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Grundschule aktuell 102

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Heft Nr. <strong>102</strong> • II. Quartal • Mai 2008 • Best. Nr. 6037 • D9607F<br />

Grundschulverband – Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V. • Niddastraße 52 • 60329 Frankfurt/Main • Tel. 0 69 / 77 60 06 • www.grundschulverband.de<br />

Selbstständig<br />

lernen


13. /14. November 2008<br />

Herbsttagung des Grundschulverbandes<br />

Tests, Noten und Pädagogische Leistungskultur<br />

Die Vergleichsarbeiten VERA und die Pädagogische<br />

Leistungskultur sind die Themen der<br />

Herbsttagung 2008. Wir nehmen eine kritische<br />

Sicht auf die Qualität der (VERA-) Aufgaben vom<br />

Mai 2008 und stellen das Projekt Pädagogische<br />

Leistungskultur vor. Nach Deutsch, Mathematik<br />

und Sachunterricht geht es diesmal um Kunst,<br />

Musik, Sport, Englisch sowie den Bereich Selbst-,<br />

Sach- und Sozialkompetenz.<br />

Wir wollen damit ein deutliches Zeichen für eine<br />

ermutigende Leistungsförderung aller Kinder setzen,<br />

die individuelle Lernentwicklungen im Blick<br />

behält und die Kinder dialogisch einbezieht.<br />

124<br />

k<br />

i n<br />

d<br />

Beiträge zur Reform der <strong>Grundschule</strong><br />

Leistungen der Kinder wahrnehmen<br />

Lernstände feststellen<br />

Horst Bartnitzky<br />

Hans Brügelmann<br />

Ulrich Hecker<br />

Gudrun Schönknecht (Hg.)<br />

Leistungen der Kinder würdigen<br />

Lernentwicklungen bestätigen<br />

Lernwege öffnen<br />

Kinder individuell fördern<br />

Lerngespräche führen<br />

Eigene Lernwege beschreiben<br />

Pädagogische<br />

Leistungskultur:<br />

Ästhetik,Sport,Englisch<br />

Arbeits-/Sozialverhalten<br />

Es liegen bereits Materialien für die Fächer<br />

Deutsch, Mathematik und Sachunterricht in<br />

zwei Schubern mit je 5 Heften und einer CD<br />

vor. Der dritte Schuber mit Materialien in<br />

5 Heften und einer CD<br />

■ für Englisch, Musik, Kunst, Sport sowie<br />

Arbeits- und Sozialverhalten<br />

■ in den Klassen 1 bis 4<br />

wird auf der Herbsttagung vorgestellt.<br />

Die Materialien sollen helfen, Lernstände<br />

festzustellen, Lernentwicklungen zu bestätigen,<br />

Lerngespräche miteinander zu führen,<br />

und sie sollen die Kinder darin unterstützen,<br />

eigene Lernwege zu beschreiben.<br />

Thematik<br />

der Tagung<br />

Tagungsverlauf<br />

Kritische Sicht auf die Qualität der Aufgaben<br />

(VERA) vom Mai 2008, Erfahrungen aus der Praxis,<br />

schulpolitische und testmethodische Argumente.<br />

Einführung zum Umgang mit den Materialien<br />

aus dem Schuber / Band 124 mit nachfolgender<br />

Diskussion. Dabei geht es um Anregungen für<br />

die Schulpraxis und um Moderation von Fortbildungen<br />

mit den Materialien.<br />

Donnerstag, 13. November 2008, ab 15 Uhr:<br />

Impulsreferate zu den Themen:<br />

Die Vergleichs arbeiten VERA und<br />

die Pädagogische Leistungskultur (Plenum)<br />

abends: Gesprächsrunde zum Thema Kopfnoten<br />

Zielgruppe<br />

Tagungsbeitrag<br />

Die Tagung richtet sich vor allem an Multiplikatorinnen<br />

und Multiplikatoren zur Thematik<br />

(z. B. Aus- und Fortbildner/innen, Fachkonferenzleiter/innen,<br />

Schulleiter/innen).<br />

Die Teilnehmerzahl ist auf 68 Personen begrenzt.<br />

Zur Verfügung stehen 60 Einzelzimmer, von denen<br />

acht als Doppelzimmer genutzt werden können.<br />

Sollten sich mehr Personen anmelden, werden<br />

Mitglieder des Grundschulverbandes vorrangig<br />

berücksichtigt.<br />

Für Mitglieder des Grundschulverbandes 140 €<br />

(Doppelzimmer 130 €)<br />

für Nicht-Mitglieder 180 € (Doppelzimmer 170 €)<br />

Im Tagungspreis enthalten sind die Kosten für<br />

Übernachtung und Verpflegung sowie der<br />

Transfer vom und zum Frankfurter Hauptbahnhof.<br />

Referentinnen<br />

und Referenten<br />

Ort<br />

Freitag, 14. November 2008, bis 15.00 Uhr:<br />

Arbeitsgruppen: Pädagogische Leistungskultur in<br />

den Fächern Kunst, Musik, Sport und Englisch sowie<br />

im Bereich Selbst-, Sach- und Sozialkompetenz<br />

nachmittags: Rückblick und Evaluierung,<br />

Arbeitsschwerpunkte des Grundschulverbandes<br />

Herausgeber, Autorinnen und Autoren des<br />

Bandes 124 sowie Referent/innen aus dem<br />

VERA-Team der Universität Landau (angefragt)<br />

und der Schulpraxis<br />

Martin-Niemöller-Haus in Schmitten<br />

(in der Nähe von Frankfurt);<br />

www.martin-niemoeller-haus.de<br />

Für Bahnreisende wird ein Shuttle-Bus zur<br />

Tagungsstätte organisiert.<br />

Anmeldung<br />

per Post: Grundschulverband,<br />

Niddastr. 52, 60329 Frankfurt<br />

oder per Mail: info@grundschulverband.de<br />

oder über die Homepage:<br />

www.grundschulverband.de<br />

Verbindlich ist die Anmeldung<br />

erst nach Zahlung des Tagungsbeitrages<br />

Bankverbindung: Postbank Frankfurt,<br />

BLZ 500 100 60, Konto-Nr. 19 56 71 605<br />

Anmeldeschluss: 15. Juni 2008<br />

Bitte bei der Anmeldung angeben:<br />

Vollständige Anschrift mit Mail-Adresse<br />

und Telefonnummer;<br />

Mitglied ja – nein;<br />

derzeitige Funktion im Schulbereich;<br />

Wahl der Arbeitsgruppe<br />

Anreise mit Auto oder Zug;<br />

mögliche Doppelzimmernutzung


Editorial<br />

Selber –<br />

aber nicht<br />

allein<br />

Selbstständiges Lernen<br />

– ein Ziel für die <strong>Grundschule</strong> und für Grundschulkinder? fragt Prof. Dr.<br />

Ange lika Speck-Hamdan in ihrem einleitenden Aufsatz (S. 3 ff.). Selbstständig<br />

lernen: »Dabei geht es um die Fähigkeit, sich Wissen anzueignen, Lernprozesse<br />

selbst zu initiieren, zu planen, erfolgreich zu organisieren und zu regulieren,<br />

und zwar individuell und in Kooperation mit anderen.«<br />

Wie kann sich die Selbstständigkeit der Kinder in der Schule weiter entwickeln?<br />

Welche Hilfen oder welche Unterstützung brauchen sie dabei?<br />

Es ist die alte Streitfrage: »Führen oder wachsen lassen?« Mit diesem Begriffspaar<br />

brachte Theodor Litt das Problem schon in den 20er Jahren auf den<br />

Punkt. Dabei geht es wohl nie um ein »entweder – oder«, sondern um die Balance<br />

zwischen diesen beiden Polen, um die Gestaltung ihres Verhältnisses zueinander,<br />

um ihre konkrete Gewichtung.<br />

Der Bedarf von Kindern nach Unterstützung und Hilfe ist sehr unterschiedlich.<br />

Darauf verweist der vielgebrauchte Begriff »Heterogenität«. Eines aber dürfen<br />

Pädagoginnen und Pädagogen nicht: Kinder mit sich und ihren Möglichkeiten<br />

allein lassen.<br />

Fragen wie diese werden oft auch kontrovers diskutiert. In diesem Heft zeigt<br />

sich der Spannungsbogen in den Beiträgen von Horst Bartnitzky (S. 9 ff.)<br />

und Walter Hövel (S. 15 ff.). Besonders freuen wir uns, dass zwei junge Kolleginnen<br />

ihren Weg darstellen, Kinder selbstständig lernen zu lassen: Claudia<br />

Goj beschreibt, wie sie einschätzen lernte, »was man Kindern zutrauen kann«<br />

(S. 20 f.), Kirsten Bartnitzky-Burg will die Selbstständigkeit der Kinder von<br />

Anfang an fördern, dazu schafft sie Strukturen und Regeln, dazu braucht sie<br />

für sich selbst »Konsequenz und Gelassenheit« (S. 22 ff.).<br />

Grundschulgeschichte(n)<br />

Unter diesem Titel stellen wir eine neue Rubrik vor, diesmal mit einem Artikel<br />

über den Grundschulpädagogen Rudolf Karnick (S. 26 f.). Solche Texte, die<br />

wir in loser Folge veröffentlichen wollen, können dazu beitragen, »die <strong>Grundschule</strong><br />

als eine Schulstufe mit einer eindrucksvollen pädagogischen Geschichte<br />

zu sehen. Wir tun gut daran, sie zu kennen und unsere Entwicklungsarbeit<br />

heute als Weiterführung zu verstehen« (Horst Bartnitzky).<br />

VERA: Wir bitten um Ihre Mitarbeit!<br />

Gleich nach Erscheinen dieses Heftes werden sich viele unserer Leserinnen<br />

und Leser mit den Vergleichsarbeiten (VERA) zu beschäftigen haben: VERA wird<br />

jetzt deutschlandweit durchgeführt. Unsere ebenso sachliche wie kritische<br />

Diskussion der Problematik flächendeckender Schulleistungstests wollen wir<br />

im Septemberheft dieser Zeitschrift fortsetzen. Dazu bitten wir Sie um Ihre<br />

Erfahrungen und Meinungen: Beachten Sie unseren Aufruf auf der Rückseite<br />

dieses Heftes.<br />

Ulrich Hecker<br />

Impressum<br />

, die Zeitschrift des Grundschulverbandes erscheint<br />

viertel jährlich und wird allen Mit glie dern zugestellt.<br />

Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Das einzelne Heft kostet 5 €;<br />

für Mitglieder und bei Sam mel be stel lun gen ab 10 Hefte 3 € (incl. Versand).<br />

Verlag: Grundschulverband – Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V.<br />

Niddastraße 52, 60329 Frankfurt / Main, Tel. 0 69 / 77 60 06, Fax: 0 69 / 7 07 47 80;<br />

Internet: www.grundschulverband.de, E-Mail: info@grundschulverband.de<br />

Herausgeber: Horst Bartnitzky (für den Vorstand des Grundschulverbandes)<br />

Redaktion: Ulrich Hecker, Hülsdonker Str. 64, 47441 Moers, Tel. 0 28 41 / 2 17 14,<br />

E-Mail: ulrichhecker@aol.com<br />

Fotos: Bert Butzke, Mülheim/Ruhr sowie jeweilige Autor/innen<br />

Zeichnungen: Wilhelm Nüchter, Moers (S. 4)<br />

Herstellung: novuprint Agentur für Mediendesign, Werbung, Publikationen GmbH,<br />

Bödekerstr. 73, 30161 Hannover, Tel. 05 11 / 9 61 69 – 11, Fax: 05 11 / 9 61 69 – 99<br />

Anzeigenverwaltung: Claudia Klinger, Verlagsgruppe Beltz, Tel. 0 62 01 / 6 00 73 86,<br />

Fax 0 62 01 / 6 00 73 93<br />

Druck: Druck Partner Rübelmann, 69502 Hemsbach<br />

ISSN 1860-8604<br />

Beilage: »Eine Welt in der Schule« als ständige Beilage<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008<br />

