Grundschule aktuell 102
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Heft Nr. <strong>102</strong> • II. Quartal • Mai 2008 • Best. Nr. 6037 • D9607F<br />
Grundschulverband – Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V. • Niddastraße 52 • 60329 Frankfurt/Main • Tel. 0 69 / 77 60 06 • www.grundschulverband.de<br />
Selbstständig<br />
lernen
13. /14. November 2008<br />
Herbsttagung des Grundschulverbandes<br />
Tests, Noten und Pädagogische Leistungskultur<br />
Die Vergleichsarbeiten VERA und die Pädagogische<br />
Leistungskultur sind die Themen der<br />
Herbsttagung 2008. Wir nehmen eine kritische<br />
Sicht auf die Qualität der (VERA-) Aufgaben vom<br />
Mai 2008 und stellen das Projekt Pädagogische<br />
Leistungskultur vor. Nach Deutsch, Mathematik<br />
und Sachunterricht geht es diesmal um Kunst,<br />
Musik, Sport, Englisch sowie den Bereich Selbst-,<br />
Sach- und Sozialkompetenz.<br />
Wir wollen damit ein deutliches Zeichen für eine<br />
ermutigende Leistungsförderung aller Kinder setzen,<br />
die individuelle Lernentwicklungen im Blick<br />
behält und die Kinder dialogisch einbezieht.<br />
124<br />
k<br />
i n<br />
d<br />
Beiträge zur Reform der <strong>Grundschule</strong><br />
Leistungen der Kinder wahrnehmen<br />
Lernstände feststellen<br />
Horst Bartnitzky<br />
Hans Brügelmann<br />
Ulrich Hecker<br />
Gudrun Schönknecht (Hg.)<br />
Leistungen der Kinder würdigen<br />
Lernentwicklungen bestätigen<br />
Lernwege öffnen<br />
Kinder individuell fördern<br />
Lerngespräche führen<br />
Eigene Lernwege beschreiben<br />
Pädagogische<br />
Leistungskultur:<br />
Ästhetik,Sport,Englisch<br />
Arbeits-/Sozialverhalten<br />
Es liegen bereits Materialien für die Fächer<br />
Deutsch, Mathematik und Sachunterricht in<br />
zwei Schubern mit je 5 Heften und einer CD<br />
vor. Der dritte Schuber mit Materialien in<br />
5 Heften und einer CD<br />
■ für Englisch, Musik, Kunst, Sport sowie<br />
Arbeits- und Sozialverhalten<br />
■ in den Klassen 1 bis 4<br />
wird auf der Herbsttagung vorgestellt.<br />
Die Materialien sollen helfen, Lernstände<br />
festzustellen, Lernentwicklungen zu bestätigen,<br />
Lerngespräche miteinander zu führen,<br />
und sie sollen die Kinder darin unterstützen,<br />
eigene Lernwege zu beschreiben.<br />
Thematik<br />
der Tagung<br />
Tagungsverlauf<br />
Kritische Sicht auf die Qualität der Aufgaben<br />
(VERA) vom Mai 2008, Erfahrungen aus der Praxis,<br />
schulpolitische und testmethodische Argumente.<br />
Einführung zum Umgang mit den Materialien<br />
aus dem Schuber / Band 124 mit nachfolgender<br />
Diskussion. Dabei geht es um Anregungen für<br />
die Schulpraxis und um Moderation von Fortbildungen<br />
mit den Materialien.<br />
Donnerstag, 13. November 2008, ab 15 Uhr:<br />
Impulsreferate zu den Themen:<br />
Die Vergleichs arbeiten VERA und<br />
die Pädagogische Leistungskultur (Plenum)<br />
abends: Gesprächsrunde zum Thema Kopfnoten<br />
Zielgruppe<br />
Tagungsbeitrag<br />
Die Tagung richtet sich vor allem an Multiplikatorinnen<br />
und Multiplikatoren zur Thematik<br />
(z. B. Aus- und Fortbildner/innen, Fachkonferenzleiter/innen,<br />
Schulleiter/innen).<br />
Die Teilnehmerzahl ist auf 68 Personen begrenzt.<br />
Zur Verfügung stehen 60 Einzelzimmer, von denen<br />
acht als Doppelzimmer genutzt werden können.<br />
Sollten sich mehr Personen anmelden, werden<br />
Mitglieder des Grundschulverbandes vorrangig<br />
berücksichtigt.<br />
Für Mitglieder des Grundschulverbandes 140 €<br />
(Doppelzimmer 130 €)<br />
für Nicht-Mitglieder 180 € (Doppelzimmer 170 €)<br />
Im Tagungspreis enthalten sind die Kosten für<br />
Übernachtung und Verpflegung sowie der<br />
Transfer vom und zum Frankfurter Hauptbahnhof.<br />
Referentinnen<br />
und Referenten<br />
Ort<br />
Freitag, 14. November 2008, bis 15.00 Uhr:<br />
Arbeitsgruppen: Pädagogische Leistungskultur in<br />
den Fächern Kunst, Musik, Sport und Englisch sowie<br />
im Bereich Selbst-, Sach- und Sozialkompetenz<br />
nachmittags: Rückblick und Evaluierung,<br />
Arbeitsschwerpunkte des Grundschulverbandes<br />
Herausgeber, Autorinnen und Autoren des<br />
Bandes 124 sowie Referent/innen aus dem<br />
VERA-Team der Universität Landau (angefragt)<br />
und der Schulpraxis<br />
Martin-Niemöller-Haus in Schmitten<br />
(in der Nähe von Frankfurt);<br />
www.martin-niemoeller-haus.de<br />
Für Bahnreisende wird ein Shuttle-Bus zur<br />
Tagungsstätte organisiert.<br />
Anmeldung<br />
per Post: Grundschulverband,<br />
Niddastr. 52, 60329 Frankfurt<br />
oder per Mail: info@grundschulverband.de<br />
oder über die Homepage:<br />
www.grundschulverband.de<br />
Verbindlich ist die Anmeldung<br />
erst nach Zahlung des Tagungsbeitrages<br />
Bankverbindung: Postbank Frankfurt,<br />
BLZ 500 100 60, Konto-Nr. 19 56 71 605<br />
Anmeldeschluss: 15. Juni 2008<br />
Bitte bei der Anmeldung angeben:<br />
Vollständige Anschrift mit Mail-Adresse<br />
und Telefonnummer;<br />
Mitglied ja – nein;<br />
derzeitige Funktion im Schulbereich;<br />
Wahl der Arbeitsgruppe<br />
Anreise mit Auto oder Zug;<br />
mögliche Doppelzimmernutzung
Editorial<br />
Selber –<br />
aber nicht<br />
allein<br />
Selbstständiges Lernen<br />
– ein Ziel für die <strong>Grundschule</strong> und für Grundschulkinder? fragt Prof. Dr.<br />
Ange lika Speck-Hamdan in ihrem einleitenden Aufsatz (S. 3 ff.). Selbstständig<br />
lernen: »Dabei geht es um die Fähigkeit, sich Wissen anzueignen, Lernprozesse<br />
selbst zu initiieren, zu planen, erfolgreich zu organisieren und zu regulieren,<br />
und zwar individuell und in Kooperation mit anderen.«<br />
Wie kann sich die Selbstständigkeit der Kinder in der Schule weiter entwickeln?<br />
Welche Hilfen oder welche Unterstützung brauchen sie dabei?<br />
Es ist die alte Streitfrage: »Führen oder wachsen lassen?« Mit diesem Begriffspaar<br />
brachte Theodor Litt das Problem schon in den 20er Jahren auf den<br />
Punkt. Dabei geht es wohl nie um ein »entweder – oder«, sondern um die Balance<br />
zwischen diesen beiden Polen, um die Gestaltung ihres Verhältnisses zueinander,<br />
um ihre konkrete Gewichtung.<br />
Der Bedarf von Kindern nach Unterstützung und Hilfe ist sehr unterschiedlich.<br />
Darauf verweist der vielgebrauchte Begriff »Heterogenität«. Eines aber dürfen<br />
Pädagoginnen und Pädagogen nicht: Kinder mit sich und ihren Möglichkeiten<br />
allein lassen.<br />
Fragen wie diese werden oft auch kontrovers diskutiert. In diesem Heft zeigt<br />
sich der Spannungsbogen in den Beiträgen von Horst Bartnitzky (S. 9 ff.)<br />
und Walter Hövel (S. 15 ff.). Besonders freuen wir uns, dass zwei junge Kolleginnen<br />
ihren Weg darstellen, Kinder selbstständig lernen zu lassen: Claudia<br />
Goj beschreibt, wie sie einschätzen lernte, »was man Kindern zutrauen kann«<br />
(S. 20 f.), Kirsten Bartnitzky-Burg will die Selbstständigkeit der Kinder von<br />
Anfang an fördern, dazu schafft sie Strukturen und Regeln, dazu braucht sie<br />
für sich selbst »Konsequenz und Gelassenheit« (S. 22 ff.).<br />
Grundschulgeschichte(n)<br />
Unter diesem Titel stellen wir eine neue Rubrik vor, diesmal mit einem Artikel<br />
über den Grundschulpädagogen Rudolf Karnick (S. 26 f.). Solche Texte, die<br />
wir in loser Folge veröffentlichen wollen, können dazu beitragen, »die <strong>Grundschule</strong><br />
als eine Schulstufe mit einer eindrucksvollen pädagogischen Geschichte<br />
zu sehen. Wir tun gut daran, sie zu kennen und unsere Entwicklungsarbeit<br />
heute als Weiterführung zu verstehen« (Horst Bartnitzky).<br />
VERA: Wir bitten um Ihre Mitarbeit!<br />
Gleich nach Erscheinen dieses Heftes werden sich viele unserer Leserinnen<br />
und Leser mit den Vergleichsarbeiten (VERA) zu beschäftigen haben: VERA wird<br />
jetzt deutschlandweit durchgeführt. Unsere ebenso sachliche wie kritische<br />
Diskussion der Problematik flächendeckender Schulleistungstests wollen wir<br />
im Septemberheft dieser Zeitschrift fortsetzen. Dazu bitten wir Sie um Ihre<br />
Erfahrungen und Meinungen: Beachten Sie unseren Aufruf auf der Rückseite<br />
dieses Heftes.<br />
Ulrich Hecker<br />
Impressum<br />
, die Zeitschrift des Grundschulverbandes erscheint<br />
viertel jährlich und wird allen Mit glie dern zugestellt.<br />
Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Das einzelne Heft kostet 5 €;<br />
für Mitglieder und bei Sam mel be stel lun gen ab 10 Hefte 3 € (incl. Versand).<br />
Verlag: Grundschulverband – Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V.<br />
Niddastraße 52, 60329 Frankfurt / Main, Tel. 0 69 / 77 60 06, Fax: 0 69 / 7 07 47 80;<br />
Internet: www.grundschulverband.de, E-Mail: info@grundschulverband.de<br />
Herausgeber: Horst Bartnitzky (für den Vorstand des Grundschulverbandes)<br />
Redaktion: Ulrich Hecker, Hülsdonker Str. 64, 47441 Moers, Tel. 0 28 41 / 2 17 14,<br />
E-Mail: ulrichhecker@aol.com<br />
Fotos: Bert Butzke, Mülheim/Ruhr sowie jeweilige Autor/innen<br />
Zeichnungen: Wilhelm Nüchter, Moers (S. 4)<br />
Herstellung: novuprint Agentur für Mediendesign, Werbung, Publikationen GmbH,<br />
Bödekerstr. 73, 30161 Hannover, Tel. 05 11 / 9 61 69 – 11, Fax: 05 11 / 9 61 69 – 99<br />
Anzeigenverwaltung: Claudia Klinger, Verlagsgruppe Beltz, Tel. 0 62 01 / 6 00 73 86,<br />
Fax 0 62 01 / 6 00 73 93<br />
Druck: Druck Partner Rübelmann, 69502 Hemsbach<br />
ISSN 1860-8604<br />
Beilage: »Eine Welt in der Schule« als ständige Beilage<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008<br />
1
Tagebuch<br />
LehrerInnenbildung:<br />
Reformeifer und Mängelverwaltung<br />
Prof. Dr. Gudrun<br />
Schönknecht,<br />
Professorin für Grundschulpädagogik<br />
an der<br />
PH Freiburg,<br />
Fachreferentin für<br />
LehrerInnenbildung im<br />
Grundschulverband<br />
Die Reform der LehrerInnenbildung – ein Dauerthema in<br />
Deutschland nicht erst seit die Grundschulausbildung in<br />
den 1970ern an die Universitäten kam – konzentriert sich<br />
zurzeit vor allem auf die erste Phase. Die meisten<br />
Bundesländer haben das Studium auf die<br />
neue BA/MA (Bachelor und Master)-Struktur umgestellt.<br />
Folge ist eine fast unübersehbare Vielfalt<br />
von Modellversuchen, Ausbildungsgängen<br />
und Abschlüssen. Das wichtige Reformziel, eine<br />
gleich lange und gemeinsame Ausbildung mit<br />
schulartspezifischen Schwerpunkten für die verschiedenen<br />
Lehrämter zu konzipieren, wird dabei<br />
nicht immer realisiert. Auch Statusunterschiede<br />
(das »höhere« gymnasiale Lehramt) sind weiterhin<br />
in Studiendauer, Besoldung und Unterrichtsverpflichtung<br />
manifestiert.<br />
Beim derzeitigen Reformeifer müssen die schon lange<br />
bekannten inhaltlichen und strukturellen Probleme der<br />
Lehrerbildung an Universitäten beachtet werden. Die<br />
Stärkung der Fachdidaktiken – in den letzten Jahrzehnten<br />
stark abgebaut – ist ein wichtiges Ziel. Das Studium der<br />
Fachwissenschaften muss sich stärker auf die Anforderungen<br />
der Schulfächer und die Probleme des Berufsfeldes<br />
beziehen und darf nicht, wie es oft der Fall ist, nur<br />
von der Tradition, der Breite, der speziellen Ausrichtung<br />
einer Fachwissenschaft an der Hochschule bestimmt werden.<br />
Die mangelnde Integration der Studienbereiche und<br />
die Verbindung von Studium, Referendariat und Fortbildung<br />
sind weitere bekannte Problembereiche. Inzwischen<br />
gibt es über 50 meist neu gegründete »Zentren für Lehrerbildung«<br />
an Hochschulen, die als »Querstrukturen« innerhalb<br />
der Universitäten sich dem hohen Anspruch stellen,<br />
die LehrerInnenbildung neu zu organisieren – »um nicht<br />
zu sagen neu (zu) erfinden« (Plattform der Zentren für<br />
Lehrerbildung: www.lehrerbildung.de).<br />
Die Qualität der neuen Studiengänge wird sich darin zeigen,<br />
inwiefern sie die geforderte Berufsfeldorientierung<br />
auf allen Ebenen ernst nehmen können – dafür sind neben<br />
den o. a. Forderungen auch moderne, personal- und<br />
zeitintensive Lernformen erforderlich. Fächerübergreifende,<br />
gemeinsam verantwortete Eingangscurricula<br />
können reflexiven Praxisbezug und die Überprüfung der<br />
Berufswahlentscheidung ermöglichen. »Schulpraktische<br />
Studien« müssen qualifiziert begleitet werden, um reflexive<br />
Praxiserfahrungen zu ermöglichen. Lernen am Fall,<br />
biographisch-reflexive Zugänge, forschendes Lernen,<br />
also Lernformen, die die Komplexität des schulischen Alltags<br />
und die Entwicklung eines »professionellen Selbst«,<br />
von Lehrerpersönlichkeit und Lehrerethos in den Blick<br />
nehmen, sind unverzichtbar. Positive Erfahrungen mit<br />
solchen Formen gibt es an vielen Hochschulen, v. a. im<br />
Grundschulbereich, schon seit geraumer Zeit. Ob die ehrgeizigen<br />
Reformziele allerdings ohne zusätzliche Ressourcen<br />
in den bisherigen Massenstudiengängen realisierbar<br />
sind, bleibt zu bezweifeln.<br />
Eine Reform, die sich vor allem auf das Studium und vielleicht<br />
noch auf die zweite Phase konzentriert, greift allerdings<br />
zu kurz. Fast vollkommen ausgeblendet bleiben<br />
in der derzeit verordneten Reformeuphorie die Berufseingangsphase<br />
und das »learning on the job«. Gerade die ersten<br />
Praxisjahre sind aber entscheidend für die professionelle<br />
Entwicklung. Vorschläge, diese Phase entsprechend<br />
zu gestalten, sind bekannt: Experten-Novizen-Teams an<br />
Schulen, Arbeits- und Gesprächskreise, Begleitung durch<br />
Supervision, kollegiale Intervision oder Hospitation sind<br />
einige Möglichkeiten. Diese Formen eignen sich auch für<br />
die berufsbegleitende Fort- und Weiterbildung, eine weitere<br />
»Baustelle«, die derzeit wenig beachtet wird.<br />
Eine kontinuierliche Arbeit an der professionellen Entwicklung<br />
kann nicht »nebenbei« geleistet werden. Die<br />
Reform der Lehrerbildung erfordert auch Reformen im Berufsalltag,<br />
z. B. Arbeitszeitmodelle, die sich nicht nur an<br />
Unterrichtsstunden orientieren, sondern die vielfältigen<br />
Aufgaben von LehrerInnen und kontinuierliche Fort- und<br />
Weiterbildung mit einbeziehen. Supervision ist in anderen<br />
sozialen Berufen eine Selbstverständlichkeit, findet<br />
während der Arbeitszeit statt und muss nicht privat finanziert<br />
werden.<br />
Unterrichten, Erziehen, Beurteilen und Innovieren werden<br />
in den KMK-Standards als die zentralen Berufsaufgaben<br />
definiert – inwiefern diese Standards als »opportunityto-learn«-Standards<br />
auch in der Lehrerbildung umgesetzt<br />
werden können, ist nicht zuletzt abhängig von entsprechenden<br />
Ressourcen.<br />
Prof. Dr. Gudrun Schönknecht<br />
2 GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008
Thema: Selbstständig lernen<br />
Selbstständiges Lernen –<br />
Ziel für die <strong>Grundschule</strong> und für Grundschulkinder?<br />
Auf selbstständiges Lernen ist<br />
heute jeder Mensch, egal welchen<br />
Alters und welcher Vorbildung,<br />
angewiesen. Manches Wissen<br />
veraltet schnell, anderes Wissen entsteht<br />
neu und wieder anderes Wissen<br />
muss neuen Kontexten angepasst<br />
werden. Der Wandel zur Wissensgesellschaft,<br />
in der Wissen zur zentralen<br />
Ressource einer Gesellschaft geworden<br />
ist, fordert von jedem und jeder<br />
Einzelnen, sich immer wieder auf neue<br />
Lernprozesse einzulassen. Das in der<br />
Schule einmal erworbene Wissen reicht<br />
mit Sicherheit nicht aus, um künftigen<br />
Anforderungen im Beruf und im Alltag<br />
gerecht zu werden. Von dieser Voraussetzung<br />
ausgehend ist die Bedeutung<br />
des selbstständigen Lernens nicht<br />
hoch genug einzuschätzen. Entsprechend<br />
wird der Stellenwert der Lernkompetenz<br />
oder des »Lernen Lernens«<br />
als Schlüsselqualifikation in allen <strong>aktuell</strong>en<br />
Curricula betont.<br />
Kinder brauchen<br />
selbstständiges Lernen<br />
Dabei geht es um die Fähigkeit, sich<br />
selbstständig Wissen anzueignen,<br />
Lernprozesse selbst zu initiieren, zu<br />
planen, erfolgreich zu organisieren<br />
und zu regulieren, und zwar individuell<br />
und in Kooperation mit anderen.<br />
»Selbstständigkeit« soll über alle<br />
Bildungsbereiche und -institutionen<br />
hinweg erworben werden und stellt an<br />
die Organisation der Lehr-Lernprozesse<br />
jeweils besondere Ansprüche. Während<br />
sie im tertiären Bildungsbereich und<br />
speziell im universitären Umfeld von<br />
jeher relevant war, auch im sekundären<br />
Bildungsbereich angestrebt wurde,<br />
stellt sie sich für den Primar- und<br />
Elementarbereich als eine relativ neue<br />
Herausforderung. »Selbstständigkeit«<br />
korrespondiert allerdings in vielerlei<br />
Hinsicht mit bewährten und nicht zur<br />
Disposition stehenden Erziehungszielen,<br />
die auch für die <strong>Grundschule</strong> von<br />
Bedeutung sind, wie etwa dem Ziel<br />
der Mündigkeit. Auch ist die Aufgabe<br />
der grundlegenden Bildung nicht ohne<br />
eine Komponente der Selbstlernfähigkeit<br />
denkbar, als Baustein für alle weiteren<br />
Bildungsprozesse. Kinder und<br />
Jugendliche brauchen die Fähigkeit des<br />
selbstständigen Lernens, um die ihr Leben<br />
begleitenden immer neuen Lernanforderungen<br />
meistern zu können.<br />
Nicht nur aus dieser Zielperspektive<br />
lässt sich die Bedeutung des selbstständigen<br />
Lernens begründen; auch<br />
eine auf die Entwicklung des kindlichen<br />
Lernens bezogene Perspektive ist zu<br />
bedenken. Wie lernen junge Kinder? Ist<br />
die Selbstständigkeit im Lernen tatsächlich<br />
etwas neu zu Erwerbendes? Ist<br />
nicht die Fähigkeit, einem Lern impuls<br />
selbstständig nachzugehen, Kindern<br />
sozusagen in die Wiege gelegt?<br />
Kinder lernen schon in sehr jungem<br />
Alter aus eigenem Antrieb, aus eigener<br />
Neugier, aus eigenem Interesse. Sie<br />
eignen sich Fertigkeiten und Wissen<br />
an, zum Teil unter Rückgriff auf Anleitung,<br />
zum Teil aber auch ohne explizite<br />
Hilfe – im probierenden Handeln, im<br />
Mit-Tun oder in der Aushandlung mit<br />
anderen Kindern.<br />
Die Gelegenheiten zum Lernen<br />
stellt die Umwelt zur Verfügung, in der<br />
Kinder aufwachsen. Wir gehen davon<br />
aus, dass eine anregungsreiche und<br />
fürsorgliche Umwelt Kinder in ihrem<br />
natürlichen Lernbedürfnis unterstützt<br />
und auf diese Weise vielseitig zu ihrer<br />
Entwicklung beiträgt.<br />
Kinder sind erfahrene<br />
Lerner/innen<br />
Kinder sind, wenn sie in die Schule<br />
kommen, bereits sehr erfahrene Lernerinnen<br />
und Lerner. Die Unterschiede<br />
zwischen dem Lernen in der Institution<br />
Schule und dem Lernen vor und außerhalb<br />
der Schule beziehen sich insbesondere<br />
auf den Grad der Selbstbestimmung<br />
und die Verbindlichkeit der<br />
Lerninhalte und -ziele.<br />
Vor der Schule gibt es keine festgeschriebene<br />
Verbindlichkeit dessen,<br />
was Kinder lernen sollen; doch existiert<br />
so etwas wie eine gemeinschaftliche<br />
Übereinkunft darüber, was sich Kinder<br />
sinnvollerweise aneignen sollten.<br />
Bestimmt werden diese Erwartungen<br />
durch die Kultur, in die Kinder jeweils<br />
hineingeboren worden sind.<br />
Ob beispielsweise das Einführen<br />
eines Knopfs in ein Knopfloch zu den<br />
Erwartungen gehört, ist davon abhängig,<br />
ob Kleidung Knöpfe hat. Das<br />
selbstständige Anziehen hingegen<br />
dürfte – unabhängig von der Art der<br />
Kleidung – zu den Dingen gehören, die<br />
man Kindern überall von einem gewissen<br />
Alter an zumutet, weil sie zur<br />
selbstständigen Lebensführung gehören,<br />
die Ziel jeder Erziehung ist.<br />
Dass Kinder die Regeln des höflichen<br />
Umgangs miteinander lernen,<br />
dürfte auch in jeder Kultur Erziehungsziel<br />
sein; doch die konkreten Regeln<br />
können stark variieren.<br />
Ob ein Kind mit der Erwartung konfrontiert<br />
wird, sorgsam mit Büchern<br />
aus einer Ausleihbibliothek umzugehen,<br />
wird davon abhängen, ob in seiner<br />
Familie eine literale Kultur gelebt wird.<br />
Die kulturelle und soziale Umwelt<br />
setzt Erwartungen, die sich Kinder in<br />
der Regel auch zu eigen machen, um<br />
sich damit Zugehörigkeit zu sichern.<br />
von Angelika<br />
Speck-Hamdan<br />
Das in den<br />
siebziger Jahren<br />
beliebte Beispiel<br />
des »Säbelzahn-<br />
Curriculums« 1<br />
verdeutlicht,<br />
dass Curricula<br />
auch kulturell<br />
bestimmt sind<br />
und damit<br />
Wandlungen<br />
unterliegen<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008<br />
3
Thema: Selbstständig lernen<br />
Während die vor der Schule als Aufgabe<br />
gesetzten Erwartungen eine gewisse<br />
Bandbreite aufweisen, da sich die Umwelten,<br />
in denen Kinder aufwachsen,<br />
auch innerhalb einer Gesellschaft unterscheiden,<br />
wird über die verbindliche<br />
Institution Schule und ihr Curriculum<br />
eine gemeinsame Erwartung an alle<br />
Kinder und Jugendlichen formuliert.<br />
»Säbelzahn-Curriculum« (1):<br />
Eine Erinnerung<br />
Dass Curricula selbstverständlich auch<br />
kulturell bestimmt und damit auch<br />
Wandlungen unterworfen sind, lässt<br />
sich sehr leicht (und mit einem gewissen<br />
Augenzwinkern) an dem in den<br />
siebziger Jahren beliebten Beispiel des<br />
»Säbelzahn-Curriculums« 1 illustrieren.<br />
Dieses »Curriculum« bestand aus drei<br />
elementaren Inhalten: dem »Fischegrabschen-mit-bloßen-Händen«,<br />
dem<br />
»Die-kleinen-zottigen-Pferde-knüppeln«<br />
und dem »Tiger-vertreiben-mit-Feuer«<br />
– Kompetenzen (wie man heute sagen<br />
würde), die in der geschilderten<br />
Steinzeit-Gesellschaft das Überleben<br />
sichern sollten.<br />
Aber schon bald entsteht das Problem,<br />
dass die Kompetenzen den Lebensaufgaben<br />
nicht mehr entsprechen<br />
und dass nun die Diskussion über den<br />
Sinn und die richtige Methode zur Verwirklichung<br />
des Curriculums erst richtig<br />
beginnt.<br />
Ein springender Punkt dabei ist die<br />
Frage der Übereinstimmung zwischen<br />
der Lebenswirklichkeit und der Artifizialität<br />
von Unterricht, ein anderer die<br />
Frage nach der Freiheit, die den Kindern<br />
beim Lernen zugestanden werden<br />
soll – Fragen, die nach wie vor pädagogische<br />
Diskussionen bestimmen.<br />
Curricula spiegeln wider, was in gesellschaftlicher<br />
Übereinkunft als wichtig<br />
erachtet wird. Das pädagogische<br />
Kunststück besteht gewissermaßen<br />
darin, die Erwartungen der Kinder und<br />
Jugendlichen mit dieser Übereinkunft<br />
in Deckung zu bringen.<br />
Der Verbindlichkeit der Lerninhalte<br />
und -ziele steht das gleichzeitig gültige<br />
Erziehungsziel der Selbstbestimmung<br />
gegenüber, das Freiräume voraussetzt.<br />
Diese Spannung bestimmt schulisches,<br />
formales Lernen im Gegensatz zum informellen<br />
und non-formalen Lernen<br />
vor und außerhalb der Schule und gestaltet<br />
seine pädagogische Unterstützung<br />
so schwierig.<br />
Selbst- und Fremdbestimmung<br />
Nicht alles Lernen vor und außerhalb<br />
der Schule ist selbstbestimmtes Lernen,<br />
doch ist der Anteil eindeutig höher<br />
als in der Schule. Selbstbestimmtes<br />
Lernen zeichnet sich dadurch aus, dass<br />
die Motivation zum Lernen und auch<br />
der Wille zum Lernen gegeben sind,<br />
was sich bei der Überwindung von<br />
möglichen Hindernissen und Schwierigkeiten<br />
als durchaus günstig erweist.<br />
Selbstbestimmtes Lernen ist mit einem<br />
hohen Engagement des / der Lernenden<br />
verbunden, was zu einer breiten Aktivierung<br />
vorhandener Ressourcen führt,<br />
möglicherweise auch zur Entdeckung<br />
bisher ungenutzter Potenziale. Es ist<br />
dadurch gekennzeichnet, dass der / die<br />
Lernende das Ziel des Lernens selbst<br />
bestimmt und weitgehend den Prozess<br />
auch selbst steuert. Nimmt sich ein<br />
Kind vor, selbst einen Kuchen zu backen,<br />
wird es die ersten Male durchaus<br />
auch auf Unterstützung angewiesen<br />
sein und sich während des Vorgangs<br />
