der<br />
Pestalozzi-<strong>Grundschule</strong> Nossen<br />
statt. Anschließend möchten<br />
wir möglichst viele Landesgruppenmitglieder<br />
zur Mitgliederversammlung<br />
begrüßen. Wir müssen<br />
dringend über die Zukunft<br />
des Landesgruppenvorsitzes diskutieren.<br />
Nossen liegt sehr zentral<br />
und ist aus allen Richtungen<br />
gut zu erreichen. Mitglieder<br />
erhalten eine persönliche Einladung.<br />
(für die Landesgruppe: Sibylle Jaszovics)<br />
1. Dezember 2007,<br />
9.30 – 14 Uhr<br />
Fachtagung »Rechenstörungen,<br />
Dyskalkulie«<br />
in der Pestalozzi-<strong>Grundschule</strong><br />
in Nossen, anschließend<br />
bis ca. 16 Uhr Mitgliederversammlung<br />
62 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007
Grundschulverband <strong>aktuell</strong><br />
… aus den Landesgruppen<br />
Schleswig-Holstein<br />
Vositzender: Bent Hirschelmann, Flörkendorfer Weg 15, 23623 Ahrensbök; www. grundschulverband-sh.de<br />
Experimente im Sachunterricht<br />
– Ein Workshop der Uni Flensburg<br />
Im Rahmen eines Seminars hatten<br />
Studierende des Instituts für<br />
Heimat- und Sachunterricht im<br />
Sommersemester 2007 Experimente<br />
mit Lebensmitteln zusammengestellt,<br />
erprobt und ausgewertet.<br />
Der von ihnen im Juli<br />
durchgeführte Workshop gab<br />
interessierten LehrerInnnen die<br />
Möglichkeit, diese Versuche kennenzulernen<br />
und auszuprobieren.<br />
Der Vorstand der Landesgruppe<br />
war durch Jutta Schweitzer,<br />
Andrea Klimmek und Dr. Beate<br />
Blaseio vertreten.<br />
Nach einem Grußwort und der<br />
Einführung in experimentelles<br />
Arbeiten mit Kindern vergaßen<br />
ca. 40 Teilnehmer und Teilnehmerinnen<br />
für einen Nachmittag<br />
die anstehenden Zeugnisse und<br />
experimentierten an 30 Stationen<br />
mit leicht zu beschaffenden<br />
Alltagsmaterialien. Dabei<br />
wurden sie von den Studierenden<br />
aufmerksam und kompetent<br />
betreut.<br />
Die bereitgestellten CDs mit<br />
Schülerarbeitsbögen und Lehrerinformationen<br />
gaben jedem die<br />
Möglichkeit, das Gelernte sofort<br />
in der Schule in die Tat umzusetzen.<br />
Es war eine gelungene Veranstaltung,<br />
die laut Aussage von Dr.<br />
Beate Blaseio, die das Seminar<br />
zusammen mit Dipl.Päd. Ulrich<br />
Brinkmann durchgeführt hat,<br />
ohne den tatkräftigen Einsatz<br />
der Studierenden nicht möglich<br />
gewesen wäre.<br />
Die Zusammenarbeit mit der<br />
Universität verschafft uns Möglichkeiten,<br />
die Standpunkte des<br />
Grundschulverbands vor Ort darzustellen.<br />
Studierende der Vermittlungswissenschaften<br />
erfahren<br />
so mindestens »<strong>100</strong> Gründe«,<br />
für die es sich lohnt Mitglied zu<br />
werden.<br />
Der Vorstand der Landesgruppe<br />
sendet an dieser Stelle der Redaktion<br />
zur <strong>100</strong>. Ausgabe herzliche<br />
Glückwünsche und weiterhin ein<br />
gutes Gelingen für die nächsten<br />
<strong>100</strong> Exemplare.<br />
(für die Landesgruppe:<br />
Sabine Jesumann, Andrea Klimmek)<br />
Thüringen<br />
Vositzende: Steffi Jünemann, Hauptstr. 7, 99734 Nordhausen<br />
»Es ist normal,<br />
verschieden zu sein!«<br />
Mit dem Inkrafttreten des novellierten<br />
Thüringer Schulgesetzes<br />
zum 1. August 2003 können im<br />
Freistaat Thüringen Schüler/in -<br />
nen mit sonderpädagogischem<br />
Förderbedarf unabhängig von<br />
ihrer individuellen Ausprägung<br />
nicht nur an Förderschulen, sondern<br />
auch an Grund- und Regelschulen<br />
unterrichtet werden. Für<br />
diesen gemeinsamen Unterricht<br />
von Schülern mit und ohne sonderpädagogischem<br />
Förderbedarf<br />