1


Tagebuch<br />

LehrerInnenbildung:<br />

Reformeifer und Mängelverwaltung<br />

Prof. Dr. Gudrun<br />

Schönknecht,<br />

Professorin für Grundschulpädagogik<br />

an der<br />

PH Freiburg,<br />

Fachreferentin für<br />

LehrerInnenbildung im<br />

Grundschulverband<br />

Die Reform der LehrerInnenbildung – ein Dauerthema in<br />

Deutschland nicht erst seit die Grundschulausbildung in<br />

den 1970ern an die Universitäten kam – konzentriert sich<br />

zurzeit vor allem auf die erste Phase. Die meisten<br />

Bundesländer haben das Studium auf die<br />

neue BA/MA (Bachelor und Master)-Struktur umgestellt.<br />

Folge ist eine fast unübersehbare Vielfalt<br />

von Modellversuchen, Ausbildungsgängen<br />

und Abschlüssen. Das wichtige Reformziel, eine<br />

gleich lange und gemeinsame Ausbildung mit<br />

schulartspezifischen Schwerpunkten für die verschiedenen<br />

Lehrämter zu konzipieren, wird dabei<br />

nicht immer realisiert. Auch Statusunterschiede<br />

(das »höhere« gymnasiale Lehramt) sind weiterhin<br />

in Studiendauer, Besoldung und Unterrichtsverpflichtung<br />

manifestiert.<br />

Beim derzeitigen Reformeifer müssen die schon lange<br />

bekannten inhaltlichen und strukturellen Probleme der<br />

Lehrerbildung an Universitäten beachtet werden. Die<br />

Stärkung der Fachdidaktiken – in den letzten Jahrzehnten<br />

stark abgebaut – ist ein wichtiges Ziel. Das Studium der<br />

Fachwissenschaften muss sich stärker auf die Anforderungen<br />

der Schulfächer und die Probleme des Berufsfeldes<br />

beziehen und darf nicht, wie es oft der Fall ist, nur<br />

von der Tradition, der Breite, der speziellen Ausrichtung<br />

einer Fachwissenschaft an der Hochschule bestimmt werden.<br />

Die mangelnde Integration der Studienbereiche und<br />

die Verbindung von Studium, Referendariat und Fortbildung<br />

sind weitere bekannte Problembereiche. Inzwischen<br />

gibt es über 50 meist neu gegründete »Zentren für Lehrerbildung«<br />

an Hochschulen, die als »Querstrukturen« innerhalb<br />

der Universitäten sich dem hohen Anspruch stellen,<br />

die LehrerInnenbildung neu zu organisieren – »um nicht<br />

zu sagen neu (zu) erfinden« (Plattform der Zentren für<br />

Lehrerbildung: www.lehrerbildung.de).<br />

Die Qualität der neuen Studiengänge wird sich darin zeigen,<br />

inwiefern sie die geforderte Berufsfeldorientierung<br />

auf allen Ebenen ernst nehmen können – dafür sind neben<br />

den o. a. Forderungen auch moderne, personal- und<br />

zeitintensive Lernformen erforderlich. Fächerübergreifende,<br />

gemeinsam verantwortete Eingangscurricula<br />

können reflexiven Praxisbezug und die Überprüfung der<br />

Berufswahlentscheidung ermöglichen. »Schulpraktische<br />

Studien« müssen qualifiziert begleitet werden, um reflexive<br />

Praxiserfahrungen zu ermöglichen. Lernen am Fall,<br />

biographisch-reflexive Zugänge, forschendes Lernen,<br />

also Lernformen, die die Komplexität des schulischen Alltags<br />

und die Entwicklung eines »professionellen Selbst«,<br />

von Lehrerpersönlichkeit und Lehrerethos in den Blick<br />

nehmen, sind unverzichtbar. Positive Erfahrungen mit<br />

solchen Formen gibt es an vielen Hochschulen, v. a. im<br />

Grundschulbereich, schon seit geraumer Zeit. Ob die ehrgeizigen<br />

Reformziele allerdings ohne zusätzliche Ressourcen<br />

in den bisherigen Massenstudiengängen realisierbar<br />

sind, bleibt zu bezweifeln.<br />

Eine Reform, die sich vor allem auf das Studium und vielleicht<br />

noch auf die zweite Phase konzentriert, greift allerdings<br />

zu kurz. Fast vollkommen ausgeblendet bleiben<br />

in der derzeit verordneten Reformeuphorie die Berufseingangsphase<br />

und das »learning on the job«. Gerade die ersten<br />

Praxisjahre sind aber entscheidend für die professionelle<br />

Entwicklung. Vorschläge, diese Phase entsprechend<br />

zu gestalten, sind bekannt: Experten-Novizen-Teams an<br />

Schulen, Arbeits- und Gesprächskreise, Begleitung durch<br />

Supervision, kollegiale Intervision oder Hospitation sind<br />

einige Möglichkeiten. Diese Formen eignen sich auch für<br />

die berufsbegleitende Fort- und Weiterbildung, eine weitere<br />

»Baustelle«, die derzeit wenig beachtet wird.<br />

Eine kontinuierliche Arbeit an der professionellen Entwicklung<br />

kann nicht »nebenbei« geleistet werden. Die<br />

Reform der Lehrerbildung erfordert auch Reformen im Berufsalltag,<br />

z. B. Arbeitszeitmodelle, die sich nicht nur an<br />

Unterrichtsstunden orientieren, sondern die vielfältigen<br />

Aufgaben von LehrerInnen und kontinuierliche Fort- und<br />

Weiterbildung mit einbeziehen. Supervision ist in anderen<br />

sozialen Berufen eine Selbstverständlichkeit, findet<br />

während der Arbeitszeit statt und muss nicht privat finanziert<br />

werden.<br />

Unterrichten, Erziehen, Beurteilen und Innovieren werden<br />

in den KMK-Standards als die zentralen Berufsaufgaben<br />

definiert – inwiefern diese Standards als »opportunityto-learn«-Standards<br />

auch in der Lehrerbildung umgesetzt<br />

werden können, ist nicht zuletzt abhängig von entsprechenden<br />

Ressourcen.<br />

Prof. Dr. Gudrun Schönknecht<br />

2 GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008


Thema: Selbstständig lernen<br />

Selbstständiges Lernen –<br />

Ziel für die <strong>Grundschule</strong> und für Grundschulkinder?<br />

Auf selbstständiges Lernen ist<br />

heute jeder Mensch, egal welchen<br />

Alters und welcher Vorbildung,<br />

angewiesen. Manches Wissen<br />

veraltet schnell, anderes Wissen entsteht<br />

neu und wieder anderes Wissen<br />

muss neuen Kontexten angepasst<br />

werden. Der Wandel zur Wissensgesellschaft,<br />

in der Wissen zur zentralen<br />

Ressource einer Gesellschaft geworden<br />

ist, fordert von jedem und jeder<br />

Einzelnen, sich immer wieder auf neue<br />

Lernprozesse einzulassen. Das in der<br />

Schule einmal erworbene Wissen reicht<br />

mit Sicherheit nicht aus, um künftigen<br />

Anforderungen im Beruf und im Alltag<br />

gerecht zu werden. Von dieser Voraussetzung<br />

ausgehend ist die Bedeutung<br />

des selbstständigen Lernens nicht<br />

hoch genug einzuschätzen. Entsprechend<br />

wird der Stellenwert der Lernkompetenz<br />

oder des »Lernen Lernens«<br />

als Schlüsselqualifikation in allen <strong>aktuell</strong>en<br />

Curricula betont.<br />

Kinder brauchen<br />

selbstständiges Lernen<br />

Dabei geht es um die Fähigkeit, sich<br />

selbstständig Wissen anzueignen,<br />

Lernprozesse selbst zu initiieren, zu<br />

planen, erfolgreich zu organisieren<br />

und zu regulieren, und zwar individuell<br />

und in Kooperation mit anderen.<br />

»Selbstständigkeit« soll über alle<br />

Bildungsbereiche und -institutionen<br />

hinweg erworben werden und stellt an<br />

die Organisation der Lehr-Lernprozesse<br />

jeweils besondere Ansprüche. Während<br />

sie im tertiären Bildungsbereich und<br />

speziell im universitären Umfeld von<br />

jeher relevant war, auch im sekundären<br />

Bildungsbereich angestrebt wurde,<br />

stellt sie sich für den Primar- und<br />

Elementarbereich als eine relativ neue<br />

Herausforderung. »Selbstständigkeit«<br />

korrespondiert allerdings in vielerlei<br />

Hinsicht mit bewährten und nicht zur<br />

Disposition stehenden Erziehungszielen,<br />

die auch für die <strong>Grundschule</strong> von<br />

Bedeutung sind, wie etwa dem Ziel<br />

der Mündigkeit. Auch ist die Aufgabe<br />

der grundlegenden Bildung nicht ohne<br />

eine Komponente der Selbstlernfähigkeit<br />

denkbar, als Baustein für alle weiteren<br />

Bildungsprozesse. Kinder und<br />

Jugendliche brauchen die Fähigkeit des<br />

selbstständigen Lernens, um die ihr Leben<br />

begleitenden immer neuen Lernanforderungen<br />

meistern zu können.<br />

Nicht nur aus dieser Zielperspektive<br />

lässt sich die Bedeutung des selbstständigen<br />

Lernens begründen; auch<br />

eine auf die Entwicklung des kindlichen<br />

Lernens bezogene Perspektive ist zu<br />

bedenken. Wie lernen junge Kinder? Ist<br />

die Selbstständigkeit im Lernen tatsächlich<br />

etwas neu zu Erwerbendes? Ist<br />

nicht die Fähigkeit, einem Lern impuls<br />

selbstständig nachzugehen, Kindern<br />

sozusagen in die Wiege gelegt?<br />

Kinder lernen schon in sehr jungem<br />

Alter aus eigenem Antrieb, aus eigener<br />

Neugier, aus eigenem Interesse. Sie<br />

eignen sich Fertigkeiten und Wissen<br />

an, zum Teil unter Rückgriff auf Anleitung,<br />

zum Teil aber auch ohne explizite<br />

Hilfe – im probierenden Handeln, im<br />

Mit-Tun oder in der Aushandlung mit<br />

anderen Kindern.<br />

Die Gelegenheiten zum Lernen<br />

stellt die Umwelt zur Verfügung, in der<br />

Kinder aufwachsen. Wir gehen davon<br />

aus, dass eine anregungsreiche und<br />

fürsorgliche Umwelt Kinder in ihrem<br />

natürlichen Lernbedürfnis unterstützt<br />

und auf diese Weise vielseitig zu ihrer<br />

Entwicklung beiträgt.<br />

Kinder sind erfahrene<br />

Lerner/innen<br />

Kinder sind, wenn sie in die Schule<br />

kommen, bereits sehr erfahrene Lernerinnen<br />

und Lerner. Die Unterschiede<br />

zwischen dem Lernen in der Institution<br />

Schule und dem Lernen vor und außerhalb<br />

der Schule beziehen sich insbesondere<br />

auf den Grad der Selbstbestimmung<br />

und die Verbindlichkeit der<br />

Lerninhalte und -ziele.<br />

Vor der Schule gibt es keine festgeschriebene<br />

Verbindlichkeit dessen,<br />

was Kinder lernen sollen; doch existiert<br />

so etwas wie eine gemeinschaftliche<br />

Übereinkunft darüber, was sich Kinder<br />

sinnvollerweise aneignen sollten.<br />

Bestimmt werden diese Erwartungen<br />

durch die Kultur, in die Kinder jeweils<br />

hineingeboren worden sind.<br />

Ob beispielsweise das Einführen<br />

eines Knopfs in ein Knopfloch zu den<br />

Erwartungen gehört, ist davon abhängig,<br />

ob Kleidung Knöpfe hat. Das<br />

selbstständige Anziehen hingegen<br />

dürfte – unabhängig von der Art der<br />

Kleidung – zu den Dingen gehören, die<br />

man Kindern überall von einem gewissen<br />

Alter an zumutet, weil sie zur<br />

selbstständigen Lebensführung gehören,<br />

die Ziel jeder Erziehung ist.<br />

Dass Kinder die Regeln des höflichen<br />

Umgangs miteinander lernen,<br />

dürfte auch in jeder Kultur Erziehungsziel<br />

sein; doch die konkreten Regeln<br />

können stark variieren.<br />

Ob ein Kind mit der Erwartung konfrontiert<br />

wird, sorgsam mit Büchern<br />

aus einer Ausleihbibliothek umzugehen,<br />

wird davon abhängen, ob in seiner<br />

Familie eine literale Kultur gelebt wird.<br />

Die kulturelle und soziale Umwelt<br />

setzt Erwartungen, die sich Kinder in<br />

der Regel auch zu eigen machen, um<br />

sich damit Zugehörigkeit zu sichern.<br />

von Angelika<br />

Speck-Hamdan<br />

Das in den<br />

siebziger Jahren<br />

beliebte Beispiel<br />

des »Säbelzahn-<br />

Curriculums« 1<br />

verdeutlicht,<br />

dass Curricula<br />

auch kulturell<br />

bestimmt sind<br />

und damit<br />

Wandlungen<br />

unterliegen<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008<br />

3


Thema: Selbstständig lernen<br />

Während die vor der Schule als Aufgabe<br />

gesetzten Erwartungen eine gewisse<br />

Bandbreite aufweisen, da sich die Umwelten,<br />

in denen Kinder aufwachsen,<br />

auch innerhalb einer Gesellschaft unterscheiden,<br />

wird über die verbindliche<br />

Institution Schule und ihr Curriculum<br />

eine gemeinsame Erwartung an alle<br />

Kinder und Jugendlichen formuliert.<br />

»Säbelzahn-Curriculum« (1):<br />

Eine Erinnerung<br />

Dass Curricula selbstverständlich auch<br />

kulturell bestimmt und damit auch<br />

Wandlungen unterworfen sind, lässt<br />

sich sehr leicht (und mit einem gewissen<br />

Augenzwinkern) an dem in den<br />

siebziger Jahren beliebten Beispiel des<br />

»Säbelzahn-Curriculums« 1 illustrieren.<br />

Dieses »Curriculum« bestand aus drei<br />

elementaren Inhalten: dem »Fischegrabschen-mit-bloßen-Händen«,<br />

dem<br />

»Die-kleinen-zottigen-Pferde-knüppeln«<br />

und dem »Tiger-vertreiben-mit-Feuer«<br />

– Kompetenzen (wie man heute sagen<br />

würde), die in der geschilderten<br />

Steinzeit-Gesellschaft das Überleben<br />

sichern sollten.<br />

Aber schon bald entsteht das Problem,<br />

dass die Kompetenzen den Lebensaufgaben<br />

nicht mehr entsprechen<br />

und dass nun die Diskussion über den<br />

Sinn und die richtige Methode zur Verwirklichung<br />

des Curriculums erst richtig<br />

beginnt.<br />

Ein springender Punkt dabei ist die<br />

Frage der Übereinstimmung zwischen<br />

der Lebenswirklichkeit und der Artifizialität<br />

von Unterricht, ein anderer die<br />

Frage nach der Freiheit, die den Kindern<br />

beim Lernen zugestanden werden<br />

soll – Fragen, die nach wie vor pädagogische<br />

Diskussionen bestimmen.<br />

Curricula spiegeln wider, was in gesellschaftlicher<br />

Übereinkunft als wichtig<br />

erachtet wird. Das pädagogische<br />

Kunststück besteht gewissermaßen<br />

darin, die Erwartungen der Kinder und<br />

Jugendlichen mit dieser Übereinkunft<br />

in Deckung zu bringen.<br />

Der Verbindlichkeit der Lerninhalte<br />

und -ziele steht das gleichzeitig gültige<br />

Erziehungsziel der Selbstbestimmung<br />

gegenüber, das Freiräume voraussetzt.<br />

Diese Spannung bestimmt schulisches,<br />

formales Lernen im Gegensatz zum informellen<br />

und non-formalen Lernen<br />

vor und außerhalb der Schule und gestaltet<br />

seine pädagogische Unterstützung<br />

so schwierig.<br />

Selbst- und Fremdbestimmung<br />

Nicht alles Lernen vor und außerhalb<br />

der Schule ist selbstbestimmtes Lernen,<br />

doch ist der Anteil eindeutig höher<br />

als in der Schule. Selbstbestimmtes<br />

Lernen zeichnet sich dadurch aus, dass<br />

die Motivation zum Lernen und auch<br />

der Wille zum Lernen gegeben sind,<br />

was sich bei der Überwindung von<br />

möglichen Hindernissen und Schwierigkeiten<br />

als durchaus günstig erweist.<br />

Selbstbestimmtes Lernen ist mit einem<br />

hohen Engagement des / der Lernenden<br />

verbunden, was zu einer breiten Aktivierung<br />

vorhandener Ressourcen führt,<br />

möglicherweise auch zur Entdeckung<br />

bisher ungenutzter Potenziale. Es ist<br />

dadurch gekennzeichnet, dass der / die<br />

Lernende das Ziel des Lernens selbst<br />

bestimmt und weitgehend den Prozess<br />

auch selbst steuert. Nimmt sich ein<br />

Kind vor, selbst einen Kuchen zu backen,<br />

wird es die ersten Male durchaus<br />

auch auf Unterstützung angewiesen<br />

sein und sich während des Vorgangs<br />

öfter auf fremdbestimmte Anweisungen<br />

einlassen (etwa beim Abwiegen<br />

der Zutaten oder beim Gebrauch des<br />

Rührstabs), ohne sich in seiner Selbstbestimmung<br />

eingeschränkt zu fühlen.<br />

Lässt sich ein Kind gar auf längerfristige<br />

oder komplexere Lernprozesse<br />

wie das Spielen eines Instruments oder<br />

das Erlernen einer Sportart ein, so wird<br />

es auch Instruktionen erwarten und<br />

vorgeschriebene Trainingseinheiten<br />

akzeptieren. Fremdbestimmung lässt<br />

sich nicht einfach als polarer Gegensatz<br />

zum selbstbestimmten Lernen<br />

sehen. Sie wird im Dienst des selbst<br />

gesetzten Ziels entweder gern genutzt<br />

oder auch in Kauf genommen, je nach<br />

Empfindung des einzelnen Kindes.<br />

Werden Kindern Lernangebote gemacht<br />

(und das ist die Aufgabe von<br />

Bildungsinstitutionen sowohl im vorschulischen<br />

als auch im schulischen<br />

Bereich), so kann nicht immer damit<br />

gerechnet werden, dass diese Angebote<br />

die Lerninteressen der Kinder<br />

treffen. Im Kindergarten, wo es weniger<br />

Verbindlichkeit gibt, besteht für<br />

die Kinder meist die Möglichkeit, die<br />

Die drei elementaren Inhalte des »Säbelzahn-Curriculums«:<br />

»Fische-grabschen-mit-bloßen-Händen«, »Die-kleinen-zottigen-Pferde-knüppeln« und »Tiger-vertreiben-mit-Feuer«<br />

4 GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008


Thema: Selbstständig lernen<br />

gut gemeinten Angebote im Falle des<br />

Nicht-Interesses zu ignorieren. In der<br />

Schule wird es damit weitaus schwieriger.<br />

Schule hat explizit die Aufgabe,<br />

vereinbarte Lernergebnisse bei den<br />

Schülerinnen und Schülern zu bewirken<br />

(siehe auch Kasten).<br />

Selbstständigkeit, Selbstbestimmung,<br />

Selbstregulation<br />

Schule soll nicht nur verbindliche<br />

Ziele im Fachlichen erreichen, sie soll<br />

darüber hinaus auch überfachliche<br />

Kompetenzen vermitteln, wie eben<br />

die Selbstständigkeit im Lernen. Beim<br />

selbstbestimmten Lernen ist das Lernhandeln<br />

des Kindes in hohem Maß von<br />

Selbstständigkeit gekennzeichnet. Die<br />

Selbstständigkeit bezieht sich in erster<br />

Linie auf den Prozess des Lernens.<br />

Begriffe wie selbstgesteuertes, selbstreguliertes<br />

oder selbstorganisiertes<br />

Lernen werden beinahe synonym verwendet,<br />

weil sie sehr schwer voneinander<br />

abgrenzbar sind. Gemeint ist<br />

die Fähigkeit, sich selbst beim Lernen<br />

zu steuern und zu überwachen. Eingeschlossen<br />

sind dabei kognitive und<br />

metakognitive sowie motivationale<br />

Aspekte. Unter kognitiver Perspektive<br />

geht es um all das, was mit dem Erwerb<br />

und der Integration neuen Wissens zu<br />

tun hat, insbesondere um spezifische<br />

Strategien. Metakognitive Prozesse beziehen<br />

sich auf die Beobachtung und<br />

Reflexion des eigenen Lernens. Motivational<br />

spielen etwa persönliche Ziele,<br />

Vorlieben oder Interessen sowie das<br />

eigene Selbstbild eine Rolle.<br />

Die Fähigkeiten der Selbstregulation<br />

kommen in jeder einzelnen Phase des<br />

Lernprozesses zum Tragen:<br />

■ Planung, Aktivierung: Ein Ziel wird<br />

ins Auge gefasst und die Entscheidung<br />

für eine bestimmte Aufgabe wird getroffen.<br />

Das entsprechende Vorwissen<br />

wird aktiviert. Es wird eingeschätzt,<br />

wie schwierig die Aufgabe ist und wie<br />

hoch der Aufwand an Zeit und anderen<br />

Mitteln sein wird. Die Aufmerksamkeit<br />

und das Interesse werden auf das gesetzte<br />

Ziel gerichtet. Die Aufgabe wird<br />

in einzelne Schritte zerlegt und geplant.<br />

Angemessene Strategien werden<br />

ausgewählt. Es wird überlegt, welche<br />

Partner hilfreich sein könnten. Die Aufgabe<br />

wird begonnen.<br />

»Säbelzahn-Curriculum« (2): »Fischegrabschen« unterrichten?<br />

Das Dilemma der Schule, Curriculum und<br />

Lerninteressen der Schüler in Übereinstimmung<br />

zu bringen, beschreibt Prof.<br />

Peddiwell in seinem Säbelzahn-Curriculum<br />

folgendermaßen:<br />

Eine Gruppe von Beobachtern kam zum<br />

Schluss, dass die Hauptfehler in den gegenwärtigen<br />

Bildungsmethoden lediglich aus<br />

dem Umstand resultierten, dass das Lernen<br />

allzu sehr dirigiert werde. »Lasst das Kind<br />

auf natürliche Weise mit seinen Lernaktivitäten<br />

aufwachsen«, rieten sie den Lehrern.<br />

»Sorgt dafür, dass all seine Ziele und Handlungen<br />

selbst auferlegt sind. Vermeidet den<br />

Eingriff des Lehrers oder gar seine Dominanz<br />

und lasst das Kind in allen Fällen selbst entscheiden,<br />

was es tun will; stellt einen Plan<br />

für das auf, was es gern tun möchte, und<br />

führt das aus, was das Kind sich vorgenommen<br />

hat; beurteilt dann erst den Wert seiner<br />

Taten.«<br />

Die Lehrer waren verwirrt. »Aber was sollen<br />

wir dann noch tun?«, fragten sie. »Wenn<br />

die Kinder alles allein machen sollen, dann<br />

brauchen sie doch gar keinen Lehrer mehr.«<br />

■ Monitoring / Überwachung: Die<br />

Auf merksamkeit richtet sich auf den<br />

Prozess. Dabei wird beobachtet, wie<br />

erfolgreich die einzelnen Lernschritte<br />

sind, wie das Wohlbefinden bei der<br />

Lösung der Aufgabe ist, ob die Motivation<br />

anhält. Es wird eingeschätzt, ob<br />

sich Anstrengung und Aufwand lohnen<br />

und ob die Zeit in vorgesehener Weise<br />

genutzt werden kann. Die Notwendigkeit<br />

von Hilfe wird abgewogen. Es<br />

wird wahrgenommen, ob sich Veränderungen<br />

gegenüber der Planung ergeben.<br />

■ Kontrolle: Aus den Beobachtungen<br />

werden Einschätzungen hinsichtlich<br />

des Erfolgs abgeleitet. Wurde die gewählte<br />

(Teil-)Aufgabe gelöst? Waren<br />

die gewählten Strategien erfolgreich?<br />

Müssen sie verändert, neu angepasst<br />

werden? Müssen und können die Anstrengungen<br />

noch verstärkt werden?<br />

Soll die mögliche Hilfe in Anspruch genommen<br />

werden? Ist die Aufgabe als<br />

»Oho, nein!«, versicherten die Experten.<br />

»Der Lehrer ist als Berater weiterhin nötig.<br />

Er wird das Kind zu weisen Entscheidungen<br />

führen, zu den richtigen Taten, ihm zeigen,<br />

wie es sich mit mehr Feinsinnigkeit und Effekt<br />

den Aktivitäten widmen kann, denen es<br />

sich sowieso widmen wollte.«<br />

...<br />

Daraufhin zogen sich die Lehrer zurück<br />

und beratschlagten miteinander. »Mir<br />

scheint trotz allem«, vermutete einer, »man<br />

erwartet immer noch von uns, dass wir das<br />

Fischegrabschen unterrichten sollen.«<br />

»Ja«, stimmte ein anderer zu, »aber wir<br />

dürfen den Kindern bloß nicht sagen, dass<br />

sie Fischegrabschen lernen sollen. Wir müssen<br />

nur alles so vorbereiten und zurechtstellen,<br />

dass sie von sich aus daran denken,<br />

Fischegrabschen zu lernen und uns fragen,<br />

wie man das machen kann.«<br />

»Aha, schon kapiert!«, sagte ein dritter,<br />

»und dann gestatten wir es ihnen und führen<br />

sie – führen sie – «.<br />

(a. a. O., S. 53/54)<br />

beendet zu betrachten? Wie steht es<br />

um die Motivation?<br />

■ Reflexion: Den Abschluss bildet die<br />

Gesamtbewertung des Lernprozesses.<br />

Es stellt sich Zufriedenheit oder auch<br />

Unzufriedenheit ein. Sowohl für Erfolg<br />

als auch für Misserfolg werden Ursachen<br />

gesucht. Es wird analysiert, warum,<br />

wo und wie etwas gelungen ist<br />

oder auch nicht. Möglicherweise werden<br />

Schlussfolgerungen für künftige<br />

Lernprozesse ähnlicher Art gezogen.<br />

Das eigene Selbstbild erfährt Bestätigung<br />

oder eine Korrektur.<br />

Diese Beschreibung ist so allgemein<br />

gehalten, dass sie im Prinzip für Lernprozesse<br />

jeder Art und für Lernende<br />

jeden Alters zutrifft. Variationen und<br />

Anpassungen je nach Bereichsspezifität<br />

und nach Alter sind ohne weiteres<br />

ableitbar. Als »Aufgabe« lässt sich zum<br />

Beispiel das Verfassen einer Geschichte<br />

ebenso definieren wie die Lösung<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008<br />