öfter auf fremdbestimmte Anweisungen<br />
einlassen (etwa beim Abwiegen<br />
der Zutaten oder beim Gebrauch des<br />
Rührstabs), ohne sich in seiner Selbstbestimmung<br />
eingeschränkt zu fühlen.<br />
Lässt sich ein Kind gar auf längerfristige<br />
oder komplexere Lernprozesse<br />
wie das Spielen eines Instruments oder<br />
das Erlernen einer Sportart ein, so wird<br />
es auch Instruktionen erwarten und<br />
vorgeschriebene Trainingseinheiten<br />
akzeptieren. Fremdbestimmung lässt<br />
sich nicht einfach als polarer Gegensatz<br />
zum selbstbestimmten Lernen<br />
sehen. Sie wird im Dienst des selbst<br />
gesetzten Ziels entweder gern genutzt<br />
oder auch in Kauf genommen, je nach<br />
Empfindung des einzelnen Kindes.<br />
Werden Kindern Lernangebote gemacht<br />
(und das ist die Aufgabe von<br />
Bildungsinstitutionen sowohl im vorschulischen<br />
als auch im schulischen<br />
Bereich), so kann nicht immer damit<br />
gerechnet werden, dass diese Angebote<br />
die Lerninteressen der Kinder<br />
treffen. Im Kindergarten, wo es weniger<br />
Verbindlichkeit gibt, besteht für<br />
die Kinder meist die Möglichkeit, die<br />
Die drei elementaren Inhalte des »Säbelzahn-Curriculums«:<br />
»Fische-grabschen-mit-bloßen-Händen«, »Die-kleinen-zottigen-Pferde-knüppeln« und »Tiger-vertreiben-mit-Feuer«<br />
4 GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008
Thema: Selbstständig lernen<br />
gut gemeinten Angebote im Falle des<br />
Nicht-Interesses zu ignorieren. In der<br />
Schule wird es damit weitaus schwieriger.<br />
Schule hat explizit die Aufgabe,<br />
vereinbarte Lernergebnisse bei den<br />
Schülerinnen und Schülern zu bewirken<br />
(siehe auch Kasten).<br />
Selbstständigkeit, Selbstbestimmung,<br />
Selbstregulation<br />
Schule soll nicht nur verbindliche<br />
Ziele im Fachlichen erreichen, sie soll<br />
darüber hinaus auch überfachliche<br />
Kompetenzen vermitteln, wie eben<br />
die Selbstständigkeit im Lernen. Beim<br />
selbstbestimmten Lernen ist das Lernhandeln<br />
des Kindes in hohem Maß von<br />
Selbstständigkeit gekennzeichnet. Die<br />
Selbstständigkeit bezieht sich in erster<br />
Linie auf den Prozess des Lernens.<br />
Begriffe wie selbstgesteuertes, selbstreguliertes<br />
oder selbstorganisiertes<br />
Lernen werden beinahe synonym verwendet,<br />
weil sie sehr schwer voneinander<br />
abgrenzbar sind. Gemeint ist<br />
die Fähigkeit, sich selbst beim Lernen<br />
zu steuern und zu überwachen. Eingeschlossen<br />
sind dabei kognitive und<br />
metakognitive sowie motivationale<br />
Aspekte. Unter kognitiver Perspektive<br />
geht es um all das, was mit dem Erwerb<br />
und der Integration neuen Wissens zu<br />
tun hat, insbesondere um spezifische<br />
Strategien. Metakognitive Prozesse beziehen<br />
sich auf die Beobachtung und<br />
Reflexion des eigenen Lernens. Motivational<br />
spielen etwa persönliche Ziele,<br />
Vorlieben oder Interessen sowie das<br />
eigene Selbstbild eine Rolle.<br />
Die Fähigkeiten der Selbstregulation<br />
kommen in jeder einzelnen Phase des<br />
Lernprozesses zum Tragen:<br />
■ Planung, Aktivierung: Ein Ziel wird<br />
ins Auge gefasst und die Entscheidung<br />
für eine bestimmte Aufgabe wird getroffen.<br />
Das entsprechende Vorwissen<br />
wird aktiviert. Es wird eingeschätzt,<br />
wie schwierig die Aufgabe ist und wie<br />
hoch der Aufwand an Zeit und anderen<br />
Mitteln sein wird. Die Aufmerksamkeit<br />
und das Interesse werden auf das gesetzte<br />
Ziel gerichtet. Die Aufgabe wird<br />
in einzelne Schritte zerlegt und geplant.<br />
Angemessene Strategien werden<br />
ausgewählt. Es wird überlegt, welche<br />
Partner hilfreich sein könnten. Die Aufgabe<br />
wird begonnen.<br />
»Säbelzahn-Curriculum« (2): »Fischegrabschen« unterrichten?<br />
Das Dilemma der Schule, Curriculum und<br />
Lerninteressen der Schüler in Übereinstimmung<br />
zu bringen, beschreibt Prof.<br />
Peddiwell in seinem Säbelzahn-Curriculum<br />
folgendermaßen:<br />
Eine Gruppe von Beobachtern kam zum<br />
Schluss, dass die Hauptfehler in den gegenwärtigen<br />
Bildungsmethoden lediglich aus<br />
dem Umstand resultierten, dass das Lernen<br />
allzu sehr dirigiert werde. »Lasst das Kind<br />
auf natürliche Weise mit seinen Lernaktivitäten<br />
aufwachsen«, rieten sie den Lehrern.<br />
»Sorgt dafür, dass all seine Ziele und Handlungen<br />
selbst auferlegt sind. Vermeidet den<br />
Eingriff des Lehrers oder gar seine Dominanz<br />
und lasst das Kind in allen Fällen selbst entscheiden,<br />
was es tun will; stellt einen Plan<br />
für das auf, was es gern tun möchte, und<br />
führt das aus, was das Kind sich vorgenommen<br />
hat; beurteilt dann erst den Wert seiner<br />
Taten.«<br />
Die Lehrer waren verwirrt. »Aber was sollen<br />
wir dann noch tun?«, fragten sie. »Wenn<br />
die Kinder alles allein machen sollen, dann<br />
brauchen sie doch gar keinen Lehrer mehr.«<br />
■ Monitoring / Überwachung: Die<br />
Auf merksamkeit richtet sich auf den<br />
Prozess. Dabei wird beobachtet, wie<br />
erfolgreich die einzelnen Lernschritte<br />
sind, wie das Wohlbefinden bei der<br />
Lösung der Aufgabe ist, ob die Motivation<br />
anhält. Es wird eingeschätzt, ob<br />
sich Anstrengung und Aufwand lohnen<br />
und ob die Zeit in vorgesehener Weise<br />
genutzt werden kann. Die Notwendigkeit<br />
von Hilfe wird abgewogen. Es<br />
wird wahrgenommen, ob sich Veränderungen<br />
gegenüber der Planung ergeben.<br />
■ Kontrolle: Aus den Beobachtungen<br />
werden Einschätzungen hinsichtlich<br />
des Erfolgs abgeleitet. Wurde die gewählte<br />
(Teil-)Aufgabe gelöst? Waren<br />
die gewählten Strategien erfolgreich?<br />
Müssen sie verändert, neu angepasst<br />
werden? Müssen und können die Anstrengungen<br />
noch verstärkt werden?<br />
Soll die mögliche Hilfe in Anspruch genommen<br />
werden? Ist die Aufgabe als<br />
»Oho, nein!«, versicherten die Experten.<br />
»Der Lehrer ist als Berater weiterhin nötig.<br />
Er wird das Kind zu weisen Entscheidungen<br />
führen, zu den richtigen Taten, ihm zeigen,<br />
wie es sich mit mehr Feinsinnigkeit und Effekt<br />
den Aktivitäten widmen kann, denen es<br />
sich sowieso widmen wollte.«<br />
...<br />
Daraufhin zogen sich die Lehrer zurück<br />
und beratschlagten miteinander. »Mir<br />
scheint trotz allem«, vermutete einer, »man<br />
erwartet immer noch von uns, dass wir das<br />
Fischegrabschen unterrichten sollen.«<br />
»Ja«, stimmte ein anderer zu, »aber wir<br />
dürfen den Kindern bloß nicht sagen, dass<br />
sie Fischegrabschen lernen sollen. Wir müssen<br />
nur alles so vorbereiten und zurechtstellen,<br />
dass sie von sich aus daran denken,<br />
Fischegrabschen zu lernen und uns fragen,<br />
wie man das machen kann.«<br />
»Aha, schon kapiert!«, sagte ein dritter,<br />
»und dann gestatten wir es ihnen und führen<br />
sie – führen sie – «.<br />
(a. a. O., S. 53/54)<br />
beendet zu betrachten? Wie steht es<br />
um die Motivation?<br />
■ Reflexion: Den Abschluss bildet die<br />
Gesamtbewertung des Lernprozesses.<br />
Es stellt sich Zufriedenheit oder auch<br />
Unzufriedenheit ein. Sowohl für Erfolg<br />
als auch für Misserfolg werden Ursachen<br />
gesucht. Es wird analysiert, warum,<br />
wo und wie etwas gelungen ist<br />
oder auch nicht. Möglicherweise werden<br />
Schlussfolgerungen für künftige<br />
Lernprozesse ähnlicher Art gezogen.<br />
Das eigene Selbstbild erfährt Bestätigung<br />
oder eine Korrektur.<br />
Diese Beschreibung ist so allgemein<br />
gehalten, dass sie im Prinzip für Lernprozesse<br />
jeder Art und für Lernende<br />
jeden Alters zutrifft. Variationen und<br />
Anpassungen je nach Bereichsspezifität<br />
und nach Alter sind ohne weiteres<br />
ableitbar. Als »Aufgabe« lässt sich zum<br />
Beispiel das Verfassen einer Geschichte<br />
ebenso definieren wie die Lösung<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008<br />
5
Thema: Selbstständig lernen<br />
Eigene Rechenerfahrungen<br />
sammeln – ob<br />
am Computer<br />
oder mit<br />
Alltagsmaterialien<br />
der Frage, was Regenwürmer fressen.<br />
Als Agierende sind Studierende ebenso<br />
vorstellbar wie kleine Kinder. Entscheidend<br />
für die Charakterisierung<br />
als selbstgesteuertes Lernen ist das<br />
Überwachen und Auswerten des eigenen<br />
Lernprozesses, der von einer Aufgabenstellung<br />
ausging.<br />
Zumutung und Zutrauen:<br />
Das rechte Maß finden<br />
Ob nun diese Aufgabenstellung völlig<br />
frei gewählt worden ist, ob sie ein<br />
pädagogisch arrangiertes Lernangebot<br />
aufgreift oder ob sie gar eine an<br />
alle gerichtete Aufforderung realisiert,<br />
ist für die Frage der Selbstständigkeit<br />
zunächst einmal zweitrangig. Je hö-<br />
her die Erwartungen an die Selbstbestimmtheit<br />
des Handelns allerdings<br />
sind, umso eher kann angenommen<br />
werden, dass auch die Wahl der Aufgabe<br />
Sache des / der Lernenden ist.<br />
Dabei hängen diese Erwartungen nicht<br />
in erster Linie mit dem Alter oder der<br />
angenommenen Vernunft der Lernenden<br />
zusammen, sondern mit der<br />
Korrespondenz zwischen Aufgabe und<br />
Fähigkeiten. Darüber haben Lernende<br />
ebenso eine Vorstellung wie auch die<br />
Lehrenden. Dass diese Vorstellungen<br />
bisweilen auseinanderklaffen, kann<br />
unterschiedliche Ursachen haben. In<br />
manchen Fällen trauen sich Kinder zuviel<br />
zu und müssen davon abgehalten<br />
werden sich zu schaden; in anderen<br />
Fällen trauen Erwachsene Kindern zu<br />
wenig zu und hindern sie dadurch daran,<br />
wertvolle Erfahrungen zu machen.<br />
Beides kann zu Konflikten führen. Das<br />
rechte Maß an Zumutung von Eigenverantwortung<br />
und Zutrauen in die<br />
Fähigkeiten der Lernenden zu finden,<br />
ist eine der klassischen Aufgaben der<br />
Erziehung, die sich in jedem Alter der<br />
Kinder und Jugendlichen auf je andere<br />
Weise stellt.<br />
Wie lernen Kinder<br />
selbstständig zu lernen?<br />
Es ist davon auszugehen, dass sie die<br />
Grundbedingung der Neugier und einige<br />
basale Kompetenzen entweder<br />
bereits von Geburt an mitbringen oder<br />
schon sehr früh entwickeln, wie zum<br />
Beispiel die Richtung der Aufmerksamkeit<br />
oder Gedächtnisfähigkeiten. Das<br />
Bedürfnis nach Autonomie gilt – neben<br />
dem Bedürfnis nach Einbindung und<br />
dem nach Kompetenz – als Grundbedürfnis.<br />
Es drückt sich im Streben nach<br />
Selbstständigkeit und Selbstbestimmung<br />
aus. Es bezieht sich selbstverständlich<br />
auch auf die Lernaufgaben,<br />
die sich Kindern stellen und denen<br />
sich Kinder stellen. In diesem Sinn ist<br />
Selbstständigkeit eine Bedingung für<br />
das Lernen. Als solche bezieht sie sich<br />
insbesondere auf die Aktivierung der<br />
kognitiven und motivationalen Ressourcen.<br />
Diese Bedingung ist nützlich,<br />
sie reicht aber für die selbstständige<br />
Bewältigung schulischer Lernprozesse<br />
nicht aus, da sich diese zum allergrößten<br />
Teil auf kulturell tradierte Lerngegenstände<br />
beziehen, die sich nicht von<br />
selbst erschließen.<br />
Mit der Unterscheidung in (genetisch)<br />
»privilegiertes« und »nicht-privilegiertes«<br />
Lernen weist Elsbeth Stern<br />
(2004) auf den wichtigen Umstand hin,<br />
dass es einerseits Lernprozesse gibt,<br />
die mehr oder weniger nach einem<br />
inneren Plan, »ab einem bestimmten<br />
Alter sehr schnell und mit einem Minimum<br />
an externer Unterstützung vor<br />
sich« (Stern 2004, S. 38) gehen – und<br />
andererseits solche Lernprozesse, die<br />
sich auf komplexe Kompetenzen beziehen,<br />
die ihre Bedeutung für das Leben<br />
der Menschen erst im Lauf der Kulturgeschichte<br />
erlangt haben. »Das für die<br />
kulturelle Sozialisation entscheidende,<br />
nicht-privilegierte Lernen hingegen ist<br />
mühsam und fehleranfällig, da intuitives<br />
und kulturell tradiertes Wissen häufig<br />
im Widerspruch stehen. Die Konstruktion<br />
von kulturell tradiertem Begriffswissen<br />
erfordert Zeit und gelingt nur, wenn<br />
Kinder gezielt an die Bewältigung bestimmter<br />
Anforderungen herangeführt<br />
werden«, betont Stern (a. a. O., S. 41).<br />
Als Beispiele nennt sie die kulturellen<br />
Errungenschaften des Lesens<br />
und des Schreibens sowie das Modellieren<br />
von Ereignissen mit Hilfe mathematischer<br />
Werkzeuge. Diese ›gezielte<br />
Heranführung‹ vollzieht sich im schulischen<br />
Unterricht, durch die sinnvolle<br />
Zerlegung des Lernens in Teilschritte,<br />
durch die Integration von Basisfähigkeiten<br />
in höhere Kompetenzen. Darin<br />
bildet sich eine curriculare Struktur<br />
ab, nicht eine didaktische Methode.<br />
Die nach wie vor gültige Vorstellung<br />
vom Lernen als aktiver Wissenskonstruktion,<br />
die ja die Bedingung der<br />
Selbstständigkeit beschreibt, verweist<br />
allerdings angesichts der Komplexität<br />
schulischer Anforderungen auf die<br />
schwierige pädagogisch-didaktische<br />
Herausforderung, die Balance zwischen<br />
»Anleitung und Selbstbildung«<br />
(siehe Leu 2007) immer wieder neu zu<br />
finden.<br />
Kultur der Lerngespräche<br />
Selbstständigkeit ist demnach nicht<br />
nur Bildungsziel, sondern auch Bedingung<br />
und damit Ausgangspunkt des<br />
Lernens. Die Annäherung an die Anforderungen,<br />
die selbstständiges Lernen<br />
im Sinne eines »Lernens im Lebenslauf«<br />
2 stellt, kann nur schrittweise erfolgen,<br />
und zwar über selbstständiges<br />
Lernen. Auf diese Weise baut sich die<br />
6 GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008
Thema: Selbstständig lernen<br />
Kompetenz des selbstständigen Lernens<br />
auf. Von besonderer Bedeutung<br />
für die <strong>Grundschule</strong> ist es, sich des<br />
Lernens überhaupt bewusst zu werden,<br />
es als eigene Tätigkeit wahrnehmen<br />
und beobachten zu lernen. Kinder<br />
sagen, dass »man aufpassen muss«,<br />
dass »man sich anstrengen muss«,<br />
dass »man nachdenken muss« oder<br />
dass »man sich was merken muss«. Bei<br />
genauerem Nachfragen ist es vielen<br />
jedoch nicht möglich, nähere Auskünfte<br />
zu geben. Wie kann man sich denn<br />
anstrengen? Wie kann man sich etwas<br />
merken? Auch wenn viele Kinder mit<br />
ihren intuitiven Strategien des Lernens<br />
recht lange erfolgreich sind und das<br />
Nachdenken, Sich-Anstrengen oder<br />
Merken handelnd beherrschen, ohne<br />
die Ablösung des Sprechens von der<br />
Situation ist es nicht möglich, das Lernen<br />
zum Gegenstand der Beobachtung<br />
und der Reflexion zu machen – und das<br />
ist Voraussetzung für den Aufbau von<br />
Lernstrategien oder lernmethodischer<br />
Kompetenz. Dazu ist es unerlässlich,<br />
über eine entsprechende Begrifflichkeit<br />
zu verfügen. Dann können Kinder<br />
nicht nur der Lehrerin / dem Lehrer Auskunft<br />
über ihr Lernen geben und deren<br />
lernmethodische Vorschläge verstehen,<br />
sondern sich auch mit den Gleichaltrigen<br />
über das Lernen austauschen<br />
und sich eventuell gegenseitig Tipps<br />
geben. Die Förderung selbstständigen<br />
Lernens muss also eingebunden sein<br />
in eine Kultur der Lerngespräche – mit<br />
der ganzen Klasse, mit einer einzelnen<br />
Gruppe, mit einzelnen Kindern, mit<br />
Kindern und ihren Eltern. Das bietet<br />
vielfach Gelegenheit, entsprechende<br />
Begriffe beiläufig oder auch absichtsvoll<br />
einzuführen und ihre Bedeutung<br />
umschreibend oder über Beispiele zu<br />
erschließen.<br />
Grundschulkinder können<br />
selbstständig lernen<br />
Selbstständiges Lernen lässt sich auch<br />
in der <strong>Grundschule</strong> in allen genannten<br />
Phasen eines Lernprozesses schon verwirklichen,<br />
in einer der Aufgabe und<br />
den Möglichkeiten des Kindes angemessenen<br />
Weise.<br />
In der Phase der Planung ist es<br />
sinnvoll, ein Vorhaben miteinander zu<br />
durchdenken, es möglicherweise in<br />
mehrere kleine Teilschritte aufzuteilen,<br />
sich zu überlegen, welche Arbeitsmittel<br />
zur Bewältigung welcher Aufgabe<br />
nötig sein werden, mit wem was am<br />
besten getan werden kann usw. Das<br />
sollte in der Regel in einem Kreisgespräch<br />
geschehen, damit alle Kinder<br />
sich in die Planung eingebunden fühlen.<br />
Viele Kinder brauchen auch die Anregung<br />
durch die Ideen Anderer. Einzelne<br />
Vorhaben können dann im kleineren<br />
Kreis besprochen werden.<br />
In der Phase der Überwachung<br />
kommt es darauf an, dass überhaupt<br />
daran gedacht wird. Kleine Pausen bei<br />
der Erreichung von Etappen können<br />
eingeschoben werden, um nachzufragen,<br />
wie es voran geht, ob sich die Kinder<br />
noch auf dem besprochenen Weg<br />
befinden oder ihn vielleicht auch aus<br />
gutem Grund wieder verlassen haben.<br />
Hier bieten sich auch Einzelgespräche<br />
an, weil die Vorerfahrungen der Kinder<br />
hinsichtlich selbstständiger Arbeit<br />
wahrscheinlich sehr verschieden sind<br />
und Kinder in dieser Phase möglicherweise<br />
auch auf Probleme gestoßen<br />
sind, über die sie nicht in großer Runde<br />
sprechen wollen, durchaus aber im geschützten<br />
Dialog.<br />
Am Ende schließt sich die Phase der<br />
Kontrolle an, in der die Kinder – jedes<br />
für sich oder auch miteinander – den<br />
Erfolg ihrer Lernbemühungen einschätzen.<br />
Sie können sich auch selbst<br />
bewerten, jeder für sich oder gegenseitig.<br />
Dabei gilt es, den Anspruch der<br />
Aufgabe noch einmal genau zu formulieren<br />
und ihn dann mit dem Ergebnis<br />
in ein Verhältnis zu setzen. In der Regel<br />
beziehen die Kinder in eine solche<br />
Erfolgseinschätzung auch den Prozess<br />
mit ein: »Aber er hat sich so angestrengt!«<br />
Oder: »Sie wurde immer wieder<br />
gestört!«<br />
Diese Phase geht dann über in die<br />
Phase der Reflexion, in der nun nicht<br />
nur das Gesamtergebnis bewertet wird,<br />
sondern vor allem das Lernen selbst<br />
thematisiert wird. Was ist gut gelungen?<br />
Was hat geholfen, dass es so gut<br />
gelungen ist? Was hat sich bewährt?<br />
Wo lagen die Probleme der Aufgabe?<br />
Warum hat sie Probleme gemacht?<br />
Wie ließ sich eine Schwierigkeit überwinden?<br />
Wie hätte man sich an dieser<br />
Stelle noch helfen können? Hat möglicherweise<br />
ein anderes Kind an einer<br />
kritischen Stelle eine effektivere Strategie<br />
angewendet? Warum war diese<br />
Strategie besser? Wie geht es mir mit<br />
diesem Ergebnis?<br />
Diese Auswertung lässt sich bei<br />
Gruppenaufgaben gut im gemeinsamen<br />
Gespräch durchführen, allerdings<br />
ist dabei darauf zu achten, dass<br />
dies in einem Klima des Respekts<br />
geschieht, damit auch das Kind, das<br />
Probleme hatte, mit Zuversicht und<br />
gestärkt den Kreis verlässt.<br />
Prof. Dr. Angelika Speck-Hamdan,<br />
Professorin für Grundschulpädagogik<br />
und -didaktik an der Ludwig-Maximilians-Universität,<br />
im Grundschulverband<br />
Referentin für Bildungsgerechtigkeit,<br />
Vorstandsmitglied im<br />
Pestalozzi-Fröbel-Verband, befasst<br />
sich u. a. mit dem Übergang vom<br />
Elementar- in den Primarbereich,<br />
mit dem Schriftspracherwerb von<br />
Kindern und Erwachsenen sowie mit<br />
Fragen der interkulturellen Bildung<br />
Bausteine selbstständigen Lernens: Austausch in der Gruppe, Präsentation<br />
der Lern- und Arbeits ergebnisse, Lerngespräch mit dem Lehrer<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008<br />
7
Thema: Selbstständig lernen<br />
Lerntagebücher<br />
und Portfolios<br />
können die<br />
Reflexion über<br />
das eigene Lernen<br />
anregen und so<br />
die Selbstständigkeit<br />
beim Lernen<br />
stärken.<br />
Es gibt auch Formen der schriftlichen<br />
Reflexion, die dann in der Regel die<br />
Kinder für sich allein vornehmen und<br />
in festgelegten Zeitabschnitten mit<br />
der Lehrperson besprechen. Schreibgewohnten<br />
Kindern kann die Form eines<br />
Lerntagebuchs angeboten werden. Die<br />
Zeit für dieses schriftliche Reflektieren<br />
muss gut eingeplant werden. Es muss<br />
für die Kinder zur hilfreichen Regel<br />
werden, aber nicht zur lästigen Pflicht,<br />
was sich an floskelhaften und wenig<br />
ergiebigen Einträgen gut ablesen lässt.<br />
Um die Schreibfähigkeit bei jüngeren<br />
Kindern nicht zu überanstrengen, sind<br />
auch Lerntagebücher mit vorgege-<br />
benen Einschätzskalen – entweder mit<br />
Ziffern abgestuft oder mit Bildern veranschaulicht<br />
– denkbar. Auch hier gilt<br />
das Prinzip des sorgsamen Einsatzes.<br />
Portfolios sind eine weitere Möglichkeit,<br />
die Reflexion über das eigene Lernen<br />
anzuregen und so die Selbstständigkeit<br />
beim Lernen zu stärken. Kinder<br />
wählen selbstständig aus, was in ihr<br />
persönliches Portfolio kommt. Dazu<br />
müssen sie sich gründlich Gedanken<br />
darüber machen, warum es ein Werk<br />
verdient aufgenommen zu werden. In<br />
den Gesprächen zu den Portfolios soll<br />
es darum gehen, nicht nur die sichtbaren<br />
Ergebnisse der Lernprozesse zu<br />
würdigen, sondern ihnen auch in ihrem<br />
Entstehungsprozess nachzuspüren<br />
und herauszubekommen, welche Strategien<br />
sich als nützlich und effektiv<br />
erwiesen haben.<br />
Manchmal gelingt es, Aufgaben so<br />
zu stellen, dass sie mit einem unterschiedlichen<br />
Grad an Selbstständigkeit<br />
zu lösen sind. Eine abgestufte Auswahl<br />
an Unterstützung und Hilfestellung<br />
kann Kindern die Möglichkeit geben,<br />
sich in ihrer Fähigkeit des selbstständigen<br />
Lernens einschätzen zu lernen.<br />
Will ich die Einteilung in Teilschritte<br />
selbst versuchen oder mich an den<br />
wohl durchdachten Vorschlag der Lehrperson<br />
oder eines Programms halten?<br />
Will ich mich nach jedem Teilschritt<br />
– etwa durch Selbstkontrollmöglichkeiten<br />
– rückversichern, ob ich auf<br />
dem richtigen Weg bin, oder will ich<br />
erst am Ende wissen, wie erfolgreich<br />
meine Lösungen sind? Will ich das Angebot<br />
eines Helfers nutzen? Jedes Kind<br />
kann für sich ausprobieren, was es sich<br />
an Selbstständigkeit zutrauen kann.<br />
Hilfreich dabei ist es, sich in den oben<br />
genannten Lerngesprächen mit der zugetrauten<br />
und tatsächlich in Anspruch<br />
genommenen Selbstständigkeit auseinander<br />
zu setzen.<br />
Entlastend und dem selbstständigen<br />
Lernen zuträglich sind alle Teilanforderungen,<br />
die mit Routine zu erledigen<br />
sind. In diesem Sinn ist der Aufbau von<br />
Routinen im Verlauf des Lernprozesses<br />
– etwa das Arbeiten mit der Rechtschreibkartei,<br />
etwa die Einhaltung vereinbarter<br />
Schritte bei der Lösung von<br />
sachunterrichtlichen Fragestellungen –<br />
ein wertvoller Beitrag in der Erziehung<br />
zu Selbstständigkeit. Routinen schaffen<br />
einen sicheren Boden, von dem<br />
aus dann auch Experimente der Selbstständigkeit<br />
gewagt werden können.<br />
Den stärker nach der eigenen Autonomie<br />
strebenden Kindern kommt dies<br />
ebenso entgegen wie denen, die neue<br />
Herausforderungen erst einmal als bedrohlich<br />
oder ängstigend empfinden.<br />
Der Aufbau selbstständigen Lernens<br />
ist eine zentrale Aufgabe der <strong>Grundschule</strong>.<br />
Sie lässt sich in allen Lernbereichen<br />
verwirklichen, ist an konkrete<br />
Lernaufgaben und damit auch Inhalte<br />
gebunden, verlangt aber danach, sie<br />
immer wieder aus dem situativen Kontext<br />
herauszulösen und am besten im<br />
Gespräch zu reflektieren. Auch dazu<br />
sind Grundschulkinder im Stande.<br />
Literatur<br />
Leu, Hans Rudolf: Erziehung zwischen<br />
Anleitung und Selbstbildung.<br />
In: Hammes-Di Bernardo, Eva (Hrsg.):<br />
Kompetente Erziehung. Zwischen Anleitung<br />
und Selbstbildung. Weimar, Berlin: verlag<br />
das netz 2007, S. 16 – 32<br />
Stern, Elsbeth: Entwicklung und Lernen<br />
im Kindesalter.<br />
In: Diskowski, Detlef & Hammes-<br />
Di Bernardo, Eva (Hrsg.): Lernkulturen und<br />
Bildungsstandards. Kindergarten und Schule<br />