müssen materielle, personelle<br />
und räumliche Bedingungen<br />
geschaffen werden.<br />
Doch wie sieht die praktische<br />
Umsetzung dieser gesetzlichen<br />
Forderung aus?<br />
Laut Kultusministerium<br />
besuchten letztes Schuljahr 2200<br />
behinderte Kinder von insgesamt<br />
184 500 Schülern gemeinsam mit<br />
Nichtbehinderten eine Schule,<br />
das entspricht nur 1,1 %.<br />
Etwa 9 % aller Schüler haben sonderpädagogischen<br />
Förderbedarf<br />
und besuchen meist eine der<br />
99 Förderschulen. Ada Sasse,<br />
ehemals Professorin für Sonderpädagogik<br />
an der Uni Erfurt, jetzt<br />
Humboldt-Universität zu Berlin,<br />
meint, dass fast die Hälfte der<br />
Förderschüler »normale Schulen«<br />
besuchen könnte. Eine Diskrepanz?<br />
An vielen Schulen sind die räumlichen<br />
Bedingungen für einen<br />
gemeinsamen Unterricht, der<br />
als Einzel- oder Kleingruppenförderung<br />
parallel oder integrativ<br />
erfolgen kann, nicht gegeben.<br />
Den Pädagogen fehlen teilweise<br />
die nötigen sonderpädagogischen<br />
Kompetenzen, um bestmögliche<br />
Förderung und soziale<br />
Integration zu gestalten. Insbesondere<br />
bei Bewertung, Zeugnisschreibung<br />
und LP-Erfüllung<br />
sind Unsicherheiten vorhanden.<br />
Große Reserven sehen wir in der<br />
Stundenzuweisung an die Schulen.<br />
Die Möglichkeit einer Zweitbesetzung<br />
im Unterricht, die wir<br />
als dringend erforderlich sehen,<br />
ist begrenzt.<br />
Dass gemeinsamer Unterricht<br />
gelingen kann, zeigen jedoch<br />
zunehmend auch Thüringer<br />
Schulen: »Lernen unter einem<br />
Dach« heißt das Projekt der Stiftung<br />
Finneck Rastenberg mit<br />
den GS Rastenberg und Ebeleben.<br />
Hier lernen ca. 2 bis 4 geistig<br />
behinderte Kinder mit Grundschülern<br />
an einem gemeinsamen<br />
Unterrichtsinhalt. Die Wochen-<br />
pläne sind differenziert. Patenschaften<br />
sind eingerichtet. Klare<br />
Regeln gelten für alle Kinder.<br />
Freundschaft, Achtung, Vertrauen<br />
wird täglich erlebt.<br />
Damit sich auch die anderen<br />
Schulen der Problematik<br />
»Integration« öffnen und entsprechende<br />
Beratung bei der<br />
Umsetzung des gemeinsamen<br />
Unterrichts erfahren, wurden je<br />
Schulamtsbereich Berater für den<br />
gemeinsamen Unterricht qualifiziert.<br />
Diese haben auch die Aufgabe,<br />
die Kooperation zwischen<br />
Pädagogen, Eltern, Schulträger,<br />
Jugendämtern und Schulamt zu<br />
unterstützen.<br />
Zunehmend ordnen die Förderschulen<br />
Sonderpädagogen für<br />
einige Stunden an Grund- und<br />
Regelschulen für den gemeinsamen<br />
Unterricht ab. Unterschiedlichste<br />
Fortbildungsangebote<br />
beschäftigen sich mit dem<br />
Thema »Integration«.<br />
So fand am 12. Mai 2007 an der<br />
Uni Erfurt eine Konferenz zum<br />
Gemeinsamen Unterricht statt,<br />
an der die Landesgruppe Thüringen<br />
durch aktive Mitwirkung von<br />
Steffi Jünemann und Heike Eckstein<br />
sich beteiligte.<br />
(für die Landesgruppe: Katrin Heckert)<br />
Ausblick<br />
Im Frühjahr 2008 wird<br />
der Arbeitskreis Sonderpädagogische<br />
Förderung<br />
in Thüringen,<br />
in dem alle Verbände<br />
und Parteien involviert sind,<br />
zur Podiumsdiskussion<br />
»Gemeinsames Lernen in<br />
Thüringer Schulen« einladen.<br />
Dazu sind alle Mitglieder und<br />
Interessierte herzlich eingeladen.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />
63
Grundschulverband <strong>aktuell</strong><br />
An den<br />
Grundschulverband · Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V.<br />
Niddastraße 52 · 60329 Frankfurt/Main<br />
oder per Fax 0 69 / 77 60 06<br />