5


Thema: Selbstständig lernen<br />

Eigene Rechenerfahrungen<br />

sammeln – ob<br />

am Computer<br />

oder mit<br />

Alltagsmaterialien<br />

der Frage, was Regenwürmer fressen.<br />

Als Agierende sind Studierende ebenso<br />

vorstellbar wie kleine Kinder. Entscheidend<br />

für die Charakterisierung<br />

als selbstgesteuertes Lernen ist das<br />

Überwachen und Auswerten des eigenen<br />

Lernprozesses, der von einer Aufgabenstellung<br />

ausging.<br />

Zumutung und Zutrauen:<br />

Das rechte Maß finden<br />

Ob nun diese Aufgabenstellung völlig<br />

frei gewählt worden ist, ob sie ein<br />

pädagogisch arrangiertes Lernangebot<br />

aufgreift oder ob sie gar eine an<br />

alle gerichtete Aufforderung realisiert,<br />

ist für die Frage der Selbstständigkeit<br />

zunächst einmal zweitrangig. Je hö-<br />

her die Erwartungen an die Selbstbestimmtheit<br />

des Handelns allerdings<br />

sind, umso eher kann angenommen<br />

werden, dass auch die Wahl der Aufgabe<br />

Sache des / der Lernenden ist.<br />

Dabei hängen diese Erwartungen nicht<br />

in erster Linie mit dem Alter oder der<br />

angenommenen Vernunft der Lernenden<br />

zusammen, sondern mit der<br />

Korrespondenz zwischen Aufgabe und<br />

Fähigkeiten. Darüber haben Lernende<br />

ebenso eine Vorstellung wie auch die<br />

Lehrenden. Dass diese Vorstellungen<br />

bisweilen auseinanderklaffen, kann<br />

unterschiedliche Ursachen haben. In<br />

manchen Fällen trauen sich Kinder zuviel<br />

zu und müssen davon abgehalten<br />

werden sich zu schaden; in anderen<br />

Fällen trauen Erwachsene Kindern zu<br />

wenig zu und hindern sie dadurch daran,<br />

wertvolle Erfahrungen zu machen.<br />

Beides kann zu Konflikten führen. Das<br />

rechte Maß an Zumutung von Eigenverantwortung<br />

und Zutrauen in die<br />

Fähigkeiten der Lernenden zu finden,<br />

ist eine der klassischen Aufgaben der<br />

Erziehung, die sich in jedem Alter der<br />

Kinder und Jugendlichen auf je andere<br />

Weise stellt.<br />

Wie lernen Kinder<br />

selbstständig zu lernen?<br />

Es ist davon auszugehen, dass sie die<br />

Grundbedingung der Neugier und einige<br />

basale Kompetenzen entweder<br />

bereits von Geburt an mitbringen oder<br />

schon sehr früh entwickeln, wie zum<br />

Beispiel die Richtung der Aufmerksamkeit<br />

oder Gedächtnisfähigkeiten. Das<br />

Bedürfnis nach Autonomie gilt – neben<br />

dem Bedürfnis nach Einbindung und<br />

dem nach Kompetenz – als Grundbedürfnis.<br />

Es drückt sich im Streben nach<br />

Selbstständigkeit und Selbstbestimmung<br />

aus. Es bezieht sich selbstverständlich<br />

auch auf die Lernaufgaben,<br />

die sich Kindern stellen und denen<br />

sich Kinder stellen. In diesem Sinn ist<br />

Selbstständigkeit eine Bedingung für<br />

das Lernen. Als solche bezieht sie sich<br />

insbesondere auf die Aktivierung der<br />

kognitiven und motivationalen Ressourcen.<br />

Diese Bedingung ist nützlich,<br />

sie reicht aber für die selbstständige<br />

Bewältigung schulischer Lernprozesse<br />

nicht aus, da sich diese zum allergrößten<br />

Teil auf kulturell tradierte Lerngegenstände<br />

beziehen, die sich nicht von<br />

selbst erschließen.<br />

Mit der Unterscheidung in (genetisch)<br />

»privilegiertes« und »nicht-privilegiertes«<br />

Lernen weist Elsbeth Stern<br />

(2004) auf den wichtigen Umstand hin,<br />

dass es einerseits Lernprozesse gibt,<br />

die mehr oder weniger nach einem<br />

inneren Plan, »ab einem bestimmten<br />

Alter sehr schnell und mit einem Minimum<br />

an externer Unterstützung vor<br />

sich« (Stern 2004, S. 38) gehen – und<br />

andererseits solche Lernprozesse, die<br />

sich auf komplexe Kompetenzen beziehen,<br />

die ihre Bedeutung für das Leben<br />

der Menschen erst im Lauf der Kulturgeschichte<br />

erlangt haben. »Das für die<br />

kulturelle Sozialisation entscheidende,<br />

nicht-privilegierte Lernen hingegen ist<br />

mühsam und fehleranfällig, da intuitives<br />

und kulturell tradiertes Wissen häufig<br />

im Widerspruch stehen. Die Konstruktion<br />

von kulturell tradiertem Begriffswissen<br />

erfordert Zeit und gelingt nur, wenn<br />

Kinder gezielt an die Bewältigung bestimmter<br />

Anforderungen herangeführt<br />

werden«, betont Stern (a. a. O., S. 41).<br />

Als Beispiele nennt sie die kulturellen<br />

Errungenschaften des Lesens<br />

und des Schreibens sowie das Modellieren<br />

von Ereignissen mit Hilfe mathematischer<br />

Werkzeuge. Diese ›gezielte<br />

Heranführung‹ vollzieht sich im schulischen<br />

Unterricht, durch die sinnvolle<br />

Zerlegung des Lernens in Teilschritte,<br />

durch die Integration von Basisfähigkeiten<br />

in höhere Kompetenzen. Darin<br />

bildet sich eine curriculare Struktur<br />

ab, nicht eine didaktische Methode.<br />

Die nach wie vor gültige Vorstellung<br />

vom Lernen als aktiver Wissenskonstruktion,<br />

die ja die Bedingung der<br />

Selbstständigkeit beschreibt, verweist<br />

allerdings angesichts der Komplexität<br />

schulischer Anforderungen auf die<br />

schwierige pädagogisch-didaktische<br />

Herausforderung, die Balance zwischen<br />

»Anleitung und Selbstbildung«<br />

(siehe Leu 2007) immer wieder neu zu<br />

finden.<br />

Kultur der Lerngespräche<br />

Selbstständigkeit ist demnach nicht<br />

nur Bildungsziel, sondern auch Bedingung<br />

und damit Ausgangspunkt des<br />

Lernens. Die Annäherung an die Anforderungen,<br />

die selbstständiges Lernen<br />

im Sinne eines »Lernens im Lebenslauf«<br />

2 stellt, kann nur schrittweise erfolgen,<br />

und zwar über selbstständiges<br />

Lernen. Auf diese Weise baut sich die<br />

6 GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008


Thema: Selbstständig lernen<br />

Kompetenz des selbstständigen Lernens<br />

auf. Von besonderer Bedeutung<br />

für die <strong>Grundschule</strong> ist es, sich des<br />

Lernens überhaupt bewusst zu werden,<br />

es als eigene Tätigkeit wahrnehmen<br />

und beobachten zu lernen. Kinder<br />

sagen, dass »man aufpassen muss«,<br />

dass »man sich anstrengen muss«,<br />

dass »man nachdenken muss« oder<br />

dass »man sich was merken muss«. Bei<br />

genauerem Nachfragen ist es vielen<br />

jedoch nicht möglich, nähere Auskünfte<br />

zu geben. Wie kann man sich denn<br />

anstrengen? Wie kann man sich etwas<br />

merken? Auch wenn viele Kinder mit<br />

ihren intuitiven Strategien des Lernens<br />

recht lange erfolgreich sind und das<br />

Nachdenken, Sich-Anstrengen oder<br />

Merken handelnd beherrschen, ohne<br />

die Ablösung des Sprechens von der<br />

Situation ist es nicht möglich, das Lernen<br />

zum Gegenstand der Beobachtung<br />

und der Reflexion zu machen – und das<br />

ist Voraussetzung für den Aufbau von<br />

Lernstrategien oder lernmethodischer<br />

Kompetenz. Dazu ist es unerlässlich,<br />

über eine entsprechende Begrifflichkeit<br />

zu verfügen. Dann können Kinder<br />

nicht nur der Lehrerin / dem Lehrer Auskunft<br />

über ihr Lernen geben und deren<br />

lernmethodische Vorschläge verstehen,<br />

sondern sich auch mit den Gleichaltrigen<br />

über das Lernen austauschen<br />

und sich eventuell gegenseitig Tipps<br />

geben. Die Förderung selbstständigen<br />

Lernens muss also eingebunden sein<br />

in eine Kultur der Lerngespräche – mit<br />

der ganzen Klasse, mit einer einzelnen<br />

Gruppe, mit einzelnen Kindern, mit<br />

Kindern und ihren Eltern. Das bietet<br />

vielfach Gelegenheit, entsprechende<br />

Begriffe beiläufig oder auch absichtsvoll<br />

einzuführen und ihre Bedeutung<br />

umschreibend oder über Beispiele zu<br />

erschließen.<br />

Grundschulkinder können<br />

selbstständig lernen<br />

Selbstständiges Lernen lässt sich auch<br />

in der <strong>Grundschule</strong> in allen genannten<br />

Phasen eines Lernprozesses schon verwirklichen,<br />

in einer der Aufgabe und<br />

den Möglichkeiten des Kindes angemessenen<br />

Weise.<br />

In der Phase der Planung ist es<br />

sinnvoll, ein Vorhaben miteinander zu<br />

durchdenken, es möglicherweise in<br />

mehrere kleine Teilschritte aufzuteilen,<br />

sich zu überlegen, welche Arbeitsmittel<br />

zur Bewältigung welcher Aufgabe<br />

nötig sein werden, mit wem was am<br />

besten getan werden kann usw. Das<br />

sollte in der Regel in einem Kreisgespräch<br />

geschehen, damit alle Kinder<br />

sich in die Planung eingebunden fühlen.<br />

Viele Kinder brauchen auch die Anregung<br />

durch die Ideen Anderer. Einzelne<br />

Vorhaben können dann im kleineren<br />

Kreis besprochen werden.<br />

In der Phase der Überwachung<br />

kommt es darauf an, dass überhaupt<br />

daran gedacht wird. Kleine Pausen bei<br />

der Erreichung von Etappen können<br />

eingeschoben werden, um nachzufragen,<br />

wie es voran geht, ob sich die Kinder<br />

noch auf dem besprochenen Weg<br />

befinden oder ihn vielleicht auch aus<br />

gutem Grund wieder verlassen haben.<br />

Hier bieten sich auch Einzelgespräche<br />

an, weil die Vorerfahrungen der Kinder<br />

hinsichtlich selbstständiger Arbeit<br />

wahrscheinlich sehr verschieden sind<br />

und Kinder in dieser Phase möglicherweise<br />

auch auf Probleme gestoßen<br />

sind, über die sie nicht in großer Runde<br />

sprechen wollen, durchaus aber im geschützten<br />

Dialog.<br />

Am Ende schließt sich die Phase der<br />

Kontrolle an, in der die Kinder – jedes<br />

für sich oder auch miteinander – den<br />

Erfolg ihrer Lernbemühungen einschätzen.<br />

Sie können sich auch selbst<br />

bewerten, jeder für sich oder gegenseitig.<br />

Dabei gilt es, den Anspruch der<br />

Aufgabe noch einmal genau zu formulieren<br />

und ihn dann mit dem Ergebnis<br />

in ein Verhältnis zu setzen. In der Regel<br />

beziehen die Kinder in eine solche<br />

Erfolgseinschätzung auch den Prozess<br />

mit ein: »Aber er hat sich so angestrengt!«<br />

Oder: »Sie wurde immer wieder<br />

gestört!«<br />

Diese Phase geht dann über in die<br />

Phase der Reflexion, in der nun nicht<br />

nur das Gesamtergebnis bewertet wird,<br />

sondern vor allem das Lernen selbst<br />

thematisiert wird. Was ist gut gelungen?<br />

Was hat geholfen, dass es so gut<br />

gelungen ist? Was hat sich bewährt?<br />

Wo lagen die Probleme der Aufgabe?<br />

Warum hat sie Probleme gemacht?<br />

Wie ließ sich eine Schwierigkeit überwinden?<br />

Wie hätte man sich an dieser<br />

Stelle noch helfen können? Hat möglicherweise<br />

ein anderes Kind an einer<br />

kritischen Stelle eine effektivere Strategie<br />

angewendet? Warum war diese<br />

Strategie besser? Wie geht es mir mit<br />

diesem Ergebnis?<br />

Diese Auswertung lässt sich bei<br />

Gruppenaufgaben gut im gemeinsamen<br />

Gespräch durchführen, allerdings<br />

ist dabei darauf zu achten, dass<br />

dies in einem Klima des Respekts<br />

geschieht, damit auch das Kind, das<br />

Probleme hatte, mit Zuversicht und<br />

gestärkt den Kreis verlässt.<br />

Prof. Dr. Angelika Speck-Hamdan,<br />

Professorin für Grundschulpädagogik<br />

und -didaktik an der Ludwig-Maximilians-Universität,<br />

im Grundschulverband<br />

Referentin für Bildungsgerechtigkeit,<br />

Vorstandsmitglied im<br />

Pestalozzi-Fröbel-Verband, befasst<br />

sich u. a. mit dem Übergang vom<br />

Elementar- in den Primarbereich,<br />

mit dem Schriftspracherwerb von<br />

Kindern und Erwachsenen sowie mit<br />

Fragen der interkulturellen Bildung<br />

Bausteine selbstständigen Lernens: Austausch in der Gruppe, Präsentation<br />

der Lern- und Arbeits ergebnisse, Lerngespräch mit dem Lehrer<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008<br />

7


Thema: Selbstständig lernen<br />

Lerntagebücher<br />

und Portfolios<br />

können die<br />

Reflexion über<br />

das eigene Lernen<br />

anregen und so<br />

die Selbstständigkeit<br />

beim Lernen<br />

stärken.<br />

Es gibt auch Formen der schriftlichen<br />

Reflexion, die dann in der Regel die<br />

Kinder für sich allein vornehmen und<br />

in festgelegten Zeitabschnitten mit<br />

der Lehrperson besprechen. Schreibgewohnten<br />

Kindern kann die Form eines<br />

Lerntagebuchs angeboten werden. Die<br />

Zeit für dieses schriftliche Reflektieren<br />

muss gut eingeplant werden. Es muss<br />

für die Kinder zur hilfreichen Regel<br />

werden, aber nicht zur lästigen Pflicht,<br />

was sich an floskelhaften und wenig<br />

ergiebigen Einträgen gut ablesen lässt.<br />

Um die Schreibfähigkeit bei jüngeren<br />

Kindern nicht zu überanstrengen, sind<br />

auch Lerntagebücher mit vorgege-<br />

benen Einschätzskalen – entweder mit<br />

Ziffern abgestuft oder mit Bildern veranschaulicht<br />

– denkbar. Auch hier gilt<br />

das Prinzip des sorgsamen Einsatzes.<br />

Portfolios sind eine weitere Möglichkeit,<br />

die Reflexion über das eigene Lernen<br />

anzuregen und so die Selbstständigkeit<br />

beim Lernen zu stärken. Kinder<br />

wählen selbstständig aus, was in ihr<br />

persönliches Portfolio kommt. Dazu<br />

müssen sie sich gründlich Gedanken<br />

darüber machen, warum es ein Werk<br />

verdient aufgenommen zu werden. In<br />

den Gesprächen zu den Portfolios soll<br />

es darum gehen, nicht nur die sichtbaren<br />

Ergebnisse der Lernprozesse zu<br />

würdigen, sondern ihnen auch in ihrem<br />

Entstehungsprozess nachzuspüren<br />

und herauszubekommen, welche Strategien<br />

sich als nützlich und effektiv<br />

erwiesen haben.<br />

Manchmal gelingt es, Aufgaben so<br />

zu stellen, dass sie mit einem unterschiedlichen<br />

Grad an Selbstständigkeit<br />

zu lösen sind. Eine abgestufte Auswahl<br />

an Unterstützung und Hilfestellung<br />

kann Kindern die Möglichkeit geben,<br />

sich in ihrer Fähigkeit des selbstständigen<br />

Lernens einschätzen zu lernen.<br />

Will ich die Einteilung in Teilschritte<br />

selbst versuchen oder mich an den<br />

wohl durchdachten Vorschlag der Lehrperson<br />

oder eines Programms halten?<br />

Will ich mich nach jedem Teilschritt<br />

– etwa durch Selbstkontrollmöglichkeiten<br />

– rückversichern, ob ich auf<br />

dem richtigen Weg bin, oder will ich<br />

erst am Ende wissen, wie erfolgreich<br />

meine Lösungen sind? Will ich das Angebot<br />

eines Helfers nutzen? Jedes Kind<br />

kann für sich ausprobieren, was es sich<br />

an Selbstständigkeit zutrauen kann.<br />

Hilfreich dabei ist es, sich in den oben<br />

genannten Lerngesprächen mit der zugetrauten<br />

und tatsächlich in Anspruch<br />

genommenen Selbstständigkeit auseinander<br />

zu setzen.<br />

Entlastend und dem selbstständigen<br />

Lernen zuträglich sind alle Teilanforderungen,<br />

die mit Routine zu erledigen<br />

sind. In diesem Sinn ist der Aufbau von<br />

Routinen im Verlauf des Lernprozesses<br />

– etwa das Arbeiten mit der Rechtschreibkartei,<br />

etwa die Einhaltung vereinbarter<br />

Schritte bei der Lösung von<br />

sachunterrichtlichen Fragestellungen –<br />

ein wertvoller Beitrag in der Erziehung<br />

zu Selbstständigkeit. Routinen schaffen<br />

einen sicheren Boden, von dem<br />

aus dann auch Experimente der Selbstständigkeit<br />

gewagt werden können.<br />

Den stärker nach der eigenen Autonomie<br />

strebenden Kindern kommt dies<br />

ebenso entgegen wie denen, die neue<br />

Herausforderungen erst einmal als bedrohlich<br />

oder ängstigend empfinden.<br />

Der Aufbau selbstständigen Lernens<br />

ist eine zentrale Aufgabe der <strong>Grundschule</strong>.<br />

Sie lässt sich in allen Lernbereichen<br />

verwirklichen, ist an konkrete<br />

Lernaufgaben und damit auch Inhalte<br />

gebunden, verlangt aber danach, sie<br />

immer wieder aus dem situativen Kontext<br />

herauszulösen und am besten im<br />

Gespräch zu reflektieren. Auch dazu<br />

sind Grundschulkinder im Stande.<br />

Literatur<br />

Leu, Hans Rudolf: Erziehung zwischen<br />

Anleitung und Selbstbildung.<br />

In: Hammes-Di Bernardo, Eva (Hrsg.):<br />

Kompetente Erziehung. Zwischen Anleitung<br />

und Selbstbildung. Weimar, Berlin: verlag<br />

das netz 2007, S. 16 – 32<br />

Stern, Elsbeth: Entwicklung und Lernen<br />

im Kindesalter.<br />

In: Diskowski, Detlef & Hammes-<br />

Di Bernardo, Eva (Hrsg.): Lernkulturen und<br />

Bildungsstandards. Kindergarten und Schule<br />

zwischen Vielfalt und Verbindlichkeit.<br />

Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren<br />

2004, S. 37 – 45<br />

Anmerkungen<br />

1 Die Satire »The Saber-Tooth Curriculum«<br />

wurde 1938 von dem Pädagogik-Professor<br />

Harold R. W. Benjamin geschrieben und<br />

1939 unter dem Pseudonym J. Abner<br />

Peddiwell veröffentlicht.<br />

Anfang der siebziger Jahre fiel der Text<br />

Hans-Dieter Heller in die Hände, der ihn<br />

zusammen mit J. Robert Kile ins Deutsche<br />

übersetzte und 1974 im Klett Verlag<br />

veröffentlichte.<br />

2 In den vom BMBF 2008 veröffentlichten<br />

»Empfehlungen des Innovationskreises<br />

Weiterbildung für eine Strategie zur<br />

Gestaltung des Lernens im Lebenslauf«<br />

heißt es in der Präambel: »Wissen sowie<br />

die Fähigkeit, das erworbene Wissen<br />

anzuwenden, müssen durch Lernen im<br />

Lebenslauf ständig angepasst und erwei-<br />

tert werden. Nur so können persönliche<br />

Orientierung, gesellschaftliche Teilhabe<br />

und Beschäftigungsfähigkeit erhalten und<br />

verbessert werden. Deshalb ist der ›Wert<br />

des Lernens‹ zu erhöhen, unabhängig<br />

davon, ob das Lernen in erster Linie zur<br />

Weiterentwicklung der Beschäftigungsfähigkeit,<br />

zur Ausübung des bürgerschaftlichen<br />

Engagements, für die Freizeit oder<br />

die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit<br />

erfolgt.«<br />

(http://www.bmbf.de/pub/empfehlungen<br />

_innovationskreis_weiterbildung.pdf)<br />

8 GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008


Thema: Selbstständig lernen<br />

Selbstständigkeit fördern –<br />

Irrwege und Innovationen gegenwärtiger Schulpraxis<br />

Die <strong>Grundschule</strong> ist mehr als jede andere<br />

Schulform eine praktizierende<br />

Reformschule: offener Unterricht,<br />

Stationenlernen, Werkstattunterricht,<br />

freie Arbeit sind nur einige Stichwörter,<br />

die eine innovative Pädagogik im<br />

Klassenzimmer signalisieren. Sieht<br />

man genauer hin, dann zeigt sich eine<br />

irritierende Vielfalt an Realisierungen,<br />

dann entdeckt man faszinierende Innovationen<br />

neben Irrwegen und Mogelpackungen.<br />

Gemessen an einem Hauptkriterium<br />

für guten Unterricht, der Förderung<br />

von selbstständigem Lernen, sind<br />

meiner Beobachtung nach die Irrwege<br />

und Mogelpackungen mehr als nur<br />

eine Randerscheinung. Wenn Behauptungen<br />

die Runde machen wie: offener<br />

Unterricht bringe Kindern nicht<br />

genug bei, Unterricht verkomme zum<br />

Kuscheln, dann ergibt sich eine gefährliche<br />

Diskussionslage.<br />

Deshalb ist es wichtig, Praxistendenzen<br />

genauer anzusehen, sich über<br />

Kriterien für qualitative Entwicklungen<br />

zu vergewissern und Irrwege von Innovationen<br />

zu scheiden.<br />

Wie spät ist es im Märchenwald?<br />

In einer dritten Klasse ging es um das<br />

Thema Märchen. An die zwanzig verschiedene<br />

Arbeitsblätter lagen aus.<br />

Die Kinder hatten einen Laufzettel, auf<br />

dem die Blätter vermerkt waren, und<br />

sie arbeiteten sie nun in frei gewählter<br />

Reihenfolge ab.<br />

genau dies dann geschieht. Märchen,<br />

in denen eine Gegenwelt entsteht, in<br />

der einem auch Vertrautes begegnet:<br />

Angst und Freude, Hass und Liebe, Einsamkeit<br />

und Geselligkeit … Märchen,<br />

in denen die Hoffnung gestärkt wird,<br />

dass auch Menschen, die weniger gelten<br />

als andere, sich tapfer und beherzt<br />

in der Welt behaupten können, wenn<br />

sie nur wollen.<br />

Nun also in der dritten Klasse die Märchen-Werkstatt.<br />

Woran arbeiten die<br />

Kinder? Auf einem Arbeitsblatt geht es<br />

um Märchensprüche, die den Märchennamen<br />

zugeordnet werden müssen,<br />

auf drei Arbeitsblättern sind die Abschnitte<br />

von Märchen verwürfelt und<br />

müssen in der richtigen Reihenfolge<br />

nummeriert werden. Die meisten Arbeitsblätter<br />

aber haben gar nicht das<br />

Thema Märchen zum Inhalt, sondern<br />

verfolgen andere fachliche Ziele.<br />

Mathematik: »Wie spät ist es im Märchenwald?«,<br />

heißt ein Arbeitsblatt. Hier<br />

geht es um das Ablesen von Uhrzeiten,<br />

am Ende sogar um genaue Zeitberechnung:<br />

»Trage die Zeitdauer ein!« Und<br />

dann folgen die Zeiten: von 12.12 Uhr<br />

bis 12.52 Uhr, von 21.01 Uhr bis 22.02<br />

Uhr. Nie und nimmer spielen genaue<br />

Zeiten in Märchen eine Rolle, Zeiten<br />

sind immer ungefähr, Tageszeiten folgen<br />

der Sonne und dem Mond. Hier<br />

vom Märchenwald zu sprechen, nimmt<br />

Märchen nur als Vorwand für eine Rechenübung.<br />

Auf einem anderen Blatt gibt es Textaufgaben.<br />

»Als die Geißenmutter ihre<br />

sechs Jungen aus dem Bauch des<br />

Wolfes befreit hatte, ließ sie alle sieben<br />

Geißlein Steine suchen. Jedes Geißlein<br />

brachte zwei Steine. Jeder Stein wog<br />

2 Pfund. Die Mutter legte noch einen<br />

Stein von 5 Pfund hinzu. Wie schwer<br />

waren alle Steine zusammen?« Dies<br />

ist eine Kinderverdummungsaufgabe.<br />

Wenn die Kinder<br />

mitdenken, dann müs sen sie<br />

davon ausgehen, dass die Steine gewogen<br />

wurden, bevor sie in den Bauch des<br />

Wolfes gelangten, und dass die Steine<br />

offenbar gezielt auf 2-Pfund-Schwere<br />

hin ausgesucht wurden. Solches Mitdenken<br />

wird Kindern aber durch solche<br />

Aufgaben abgewöhnt, denn es führt<br />

zu unsinnigen Zusammenhängen und<br />

ist für das Lösen der Aufgabe gänzlich<br />

von Horst<br />

Bartnitzky<br />

Märchen – Geschichten aus einer Zeit,<br />

als das Wünschen noch geholfen hat.<br />

Eintauchen in eine Fantasiewelt, in<br />

der sich Wundersames ereignet, in der<br />

Tiere sprechen, in der Dinge und Sprüche<br />

verzaubern und erlösen. Märchen,<br />

in denen man sich in ängstliche und<br />

in tapfere Menschen einfühlt, in denen<br />

man mit ihnen bangt, wenn Böses<br />

geschieht und einen zittern macht,<br />

wenn man mit ihnen hofft, dass dieses<br />

Böse überwunden oder bezwungen<br />

werden muss, weil nur das zum guten<br />

Ende führt, wenn man miterlebt, wie<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008<br />

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Thema: Selbstständig lernen<br />