zwischen Vielfalt und Verbindlichkeit.<br />
Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren<br />
2004, S. 37 – 45<br />
Anmerkungen<br />
1 Die Satire »The Saber-Tooth Curriculum«<br />
wurde 1938 von dem Pädagogik-Professor<br />
Harold R. W. Benjamin geschrieben und<br />
1939 unter dem Pseudonym J. Abner<br />
Peddiwell veröffentlicht.<br />
Anfang der siebziger Jahre fiel der Text<br />
Hans-Dieter Heller in die Hände, der ihn<br />
zusammen mit J. Robert Kile ins Deutsche<br />
übersetzte und 1974 im Klett Verlag<br />
veröffentlichte.<br />
2 In den vom BMBF 2008 veröffentlichten<br />
»Empfehlungen des Innovationskreises<br />
Weiterbildung für eine Strategie zur<br />
Gestaltung des Lernens im Lebenslauf«<br />
heißt es in der Präambel: »Wissen sowie<br />
die Fähigkeit, das erworbene Wissen<br />
anzuwenden, müssen durch Lernen im<br />
Lebenslauf ständig angepasst und erwei-<br />
tert werden. Nur so können persönliche<br />
Orientierung, gesellschaftliche Teilhabe<br />
und Beschäftigungsfähigkeit erhalten und<br />
verbessert werden. Deshalb ist der ›Wert<br />
des Lernens‹ zu erhöhen, unabhängig<br />
davon, ob das Lernen in erster Linie zur<br />
Weiterentwicklung der Beschäftigungsfähigkeit,<br />
zur Ausübung des bürgerschaftlichen<br />
Engagements, für die Freizeit oder<br />
die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit<br />
erfolgt.«<br />
(http://www.bmbf.de/pub/empfehlungen<br />
_innovationskreis_weiterbildung.pdf)<br />
8 GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008
Thema: Selbstständig lernen<br />
Selbstständigkeit fördern –<br />
Irrwege und Innovationen gegenwärtiger Schulpraxis<br />
Die <strong>Grundschule</strong> ist mehr als jede andere<br />
Schulform eine praktizierende<br />
Reformschule: offener Unterricht,<br />
Stationenlernen, Werkstattunterricht,<br />
freie Arbeit sind nur einige Stichwörter,<br />
die eine innovative Pädagogik im<br />
Klassenzimmer signalisieren. Sieht<br />
man genauer hin, dann zeigt sich eine<br />
irritierende Vielfalt an Realisierungen,<br />
dann entdeckt man faszinierende Innovationen<br />
neben Irrwegen und Mogelpackungen.<br />
Gemessen an einem Hauptkriterium<br />
für guten Unterricht, der Förderung<br />
von selbstständigem Lernen, sind<br />
meiner Beobachtung nach die Irrwege<br />
und Mogelpackungen mehr als nur<br />
eine Randerscheinung. Wenn Behauptungen<br />
die Runde machen wie: offener<br />
Unterricht bringe Kindern nicht<br />
genug bei, Unterricht verkomme zum<br />
Kuscheln, dann ergibt sich eine gefährliche<br />
Diskussionslage.<br />
Deshalb ist es wichtig, Praxistendenzen<br />
genauer anzusehen, sich über<br />
Kriterien für qualitative Entwicklungen<br />
zu vergewissern und Irrwege von Innovationen<br />
zu scheiden.<br />
Wie spät ist es im Märchenwald?<br />
In einer dritten Klasse ging es um das<br />
Thema Märchen. An die zwanzig verschiedene<br />
Arbeitsblätter lagen aus.<br />
Die Kinder hatten einen Laufzettel, auf<br />
dem die Blätter vermerkt waren, und<br />
sie arbeiteten sie nun in frei gewählter<br />
Reihenfolge ab.<br />
genau dies dann geschieht. Märchen,<br />
in denen eine Gegenwelt entsteht, in<br />
der einem auch Vertrautes begegnet:<br />
Angst und Freude, Hass und Liebe, Einsamkeit<br />
und Geselligkeit … Märchen,<br />
in denen die Hoffnung gestärkt wird,<br />
dass auch Menschen, die weniger gelten<br />
als andere, sich tapfer und beherzt<br />
in der Welt behaupten können, wenn<br />
sie nur wollen.<br />
Nun also in der dritten Klasse die Märchen-Werkstatt.<br />
Woran arbeiten die<br />
Kinder? Auf einem Arbeitsblatt geht es<br />
um Märchensprüche, die den Märchennamen<br />
zugeordnet werden müssen,<br />
auf drei Arbeitsblättern sind die Abschnitte<br />
von Märchen verwürfelt und<br />
müssen in der richtigen Reihenfolge<br />
nummeriert werden. Die meisten Arbeitsblätter<br />
aber haben gar nicht das<br />
Thema Märchen zum Inhalt, sondern<br />
verfolgen andere fachliche Ziele.<br />
Mathematik: »Wie spät ist es im Märchenwald?«,<br />
heißt ein Arbeitsblatt. Hier<br />
geht es um das Ablesen von Uhrzeiten,<br />
am Ende sogar um genaue Zeitberechnung:<br />
»Trage die Zeitdauer ein!« Und<br />
dann folgen die Zeiten: von 12.12 Uhr<br />
bis 12.52 Uhr, von 21.01 Uhr bis 22.02<br />
Uhr. Nie und nimmer spielen genaue<br />
Zeiten in Märchen eine Rolle, Zeiten<br />
sind immer ungefähr, Tageszeiten folgen<br />
der Sonne und dem Mond. Hier<br />
vom Märchenwald zu sprechen, nimmt<br />
Märchen nur als Vorwand für eine Rechenübung.<br />
Auf einem anderen Blatt gibt es Textaufgaben.<br />
»Als die Geißenmutter ihre<br />
sechs Jungen aus dem Bauch des<br />
Wolfes befreit hatte, ließ sie alle sieben<br />
Geißlein Steine suchen. Jedes Geißlein<br />
brachte zwei Steine. Jeder Stein wog<br />
2 Pfund. Die Mutter legte noch einen<br />
Stein von 5 Pfund hinzu. Wie schwer<br />
waren alle Steine zusammen?« Dies<br />
ist eine Kinderverdummungsaufgabe.<br />
Wenn die Kinder<br />
mitdenken, dann müs sen sie<br />
davon ausgehen, dass die Steine gewogen<br />
wurden, bevor sie in den Bauch des<br />
Wolfes gelangten, und dass die Steine<br />
offenbar gezielt auf 2-Pfund-Schwere<br />
hin ausgesucht wurden. Solches Mitdenken<br />
wird Kindern aber durch solche<br />
Aufgaben abgewöhnt, denn es führt<br />
zu unsinnigen Zusammenhängen und<br />
ist für das Lösen der Aufgabe gänzlich<br />
von Horst<br />
Bartnitzky<br />
Märchen – Geschichten aus einer Zeit,<br />
als das Wünschen noch geholfen hat.<br />
Eintauchen in eine Fantasiewelt, in<br />
der sich Wundersames ereignet, in der<br />
Tiere sprechen, in der Dinge und Sprüche<br />
verzaubern und erlösen. Märchen,<br />
in denen man sich in ängstliche und<br />
in tapfere Menschen einfühlt, in denen<br />
man mit ihnen bangt, wenn Böses<br />
geschieht und einen zittern macht,<br />
wenn man mit ihnen hofft, dass dieses<br />
Böse überwunden oder bezwungen<br />
werden muss, weil nur das zum guten<br />
Ende führt, wenn man miterlebt, wie<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008<br />
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Thema: Selbstständig lernen<br />
nutzlos. Sachaufgaben im Mathematikunterricht<br />
haben aber die genau<br />
entgegen gesetzte Aufgabe: Sie sollen<br />
Lebensweltzusammenhänge mit Hilfe<br />
der Mathematik klären helfen, die Aufgabenstellung<br />
ist also ernst zu nehmen<br />
und das Sachverständnis ist für das Lösen<br />
der Aufgaben unentbehrlich.<br />
Grammatik: Auf einem Arbeitsblatt<br />
sollen die bestimmten Artikel zu Nomen<br />
wie Angst, Ärger, Durst, Lust,<br />
Streit usw. gesetzt werden. In der Aufgabe<br />
darauf sollen Sätze nach Mustern<br />
gebildet werden, in denen die Artikel<br />
dann gar keine Rolle spielen, zum Beispiel:<br />
»Bilde Sätze mit viel: Ich habe viel<br />
Freude.« Abgesehen<br />
von dem Sammelsurium<br />
der Aufgaben auf diesem Blatt, dürfte<br />
die Verwendung des unbestimmten<br />
Zahlworts ohne Zusatz für Kinder nicht<br />
gebräuchlich sein. Sie freuen sich, aber<br />
viel Freude? Ja woran denn? Aber um eigene<br />
Erfahrungen geht es in dieser Aufgabe<br />
auch gar nicht, obwohl die Sätze<br />
alle mit »ich« anfangen. Es ist eben<br />
verschult-formaler Sprachgebrauch.<br />
Märchen sind weit weg und Märchenlust<br />
kann da nicht aufkommen.<br />
Noch verstärkt wird solch formale<br />
Spracharbeit auf anderen Arbeitsblättern<br />
dieser Märchenwerkstatt<br />
betrieben: Da wird der Satz: »Schneewittchen<br />
deckt jeden Morgen für die<br />
sieben Zwerge den Frühstückstisch« in<br />
die Satzglieder zerlegt und die Kinder<br />
sollen mit den Satzgliedern »so viele<br />
Sätze wie möglich« ins Heft schreiben.<br />
Gemeint sind hier allerdings nicht<br />
»viele Sätze«, sondern gemeint ist die<br />
Umstellung des einen Satzes. Es geht<br />
Dr. Horst Bartnitzky<br />
war Lehrer und Schulleiter,<br />
in der Lehrer fortbildung und<br />
der Schulaufsicht tätig,<br />
zahlreiche Veröffentlichungen<br />
zur Deutschdidaktik,<br />
Vorsitzender des<br />
Grundschulverbandes<br />
um Satzstellungen, nicht um Sätze. Ist<br />
der Lehrerin wohl bewusst, wie viele<br />
verschiedene Satzstellungen es gibt,<br />
wenn sie den Kindern aufträgt: »so<br />
viele Sätze wie möglich«? Den Kindern<br />
wird die Identifikation mit Schneewittchen<br />
bei derlei formaler Übung<br />
und Schreibarbeit in der Quantität und<br />
Qualität früherer Strafarbeiten sicher<br />
verloren gehen. Und eine Einsicht in<br />
die Funktion der sprachlichen Probe:<br />
umstellen (oder verschieben) wird gar<br />
nicht in Erwägung gezogen.<br />
Eine bittere Pointe an dem Beispiel<br />
aus einer dritten Klasse ist, dass weder<br />
Märchen intensiv mit Kindern gehört,<br />
gelesen, gespielt wurden noch dass<br />
angesichts von 70 % Kindern mit Migrationshintergrund<br />
Märchen aus anderen<br />
Ländern irgendwo vorkamen. Sie<br />
waren eben in dem gewählten Material<br />
nicht vorgesehen.<br />
Man kann an dem Beispiel erkennen,<br />
was das didaktische Elend solcher<br />
Arbeitsblatt-Werkstätten ausmacht:<br />
■ Das Thema ist wohl auf einigen<br />
Blättern präsent. Dann aber gehen<br />
entweder die didaktischen Möglichkeiten<br />
aus, noch gehaltvolle Aufgaben<br />
für Papier-Stift-Aufgaben zum Thema<br />
zu finden. Oder aber es drängen sich<br />
andere Fachaspekte vor, die nun auf<br />
Teufel-komm-heraus an das Thema angehängt<br />
werden.<br />
■ Das Thema selbst ist zu weiten Teilen<br />
gar nicht Gegenstand der Betrachtung<br />
oder der Erarbeitung, sondern nur<br />
»Aufhänger«. Damit lernen die Kinder,<br />
dass Themen beliebig sind und die<br />
ernsthafte Auseinandersetzung damit<br />
schulisch nicht gefragt ist. Sie lernen,<br />
dass alles in der Schule letztlich auf<br />
Grammatik und Rechtschreiben, Lesefragen<br />
und Rechnen hinausläuft.<br />
■ Arbeitsblätter-Werkstätten schaffen<br />
einen Büro-Stil von Unterricht:<br />
gebeugt über diverse Arbeitsblätter<br />
arbeiten die Kinder nacheinander die<br />
Aufgaben ab, bis es klingelt.<br />
■ So weit die Arbeitsblätter, wie im<br />
Märchenbeispiel oben, aus Kopiervorlagen<br />
gewonnen sind, oder auch wie in<br />
arbeitsintensiveren Varianten, von der<br />
Lehrerin in Heimarbeit erstellt werden,<br />
sind die Kinder nicht an ihrer Planung<br />
und Gestaltung, an Entscheidung über<br />
Sinn und Zweck ihrer Arbeit beteiligt.<br />
Bearbeitet wird, was in den Ablagekörben<br />
liegt.<br />
■ Die Lehrerinnen und Lehrer, die<br />
Arbeitsblatt-Werkstätten betreiben,<br />
tun dies, weil sie solche Werkstätten<br />
irrtümlich für modernen Unterricht<br />
halten.<br />
Nun könnte man einwenden, ich hätte<br />
hier ein besonders krasses Fehlerbeispiel<br />
gewählt. Sicher, es gibt didaktisch<br />
Besseres auf dem Arbeitsblatt-Markt<br />
und es gibt didaktisch qualifizierten<br />
Werkstatt-Unterricht. Dennoch: Der<br />
hier skizzierte Unterricht kann denn<br />
doch exemplarisch stehen für didaktische<br />
Irrwege, wie sie an <strong>Grundschule</strong>n<br />
auch zu besichtigen sind. Mit zwei Fragestellungen<br />
will ich derzeitige Trends<br />
kritisch betrachten, Irrwege und Wege<br />
gegeneinander stellen:<br />
■ Werden Kinder damit selbstständiger?<br />
■ Lernen die Kinder miteinander und<br />
voneinander?<br />
Individuelle Lernentwicklungen:<br />
Werden Kinder damit selbstständiger?<br />
Dass Individualisierung ein unverzichtbares<br />
Prinzip moderner Schularbeit ist,<br />
gehört zu den pädagogischen Binsenweisheiten.<br />
Das Prinzip Individualisierung<br />
meint im modernen Unterricht<br />
aber nicht nur, dass Kinder Aufgaben<br />
erhalten, die ihrem individuellen Leistungsstand<br />
entsprechen und die sie<br />
dann mit ihren Möglichkeiten abarbeiten.<br />
Individualisierung meint, dass sie<br />
selbstständiger werden, ihr Lernen in<br />
die eigene Hand nehmen und dass sie<br />
an qualitätsvollen Aufgaben wachsen<br />
können. Individualisierung hat seine<br />
Begründung im Bild vom Kind als Subjekt<br />
seines Lernens. Die Realisierung<br />
dieses hohen Anspruchs im täglichen<br />
Unterricht stellt eine besondere Herausforderung<br />
an die didaktische Kunst<br />
der Lehrerinnen und Lehrer dar.<br />
In der Schulpraxis wird dem Gebot der<br />
Individualisierung oft durch eine Vielfalt<br />
von Arbeitsmaterialien entsprochen.<br />
Das sind<br />
■ Arbeitsblätter, wie sie die Verlage<br />
haufenweise bieten oder wie sie von<br />
der Lehrerin selber hergestellt werden,<br />
■ Karteikarten, wie sie in den letzten<br />
Jahren vor allem für den Rechtschreibunterricht<br />
in Mode gekommen sind,<br />
aber auch für das Lesen oder den Grammatikunterricht<br />
angeboten werden,<br />
10 GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008
Thema: Selbstständig lernen<br />
■ Arbeitshefte, Förderhefte für die<br />
Kinder,<br />
■ vielfältige Sorten von Übungsmaterialien<br />
aus Plastik oder Holz, wie sie die<br />
sog. Freiarbeitsverlage anbieten.<br />
Bei all diesen Materialien findet<br />
sich vielerlei didaktisch Fragwürdiges<br />
wie die oben zum Märchenthema skizzierten<br />
Aufgaben. Zum Rechtschreiben<br />
beispielsweise werden gern Aufgabentypen<br />
verwendet, die auf den Kopiervorlagen<br />
kurzweilig aussehen und mit<br />
dem Stift zu erledigen sind: Lückentexte,<br />
Purzelwörter, Geheimschriften<br />
– Aufgabentypen ohne weiteren didaktischen<br />
Wert. Denn mit ihnen lernen<br />
Kinder nicht das für die Rechtschreibentwicklung<br />
Entscheidende, nämlich<br />
Rechtschreibstrategien.<br />
Für den Mathematikunterricht haben<br />
Müller und Wittmann schon<br />
vor Jahren gegen die »bunten Hunde«<br />
und »grauen Päckchen« polemisiert.<br />
Mit den bunten Hunden sind all die<br />
Ausmalbögen im Rechenunterricht<br />
gemeint, bei denen Ergebniszahlen in<br />
einem Feld farbig ausgemalt werden.<br />
Am Ende wird dann eben ein bunter<br />
Hund oder es werden Fische sichtbar<br />
als lustvolle Bestätigung, richtig gerechnet<br />
zu haben. Graue Päckchen sind<br />
die allseits bekannten Päckchen-Kolonnen,<br />
die ja nicht dadurch besser werden,<br />
dass sie anstatt im Schulbuch nun<br />
auf Arbeitsbögen eines Freiarbeitsverlages,<br />
garniert mit einer witzigen Figur,<br />
angeboten werden. Sie enthalten den<br />
Kinder das Eigentliche des Mathematikunterrichts<br />
vor, nämlich Strukturen<br />
und Gesetzmäßigkeiten in Zahlenbezügen<br />
selber zu entdecken.<br />
Und das vielfach beliebte, in fast allen<br />
Schulen anzutreffende LÜK-System<br />
ist schon vom Titel her ein didaktischer<br />
Schwindel: Lerne – Übe – Kontrolliere,<br />
abgekürzt LÜK. Es wird dabei weder<br />
etwas gelernt noch etwas geübt.<br />
Denn wer die falsche Lösung gewählt<br />
hat, erfährt dies zwar später, weil das<br />
grafische Muster nicht stimmt. Eine<br />
Übungshilfe bekommt er aber nicht. Es<br />
ist weder ein Lern-, noch ein Übungsmittel,<br />
es ist ein Kontrollmittel und<br />
steht durch das Auswahl-Antwort-<br />
Verfahren auch in der Gefahr, dass die<br />
Kinder verunsichert werden und das<br />
Ergebnis raten.<br />
Sicher, mit solchen Materialien arbeiten<br />
die Kinder möglicherweise ganz<br />
zufrieden vor sich hin, aber sie lernen<br />
wenig. Ein dirigistisch abfragender<br />
Unterricht kostümiert sich lediglich<br />
mit einem modernen Mediengewand.<br />
Selbstständiger können die Kinder damit<br />
nicht werden. Sie bleiben abhängig<br />
von den vorgelegten Materialien und<br />
ihren vorgegebenen Aufgaben.<br />
Individualisierung über solchen Arbeitsblatt-<br />
oder Kartei-Unterricht zu<br />
regeln, ist didaktisch zu kurz gesprungen.<br />
Individualisierung erfordert, dass<br />
Kinder eigene Lernwege finden und<br />
gehen, dass sie Lernstrategien und Arbeitstechniken<br />
erwerben.<br />
Im Sachunterricht lernen die Kinder,<br />
Tiere oder das Wachsen von Pflanzen<br />
genau zu beobachten, ihr Aussehen<br />
zu betrachten, sie erwerben Konzepte<br />
dafür, was hier »genau« heißt, und<br />
Methoden, wie man beobachtet oder<br />
betrachtet und wie man das Gesehene<br />
in einer Skizze, in einer Tabelle, in kleinen<br />
Texten festhält. Sie lernen, wie sie<br />
Beobachtetes, Erkanntes auch anderen<br />
Kindern erklären können, wie sie<br />
Themen, bei denen sie Experten sind,<br />
anderen nahe bringen (eigene Hobbys,<br />
persönliche Interessengebiete, ein zu<br />
Ende gelesenes Buch). Durch Erfahrung,<br />
Reflexion und Training erwerben<br />
sie Vortrags-Methoden, nämlich andere<br />
für ihr Thema zu interessieren, frei<br />
zu sprechen, zu visualisieren. Was sie<br />
z. B. am Thema Bohnen wachsen oder<br />
Schnecken oder Frühblüher an Arbeitsweisen<br />
und Lernmethoden erworben<br />
haben, können sie bei weiteren Themen<br />
anwenden und weiterentwickeln,<br />
auch bei Interesse gebundenen individuellen<br />
Themen, bei denen sie besondere<br />
Experten sind.<br />
Zum Lesen wählen die Kinder ihren<br />
individuellen Lesestoff und reflektieren<br />
das Gelesene in ihrem Lesetagebuch.<br />
Hierzu werden wieder durch Erfahrung<br />
und Reflexion Möglichkeiten mit den<br />
Kindern entwickelt und probiert, wie<br />
ein Lesetagebuch als Dokument der<br />
individuellen Auseinandersetzung mit<br />
einem Buch gestaltet werden kann –<br />
Inhalt und Meinungen trennen, Briefe<br />
an eine Person im Buch schreiben, alternative<br />
Handlungsweisen skizzieren<br />
oder in einem eigenen Text ausarbeiten,<br />
Fragen an die Autorin überlegen<br />
und aufschreiben …<br />
Für das Rechtschreiben lernen Kinder<br />
Übungsweisen und Methoden,<br />
mit denen sie eigenständig Wörter<br />
Individualisierung im Sach- und Deutschunterricht:<br />
Pflanzen genau beobachten, individuellen Lesestoff wählen<br />
und im Lesetagebuch reflektieren, Lieblings buch vorstellen<br />
und beim Präsentieren von Hobbys Spezialkenntnisse einbringen<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008<br />
11
Thema: Selbstständig lernen<br />
Rechtschreib-<br />
Gespräche …<br />
üben, die für ihre eigenen Texte wichtig<br />
sind: methodisch klug abschreiben,<br />
verwandte Wörter finden, den Wortstamm<br />
identifizieren, Schreibweisen<br />
begründen (warum schreibt man Fahrrad<br />
mit ah, mit zwei r und am Ende mit<br />
d?). Dabei werden die eigenen Wörter<br />
auch zu Modellen (z. B. Fahrrad als Modell<br />
für Wörter, bei denen man am Ende<br />
d schreibt, aber t spricht).<br />
Für ein Portfolio wählt das Kind eigene<br />
Arbeiten aus, begründet die Auswahl,<br />
stellt das Portfolio anderen vor:<br />
besonders gelungene Arbeitsdokumente<br />
oder Arbeiten zu einem für das<br />
Kind wichtigen Thema oder Arbeiten,<br />
an denen es besonders intensiv gearbeitet<br />
hat.<br />
Immer also geht es um Aufgaben,<br />
die Kinder in ihrem Lernbewusstsein<br />
stärken und ihre Selbstständigkeit<br />
fördern. Das aber erfordert, dass Arbeitsmethoden,<br />
Strategien, die Kinder<br />
bereits besitzen, beobachtet und dass<br />
weitere vermittelt werden, dass sie geübt<br />
und angewendet werden. Lehrergeleiteter<br />
und kindgeleiteter Unterricht<br />
spielen zusammen mit der ständigen<br />
Perspektive, die Lehrerleitung zurückzunehmen,<br />
die Kindleitung zu stärken.<br />
Die Themen und Lernmethoden<br />
sind mithin das Entscheidende, ihnen<br />
haben sich die Materialien immer unterzuordnen.<br />
Wenn sie dominieren, wie<br />
im Märchenbeispiel oben, dann läuft<br />
der Unterricht falsch, dann werden die<br />
Kinder um die Chance der Selbstständigkeits-Förderung<br />
gebracht.<br />
Märchen-Werkstatt. Manche nennen<br />
dies auch freie Arbeit.<br />
Diese reformpädagogischen Arbeitsformen<br />
erhalten ihren Sinn aber<br />
erst von einem Unterricht, der die<br />
Selbstständigkeit der Kinder fördert.<br />
Selbstständiges Lernen beginnt bei der<br />
Planung und der Beschaffung der Materialien.<br />
Bei jeder Werkstatt, bei allen<br />
Stationen, bei freier Arbeit planen die<br />
Kinder mit, worüber sie arbeiten können<br />
und wie sie an Material kommen.<br />
Auch dazu müssen sie Arbeitsweisen<br />
und Möglichkeiten, wie welches Material<br />
zu beschaffen ist, kennen. Schon<br />
Schulanfänger können ein Repertoire<br />
lernen, mit dem solche Arbeiten überlegt<br />
werden: zum Thema lesen, schreiben,<br />
malen, kneten, etwas bauen. Die<br />
Lehrerin ergänzt die Vorschläge der<br />
Kinder durch weitere Aufgaben. Wo die<br />
Kinder lediglich Vorgefertigtes abarbeiten,<br />
gleich ob dies auf zehn oder auf<br />
dreißig Arbeitsblättern oder Aufgaben<br />
angeboten wird, ob auf Stationen verteilt<br />
oder im Wochenplan vermerkt, da<br />
sind die reformpädagogischen Begriffe<br />
missbräuchlich verwendet, da wird Etikettenschwindel<br />
betrieben.<br />
Gemeinsamkeit des Lernens:<br />
Lernen die Kinder miteinander und<br />
voneinander?<br />
Ein weiteres Missverständnis beim<br />
Prinzip der Individualisierung ist dies:<br />
Aus dem diagnostischen Befund der<br />
Verschiedenheit wird die didaktische<br />
Konsequenz gezogen, dass jedes Kind<br />
individuell und alleine lernt. Nach<br />
diesem Prinzip sind viele Materialien<br />
aufgebaut. Eine weit verbreitete Rechtschreibkartei<br />
zum Beispiel folgt diesem<br />
Weg: Jedes Kind arbeitet die Aufgaben<br />
auf den Karteikarten in Alleinarbeit ab.<br />
Aber schon beim Rechtschreiblernen<br />
verkürzt die Vereinzelung die didaktischen<br />
Möglichkeiten und bringt die<br />
Kinder um notwendige Anregungen<br />
und Lernchancen: Lernmethoden können<br />
mit den Kindern gemeinsam ausprobiert<br />
werden: Wie merkt man sich<br />
ein Wort am besten? Ein Repertoire<br />
kann entstehen: ein Wort flüsternd<br />
lesen, in Silben lesen, blind mit dem<br />
Finger schreiben, schwierige Stellen<br />
ausmachen und markieren, Schreibweisen<br />
begründen. Nicht alles passt<br />
bei jedem Wort und nicht alles passt<br />
zu jedem Kind. Und was an einem Wort<br />
schwierig ist, kann individuell sehr<br />
unterschiedlich sein. Das kann miteinander<br />
besprochen werden. Es führt zu<br />
methodischem Bewusstsein und zu individuellen<br />
Präferenzen beim eigenen<br />
Üben.<br />
Überhaupt: schwierige Stellen.<br />
Was ist denn bei Wörtern wie Fahrrad<br />
oder Schiedsrichter schwierig? Solche<br />
»schweren Brocken« können den<br />
Kindern diktiert werden, die Kinder<br />
vergleichen ihre Schreibweisen und<br />
suchen nach Begründungen. Wie steht<br />
das Wort im Wörterbuch? Warum soll<br />
es wohl so geschrieben werden? Rechtschreibgespräche<br />
wird dies in der modernen<br />
Didaktik genannt.<br />
Individuelles Lernen ist auf gemeinsames<br />
Lernen angewiesen: Hier<br />
üben die Kinder, ihre Lernwege und<br />
ihre Lern erfahrungen mit den Stolperstellen<br />
und den Erfolgen zu versprachlichen<br />
und damit zu reflektieren, aus<br />
den Reaktionen anderer Kinder und aus<br />
deren Erfahrungen Gewinn zu ziehen.<br />
… und Arbeit an eigenen Texten<br />
Gerne werden heute Arbeitsformen<br />
wie Werkstattunterricht, Stationenbetrieb<br />
oder Wochenplanarbeit gewählt,<br />
wobei dann häufig vorgefertigte Arbeitsmaterialien<br />
im Klassenraum ausliegen,<br />
wie beim Eingangsbeispiel der<br />
12 GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008
Thema: Selbstständig lernen<br />
Beim gemeinsamen Lernen wird möglich,<br />
Lernmethoden miteinander zu gewinnen,<br />
sie zu erproben, ein Repertoire<br />
zu entwickeln. Nur gemeinsam können<br />
das Leben und Lernen in der Klasse<br />
miteinander geplant, realisiert und<br />
bedacht werden. »Vielfalt und Gemeinsamkeit«<br />
lautete denn auch das Motto<br />
des Bundesgrundschul-Kongresses<br />
1999, bei dem der Grundschulverband<br />
diese Zusammenhänge in den Mittelpunkt<br />
stellte.<br />
Am Beispiel der Rechtschreibkartei<br />
oben wurde schon deutlich, wie gegen<br />