Als Mitglied im Grundschulverband<br />
… unterstützen Sie unsere Ziele:<br />
»Die pädagogisch begründeten<br />
Ansprüche der Kinder dieser Schulstufe<br />
zu vertreten, die Grundschulpädagogik<br />
weiter zu ent wickeln und die Stellung<br />
der <strong>Grundschule</strong> im öffent lichen<br />
Bildungswesen zu verbessern.«<br />
(aus der Satzung)<br />
… erhalten Sie jährlich zwei neue Bände<br />
der Reihe »Beiträge zur Reform der<br />
<strong>Grundschule</strong>«<br />
… erhalten Sie viermal jährlich die<br />
32-seitige Mitglieder zeitschrift<br />
»<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>« mit Beiträgen<br />
zur Bildungs politik, aus der Grundschulforschung<br />
und zur pädagogischen Praxis<br />
Beitrittserklärung<br />
Ich beantrage die Mitgliedschaft im Grundschulverband · Arbeitskreis<br />
<strong>Grundschule</strong> e. V.<br />
Als Mitglied erhalte ich jährlich zwei neue Mitgliedsbände aus der Reihe »Beiträge<br />
zur Reform der <strong>Grundschule</strong>« sowie die 32-seitige Vierteljahreszeitschrift »<strong>Grundschule</strong><br />
<strong>aktuell</strong>« jeweils nach Fertigstellung kostenfrei zugesandt.<br />
Den angekreuzten Betrag<br />
Mitgliedsbeitrag 50,– € (ab 2008: 55,– €)<br />
Ermäßigter Beitrag (bitte belegen!) 30,– € (ab 2008: 33,– €)<br />
(für Studierende, Arbeitslose, Lehramts anwärter/innen<br />
sowie für Teilzeitbeschäftigte in den neuen Ländern)<br />
Förderbeitrag, mindestens 30,– € (ab 2008: 33,– €)<br />
(keine Mitgliedsbände, nur Zeitschrift<br />
– für Pensionäre, die weiterhin <strong>aktuell</strong> informiert<br />
werden wollen und andere Förderer, die die Arbeit<br />
des Grundschulverbandes unterstützen möchten)<br />
zahle ich nach Erhalt der Jahresrechnung per Bankeinzug<br />
Konto Nr.<br />
bei<br />
Bankleitzahl<br />
Name<br />
Straße und Hausnummer<br />
PLZ und Ort<br />
E-Mail<br />
Tel.<br />
Datum und Unterschrift<br />
Für Ihren Beitritt zum Grundschulverband · Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V. halten wir<br />
folgendes Werbeangebot für Sie bereit:<br />
(Bitte nur eine der beiden Möglichkeiten ankreuzen!)<br />
Name<br />
Als neues Mitglied im Grundschulverband · Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V. wünsche<br />
ich mir den Band<br />
als Aufnahmegeschenk.<br />
Oben genanntes Mitglied habe ich für den Grundschulverband · Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong><br />
e. V. geworben. Als Werbeprämie senden Sie mir bitte den Band<br />
an folgende Anschrift:<br />
Straße und Hausnummer<br />
64 GS <strong>aktuell</strong> <strong>100</strong> • November 2007<br />
PLZ und Ort
1<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Pädagogische<br />
Leistungskultur<br />
Band 121<br />
ISBN 3-930024-94-2<br />
Best.-Nr. 1079<br />
17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />
Band 118<br />
ISBN 3-930024-87-X<br />
Best.-Nr. 1076<br />
17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />
Band 119<br />
ISBN 3-930024-88-8<br />
Best.-Nr. 1077<br />
17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />
… das Projekt geht weiter:<br />
Band 124<br />
ISBN 3-930024-96-9<br />
Best.-Nr. 1082<br />
17,– € / f. Mitgl. 13,– €
Heft Nr. <strong>100</strong> • IV. Quartal • November 2007 • Best. Nr. 6035 • D9607F<br />
0<br />
Grundschulverband – Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V. • Niddastraße 52 • 60329 Frankfurt/Main • Tel. 0 69 / 77 60 06 • www.grundschulverband.de<br />
1<br />
00<br />
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<strong>100</strong><br />
<strong>100</strong><br />
Wir feiern Jubiläum<br />
<strong>100</strong>