nutzlos. Sachaufgaben im Mathematikunterricht<br />

haben aber die genau<br />

entgegen gesetzte Aufgabe: Sie sollen<br />

Lebensweltzusammenhänge mit Hilfe<br />

der Mathematik klären helfen, die Aufgabenstellung<br />

ist also ernst zu nehmen<br />

und das Sachverständnis ist für das Lösen<br />

der Aufgaben unentbehrlich.<br />

Grammatik: Auf einem Arbeitsblatt<br />

sollen die bestimmten Artikel zu Nomen<br />

wie Angst, Ärger, Durst, Lust,<br />

Streit usw. gesetzt werden. In der Aufgabe<br />

darauf sollen Sätze nach Mustern<br />

gebildet werden, in denen die Artikel<br />

dann gar keine Rolle spielen, zum Beispiel:<br />

»Bilde Sätze mit viel: Ich habe viel<br />

Freude.« Abgesehen<br />

von dem Sammelsurium<br />

der Aufgaben auf diesem Blatt, dürfte<br />

die Verwendung des unbestimmten<br />

Zahlworts ohne Zusatz für Kinder nicht<br />

gebräuchlich sein. Sie freuen sich, aber<br />

viel Freude? Ja woran denn? Aber um eigene<br />

Erfahrungen geht es in dieser Aufgabe<br />

auch gar nicht, obwohl die Sätze<br />

alle mit »ich« anfangen. Es ist eben<br />

verschult-formaler Sprachgebrauch.<br />

Märchen sind weit weg und Märchenlust<br />

kann da nicht aufkommen.<br />

Noch verstärkt wird solch formale<br />

Spracharbeit auf anderen Arbeitsblättern<br />

dieser Märchenwerkstatt<br />

betrieben: Da wird der Satz: »Schneewittchen<br />

deckt jeden Morgen für die<br />

sieben Zwerge den Frühstückstisch« in<br />

die Satzglieder zerlegt und die Kinder<br />

sollen mit den Satzgliedern »so viele<br />

Sätze wie möglich« ins Heft schreiben.<br />

Gemeint sind hier allerdings nicht<br />

»viele Sätze«, sondern gemeint ist die<br />

Umstellung des einen Satzes. Es geht<br />

Dr. Horst Bartnitzky<br />

war Lehrer und Schulleiter,<br />

in der Lehrer fortbildung und<br />

der Schulaufsicht tätig,<br />

zahlreiche Veröffentlichungen<br />

zur Deutschdidaktik,<br />

Vorsitzender des<br />

Grundschulverbandes<br />

um Satzstellungen, nicht um Sätze. Ist<br />

der Lehrerin wohl bewusst, wie viele<br />

verschiedene Satzstellungen es gibt,<br />

wenn sie den Kindern aufträgt: »so<br />

viele Sätze wie möglich«? Den Kindern<br />

wird die Identifikation mit Schneewittchen<br />

bei derlei formaler Übung<br />

und Schreibarbeit in der Quantität und<br />

Qualität früherer Strafarbeiten sicher<br />

verloren gehen. Und eine Einsicht in<br />

die Funktion der sprachlichen Probe:<br />

umstellen (oder verschieben) wird gar<br />

nicht in Erwägung gezogen.<br />

Eine bittere Pointe an dem Beispiel<br />

aus einer dritten Klasse ist, dass weder<br />

Märchen intensiv mit Kindern gehört,<br />

gelesen, gespielt wurden noch dass<br />

angesichts von 70 % Kindern mit Migrationshintergrund<br />

Märchen aus anderen<br />

Ländern irgendwo vorkamen. Sie<br />

waren eben in dem gewählten Material<br />

nicht vorgesehen.<br />

Man kann an dem Beispiel erkennen,<br />

was das didaktische Elend solcher<br />

Arbeitsblatt-Werkstätten ausmacht:<br />

■ Das Thema ist wohl auf einigen<br />

Blättern präsent. Dann aber gehen<br />

entweder die didaktischen Möglichkeiten<br />

aus, noch gehaltvolle Aufgaben<br />

für Papier-Stift-Aufgaben zum Thema<br />

zu finden. Oder aber es drängen sich<br />

andere Fachaspekte vor, die nun auf<br />

Teufel-komm-heraus an das Thema angehängt<br />

werden.<br />

■ Das Thema selbst ist zu weiten Teilen<br />

gar nicht Gegenstand der Betrachtung<br />

oder der Erarbeitung, sondern nur<br />

»Aufhänger«. Damit lernen die Kinder,<br />

dass Themen beliebig sind und die<br />

ernsthafte Auseinandersetzung damit<br />

schulisch nicht gefragt ist. Sie lernen,<br />

dass alles in der Schule letztlich auf<br />

Grammatik und Rechtschreiben, Lesefragen<br />

und Rechnen hinausläuft.<br />

■ Arbeitsblätter-Werkstätten schaffen<br />

einen Büro-Stil von Unterricht:<br />

gebeugt über diverse Arbeitsblätter<br />

arbeiten die Kinder nacheinander die<br />

Aufgaben ab, bis es klingelt.<br />

■ So weit die Arbeitsblätter, wie im<br />

Märchenbeispiel oben, aus Kopiervorlagen<br />

gewonnen sind, oder auch wie in<br />

arbeitsintensiveren Varianten, von der<br />

Lehrerin in Heimarbeit erstellt werden,<br />

sind die Kinder nicht an ihrer Planung<br />

und Gestaltung, an Entscheidung über<br />

Sinn und Zweck ihrer Arbeit beteiligt.<br />

Bearbeitet wird, was in den Ablagekörben<br />

liegt.<br />

■ Die Lehrerinnen und Lehrer, die<br />

Arbeitsblatt-Werkstätten betreiben,<br />

tun dies, weil sie solche Werkstätten<br />

irrtümlich für modernen Unterricht<br />

halten.<br />

Nun könnte man einwenden, ich hätte<br />

hier ein besonders krasses Fehlerbeispiel<br />

gewählt. Sicher, es gibt didaktisch<br />

Besseres auf dem Arbeitsblatt-Markt<br />

und es gibt didaktisch qualifizierten<br />

Werkstatt-Unterricht. Dennoch: Der<br />

hier skizzierte Unterricht kann denn<br />

doch exemplarisch stehen für didaktische<br />

Irrwege, wie sie an <strong>Grundschule</strong>n<br />

auch zu besichtigen sind. Mit zwei Fragestellungen<br />

will ich derzeitige Trends<br />

kritisch betrachten, Irrwege und Wege<br />

gegeneinander stellen:<br />

■ Werden Kinder damit selbstständiger?<br />

■ Lernen die Kinder miteinander und<br />

voneinander?<br />

Individuelle Lernentwicklungen:<br />

Werden Kinder damit selbstständiger?<br />

Dass Individualisierung ein unverzichtbares<br />

Prinzip moderner Schularbeit ist,<br />

gehört zu den pädagogischen Binsenweisheiten.<br />

Das Prinzip Individualisierung<br />

meint im modernen Unterricht<br />

aber nicht nur, dass Kinder Aufgaben<br />

erhalten, die ihrem individuellen Leistungsstand<br />

entsprechen und die sie<br />

dann mit ihren Möglichkeiten abarbeiten.<br />

Individualisierung meint, dass sie<br />

selbstständiger werden, ihr Lernen in<br />

die eigene Hand nehmen und dass sie<br />

an qualitätsvollen Aufgaben wachsen<br />

können. Individualisierung hat seine<br />

Begründung im Bild vom Kind als Subjekt<br />

seines Lernens. Die Realisierung<br />

dieses hohen Anspruchs im täglichen<br />

Unterricht stellt eine besondere Herausforderung<br />

an die didaktische Kunst<br />

der Lehrerinnen und Lehrer dar.<br />

In der Schulpraxis wird dem Gebot der<br />

Individualisierung oft durch eine Vielfalt<br />

von Arbeitsmaterialien entsprochen.<br />

Das sind<br />

■ Arbeitsblätter, wie sie die Verlage<br />

haufenweise bieten oder wie sie von<br />

der Lehrerin selber hergestellt werden,<br />

■ Karteikarten, wie sie in den letzten<br />

Jahren vor allem für den Rechtschreibunterricht<br />

in Mode gekommen sind,<br />

aber auch für das Lesen oder den Grammatikunterricht<br />

angeboten werden,<br />

10 GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008


Thema: Selbstständig lernen<br />

■ Arbeitshefte, Förderhefte für die<br />

Kinder,<br />

■ vielfältige Sorten von Übungsmaterialien<br />

aus Plastik oder Holz, wie sie die<br />

sog. Freiarbeitsverlage anbieten.<br />

Bei all diesen Materialien findet<br />

sich vielerlei didaktisch Fragwürdiges<br />

wie die oben zum Märchenthema skizzierten<br />

Aufgaben. Zum Rechtschreiben<br />

beispielsweise werden gern Aufgabentypen<br />

verwendet, die auf den Kopiervorlagen<br />

kurzweilig aussehen und mit<br />

dem Stift zu erledigen sind: Lückentexte,<br />

Purzelwörter, Geheimschriften<br />

– Aufgabentypen ohne weiteren didaktischen<br />

Wert. Denn mit ihnen lernen<br />

Kinder nicht das für die Rechtschreibentwicklung<br />

Entscheidende, nämlich<br />

Rechtschreibstrategien.<br />

Für den Mathematikunterricht haben<br />

Müller und Wittmann schon<br />

vor Jahren gegen die »bunten Hunde«<br />

und »grauen Päckchen« polemisiert.<br />

Mit den bunten Hunden sind all die<br />

Ausmalbögen im Rechenunterricht<br />

gemeint, bei denen Ergebniszahlen in<br />

einem Feld farbig ausgemalt werden.<br />

Am Ende wird dann eben ein bunter<br />

Hund oder es werden Fische sichtbar<br />

als lustvolle Bestätigung, richtig gerechnet<br />

zu haben. Graue Päckchen sind<br />

die allseits bekannten Päckchen-Kolonnen,<br />

die ja nicht dadurch besser werden,<br />

dass sie anstatt im Schulbuch nun<br />

auf Arbeitsbögen eines Freiarbeitsverlages,<br />

garniert mit einer witzigen Figur,<br />

angeboten werden. Sie enthalten den<br />

Kinder das Eigentliche des Mathematikunterrichts<br />

vor, nämlich Strukturen<br />

und Gesetzmäßigkeiten in Zahlenbezügen<br />

selber zu entdecken.<br />

Und das vielfach beliebte, in fast allen<br />

Schulen anzutreffende LÜK-System<br />

ist schon vom Titel her ein didaktischer<br />

Schwindel: Lerne – Übe – Kontrolliere,<br />

abgekürzt LÜK. Es wird dabei weder<br />

etwas gelernt noch etwas geübt.<br />

Denn wer die falsche Lösung gewählt<br />

hat, erfährt dies zwar später, weil das<br />

grafische Muster nicht stimmt. Eine<br />

Übungshilfe bekommt er aber nicht. Es<br />

ist weder ein Lern-, noch ein Übungsmittel,<br />

es ist ein Kontrollmittel und<br />

steht durch das Auswahl-Antwort-<br />

Verfahren auch in der Gefahr, dass die<br />

Kinder verunsichert werden und das<br />

Ergebnis raten.<br />

Sicher, mit solchen Materialien arbeiten<br />

die Kinder möglicherweise ganz<br />

zufrieden vor sich hin, aber sie lernen<br />

wenig. Ein dirigistisch abfragender<br />

Unterricht kostümiert sich lediglich<br />

mit einem modernen Mediengewand.<br />

Selbstständiger können die Kinder damit<br />

nicht werden. Sie bleiben abhängig<br />

von den vorgelegten Materialien und<br />

ihren vorgegebenen Aufgaben.<br />

Individualisierung über solchen Arbeitsblatt-<br />

oder Kartei-Unterricht zu<br />

regeln, ist didaktisch zu kurz gesprungen.<br />

Individualisierung erfordert, dass<br />

Kinder eigene Lernwege finden und<br />

gehen, dass sie Lernstrategien und Arbeitstechniken<br />

erwerben.<br />

Im Sachunterricht lernen die Kinder,<br />

Tiere oder das Wachsen von Pflanzen<br />

genau zu beobachten, ihr Aussehen<br />

zu betrachten, sie erwerben Konzepte<br />

dafür, was hier »genau« heißt, und<br />

Methoden, wie man beobachtet oder<br />

betrachtet und wie man das Gesehene<br />

in einer Skizze, in einer Tabelle, in kleinen<br />

Texten festhält. Sie lernen, wie sie<br />

Beobachtetes, Erkanntes auch anderen<br />

Kindern erklären können, wie sie<br />

Themen, bei denen sie Experten sind,<br />

anderen nahe bringen (eigene Hobbys,<br />

persönliche Interessengebiete, ein zu<br />

Ende gelesenes Buch). Durch Erfahrung,<br />

Reflexion und Training erwerben<br />

sie Vortrags-Methoden, nämlich andere<br />

für ihr Thema zu interessieren, frei<br />

zu sprechen, zu visualisieren. Was sie<br />

z. B. am Thema Bohnen wachsen oder<br />

Schnecken oder Frühblüher an Arbeitsweisen<br />

und Lernmethoden erworben<br />

haben, können sie bei weiteren Themen<br />

anwenden und weiterentwickeln,<br />

auch bei Interesse gebundenen individuellen<br />

Themen, bei denen sie besondere<br />

Experten sind.<br />

Zum Lesen wählen die Kinder ihren<br />

individuellen Lesestoff und reflektieren<br />

das Gelesene in ihrem Lesetagebuch.<br />

Hierzu werden wieder durch Erfahrung<br />

und Reflexion Möglichkeiten mit den<br />

Kindern entwickelt und probiert, wie<br />

ein Lesetagebuch als Dokument der<br />

individuellen Auseinandersetzung mit<br />

einem Buch gestaltet werden kann –<br />

Inhalt und Meinungen trennen, Briefe<br />

an eine Person im Buch schreiben, alternative<br />

Handlungsweisen skizzieren<br />

oder in einem eigenen Text ausarbeiten,<br />

Fragen an die Autorin überlegen<br />

und aufschreiben …<br />

Für das Rechtschreiben lernen Kinder<br />

Übungsweisen und Methoden,<br />

mit denen sie eigenständig Wörter<br />

Individualisierung im Sach- und Deutschunterricht:<br />

Pflanzen genau beobachten, individuellen Lesestoff wählen<br />

und im Lesetagebuch reflektieren, Lieblings buch vorstellen<br />

und beim Präsentieren von Hobbys Spezialkenntnisse einbringen<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008<br />

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Thema: Selbstständig lernen<br />