diesen Zusammenhang verstoßen<br />
wird. Im Zuge der besonderen Beachtung<br />
von Lesekompetenz sind Arbeitsblatt-Konvolute<br />
und Karteien entstanden,<br />
die auch hier individuelles Lernen<br />
ohne Kommunikation über Gelesenes<br />
realisieren lassen. Verstärkt wird diese<br />
Reduktion des Lesens auf Vereinzelung<br />
durch die landesweiten Tests und im<br />
Gefolge durch Materialien wie: »Fit für<br />
Vergleichsarbeiten« oder ähnlich, die<br />
häufig den schlichten Aufgabenmustern<br />
der Tests folgen. Dabei ist Lese-<br />
Kommunikation eine entscheidende<br />
Aufgabe aller Leseförderung und eine<br />
unverzichtbare Dimension der Lesekompetenz:<br />
sich über Lesemotive und<br />
über Gelesenes miteinander austauschen,<br />
unterschiedliche Sichtweisen<br />
miteinander abgleichen, Neugier auf<br />
und Toleranz über unterschiedliche Interpretationen<br />
entwickeln, mit Texten<br />
miteinander handelnd umgehen und<br />
darüber kommunizieren.<br />
Auch die Klassenräume spiegeln<br />
Unterrichtskonzepte. Der perfekt eingerichtete<br />
Klassenraum, den die Kinder<br />
von Anfang an mit Materialien zur Differenzierung<br />
vorfinden, passt zu einem<br />
lehrergesteuerten Unterricht, auch<br />
wenn der Klassenblock des Frontalunterrichts<br />
zugunsten differenzierter<br />
Formen aufgehoben ist. Ein solcher<br />
Klassenraum bietet keine Chancen, ihn<br />
gemeinsam zu gestalten, ihn als wechselndes<br />
Spiegelbild gemeinsamer und<br />
differenzierter Arbeit wiederzuerkennen,<br />
ausgestattet mit Arbeitsmitteln,<br />
die zum Teil durch die Kinder und mit<br />
den Kindern entstanden sind. Gemeinsamkeit<br />
entpuppt sich oft als Nebeneinanderher-Lernen,<br />
soziales Lernen<br />
beschränkt sich auf Rücksichtnehmen<br />
und gelegentliches Helfen. Das vielfältige<br />
Anregungspotential der anderen<br />
Kinder liegt brach und Erfahrungen<br />
fehlen, dass eigene Anstrengungen zur<br />
gemeinsamen Arbeit beitragen.<br />
Anders beim Blick in diese Klasse:<br />
Bei einem gemeinsamen Unterrichtsthema<br />
»Unsere Sinne« erarbeiteten die<br />
Kinder einen Sehtest, ein Riechmuseum,<br />
eine Tastkiste, eine Tastwand mit<br />
Fundstücken aus dem Wald und anderes<br />
mehr. Diese Arbeitsergebnisse<br />
wurden im Klassenraum und auf dem<br />
Flur ausgestellt, sie bildeten nun Stationen,<br />
an denen andere Kinder ihre<br />
Sinne erproben konnten. Bei jeder<br />
Station half ein Kind aus der Gruppe,<br />
die diese Station erarbeitet hatte, als<br />
Helfer oder Experte. Dieses Kind war<br />
zugleich Berichterstatter, weil es die<br />
Erfahrungen der anderen Kinder in die<br />
eigene Gruppenarbeit zurückbrachte<br />
und hier an der Station optimierend<br />
weiter gearbeitet werden konnte. Hier<br />
lernten die Kinder nicht nebeneinander,<br />
sondern miteinander und voneinander,<br />
um im Wortspiel zu bleiben:<br />
auch füreinander.<br />
Zum Schreiben wurde in den letzten<br />
zwanzig Jahren das Konzept der<br />
Schreibkonferenzen entwickelt. Die<br />
Autorin oder der Autor eines Textes<br />
sucht sich zwei oder drei Beraterkinder.<br />
Sie lesen den Text oder bekommen<br />
ihn vorgelesen und sagen, was ihnen<br />
gefällt, was nicht. Sie geben Rat, was<br />
sie überarbeiten würden. Dieser schülergesteuerte<br />
Teil des Unterrichts ist<br />
aber nur der eine Strang. Er muss durch<br />
fachgerechte Erarbeitung von Kriterien<br />
ergänzt werden. Diese Arbeit erwächst<br />
aus den Schreibkonferenzen und wirkt<br />
wieder in sie zurück. Die Lehrerin beobachtet<br />
die Konferenzen, greift Überarbeitungspunkte<br />
heraus, die häufiger<br />
eine Rolle spielen, aber auch solche,<br />
die von den Kindern gar nicht entdeckt<br />
werden – Satzanfänge mit Umstellproben,<br />
sprachliche Mittel wie Adjektivlisten<br />
und Wortfelder, Schreibideen.<br />
Solche Aspekte werden in Gruppen<br />
oder mit der Klasse erarbeitet, mit Beispielen<br />
aus den Schreibkonferenzen<br />
und Texten der Kinder bestückt und<br />
in einem Schreibwerkstatt-Ordner gesammelt.<br />
Er ist Arbeitsgrundlage für<br />
die Beratung in Schreibkonferenzen<br />
und für Überarbeitungen.<br />
Überhaupt wird ein Unterricht, der<br />
die Differenzierung in der Gemeinsamkeit<br />
pflegt, vielfältige Lernanregungen<br />
aus gemeinsamer Arbeit gewinnen und<br />
in sie wieder zurückführen können:<br />
Im täglichen Morgenkreis erzählen<br />
die Kinder frei und assoziativ, was sie<br />
bewegt. Aus solchen Gesprächen können<br />
Aufgaben für Einzelne oder für<br />
die Gruppe erwachsen: Interessante<br />
Geschichten kommen ins Klassentagebuch.<br />
Die Nachricht eines Jungen, der<br />
am Tag vorher eine Judo-Prüfung bestanden<br />
hatte, führte zu Nachfragen.<br />
Hieraus erwuchs das Unterrichtsthema:<br />
Unsere Hobbys.<br />
Im Planungskreis wird das Unterrichtsthema<br />
geplant. Zum Thema<br />
»Wetter« sammelten die Kinder zum<br />
Beispiel Fragen, brachten Material mit,<br />
entwickelten Ideen für Wetterprotokolle<br />
und Wetterstationen.<br />
In der Versammlung werden Arbeitsergebnisse,<br />
selbst geschriebene<br />
Das Unterrichtsthema<br />
»Unsere<br />
Sinne« wird mit<br />
einfachen Mitteln<br />
zu einer nachhaltigen<br />
Erfahrung<br />
für die Kinder<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008<br />
13
Thema: Selbstständig lernen<br />
Texte, interessante Textfunde vorgestellt.<br />
Im Klassenrat werden alle Probleme<br />
des Lernens und des Miteinanderlebens<br />
in der Klasse und Schule besprochen<br />
und nach Möglichkeit geregelt.<br />
Beim Lerngespräch sprechen die<br />
Kinder in der Klasse oder in der Gruppe<br />
über Lernentwicklungen und zukünftige<br />
Vorhaben.<br />
»Wer die Geschichte zuletzt erzählt<br />
hat, dem ist der Mund noch warm<br />
davon …«<br />
Wie anders als im Eingangsbeispiel<br />
kann eine Märchen-Werkstatt gestaltet<br />
werden, die diesen Namen auch verdient.<br />
Einstieg in das Thema Märchen<br />
bietet insbesondere eine Erzählsituation:<br />
Die Lehrerin erzählt den Kindern<br />
ein Märchen, ersatzweise: sie liest es<br />
ihnen vor. Die Situation ist anheimelnd<br />
gestaltet, einige Utensilien für dieses<br />
Märchen werden ausgelegt. Die Kinder<br />
berichten dann, was sie von Märchen<br />
schon wissen, sie bringen Bücher, Kassetten,<br />
Plüschtiere, Glanzbilder, auch<br />
Karnevals-Kostümierungen mit. Die<br />
Lehrerin ergänzt die Materialien, ein<br />
Besuch in der Stadtteilbücherei erbringt<br />
eine gefüllte Bücherkiste. Das<br />
Material wird in der Klasse ausgestellt.<br />
Verschiedene Angebote entstehen:<br />
Märchen lesen oder hören, ein Lieblingsmärchen<br />
aussuchen, dazu eine<br />
Bilderfolge malen, Szenen aus Märchen<br />
in einem Schuhkarton gestalten, Märchen<br />
erzählen, ein Märchen-Lexikon<br />
anlegen. Die schon eingeführte Methode<br />
des geselligen Erzählens mit Erzählkarten<br />
und Gegenständen wird angewendet,<br />
wenn die Kinder allein oder<br />
mit einem Partner ein Märchen erzählen.<br />
Die Lehrerin sammelt mit den Kindern<br />
im Zuge der Märchenerzählungen<br />
Anfänge, Figuren, Orte, Gegenstände,<br />
Sprüche, Märchensätze, Märchenwörter,<br />
Schluss-Sätze. Schließlich forschen<br />
die Kinder in weiteren Märchen nach<br />
Ergänzungen zu dieser Sammlung.<br />
Die Ideen eines Märchennachmittags<br />
mit den Eltern und eines neuen<br />
Märchenbuchs mit eigenen Märchen<br />
werden entwickelt und durchdacht. Für<br />
eigene Märchen sind die gesammelten<br />
Elemente von Märchen hilfreich: Sie<br />
werden auf Kärtchen geschrieben und<br />
in Kartons sortiert, die Kinder ziehen<br />
Kärtchen und lassen sich dadurch zu<br />
eigenen Märchen anregen. Schreibkonferenzen<br />
helfen bei der Beratung und<br />
Überarbeitung. Aus besonders schön<br />
gestalteten Büchern gucken die Kinder<br />
ab, wie die Schrift und die Illustrationen<br />
gestaltet sind.<br />
Während der Unterrichtseinheit<br />
sammeln die Kinder märchenhafte<br />
Ausdrücke, übersetzen alte Sprache in<br />
heutige Sprache, einige Kinder stellen<br />
daraus ein Märchen-Abc zusammen;<br />
wichtige und schwierige Wörter bei<br />
den eigenen Märchen üben die Kinder<br />
mit den bekannten Übungsmethoden<br />
rechtschriftlich, an den Modellwörtern<br />
verzaubern, verwandeln, verirren üben<br />
sie Wörter mit dem Präfix ver- und vergleichen<br />
die Verben mit und ohne verinhaltlich.<br />
Beim Märchennachmittag ist der<br />
Klassenraum märchenhaft dekoriert,<br />
lädt eine Ausstellung mit Märchen in<br />
Schuhkartons, mit Bilderfolgen und<br />
anderem die Eltern zum Anschauen<br />
ein, lesen die Kinder eigene Märchen<br />
vor und zeigen Bilder dazu, vielleicht<br />
auch als Schattenspiel am Projektor,<br />
eine Gruppe führt ein Märchenquiz<br />
durch.<br />
Für diesen Unterricht sind keine<br />
vorgefertigten Kopiervorlagen erforderlich.<br />
Die Kinder beteiligen sich an<br />
der Beschaffung der Materialien, an<br />
ihrer Auswertung und an der Planung<br />
der beiden Projekte, dem Veröffentlichungsprojekt<br />
Märchenbuch und<br />
dem Veranstaltungsprojekt Elternnachmittag.<br />
Am Ende trug jedes Kind<br />
mit seinen Möglichkeiten und seinen<br />
Interessen zu den gelungenen Ergebnissen<br />
bei.<br />
Die Schule auf Entwicklungsweg<br />
Die <strong>Grundschule</strong> ist vermutlich am<br />
weitesten in der Entwicklung neuer<br />
Lernformen, die selbstständiges Lernen<br />
begünstigen und fördern. Allerdings<br />
ist auch unverkennbar, dass die<br />
Wege nicht immer Entwicklungswege<br />
sind. Es gibt Irrwege:<br />
■ wenn die Schule schon zufrieden<br />
ist, dass die Kinder beschäftigt sind,<br />
und dazu Arbeitsblätter und Materialien<br />
herabregnen lässt, die von den<br />
Kindern abgearbeitet werden müssen.<br />
Aktivismus ist aber keine qualifizierende<br />
Lernarbeit.<br />
■ wenn im anderen Extrem die Lehrerinnen<br />
und Lehrer sich aus der Verantwortung<br />
ziehen. Lehrerseminare<br />
sprechen dann gerne von Lerngelegenheiten<br />
statt von Lehrzielen; Fortbildner<br />
von »professionellem Nichtstun«;<br />
Extrem-Reformer davon, dass Kinder<br />
die Verantwortung für ihre Bildung<br />
selbst übernehmen sollen. Viele Kinder<br />
werden dabei allein gelassen und ihnen<br />
wird letztlich die Schuld für »versäumte<br />
Lektionen« aufgebürdet. Lehrerinnen<br />
und Lehrer können ihre Verantwortung<br />
aber nicht ablegen.<br />
Und es gibt Etikettenschwindel:<br />
■ wenn das Auslegen und Abarbeiten<br />
von vorgefertigten Materialien als<br />
Werkstatt bezeichnet wird oder wenn<br />
die Wahl der Reihenfolge in der Bearbeitung<br />
vorgegebener Aufgaben als<br />
freie Arbeit firmiert. Werkstatt und<br />
Freie Arbeit sind anspruchsvolle didaktische<br />
Konzepte mit Entwicklungsstufen<br />
und der steten Perspektive von<br />
selbstständigem Lernen der Kinder.<br />
Gelungene innovative Entwicklungswege<br />
zeichnen sich dadurch aus, dass<br />
auf die beiden Leitfragen eine positive<br />
Antwort gegeben werden kann:<br />
■ Werden die Kinder selbstständiger?<br />
■ Wird individuelles Arbeiten in die<br />
Gemeinsamkeit des Lebens und Lernens<br />
eingebunden?<br />
Solchermaßen gelingende Entwicklungswege<br />
haben nichts mit<br />
Schmuseschule, nichts mit Schule der<br />
Beliebigkeit, nichts mit Arbeitsblattfetischismus<br />
oder Wühltisch-Didaktik<br />
zu tun. Sie sind vielmehr für Schulen,<br />
Kinder wie Lehrerinnen, ein anspruchsvolles<br />
pädagogisches Programm, bei<br />
dem Kinder Schlüsselqualifikationen<br />
für Selbstständigkeit wie Lernkompetenz<br />
und Teamfähigkeit erwerben. Insbesondere<br />
erfahren sie dabei, dass ihr<br />
Lernen in der Institution Schule für sie<br />
selbst belangvoll ist. Dies wiederum ist<br />
die vermutlich wichtigste Erfahrung.<br />
Ausgewählte Literatur<br />
des Grundschulverbandes<br />
Bartnitzky, H. / Speck-Hamdan (Hrsg.):<br />
Leistungen der Kinder wahrnehmen –<br />
würdigen – fördern (2004)<br />
Drews, U. / Wallrabenstein, W. (Hrsg.):<br />
Freiarbeit in der <strong>Grundschule</strong> (2002)<br />
Scherer P. / Böning, D. (Hrsg.): Mathematik<br />
für Kinder – Mathematik von Kindern (2004)<br />
Schmitt, R. (Hrsg.): <strong>Grundschule</strong> – Schule der<br />
Vielfalt und Gemeinsamkeit. (2001)<br />
Valtin, R. (Hrsg.): Rechtschreiben lernen in<br />
den Klasse 1 – 6 (2000)<br />
14 GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008
Praxis: Selbstständig lernen<br />
Kinder sind kompetente Lerner<br />
»Jedes Kind will lernen«<br />
Anton (4.) hat heute alle Zugangscodes<br />
zu den Lernwerkstätten im Netzwerk<br />
der Schule verändert – ärgern oder<br />
staunen? Laura und Lisi (2. und 1.)<br />
spielen vor der Dichterlesung eine Partie<br />
Schach im Schulleiterzimmer. Die<br />
Schulversammlung beschließt, »dass<br />
heute alle Kinder nett zu Kevin sind«.<br />
Er soll mitbekommen, dass alle ihn<br />
mögen. Andreas (3.) programmiert gerade<br />
ein eigenes Spiel mit dem Powerpointprogramm.<br />
Kristina (2.) sitzt mit<br />
vier Kindern im Gesprächskreis. Kristina<br />
ist sauer …, aber sie klären es. Vera,<br />
unsere frisch examinierte Lehramtsanwärterin,<br />
sitzt gerade mit einer Klasse<br />
zusammen und sie üben ein Lied für<br />
ein Theaterstück, dass sie aus dem<br />
Buch »Du bist einmalig« entwickeln.<br />
Isabell (4.) arbeitet im Mathebuch, Till-<br />
Joscha (4.) hält heute einen Vortrag<br />
über Emissionswerte, Georgina über<br />
»Harry Potter«, Max (3.) über die Götter<br />
Ägyptens. Michel (1.) will nähen, weiß<br />
aber nicht was. Hatice (3.) hat gerade<br />
den Gottesdienst des evangelischen<br />
Pfarrers im Forum der Schule besucht.<br />
Timo (2.) hat beim Experimentieren die<br />
Anleitung nicht richtig gelesen, ihm ist<br />
die Mischung aus Essig und Backpulver<br />
ins Gesicht geflogen. Perla (4.) und Jan,<br />
9. Klasse Hauptschule, ein ehemaliger<br />
Schüler und Praktikant, schreiben eine<br />
Geschichte, in der sich Momo und der<br />
kleine Prinz begegnen. Jakob (3.) und<br />
Gizem (4.) schreiben am Drehbuch für<br />
den neuen Piratenfilm. Carlo (1.) sitzt<br />
im Förderraum und schreibt mit der<br />
Hilfe der Anlauttabelle und der Lehrerin<br />
seine eigenen Wörter. Elisabeth redet<br />
mit Jonathan (beide 4.), sie ist jetzt<br />
Chefredakteurin der Schulzeitung, die<br />
nur von Kindern gemacht wird. Daniel<br />
(1.) steht rum und weiß nicht, was er<br />
tun will. Reyhan (3.) geht gerade durch<br />
den Flur und rezitiert Goethe: »Walle,<br />
walle, manche Strecke, dass, zum …«,<br />
Leon (4.) spielte schon im zweiten<br />
Schuljahr die E-Gitarre in der Schulband<br />
und ist überhaupt nicht mit dem<br />
neuen Stück einverstanden, … so und<br />
noch auf viele andere Arten und Weisen<br />
arbeiten 180 Kinder an vollkommen<br />
verschiedenen Enden und Ecken, Zielen<br />
und Problemen.<br />
Lennart (4.) erklärt einer Professorin<br />
über das Selbstentscheiden der Kinder<br />
beim eigenen Lernen: »Es darf erst gar<br />
nicht dazu kommen, dass ein Kind sich<br />
dazu entscheidet nicht lernen zu wollen.<br />
Man muss den Hintergrund so attraktiv<br />
machen, dass jedes Kind lernen<br />
will.«<br />
Was ist das für ein »Hintergrund«?<br />
»Wir begriffen, den Kindern<br />
die Verantwortung für ihr<br />
Lernen zurückzugeben«<br />
Vor zwölf Jahren begann unsere Schule<br />
mit der heutigen Form ihrer Arbeit. Wir<br />
begannen damit, dass wir nicht mehr<br />
die offenen Lehrinhalte der Lehrpläne<br />
und Lehrpersonen lehrten. Die Kinder<br />
begannen zu lernen ihre Lerninhalte<br />
als ihre eigenen Lernpläne selbst zu organisieren.<br />
Wir, die Lehrkräfte, begannen<br />
zu lernen, die Kinder lernen zu lassen<br />
und wie wir lehren konnten, ohne<br />
zu zwingen. Wir begriffen, den Kindern<br />
die Verantwortung für ihr Lernen zurückzugeben<br />
und die Verantwortung<br />
für das eigene Können und die eigene<br />
Bildung zu übernehmen. Wir begannen<br />
dem eigenem Anspruch einer demokratischen<br />
Lehrerin gerecht zu werden<br />
und einen Lernort zu pflegen, der auf<br />
einem hohen Gesamtniveau jedes Kind<br />
von<br />
Walter Hövel<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008<br />
15
Praxis: Selbstständig lernen<br />
Schulforum:<br />
die eigenen<br />
Angelegenheiten<br />
zur Sprache<br />
bringen<br />
auf seinem Niveau erreicht, mitnimmt<br />
und selbst zum Gestalter der eigenen<br />
kompetenten Lernerpersönlichkeit<br />
werden lässt. Es entstand das Leitbild<br />
der Leistungsfreude gegen die Pflicht<br />
zum Leistungsdruck!<br />
Wir gebrauchten Begriffe wie<br />
Selbst organisation des Lernens, Selbstbestimmung<br />
der Lerninhalte, Selbstbewusstsein<br />
als Lerner, Selbstwertgefühl<br />
als lernender Mensch.<br />
Wie dachten mit den lernenden Kindern<br />
nach, über Selbstreflexion, Selbstdisziplin,<br />
sich selbst verantwortende<br />
Schule, Verbindlichkeit in der Kooperation<br />
und demokratische Kommunikation<br />
in der Zusammenarbeit der ganzen<br />
lernenden Schulgemeinde.<br />
In den letzten Jahren kommen<br />
unsere Gespräche und unsere Arbeit<br />
immer wieder beim Begriff der »Kompetenz«<br />
an. Es ist kein neues Wort für<br />
Fähigkeiten und Fertigkeiten, sondern<br />
es ist die integrierte Gesamtheit der<br />
individuellen Persönlichkeitsentwicklung,<br />
der Entwicklung der Lernerpersönlichkeit<br />
und einer demokratisch<br />
sich entwickelnden Gemeinschaft von<br />
Lernern, die unter Einschluss von Kindern,<br />
LehrerInnen, Eltern, Schulträgern<br />
und anderen gesellschaftlichen Partnern<br />
wiederum Schule genannt wird.<br />
Wir verstehen Kompetenz nicht als<br />
vorgegebene Normen, die von Fächern,<br />
Checklisten oder Lernzielen ausgehen,<br />
sondern als die Vielfalt und den Reichtum<br />
der individuellen Entwicklung der<br />
Kompetenzen jeder einzelnen Lernerpersönlichkeit.<br />
»Die Kinder lernen in<br />
einem von ihnen gestalteten<br />
Spiralcurriculum«<br />
Wie funktioniert nun eine Schule,<br />
die auf Kompetenzbildung auf allen<br />
Ebenen aus ist? Es gibt keine lehrergemachten<br />
Wochenpläne, Schulbücher<br />
oder Arbeitsblätter für alle, keine<br />
lehrergemachten schriftlichen oder<br />
mündlichen Vorgaben oder Pensenbücher.<br />
Jeden Morgen trifft sich jede »Klasse«,<br />
es sind eigentlich Lerngruppen<br />
vom ersten bis zum vierten Schuljahr,<br />
oft auch hospitierende 0-Klässler aus<br />
den Kindergärten, im Kreis. Dieser<br />
Klassenrat beschließt jeden Tag, was<br />
jeder Einzelne, die gesamte Klasse oder<br />
Gruppen oder Teams, oft auch mit Kindern<br />
anderer Klassen gebildet, arbeiten<br />
werden. Jeden Morgen stellt jedes Kind<br />
seine selbst gewählten Themen, Informationsquellen,<br />
Materialien, Arbeitsund<br />
Darstellungstechniken vor. Sie zeigen<br />
auf, mit welchen Problemen, mit<br />
welchen Zielen, in welcher Zeit, mit<br />
welchen Partnern sie sich auseinandersetzen<br />
wollen. Nach dem Kreis arbeiten<br />
sie in der Regel den ganzen Tag in allen<br />
(!) Räumen der Schule, bei warmem<br />
Wetter auch draußen in einem entsprechend<br />
gestalteten Schulgelände.<br />
Die Schule öffnet am Morgen um<br />
7 Uhr, die Lehrerinnen und Lehrer<br />
starten um 7.20 Uhr mit einer viertelstündigen<br />
Morgenkonferenz. Um<br />
8 Uhr sitzen alle in ihren Kreisen in den<br />
Klassenräumen. Die einzige Pause am<br />
Morgen ist um 10 Uhr und dauert bis<br />
10.45 Uhr. Der zweite Teil des Morgens<br />
geht bis 12.30 Uhr. Die Kinder der FLIEG<br />
(Feste Langzeit in einer Gruppe), die in<br />
Betreuung zweier Lehrerinnen und einer<br />
Betreuerin maximal bis 15.30 Uhr<br />
in der Schule bleiben, treffen sich zum<br />
Essen; andere gehen in verschiedene<br />
Arbeitsgruppen bis 13.15 Uhr, die von<br />
Lehrerinnen, Kindern oder Eltern und<br />
Großeltern angeboten werden. Danach<br />
gibt es täglich mindestens eine<br />
Arbeitsgruppe, die zuerst den Kindern<br />
der FLIEG, aber auch anderen Kindern<br />
offen steht.<br />
Als einziges Fachstundenplanelement<br />
gibt es den Sportunterricht, zu<br />
dem wir mangels einer eigenen Halle<br />
immer mit zwei Klassen fahren. Es gibt<br />
Religionsangebote, Themenplanungsund<br />
Reflexionsgruppen von zwei oder<br />
16 GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008
Praxis: Selbstständig lernen<br />
drei Klassen, Großgruppentreffen aller<br />
Kinder und Lehrerinnen und Lehrer<br />
und immer wieder Arbeitsgruppen<br />
von und mit Lehrern, Eltern, Kindern<br />
und geladenen Gästen aus Schulen,<br />
Universitäten, Institutionen und dem<br />
örtlichen Kultur- und Vereinsleben. Alle<br />
14 Tage findet die Schulversammlung<br />
statt, die immer von Kindern vorbereitet<br />
wird. Sie ist eine Kombination aus<br />
der Präsentation der Arbeit der Kinder<br />
und der Beschlussfassung über das<br />
Zusammenleben und -lernen in der<br />
<strong>Grundschule</strong> Harmonie. Die Woche<br />
beginnt am Montag um 8 Uhr mit einer<br />
Versammlung aller Menschen unserer<br />
Schule, in deren Mittelpunkt das<br />
Schulprogramm der Woche, also alle<br />
über die Klassen hinaus relevanten Ereignisse<br />
der Schule von Kindern und<br />
Erwachsenen vorgestellt werden.<br />
So lernen unsere Kinder montags,<br />
dienstags, donnerstags und freitags<br />
ihr eigenes Lernenlernen. Dieser Weg<br />
ist, gerade in einer staatlichen Schule,<br />
in einer teilweise auch schwierigen<br />
sozialen Umgebung, unter nicht privilegierten<br />
Bedingungen erfolgreich.<br />
Die Kinder lernen in einem von ihnen<br />
selbst gestalteten Spiralcurriculum.<br />
»Es geht darum,<br />
dass Kinder Erwachsenen<br />
begegnen können«<br />
Der Mittwoch ist ein anderer Tag. Wir<br />
nennen ihn »Kinderuniversität«. Dieser<br />
Tag beginnt mit einem halbstündigen<br />
Treffen im Kreis der Klasse. Um 8.30 bis<br />
10 Uhr sind Seminare und Vorlesungen.<br />
Von 10.45 Uhr bis 12.30 sind Englischseminare<br />
für alle und danach findet<br />
außer FLIEG nur noch das Kinderparlament<br />
statt.<br />
Diese »Kinderuniversität« hat zumindest<br />
drei Ursprünge. Erst einmal ist<br />
es der Ärger darüber, dass jährlich das<br />
»beste Kind« jeder Schule von Banken,<br />
Industrie und Schulamt zu einer »Kinderuni<br />
für Hochbegabte« eingeladen<br />
wird. Jürgen Reichen sagte einmal: »In<br />
jeder Klasse sind mindestens zwei Kinder,<br />
die intelligenter sind als ich!« Also<br />
muss es mehr »Hoch«intelligente geben<br />
und wenn man intelligent darüber<br />
nachdenkt, müsste klar werden, dass<br />
jeder Mensch intelligent ist, nur eben<br />
anders! Und damit kommt man da<br />
an, wo auch der Hochbegabungsfilm<br />
»Homo sapiens sapiens« von BMW an-<br />
Lernkompetenzspirale<br />
des selbst organisierten<br />
Lernens 1<br />
Lebenskompetenz<br />
Lernenlernkompetenz<br />
demokratische Kompetenz – fachliche Kompetenz<br />
Medienkompetenz – schulische Kompetenz – Arbeitskompetenz<br />
personale Kompetenzen – soziale Kompetenz – kulturelle Kompetenz<br />
Beziehungskompetenz – ästhetische Kompetenz – emotionale Kompetenzen<br />
Sprachkompetenz – Konfliktkompetenz – Methodenkompetenz – Wissenskompetenz<br />
Kommunikationskompetenz – Teamkompetenz – Leistungskompetenz – Wahrnehmungskompetenz<br />
kommt, nämlich bei der »Hochbegabtenförderung<br />
auf Verdacht«. Und damit<br />
ist man bei der Freinetpädagogik oder<br />
beim Landesschulgesetz in NRW, das<br />
jedem Schüler das Recht auf individuelle<br />
Förderung gibt. Da wir keine Universität<br />
fanden, die über ein Seminar<br />
oder eine andere Einrichtung an unserer<br />
Schule einmal in der Woche eine<br />
Uni für Kinder anbieten wollte, haben<br />
wir es selbst getan.<br />
Das offene Lernen, wie wir es pflegen,<br />
braucht das Öffnen der Tore des<br />
Wissens der Welt, der Natur, der Gesellschaft<br />