Rechtschreib-<br />

Gespräche …<br />

üben, die für ihre eigenen Texte wichtig<br />

sind: methodisch klug abschreiben,<br />

verwandte Wörter finden, den Wortstamm<br />

identifizieren, Schreibweisen<br />

begründen (warum schreibt man Fahrrad<br />

mit ah, mit zwei r und am Ende mit<br />

d?). Dabei werden die eigenen Wörter<br />

auch zu Modellen (z. B. Fahrrad als Modell<br />

für Wörter, bei denen man am Ende<br />

d schreibt, aber t spricht).<br />

Für ein Portfolio wählt das Kind eigene<br />

Arbeiten aus, begründet die Auswahl,<br />

stellt das Portfolio anderen vor:<br />

besonders gelungene Arbeitsdokumente<br />

oder Arbeiten zu einem für das<br />

Kind wichtigen Thema oder Arbeiten,<br />

an denen es besonders intensiv gearbeitet<br />

hat.<br />

Immer also geht es um Aufgaben,<br />

die Kinder in ihrem Lernbewusstsein<br />

stärken und ihre Selbstständigkeit<br />

fördern. Das aber erfordert, dass Arbeitsmethoden,<br />

Strategien, die Kinder<br />

bereits besitzen, beobachtet und dass<br />

weitere vermittelt werden, dass sie geübt<br />

und angewendet werden. Lehrergeleiteter<br />

und kindgeleiteter Unterricht<br />

spielen zusammen mit der ständigen<br />

Perspektive, die Lehrerleitung zurückzunehmen,<br />

die Kindleitung zu stärken.<br />

Die Themen und Lernmethoden<br />

sind mithin das Entscheidende, ihnen<br />

haben sich die Materialien immer unterzuordnen.<br />

Wenn sie dominieren, wie<br />

im Märchenbeispiel oben, dann läuft<br />

der Unterricht falsch, dann werden die<br />

Kinder um die Chance der Selbstständigkeits-Förderung<br />

gebracht.<br />

Märchen-Werkstatt. Manche nennen<br />

dies auch freie Arbeit.<br />

Diese reformpädagogischen Arbeitsformen<br />

erhalten ihren Sinn aber<br />

erst von einem Unterricht, der die<br />

Selbstständigkeit der Kinder fördert.<br />

Selbstständiges Lernen beginnt bei der<br />

Planung und der Beschaffung der Materialien.<br />

Bei jeder Werkstatt, bei allen<br />

Stationen, bei freier Arbeit planen die<br />

Kinder mit, worüber sie arbeiten können<br />

und wie sie an Material kommen.<br />

Auch dazu müssen sie Arbeitsweisen<br />

und Möglichkeiten, wie welches Material<br />

zu beschaffen ist, kennen. Schon<br />

Schulanfänger können ein Repertoire<br />

lernen, mit dem solche Arbeiten überlegt<br />

werden: zum Thema lesen, schreiben,<br />

malen, kneten, etwas bauen. Die<br />

Lehrerin ergänzt die Vorschläge der<br />

Kinder durch weitere Aufgaben. Wo die<br />

Kinder lediglich Vorgefertigtes abarbeiten,<br />

gleich ob dies auf zehn oder auf<br />

dreißig Arbeitsblättern oder Aufgaben<br />

angeboten wird, ob auf Stationen verteilt<br />

oder im Wochenplan vermerkt, da<br />

sind die reformpädagogischen Begriffe<br />

missbräuchlich verwendet, da wird Etikettenschwindel<br />

betrieben.<br />

Gemeinsamkeit des Lernens:<br />

Lernen die Kinder miteinander und<br />

voneinander?<br />

Ein weiteres Missverständnis beim<br />

Prinzip der Individualisierung ist dies:<br />

Aus dem diagnostischen Befund der<br />

Verschiedenheit wird die didaktische<br />

Konsequenz gezogen, dass jedes Kind<br />

individuell und alleine lernt. Nach<br />

diesem Prinzip sind viele Materialien<br />

aufgebaut. Eine weit verbreitete Rechtschreibkartei<br />

zum Beispiel folgt diesem<br />

Weg: Jedes Kind arbeitet die Aufgaben<br />

auf den Karteikarten in Alleinarbeit ab.<br />

Aber schon beim Rechtschreiblernen<br />

verkürzt die Vereinzelung die didaktischen<br />

Möglichkeiten und bringt die<br />

Kinder um notwendige Anregungen<br />

und Lernchancen: Lernmethoden können<br />

mit den Kindern gemeinsam ausprobiert<br />

werden: Wie merkt man sich<br />

ein Wort am besten? Ein Repertoire<br />

kann entstehen: ein Wort flüsternd<br />

lesen, in Silben lesen, blind mit dem<br />

Finger schreiben, schwierige Stellen<br />

ausmachen und markieren, Schreibweisen<br />

begründen. Nicht alles passt<br />

bei jedem Wort und nicht alles passt<br />

zu jedem Kind. Und was an einem Wort<br />

schwierig ist, kann individuell sehr<br />

unterschiedlich sein. Das kann miteinander<br />

besprochen werden. Es führt zu<br />

methodischem Bewusstsein und zu individuellen<br />

Präferenzen beim eigenen<br />

Üben.<br />

Überhaupt: schwierige Stellen.<br />

Was ist denn bei Wörtern wie Fahrrad<br />

oder Schiedsrichter schwierig? Solche<br />

»schweren Brocken« können den<br />

Kindern diktiert werden, die Kinder<br />

vergleichen ihre Schreibweisen und<br />

suchen nach Begründungen. Wie steht<br />

das Wort im Wörterbuch? Warum soll<br />

es wohl so geschrieben werden? Rechtschreibgespräche<br />

wird dies in der modernen<br />

Didaktik genannt.<br />

Individuelles Lernen ist auf gemeinsames<br />

Lernen angewiesen: Hier<br />

üben die Kinder, ihre Lernwege und<br />

ihre Lern erfahrungen mit den Stolperstellen<br />

und den Erfolgen zu versprachlichen<br />

und damit zu reflektieren, aus<br />

den Reaktionen anderer Kinder und aus<br />

deren Erfahrungen Gewinn zu ziehen.<br />

… und Arbeit an eigenen Texten<br />

Gerne werden heute Arbeitsformen<br />

wie Werkstattunterricht, Stationenbetrieb<br />

oder Wochenplanarbeit gewählt,<br />

wobei dann häufig vorgefertigte Arbeitsmaterialien<br />

im Klassenraum ausliegen,<br />

wie beim Eingangsbeispiel der<br />

12 GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008


Thema: Selbstständig lernen<br />

Beim gemeinsamen Lernen wird möglich,<br />

Lernmethoden miteinander zu gewinnen,<br />

sie zu erproben, ein Repertoire<br />

zu entwickeln. Nur gemeinsam können<br />

das Leben und Lernen in der Klasse<br />

miteinander geplant, realisiert und<br />

bedacht werden. »Vielfalt und Gemeinsamkeit«<br />

lautete denn auch das Motto<br />

des Bundesgrundschul-Kongresses<br />

1999, bei dem der Grundschulverband<br />

diese Zusammenhänge in den Mittelpunkt<br />

stellte.<br />

Am Beispiel der Rechtschreibkartei<br />

oben wurde schon deutlich, wie gegen<br />

diesen Zusammenhang verstoßen<br />

wird. Im Zuge der besonderen Beachtung<br />

von Lesekompetenz sind Arbeitsblatt-Konvolute<br />

und Karteien entstanden,<br />

die auch hier individuelles Lernen<br />

ohne Kommunikation über Gelesenes<br />

realisieren lassen. Verstärkt wird diese<br />

Reduktion des Lesens auf Vereinzelung<br />

durch die landesweiten Tests und im<br />

Gefolge durch Materialien wie: »Fit für<br />

Vergleichsarbeiten« oder ähnlich, die<br />

häufig den schlichten Aufgabenmustern<br />

der Tests folgen. Dabei ist Lese-<br />

Kommunikation eine entscheidende<br />

Aufgabe aller Leseförderung und eine<br />

unverzichtbare Dimension der Lesekompetenz:<br />

sich über Lesemotive und<br />

über Gelesenes miteinander austauschen,<br />

unterschiedliche Sichtweisen<br />

miteinander abgleichen, Neugier auf<br />

und Toleranz über unterschiedliche Interpretationen<br />

entwickeln, mit Texten<br />

miteinander handelnd umgehen und<br />

darüber kommunizieren.<br />

Auch die Klassenräume spiegeln<br />

Unterrichtskonzepte. Der perfekt eingerichtete<br />

Klassenraum, den die Kinder<br />

von Anfang an mit Materialien zur Differenzierung<br />

vorfinden, passt zu einem<br />

lehrergesteuerten Unterricht, auch<br />

wenn der Klassenblock des Frontalunterrichts<br />

zugunsten differenzierter<br />

Formen aufgehoben ist. Ein solcher<br />

Klassenraum bietet keine Chancen, ihn<br />

gemeinsam zu gestalten, ihn als wechselndes<br />

Spiegelbild gemeinsamer und<br />

differenzierter Arbeit wiederzuerkennen,<br />

ausgestattet mit Arbeitsmitteln,<br />

die zum Teil durch die Kinder und mit<br />

den Kindern entstanden sind. Gemeinsamkeit<br />

entpuppt sich oft als Nebeneinanderher-Lernen,<br />

soziales Lernen<br />

beschränkt sich auf Rücksichtnehmen<br />

und gelegentliches Helfen. Das vielfältige<br />

Anregungspotential der anderen<br />

Kinder liegt brach und Erfahrungen<br />

fehlen, dass eigene Anstrengungen zur<br />

gemeinsamen Arbeit beitragen.<br />

Anders beim Blick in diese Klasse:<br />

Bei einem gemeinsamen Unterrichtsthema<br />

»Unsere Sinne« erarbeiteten die<br />

Kinder einen Sehtest, ein Riechmuseum,<br />

eine Tastkiste, eine Tastwand mit<br />

Fundstücken aus dem Wald und anderes<br />

mehr. Diese Arbeitsergebnisse<br />

wurden im Klassenraum und auf dem<br />

Flur ausgestellt, sie bildeten nun Stationen,<br />

an denen andere Kinder ihre<br />

Sinne erproben konnten. Bei jeder<br />

Station half ein Kind aus der Gruppe,<br />

die diese Station erarbeitet hatte, als<br />

Helfer oder Experte. Dieses Kind war<br />

zugleich Berichterstatter, weil es die<br />

Erfahrungen der anderen Kinder in die<br />

eigene Gruppenarbeit zurückbrachte<br />

und hier an der Station optimierend<br />

weiter gearbeitet werden konnte. Hier<br />

lernten die Kinder nicht nebeneinander,<br />

sondern miteinander und voneinander,<br />

um im Wortspiel zu bleiben:<br />

auch füreinander.<br />

Zum Schreiben wurde in den letzten<br />

zwanzig Jahren das Konzept der<br />

Schreibkonferenzen entwickelt. Die<br />

Autorin oder der Autor eines Textes<br />

sucht sich zwei oder drei Beraterkinder.<br />

Sie lesen den Text oder bekommen<br />

ihn vorgelesen und sagen, was ihnen<br />

gefällt, was nicht. Sie geben Rat, was<br />

sie überarbeiten würden. Dieser schülergesteuerte<br />

Teil des Unterrichts ist<br />

aber nur der eine Strang. Er muss durch<br />

fachgerechte Erarbeitung von Kriterien<br />

ergänzt werden. Diese Arbeit erwächst<br />

aus den Schreibkonferenzen und wirkt<br />

wieder in sie zurück. Die Lehrerin beobachtet<br />

die Konferenzen, greift Überarbeitungspunkte<br />

heraus, die häufiger<br />

eine Rolle spielen, aber auch solche,<br />

die von den Kindern gar nicht entdeckt<br />

werden – Satzanfänge mit Umstellproben,<br />

sprachliche Mittel wie Adjektivlisten<br />

und Wortfelder, Schreibideen.<br />

Solche Aspekte werden in Gruppen<br />

oder mit der Klasse erarbeitet, mit Beispielen<br />

aus den Schreibkonferenzen<br />

und Texten der Kinder bestückt und<br />

in einem Schreibwerkstatt-Ordner gesammelt.<br />

Er ist Arbeitsgrundlage für<br />

die Beratung in Schreibkonferenzen<br />

und für Überarbeitungen.<br />

Überhaupt wird ein Unterricht, der<br />

die Differenzierung in der Gemeinsamkeit<br />

pflegt, vielfältige Lernanregungen<br />

aus gemeinsamer Arbeit gewinnen und<br />

in sie wieder zurückführen können:<br />

Im täglichen Morgenkreis erzählen<br />

die Kinder frei und assoziativ, was sie<br />

bewegt. Aus solchen Gesprächen können<br />

Aufgaben für Einzelne oder für<br />

die Gruppe erwachsen: Interessante<br />

Geschichten kommen ins Klassentagebuch.<br />

Die Nachricht eines Jungen, der<br />

am Tag vorher eine Judo-Prüfung bestanden<br />

hatte, führte zu Nachfragen.<br />

Hieraus erwuchs das Unterrichtsthema:<br />

Unsere Hobbys.<br />

Im Planungskreis wird das Unterrichtsthema<br />

geplant. Zum Thema<br />

»Wetter« sammelten die Kinder zum<br />

Beispiel Fragen, brachten Material mit,<br />

entwickelten Ideen für Wetterprotokolle<br />

und Wetterstationen.<br />

In der Versammlung werden Arbeitsergebnisse,<br />

selbst geschriebene<br />

Das Unterrichtsthema<br />

»Unsere<br />

Sinne« wird mit<br />

einfachen Mitteln<br />

zu einer nachhaltigen<br />

Erfahrung<br />

für die Kinder<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008<br />

13


Thema: Selbstständig lernen<br />

Texte, interessante Textfunde vorgestellt.<br />

Im Klassenrat werden alle Probleme<br />

des Lernens und des Miteinanderlebens<br />

in der Klasse und Schule besprochen<br />

und nach Möglichkeit geregelt.<br />

Beim Lerngespräch sprechen die<br />

Kinder in der Klasse oder in der Gruppe<br />

über Lernentwicklungen und zukünftige<br />

Vorhaben.<br />

»Wer die Geschichte zuletzt erzählt<br />

hat, dem ist der Mund noch warm<br />

davon …«<br />

Wie anders als im Eingangsbeispiel<br />

kann eine Märchen-Werkstatt gestaltet<br />

werden, die diesen Namen auch verdient.<br />

Einstieg in das Thema Märchen<br />

bietet insbesondere eine Erzählsituation:<br />

Die Lehrerin erzählt den Kindern<br />

ein Märchen, ersatzweise: sie liest es<br />

ihnen vor. Die Situation ist anheimelnd<br />

gestaltet, einige Utensilien für dieses<br />

Märchen werden ausgelegt. Die Kinder<br />

berichten dann, was sie von Märchen<br />

schon wissen, sie bringen Bücher, Kassetten,<br />

Plüschtiere, Glanzbilder, auch<br />

Karnevals-Kostümierungen mit. Die<br />

Lehrerin ergänzt die Materialien, ein<br />

Besuch in der Stadtteilbücherei erbringt<br />

eine gefüllte Bücherkiste. Das<br />

Material wird in der Klasse ausgestellt.<br />

Verschiedene Angebote entstehen:<br />

Märchen lesen oder hören, ein Lieblingsmärchen<br />

aussuchen, dazu eine<br />

Bilderfolge malen, Szenen aus Märchen<br />

in einem Schuhkarton gestalten, Märchen<br />

erzählen, ein Märchen-Lexikon<br />

anlegen. Die schon eingeführte Methode<br />

des geselligen Erzählens mit Erzählkarten<br />

und Gegenständen wird angewendet,<br />

wenn die Kinder allein oder<br />

mit einem Partner ein Märchen erzählen.<br />

Die Lehrerin sammelt mit den Kindern<br />

im Zuge der Märchenerzählungen<br />

Anfänge, Figuren, Orte, Gegenstände,<br />

Sprüche, Märchensätze, Märchenwörter,<br />

Schluss-Sätze. Schließlich forschen<br />

die Kinder in weiteren Märchen nach<br />

Ergänzungen zu dieser Sammlung.<br />

Die Ideen eines Märchennachmittags<br />

mit den Eltern und eines neuen<br />

Märchenbuchs mit eigenen Märchen<br />

werden entwickelt und durchdacht. Für<br />

eigene Märchen sind die gesammelten<br />

Elemente von Märchen hilfreich: Sie<br />

werden auf Kärtchen geschrieben und<br />

in Kartons sortiert, die Kinder ziehen<br />

Kärtchen und lassen sich dadurch zu<br />

eigenen Märchen anregen. Schreibkonferenzen<br />

helfen bei der Beratung und<br />

Überarbeitung. Aus besonders schön<br />

gestalteten Büchern gucken die Kinder<br />

ab, wie die Schrift und die Illustrationen<br />

gestaltet sind.<br />

Während der Unterrichtseinheit<br />

sammeln die Kinder märchenhafte<br />

Ausdrücke, übersetzen alte Sprache in<br />

heutige Sprache, einige Kinder stellen<br />

daraus ein Märchen-Abc zusammen;<br />

wichtige und schwierige Wörter bei<br />

den eigenen Märchen üben die Kinder<br />

mit den bekannten Übungsmethoden<br />

rechtschriftlich, an den Modellwörtern<br />

verzaubern, verwandeln, verirren üben<br />

sie Wörter mit dem Präfix ver- und vergleichen<br />

die Verben mit und ohne verinhaltlich.<br />

Beim Märchennachmittag ist der<br />

Klassenraum märchenhaft dekoriert,<br />

lädt eine Ausstellung mit Märchen in<br />

Schuhkartons, mit Bilderfolgen und<br />

anderem die Eltern zum Anschauen<br />

ein, lesen die Kinder eigene Märchen<br />

vor und zeigen Bilder dazu, vielleicht<br />

auch als Schattenspiel am Projektor,<br />

eine Gruppe führt ein Märchenquiz<br />

durch.<br />

Für diesen Unterricht sind keine<br />

vorgefertigten Kopiervorlagen erforderlich.<br />

Die Kinder beteiligen sich an<br />

der Beschaffung der Materialien, an<br />

ihrer Auswertung und an der Planung<br />

der beiden Projekte, dem Veröffentlichungsprojekt<br />

Märchenbuch und<br />

dem Veranstaltungsprojekt Elternnachmittag.<br />

Am Ende trug jedes Kind<br />

mit seinen Möglichkeiten und seinen<br />

Interessen zu den gelungenen Ergebnissen<br />

bei.<br />

Die Schule auf Entwicklungsweg<br />

Die <strong>Grundschule</strong> ist vermutlich am<br />

weitesten in der Entwicklung neuer<br />

Lernformen, die selbstständiges Lernen<br />

begünstigen und fördern. Allerdings<br />

ist auch unverkennbar, dass die<br />

Wege nicht immer Entwicklungswege<br />

sind. Es gibt Irrwege:<br />

■ wenn die Schule schon zufrieden<br />

ist, dass die Kinder beschäftigt sind,<br />

und dazu Arbeitsblätter und Materialien<br />

herabregnen lässt, die von den<br />

Kindern abgearbeitet werden müssen.<br />

Aktivismus ist aber keine qualifizierende<br />

Lernarbeit.<br />

■ wenn im anderen Extrem die Lehrerinnen<br />

und Lehrer sich aus der Verantwortung<br />

ziehen. Lehrerseminare<br />

sprechen dann gerne von Lerngelegenheiten<br />

statt von Lehrzielen; Fortbildner<br />

von »professionellem Nichtstun«;<br />

Extrem-Reformer davon, dass Kinder<br />

die Verantwortung für ihre Bildung<br />

selbst übernehmen sollen. Viele Kinder<br />

werden dabei allein gelassen und ihnen<br />

wird letztlich die Schuld für »versäumte<br />

Lektionen« aufgebürdet. Lehrerinnen<br />

und Lehrer können ihre Verantwortung<br />

aber nicht ablegen.<br />

Und es gibt Etikettenschwindel:<br />

■ wenn das Auslegen und Abarbeiten<br />

von vorgefertigten Materialien als<br />

Werkstatt bezeichnet wird oder wenn<br />

die Wahl der Reihenfolge in der Bearbeitung<br />

vorgegebener Aufgaben als<br />

freie Arbeit firmiert. Werkstatt und<br />

Freie Arbeit sind anspruchsvolle didaktische<br />

Konzepte mit Entwicklungsstufen<br />

und der steten Perspektive von<br />

selbstständigem Lernen der Kinder.<br />

Gelungene innovative Entwicklungswege<br />

zeichnen sich dadurch aus, dass<br />

auf die beiden Leitfragen eine positive<br />

Antwort gegeben werden kann:<br />

■ Werden die Kinder selbstständiger?<br />

■ Wird individuelles Arbeiten in die<br />

Gemeinsamkeit des Lebens und Lernens<br />

eingebunden?<br />

Solchermaßen gelingende Entwicklungswege<br />

haben nichts mit<br />

Schmuseschule, nichts mit Schule der<br />

Beliebigkeit, nichts mit Arbeitsblattfetischismus<br />

oder Wühltisch-Didaktik<br />

zu tun. Sie sind vielmehr für Schulen,<br />

Kinder wie Lehrerinnen, ein anspruchsvolles<br />

pädagogisches Programm, bei<br />

dem Kinder Schlüsselqualifikationen<br />

für Selbstständigkeit wie Lernkompetenz<br />

und Teamfähigkeit erwerben. Insbesondere<br />

erfahren sie dabei, dass ihr<br />

Lernen in der Institution Schule für sie<br />

selbst belangvoll ist. Dies wiederum ist<br />

die vermutlich wichtigste Erfahrung.<br />

Ausgewählte Literatur<br />

des Grundschulverbandes<br />

Bartnitzky, H. / Speck-Hamdan (Hrsg.):<br />

Leistungen der Kinder wahrnehmen –<br />

würdigen – fördern (2004)<br />

Drews, U. / Wallrabenstein, W. (Hrsg.):<br />

Freiarbeit in der <strong>Grundschule</strong> (2002)<br />

Scherer P. / Böning, D. (Hrsg.): Mathematik<br />

für Kinder – Mathematik von Kindern (2004)<br />

Schmitt, R. (Hrsg.): <strong>Grundschule</strong> – Schule der<br />

Vielfalt und Gemeinsamkeit. (2001)<br />

Valtin, R. (Hrsg.): Rechtschreiben lernen in<br />

den Klasse 1 – 6 (2000)<br />

14 GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008


Praxis: Selbstständig lernen<br />

Kinder sind kompetente Lerner<br />

»Jedes Kind will lernen«<br />

Anton (4.) hat heute alle Zugangscodes<br />

zu den Lernwerkstätten im Netzwerk<br />

der Schule verändert – ärgern oder<br />

staunen? Laura und Lisi (2. und 1.)<br />

spielen vor der Dichterlesung eine Partie<br />

Schach im Schulleiterzimmer. Die<br />

Schulversammlung beschließt, »dass<br />

heute alle Kinder nett zu Kevin sind«.<br />

Er soll mitbekommen, dass alle ihn<br />

mögen. Andreas (3.) programmiert gerade<br />

ein eigenes Spiel mit dem Powerpointprogramm.<br />

Kristina (2.) sitzt mit<br />

vier Kindern im Gesprächskreis. Kristina<br />

ist sauer …, aber sie klären es. Vera,<br />

unsere frisch examinierte Lehramtsanwärterin,<br />

sitzt gerade mit einer Klasse<br />

zusammen und sie üben ein Lied für<br />

ein Theaterstück, dass sie aus dem<br />

Buch »Du bist einmalig« entwickeln.<br />

Isabell (4.) arbeitet im Mathebuch, Till-<br />

Joscha (4.) hält heute einen Vortrag<br />

über Emissionswerte, Georgina über<br />

»Harry Potter«, Max (3.) über die Götter<br />

Ägyptens. Michel (1.) will nähen, weiß<br />

aber nicht was. Hatice (3.) hat gerade<br />

den Gottesdienst des evangelischen<br />

Pfarrers im Forum der Schule besucht.<br />

Timo (2.) hat beim Experimentieren die<br />

Anleitung nicht richtig gelesen, ihm ist<br />

die Mischung aus Essig und Backpulver<br />

ins Gesicht geflogen. Perla (4.) und Jan,<br />

9. Klasse Hauptschule, ein ehemaliger<br />

Schüler und Praktikant, schreiben eine<br />

Geschichte, in der sich Momo und der<br />

kleine Prinz begegnen. Jakob (3.) und<br />

Gizem (4.) schreiben am Drehbuch für<br />

den neuen Piratenfilm. Carlo (1.) sitzt<br />

im Förderraum und schreibt mit der<br />

Hilfe der Anlauttabelle und der Lehrerin<br />

seine eigenen Wörter. Elisabeth redet<br />

mit Jonathan (beide 4.), sie ist jetzt<br />

Chefredakteurin der Schulzeitung, die<br />

nur von Kindern gemacht wird. Daniel<br />

(1.) steht rum und weiß nicht, was er<br />

tun will. Reyhan (3.) geht gerade durch<br />

den Flur und rezitiert Goethe: »Walle,<br />

walle, manche Strecke, dass, zum …«,<br />

Leon (4.) spielte schon im zweiten<br />

Schuljahr die E-Gitarre in der Schulband<br />

und ist überhaupt nicht mit dem<br />

neuen Stück einverstanden, … so und<br />

noch auf viele andere Arten und Weisen<br />

arbeiten 180 Kinder an vollkommen<br />

verschiedenen Enden und Ecken, Zielen<br />

und Problemen.<br />

Lennart (4.) erklärt einer Professorin<br />

über das Selbstentscheiden der Kinder<br />

beim eigenen Lernen: »Es darf erst gar<br />

nicht dazu kommen, dass ein Kind sich<br />

dazu entscheidet nicht lernen zu wollen.<br />

Man muss den Hintergrund so attraktiv<br />

machen, dass jedes Kind lernen<br />

will.«<br />

Was ist das für ein »Hintergrund«?<br />

»Wir begriffen, den Kindern<br />

die Verantwortung für ihr<br />

Lernen zurückzugeben«<br />

Vor zwölf Jahren begann unsere Schule<br />

mit der heutigen Form ihrer Arbeit. Wir<br />

begannen damit, dass wir nicht mehr<br />

die offenen Lehrinhalte der Lehrpläne<br />

und Lehrpersonen lehrten. Die Kinder<br />

begannen zu lernen ihre Lerninhalte<br />

als ihre eigenen Lernpläne selbst zu organisieren.<br />

Wir, die Lehrkräfte, begannen<br />

zu lernen, die Kinder lernen zu lassen<br />

und wie wir lehren konnten, ohne<br />

zu zwingen. Wir begriffen, den Kindern<br />

die Verantwortung für ihr Lernen zurückzugeben<br />

und die Verantwortung<br />

für das eigene Können und die eigene<br />

Bildung zu übernehmen. Wir begannen<br />

dem eigenem Anspruch einer demokratischen<br />

Lehrerin gerecht zu werden<br />

und einen Lernort zu pflegen, der auf<br />

einem hohen Gesamtniveau jedes Kind<br />

von<br />

Walter Hövel<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008<br />

15


Praxis: Selbstständig lernen<br />

Schulforum:<br />

die eigenen<br />

Angelegenheiten<br />

zur Sprache<br />

bringen<br />

auf seinem Niveau erreicht, mitnimmt<br />

und selbst zum Gestalter der eigenen<br />

kompetenten Lernerpersönlichkeit<br />

werden lässt. Es entstand das Leitbild<br />

der Leistungsfreude gegen die Pflicht<br />

zum Leistungsdruck!<br />

Wir gebrauchten Begriffe wie<br />

Selbst organisation des Lernens, Selbstbestimmung<br />

der Lerninhalte, Selbstbewusstsein<br />

als Lerner, Selbstwertgefühl<br />

als lernender Mensch.<br />

Wie dachten mit den lernenden Kindern<br />

nach, über Selbstreflexion, Selbstdisziplin,<br />

sich selbst verantwortende<br />

Schule, Verbindlichkeit in der Kooperation<br />

und demokratische Kommunikation<br />

in der Zusammenarbeit der ganzen<br />

lernenden Schulgemeinde.<br />

In den letzten Jahren kommen<br />

unsere Gespräche und unsere Arbeit<br />

immer wieder beim Begriff der »Kompetenz«<br />

an. Es ist kein neues Wort für<br />

Fähigkeiten und Fertigkeiten, sondern<br />

es ist die integrierte Gesamtheit der<br />

individuellen Persönlichkeitsentwicklung,<br />

der Entwicklung der Lernerpersönlichkeit<br />

und einer demokratisch<br />

sich entwickelnden Gemeinschaft von<br />

Lernern, die unter Einschluss von Kindern,<br />

LehrerInnen, Eltern, Schulträgern<br />

und anderen gesellschaftlichen Partnern<br />

wiederum Schule genannt wird.<br />

Wir verstehen Kompetenz nicht als<br />

vorgegebene Normen, die von Fächern,<br />

Checklisten oder Lernzielen ausgehen,<br />

sondern als die Vielfalt und den Reichtum<br />

der individuellen Entwicklung der<br />

Kompetenzen jeder einzelnen Lernerpersönlichkeit.<br />

»Die Kinder lernen in<br />

einem von ihnen gestalteten<br />

Spiralcurriculum«<br />

Wie funktioniert nun eine Schule,<br />

die auf Kompetenzbildung auf allen<br />

Ebenen aus ist? Es gibt keine lehrergemachten<br />

Wochenpläne, Schulbücher<br />

oder Arbeitsblätter für alle, keine<br />

lehrergemachten schriftlichen oder<br />

mündlichen Vorgaben oder Pensenbücher.<br />

Jeden Morgen trifft sich jede »Klasse«,<br />

es sind eigentlich Lerngruppen<br />

vom ersten bis zum vierten Schuljahr,<br />

oft auch hospitierende 0-Klässler aus<br />

den Kindergärten, im Kreis. Dieser<br />

Klassenrat beschließt jeden Tag, was<br />

jeder Einzelne, die gesamte Klasse oder<br />

Gruppen oder Teams, oft auch mit Kindern<br />

anderer Klassen gebildet, arbeiten<br />

werden. Jeden Morgen stellt jedes Kind<br />

seine selbst gewählten Themen, Informationsquellen,<br />

Materialien, Arbeitsund<br />

Darstellungstechniken vor. Sie zeigen<br />

auf, mit welchen Problemen, mit<br />

welchen Zielen, in welcher Zeit, mit<br />

welchen Partnern sie sich auseinandersetzen<br />

wollen. Nach dem Kreis arbeiten<br />

sie in der Regel den ganzen Tag in allen<br />

(!) Räumen der Schule, bei warmem<br />

Wetter auch draußen in einem entsprechend<br />

gestalteten Schulgelände.<br />

Die Schule öffnet am Morgen um<br />

7 Uhr, die Lehrerinnen und Lehrer<br />

starten um 7.20 Uhr mit einer viertelstündigen<br />

Morgenkonferenz. Um<br />

8 Uhr sitzen alle in ihren Kreisen in den<br />

Klassenräumen. Die einzige Pause am<br />

Morgen ist um 10 Uhr und dauert bis<br />

10.45 Uhr. Der zweite Teil des Morgens<br />

geht bis 12.30 Uhr. Die Kinder der FLIEG<br />

(Feste Langzeit in einer Gruppe), die in<br />

Betreuung zweier Lehrerinnen und einer<br />

Betreuerin maximal bis 15.30 Uhr<br />

in der Schule bleiben, treffen sich zum<br />

Essen; andere gehen in verschiedene<br />

Arbeitsgruppen bis 13.15 Uhr, die von<br />

Lehrerinnen, Kindern oder Eltern und<br />

Großeltern angeboten werden. Danach<br />

gibt es täglich mindestens eine<br />

Arbeitsgruppe, die zuerst den Kindern<br />

der FLIEG, aber auch anderen Kindern<br />

offen steht.<br />

Als einziges Fachstundenplanelement<br />

gibt es den Sportunterricht, zu<br />

dem wir mangels einer eigenen Halle<br />

immer mit zwei Klassen fahren. Es gibt<br />

Religionsangebote, Themenplanungsund<br />

Reflexionsgruppen von zwei oder<br />

16 GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008


Praxis: Selbstständig lernen<br />

drei Klassen, Großgruppentreffen aller<br />

Kinder und Lehrerinnen und Lehrer<br />

und immer wieder Arbeitsgruppen<br />

von und mit Lehrern, Eltern, Kindern<br />

und geladenen Gästen aus Schulen,<br />

Universitäten, Institutionen und dem<br />

örtlichen Kultur- und Vereinsleben. Alle<br />

14 Tage findet die Schulversammlung<br />

statt, die immer von Kindern vorbereitet<br />

wird. Sie ist eine Kombination aus<br />

der Präsentation der Arbeit der Kinder<br />

und der Beschlussfassung über das<br />

Zusammenleben und -lernen in der<br />

<strong>Grundschule</strong> Harmonie. Die Woche<br />

beginnt am Montag um 8 Uhr mit einer<br />

Versammlung aller Menschen unserer<br />

Schule, in deren Mittelpunkt das<br />

Schulprogramm der Woche, also alle<br />

über die Klassen hinaus relevanten Ereignisse<br />

der Schule von Kindern und<br />

Erwachsenen vorgestellt werden.<br />

So lernen unsere Kinder montags,<br />

dienstags, donnerstags und freitags<br />

ihr eigenes Lernenlernen. Dieser Weg<br />

ist, gerade in einer staatlichen Schule,<br />

in einer teilweise auch schwierigen<br />

sozialen Umgebung, unter nicht privilegierten<br />

Bedingungen erfolgreich.<br />

Die Kinder lernen in einem von ihnen<br />

selbst gestalteten Spiralcurriculum.<br />

»Es geht darum,<br />

dass Kinder Erwachsenen<br />

begegnen können«<br />

Der Mittwoch ist ein anderer Tag. Wir<br />

nennen ihn »Kinderuniversität«. Dieser<br />

Tag beginnt mit einem halbstündigen<br />

Treffen im Kreis der Klasse. Um 8.30 bis<br />

10 Uhr sind Seminare und Vorlesungen.<br />

Von 10.45 Uhr bis 12.30 sind Englischseminare<br />

für alle und danach findet<br />

außer FLIEG nur noch das Kinderparlament<br />

statt.<br />

Diese »Kinderuniversität« hat zumindest<br />

drei Ursprünge. Erst einmal ist<br />

es der Ärger darüber, dass jährlich das<br />

»beste Kind« jeder Schule von Banken,<br />

Industrie und Schulamt zu einer »Kinderuni<br />

für Hochbegabte« eingeladen<br />

wird. Jürgen Reichen sagte einmal: »In<br />

jeder Klasse sind mindestens zwei Kinder,<br />

die intelligenter sind als ich!« Also<br />

muss es mehr »Hoch«intelligente geben<br />

und wenn man intelligent darüber<br />

nachdenkt, müsste klar werden, dass<br />

jeder Mensch intelligent ist, nur eben<br />

anders! Und damit kommt man da<br />

an, wo auch der Hochbegabungsfilm<br />

»Homo sapiens sapiens« von BMW an-<br />

Lernkompetenzspirale<br />

des selbst organisierten<br />

Lernens 1<br />

Lebenskompetenz<br />

Lernenlernkompetenz<br />

demokratische Kompetenz – fachliche Kompetenz<br />

Medienkompetenz – schulische Kompetenz – Arbeitskompetenz<br />

personale Kompetenzen – soziale Kompetenz – kulturelle Kompetenz<br />

Beziehungskompetenz – ästhetische Kompetenz – emotionale Kompetenzen<br />

Sprachkompetenz – Konfliktkompetenz – Methodenkompetenz – Wissenskompetenz<br />

Kommunikationskompetenz – Teamkompetenz – Leistungskompetenz – Wahrnehmungskompetenz<br />