und seiner Medien, wie auch<br />
die Strategien der Lernenden, die ihnen<br />
das Öffnen der richtigen Türen erlaubt.<br />
Das offene Lernen soll sie befähigen<br />
Informationen zu finden, zu sammeln,<br />
zu unterscheiden, zu relativieren, zu<br />
bewerten, sie für ihre Zwecke zusammenzusetzen<br />
und zu sinnvollen Handlungs-<br />
und Entscheidungsaktivitäten<br />
zu nutzen.<br />
Wir nutzen den ursprünglichen Gedanken<br />
der »universitas magistrorum<br />
et scholarium«, der »Gemeinschaft der<br />
Lehrenden und Lernenden«. Wir bieten<br />
in der Gemeinschaft der Schule,<br />
im Haus des Lernens, unseren Kindern<br />
unsere Erwachsenenkompetenzen und<br />
unseren eigenen Spaß an Bildung und<br />
Wissen an. Ähnlich wie in der Bauhauspädagogik<br />
der 20er Jahre haben<br />
die Kinder einmal in der Woche die<br />
Gelegenheit, »ihren Lehrmeister« zu<br />
einem sie interessierenden Thema auszusuchen.<br />
Wir müssen mit inhaltlich<br />
hochwertigen, für Kinder spannenden<br />
Bildungs-Angeboten überzeugen.<br />
Es geht nicht darum, durch eine<br />
»Universität« dann schulische Inhalte<br />
doch wieder in die Kinder zu zwingen.<br />
Es geht darum, dass Kinder Erwachsenen<br />
begegnen, die selber Freude an<br />
Überall ist Raum<br />
zum Lernen<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008<br />
17
Praxis: Selbstständig lernen<br />
hen alle in das von ihnen ausgewählte<br />
Englisch-Angebot. Diese sind altersgemischt,<br />
aber durchaus im Leistungsniveau<br />
verschieden. Alle Lehrerinnen<br />
bieten Englischseminare an, in diesem<br />
Halbjahr: »At home«, »Shopping«,<br />
»School is cool«, »Animals«, »English<br />
picture books«, »Role plays«, »Theatregroup«,<br />
»E-mail-Writing«, »Junior class«,<br />
»My way to English«.<br />
Danach findet nur noch das Kinderparlament<br />
statt. Dieses ist keine SV-<br />
Einrichtung oder ähnliches, sondern<br />
der Lehrinnenkonferenz und der Eltern-<br />
Schulpflegschaft gleichgestellt.<br />
»Leadership für Kinder«<br />
Bei schönem<br />
Wetter lädt das<br />
Schulgelände zum<br />
Draußen-Arbeiten<br />
ein<br />
Wissen, Bildung, Erkennen und Lernen<br />
vorleben können, die ihrer Kompetenzen<br />
als Lehrer so sicher sind, dass<br />
sie sich wie »ganz normale Menschen«<br />
verhalten und die Aufmerksamkeit<br />
nicht durch Hintertürchen, Noten oder<br />
Tests erzwingen müssen.<br />
So entsteht über 6 Wochen das<br />
Angebot der Matheseminare mit<br />
den Themen: »Magische Quadrate«,<br />
»ANNA-Zahlen«, »1x1-Werkstatt«, »x-y-z-<br />
Gleichungen«, »Die Geschichte der Zahlen«,<br />
»Text- und Kernideenaufgaben«,<br />
»Teilen«, »Zahlenräume entdecken«,<br />
»Messen, Schätzen, Wiegen« und »Körper-Flächen-Figuren«.<br />
So entstehen die<br />
vierwöchigen Literaturseminare: »Der<br />
kleine Lord«, »Kinderkrimis«, »Momo<br />
und die Zeit«, »Goethe und Schiller«,<br />
»Onkel Toms Hütte«, »Astrid Lindgren«,<br />
»Griechische Sagen«, »Der kleine Prinz«,<br />
»Wie der Löwe lesen lernte«, »Don Quichotte«,<br />
»Der kleine Hobbit« und »Die<br />
kleinen Leute von Swabedu«.<br />
Die Seminare werden in der Schulversammlung<br />
von den anbietenden<br />
Erwachsenen vorgestellt. Im Klassenrat<br />
entscheiden sich die Kinder für das<br />
Seminar ihrer Wahl.<br />
Zwischen den Seminarblöcken finden<br />
anderthalbstündige Vorlesungen<br />
statt: »Die Grundbegriffe der Mathematik«,<br />
»Grundbegriffe der Grammatik<br />
und Semantik« und »Was ist Kombinatorik«.<br />
Für jüngere Kinder gibt es »Vorlesungen«.<br />
In Vorbereitung sind: »Wie<br />
funktioniert Lernen aus der Sicht der<br />
Hirnforschung«, »Literaturgeschichte<br />
für Kinder«, »Die Klassifizierung von<br />
Pflanzen und Tieren«, »Die Entstehung<br />
der Rechtschreibung« und »Grundbegriffe<br />
der Biologie«. Weitere geplante<br />
Seminarserien sind: »Verhalten und Benehmen«,<br />
»Vom Wahrnehmen, Fragen<br />
und Philosophieren«, »Überleben in der<br />
Sekundarstufe I«, »Rechtschreiben«,<br />
»Dichterwerkstätten«, »Themen des<br />
Sachunterrichts«, »Kinderwunschthemen«,<br />
»Künstler und ihre Techniken«.<br />
Nach den mittwöchlichen Seminaren<br />
versammeln sich alle Kinder<br />
und Lehrpersonen im Forum, um gemeinsam<br />
mit Englisch zu beginnen. Es<br />
wird gesungen oder interaktiv mit der<br />
Großgruppe Sprache gelernt. Dann ge-<br />
Walter Hövel,<br />
Lehrer, Leiter der <strong>Grundschule</strong> Harmonie,<br />
Familienmensch, Künstler, Autor,<br />
Lehrbeauftragter und Referent<br />
Kontakt: grundschule.harmonie@web.de<br />
Eine weitere Seminarserie »Leadership<br />
ausbildung für Kinder« ist als<br />
Vorgängerform der Kinderuniversität<br />
gleichzeitig ein weiterer Grund für die<br />
Kinderuni. Wir konnten seit Jahren beobachten,<br />
wie Kinder sich durch das<br />
selbst verantwortete Lernen auf bestimmten<br />
Gebieten zu echten Spezialisten<br />
entwickelten. Sie geben diese Fähigkeiten<br />
an Einzelne weiter, aber nicht<br />
an alle, und oft war die Entwicklung in<br />
verschiedenen Klassen weiter vorangeschritten<br />
als in anderen. So waren z. B.<br />
unsere »Genies« wahre Meister im Umgang<br />
mit den Computern, die »Blumen«<br />
konnten selbstständig Musik machen,<br />
die »Kichererbsen« experimentieren<br />
auffallend am häufigsten, die »Fledermäuse«<br />
beherrschen das Theaterspiel<br />
nahezu perfekt. Und wir hatten vor<br />
etwa zwei Jahren eine Phase, in der<br />
einigen Kindern die Arbeit langweilig<br />
wurde. Die Arbeit verflachte durch eine<br />
Art »Schule-Spielen«, durch fehlende<br />
Herausforderungen und Qualität.<br />
Wir wollten die Kompetenzen der<br />
Einzelnen für die Arbeit aller erreichbarer<br />
machen und gleichzeitig die Verantwortungsübernahme<br />
aller für das<br />
eigene und das Lernen der Anderen<br />
steigern. Wir stellten uns also ähnliche<br />
Fragen, die Schley stellt, wenn er Schulleitungen<br />
zur Leadershipausbildung<br />
einlädt. Da wir unsere Schulentwicklung<br />
aber nicht zuerst in der Schulleitung,<br />
sondern direkt mit den Kindern<br />
durchführen, richteten wir »Leadershipkurse<br />
für Kinder« ein. Immer über<br />
ein paar Tage organisierten wir Kurse<br />
mit unseren Schülerspezialisten und<br />
unserem eigenen Know-how. Aus jeder<br />
Klasse nahmen ein bis zwei Kinder an<br />
18 GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008
Praxis: Selbstständig lernen<br />
»Ich weiß, welche Bedeutung<br />
das Gelernte für mich hat«<br />
Selbstständig lernen – auch in der Gruppe<br />
»Lerngängen« teil: »Computer«, »Spiele<br />
beim Lernen und in der Pause«, »Präsentieren<br />
und Dokumentieren«, »Kreise<br />
und Versammlungen leiten«, »Teamtraining«,<br />
»Experimente durchführen«,<br />
»Zeitung machen«, »Theaterinszenierungen<br />
leiten«, »Selbst musizieren«,<br />
»Umgang mit Material«, »Sinnvoll mit<br />
Mathe arbeiten«, »Auflösung von Konflikten<br />
– Forumtheater«, »Lernen und<br />
Benehmen« hießen die bisherigen Seminare.<br />
Die Kinder suchten ihre Gruppen,<br />
um das Selbst-Anleiten, das Gestalten<br />
von Lern- und Arbeitsprozessen, das<br />
Teil-Haben an kooperativen Prozessen,<br />
demokratische Verantwortungsübernahme,<br />
Konzeptentwicklung, Teambildung<br />
und -steuerung, das Überwachen<br />
der eigenen Prozesse und des eigenen<br />
Verhaltens, das »Scannen« von Abläufen<br />
auch als Beteiligter, Techniken<br />
und Methoden des Lernens, Umgang,<br />
Pre-Thought (die Fähigkeit des Erkennens<br />
von Konsequenzen, die aus dem<br />
eigenen Handeln entstehen), Evaluation<br />
und das »Sich-selbst-Erziehen« zu<br />
lernen.<br />
Nichts bei uns geschieht mehr ohne<br />
Evaluation. Jeder Vortrag, jedes Klassenprojekt,<br />
jedes Seminar, jede Projektwoche<br />
(mit »Schule auf Reisen«,<br />
»Berufspraktika für Grundschulkinder«),<br />
jede Leadershipausbildung<br />
wird mündlich oder schriftlich in die<br />
Nachbetrachtung von Kindern und<br />
Lehrern geschickt. Dies geschieht im<br />
Klassenrat, im Kinderparlament, auf<br />
der Schulversammlung oder in besonderen<br />
Gruppen.<br />
Jedes halbe Jahr arbeitet jedes Kind<br />
eine 15-seitige Selbsteinschätzung mit<br />
allen Bereichen der schulischen Anforderungen<br />
durch. Die Lehrerin gibt<br />
jedem Kind ein Feedback zur Selbsteinschätzung.<br />
Die Eltern nehmen auf<br />
eigenen, aber im Inhalt und Aufbau<br />
identischen Bögen ihre Einschätzung<br />
ihres Kindes vor. Es folgt ein Beratungsgespräch<br />
von Eltern, Kind und<br />
Lehrern, immer auf der Grundlage der<br />
Selbsteinschätzung der Kinder. Hier<br />
wird mit dem Kind besprochen, wie<br />
und woran es in nächster Zeit in der<br />
Schule, aber auch zu Hause weiter arbeitet.<br />
Dies geschieht in mündlichen<br />
oder schriftlichen Verträgen. Zurzeit<br />
arbeiten wir an einer weiteren Seite der<br />
Selbsteinschätzung. Hier sollen Elemente<br />
der eigenen Kompetenzstufenentwicklung<br />
der Lernerpersönlichkeit<br />
eingeschätzt werden: Ich kann selbst<br />
gewählte Themen gründlich so bearbeiten,<br />
dass andere Kinder meine Dokumentation<br />
oder meinen Vortrag gut<br />
verstehen. Ich weiß, was ich Neues gelernt<br />
habe und wie ich das neue Wissen<br />
benutzen kann. Ich kann meine Rolle<br />
in der Lernkooperation beschreiben.<br />
Ich weiß, welche Bedeutung das Gelernte<br />
für mich und meine schulische<br />
Entwicklung hat und kann meine Lernerfahrungen<br />
an andere weitergeben.<br />
Ich habe mich von Mitschülern oder<br />
einem Erwachsenen so beraten lassen,<br />
dass ich einen Plan zur Arbeit erstellen<br />
konnte und die vereinbarte Aufgabe zu<br />
Ende gebracht und den anderen vorgestellt<br />
habe.<br />
Wir arbeiten nicht mit Zeugnissen,<br />
Tests und Klassenarbeiten zum Zwecke<br />
der Überprüfung und Bewertung<br />
von Leistungen. Kinder müssen nicht<br />
lernen, für Kontrollen und Aufträge zu<br />
funktionieren. Schule ist für die Kinder<br />
da, damit sie sich alle Kompetenzen<br />
aneignen können, die sie für sich und<br />
ihre heute schon begonnene Zukunft<br />
brauchen. Sie sind kompetente vollständige<br />
Menschen, die lernen. Und<br />
wir Lehrerinnen und Lehrer auch. Und<br />
deshalb hören wir auf mit dem Unterrichten,<br />
damit Raum und Zeit für das<br />
Lernen entsteht!<br />
Im Musikraum<br />
Anmerkung<br />
1 W. Hövel: <strong>Grundschule</strong> Harmonie – ein selbst verwaltetes staatliches<br />
Modell. In: E. Lanthaler/R. Meraner: Neue Lernkultur in<br />
Kindergarten und Schule – Das Lernen in den Mittelpunkt stellen.<br />
Pädagogisches Institut für die deutsche Sprachgruppe, Bozen und<br />
Wien 2005<br />
Leadershipkurs für Kinder: z. B. Schach<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008<br />
19
Praxis: Selbstständig lernen<br />
Einschätzen lernen, was man<br />
den Kindern zutrauen kann<br />
von Claudia Goj<br />
Arbeiten<br />
mit dem<br />
Wochenplan<br />
Wochenplan: Die meisten<br />
Kinder forderten Hilfe ein<br />
Als ich im letzten Jahr nach den Osterferien<br />
eine erste Klasse übernahm,<br />
kannten die Kinder freies Arbeiten<br />
nur im Rahmen eines Tagesplans. Ich<br />
führte einen Wochenplan ein, der die<br />
Selbstständigkeit fördern sollte. Trotz<br />
eingehender Besprechung des Wochenplans<br />
stellten sich aber schnell<br />
Schwierigkeiten bezüglich der Arbeitsorganisation<br />
ein:<br />
■ Welche Symbole bezeichnen was<br />
(bereits begonnene Arbeiten, fertige<br />
Arbeiten, kontrollierte Arbeiten)?<br />
■ Wo finde ich die Aufgaben (Arbeitsblätter,<br />
Arbeitshefte)?<br />
■ Wo lege ich fertige Arbeiten ab?<br />
■ Wie teile ich mir die Zeit richtig ein?<br />
■ Was muss ich täglich schaffen, um<br />
das Wochenpensum zu erledigen?<br />
■ Womit beginne ich?<br />
Allein die äußere Organisation<br />
schien einigen Kindern schwerzufallen,<br />
da sie mit der Freiheit und der damit<br />
verbundenen verlangten Selbstständigkeit<br />
überfordert schienen. Die meisten<br />
forderten – zum Glück – Hilfe ein.<br />
Als ertragreich hat sich dabei – auch<br />
für mich – die regelmäßige Reflexion<br />
und Bündelung der selbstständigen<br />
Arbeitsphasen erwiesen. Unter bestimmter<br />
Fragestellung bzw. Präsentationsaufgabe<br />
arbeiteten die Kinder<br />
zielgerichteter und steigerten ihr Arbeitstempo.<br />
Fragestellungen waren:<br />
■ Was nimmst du dir vor?<br />
■ Was hast du geschafft?<br />
■ Was hast du gelernt? Wie?<br />
■ Was ist dir leicht gefallen?<br />
■ Wozu hast du noch Fragen?<br />
Dabei erhielt ich einen Einblick in<br />
die Arbeits- und Denkweise der Kinder<br />
und konnte die Wochenpläne entsprechend<br />
verändern.<br />
Auch ich selbst hatte das Maß dessen,<br />
was die SchülerInnen in einer Woche<br />
bewältigen konnten, nicht genau genug<br />
im Blick. Für alle Kinder gab es<br />
denselben Wochenplan, so dass die<br />
Differenzierung bezüglich des Arbeitstempos<br />
und des Inhalts nicht gegeben<br />
war. Ein verhaltensauffälliges Kind<br />
hielt sich lange mit einer Experimentieraufgabe<br />
auf. Es nutzte die Freiheit<br />
des Experimentes, das draußen auf<br />
dem Schulhof auszuführen war, um zu<br />
spielen, und vergaß danach, das passende<br />
Arbeitsblatt zu erledigen. Der<br />
Überblick fehlte hier und es bedurfte<br />
meiner Führung, um die Grenzen aufzuzeigen.<br />
Durch die Reflexionsphasen und die<br />
Beobachtungen bei den Arbeiten gestaltete<br />
ich die nächsten Wochenpläne<br />
im Umfang geringer, so dass die Kinder<br />
– auch mit zunehmender Sicherheit im<br />
Umgang mit der Arbeitsform – mehr<br />
Erfolge erzielten. Für die schneller arbeitenden<br />
Kinder enthielt der Wochenplan<br />
sogenannte »Herzchenaufgaben«<br />
(zusätzliche Aufgaben). Aufgrund der<br />
vielen Stolperstellen und der aufwändigen<br />
Korrekturarbeiten, die jede Woche<br />
auftraten, sowie Absprachen mit<br />
der Parallelklassenkollegin habe ich<br />
den Wochenplan im zweiten Schuljahr<br />
aufgegeben.<br />
Werkstatt und Stationenlernen:<br />
Das richtige Maß finden<br />
Ähnliche Probleme wie beim Wochenplan<br />
begegneten mir bei der Einführung<br />
von Werkstatt bzw. Stationenlernen.<br />
Zum Ende des ersten Schuljahres<br />
führte ich eine Unterrichtsreihe zum<br />
Thema »Piraten« durch. Die Lesestationen<br />
bezogen sich auf das Bilderbuch<br />
»Käpten Knitterbart und seine Bande«<br />
von Cornelia Funke. Ein »Museumsgang«<br />
ermöglichte den Kindern, sich<br />
gedanklich mit den Aufgabenstellungen<br />
auseinanderzusetzen. Einzelne<br />
Stationen ließ ich erklären.<br />
Die Leseaufgaben motivierten die<br />
Kinder ungemein. Damit ging zunächst<br />
ein enormer Lautstärkepegel einher.<br />
20 GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008
Praxis: Selbstständig lernen<br />
Die Einführung von Regeln für die Stations-<br />
bzw. Werkstattarbeit war hilfreich:<br />
■ Ich arbeite leise.<br />
■ Ich fülle meinen Werkstattplan aus.<br />
■ Probleme löst der Experte.<br />
■ Nach der Arbeit räume ich auf.<br />
Experten wurden Kinder, die eine Aufgabe<br />
erledigt und zur Kontrolle bei<br />
mir vorgelegt hatten. Hatten sie die<br />
Aufgabe richtig bearbeitet und mir erneut<br />
verständlich erklärt, konnten sie<br />
ihr Wissen durch das Weitergeben an<br />
andere vertiefen, anderen weiterhelfen<br />
und mich in meiner Funktion als Beraterin<br />
ersetzen. An jeder Station gab<br />
es höchstens zwei Experten, die eine<br />
Klammer an das entsprechende Stationenkästchen<br />
anbrachten.<br />
Kontrollzettel ermöglichten den Kindern<br />
die selbstständige Überprüfung<br />
ihrer Lesearbeit und entlasteten mich<br />
in Phasen, in denen Einzelne individuelle<br />
Förderung brauchten. Die Selbstkontrolle<br />
bereitete einigen Kindern<br />
Schwierigkeiten. Das Kontrollblatt<br />
sollte immer an zentraler Stelle im Klassenzimmer<br />
hängen. Der Vergleich der<br />
Lösungen fällt leichter, wenn zunächst<br />
das Blatt neben das Kontrollblatt gehalten<br />
wird und einzeln die Lösungen<br />
verglichen werden können. Schwierig<br />
wurde es bei den Aufgaben, deren<br />
Kontrolle nur durch einen Lesevortrag<br />
möglich war. Es fiel mir schwer, einen<br />
Überblick über den Lernfortschritt jedes<br />
einzelnen Kindes zu behalten. Ich<br />
musste die Arbeiten nicht nur in den<br />
Präsentations-, sondern auch in den<br />
Arbeitsphasen genauer beobachten.<br />
Bei einer Werkstatt zum Buch »Der<br />
Buchstabenfresser« hielt ich zu viele<br />
Arbeitsblätter und Aufgaben bereit.<br />
Das zu bewältigende Pensum wurde<br />
unüberschaubar und wenige Kinder<br />
konnten ihre Arbeit beenden, was<br />
nicht zufriedenstellend war. Mittlerweile<br />
fällt es mir leichter, das Arbeitstempo<br />
und die Lernvoraussetzungen<br />
einzuschätzen, so dass ich den Zeitrahmen<br />
und den Umfang der Arbeiten<br />
genauer bestimmen kann. Wichtig<br />
ist in jedem Fall, dass die Kinder eine<br />
entsprechende Würdigung ihrer Arbeit<br />
erfahren – sei es durch Präsentationen<br />
oder mündliche wie schriftliche Rückmeldungen.<br />
Projekt:<br />
Warten, was sich ergibt …<br />
Projektbezogenes Lernen habe ich<br />
kürzlich in meiner zweiten Klasse<br />
eingeführt. Für einen Wettbewerb recherchierten<br />
die Kinder zum Thema<br />
»Regen wald«, schrieben eine Geschichte<br />
weiter und bastelten. Dabei fehlt mir<br />
noch ein wenig der Überblick, was die<br />
Kinder selbstständig leisten können<br />
und wobei sie eine von mir vorgegebene<br />
klare Struktur benötigen. Nicht<br />
ein Ziel vorzugeben, sondern frei arbeiten<br />
zu lassen und zu warten, was<br />
sich ergibt, ist für mich noch ein fremdes<br />
Gefühl.<br />
Hilfe zur Selbsthilfe<br />
Claudia Goj,<br />
Grundschullehrerin<br />
in Duisburg seit 2007<br />
Kontaktadresse:<br />
Realschulstr. 24,<br />
47051 Duisburg<br />
Bei schriftlichen Aufgabenstellungen<br />
ist die Frage »Wie geht das?« in der Klasse<br />
generell nicht erlaubt. Durch das Lesen<br />
und gedankliche Beschäftigen setzen<br />
sich die Kinder selbstständiger mit<br />
der Aufgabe auseinander. Durch Fragen<br />
wie »Muss ich hier … ausrechnen?«<br />
»Muss ich das … aufschreiben?« teilen<br />
sie mit, wie sie die Aufgabe angehen,<br />
ob sie die Aufgabe verstanden und ob<br />
sie diese bereits durchdrungen haben.<br />
Dies durchzuhalten ist nicht immer einfach.<br />
Manche Kinder sind noch nicht so<br />
selbstständig, dass sie sich allein mit<br />
einer Aufgabe auseinandersetzen. Sie<br />
durchbrechen die Regel, melden sich<br />
nicht, stehen vom Platz auf und stellen<br />
mir die »verbotene« Frage.<br />
Besonderen Wert lege ich darauf, mit<br />
den Kindern stets zu überlegen, wie sie<br />
sich bei Aufgaben helfen können. Die<br />
Selbsteinschätzung ist nicht immer<br />
einfach. Haben sie Probleme, können<br />
sie je nach Arbeitsform ihren Partner,<br />
einen Experten oder mich um Rat fragen.<br />
Durch das erneute Erklären (beispielsweise<br />
einer Bastelarbeit) durch<br />
ein Kind kann es sein Verständnis der<br />
Aufgabe vertiefen bzw. erneut unter<br />
Beweis stellen.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008<br />
21
Praxis: Selbstständig lernen<br />
Selbstständigkeit fördern im ersten Schuljahr –<br />
mit Konsequenz und Gelassenheit<br />
von Kirsten<br />
Bartnitzky-Burg<br />
Kirsten Bartnitzky-Burg,<br />
Grundschullehrerin seit 2005<br />
Kontaktadresse:<br />
Roggenkamp 17, 58454 Witten<br />
Ein Klassenraum, der Selbstständigkeit<br />
ermöglicht<br />
Die Tischordnung: Vom ersten Schultag<br />
an ist der Klassenraum vollständig<br />
eingerichtet. In den ersten Wochen<br />
stehen die Tische noch in 4er-Gruppentischen,<br />
später gibt es verschieden<br />
große Gruppentische, aber auch Einzeltische<br />
und Sitzreihen, die mitten im<br />
Raum, an Wand oder Fenster oder hinter<br />
einem Regal stehen. Werden Inhalte<br />
besprochen, bei denen tatsächlich alle<br />
Kinder auf ihren Plätzen sitzen sollen<br />
und nicht im Kreis oder Theaterhalbkreis<br />
vor der Tafel, rücken jene Kinder,<br />
die einen ungünstigen Blick zur Tafel<br />
haben, ganz selbstverständlich mit ihrem<br />
Stuhl so, dass sie ein freies Blickfeld<br />
haben.<br />
Die Sitzordnung: Immer freitags darf<br />
jedes Kind einen Wunsch abgeben, neben<br />
wem und wo es in der kommenden<br />
Woche sitzen möchte. Am Montag erwartet<br />
sie dann ein neuer Sitzplan, bei<br />
dem ich viele Wünsche berücksichtige,<br />
aber auch meine eigenen Beobachtungen<br />
und Erwartungen einfließen<br />
lasse. Auch sorge ich dafür, dass später<br />
jedes Kind an allen oder doch den meisten<br />
Arbeitsplätzen einmal gesessen<br />
haben wird. Auf einem A3-Blatt sind<br />
Tische und Klassenraum schemenhaft<br />
dargestellt, an jedem Sitzplatz steht<br />
ein neuer Name. Wer am Morgen in<br />
die Klasse kommt, versucht sich allein<br />
oder mit Hilfe zu orientieren, räumt<br />
sein altes Fach unter der Bank aus und<br />
zieht um. Anfangs hat diese Prozedur<br />
30 durchaus chaotische Minuten gedauert,<br />
mit jeder Woche reduzierten<br />
sich Unruhe, Chaos und Zeitaufwand,<br />
bis wir nachher innerhalb der ersten<br />
fünf Minuten fertig sein konnten.<br />
So lernen alle Kinder im Laufe der<br />
Zeit jeden Arbeitsplatz für mindestens<br />
eine Woche kennen. Sie sind schnell in<br />
der Lage, die Vor- und Nachteile jedes<br />
Platzes für sich einzuschätzen und für<br />
die Erledigung von Aufgaben gezielt<br />
auszusuchen. Am Ende der Woche gibt<br />
es immer wieder Kinder, die sagen: ich<br />
möchte gerne in der nächsten Woche<br />
an Platz xy neben Jana sitzen, weil ich<br />
mich da besser konzentrieren kann,<br />
weil ich da mehr Platz für meine Tasche<br />
habe … Manche, von Woche zu Woche<br />
wechselnde Plätze in und vor dem<br />
Klassenraum sind immer frei, auch da<br />
können Kinder in den regulären Arbeitszeiten<br />
arbeiten. Zum selbstständigen<br />
Lernen gehört eben auch, sich<br />
unter Berücksichtigung der eigenen<br />
Bedürfnisse einen Arbeitsplatz wählen<br />
zu können.<br />
Regale, Fächer, Kisten: In der Klasse<br />
gibt es viele offene Regale, die für die<br />
Kinder zugänglich sind. Jedes Material<br />
hat dort seinen festen Platz. Oft lagern<br />
die Materialien auch in offenen<br />
Schachteln, was sehr zur Einhaltung der<br />
Ordnung beiträgt. Jeder Regalboden<br />
wird einmal in ordentlichem Zustand<br />
fotografiert, das Foto hängt am Regal,<br />
es dient gerade am Anfang als Orientierungshilfe<br />
beim Aufräumen. Es gibt<br />
Kästen für Hefte und andere für Wochenplanmappen,<br />
beschriftete Fächer<br />
mit unterschiedlichen Papieren (liniert,<br />
kariert, bunt, Schmierpapier …), es gibt<br />
ein Fach für Spiele, verschiedene Regalböden<br />
für Lernmaterialien. In der Leseecke<br />
finden sich Kisten mit Büchern,<br />
ein Bauteppich liegt bereit. Jedes Kind<br />
besitzt einen schön gestalteten Pappkarton,<br />
in dem volle Hefte und andere<br />
besondere Lernergebnisse aufbewahrt<br />
werden. Diese werden in der Ecke des<br />
Klassenraums gestapelt, da sie ja nicht<br />
immer für alle leicht zugänglich sein<br />
müssen. Sie sind oft Grundlage für<br />
Lerngespräche mit Kindern und Eltern<br />
und der Anfang eines später einsetzenden<br />
Portfoliokonzeptes. Malkasten<br />
und dazugehörige Utensilien hat jedes<br />
Kind in einer wasserfesten Plastikkiste<br />
in einem Regal.<br />
Infowand: An der Innenseite der Klassenzimmertür<br />
hängt sorgfältig angeordnet<br />
alles, was zur Organisation der<br />
Klasse beiträgt und auch für die Kinder<br />
wichtig ist. Ein übersichtlicher Stundenplan,<br />
eine Liste der verschiedenen<br />
Gruppenaufteilungen, die Einteilung<br />
der Dienste, die Aufteilung der Kinder<br />
im Vertretungsfall, ein Klassenkalender<br />
mit Geburtstagen und Terminen,<br />