kommt, nämlich bei der »Hochbegabtenförderung<br />

auf Verdacht«. Und damit<br />

ist man bei der Freinetpädagogik oder<br />

beim Landesschulgesetz in NRW, das<br />

jedem Schüler das Recht auf individuelle<br />

Förderung gibt. Da wir keine Universität<br />

fanden, die über ein Seminar<br />

oder eine andere Einrichtung an unserer<br />

Schule einmal in der Woche eine<br />

Uni für Kinder anbieten wollte, haben<br />

wir es selbst getan.<br />

Das offene Lernen, wie wir es pflegen,<br />

braucht das Öffnen der Tore des<br />

Wissens der Welt, der Natur, der Gesellschaft<br />

und seiner Medien, wie auch<br />

die Strategien der Lernenden, die ihnen<br />

das Öffnen der richtigen Türen erlaubt.<br />

Das offene Lernen soll sie befähigen<br />

Informationen zu finden, zu sammeln,<br />

zu unterscheiden, zu relativieren, zu<br />

bewerten, sie für ihre Zwecke zusammenzusetzen<br />

und zu sinnvollen Handlungs-<br />

und Entscheidungsaktivitäten<br />

zu nutzen.<br />

Wir nutzen den ursprünglichen Gedanken<br />

der »universitas magistrorum<br />

et scholarium«, der »Gemeinschaft der<br />

Lehrenden und Lernenden«. Wir bieten<br />

in der Gemeinschaft der Schule,<br />

im Haus des Lernens, unseren Kindern<br />

unsere Erwachsenenkompetenzen und<br />

unseren eigenen Spaß an Bildung und<br />

Wissen an. Ähnlich wie in der Bauhauspädagogik<br />

der 20er Jahre haben<br />

die Kinder einmal in der Woche die<br />

Gelegenheit, »ihren Lehrmeister« zu<br />

einem sie interessierenden Thema auszusuchen.<br />

Wir müssen mit inhaltlich<br />

hochwertigen, für Kinder spannenden<br />

Bildungs-Angeboten überzeugen.<br />

Es geht nicht darum, durch eine<br />

»Universität« dann schulische Inhalte<br />

doch wieder in die Kinder zu zwingen.<br />

Es geht darum, dass Kinder Erwachsenen<br />

begegnen, die selber Freude an<br />

Überall ist Raum<br />

zum Lernen<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008<br />

17


Praxis: Selbstständig lernen<br />

hen alle in das von ihnen ausgewählte<br />

Englisch-Angebot. Diese sind altersgemischt,<br />

aber durchaus im Leistungsniveau<br />

verschieden. Alle Lehrerinnen<br />

bieten Englischseminare an, in diesem<br />

Halbjahr: »At home«, »Shopping«,<br />

»School is cool«, »Animals«, »English<br />

picture books«, »Role plays«, »Theatregroup«,<br />

»E-mail-Writing«, »Junior class«,<br />

»My way to English«.<br />

Danach findet nur noch das Kinderparlament<br />

statt. Dieses ist keine SV-<br />

Einrichtung oder ähnliches, sondern<br />

der Lehrinnenkonferenz und der Eltern-<br />

Schulpflegschaft gleichgestellt.<br />

»Leadership für Kinder«<br />

Bei schönem<br />

Wetter lädt das<br />

Schulgelände zum<br />

Draußen-Arbeiten<br />

ein<br />

Wissen, Bildung, Erkennen und Lernen<br />

vorleben können, die ihrer Kompetenzen<br />

als Lehrer so sicher sind, dass<br />

sie sich wie »ganz normale Menschen«<br />

verhalten und die Aufmerksamkeit<br />

nicht durch Hintertürchen, Noten oder<br />

Tests erzwingen müssen.<br />

So entsteht über 6 Wochen das<br />

Angebot der Matheseminare mit<br />

den Themen: »Magische Quadrate«,<br />

»ANNA-Zahlen«, »1x1-Werkstatt«, »x-y-z-<br />

Gleichungen«, »Die Geschichte der Zahlen«,<br />

»Text- und Kernideenaufgaben«,<br />

»Teilen«, »Zahlenräume entdecken«,<br />

»Messen, Schätzen, Wiegen« und »Körper-Flächen-Figuren«.<br />

So entstehen die<br />

vierwöchigen Literaturseminare: »Der<br />

kleine Lord«, »Kinderkrimis«, »Momo<br />

und die Zeit«, »Goethe und Schiller«,<br />

»Onkel Toms Hütte«, »Astrid Lindgren«,<br />

»Griechische Sagen«, »Der kleine Prinz«,<br />

»Wie der Löwe lesen lernte«, »Don Quichotte«,<br />

»Der kleine Hobbit« und »Die<br />

kleinen Leute von Swabedu«.<br />

Die Seminare werden in der Schulversammlung<br />

von den anbietenden<br />

Erwachsenen vorgestellt. Im Klassenrat<br />

entscheiden sich die Kinder für das<br />

Seminar ihrer Wahl.<br />

Zwischen den Seminarblöcken finden<br />

anderthalbstündige Vorlesungen<br />

statt: »Die Grundbegriffe der Mathematik«,<br />

»Grundbegriffe der Grammatik<br />

und Semantik« und »Was ist Kombinatorik«.<br />

Für jüngere Kinder gibt es »Vorlesungen«.<br />

In Vorbereitung sind: »Wie<br />

funktioniert Lernen aus der Sicht der<br />

Hirnforschung«, »Literaturgeschichte<br />

für Kinder«, »Die Klassifizierung von<br />

Pflanzen und Tieren«, »Die Entstehung<br />

der Rechtschreibung« und »Grundbegriffe<br />

der Biologie«. Weitere geplante<br />

Seminarserien sind: »Verhalten und Benehmen«,<br />

»Vom Wahrnehmen, Fragen<br />

und Philosophieren«, »Überleben in der<br />

Sekundarstufe I«, »Rechtschreiben«,<br />

»Dichterwerkstätten«, »Themen des<br />

Sachunterrichts«, »Kinderwunschthemen«,<br />

»Künstler und ihre Techniken«.<br />

Nach den mittwöchlichen Seminaren<br />

versammeln sich alle Kinder<br />

und Lehrpersonen im Forum, um gemeinsam<br />

mit Englisch zu beginnen. Es<br />

wird gesungen oder interaktiv mit der<br />

Großgruppe Sprache gelernt. Dann ge-<br />

Walter Hövel,<br />

Lehrer, Leiter der <strong>Grundschule</strong> Harmonie,<br />

Familienmensch, Künstler, Autor,<br />

Lehrbeauftragter und Referent<br />

Kontakt: grundschule.harmonie@web.de<br />

Eine weitere Seminarserie »Leadership<br />

ausbildung für Kinder« ist als<br />

Vorgängerform der Kinderuniversität<br />

gleichzeitig ein weiterer Grund für die<br />

Kinderuni. Wir konnten seit Jahren beobachten,<br />

wie Kinder sich durch das<br />

selbst verantwortete Lernen auf bestimmten<br />

Gebieten zu echten Spezialisten<br />

entwickelten. Sie geben diese Fähigkeiten<br />

an Einzelne weiter, aber nicht<br />

an alle, und oft war die Entwicklung in<br />

verschiedenen Klassen weiter vorangeschritten<br />

als in anderen. So waren z. B.<br />

unsere »Genies« wahre Meister im Umgang<br />

mit den Computern, die »Blumen«<br />

konnten selbstständig Musik machen,<br />

die »Kichererbsen« experimentieren<br />

auffallend am häufigsten, die »Fledermäuse«<br />

beherrschen das Theaterspiel<br />

nahezu perfekt. Und wir hatten vor<br />

etwa zwei Jahren eine Phase, in der<br />

einigen Kindern die Arbeit langweilig<br />

wurde. Die Arbeit verflachte durch eine<br />

Art »Schule-Spielen«, durch fehlende<br />

Herausforderungen und Qualität.<br />

Wir wollten die Kompetenzen der<br />

Einzelnen für die Arbeit aller erreichbarer<br />

machen und gleichzeitig die Verantwortungsübernahme<br />

aller für das<br />

eigene und das Lernen der Anderen<br />

steigern. Wir stellten uns also ähnliche<br />

Fragen, die Schley stellt, wenn er Schulleitungen<br />

zur Leadershipausbildung<br />

einlädt. Da wir unsere Schulentwicklung<br />

aber nicht zuerst in der Schulleitung,<br />

sondern direkt mit den Kindern<br />

durchführen, richteten wir »Leadershipkurse<br />

für Kinder« ein. Immer über<br />

ein paar Tage organisierten wir Kurse<br />

mit unseren Schülerspezialisten und<br />

unserem eigenen Know-how. Aus jeder<br />

Klasse nahmen ein bis zwei Kinder an<br />

18 GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008


Praxis: Selbstständig lernen<br />

»Ich weiß, welche Bedeutung<br />

das Gelernte für mich hat«<br />

Selbstständig lernen – auch in der Gruppe<br />

»Lerngängen« teil: »Computer«, »Spiele<br />

beim Lernen und in der Pause«, »Präsentieren<br />

und Dokumentieren«, »Kreise<br />

und Versammlungen leiten«, »Teamtraining«,<br />

»Experimente durchführen«,<br />

»Zeitung machen«, »Theaterinszenierungen<br />

leiten«, »Selbst musizieren«,<br />

»Umgang mit Material«, »Sinnvoll mit<br />

Mathe arbeiten«, »Auflösung von Konflikten<br />

– Forumtheater«, »Lernen und<br />

Benehmen« hießen die bisherigen Seminare.<br />

Die Kinder suchten ihre Gruppen,<br />

um das Selbst-Anleiten, das Gestalten<br />

von Lern- und Arbeitsprozessen, das<br />

Teil-Haben an kooperativen Prozessen,<br />

demokratische Verantwortungsübernahme,<br />

Konzeptentwicklung, Teambildung<br />

und -steuerung, das Überwachen<br />

der eigenen Prozesse und des eigenen<br />

Verhaltens, das »Scannen« von Abläufen<br />

auch als Beteiligter, Techniken<br />

und Methoden des Lernens, Umgang,<br />

Pre-Thought (die Fähigkeit des Erkennens<br />

von Konsequenzen, die aus dem<br />

eigenen Handeln entstehen), Evaluation<br />

und das »Sich-selbst-Erziehen« zu<br />

lernen.<br />

Nichts bei uns geschieht mehr ohne<br />

Evaluation. Jeder Vortrag, jedes Klassenprojekt,<br />

jedes Seminar, jede Projektwoche<br />

(mit »Schule auf Reisen«,<br />

»Berufspraktika für Grundschulkinder«),<br />

jede Leadershipausbildung<br />

wird mündlich oder schriftlich in die<br />

Nachbetrachtung von Kindern und<br />

Lehrern geschickt. Dies geschieht im<br />

Klassenrat, im Kinderparlament, auf<br />

der Schulversammlung oder in besonderen<br />

Gruppen.<br />

Jedes halbe Jahr arbeitet jedes Kind<br />

eine 15-seitige Selbsteinschätzung mit<br />

allen Bereichen der schulischen Anforderungen<br />

durch. Die Lehrerin gibt<br />

jedem Kind ein Feedback zur Selbsteinschätzung.<br />

Die Eltern nehmen auf<br />

eigenen, aber im Inhalt und Aufbau<br />

identischen Bögen ihre Einschätzung<br />

ihres Kindes vor. Es folgt ein Beratungsgespräch<br />

von Eltern, Kind und<br />

Lehrern, immer auf der Grundlage der<br />

Selbsteinschätzung der Kinder. Hier<br />

wird mit dem Kind besprochen, wie<br />

und woran es in nächster Zeit in der<br />

Schule, aber auch zu Hause weiter arbeitet.<br />

Dies geschieht in mündlichen<br />

oder schriftlichen Verträgen. Zurzeit<br />

arbeiten wir an einer weiteren Seite der<br />

Selbsteinschätzung. Hier sollen Elemente<br />

der eigenen Kompetenzstufenentwicklung<br />

der Lernerpersönlichkeit<br />

eingeschätzt werden: Ich kann selbst<br />

gewählte Themen gründlich so bearbeiten,<br />

dass andere Kinder meine Dokumentation<br />

oder meinen Vortrag gut<br />

verstehen. Ich weiß, was ich Neues gelernt<br />

habe und wie ich das neue Wissen<br />

benutzen kann. Ich kann meine Rolle<br />

in der Lernkooperation beschreiben.<br />

Ich weiß, welche Bedeutung das Gelernte<br />

für mich und meine schulische<br />

Entwicklung hat und kann meine Lernerfahrungen<br />

an andere weitergeben.<br />

Ich habe mich von Mitschülern oder<br />

einem Erwachsenen so beraten lassen,<br />

dass ich einen Plan zur Arbeit erstellen<br />

konnte und die vereinbarte Aufgabe zu<br />

Ende gebracht und den anderen vorgestellt<br />

habe.<br />

Wir arbeiten nicht mit Zeugnissen,<br />

Tests und Klassenarbeiten zum Zwecke<br />

der Überprüfung und Bewertung<br />

von Leistungen. Kinder müssen nicht<br />

lernen, für Kontrollen und Aufträge zu<br />

funktionieren. Schule ist für die Kinder<br />

da, damit sie sich alle Kompetenzen<br />

aneignen können, die sie für sich und<br />

ihre heute schon begonnene Zukunft<br />

brauchen. Sie sind kompetente vollständige<br />

Menschen, die lernen. Und<br />

wir Lehrerinnen und Lehrer auch. Und<br />

deshalb hören wir auf mit dem Unterrichten,<br />

damit Raum und Zeit für das<br />

Lernen entsteht!<br />

Im Musikraum<br />

Anmerkung<br />

1 W. Hövel: <strong>Grundschule</strong> Harmonie – ein selbst verwaltetes staatliches<br />

Modell. In: E. Lanthaler/R. Meraner: Neue Lernkultur in<br />

Kindergarten und Schule – Das Lernen in den Mittelpunkt stellen.<br />

Pädagogisches Institut für die deutsche Sprachgruppe, Bozen und<br />

Wien 2005<br />

Leadershipkurs für Kinder: z. B. Schach<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008<br />

19


Praxis: Selbstständig lernen<br />

Einschätzen lernen, was man<br />

den Kindern zutrauen kann<br />

von Claudia Goj<br />

Arbeiten<br />

mit dem<br />

Wochenplan<br />

Wochenplan: Die meisten<br />

Kinder forderten Hilfe ein<br />

Als ich im letzten Jahr nach den Osterferien<br />

eine erste Klasse übernahm,<br />

kannten die Kinder freies Arbeiten<br />

nur im Rahmen eines Tagesplans. Ich<br />

führte einen Wochenplan ein, der die<br />

Selbstständigkeit fördern sollte. Trotz<br />

eingehender Besprechung des Wochenplans<br />

stellten sich aber schnell<br />

Schwierigkeiten bezüglich der Arbeitsorganisation<br />

ein:<br />

■ Welche Symbole bezeichnen was<br />

(bereits begonnene Arbeiten, fertige<br />

Arbeiten, kontrollierte Arbeiten)?<br />

■ Wo finde ich die Aufgaben (Arbeitsblätter,<br />

Arbeitshefte)?<br />

■ Wo lege ich fertige Arbeiten ab?<br />

■ Wie teile ich mir die Zeit richtig ein?<br />

■ Was muss ich täglich schaffen, um<br />

das Wochenpensum zu erledigen?<br />

■ Womit beginne ich?<br />

Allein die äußere Organisation<br />

schien einigen Kindern schwerzufallen,<br />

da sie mit der Freiheit und der damit<br />

verbundenen verlangten Selbstständigkeit<br />

überfordert schienen. Die meisten<br />

forderten – zum Glück – Hilfe ein.<br />

Als ertragreich hat sich dabei – auch<br />

für mich – die regelmäßige Reflexion<br />

und Bündelung der selbstständigen<br />

Arbeitsphasen erwiesen. Unter bestimmter<br />

Fragestellung bzw. Präsentationsaufgabe<br />

arbeiteten die Kinder<br />

zielgerichteter und steigerten ihr Arbeitstempo.<br />

Fragestellungen waren:<br />

■ Was nimmst du dir vor?<br />

■ Was hast du geschafft?<br />

■ Was hast du gelernt? Wie?<br />

■ Was ist dir leicht gefallen?<br />

■ Wozu hast du noch Fragen?<br />

Dabei erhielt ich einen Einblick in<br />

die Arbeits- und Denkweise der Kinder<br />

und konnte die Wochenpläne entsprechend<br />

verändern.<br />

Auch ich selbst hatte das Maß dessen,<br />

was die SchülerInnen in einer Woche<br />

bewältigen konnten, nicht genau genug<br />

im Blick. Für alle Kinder gab es<br />

denselben Wochenplan, so dass die<br />

Differenzierung bezüglich des Arbeitstempos<br />

und des Inhalts nicht gegeben<br />

war. Ein verhaltensauffälliges Kind<br />

hielt sich lange mit einer Experimentieraufgabe<br />

auf. Es nutzte die Freiheit<br />

des Experimentes, das draußen auf<br />

dem Schulhof auszuführen war, um zu<br />

spielen, und vergaß danach, das passende<br />

Arbeitsblatt zu erledigen. Der<br />

Überblick fehlte hier und es bedurfte<br />

meiner Führung, um die Grenzen aufzuzeigen.<br />

Durch die Reflexionsphasen und die<br />

Beobachtungen bei den Arbeiten gestaltete<br />

ich die nächsten Wochenpläne<br />

im Umfang geringer, so dass die Kinder<br />

– auch mit zunehmender Sicherheit im<br />

Umgang mit der Arbeitsform – mehr<br />

Erfolge erzielten. Für die schneller arbeitenden<br />

Kinder enthielt der Wochenplan<br />

sogenannte »Herzchenaufgaben«<br />

(zusätzliche Aufgaben). Aufgrund der<br />

vielen Stolperstellen und der aufwändigen<br />

Korrekturarbeiten, die jede Woche<br />

auftraten, sowie Absprachen mit<br />

der Parallelklassenkollegin habe ich<br />

den Wochenplan im zweiten Schuljahr<br />

aufgegeben.<br />

Werkstatt und Stationenlernen:<br />

Das richtige Maß finden<br />

Ähnliche Probleme wie beim Wochenplan<br />

begegneten mir bei der Einführung<br />

von Werkstatt bzw. Stationenlernen.<br />

Zum Ende des ersten Schuljahres<br />

führte ich eine Unterrichtsreihe zum<br />

Thema »Piraten« durch. Die Lesestationen<br />

bezogen sich auf das Bilderbuch<br />

»Käpten Knitterbart und seine Bande«<br />

von Cornelia Funke. Ein »Museumsgang«<br />

ermöglichte den Kindern, sich<br />

gedanklich mit den Aufgabenstellungen<br />

auseinanderzusetzen. Einzelne<br />

Stationen ließ ich erklären.<br />

Die Leseaufgaben motivierten die<br />

Kinder ungemein. Damit ging zunächst<br />

ein enormer Lautstärkepegel einher.<br />

20 GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008


Praxis: Selbstständig lernen<br />

Die Einführung von Regeln für die Stations-<br />

bzw. Werkstattarbeit war hilfreich:<br />

■ Ich arbeite leise.<br />

■ Ich fülle meinen Werkstattplan aus.<br />

■ Probleme löst der Experte.<br />

■ Nach der Arbeit räume ich auf.<br />

Experten wurden Kinder, die eine Aufgabe<br />

erledigt und zur Kontrolle bei<br />

mir vorgelegt hatten. Hatten sie die<br />

Aufgabe richtig bearbeitet und mir erneut<br />

verständlich erklärt, konnten sie<br />

ihr Wissen durch das Weitergeben an<br />

andere vertiefen, anderen weiterhelfen<br />

und mich in meiner Funktion als Beraterin<br />

ersetzen. An jeder Station gab<br />

es höchstens zwei Experten, die eine<br />

Klammer an das entsprechende Stationenkästchen<br />

anbrachten.<br />

Kontrollzettel ermöglichten den Kindern<br />

die selbstständige Überprüfung<br />

ihrer Lesearbeit und entlasteten mich<br />

in Phasen, in denen Einzelne individuelle<br />

Förderung brauchten. Die Selbstkontrolle<br />

bereitete einigen Kindern<br />

Schwierigkeiten. Das Kontrollblatt<br />

sollte immer an zentraler Stelle im Klassenzimmer<br />

hängen. Der Vergleich der<br />

Lösungen fällt leichter, wenn zunächst<br />

das Blatt neben das Kontrollblatt gehalten<br />

wird und einzeln die Lösungen<br />

verglichen werden können. Schwierig<br />

wurde es bei den Aufgaben, deren<br />

Kontrolle nur durch einen Lesevortrag<br />

möglich war. Es fiel mir schwer, einen<br />

Überblick über den Lernfortschritt jedes<br />

einzelnen Kindes zu behalten. Ich<br />

musste die Arbeiten nicht nur in den<br />

Präsentations-, sondern auch in den<br />

Arbeitsphasen genauer beobachten.<br />

Bei einer Werkstatt zum Buch »Der<br />

Buchstabenfresser« hielt ich zu viele<br />

Arbeitsblätter und Aufgaben bereit.<br />

Das zu bewältigende Pensum wurde<br />

unüberschaubar und wenige Kinder<br />

konnten ihre Arbeit beenden, was<br />

nicht zufriedenstellend war. Mittlerweile<br />

fällt es mir leichter, das Arbeitstempo<br />

und die Lernvoraussetzungen<br />

einzuschätzen, so dass ich den Zeitrahmen<br />

und den Umfang der Arbeiten<br />

genauer bestimmen kann. Wichtig<br />

ist in jedem Fall, dass die Kinder eine<br />

entsprechende Würdigung ihrer Arbeit<br />

erfahren – sei es durch Präsentationen<br />

oder mündliche wie schriftliche Rückmeldungen.<br />

Projekt:<br />

Warten, was sich ergibt …<br />

Projektbezogenes Lernen habe ich<br />

kürzlich in meiner zweiten Klasse<br />

eingeführt. Für einen Wettbewerb recherchierten<br />

die Kinder zum Thema<br />

»Regen wald«, schrieben eine Geschichte<br />

weiter und bastelten. Dabei fehlt mir<br />

noch ein wenig der Überblick, was die<br />

Kinder selbstständig leisten können<br />

und wobei sie eine von mir vorgegebene<br />

klare Struktur benötigen. Nicht<br />

ein Ziel vorzugeben, sondern frei arbeiten<br />

zu lassen und zu warten, was<br />

sich ergibt, ist für mich noch ein fremdes<br />

Gefühl.<br />

Hilfe zur Selbsthilfe<br />

Claudia Goj,<br />

Grundschullehrerin<br />

in Duisburg seit 2007<br />

Kontaktadresse:<br />

Realschulstr. 24,<br />

47051 Duisburg<br />

Bei schriftlichen Aufgabenstellungen<br />

ist die Frage »Wie geht das?« in der Klasse<br />

generell nicht erlaubt. Durch das Lesen<br />

und gedankliche Beschäftigen setzen<br />

sich die Kinder selbstständiger mit<br />

der Aufgabe auseinander. Durch Fragen<br />

wie »Muss ich hier … ausrechnen?«<br />

»Muss ich das … aufschreiben?« teilen<br />

sie mit, wie sie die Aufgabe angehen,<br />

ob sie die Aufgabe verstanden und ob<br />

sie diese bereits durchdrungen haben.<br />

Dies durchzuhalten ist nicht immer einfach.<br />

Manche Kinder sind noch nicht so<br />

selbstständig, dass sie sich allein mit<br />

einer Aufgabe auseinandersetzen. Sie<br />

durchbrechen die Regel, melden sich<br />

nicht, stehen vom Platz auf und stellen<br />

mir die »verbotene« Frage.<br />

Besonderen Wert lege ich darauf, mit<br />

den Kindern stets zu überlegen, wie sie<br />

sich bei Aufgaben helfen können. Die<br />

Selbsteinschätzung ist nicht immer<br />

einfach. Haben sie Probleme, können<br />

sie je nach Arbeitsform ihren Partner,<br />

einen Experten oder mich um Rat fragen.<br />

Durch das erneute Erklären (beispielsweise<br />

einer Bastelarbeit) durch<br />

ein Kind kann es sein Verständnis der<br />

Aufgabe vertiefen bzw. erneut unter<br />

Beweis stellen.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008<br />

21


Praxis: Selbstständig lernen<br />

Selbstständigkeit fördern im ersten Schuljahr –<br />

mit Konsequenz und Gelassenheit<br />

von Kirsten<br />

Bartnitzky-Burg<br />

Kirsten Bartnitzky-Burg,<br />

Grundschullehrerin seit 2005<br />

Kontaktadresse:<br />

Roggenkamp 17, 58454 Witten<br />

Ein Klassenraum, der Selbstständigkeit<br />

ermöglicht<br />

Die Tischordnung: Vom ersten Schultag<br />

an ist der Klassenraum vollständig<br />

eingerichtet. In den ersten Wochen<br />

stehen die Tische noch in 4er-Gruppentischen,<br />

später gibt es verschieden<br />

große Gruppentische, aber auch Einzeltische<br />

und Sitzreihen, die mitten im<br />

Raum, an Wand oder Fenster oder hinter<br />

einem Regal stehen. Werden Inhalte<br />

besprochen, bei denen tatsächlich alle<br />

Kinder auf ihren Plätzen sitzen sollen<br />

und nicht im Kreis oder Theaterhalbkreis<br />

vor der Tafel, rücken jene Kinder,<br />

die einen ungünstigen Blick zur Tafel<br />

haben, ganz selbstverständlich mit ihrem<br />

Stuhl so, dass sie ein freies Blickfeld<br />

haben.<br />

Die Sitzordnung: Immer freitags darf<br />

jedes Kind einen Wunsch abgeben, neben<br />

wem und wo es in der kommenden<br />

Woche sitzen möchte. Am Montag erwartet<br />

sie dann ein neuer Sitzplan, bei<br />

dem ich viele Wünsche berücksichtige,<br />

aber auch meine eigenen Beobachtungen<br />

und Erwartungen einfließen<br />

lasse. Auch sorge ich dafür, dass später<br />

jedes Kind an allen oder doch den meisten<br />

Arbeitsplätzen einmal gesessen<br />

haben wird. Auf einem A3-Blatt sind<br />

Tische und Klassenraum schemenhaft<br />

dargestellt, an jedem Sitzplatz steht<br />

ein neuer Name. Wer am Morgen in<br />

die Klasse kommt, versucht sich allein<br />

oder mit Hilfe zu orientieren, räumt<br />

sein altes Fach unter der Bank aus und<br />

zieht um. Anfangs hat diese Prozedur<br />

30 durchaus chaotische Minuten gedauert,<br />

mit jeder Woche reduzierten<br />

sich Unruhe, Chaos und Zeitaufwand,<br />

bis wir nachher innerhalb der ersten<br />

fünf Minuten fertig sein konnten.<br />

So lernen alle Kinder im Laufe der<br />

Zeit jeden Arbeitsplatz für mindestens<br />

eine Woche kennen. Sie sind schnell in<br />

der Lage, die Vor- und Nachteile jedes<br />

Platzes für sich einzuschätzen und für<br />

die Erledigung von Aufgaben gezielt<br />

auszusuchen. Am Ende der Woche gibt<br />

es immer wieder Kinder, die sagen: ich<br />

möchte gerne in der nächsten Woche<br />

an Platz xy neben Jana sitzen, weil ich<br />

mich da besser konzentrieren kann,<br />

weil ich da mehr Platz für meine Tasche<br />

habe … Manche, von Woche zu Woche<br />

wechselnde Plätze in und vor dem<br />

Klassenraum sind immer frei, auch da<br />

können Kinder in den regulären Arbeitszeiten<br />

arbeiten. Zum selbstständigen<br />

Lernen gehört eben auch, sich<br />

unter Berücksichtigung der eigenen<br />

Bedürfnisse einen Arbeitsplatz wählen<br />

zu können.<br />

Regale, Fächer, Kisten: In der Klasse<br />

gibt es viele offene Regale, die für die<br />

Kinder zugänglich sind. Jedes Material<br />

hat dort seinen festen Platz. Oft lagern<br />

die Materialien auch in offenen<br />

Schachteln, was sehr zur Einhaltung der<br />

Ordnung beiträgt. Jeder Regalboden<br />

wird einmal in ordentlichem Zustand<br />

fotografiert, das Foto hängt am Regal,<br />

es dient gerade am Anfang als Orientierungshilfe<br />

beim Aufräumen. Es gibt<br />

Kästen für Hefte und andere für Wochenplanmappen,<br />

beschriftete Fächer<br />

mit unterschiedlichen Papieren (liniert,<br />

kariert, bunt, Schmierpapier …), es gibt<br />

ein Fach für Spiele, verschiedene Regalböden<br />

für Lernmaterialien. In der Leseecke<br />

finden sich Kisten mit Büchern,<br />

ein Bauteppich liegt bereit. Jedes Kind<br />

besitzt einen schön gestalteten Pappkarton,<br />

in dem volle Hefte und andere<br />

besondere Lernergebnisse aufbewahrt<br />

werden. Diese werden in der Ecke des<br />

Klassenraums gestapelt, da sie ja nicht<br />

immer für alle leicht zugänglich sein<br />

müssen. Sie sind oft Grundlage für<br />

Lerngespräche mit Kindern und Eltern<br />

und der Anfang eines später einsetzenden<br />

Portfoliokonzeptes. Malkasten<br />

und dazugehörige Utensilien hat jedes<br />

Kind in einer wasserfesten Plastikkiste<br />

in einem Regal.<br />

Infowand: An der Innenseite der Klassenzimmertür<br />

hängt sorgfältig angeordnet<br />

alles, was zur Organisation der<br />

Klasse beiträgt und auch für die Kinder<br />

wichtig ist. Ein übersichtlicher Stundenplan,<br />

eine Liste der verschiedenen<br />

Gruppenaufteilungen, die Einteilung<br />

der Dienste, die Aufteilung der Kinder<br />

im Vertretungsfall, ein Klassenkalender<br />

mit Geburtstagen und Terminen,<br />

unsere mit der Zeit erarbeiteten Klassenregeln,<br />

der <strong>aktuell</strong>ste Elternbrief,<br />

der Termin für die letzte Gelegenheit<br />

Kakaogeld abzugeben. Die Kinder waren<br />

schnell in der Lage mit dieser Infowand<br />

umzugehen. Am Ende des Tages<br />

las oft ein Kind den Dienst vor oder<br />

schickte Kinder nach Hause, die früher<br />

Schluss hatten.<br />

Tafel: Jeden Morgen schreibe ich einen<br />

Tagesplan an die Tafel, der Transparenz<br />

über den Tag gibt. Dabei verwende<br />

ich eine Mischung aus Symbolen und<br />

Schrift, auch die Pausen sind gekennzeichnet.<br />

Hausaufgaben und Datum<br />

stehen immer in gleicher, übersichtlicher<br />

Weise an einer Stelle der Tafel.<br />

Am unteren Rand der Tafel ist immer<br />

Platz für Notizen für den nächsten Tag:<br />

Namen der Kinder, die noch ihre Hausaufgaben<br />

nachreichen müssen, besondere<br />

mitzubringende Gegenstände,<br />

Vorhaben der Klasse etc.<br />

Ordnung und Sauberkeit: Auch wenn<br />

der Aufräum-Dienst seine Arbeit gewissenhaft<br />

erledigt, bleibt jeden Tag<br />

ein Teil der Aufräumarbeit für mich.<br />

Ich räume jeden Tag nach der Schule<br />

auf. Es soll keine Gerümpelecken geben,<br />

auch nicht in Schränken oder auf<br />

meinem Schreibtisch. Das ist anstrengend,<br />

aber hat sich für mich bewährt.<br />

So kommen z. B. übrige Arbeitsblätter<br />

in ein Ablagefach und sind dann später<br />

zur freien Verfügung, die Sachen auf<br />

dem Thementisch werden noch einmal<br />

22 GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008


Praxis: Selbstständig lernen<br />

ansehnlich hergerückt, die Kakaoliste<br />

wird gerade aufgehängt, über einige<br />

Tische muss trotz eifrigen Schülereinsatzes<br />

noch einmal gewischt werden,<br />

die Tafel ist noch immer verschmiert.<br />

Manche Dinge erledige ich dieses Mal<br />

und sorge bei nächster Gelegenheit<br />

dafür, dass Schüler sie selbst besser erledigen<br />

können. Manche Sachen halte<br />

ich stichwortartig an der Tafel fest, damit<br />

sie am nächsten Tag kurz besprochen<br />

werden können.<br />

Rechnen mit<br />

Trinkhalmen –<br />

auch ordentliches<br />

Wegräumen des<br />

Arbeitsmaterials<br />

muss gelernt<br />

werden<br />

Unterrichtsgestaltung, die<br />

Selbstständigkeit fördert<br />

Der erste Schultag – Selbstständigkeit<br />

fördern von Anfang an:<br />

Nach Kirche und kleiner Einschulungsfeier<br />

trudeln die Kinder in der Klasse<br />

ein. Vor der Tafel auf dem Boden stehen<br />

Namensschilder. Die ersten Kinder<br />

bitte ich, ihr Namensschild zu suchen<br />

und es mit zu irgendeinem Platz zu<br />

nehmen, an dem sie sitzen möchten.<br />

Einige Kinder brauchen noch Hilfe, andere<br />

können das schon allein. Schultaschen<br />

neben den Platz, Jacken aufhängen,<br />

Namensschild aufstellen, Tüte in<br />

einen Kreis vor der Tafel, irgendwann<br />

kehrt Ruhe ein. Ich vereinbare das Leisezeichen,<br />

wir üben ein paar Mal mit<br />

großem Spaß und viel Lob. Ich sage,<br />

dass wir uns in den Kreis auf den Boden<br />

setzen wollen und wir probieren<br />

das einfach. Keiner soll dabei reden.<br />

Ich gebe einzelnen Kindern geflüsterte<br />

oder gezeigte Tipps, damit der Kreis<br />

am Ende gut aussieht. Ich lobe: »Unser<br />

erster Sitzkreis hat so gut geklappt. Es<br />

gab keinen Streit, jeder hat einen Platz.<br />

Prima. Ihr seid eben schon echte Schulkinder!«<br />

Wir singen, lernen uns ein bisschen<br />

kennen, machen ein Spiel zu den<br />

Schultüten. Zurück auf dem Platz bekommt<br />

jeder ein Hausaufgaben-Blatt<br />

für die rote Mappe und heftet es ein.<br />

Dabei ist viel Hilfe nötig, ich gehe rum,<br />

Kinder stehen auf, stehen neben mir,<br />

bitten um Hilfe. Leisezeichen für alle<br />

– großes Lob –, Vereinbarung, dass alle<br />

sitzen bleiben und die Nachbarn am<br />

Tisch um Hilfe bitten oder sich melden<br />

– am Ende großes Lob. Dann bekommen<br />

alle ihr Hausaufgabenheft und<br />

malen das rote Viereck von der Tafel<br />

hinein, das Symbol für die rote Mappe,<br />

räumen die Tasche wieder ein. Abschlusslied<br />

– und stolz sein, vielleicht<br />

auch zusammen mit den Kindern, was<br />

heute schon gelernt wurde.<br />

Freie Zeit –<br />

Orientierung im Klassen raum,<br />

Förderung der Selbstständigkeit:<br />

In den ersten Wochen bis zu den<br />

Herbstferien gibt es jeden Tag eine Phase<br />

(10 bis 20 Minuten), in der sich die<br />

Kinder frei im Klassenraum beschäftigen<br />

können. Sie haben Zugang zu allen<br />

Materialien, können tun mit wem und<br />

was sie wollen. Die notwendigen Regeln<br />

werden schnell klar: Selbstständig<br />

beschäftigen geht nur, wenn sich<br />

1. alle dabei wohlfühlen können (Lautstärke,<br />

Rücksicht nehmen …) und<br />

2. das Material wieder zurück an seinen<br />

Platz gebracht wird.<br />

Nach jeder »Freie Zeit«- Phase gibt es<br />

eine kurze gemeinsame Reflexion, wie<br />

gut die beiden Regeln schon geklappt<br />

haben, und viel Lob für die Kinder, die<br />

es gut geschafft haben, ggf. Tipps für<br />

die Kinder, die noch ein bisschen Übezeit<br />

brauchen. Diese Phasen knüpfen<br />

unmittelbar an die Erfahrungen aus<br />

dem Kindergarten an und sind deshalb<br />

dankbare Grundlage für alle ergänzenden<br />

Aktivitäten. Es braucht noch<br />

ein bisschen Zeit, bis das Wegräumen<br />

des Materials perfekt funktioniert.<br />

Im Laufe des ersten Schuljahres<br />

erleben wir auch immer wieder kleine<br />

Rückschläge, in denen die freie Beschäftigung<br />

nicht mehr funktioniert.<br />

Aus der Situation heraus ergeben<br />

sich dann verschiedene »deliktbezogene«<br />

Konsequenzen, beispielsweise<br />

das Aussetzen der »Spielpausen« oder<br />

Wegräumen bestimmter Materialien<br />

für alle oder für einige Kinder. Immer<br />

aber gibt es auch Gelegenheit zu zeigen,<br />

dass Regeln wieder eingehalten<br />

werden können, entgegengebrachtes<br />

Vertrauen im Rahmen selbstständigen<br />

Arbeitens nicht missbraucht wird.<br />

Klassendienste –<br />

Verantwortung für die Gruppe übernehmen,<br />

sich organisieren üben:<br />

Ab dem zweiten Schultag gibt es mehrere<br />

Kinder, die für die Klasse verantwortlich<br />

sind. An jedem Wochentag hat<br />

eine feste Gruppe von 4 bis 6 Kindern<br />

Dienst, so ist jeder einmal jede Woche<br />

dran. Bevor die Gruppe nach Unterrichtsschluss<br />

mit der Arbeit beginnt,<br />

erhält sie Kärtchen mit Symbolen der<br />

zu erledigenden Arbeit: Fegen, Pantoffelregal<br />

kontrollieren und ggf. auf-<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008<br />

23


Praxis: Selbstständig lernen<br />

Über Schreibweisen<br />

nachdenken<br />

können – auch<br />

dafür muss im<br />

Unterricht Zeit<br />

eingeplant werden<br />

räumen, Milch wegbringen, Regale<br />

kontrollieren und ggf. aufräumen …<br />

Anfangs gemeinsam mit mir, später<br />

selbstständig in der Gruppe, legen wir<br />

fest, wer an diesem Tag für welche Aufgabe<br />

verantwortlich ist. Ich helfe bei<br />

der Erledigung, gebe Hinweise. Wer fertig<br />

ist, heftet eine rote Klammer an seine<br />

Karte und hilft einem anderen Kind,<br />

bis alle Aufgaben erledigt sind.<br />

Fällt auf, dass bestimmte Kinder immer<br />

wieder für Unordnung in der Klasse<br />

verantwortlich sind (z. B. nicht richtig<br />

eingeräumtes Spielzeug oder Pantoffeln),<br />

schreiben wir eine Notiz an die<br />

Tafel und sprechen das Kind am nächsten<br />

Tag an und zeigen ihm erneut, wie<br />

es richtig geht. In hartnäckigen Fällen<br />

darf sich das Kind beispielsweise nicht<br />

mehr selbstständig in der Klasse bewegen,<br />

sondern braucht immer ein Kind,<br />

das kontrolliert, ob es die Regeln einhält.<br />

Selbstständig sein dürfen in einer<br />

großen Gruppe muss sich manchmal<br />

auch erst wieder verdient werden.<br />

Sobald die ersten Kinder recht sicher<br />

alle Namen lesen können, helfen<br />

sie mir, die Kakaoliste zu führen.<br />

Alle Kinder bringen ihr Geld in einem<br />

verschlossenen und mit Namen versehenen<br />

Umschlag mit, der erst nach<br />

dem Unterricht von mir geöffnet wird.<br />

Das Kakaolistenkind trägt in der Pause<br />

die Bestellung in die Liste ein und legt<br />

den verschlossenen Geldumschlag in<br />

ein Kistchen. Nach kurzer Zeit geht<br />

auch das selbstständig – auch wenn<br />

ich am Ende des Schultages immer<br />

noch mal kontrolliere.<br />

Das Ich-Buch – stolz zeigen die Erstklässler, was sie schon können und wer sie sind<br />