unsere mit der Zeit erarbeiteten Klassenregeln,<br />
der <strong>aktuell</strong>ste Elternbrief,<br />
der Termin für die letzte Gelegenheit<br />
Kakaogeld abzugeben. Die Kinder waren<br />
schnell in der Lage mit dieser Infowand<br />
umzugehen. Am Ende des Tages<br />
las oft ein Kind den Dienst vor oder<br />
schickte Kinder nach Hause, die früher<br />
Schluss hatten.<br />
Tafel: Jeden Morgen schreibe ich einen<br />
Tagesplan an die Tafel, der Transparenz<br />
über den Tag gibt. Dabei verwende<br />
ich eine Mischung aus Symbolen und<br />
Schrift, auch die Pausen sind gekennzeichnet.<br />
Hausaufgaben und Datum<br />
stehen immer in gleicher, übersichtlicher<br />
Weise an einer Stelle der Tafel.<br />
Am unteren Rand der Tafel ist immer<br />
Platz für Notizen für den nächsten Tag:<br />
Namen der Kinder, die noch ihre Hausaufgaben<br />
nachreichen müssen, besondere<br />
mitzubringende Gegenstände,<br />
Vorhaben der Klasse etc.<br />
Ordnung und Sauberkeit: Auch wenn<br />
der Aufräum-Dienst seine Arbeit gewissenhaft<br />
erledigt, bleibt jeden Tag<br />
ein Teil der Aufräumarbeit für mich.<br />
Ich räume jeden Tag nach der Schule<br />
auf. Es soll keine Gerümpelecken geben,<br />
auch nicht in Schränken oder auf<br />
meinem Schreibtisch. Das ist anstrengend,<br />
aber hat sich für mich bewährt.<br />
So kommen z. B. übrige Arbeitsblätter<br />
in ein Ablagefach und sind dann später<br />
zur freien Verfügung, die Sachen auf<br />
dem Thementisch werden noch einmal<br />
22 GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008
Praxis: Selbstständig lernen<br />
ansehnlich hergerückt, die Kakaoliste<br />
wird gerade aufgehängt, über einige<br />
Tische muss trotz eifrigen Schülereinsatzes<br />
noch einmal gewischt werden,<br />
die Tafel ist noch immer verschmiert.<br />
Manche Dinge erledige ich dieses Mal<br />
und sorge bei nächster Gelegenheit<br />
dafür, dass Schüler sie selbst besser erledigen<br />
können. Manche Sachen halte<br />
ich stichwortartig an der Tafel fest, damit<br />
sie am nächsten Tag kurz besprochen<br />
werden können.<br />
Rechnen mit<br />
Trinkhalmen –<br />
auch ordentliches<br />
Wegräumen des<br />
Arbeitsmaterials<br />
muss gelernt<br />
werden<br />
Unterrichtsgestaltung, die<br />
Selbstständigkeit fördert<br />
Der erste Schultag – Selbstständigkeit<br />
fördern von Anfang an:<br />
Nach Kirche und kleiner Einschulungsfeier<br />
trudeln die Kinder in der Klasse<br />
ein. Vor der Tafel auf dem Boden stehen<br />
Namensschilder. Die ersten Kinder<br />
bitte ich, ihr Namensschild zu suchen<br />
und es mit zu irgendeinem Platz zu<br />
nehmen, an dem sie sitzen möchten.<br />
Einige Kinder brauchen noch Hilfe, andere<br />
können das schon allein. Schultaschen<br />
neben den Platz, Jacken aufhängen,<br />
Namensschild aufstellen, Tüte in<br />
einen Kreis vor der Tafel, irgendwann<br />
kehrt Ruhe ein. Ich vereinbare das Leisezeichen,<br />
wir üben ein paar Mal mit<br />
großem Spaß und viel Lob. Ich sage,<br />
dass wir uns in den Kreis auf den Boden<br />
setzen wollen und wir probieren<br />
das einfach. Keiner soll dabei reden.<br />
Ich gebe einzelnen Kindern geflüsterte<br />
oder gezeigte Tipps, damit der Kreis<br />
am Ende gut aussieht. Ich lobe: »Unser<br />
erster Sitzkreis hat so gut geklappt. Es<br />
gab keinen Streit, jeder hat einen Platz.<br />
Prima. Ihr seid eben schon echte Schulkinder!«<br />
Wir singen, lernen uns ein bisschen<br />
kennen, machen ein Spiel zu den<br />
Schultüten. Zurück auf dem Platz bekommt<br />
jeder ein Hausaufgaben-Blatt<br />
für die rote Mappe und heftet es ein.<br />
Dabei ist viel Hilfe nötig, ich gehe rum,<br />
Kinder stehen auf, stehen neben mir,<br />
bitten um Hilfe. Leisezeichen für alle<br />
– großes Lob –, Vereinbarung, dass alle<br />
sitzen bleiben und die Nachbarn am<br />
Tisch um Hilfe bitten oder sich melden<br />
– am Ende großes Lob. Dann bekommen<br />
alle ihr Hausaufgabenheft und<br />
malen das rote Viereck von der Tafel<br />
hinein, das Symbol für die rote Mappe,<br />
räumen die Tasche wieder ein. Abschlusslied<br />
– und stolz sein, vielleicht<br />
auch zusammen mit den Kindern, was<br />
heute schon gelernt wurde.<br />
Freie Zeit –<br />
Orientierung im Klassen raum,<br />
Förderung der Selbstständigkeit:<br />
In den ersten Wochen bis zu den<br />
Herbstferien gibt es jeden Tag eine Phase<br />
(10 bis 20 Minuten), in der sich die<br />
Kinder frei im Klassenraum beschäftigen<br />
können. Sie haben Zugang zu allen<br />
Materialien, können tun mit wem und<br />
was sie wollen. Die notwendigen Regeln<br />
werden schnell klar: Selbstständig<br />
beschäftigen geht nur, wenn sich<br />
1. alle dabei wohlfühlen können (Lautstärke,<br />
Rücksicht nehmen …) und<br />
2. das Material wieder zurück an seinen<br />
Platz gebracht wird.<br />
Nach jeder »Freie Zeit«- Phase gibt es<br />
eine kurze gemeinsame Reflexion, wie<br />
gut die beiden Regeln schon geklappt<br />
haben, und viel Lob für die Kinder, die<br />
es gut geschafft haben, ggf. Tipps für<br />
die Kinder, die noch ein bisschen Übezeit<br />
brauchen. Diese Phasen knüpfen<br />
unmittelbar an die Erfahrungen aus<br />
dem Kindergarten an und sind deshalb<br />
dankbare Grundlage für alle ergänzenden<br />
Aktivitäten. Es braucht noch<br />
ein bisschen Zeit, bis das Wegräumen<br />
des Materials perfekt funktioniert.<br />
Im Laufe des ersten Schuljahres<br />
erleben wir auch immer wieder kleine<br />
Rückschläge, in denen die freie Beschäftigung<br />
nicht mehr funktioniert.<br />
Aus der Situation heraus ergeben<br />
sich dann verschiedene »deliktbezogene«<br />
Konsequenzen, beispielsweise<br />
das Aussetzen der »Spielpausen« oder<br />
Wegräumen bestimmter Materialien<br />
für alle oder für einige Kinder. Immer<br />
aber gibt es auch Gelegenheit zu zeigen,<br />
dass Regeln wieder eingehalten<br />
werden können, entgegengebrachtes<br />
Vertrauen im Rahmen selbstständigen<br />
Arbeitens nicht missbraucht wird.<br />
Klassendienste –<br />
Verantwortung für die Gruppe übernehmen,<br />
sich organisieren üben:<br />
Ab dem zweiten Schultag gibt es mehrere<br />
Kinder, die für die Klasse verantwortlich<br />
sind. An jedem Wochentag hat<br />
eine feste Gruppe von 4 bis 6 Kindern<br />
Dienst, so ist jeder einmal jede Woche<br />
dran. Bevor die Gruppe nach Unterrichtsschluss<br />
mit der Arbeit beginnt,<br />
erhält sie Kärtchen mit Symbolen der<br />
zu erledigenden Arbeit: Fegen, Pantoffelregal<br />
kontrollieren und ggf. auf-<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008<br />
23
Praxis: Selbstständig lernen<br />
Über Schreibweisen<br />
nachdenken<br />
können – auch<br />
dafür muss im<br />
Unterricht Zeit<br />
eingeplant werden<br />
räumen, Milch wegbringen, Regale<br />
kontrollieren und ggf. aufräumen …<br />
Anfangs gemeinsam mit mir, später<br />
selbstständig in der Gruppe, legen wir<br />
fest, wer an diesem Tag für welche Aufgabe<br />
verantwortlich ist. Ich helfe bei<br />
der Erledigung, gebe Hinweise. Wer fertig<br />
ist, heftet eine rote Klammer an seine<br />
Karte und hilft einem anderen Kind,<br />
bis alle Aufgaben erledigt sind.<br />
Fällt auf, dass bestimmte Kinder immer<br />
wieder für Unordnung in der Klasse<br />
verantwortlich sind (z. B. nicht richtig<br />
eingeräumtes Spielzeug oder Pantoffeln),<br />
schreiben wir eine Notiz an die<br />
Tafel und sprechen das Kind am nächsten<br />
Tag an und zeigen ihm erneut, wie<br />
es richtig geht. In hartnäckigen Fällen<br />
darf sich das Kind beispielsweise nicht<br />
mehr selbstständig in der Klasse bewegen,<br />
sondern braucht immer ein Kind,<br />
das kontrolliert, ob es die Regeln einhält.<br />
Selbstständig sein dürfen in einer<br />
großen Gruppe muss sich manchmal<br />
auch erst wieder verdient werden.<br />
Sobald die ersten Kinder recht sicher<br />
alle Namen lesen können, helfen<br />
sie mir, die Kakaoliste zu führen.<br />
Alle Kinder bringen ihr Geld in einem<br />
verschlossenen und mit Namen versehenen<br />
Umschlag mit, der erst nach<br />
dem Unterricht von mir geöffnet wird.<br />
Das Kakaolistenkind trägt in der Pause<br />
die Bestellung in die Liste ein und legt<br />
den verschlossenen Geldumschlag in<br />
ein Kistchen. Nach kurzer Zeit geht<br />
auch das selbstständig – auch wenn<br />
ich am Ende des Schultages immer<br />
noch mal kontrolliere.<br />
Das Ich-Buch – stolz zeigen die Erstklässler, was sie schon können und wer sie sind<br />
Von der Lerntheke zum Tagesplan<br />
zum Wochenplan<br />
Lerntheke: In der zweiten oder dritten<br />
Woche gebe ich den Kindern die<br />
Möglichkeit, sich Arbeitsblätter selbstständig<br />
an den Platz zu holen. In dieser<br />
Phase liegt der Schwerpunkt auf dem<br />
Erlernen der Methode, die Aufgaben<br />
sind daher inhaltlich keine Herausforderung.<br />
Kleine A5-Arbeitsblätter liegen<br />
in Ablagefächern vor der Tafel bereit.<br />
Große Zahlen an jedem Ablagefach<br />
geben die Reihenfolge der Bearbeitung<br />
an. Für Kinder, die die Zahlen noch<br />
nicht können, stehen die Ablagefächer<br />
in der richtigen Reihenfolge, zu Beginn<br />
gibt es aber ohnehin nur zwei Fächer.<br />
Auf jedem Blatt gibt es nur eine Aufgabe<br />
zu tun, und das was zu tun ist, ist<br />
einfach und offensichtlich.<br />
Wir besprechen kurz, wie das Vorgehen<br />
ist: Jedes Kind nimmt sich das<br />
erste Blatt, arbeitet es fertig, heftet es<br />
in seine Mappe. Dann geht es nach vorne,<br />
nimmt sich das zweite Blatt usw.,<br />
die fertige Mappe wird auf meinen<br />
Schreibtisch gelegt. An die Arbeitsruhe<br />
wird erinnert. Die Kinder erfahren,<br />
dass wir am Ende der Arbeit darüber<br />
sprechen wollen, wie gut diese selbstständige<br />
Arbeit geklappt hat, wo es<br />
noch Verbesserungsvorschläge gibt.<br />
Es gibt in meiner Klasse Aufgaben, an<br />
denen man immer arbeiten kann: Das<br />
Lesemalheft, Freiarbeits-Material, lesen,<br />
frei schreiben. Daran arbeiten die<br />
Kinder, die mit allen Aufgaben fertig<br />
sind. Gerade beim Lesen und mit dem<br />
Freiarbeits-Material können sich auch<br />
leistungsstarke Kinder fordern. Wird<br />
ein Kind in der vorgegebenen Zeit<br />
nicht fertig, obwohl dies leicht möglich<br />
gewesen wäre, melde ich dies bereits<br />
während der Arbeitszeit zurück<br />
und kündige an, dass es die Aufgaben<br />
nachholen muss. Dies kann zu Hause<br />
oder auch in der Pause geschehen.<br />
Einmal begonnen, lässt sich die Methode<br />
weiter ausbauen und variieren:<br />
es gibt mehr Ablagefächer mit mehreren<br />
und auch inhaltlich anspruchsvollen<br />
Aufgaben, die Reihenfolge ist<br />
frei wählbar, nur eine Auswahl muss<br />
bearbeitet werden, die bearbeiteten<br />
Arbeitsblätter werden in einer an der<br />
Wand hängenden Tafel eingetragen,<br />
Kinder, die fertig sind, dürfen ihr Namenszeichen<br />
an ein von ihnen bereits<br />
bearbeitetes Ablagefach heften und<br />
stehen so für Fragen der anderen Kinder<br />
zur Verfügung, die Aufgaben müs-<br />
24 GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008
Praxis: Selbstständig lernen<br />
sen in unterschiedliche Mappen abgeheftet<br />
werden, es gibt Kontrollblätter<br />
u. a. m.<br />
Tagesplan: Die Aufgaben des Tagesplans<br />
sind zu Beginn für alle Kinder<br />
gleich und stehen an der Tafel. Sie<br />
werden in der dort angegebenen Reihenfolge<br />
bearbeitet und dauern bis<br />
zu zwei Unterrichtsstunden. Hier sind<br />
auch Aufgaben angegeben, die nicht<br />
auf Arbeitsblättern stehen: Aufgaben<br />
im Buch, in den Arbeitsheften, die Arbeit<br />
mit unseren Lernmaterialien. Auch<br />
hier kann bald variiert werden.<br />
Wochenplan: Um Weihnachten herum<br />
beginne ich mit einem Wochenplan,<br />
der ebenfalls zunächst für alle Kinder<br />
gleich ist. Auch hier geht es in der ersten<br />
Woche weniger um den fachlichen<br />
Inhalt als vielmehr um das Einüben<br />
des Wochenplans: das richtige Lesen<br />
des Wochenplans, das Abhaken der<br />
Aufgaben, die Kennzeichnung nicht<br />
fertig bearbeiteter Aufgaben (sie bekommen<br />
im Plan einen roten Punkt,<br />
der nach Beendigung zu einem Haken<br />
wird), Erfahrungen mit der Zeiteinteilung<br />
sammeln, Abheften. Beim ersten<br />
Wochenplan ist auch die Reihenfolge<br />
der zu bearbeitenden Aufgaben vorgegeben.<br />
Auch hier wird nach jeder Arbeitseinheit<br />
reflektiert: Wie haben die<br />
einzelnen Teile der Selbstständigkeit<br />
geklappt? Was können einzelne Kinder<br />
verbessern oder nehmen sich selber<br />
vor? Nach einiger Übung steigere ich<br />
auch hier den Schwierigkeitsgrad: anspruchsvollere<br />
Aufgaben, unterschiedliche<br />
Wochenpläne für Gruppen von<br />
Kindern, Einbeziehung unterschiedlicher<br />
Sozialformen.<br />
Im Chaos: Ruhe bewahren<br />
Besonders am Anfang habe ich immer<br />
wieder den Eindruck, dass die Klasse<br />
im Chaos versinkt: Der Lärmpegel<br />
steigt ins Unermessliche, es gibt Streit<br />
unter den Kindern, der gefüllte Wassereimer<br />
ergießt sich über frisch gemalte<br />
Bilder, es bleibt keine Zeit mehr<br />
für den fachlichen Teil des Unterrichts.<br />
Und trotzdem ist all diese vermeintlich<br />
verlorene Zeit sinnvolle Lernzeit im Bereich<br />
Selbstständigkeit. Im Laufe der<br />
Wochen haben sich für mich mehrere<br />
Strategien des Umgangs bewährt:<br />
Die Kinder, die neben dem<br />
stehen, haben den selben Wochenplan.<br />
Sie kann Lisa daher bei<br />
Fragen ansprechen.<br />
Bei Nr. 2 und Nr. 4 kann Lisa sich<br />
Seiten im Lese-Mal-Heft und einen<br />
Versuch auswählen und eintragen.<br />
In die vierte Spalte trägt Lisa einen<br />
Punkt ein, wenn sie am Schluss<br />
einer Wochenplan-Stunde mit einer<br />
Aufgabe nicht fertig geworden<br />
ist. Damit beginnt sie dann beim<br />
nächsten Mal. Ein Haken bedeutet:<br />
Diese Aufgabe habe ich fertig.<br />
In der fünften Spalte bewertet Lisa<br />
dann auch: So schwierig fand ich<br />
diese Aufgabe. Ich unterschreibe<br />
dann in der letzten Spalte, wenn<br />
ich die Aufgabe kontrolliert habe.<br />
Unter dem Wochenplan ist Platz<br />
für Hinweise, Kommentare etc.<br />
1. Tief durchatmen, Ruhe bewahren,<br />
sich abseits stellen, beobachten,<br />
warten, Daten sammeln für eine<br />
spätere Reflexionsphase.<br />
2. Sich ruhig und freundlich einem Krisenherd<br />
zuwenden, Hilfe und Tipps<br />
zum selbstständigem Lösen anbieten.<br />
3. Kinder, die mit der Situation schon<br />
gut klar kommen und ihre Sache<br />
gut im Griff haben, als Hilfe zu anderen<br />
Kindern bringen.<br />
4. Drei bis vier unbeteiligte Kinder im<br />
Klassenraum auf Stühlen als Beobachter<br />
verteilen und sie bitten, zu<br />
gucken, was gut klappt und was<br />
schief läuft.<br />
5. »Freeze«-Zeichen nutzen (alle Kinder<br />
»frieren« in ihrer Bewegung ein,<br />
niemand darf sprechen, alle schauen<br />
zur Lehrerin), freundlich knappe<br />
Anweisung geben, wie es weiter gehen<br />
soll.<br />
6. Sich mit den Kindern im Hockkreis<br />
oder einer anderen routiniert funktionierenden<br />
Sozialform treffen<br />
und Frust, Erstaunen, Lob teilen, beschließen,<br />
wie es weitergeht.<br />
Und im Nachhinein: Die Situation<br />
immer kurz mit den Kindern unter dem<br />
Blickwinkel »Selbstständigkeit« reflektieren,<br />
vielleicht ein Ziel für nächstes<br />
Mal festlegen und dafür sorgen, dass<br />
eine ähnliche Situation am nächsten<br />
Tag wieder geübt werden kann, oder<br />
beschließen, dass so verantwortungsvolle<br />
Aufgaben mit so viel selbstständigen<br />
Elementen im Moment nicht<br />
Wochenplan für ______________<br />
Anja, Thomas, Oruc<br />
1. E Eule S. 24<br />
2. Z Lese-Mal-Heft<br />
Ich lese S. ___ und S. ___<br />
3. C zum P p<br />
4. <<br />
Lisa<br />
Ein Versuch zur Tulpe<br />
Ich nehme Nr. ___<br />
5. M Rechen-Domino c mit p<br />
so gut klappen (obwohl die Kinder es<br />
eigentlich bereits konnten) und eine<br />
Chance zur erneuten Umsetzung dazu<br />
neu verdient bzw. erarbeitet werden<br />
muss.<br />
Ist es mal wieder so richtig schief<br />
gelaufen, bin ich frustriert. Ich habe<br />
zwei Beobachtungen gemacht:<br />
1. Die Schuldfrage lässt sich in den<br />
wenigsten Fällen mit der »Dummheit«<br />
oder »Boshaftigkeit« der Kinder<br />
erklären. Meist war ich es, die<br />
eine Situation falsch eingeschätzt<br />
hat, nicht genug vorbereitet oder<br />
transparent genug war.<br />
2. Nach krisenhaften Einbrüchen gibt<br />
es bei konsequentem Festhalten<br />
und Arbeiten am Ziel »Selbstständigkeit«<br />
immer wieder Fortschritte.<br />
Es scheint auch hier zum Lernen<br />
dazuzugehören, dass bestehende<br />
Regeln, Routinen, Verhaltensweisen<br />
immer wieder in Frage gestellt<br />
werden. Manchmal dachte ich, die<br />
Kinder sind übers Wochenende ausgetauscht<br />
worden und können deshalb<br />
nichts mehr. Nach einiger Zeit<br />
tauchen diese Kompetenzen wieder<br />
auf, wenn ich sie weiter konsequent<br />
einfordere.<br />
Wenn »Chaos«<br />
droht, kann auch<br />
das Gespräch im<br />
Kreis helfen,<br />
wieder zur Ruhe<br />
zu kommen<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008<br />
25
Grundschulgeschichte(n)<br />
Rudolf Karnick:<br />
»Störe die Kinder beim Lernen nur,<br />
wenn es unbedingt nötig ist!«<br />
von Horst<br />
Bartnitzky<br />
In den fünfziger und sechziger Jahren<br />
kannte ihn vermutlich fast jeder, der in<br />
der alten Bundesrepublik in den Klassen<br />
1 bis 4 unterrichtete. Seine Bücher standen<br />
wohl in jedem Lehrerzimmer der<br />
Volksschule. Und wer den Namen Rudolf<br />
Karnick nicht kannte, der kannte<br />
doch einen seiner Leitsätze, den er vom<br />
Schulreformer Johannes Kretschmann<br />
übernommen hatte: »Redet um<br />
Sachen!«<br />
Muss man Rudolf Karnick heute<br />
kennen? Nein, man muss nicht. Aber<br />
es ist in mehrfacher Hinsicht lehrreich,<br />
von seinem Lebensweg und von seiner<br />
Arbeit zu wissen. Der Blick zurück auf<br />
Werden und Wirken von Rudolf Karnick<br />
kann auch helfen, die <strong>Grundschule</strong><br />
als eine Schulstufe mit einer eindrucksvollen<br />
pädagogischen Geschichte zu<br />
sehen. Wir tun gut daran, sie zu kennen<br />
und unsere Entwicklungsarbeit heute<br />
als Weiterführung zu verstehen.<br />
Forschendes Lernen<br />
»Bereits das 1. Schuljahr rückt bewusst<br />
von einem Unterricht ab, der seine<br />
Stoffe von außen an das Kind heranbringt«,<br />
so Karnick in seinem Buch für<br />
Erstklasslehrer. Damit meinte er, dass<br />
der Unterricht das Interesse der Kinder<br />
an ihrer Umwelt, ihrer Lebenswelt aufgreifen<br />
und dass dieses Interesse dann<br />
leitend für den Unterricht werden müsse.<br />
»Der Schüler soll aktiv und produktiv<br />
tätig sein … Er muss fähig gemacht werden,<br />
von sich aus Aufgaben zu stellen,<br />
Probleme zu entdecken und nach Mitteln<br />
und Wegen zu suchen, dieselben<br />
zu lösen.« Redet um Sachen – das hieß<br />
auch Kindertümelei zu vermeiden, wie<br />
sie damals, in den fünfziger und sechziger<br />
Jahren, in den Unterklassen der<br />
Volksschule verbreitet war: Das Regentröpfchen<br />
erzählt von seiner Reise.<br />
Nein, die Sache, wie sie das Kind in<br />
seiner Lebenswelt erfährt, gehöre in<br />
den Mittelpunkt und zwar so, dass sie<br />
das Interesse der Kinder zu wecken vermag<br />
und sie zum Fragen und Forschen<br />
anrege. Ein Thema wie »Unsere Feuerwehr«<br />
erschien Karnick nicht einladend,<br />
neugierweckend für Drittklässler,<br />
aber »Feuerwehrmänner haben 24<br />
Stunden Dienst« schlug er als sowohl<br />
sachlich als auch interessefördernd vor<br />
und entwickelte mit den Kindern von<br />
diesem Einstieg her die forschende und<br />
klärende Arbeit. Als Aufgaben stellten<br />
sich dann: die Sache gedanklich durchdringen,<br />
sie experimentell erhandeln,<br />
sprachlich erfassen und auch, wo dies<br />
von der Sache her möglich war, durch<br />
Lied, künstlerische Arbeiten, Literatur<br />
ästhetisch erfahren und gestalten.<br />
Ganzheitlich und nicht fachlich zersplittert;<br />
selbstständig erarbeitend und vom<br />
Lehrerpult aus belehrt – in der Tradition<br />
der Arbeitsschule der Reformpädagogik.<br />
Auf »das innere Beteiligtsein der Kinder<br />
… kommt es an«. Und: »Störe die Kinder<br />
beim Lernen nur, wenn es unbedingt<br />
nötig ist.«<br />
Diese Arbeit an Themen der erfahrbaren<br />
Lebenswelt, der Heimat, wie das<br />
damals üblicherweise hieß, galt Karnick<br />
nur dann als bildungsträchtig,<br />
wenn sie zugleich über sich hinauswies,<br />
wenn sie zur Welterschließung diente:<br />
Sie »muss zum Schlüssel werden, an<br />
den nähesten Verhältnissen die Welt zu<br />
begreifen«.<br />
Bei diesen allgemeinen didaktischen<br />
Überlegungen bezog sich Karnick ausdrücklich<br />
auf Vordenker – von Pestalozzi<br />
bis Wagenschein – Pädagogen<br />
und Didaktiker, die Eigentätigkeit der<br />
Kinder und entdeckendes Lernen als unterrichtliche<br />
Leitideen verstanden.<br />
Was Karnick in grundlegenden und<br />
fachdidaktischen Überlegungen formulierte,<br />
konkretisierte er in seinen<br />
Büchern an zahlreichen Beispielen und<br />
»Unterrichtsbildern«, ausgearbeiteten<br />
Unterrichtsthemen mit unendlich vielen<br />
Ideen, Anregungen, Materialien –<br />
eine schier unerschöpfliche Fundgrube<br />
für den Unterricht. Nicht, dass sie nun<br />
eins zu eins in jeder Klasse umzusetzen<br />
seien. Beispiele waren es, die zeigen<br />
konnten, wie die Arbeitsthemen in einer<br />
bestimmten örtlichen Lebenswirklichkeit<br />
realisiert werden könnten. In einer<br />
anderen Region, einem anderen Lebens-<br />
Prof. Dr. h.c. Rudolf Karnick<br />
(1901 – 1994)<br />
bereich, mit anderen Erfahrungen der<br />
Kinder müssten die Arbeitsthemen auf<br />
diese Kinder und ihren Erfahrungsraum<br />
hin angepasst werden.<br />
Der Band für Klasse 1 (Frohes Schaffen<br />
und Lernen mit Schulanfängern) enthielt<br />
solche beispielhaften Unterrichtsbilder<br />
auf über 200 Seiten, der Band für Klasse<br />
2 (Redet um Sachen) auf über 300, die<br />
beiden Bände für Klasse 3 und 4 (Mein<br />
Heimatort) auf fast 800 Seiten.<br />
In vielen <strong>Grundschule</strong>n werden sich<br />
die Bände in irgendwelchen Schränken<br />
vermutlich noch finden. Es lohnt, sie<br />
in die Hand zu nehmen und sich von<br />
ihnen, mit heutigen Augen kritisch<br />
lesend, anregen zu lassen. Es ist eine<br />
Lektüre wider die Oberflächlichkeit des<br />
Arbeitsblatt-Unterrichts, wider die Zufälligkeit<br />
von Themen, wider die sprachliche<br />
Verarmung und wider die Zersplitterung<br />
des Lernens in Fächer statt in<br />
Lebenszusammenhängen.<br />
Der Band für Klasse 4 sollte Ende der<br />
sechziger Jahre erscheinen. Er wurde<br />
vom Verlag dann nicht mehr gedruckt.<br />
Auch das ist eine lehrreiche Geschichte.<br />
Eine Geschichte aus dem »Kalten Krieg«<br />
Ost gegen West.<br />
Der Sputnik-Schock und eine Folge<br />
1957 hatten die Sowjets den ersten Satelliten,<br />
Sputnik genannt, in den Weltraum<br />
geschickt, ein paar Monate, bevor<br />
die Amerikaner mit dem Explorer so weit<br />
waren. Zur Zeit des Kalten Krieges zwischen<br />
Ost und West bescherten die wenigen<br />
Monate Vorsprung dem Ostblock<br />
einen propagandistischen und wissenschaftlichen<br />
Sieg und der führenden<br />
Macht des Westens, den USA, eine traumatisierende<br />
Niederlage. Das Trauma<br />
hatte einen Namen: Sputnikschock. Wer<br />
26 GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008
Grundschulgeschichte(n)<br />
war schuld? Wie so oft war die Antwort:<br />
die Schule. Neue Bildungsprogramme<br />
wurden aufgelegt: Naturwissenschaftliches,<br />
überhaupt wissenschaftliches<br />
Arbeiten in den Schulen, Frühförderung,<br />
straffes lernzielorientiertes Lernen<br />
sollten die Schmach auf Dauer überwinden<br />
helfen. In Deutschland kamen<br />
entsprechende Entwicklungen mit der<br />
üblichen Verzögerung in den sechziger<br />
Jahren an. Sie führten unter anderem zu<br />
einer neuen Sicht des Sachunterrichts.<br />
Wissenschaftlich sollte er werden und<br />
fachgeprägt. Unterschiedliche Konzepte<br />
kamen konkurrierend auf den<br />
Didaktikmarkt: Konzepte, die Inhalte<br />
der Physik und Chemie für Grundschulkinder<br />
aufbereiteten, Konzepte, die<br />
mehr an den wissenschaftlichen Methoden<br />
orientiert waren wie Beobachten,<br />
Experimentieren, Konstruieren.<br />
Sachunterricht in Art des heimatlichen,<br />
auf den Erfahrungsbereich der Kinder<br />
bezogenen Unterrichts, fächerübergreifend<br />
mit Sprachbildung und den ästhetischen<br />
Fächern galt auf einen Schlag<br />
als überholt. Karnicks Konzept des von<br />
den Kindern und ihren Erfahrungen her<br />
denkenden, ganzheitlichen Sachunterrichts<br />
war für den Verlag plötzlich nicht<br />
mehr interessant. Der im Manuskript<br />
bereits ausgearbeitete Band für Klasse<br />
4 wurde nicht mehr gedruckt.<br />
Hier zeigte sich ein Grundübel didaktischer<br />
Entwicklungen: Sie sind häufig<br />
eben keine Weiterentwicklungen, sondern<br />
Pendelschläge: Nicht die Dialektik<br />
von Entwicklungen zählt, sondern das<br />
Entweder – Oder. Bisheriges gilt als<br />
überholt, Neues als absolut angesagt.<br />
Dabei verzichtet man leichtfertig darauf,<br />
aus dem Bisherigen für das Neue<br />
zu lernen. In den vergangenen zwanzig<br />
Jahren gibt es viele Beispiele für solche<br />
Pendelschläge: Werkstatt und Stationenbetrieb<br />
statt lehrergeleiteten Unterricht,<br />
produktions- und handlungsbezogener<br />
Textumgang statt Gespräche<br />
über Texte.<br />
Rudolf Karnick sah die Entwicklungen<br />
kritisch, bezog sie in sein Denken<br />
ein, schärfte die Argumente und<br />
wirkte daran mit, eine Didaktik bewusst<br />
zu halten und an junge Lehrerinnen<br />
und Lehrer zu vermitteln, die Kind und<br />
Sache weiterhin in einen Dialog brachte.<br />
Längst sind wir im Sachunterricht<br />
wieder so weit, dies für modern zu erachten.<br />
Und heute sehen wir wieder,<br />
wie jeder Sachunterricht immer auch<br />
Sprachunterricht ist.<br />
Ein Jahrhundertleben<br />
Die Grundüberzeugungen und die lange<br />
Wirkungsgeschichte von Rudolf<br />
Karnick kommen nicht von ungefähr.<br />
Sie sind auch eine Frucht seiner Erfahrungen<br />
im Jahrhundert der Weltkriege<br />
und der stürmischen Entwicklungen.<br />
Geboren wurde Rudolf Karnick 1901<br />
in Westpreußen, gestorben ist er 1994 in<br />
Flensburg – ein Jahrhundert leben.<br />
Mit 17 Jahren trat er in den Wandervogel<br />
ein und gewann, wie er selbst resümierte,<br />
in der Jugendbewegung eine<br />
prägende Einstellung zum Menschen.<br />
Er meinte wohl: die Einstellung zur individuellen<br />
Freiheit und zur Bindung in<br />
der Gemeinschaft, zur Lebensfreude als<br />
Grundbedürfnis. Um Lehrer zu werden,<br />
besuchte er das Lehrerseminar. Dann<br />
aber fand er zunächst keine Anstellung<br />
im staatlichen Dienst. Arbeitslosigkeit<br />
war seinerzeit das Schicksal aller Lehreranwärter.<br />
Er arbeite über drei Jahre<br />
als Telegrafenhilfsarbeiter und als Privatlehrer.<br />
Mit 23 Jahren erhielt er dann<br />
die erwünschte Volksschullehrerstelle.<br />
Die schulische Reformbewegung<br />
begeisterte auch ihn. »Wie sieht das<br />
Kind seine Welt, in die wir es einführen<br />
sollen?«, war seine Schlüsselfrage. Er<br />
las (Johann von Uexküll), studierte<br />
nebenbei (u. a. an der Uni in Königsberg)<br />
und gelangte zu einer zentralen<br />
lerntheoretischen Erkenntnis, die er in<br />
einem Vortrag Jahrzehnte später rückblickend<br />
so formulierte: »Es gibt im<br />
Leben des Kindes keine objektive Welt,<br />
es gibt nur eine gelebte Welt, und sie<br />
lebt von der Bedeutung (für das Kind)<br />
her. Das erfordert, die dem Kind eigenen<br />
aktiven Kräfte zu mobilisieren, also<br />
die Anschauungen, Erfahrungen und<br />
Erlebnisse, die das Kind in der Auseinandersetzung<br />
mit der Umwelt gewinnt,<br />
auf vielfältige Weise – vor allem im Gespräch<br />
– zu klären und zu verarbeiten …<br />
um auf diese Weise das Kind allmählich<br />
auch in das Reich des objektiven Geistes<br />
zu bringen.«<br />
1931 wurde er einziger Lehrer an einer<br />
einklassigen Volksschule und unterrichtete<br />
die Klassen 1 bis 8 jahrgangsübergreifend<br />
– zur selben Zeit im selben<br />
Raum. Hier lernte er, Kinder selbstständig<br />
arbeiten zu lassen und entwickelte<br />
seine Landschuldidaktik. Zwanzig Jahre<br />
später schrieb er dazu ein Buch, das seinerzeit<br />
zu den Standardwerken für den<br />
Unterricht an Landschulen zählte.<br />
Im Krieg wurde er Soldat und verlor<br />
am Ende auch seine Heimat. Nach dem<br />
Krieg fand er eine neue in Schleswig-<br />
Holstein und begann als Lehrer in Flensburg.<br />
Bald arbeitete er nebenamtlich an der<br />
neu gegründeten Pädagogischen Hochschule<br />
in Flensburg mit. 1953 wurde er,<br />
wiewohl nicht promoviert, dort zum<br />
Professor für Schulpädagogik ernannt.<br />
Jetzt entstanden die weiteren Standardwerke,<br />
von denen eingangs schon die<br />
Rede war und die schwindelerregende<br />
Auflagen erreichten – bis 1968 und den<br />
Nachwirkungen des Sputnik-Schocks,<br />
siehe oben.<br />
1966 trat Rudolf Karnick in den Ruhestand<br />
– und arbeitete dennoch weiter<br />
für die Schule: Zwanzig Jahre lang noch<br />
hielt er Vorlesungen und gestaltete Seminare.<br />
Prof. Dr. Arnold Stenzel, damals<br />
Kollege von Karnick an der Flensburger<br />
Hochschule, erinnert sich: »Wir haben<br />
es oft erlebt, dass Studenten, die aus<br />
einem Lehrerhaus stammten, von ihren<br />
Eltern dazu ›verdonnert‹ wurden, an<br />
seinen Lehrveranstaltungen teilzunehmen.«<br />
Das mag die Bedeutung zeigen,<br />
die Rudolf Karnick für Generationen<br />
von Lehrerinnen und Lehrern hatte.<br />
1986, inzwischen 85 Jahre alt, beendete<br />
er seine Mitarbeit an der Hochschule<br />
in Flensburg und ging wirklich<br />
in den Ruhestand. Dabei wurde ihm<br />
von der Hochschule die Ehrendoktorwürde<br />
verliehen, die erste Ehrenpromotion,<br />
die von der Hochschule überhaupt<br />
vergeben wurde. 1991 wurde er<br />
1. Ehrenbürger der PH Flensburg.<br />
1994 starb Rudolf Karnick. In seiner<br />
Rede zur Ehrenpromotion sagte er:<br />
»Mein Lebensglück fand ich im Dienst<br />
an der Schule.« Die <strong>Grundschule</strong> hatte<br />
das Glück, dass es Rudolf Karnick gab.<br />
Gäbe es eine »Hall of Fame« der <strong>Grundschule</strong>,<br />
Rudolf Karnick hätte hier einen<br />
Platz.<br />
Quellen<br />
Bücher von Rudolf Karnick, alle erschienen im Beltz-Verlag,<br />
Weinheim:<br />
Frohes Schaffen und Lernen mit Schulanfängern. Erste Auflage 1955<br />
»Redet um Sachen!« Beiträge für den Unterricht im 2. Schuljahr.<br />
Erste Auflage 1958<br />
Mein Heimatort. Beiträge für den Unterricht im 3. Schuljahr.<br />
1. Teilband. Erste Auflage 1964<br />
Reden aus Anlass der Ehrenpromotion 1986<br />
Schriftverkehr mit Prof. Dr. Arnold Stenzel und Ortrud Teichmann,<br />
einer Tochter von Rudolf Karnick<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008<br />
27
Grundschulverband <strong>aktuell</strong> … auf Bundesebene<br />
Nachrichten aus<br />
dem Bundesverband<br />
Jetzt erschienen:<br />
Band »Demokratische <strong>Grundschule</strong>«<br />
Dass Kinder auch Rechte haben, wird zunehmend<br />
diskutiert, seitdem öffentlich wahrgenommen<br />
wird, dass die UN-Kinderrechtskonvention auch von<br />
Deutschland angenommen worden ist. Aber was<br />
heißt das konkret – und vor allem für die Schule?<br />
Im Herbst 2007 trafen sich an der Universität Siegen<br />
Expertinnen und Experten, Wissenschaftler wie<br />
Schulpraktiker aus verschiedenen Ländern, um zwei<br />
Fragen nachzugehen:<br />
■ Unter welchen Bedingungen können Kinder<br />
das Potenzial für ihre zukünftige Entwicklung am<br />
besten entfalten, wie also müssen Lerngelegenheiten<br />
gestaltet werden, um Lernchancen für die<br />
Persönlichkeits- und die fachliche Entwicklung zu<br />
bieten? In dieser auf Zukunft bezogenen Perspektive<br />
geht es um Schule als demokratischen Lernraum.<br />
■ Unter welchen Bedingungen sollen junge Menschen<br />
im öffentlichen Raum aufwachsen dürfen?<br />
Wie also muss das Zusammenleben von Erwachsenen<br />
und Kindern als gegenwärtige Beziehung<br />
gestaltet und geregelt werden, wenn sie von wechselseitigem<br />
Respekt getragen werden soll? Diese<br />
Fragen zielen auf Anforderungen an Schule als <strong>aktuell</strong>en<br />
demokratischen Lebensraum.<br />
Die Beiträge zu dieser Tagung sind anlässlich der<br />
Ehrenpromotion von Horst Bartnitzky, des Vorsitzenden<br />
des Grundschulverbands, entstanden (vgl.<br />
»<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>« 100, S. 54) und wurden für<br />
diese Publikation überarbeitet sowie durch weitere<br />
Beiträge ergänzt.<br />
So umfasst der Band ein breites Spektrum an konzeptuellen,<br />
empirischen und unterrichtspraktischen<br />
Themen bzw. Positionen – u. a. von Horst Bartnitzky,<br />
Silvia-Iris Beutel, Erika Brinkmann, Hans<br />
Brügelmann, Manuela du Bois-Reymond, Wolfgang<br />
Harder, Andreas Hartinger, Falko Peschel.<br />
Außerdem stellen sich zehn Schulen vor – von Summerhill<br />
und Sudbury Jerusalem über die Glocksee-<br />
Schule und die <strong>Grundschule</strong> Harmonie (Eitorf) bis<br />
hin zu den <strong>Grundschule</strong>n Christazhofen und Kreuztal-Buschhütten,<br />
die unterschiedliche Facetten und<br />
Grade der Demokratisierung<br />
repräsentieren.<br />
Ein lesenswerter<br />
Band mit einer<br />
Fülle von Anregungen<br />
für<br />
die Schul- und<br />
Unterrichtsgestaltung.<br />
Jetzt schon vormerken<br />
BundesGrundschulKongress<br />
25. – 26. September 2009<br />
Kongresszentrum Fulda (direkt am Hauptbahnhof)<br />
Alle zehn Jahre lädt der Grundschulverband zum großen<br />
BundesGrundschulKongress ein.<br />
2009 ist es wieder so weit: 90 Jahre <strong>Grundschule</strong> in Deutschland,<br />
40 Jahre Grundschulverband – das ist der äußere Anlass, um über<br />
Situation und Perspektiven der <strong>Grundschule</strong> nachzudenken.<br />
Die bundesweiten Vergleichs arbeiten<br />
werden vermutlich ebenso ein Thema<br />
sein wie der Umgang mit schwierigen<br />
Kindern, die Gestaltung des Ganztages<br />
ebenso wie die Schulstruktur,<br />
die Lehrerbildung ebenso wie die<br />
Schulqualität.<br />
Freuen können sich die Teilnehmer<br />
und Teilnehmerinnen auf vielfältige<br />
Anregungen für die Praxis: für eine<br />
kindgerechte Lernkultur mit kreativem<br />
Arbeiten und mit Experimenten,<br />
mit Werkstatt-Arbeit und mit sinnenreichen<br />
Angeboten.<br />
Dazu jede Menge Erfahrungsaustausch<br />
mit Gleichgesinnten bei Imbiss<br />
und Getränken.<br />
Mitglieder des Grundschulverbandes<br />
sollten teilnehmen. Nicht-Mitglieder<br />
sind ebenso willkommen. Je mehr<br />
Kolleginnen und Kollegen dabei sind,<br />
umso deutlicher ist die Botschaft<br />
auch für die Öffentlichkeit:<br />
Für eine <strong>Grundschule</strong>, die allen Kindern gerecht wird.<br />
Nachlese zum Thema »Kopfnoten«<br />
»Soziale Kompetenzen und die Kopfnoten«<br />
war der Titel unseres letzten Heftes. Das<br />
Thema steht in engem Zusammenhang mit<br />
»selbstständigem Lernen«. In einem Interview<br />
mit dem Bonner »General-Anzeiger«<br />
(18.01.08) antwortete der Siegener Erziehungswissenschaftler<br />
Prof. Dr. Hans Brügelmann<br />
zur Frage, was Kopfnoten aussagen<br />
können:<br />
»Das frage ich mich auch. Schon Fachnoten<br />
sagen so wenig über eine Leistung wie die Zahlen<br />
des Fieberthermometers über die Art einer<br />
Krankheit. Besonderheiten von sozialem Verhalten<br />
und Arbeitshaltung sind nicht mit Ziffern<br />
oder sprachlichen Etiketten zu fassen. (…)<br />
Für die Förderung braucht man konkrete Hinweise,<br />
welcher Art die Schwierigkeiten und was<br />
ihre vermutlichen Ursachen sind – vor allem<br />
aber: in welcher Richtung etwas zu tun ist.<br />
Das geht alles am besten im Gespräch, persönlich<br />
oder im Klassenrat. Und nicht als Urteil<br />
›von oben‹, sondern als gemeinsame Klärung<br />
und Absprache.«<br />
www.grundschulverband.de<br />
Die Zugriffszahlen auf unsere Homepage<br />
sind in den letzten Monaten enorm angestiegen.<br />
Bevorzugt werden die Informationen<br />
über unsere Veröffentlichungen aufgerufen.<br />
Der Band umfasst 464 S., gegen eine Schutzgebühr von 15 € (inkl. Versand)<br />
zu bestellen bei: Gisela Rosenthal, FB 2 / Arbeitsgruppe Primarstufe,<br />
Universität Siegen, Adolf-Reichwein-Str. 2, 57068 Siegen –<br />
oder online unter www.demokratische-grundschule.de<br />
Es hat sich eine Menge getan, um unsere<br />
Seiten leser/innenfreundlicher und noch<br />
informativer zu gestalten. Letztes Beispiel:<br />
Die Gestaltung eines interessanten<br />
Mitgliederbereichs. Hineinklicken lohnt<br />
sich.<br />
Sinkende Mitgliederzahlen<br />
Ein Trend konnte – trotz erhöhter<br />
Medien präsenz und Öffentlichkeitsarbeit,<br />
trotz starker und positiver Resonanz<br />
auf unsere Positionen und Publikationen<br />
– noch nicht gestoppt werden:<br />
Wie alle Lehrerverbände und viele vergleichbare<br />
Organisationen hat auch der<br />
Grundschulverband mit sinkenden Mitgliederzahlen<br />
zu kämpfen.<br />
Zu einer Trendwende kann jedes einzelne<br />
Mitglied beitragen. Im März schrieb das<br />
Team unserer Geschäftsstelle in Frankfurt<br />
in einem Brief an alle Mitglieder:<br />
»Wenn Sie mit uns der Meinung sind, dass<br />
der Grundschulverband als pädagogischer<br />
Fachverband durch seine bildungspolitische<br />
Arbeit und auch durch seine Veröffentlichungen<br />
eine wichtige Funktion<br />
erfüllt, (…) dann empfehlen Sie auch Ihren<br />
Kommilitoninnen und Kommilitonen,<br />
Ihren Kolleginnen und Kollegen sowie Ihrer<br />
Schulleitung die Mitgliedschaft im Grundschulverband!<br />
Unser Einfluss und unsere<br />
Wirkung hängen auch von der Anzahl<br />
unserer Mitglieder ab.«<br />
Diesem Appell ist nichts hinzuzufügen.<br />
Bitte helfen Sie mit.<br />
28 GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008
Grundschulverband <strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Baden–Württemberg<br />
Anschrift: Dipl.–Päd. Adolf Messer, Stockacker 15, 79252 Stegen,;<br />
www.gsv–bw.de<br />
Umwälzung der Elementarpädagogik<br />
in Baden-Württemberg<br />
Derzeit gibt es in Baden-Wür t-<br />
temberg eine rasante Entwicklung,<br />
die das Verhältnis von<br />
Kindergarten und <strong>Grundschule</strong><br />
langfristig auf eine neue Grundlage<br />
stellen wird. Dazu gehört<br />
sicher auch, dass die Vorschulzeit<br />
wieder stärker als Bildungszeit<br />
begriffen wird. Deshalb wurde<br />
der Kindergarten unter die Obhut<br />
des Kultusministeriums gestellt<br />
und – wie auch in anderen Bundesländern<br />
– für ihn eine Art von<br />
Bildungsplan entwickelt. An allen<br />
Pädagogischen Hochschulen des<br />
Landes gibt es inzwischen BA-<br />
Studiengänge für künftige ErzieherInnen,<br />
die gleichwertig neben<br />
denen der Lehrämter stehen<br />
und auch mit diesen vernetzt<br />
sind und überlappend studiert<br />
werden. Bildungshäuser versuchen<br />
erstmalig, Kindergarten<br />
und <strong>Grundschule</strong> pädagogischkonzeptionell<br />
und institutionell<br />
näher aneinander zu rücken. Wie<br />
nie zuvor sind wir derzeit dabei,<br />
die Fundamente zu verändern,<br />
auf denen das Verhältnis von<br />
Kindergarten und <strong>Grundschule</strong><br />
beruht.<br />
Auf unserem Grundschultag<br />
»Kindergarten und <strong>Grundschule</strong><br />
begegnen einander. Auf dem<br />
Weg zu einer gemeinsamen Bildungsverantwortung?«<br />
werden<br />
wir die Perspektiven ausleuchten,<br />
die sich aus der Aufgabe ergeben,<br />
gemeinsame Bildungsverantwortung<br />
von Kindergarten und<br />
<strong>Grundschule</strong> zu begründen und<br />
nicht länger Getrenntes zu überbrücken.<br />
Diese Aufgabe wird uns<br />
sicher noch lange und in wachsendem<br />
Maße beschäftigen.<br />
Nachdem wir auf mehreren<br />
Fachtagungen fachdidaktische<br />
Aspekte dieser Aufgabe behandelt<br />
haben, wollen wir nun stärker<br />
ihre pädagogische Dimension<br />
diskutieren. Zu diesem Zweck<br />
haben wir Frau Prof. Dr. Edeltraud<br />
Röbe (Pädagogische Hochschule<br />
Ludwigsburg) als Vertreterin<br />
der Grundschulpädagogik und<br />
Prof. Dr. Gerd E. Schäfer als Vertreter<br />
der Elementarpädagogik<br />
zu einem Vortrag mit Diskussion<br />
eingeladen.<br />
Wir werden über die Ergebnisse<br />
berichten.<br />
(für die Landesgruppe:<br />
Hans–Joachim Fischer)<br />
Bayern<br />
Vorsitzende: Dr. Gudrun Schönknecht, Pfirsichweg 37b, 86169 Augsburg<br />
Treffen der Regionalgruppe<br />
Unterfranken<br />
am Freitag,<br />
4. Juli 2008, 15 Uhr,<br />
Mönchbergschule,<br />
Richard–Wagner–Str. 62,<br />
97074 Würzburg.<br />
Alle Mitglieder und Interessierte<br />
sind herzlich willkommen.<br />
Anmeldung bitte an Fred Völker:<br />
fred.voelker@arcor.de<br />
Treffen der Regionalgruppe<br />
Zukunftswerkstatt Oberpfalz<br />
am Donnerstag,<br />
8. Mai 2008, 14.30Uhr,<br />
Volksschule Rötz,<br />
Pfarrer–Schreiner–Str. 6,<br />
92444 Rötz.<br />
Alle interessierten Lehrerinnen<br />
und Lehrer sind herzlich einge-<br />
laden. Thema: Praktische Arbeit<br />
an einer Werkstatt zum Rechnen<br />
mit Geld.<br />
Anmeldung bitte an Bianca<br />
Ederer: biancaederer@web.de<br />
Mitgliederversammlung<br />
mit Neuwahlen<br />
Freitag, 20. Juni 2008,<br />
15 bis 18 Uhr,<br />
im Ulrichshaus,<br />
Kappelberg 1, 86150 Augsburg<br />
Geplant ist ein Vortrag von<br />
Gabriele Klenk und Katja Entfellner<br />
zur Thematik »Lerngespräche<br />
in einer pädagogischen<br />
Leistungskultur« und ein Bericht<br />
über die Tätigkeiten der Landesgruppe.<br />
(für die Landesgruppe: Bianca Ederer)<br />
Berlin<br />
Kontakt: Ing rid Kornmesser, Kohlfurter Str. 4, 10999 Berlin;<br />
www.gsv–berlin.de<br />
Kürzungsmaßnahme konterkariert<br />
Schulgesetz<br />
Die Lehrerstunden für den<br />
gemeinsamen Unterricht behinderter<br />
und nicht behinderter Kinder<br />
sollen im kommenden Schuljahr<br />
weiter gekürzt werden. Nach<br />
den derzeitigen Planungen der<br />
Senatsbildungsverwaltung soll<br />
künftig eine <strong>Grundschule</strong> für ein<br />
lernbehindertes Kind und für ein<br />
Kind mit anerkanntem Förderbedarf<br />
wegen besonderer Verhaltensprobleme<br />
nur noch jeweils<br />
2,5 zusätzliche Lehrerstunden pro<br />
Woche erhalten. Ursprünglich<br />
wurden hierfür 5,5 zusätzliche<br />
Lehrerstunden zur Verfügung<br />
gestellt, dann 2,5 bis 4,5 Lehrerstunden.<br />
In vielen <strong>Grundschule</strong>n<br />
werden auch Kinder mit einer<br />
geistigen Behinderung gemein -<br />
sam mit den anderen<br />
Schüler(inne)n unterrichtet.<br />
Diese anspruchsvolle pädagogische<br />
Aufgabe wurde noch vor<br />
drei Jahren mit 10 zusätzlichen<br />
Lehrerstunden pro Woche unterstützt.<br />
Vor einem Jahr wurde<br />
diese Anzahl auf 8 Lehrerstunden<br />
reduziert. Vom neuen Schuljahr<br />
an sollen hierfür nur noch<br />
5 zusätzliche Lehrerstunden<br />
bereit gestellt werden. Mit<br />
5 zusätzlichen Lehrerstunden pro<br />
Woche kann die Bildung von Kindern<br />
mit einer geistigen Behinderung<br />
gemeinsam mit anderen<br />
Brandenburg<br />
Vorsitzende: Denise Sommer, Weinbergweg 21, 15834 Rangsdorf<br />
Individuelles Lernen fördern –<br />
Individuelles Fördern lernen<br />
Unter dieser Thematik steht der<br />
diesjährige Grundschultag, den<br />
der Grundschulverband Brandenburg<br />
in Zusammenarbeit mit<br />
dem Landesinstitut für Schule<br />
und Medien Berlin-Brandenburg<br />
(LISUM) am 23. Mai 2008 in Ludwigsfelde<br />
durchführt. Die Ergebnisse<br />
der landesweiten Schulvisitationen<br />
machen deutlich,<br />
dass die Förderung des einzelnen<br />
Kindes noch nicht gut genug<br />
gelingt. Wir möchten mit diesem<br />
Fortbildungsangebot Lehrerinnen<br />
und Lehrer bei dieser schwierigen<br />
Aufgabe in ihrem Schulalltag<br />
unterstützen. Besonders freuen<br />
wir uns auf den Einführungsvortrag<br />
von Heide Bambach,<br />
der die Eigenheiten der Kinder<br />
beim Lernen und Möglichkeiten<br />
der Individualisierung unter die<br />
Lupe nimmt. In 7 Arbeitsgruppen<br />
geben Kolleginnen aus Berlin und<br />
Brandenburg Anregungen aus<br />
den Bereichen Schriftspracherwerb,<br />
Freies Schreiben, Leseförderung,<br />
Mathemathik und<br />
Fremdspachen. Darüber hinaus<br />
stehen die Entwicklung individueller<br />
Förderpläne, selbstgesteuertes<br />
Lernen mit Lernplänen in<br />
Fortsetzung auf Seite 30<br />
den Klassen 5/6 und förderdiagnostische<br />
Instrumente im Fokus<br />
der Angebote. Verlage präsentieren<br />
ihre Materialien, so dass sich<br />
die Teilnehmerinnen einen Überblick<br />
über die vielfältigen Angebote<br />
verschaffen können. Wir<br />
hoffen auf eine gute Resonanz<br />
und freuen uns auf den gemeinsamen<br />
Grundschultag mit dem<br />
LISUM. Den genauen Tagungsablauf,<br />
weitere Informationen und<br />
Anmeldungen können auf der<br />
Homepage des Brandenburger<br />
Grundschulverbandes und des<br />
LISUM abgerufen werden:<br />
www.gsv-brandenburg.de<br />
www.lisum.berlin-brandenburg.<br />
de<br />
(für die Landesgruppe: Denise Sommer)<br />
Im Herbst werden wir die Thematik<br />
der Individualisierung mit<br />
einer Fachtagung, für die Roland<br />
Bauer bereits zugesagt hat, fortsetzen.<br />
Donnerstag,<br />
16. Oktober 2008,<br />
11.30 bis 17.00 Uhr,<br />
<strong>Grundschule</strong> Mittenwalde<br />
Arbeitstitel: Neues aus der Lerntheorie<br />
und Konsequenzen für<br />
Schule und Unterricht<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008<br />
29
Grundschulverband <strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Berlin<br />
Fortsetzung von Seite 29<br />
Hamburg<br />
Vorsitzende: Susanne Peters, Güntherstraße 10, 22087 Hamburg;<br />
susanne.peters@gsvhh.de, www.gsvhh.de<br />
Integrationskongress<br />
Als Kooperationsveranstaltung<br />
verschiedener Verbände fand<br />
vom 7. bis 9. Februar in Hamburg<br />
der Kongress »Gemeinsam<br />
lernen – Prävention – Integration<br />
– Inklusion« statt. In Vorträgen,<br />
Workshops, Diskussionen<br />
und vor allem bei den Hospitationen<br />
an vielen integrativen<br />
Schulen gab es Gelegenheit<br />
zu intensivem Erfahrungsaustausch.<br />
Wir hoffen, dass der neu<br />
gewählte Hamburger Senat den<br />
Wert integrativer pädagogischer<br />
Förderung erkennt und an dem<br />
Konzept der integrativen Regelschulen<br />
nicht nur festhält, sondern<br />
für alle Schulen einführt.<br />
Bündnis innovative Zeugnisse<br />
(BIZ)<br />
Ein Bündnis hatte sich im Herbst<br />
zusammengefunden, um die<br />
drohende Notengebung in Integrationsklassen<br />
zu verhindern.<br />
Nachdem nun ein Schulversuch<br />
»Innovative Kompetenzmessung«<br />
eingerichtet worden ist,<br />
unterstützen die beteiligten Verbände<br />
– unsere Landesgruppe,<br />
die Elternkammer, der Verband<br />
Integration an Hamburger Schulen,<br />
Leben mit Behinderung<br />
Hamburg und Eltern für Integration<br />
– die Schulen bei der<br />
Planung und Umsetzung des<br />
Schulversuchs. Bei einer Diskussionsveranstaltung<br />
mit dem<br />
Kindern ohne Behinderung nicht<br />
verantwortungsvoll verwirklicht<br />
werden.<br />
Diese beabsichtigten Kürzungsmaßnahmen<br />
würden unweigerlich<br />
dazu führen, dass Kinder mit<br />
Behinderungen wieder zunehmend<br />
mehr auf Spezialschulen<br />
unterrichtet werden, ohne den<br />
für ihre Entwicklung wichtigen<br />
Kontakt zu nicht behinderten<br />
Kindern. Dies würde außerdem<br />
im eklatanten Widerspruch zur<br />
Festlegung des Berliner Schulgesetzes<br />
stehen, nach der die<br />
»Förderung von Schülerinnen<br />
und Schülern mit sonderpädagogischem<br />
Förderbedarf vorrangig<br />
im gemeinsamen Unterricht<br />
erfolgen soll.« Die Landesgruppe<br />
des Grundschulverbandes hat<br />
den Bildungssenator aufgefordert,<br />
keine Kürzungen zulasten<br />
des gemeinsamen Unterrichts<br />
von behinderten und nicht<br />
behinderten Kindern zuzulassen,<br />
um weiteren Schaden von den<br />
Berliner <strong>Grundschule</strong>n und von<br />
den Kindern, für deren Bildung<br />
sie verantwortlich sind, abzuwenden.<br />
(für die Landesgruppe: Peter Heyer;<br />
peterheyer@snafu.de<br />
Amtsleiter Norbert Rosenboom<br />
wurden am 4. März die<br />
Chancen des Schulversuchs erörtert<br />
und Probleme aufgezeigt.<br />
Wir begrüßen ausdrücklich den<br />
eingerich teten Schulversuch, der<br />
es zunächst 50 Schulen ermöglicht,<br />
individuelle Formen der<br />
Leis tungsrückmeldung zu entwickeln<br />
und zu erproben und auf<br />
Notenzeugnisse zu verzichten.<br />
Wir hoffen, dass mit der Ausdehnung<br />
des Schulversuchs auf weitere<br />
Schulen am Sommer ernst<br />
gemacht wird.<br />
»Frühbeete der Gegenwart«<br />
Unter diesem Motto setzen wir<br />
unsere Veranstaltungsreihe fort,<br />
in der wir Beispiele guter pädagogischer<br />
Praxis interessierten<br />
Mitgliedern (auch denen unserer<br />
benachbarten Landesgruppen!)<br />
zugänglich machen möchten.<br />
Interessenten, die nicht in<br />
unserem E-Mail-Verteiler sind,<br />
wenden sich an die Landesgruppe.<br />
(für die Landesgruppe: Susanne Peters)<br />
»Frühbeete der Gegenwart«<br />
Hospitation zum Thema<br />
Leistungskultur<br />
Donnerstag,<br />
24. April 2008, 8 Uhr<br />
Gesamtschule<br />
Am Heidberg<br />
Abteilung <strong>Grundschule</strong><br />
Ansprechpartnerin:<br />
Elisabeth Prosotowitz<br />
Hessen<br />
Anschrift: Ilse Marie Krauth, Steigerwaldweg 3, 63456 Hanau<br />
Wann, wenn nicht jetzt?<br />
Hessen hat gewählt. Das Ergebnis<br />
ist hinreichend bekannt. Einen<br />
Regierungswechsel gibt es zwar<br />
vorerst nicht, dennoch zeichnen<br />
sich Veränderungen für Schule<br />
ab. Der weit verbreitete Unmut<br />
über G 8, U plus, Zementierung<br />
des dreigliedrigen Schulsystems,<br />
von der bisherigen Regierung bis<br />
zur Wahl nicht ernst genommen,<br />
hat wesentlich zum Wahlergebnis<br />
beigetragen. Die bisherige Kultusministerin,<br />
die ihre Politik bis<br />
zuletzt als Erfolg verkauft hat, ist<br />
zurückgetreten. Ihre Aufgaben<br />
übernimmt der Justizminister.<br />
In Hessen hat sich ein »Bündnis<br />
für bessere Bildung für alle« gebildet.<br />
Diesem Bündnis gehören die<br />
GEW, der ebh (Elternbund Hessen),<br />
die Landesastenkonferenz,<br />
die LandesschülerInnenvertretung,<br />
der Verband allein erziehender<br />
Mütter und Väter und wir, die<br />
Landesgruppe Hessen, an. Unser<br />
gemeinsames Ziel ist eine Veränderung<br />
der Schul- und Bildungspolitik,<br />
und wir wollen sie jetzt.<br />
Die »Bad Wildunger Erklärung« der<br />
CDU, die Vorschläge zu Sofortmaßnahmen<br />
von Bündnis 90/Die<br />
Grünen, das »Haus der Bildung«<br />
der SPD sind nicht konkret genug.<br />
Portfolio<br />
Leistungsfeststellung und<br />
Leistungsbewertung sind zentrale<br />
Aufgaben der <strong>Grundschule</strong>.<br />
Hierbei fällt häufig der Begriff<br />
»Portfolio«. Auch in den niedersächsischen<br />
Kerncurricula wird<br />
auf diese Form der Leistungsbeurteilung<br />
explizit verwiesen.<br />
Was verbirgt sich hinter diesem<br />
Begriff? Wenig bekannt sind für<br />
viele Lehrende die unterschiedlichen<br />
Ideen, die hinter diesem<br />
Begriff stehen und die vielfältigen<br />
Möglichkeiten, die Portfolios<br />
bieten. In der Veranstaltung<br />
werden von der Referentin<br />
Christiane Schicke konkrete<br />
Beispiele vorgestellt, die praktische<br />
Anregungen für die eigene<br />
unterrichtliche Umsetzung<br />
geben. Ebenso wird aufzeigt, auf<br />
welchen Ebenen die Portfolioarbeit<br />
auf den Unterricht zurück-<br />
Wir fordern alle Parteien, die im<br />
Augenblick Mehrheiten zur Verwirklichung<br />
ihrer politischen Vorhaben<br />
und zum Einhalten ihrer<br />
Wahlversprechen suchen, auf,<br />
klare Aussagen zu treffen.<br />
Die Positionen des Bündnisses<br />
sind eindeutig.<br />
Wir fordern:<br />
■ Längeres gemeinsames Lernen<br />
für alle Schülerinnen und<br />
Schüler,<br />
■ keine frühe Selektion nach<br />
Klasse 4 und auch kein zweigliedriges<br />
System, bei dem<br />
das Gymnasium unangetastet<br />
bleibt<br />
■ Diskussion über Leistungsbewertung,<br />
■ keine Noten am Ende des<br />
2. Schuljahres<br />
■ Eine ausreichende Lehrerversorgung,<br />
keine unprofessionelle<br />
Betreuung im Rahmen<br />
der »Unterrichtsgarantie plus«<br />
Ganztagsschule<br />
■ Abschaffung von G 8<br />
■ Rücknahme der Studiengebühren<br />
In Hessen ist die Zeit reif für Veränderungen.<br />
Wann, wenn nicht<br />
jetzt?<br />
(für die Landesgruppe:<br />
Ilse Marie Krauth )<br />
Niedersachsen<br />
Kontakt: Dr. Eva Gläser, Fasanenstr. 1, 38<strong>102</strong> Braunschweig; www.gsv–nds.de<br />
wirkt. Frau Schicke setzt sich<br />
seit vielen Jahren sowohl theoretisch<br />
als auch praktisch mit dem<br />
Thema Portfolio auseinander.<br />
Herzlich eingeladen sind nicht<br />
nur Mitglieder des Grundschulverbandes,<br />
sondern alle am<br />
Thema Interessierten.<br />
Portfolios in der <strong>Grundschule</strong><br />
und Austausch über <strong>aktuell</strong>e<br />
Themen des Grundschulverbandes<br />
Donnerstag,<br />
12.Juni 2008<br />
von 16 bis 18 Uhr<br />
Referentin:<br />
Christiane Schicke<br />
Ort: <strong>Grundschule</strong> Klint 26,<br />
38100 Braunschweig<br />
Eingeladen sind Mitglieder des<br />
Grundschulverbandes und Interessierte<br />
30 GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008
Grundschulverband <strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Rheinland–Pfalz<br />
Anschrift: Werner Lang, Am Wingertsberg 8, 67756 Hinzweiler<br />
Grundschultag 2008<br />
Unter dem Motto »<strong>Grundschule</strong><br />
auf dem Weg zur neuen Lernkultur«<br />
fand am 26. Februar 2008<br />
mit großem Erfolg der Grundschultag<br />
der Landesgruppe RLP<br />
an der Universität Koblenz-<br />
Landau (Campus Koblenz) in<br />
Zusammenarbeit mit dem Institut<br />
für Grundschulpädagogik<br />
statt. Rund 400 Teilnehmende<br />
fanden den Weg nach Koblenz<br />
und wurden mit den einführenden<br />
Worten des Landesvorsitzenden,<br />
Werner Lang, und der<br />
Ministerin für Bildung, Wissenschaft,<br />
Jugend und Kultur, Doris<br />
Ahnen, begrüßt. In ihren Ausführungen<br />
bezog sich Frau Ahnen<br />
insbesondere auf die individuelle<br />
Förderung von Schülerinnen und<br />
Schülern als Aufgabe aller Schularten,<br />
insbesondere aber der<br />
<strong>Grundschule</strong>. Durch die neuen<br />
Teilrahmenpläne und den Orientierungsrahmen<br />
Schulqualität<br />
(ORS) sei individuelles Lernen mit<br />
der Zielsetzung des Förderns und<br />
Forderns fundiert. Des Weiteren<br />
hob Frau Ahnen die Bedeutung<br />
des vorschulischen Lernens und<br />
die Notwendigkeit einer engen<br />
Kooperation zwischen Kindertagesstätte<br />
und <strong>Grundschule</strong><br />
hervor.<br />
Zum Schwerpunktthema »Gute<br />
Schule – guter Unterricht« leitete<br />
dann Ulrich Hecker mit seinem<br />
Eröffnungsreferat über.<br />
Er schilderte zunächst den Stand<br />
der »Baustelle <strong>Grundschule</strong>«<br />
nach PISA und IGLU und stellte<br />
kritisch in Frage, wie klausurartige<br />
Prüfungen mit einer positiv<br />
besetzten und sich an einem<br />
umfassenden Bildungsauftrag<br />
orientierenden Leistungskultur<br />
zusammenpassen sollen.<br />
Anhand des Leitkonzepts zeitgemäßer<br />
Grundschularbeit zeigte<br />
er auf, was als »ermutigende<br />
Pädagogik« verstanden werden<br />
will. Mit den Ausführungen<br />
zum Projekt »pädagogische<br />
Leistungskultur«legte er dabei<br />
die Grundgedanken des Grundschulverbands<br />
dar.<br />
(Der Vortrag befindet sich als<br />
Download auf der Homepage der<br />
Landesgruppe: www.wl-lang.de)<br />
Nach diesem gemeinsamen<br />
Anfang besuchten die Teilnehmer<br />
einen von 15 interessanten Workshops<br />
sowie einen weiteren Vortrag<br />
(»Unterricht ohne zu unterrichten<br />
– ein radikales Konzept<br />
Offenen Unterrichts«, Referent:<br />
Falco Peschel / »Die UN-Kinderrechtskonvention<br />
als Grundlage<br />
für eine demokratische Schulund<br />
Unterrichtskultur«, Referentin:<br />
Sonja Student, DeGeDe).<br />
Neben den vielfältigen Angeboten<br />
blieb den Teilnehmern ausreichend<br />
Zeit zum zwanglosen<br />
Austausch und zum Stöbern und<br />
Informieren an den verlags-/<br />
verbandseigenen Ausstellungstischen.<br />
Nach den Veranstaltungen trafen<br />
sich die Mitglieder der Landesgruppe<br />
RLP zur Mitgliederversammlung.<br />
Zur neu gewählten und erweiterten<br />
Vorstandschaft der<br />
Landesgruppe gehören:<br />
Werner Lang (Vorsitzender),<br />
Ulrich Dittrich (Kassenführer),<br />
Konstanze Rosinus<br />
(Pressearbeit), Martina Lummel-<br />
Deutschle, Carmen Lang, Heike<br />
Markens, Rainer Mies, Sabina<br />
Stommel, Julia Treiber, Monika<br />
Bäumer-Spahl, Mandy Höh<br />
(für die Landesgruppe:<br />
Konstanze Rosinus)<br />
Saarland<br />
Vorsitzende: Lilo Groll, Holbeinstr. 11, 66128 Saarbrücken<br />
Zusammenarbeit<br />
Kindergarten – <strong>Grundschule</strong><br />
Portfolio für Kindergärten<br />
Im Bereich der frühen Bildung<br />
liegt zurzeit bundesweit ein<br />
Augenmerk auf der besseren<br />
Verzahnung des vorschulischen<br />
Bereichs mit dem der <strong>Grundschule</strong>.<br />
In den letzten Jahren<br />
haben alle Länder eine Vielfalt an<br />
Maßnahmen entwickelt mit dem<br />
Ziel, den Übergang vom Elementarbereich<br />
in den Primarbereich<br />
kontinuierlich zu verbessern.<br />
Zu Maßnahmen, die eine bessere<br />
Zusammenarbeit zwischen<br />
den beiden Bildungsbereichen<br />
ermöglichen gehören:<br />
■ Bildungspläne für den Kinder-<br />
gartenbereich,<br />
■ rechtzeitige intensive Sprach-<br />
förderung,<br />
■ gegenseitige Hospitationen,<br />
gemeinsame Einschulungskonferenzen<br />
■ u. v. m.<br />
In vielen Einrichtungen gehört<br />
dies bereits zum Alltag. Aus Sicht<br />
der Landesgruppe ist jedoch die<br />
Institutionalisierung der Kooperation<br />
zwischen Elementar- und<br />
Primarbereich von besonderer<br />
Bedeutung. Ziel muss es sein,<br />
sich an gemeinsamen Grundsätzen<br />
für die pädagogische Arbeit<br />
zu orientieren. In diesem Zusammenhang<br />
scheint es den Mitgliedern<br />
der Landesgruppe von<br />
besonderer Bedeutung, den Bildungsprozess<br />
bei Kindern möglichst<br />
kontinuierlich zu beobachten<br />
und zu dokumentieren.<br />
Als ersten Schritt in diese Richtung<br />
wertet die Landesgruppe<br />
das saarländische Portfolio für<br />
den Kindergarten, das am<br />
29. 2. 2008 in Saarbrücken vorgestellt<br />
wurde. Etwa 1 000 Erzieherinnen<br />
und Erzieher waren der<br />
Einladung des Ministeriums für<br />
Bildung, Familie, Frauen und Kultur<br />
gefolgt und bekamen neben<br />
der Information über das Portfolio<br />
interessante Vorträge von<br />
Dr. Donata Elschenbroich und<br />
weiteren Portfolio-Spezialisten<br />
geboten. Das Portfolio ist in<br />
Anlehnung an das Bildungsprogramm<br />
für saarländische Kindergärten<br />
entwickelt worden und<br />
legt ein besonderes Augenmerk<br />
auf das letzte Kindergartenjahr<br />
und den Übergang Kindergarten–<br />
<strong>Grundschule</strong>.<br />
Besonders hervorzuheben ist,<br />
dass zur Einführung des Portfolios<br />
im Saarland neue Wege<br />
beschritten wurden: Ein begleitender<br />
Dokumentarfilm veranschaulicht,<br />
wie mit dem<br />
Portfoliomaterial erfolgreich<br />
gearbeitet werden kann. Der Film<br />
unterstützt damit die Implementierung<br />
und die praxisnahe Fortbildung.<br />
Das Portfolio besteht<br />
aus fünf Komponenten:<br />
■ einem Begleitheft,<br />
■ dem Portfolio des Kindes,<br />
■ der Portfolio-Arbeit der Erzie-<br />
herinnen,<br />
■ den »Elternhaus-Aufgaben«,<br />
■ dem dazugehörigen Doku-<br />
mentarfilm.<br />
Nach Auffassung der Landesgruppe<br />
sollte auch über ein<br />
Modell nachgedacht werden,<br />
dass das letzte Kindergartenjahr<br />
der <strong>Grundschule</strong> angliedert.<br />
In dieser sog. Vorschule, die für<br />
alle Fünfjährige verpflichtend ist,<br />
sollen Pädagogen des Elementarund<br />
Primarbereiches sowohl Elemente<br />
der vorschulischen Erziehung<br />
als auch der <strong>Grundschule</strong><br />
anbieten. In dieser Vorschule sind<br />
Kinder mit Entwicklungsverzögerungen<br />
oder Sprachdefiziten<br />
durch Sonderschulpädagogen<br />
zu fördern, so dass die Schulkindergärten<br />
aufgelöst werden<br />
könnten.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008<br />
31
Grundschulverband <strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Schleswig-Holstein<br />
Vorsitzende: Beate Blaseio, Am Binnenhafen 52, 25813 Husum; www. grundschulverband–sh.de<br />
Die Eingangsphase soll sich<br />
weiter entwickeln<br />
Laut neuer Grundschulverordnung<br />
sollen in der Eingangsphase<br />
vorrangig jahrgangsübergreifende<br />
Lerngruppen gebildet<br />
werden. Die Möglichkeiten der<br />
damit entstehenden Flexibilisierung<br />
sind für viele Kinder wichtig<br />
und wertvoll. Dabei geht es nicht<br />
nur um ein reichliches Maß an<br />
Zeit, nämlich innerhalb von 1 bis<br />
3 Jahren z. B. Lesen, Schreiben,<br />
Rechnen zu lernen. Die Umsetzung<br />
des individuellen Lernweges<br />
kann für schwächere Kinder<br />
in bekannter Gruppe und mit<br />
meist einer bekannten Lehrkraft<br />
fortgesetzt werden. Dort, wo in<br />
jahrgangsübergreifenden Klassen<br />
gelernt wird, treten unter anderem<br />
folgende Vorteile auf:<br />
■ die Unterrichtskultur muss<br />
sich hin zu eigenverantwort-<br />
lichem Lernen entwickeln,<br />
■ die Kooperation zwischen<br />
»Profis« aus Klasse 2 und<br />
»Anfängern« aus Klasse 1 führt<br />
zu intensivem sozialem und<br />
nachhaltigem Lernen,<br />
■ die Differenzierungsmöglich-<br />
keiten im Alltag ergeben sich<br />
vor Ort, wenn handlungsorientiertes<br />
Lernmaterial in Frei-<br />
arbeitsphasen zur Verfügung<br />
steht,<br />
■ Förderung und Forderung<br />
lassen sich täglich flexibler<br />
umsetzen.<br />
Die nicht überraschende Unerfahrenheit<br />
vieler KollegInnen in<br />
der Umstellung von Unterricht<br />
macht einen Weg der kleinen<br />
Schritte notwendig. Aber Schritte<br />
müssen getan werden, besonders<br />
in der eigenen Flexibilisierung<br />
des Denkens.<br />
Veränderungen im Vorstand<br />
Aufgrund des Rücktrittes von<br />
Bent Hirschelmann als Vorstandsvorsitzenden<br />
hat sich<br />
Dr. Beate Blaseio für dieses Amt<br />
zur Verfügung gestellt. Beiden<br />
Personen danken wir herzlich für<br />
ihren Einsatz. Auf der spärlich<br />
besuchten Mitgliederversammlung<br />
hat sich der Gesamtvorstand<br />
neu formiert.<br />
Die Verteilung der Aufgabenbereiche<br />
findet beim nächsten Vorstandstreffen<br />
statt und wird den<br />
Mitgliedern der Landesgruppe<br />
anschließend mitgeteilt.<br />
Schulanfangstagung am<br />
Donnerstag,<br />
28. August 2008<br />
in der Universität<br />
Flensburg<br />
Thüringen<br />
Vorsitzende: Steffi Jünemann, Hauptstr. 7, 99734 Nordhausen<br />
Schulentwicklung an Thüringer<br />
<strong>Grundschule</strong>n<br />
»Faustlos« – ein Gewaltpräventionsprogramm<br />
im Primarbereich<br />
»Faustlos«, ein Kooperationsprojekt<br />
des Thüringer Ministeriums<br />
für Soziales, Familie und<br />
Gesundheit, der Landesstelle<br />
Gewaltprävention und dem Thüringer<br />
Kultusministerium, wurde<br />
im Oktober 2005 mit dem Ziel<br />
der frühzeitigen Gewaltprävention<br />
in öffentlichkeitswirksamen<br />
Regionalkonferenzen vorgestellt.<br />
Gleichzeitig erfolgte damit der<br />
»Startschuss«.<br />
lungsadäquate prosoziale Kenntnisse<br />
und Fähigkeiten. Die Kinder<br />
lernen das Anwenden friedlicher<br />
Konfliktlösestrategien.<br />
Die 3 Bereiche »Empathie«,<br />
»Impulskontrolle« sowie<br />
»Umgang mit Wut und Ärger«<br />
bauen aufeinander auf.<br />
Das Programm wird über ein<br />
Patenschaftsprinzip von der<br />
Stiftung »Bündnis für Kinder –<br />
gegen Gewalt« gefördert. Das<br />
Basistraining erfolgt durch das<br />
Heidelberger Präventionszentrum.<br />
Darauf aufbauend entwickelte<br />
das Land Thüringen<br />
ein landeseigenes Ergänzungsprogramm,<br />
welches der Sicherung<br />
der Nachhaltigkeit dienen<br />
soll. Die Umsetzung geschieht<br />
in enger Zusammenarbeit mit<br />
dem ThILLM und den Staatlichen<br />
Schulämtern. Schulen, deren<br />
Schulkonzept »Faustlos« entspricht,<br />
konnten sich bewerben<br />
und so wurden ca. 100 Schulen<br />
vom Thüringer Kultusministerium<br />
ausgewählt. Diese Schulen<br />
bringen sich derzeit aktiv und<br />
kritisch in den Umsetzungs- und<br />
Entwicklungsprozess ein und<br />
beteiligen sich an der Dokumentation,<br />
Präsentation und Evaluation.<br />
Fortgebildete Lehrkräfte sind für<br />
die Umsetzung verantwortlich.<br />
Problemlos werden die Lektio-<br />
Was verbirgt sich dahinter?<br />
»Faustlos« ist ein Curriculum,<br />
das impulsives und aggressives<br />
Verhalten von Kindern vermindern<br />
und ihre soziale Kompetenz<br />
erhöhen soll und es basiert<br />
auf dem erfolgreichen amerikanischen<br />
Programm »Second<br />
step«. »Faustlos« ist kein Streitschlichter-Programm,<br />
sondern<br />
ein altersgerechtes Präventionsprogramm,<br />
welches in hohem<br />
Maße der Umsetzung des Thüringer<br />
Kompetenzmodells, in<br />
dem der Erwerb der Sozial- und<br />
Selbstkompetenz eine wesentliche<br />
Rolle einnimmt, dient. Das<br />
Curriculum umfasst 51 Lektionen<br />
und wird auf 3 Schuljahre verteilt.<br />
Es vermittelt alters- und entwicknen<br />
in verschiedene Stunden des<br />
Regelunterrichts integriert. Zur<br />
Unterstützung dient dabei der<br />
»Faustlos-Koffer« mit sehr hilfreichen<br />
und didaktisch hervorragend<br />
aufbereiteten Lehrmitteln.<br />
Dieser wurde über Sponsoren in<br />
den Schulen angeschafft.<br />
In Thüringen bestehen 4 Regionalteams<br />
zur Koordinierung der<br />
Aufgaben und inhaltlichen Unterstützung<br />
der Schulen. Jährlich<br />
findet eine Regionalkonferenz<br />
unter einem bestimmten Motto<br />
statt. Bisher standen folgende<br />
Themen im Mittelpunkt: »Faustlos<br />
lernt laufen«, »Faustlos fasst<br />
Fuß« und geplant ist »Faustlos<br />
bewegt«.<br />
Bundesweite Evaluationsergebnisse<br />
bestätigen, dass sich<br />
die sozialen Kompetenzen der<br />
Kinder verbesserten, aggressive<br />
Verhaltensweisen als Mittel<br />
der Konfliktlösung zunehmend<br />
abgelehnt werden, friedliche<br />
Konfliktlösungsstrategien als<br />
Ziel des Programms immer besser<br />
zur Anwendung kommen<br />
und auch Transfereffekte für den<br />
außerschulischen Bereich erzielt<br />
werden, was wiederum oftmals<br />
von den Eltern bestätigt wird.<br />
Da »Faustlos« auch ein Sozialisationsansatz<br />
auf klarer, emotionaler<br />
Basis ist, konnte z. B. die<br />
Ängstlichkeit der beteiligten<br />
Grundschulkinder deutlich reduziert<br />
werden. Viele Lehrer berichten<br />
von positiven Nebeneffekten<br />
des Programms, wie einer Verbesserung<br />
des Klassen- und Lernklimas<br />
sowie einem erheblichen<br />
Zuwachs an verbalen Kompetenzen<br />
oder der Anwendung des<br />
Gelernten im Alltag.<br />
Auch Mitglieder des Landesvorstandes<br />
Thüringen sind in diesem<br />
Projekt involviert.<br />
(für die Landesgruppe: Beate Albrecht<br />
und Steffi Jünemann)<br />
Samstag,<br />
27. September 2008<br />
Auftaktveranstaltung<br />
zur Implementierung<br />
des Thüringer Bildungsplanes<br />
für Kinder bis 10 Jahre<br />
Die Einladung aller Mitglieder<br />
der Landesgruppe des Grundschulverbandes<br />
AK <strong>Grundschule</strong><br />
erfolgt über den Postweg.<br />
32 GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008
An den<br />
Grundschulverband · Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V.<br />
Niddastraße 52 · 60329 Frankfurt/Main · Fax 0 69 / 7 07 47 80<br />
oder per Internet: www.grundschulverband.de<br />
Beitrittserklärung<br />
Für Ihren Beitritt zum Grundschulverband ·<br />
Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V. halten wir<br />
folgendes Werbeangebot für Sie bereit:<br />
(Bitte nur eine der beiden Möglichkeiten ankreuzen!)<br />
Name<br />
Als neues Mitglied im Grundschulverband ·<br />
Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V. wünsche ich mir<br />
den Band<br />
als Aufnahmegeschenk.<br />
Nebenstehend genanntes Mitglied habe<br />
ich für den Grundschulverband · Arbeitskreis<br />
<strong>Grundschule</strong> e. V. geworben. Als Werbe prämie<br />
senden Sie mir bitte den Band<br />
an folgende Anschrift:<br />
Ich beantrage die Mitgliedschaft im Grundschulverband · Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V.<br />
Als Mitglied erhalte ich jährlich zwei neue Mitgliedsbände aus der Reihe »Beiträge zur Reform der<br />
<strong>Grundschule</strong>« sowie die 32-seitige Vierteljahreszeitschrift »Grundschulverband <strong>aktuell</strong>« jeweils<br />
nach Fertigstellung kostenfrei zugesandt.<br />
Den angekreuzten Betrag<br />
Mitgliedsbeitrag 55,– €<br />
Ermäßigter Beitrag (bitte belegen!) 33,– €<br />
(für Studierende, Arbeitslose, Lehramts anwärter/innen<br />
sowie für Teilzeitbeschäftigte in den neuen Ländern)<br />
Förderbeitrag, mindestens 33,– €<br />
(keine Mitgliedsbände, nur Zeitschrift – für Pensionäre, die weiterhin <strong>aktuell</strong> informiert werden<br />
wollen und andere Förderer, die die Arbeit des Grundschulverbandes unterstützen möchten)<br />
zahle ich nach Erhalt der Jahresrechnung zahle ich per Bankeinzug vom<br />
Konto Nr.<br />
Bankleitzahl<br />
Name<br />
Straße und Hausnummer<br />
bei<br />
Straße und Hausnummer<br />
PLZ und Ort<br />
PLZ und Ort<br />
E-Mail<br />
Datum und Unterschrift<br />
Tel.
VERA im Mai – jetzt deutschlandweit:<br />
Ihre Erfahrungen und Meinungen sind gefragt!<br />
In diesem Jahr werden die Vergleichsarbeiten (VERA) in allen Bundesländern durchgeführt.<br />
Unser nächstes Heft (Sept. '08) wird sich wieder kritisch mit VERA auseinandersetzen.<br />
Dabei sind Ihre Erfahrungen und Meinungen gefragt:<br />
?<br />
Wie kamen die Kinder mit den Aufgaben zurecht?<br />
Trafen die Aufgaben wichtige Ziele des Faches?<br />
Wie sind Ihre Erfahrungen mit der Arbeitsbelastung durch VERA?<br />
Helfen Ihnen die VERA-Ergebnisse bei der Einschätzung Ihrer eigenen Arbeit?<br />
Wie reagieren Kinder und Eltern auf diese Art von Leistungsüberprüfung?<br />
Diese Fragen sind nur Anregungen. Schreiben Sie uns »frei von der Leber weg« –<br />
auch nur zu einzelnen Fragen, die Sie bewegen.<br />
Gerne können Sie uns auch Glossen, Geschichten, Gedichte oder Zeichnungen senden.<br />
Vor einer möglichen Veröffentlichung werden wir in jedem Fall Kontakt mit Ihnen aufnehmen.<br />
Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldungen – bitte bis zum 30. Juni 2008!!<br />
Horst Bartnitzky<br />
Vorsitzender des Grundschulverbandes<br />
Ulrich Hecker<br />
Redaktion »<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>«<br />
Pädagogische<br />
Leistungskultur<br />
Band 121<br />
ISBN 3-930024-94-2<br />
Best.-Nr. 1079<br />
17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />
Band 118<br />
ISBN 3-930024-87-X<br />
Best.-Nr. 1076<br />
17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />
Band 119<br />
ISBN 3-930024-88-8<br />
Best.-Nr. 1077<br />
17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />
Band 124<br />
ISBN 3-930024-96-9<br />
Best.-Nr. 1082<br />
17,– € / f. Mitgl. 13,– €