Von der Lerntheke zum Tagesplan<br />

zum Wochenplan<br />

Lerntheke: In der zweiten oder dritten<br />

Woche gebe ich den Kindern die<br />

Möglichkeit, sich Arbeitsblätter selbstständig<br />

an den Platz zu holen. In dieser<br />

Phase liegt der Schwerpunkt auf dem<br />

Erlernen der Methode, die Aufgaben<br />

sind daher inhaltlich keine Herausforderung.<br />

Kleine A5-Arbeitsblätter liegen<br />

in Ablagefächern vor der Tafel bereit.<br />

Große Zahlen an jedem Ablagefach<br />

geben die Reihenfolge der Bearbeitung<br />

an. Für Kinder, die die Zahlen noch<br />

nicht können, stehen die Ablagefächer<br />

in der richtigen Reihenfolge, zu Beginn<br />

gibt es aber ohnehin nur zwei Fächer.<br />

Auf jedem Blatt gibt es nur eine Aufgabe<br />

zu tun, und das was zu tun ist, ist<br />

einfach und offensichtlich.<br />

Wir besprechen kurz, wie das Vorgehen<br />

ist: Jedes Kind nimmt sich das<br />

erste Blatt, arbeitet es fertig, heftet es<br />

in seine Mappe. Dann geht es nach vorne,<br />

nimmt sich das zweite Blatt usw.,<br />

die fertige Mappe wird auf meinen<br />

Schreibtisch gelegt. An die Arbeitsruhe<br />

wird erinnert. Die Kinder erfahren,<br />

dass wir am Ende der Arbeit darüber<br />

sprechen wollen, wie gut diese selbstständige<br />

Arbeit geklappt hat, wo es<br />

noch Verbesserungsvorschläge gibt.<br />

Es gibt in meiner Klasse Aufgaben, an<br />

denen man immer arbeiten kann: Das<br />

Lesemalheft, Freiarbeits-Material, lesen,<br />

frei schreiben. Daran arbeiten die<br />

Kinder, die mit allen Aufgaben fertig<br />

sind. Gerade beim Lesen und mit dem<br />

Freiarbeits-Material können sich auch<br />

leistungsstarke Kinder fordern. Wird<br />

ein Kind in der vorgegebenen Zeit<br />

nicht fertig, obwohl dies leicht möglich<br />

gewesen wäre, melde ich dies bereits<br />

während der Arbeitszeit zurück<br />

und kündige an, dass es die Aufgaben<br />

nachholen muss. Dies kann zu Hause<br />

oder auch in der Pause geschehen.<br />

Einmal begonnen, lässt sich die Methode<br />

weiter ausbauen und variieren:<br />

es gibt mehr Ablagefächer mit mehreren<br />

und auch inhaltlich anspruchsvollen<br />

Aufgaben, die Reihenfolge ist<br />

frei wählbar, nur eine Auswahl muss<br />

bearbeitet werden, die bearbeiteten<br />

Arbeitsblätter werden in einer an der<br />

Wand hängenden Tafel eingetragen,<br />

Kinder, die fertig sind, dürfen ihr Namenszeichen<br />

an ein von ihnen bereits<br />

bearbeitetes Ablagefach heften und<br />

stehen so für Fragen der anderen Kinder<br />

zur Verfügung, die Aufgaben müs-<br />

24 GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008


Praxis: Selbstständig lernen<br />

sen in unterschiedliche Mappen abgeheftet<br />

werden, es gibt Kontrollblätter<br />

u. a. m.<br />

Tagesplan: Die Aufgaben des Tagesplans<br />

sind zu Beginn für alle Kinder<br />

gleich und stehen an der Tafel. Sie<br />

werden in der dort angegebenen Reihenfolge<br />

bearbeitet und dauern bis<br />

zu zwei Unterrichtsstunden. Hier sind<br />

auch Aufgaben angegeben, die nicht<br />

auf Arbeitsblättern stehen: Aufgaben<br />

im Buch, in den Arbeitsheften, die Arbeit<br />

mit unseren Lernmaterialien. Auch<br />

hier kann bald variiert werden.<br />

Wochenplan: Um Weihnachten herum<br />

beginne ich mit einem Wochenplan,<br />

der ebenfalls zunächst für alle Kinder<br />

gleich ist. Auch hier geht es in der ersten<br />

Woche weniger um den fachlichen<br />

Inhalt als vielmehr um das Einüben<br />

des Wochenplans: das richtige Lesen<br />

des Wochenplans, das Abhaken der<br />

Aufgaben, die Kennzeichnung nicht<br />

fertig bearbeiteter Aufgaben (sie bekommen<br />

im Plan einen roten Punkt,<br />

der nach Beendigung zu einem Haken<br />

wird), Erfahrungen mit der Zeiteinteilung<br />

sammeln, Abheften. Beim ersten<br />

Wochenplan ist auch die Reihenfolge<br />

der zu bearbeitenden Aufgaben vorgegeben.<br />

Auch hier wird nach jeder Arbeitseinheit<br />

reflektiert: Wie haben die<br />

einzelnen Teile der Selbstständigkeit<br />

geklappt? Was können einzelne Kinder<br />

verbessern oder nehmen sich selber<br />

vor? Nach einiger Übung steigere ich<br />

auch hier den Schwierigkeitsgrad: anspruchsvollere<br />

Aufgaben, unterschiedliche<br />

Wochenpläne für Gruppen von<br />

Kindern, Einbeziehung unterschiedlicher<br />

Sozialformen.<br />

Im Chaos: Ruhe bewahren<br />

Besonders am Anfang habe ich immer<br />

wieder den Eindruck, dass die Klasse<br />

im Chaos versinkt: Der Lärmpegel<br />

steigt ins Unermessliche, es gibt Streit<br />

unter den Kindern, der gefüllte Wassereimer<br />

ergießt sich über frisch gemalte<br />

Bilder, es bleibt keine Zeit mehr<br />

für den fachlichen Teil des Unterrichts.<br />

Und trotzdem ist all diese vermeintlich<br />

verlorene Zeit sinnvolle Lernzeit im Bereich<br />

Selbstständigkeit. Im Laufe der<br />

Wochen haben sich für mich mehrere<br />

Strategien des Umgangs bewährt:<br />

Die Kinder, die neben dem<br />

stehen, haben den selben Wochenplan.<br />

Sie kann Lisa daher bei<br />

Fragen ansprechen.<br />

Bei Nr. 2 und Nr. 4 kann Lisa sich<br />

Seiten im Lese-Mal-Heft und einen<br />

Versuch auswählen und eintragen.<br />

In die vierte Spalte trägt Lisa einen<br />

Punkt ein, wenn sie am Schluss<br />

einer Wochenplan-Stunde mit einer<br />

Aufgabe nicht fertig geworden<br />

ist. Damit beginnt sie dann beim<br />

nächsten Mal. Ein Haken bedeutet:<br />

Diese Aufgabe habe ich fertig.<br />

In der fünften Spalte bewertet Lisa<br />

dann auch: So schwierig fand ich<br />

diese Aufgabe. Ich unterschreibe<br />

dann in der letzten Spalte, wenn<br />

ich die Aufgabe kontrolliert habe.<br />

Unter dem Wochenplan ist Platz<br />

für Hinweise, Kommentare etc.<br />

1. Tief durchatmen, Ruhe bewahren,<br />

sich abseits stellen, beobachten,<br />

warten, Daten sammeln für eine<br />

spätere Reflexionsphase.<br />

2. Sich ruhig und freundlich einem Krisenherd<br />

zuwenden, Hilfe und Tipps<br />

zum selbstständigem Lösen anbieten.<br />

3. Kinder, die mit der Situation schon<br />

gut klar kommen und ihre Sache<br />

gut im Griff haben, als Hilfe zu anderen<br />

Kindern bringen.<br />

4. Drei bis vier unbeteiligte Kinder im<br />

Klassenraum auf Stühlen als Beobachter<br />

verteilen und sie bitten, zu<br />

gucken, was gut klappt und was<br />

schief läuft.<br />

5. »Freeze«-Zeichen nutzen (alle Kinder<br />

»frieren« in ihrer Bewegung ein,<br />

niemand darf sprechen, alle schauen<br />

zur Lehrerin), freundlich knappe<br />

Anweisung geben, wie es weiter gehen<br />

soll.<br />

6. Sich mit den Kindern im Hockkreis<br />

oder einer anderen routiniert funktionierenden<br />

Sozialform treffen<br />

und Frust, Erstaunen, Lob teilen, beschließen,<br />

wie es weitergeht.<br />

Und im Nachhinein: Die Situation<br />

immer kurz mit den Kindern unter dem<br />

Blickwinkel »Selbstständigkeit« reflektieren,<br />

vielleicht ein Ziel für nächstes<br />

Mal festlegen und dafür sorgen, dass<br />

eine ähnliche Situation am nächsten<br />

Tag wieder geübt werden kann, oder<br />

beschließen, dass so verantwortungsvolle<br />

Aufgaben mit so viel selbstständigen<br />

Elementen im Moment nicht<br />

Wochenplan für ______________<br />

Anja, Thomas, Oruc<br />

1. E Eule S. 24<br />

2. Z Lese-Mal-Heft<br />

Ich lese S. ___ und S. ___<br />

3. C zum P p<br />

4. <<br />

Lisa<br />

Ein Versuch zur Tulpe<br />

Ich nehme Nr. ___<br />

5. M Rechen-Domino c mit p<br />

so gut klappen (obwohl die Kinder es<br />

eigentlich bereits konnten) und eine<br />

Chance zur erneuten Umsetzung dazu<br />

neu verdient bzw. erarbeitet werden<br />

muss.<br />

Ist es mal wieder so richtig schief<br />

gelaufen, bin ich frustriert. Ich habe<br />

zwei Beobachtungen gemacht:<br />

1. Die Schuldfrage lässt sich in den<br />

wenigsten Fällen mit der »Dummheit«<br />

oder »Boshaftigkeit« der Kinder<br />

erklären. Meist war ich es, die<br />

eine Situation falsch eingeschätzt<br />

hat, nicht genug vorbereitet oder<br />

transparent genug war.<br />

2. Nach krisenhaften Einbrüchen gibt<br />

es bei konsequentem Festhalten<br />

und Arbeiten am Ziel »Selbstständigkeit«<br />

immer wieder Fortschritte.<br />

Es scheint auch hier zum Lernen<br />

dazuzugehören, dass bestehende<br />

Regeln, Routinen, Verhaltensweisen<br />

immer wieder in Frage gestellt<br />

werden. Manchmal dachte ich, die<br />

Kinder sind übers Wochenende ausgetauscht<br />

worden und können deshalb<br />

nichts mehr. Nach einiger Zeit<br />

tauchen diese Kompetenzen wieder<br />

auf, wenn ich sie weiter konsequent<br />

einfordere.<br />

Wenn »Chaos«<br />

droht, kann auch<br />

das Gespräch im<br />

Kreis helfen,<br />

wieder zur Ruhe<br />

zu kommen<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008<br />

25


Grundschulgeschichte(n)<br />

Rudolf Karnick:<br />

»Störe die Kinder beim Lernen nur,<br />

wenn es unbedingt nötig ist!«<br />

von Horst<br />

Bartnitzky<br />

In den fünfziger und sechziger Jahren<br />

kannte ihn vermutlich fast jeder, der in<br />

der alten Bundesrepublik in den Klassen<br />

1 bis 4 unterrichtete. Seine Bücher standen<br />

wohl in jedem Lehrerzimmer der<br />

Volksschule. Und wer den Namen Rudolf<br />

Karnick nicht kannte, der kannte<br />

doch einen seiner Leitsätze, den er vom<br />

Schulreformer Johannes Kretschmann<br />

übernommen hatte: »Redet um<br />

Sachen!«<br />

Muss man Rudolf Karnick heute<br />

kennen? Nein, man muss nicht. Aber<br />

es ist in mehrfacher Hinsicht lehrreich,<br />

von seinem Lebensweg und von seiner<br />

Arbeit zu wissen. Der Blick zurück auf<br />

Werden und Wirken von Rudolf Karnick<br />

kann auch helfen, die <strong>Grundschule</strong><br />

als eine Schulstufe mit einer eindrucksvollen<br />

pädagogischen Geschichte zu<br />

sehen. Wir tun gut daran, sie zu kennen<br />

und unsere Entwicklungsarbeit heute<br />

als Weiterführung zu verstehen.<br />

Forschendes Lernen<br />

»Bereits das 1. Schuljahr rückt bewusst<br />

von einem Unterricht ab, der seine<br />

Stoffe von außen an das Kind heranbringt«,<br />

so Karnick in seinem Buch für<br />

Erstklasslehrer. Damit meinte er, dass<br />

der Unterricht das Interesse der Kinder<br />

an ihrer Umwelt, ihrer Lebenswelt aufgreifen<br />

und dass dieses Interesse dann<br />

leitend für den Unterricht werden müsse.<br />

»Der Schüler soll aktiv und produktiv<br />

tätig sein … Er muss fähig gemacht werden,<br />

von sich aus Aufgaben zu stellen,<br />

Probleme zu entdecken und nach Mitteln<br />

und Wegen zu suchen, dieselben<br />

zu lösen.« Redet um Sachen – das hieß<br />

auch Kindertümelei zu vermeiden, wie<br />

sie damals, in den fünfziger und sechziger<br />

Jahren, in den Unterklassen der<br />

Volksschule verbreitet war: Das Regentröpfchen<br />

erzählt von seiner Reise.<br />

Nein, die Sache, wie sie das Kind in<br />

seiner Lebenswelt erfährt, gehöre in<br />

den Mittelpunkt und zwar so, dass sie<br />

das Interesse der Kinder zu wecken vermag<br />

und sie zum Fragen und Forschen<br />

anrege. Ein Thema wie »Unsere Feuerwehr«<br />

erschien Karnick nicht einladend,<br />

neugierweckend für Drittklässler,<br />

aber »Feuerwehrmänner haben 24<br />

Stunden Dienst« schlug er als sowohl<br />

sachlich als auch interessefördernd vor<br />

und entwickelte mit den Kindern von<br />

diesem Einstieg her die forschende und<br />

klärende Arbeit. Als Aufgaben stellten<br />

sich dann: die Sache gedanklich durchdringen,<br />

sie experimentell erhandeln,<br />

sprachlich erfassen und auch, wo dies<br />

von der Sache her möglich war, durch<br />

Lied, künstlerische Arbeiten, Literatur<br />

ästhetisch erfahren und gestalten.<br />

Ganzheitlich und nicht fachlich zersplittert;<br />

selbstständig erarbeitend und vom<br />

Lehrerpult aus belehrt – in der Tradition<br />

der Arbeitsschule der Reformpädagogik.<br />

Auf »das innere Beteiligtsein der Kinder<br />

… kommt es an«. Und: »Störe die Kinder<br />

beim Lernen nur, wenn es unbedingt<br />

nötig ist.«<br />

Diese Arbeit an Themen der erfahrbaren<br />

Lebenswelt, der Heimat, wie das<br />

damals üblicherweise hieß, galt Karnick<br />

nur dann als bildungsträchtig,<br />

wenn sie zugleich über sich hinauswies,<br />

wenn sie zur Welterschließung diente:<br />

Sie »muss zum Schlüssel werden, an<br />

den nähesten Verhältnissen die Welt zu<br />

begreifen«.<br />

Bei diesen allgemeinen didaktischen<br />

Überlegungen bezog sich Karnick ausdrücklich<br />

auf Vordenker – von Pestalozzi<br />

bis Wagenschein – Pädagogen<br />

und Didaktiker, die Eigentätigkeit der<br />

Kinder und entdeckendes Lernen als unterrichtliche<br />

Leitideen verstanden.<br />

Was Karnick in grundlegenden und<br />

fachdidaktischen Überlegungen formulierte,<br />

konkretisierte er in seinen<br />

Büchern an zahlreichen Beispielen und<br />

»Unterrichtsbildern«, ausgearbeiteten<br />

Unterrichtsthemen mit unendlich vielen<br />

Ideen, Anregungen, Materialien –<br />

eine schier unerschöpfliche Fundgrube<br />

für den Unterricht. Nicht, dass sie nun<br />

eins zu eins in jeder Klasse umzusetzen<br />

seien. Beispiele waren es, die zeigen<br />

konnten, wie die Arbeitsthemen in einer<br />

bestimmten örtlichen Lebenswirklichkeit<br />

realisiert werden könnten. In einer<br />

anderen Region, einem anderen Lebens-<br />

Prof. Dr. h.c. Rudolf Karnick<br />

(1901 – 1994)<br />

bereich, mit anderen Erfahrungen der<br />

Kinder müssten die Arbeitsthemen auf<br />

diese Kinder und ihren Erfahrungsraum<br />

hin angepasst werden.<br />

Der Band für Klasse 1 (Frohes Schaffen<br />

und Lernen mit Schulanfängern) enthielt<br />

solche beispielhaften Unterrichtsbilder<br />

auf über 200 Seiten, der Band für Klasse<br />

2 (Redet um Sachen) auf über 300, die<br />

beiden Bände für Klasse 3 und 4 (Mein<br />

Heimatort) auf fast 800 Seiten.<br />

In vielen <strong>Grundschule</strong>n werden sich<br />

die Bände in irgendwelchen Schränken<br />

vermutlich noch finden. Es lohnt, sie<br />

in die Hand zu nehmen und sich von<br />

ihnen, mit heutigen Augen kritisch<br />

lesend, anregen zu lassen. Es ist eine<br />

Lektüre wider die Oberflächlichkeit des<br />

Arbeitsblatt-Unterrichts, wider die Zufälligkeit<br />

von Themen, wider die sprachliche<br />

Verarmung und wider die Zersplitterung<br />

des Lernens in Fächer statt in<br />

Lebenszusammenhängen.<br />

Der Band für Klasse 4 sollte Ende der<br />

sechziger Jahre erscheinen. Er wurde<br />

vom Verlag dann nicht mehr gedruckt.<br />

Auch das ist eine lehrreiche Geschichte.<br />

Eine Geschichte aus dem »Kalten Krieg«<br />

Ost gegen West.<br />

Der Sputnik-Schock und eine Folge<br />

1957 hatten die Sowjets den ersten Satelliten,<br />

Sputnik genannt, in den Weltraum<br />

geschickt, ein paar Monate, bevor<br />

die Amerikaner mit dem Explorer so weit<br />

waren. Zur Zeit des Kalten Krieges zwischen<br />

Ost und West bescherten die wenigen<br />

Monate Vorsprung dem Ostblock<br />

einen propagandistischen und wissenschaftlichen<br />

Sieg und der führenden<br />

Macht des Westens, den USA, eine traumatisierende<br />

Niederlage. Das Trauma<br />

hatte einen Namen: Sputnikschock. Wer<br />

26 GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008


Grundschulgeschichte(n)<br />

war schuld? Wie so oft war die Antwort:<br />

die Schule. Neue Bildungsprogramme<br />

wurden aufgelegt: Naturwissenschaftliches,<br />

überhaupt wissenschaftliches<br />

Arbeiten in den Schulen, Frühförderung,<br />

straffes lernzielorientiertes Lernen<br />

sollten die Schmach auf Dauer überwinden<br />

helfen. In Deutschland kamen<br />

entsprechende Entwicklungen mit der<br />

üblichen Verzögerung in den sechziger<br />

Jahren an. Sie führten unter anderem zu<br />

einer neuen Sicht des Sachunterrichts.<br />

Wissenschaftlich sollte er werden und<br />

fachgeprägt. Unterschiedliche Konzepte<br />

kamen konkurrierend auf den<br />

Didaktikmarkt: Konzepte, die Inhalte<br />

der Physik und Chemie für Grundschulkinder<br />

aufbereiteten, Konzepte, die<br />

mehr an den wissenschaftlichen Methoden<br />

orientiert waren wie Beobachten,<br />

Experimentieren, Konstruieren.<br />

Sachunterricht in Art des heimatlichen,<br />

auf den Erfahrungsbereich der Kinder<br />

bezogenen Unterrichts, fächerübergreifend<br />

mit Sprachbildung und den ästhetischen<br />

Fächern galt auf einen Schlag<br />

als überholt. Karnicks Konzept des von<br />

den Kindern und ihren Erfahrungen her<br />

denkenden, ganzheitlichen Sachunterrichts<br />

war für den Verlag plötzlich nicht<br />

mehr interessant. Der im Manuskript<br />

bereits ausgearbeitete Band für Klasse<br />

4 wurde nicht mehr gedruckt.<br />

Hier zeigte sich ein Grundübel didaktischer<br />

Entwicklungen: Sie sind häufig<br />

eben keine Weiterentwicklungen, sondern<br />

Pendelschläge: Nicht die Dialektik<br />

von Entwicklungen zählt, sondern das<br />

Entweder – Oder. Bisheriges gilt als<br />

überholt, Neues als absolut angesagt.<br />

Dabei verzichtet man leichtfertig darauf,<br />

aus dem Bisherigen für das Neue<br />

zu lernen. In den vergangenen zwanzig<br />

Jahren gibt es viele Beispiele für solche<br />

Pendelschläge: Werkstatt und Stationenbetrieb<br />

statt lehrergeleiteten Unterricht,<br />

produktions- und handlungsbezogener<br />

Textumgang statt Gespräche<br />

über Texte.<br />

Rudolf Karnick sah die Entwicklungen<br />

kritisch, bezog sie in sein Denken<br />

ein, schärfte die Argumente und<br />

wirkte daran mit, eine Didaktik bewusst<br />

zu halten und an junge Lehrerinnen<br />

und Lehrer zu vermitteln, die Kind und<br />

Sache weiterhin in einen Dialog brachte.<br />

Längst sind wir im Sachunterricht<br />

wieder so weit, dies für modern zu erachten.<br />

Und heute sehen wir wieder,<br />

wie jeder Sachunterricht immer auch<br />

Sprachunterricht ist.<br />

Ein Jahrhundertleben<br />

Die Grundüberzeugungen und die lange<br />

Wirkungsgeschichte von Rudolf<br />

Karnick kommen nicht von ungefähr.<br />

Sie sind auch eine Frucht seiner Erfahrungen<br />

im Jahrhundert der Weltkriege<br />

und der stürmischen Entwicklungen.<br />

Geboren wurde Rudolf Karnick 1901<br />

in Westpreußen, gestorben ist er 1994 in<br />

Flensburg – ein Jahrhundert leben.<br />

Mit 17 Jahren trat er in den Wandervogel<br />

ein und gewann, wie er selbst resümierte,<br />

in der Jugendbewegung eine<br />

prägende Einstellung zum Menschen.<br />

Er meinte wohl: die Einstellung zur individuellen<br />

Freiheit und zur Bindung in<br />

der Gemeinschaft, zur Lebensfreude als<br />

Grundbedürfnis. Um Lehrer zu werden,<br />

besuchte er das Lehrerseminar. Dann<br />

aber fand er zunächst keine Anstellung<br />

im staatlichen Dienst. Arbeitslosigkeit<br />

war seinerzeit das Schicksal aller Lehreranwärter.<br />

Er arbeite über drei Jahre<br />

als Telegrafenhilfsarbeiter und als Privatlehrer.<br />

Mit 23 Jahren erhielt er dann<br />

die erwünschte Volksschullehrerstelle.<br />

Die schulische Reformbewegung<br />

begeisterte auch ihn. »Wie sieht das<br />

Kind seine Welt, in die wir es einführen<br />

sollen?«, war seine Schlüsselfrage. Er<br />

las (Johann von Uexküll), studierte<br />

nebenbei (u. a. an der Uni in Königsberg)<br />

und gelangte zu einer zentralen<br />

lerntheoretischen Erkenntnis, die er in<br />

einem Vortrag Jahrzehnte später rückblickend<br />

so formulierte: »Es gibt im<br />

Leben des Kindes keine objektive Welt,<br />

es gibt nur eine gelebte Welt, und sie<br />

lebt von der Bedeutung (für das Kind)<br />

her. Das erfordert, die dem Kind eigenen<br />

aktiven Kräfte zu mobilisieren, also<br />

die Anschauungen, Erfahrungen und<br />

Erlebnisse, die das Kind in der Auseinandersetzung<br />

mit der Umwelt gewinnt,<br />

auf vielfältige Weise – vor allem im Gespräch<br />

– zu klären und zu verarbeiten …<br />

um auf diese Weise das Kind allmählich<br />

auch in das Reich des objektiven Geistes<br />

zu bringen.«<br />

1931 wurde er einziger Lehrer an einer<br />

einklassigen Volksschule und unterrichtete<br />

die Klassen 1 bis 8 jahrgangsübergreifend<br />

– zur selben Zeit im selben<br />

Raum. Hier lernte er, Kinder selbstständig<br />

arbeiten zu lassen und entwickelte<br />

seine Landschuldidaktik. Zwanzig Jahre<br />

später schrieb er dazu ein Buch, das seinerzeit<br />

zu den Standardwerken für den<br />

Unterricht an Landschulen zählte.<br />

Im Krieg wurde er Soldat und verlor<br />

am Ende auch seine Heimat. Nach dem<br />

Krieg fand er eine neue in Schleswig-<br />

Holstein und begann als Lehrer in Flensburg.<br />

Bald arbeitete er nebenamtlich an der<br />

neu gegründeten Pädagogischen Hochschule<br />

in Flensburg mit. 1953 wurde er,<br />

wiewohl nicht promoviert, dort zum<br />

Professor für Schulpädagogik ernannt.<br />

Jetzt entstanden die weiteren Standardwerke,<br />

von denen eingangs schon die<br />

Rede war und die schwindelerregende<br />

Auflagen erreichten – bis 1968 und den<br />

Nachwirkungen des Sputnik-Schocks,<br />

siehe oben.<br />

1966 trat Rudolf Karnick in den Ruhestand<br />

– und arbeitete dennoch weiter<br />

für die Schule: Zwanzig Jahre lang noch<br />

hielt er Vorlesungen und gestaltete Seminare.<br />

Prof. Dr. Arnold Stenzel, damals<br />

Kollege von Karnick an der Flensburger<br />

Hochschule, erinnert sich: »Wir haben<br />

es oft erlebt, dass Studenten, die aus<br />

einem Lehrerhaus stammten, von ihren<br />

Eltern dazu ›verdonnert‹ wurden, an<br />

seinen Lehrveranstaltungen teilzunehmen.«<br />

Das mag die Bedeutung zeigen,<br />

die Rudolf Karnick für Generationen<br />

von Lehrerinnen und Lehrern hatte.<br />

1986, inzwischen 85 Jahre alt, beendete<br />

er seine Mitarbeit an der Hochschule<br />

in Flensburg und ging wirklich<br />

in den Ruhestand. Dabei wurde ihm<br />

von der Hochschule die Ehrendoktorwürde<br />

verliehen, die erste Ehrenpromotion,<br />

die von der Hochschule überhaupt<br />

vergeben wurde. 1991 wurde er<br />

1. Ehrenbürger der PH Flensburg.<br />

1994 starb Rudolf Karnick. In seiner<br />

Rede zur Ehrenpromotion sagte er:<br />

»Mein Lebensglück fand ich im Dienst<br />

an der Schule.« Die <strong>Grundschule</strong> hatte<br />

das Glück, dass es Rudolf Karnick gab.<br />

Gäbe es eine »Hall of Fame« der <strong>Grundschule</strong>,<br />

Rudolf Karnick hätte hier einen<br />

Platz.<br />

Quellen<br />

Bücher von Rudolf Karnick, alle erschienen im Beltz-Verlag,<br />

Weinheim:<br />

Frohes Schaffen und Lernen mit Schulanfängern. Erste Auflage 1955<br />

»Redet um Sachen!« Beiträge für den Unterricht im 2. Schuljahr.<br />

Erste Auflage 1958<br />

Mein Heimatort. Beiträge für den Unterricht im 3. Schuljahr.<br />

1. Teilband. Erste Auflage 1964<br />

Reden aus Anlass der Ehrenpromotion 1986<br />

Schriftverkehr mit Prof. Dr. Arnold Stenzel und Ortrud Teichmann,<br />

einer Tochter von Rudolf Karnick<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008<br />

27


Grundschulverband <strong>aktuell</strong> … auf Bundesebene<br />

Nachrichten aus<br />

dem Bundesverband<br />

Jetzt erschienen:<br />

Band »Demokratische <strong>Grundschule</strong>«<br />

Dass Kinder auch Rechte haben, wird zunehmend<br />

diskutiert, seitdem öffentlich wahrgenommen<br />

wird, dass die UN-Kinderrechtskonvention auch von<br />

Deutschland angenommen worden ist. Aber was<br />

heißt das konkret – und vor allem für die Schule?<br />

Im Herbst 2007 trafen sich an der Universität Siegen<br />

Expertinnen und Experten, Wissenschaftler wie<br />

Schulpraktiker aus verschiedenen Ländern, um zwei<br />

Fragen nachzugehen:<br />

■ Unter welchen Bedingungen können Kinder<br />

das Potenzial für ihre zukünftige Entwicklung am<br />

besten entfalten, wie also müssen Lerngelegenheiten<br />

gestaltet werden, um Lernchancen für die<br />

Persönlichkeits- und die fachliche Entwicklung zu<br />

bieten? In dieser auf Zukunft bezogenen Perspektive<br />

geht es um Schule als demokratischen Lernraum.<br />

■ Unter welchen Bedingungen sollen junge Menschen<br />

im öffentlichen Raum aufwachsen dürfen?<br />

Wie also muss das Zusammenleben von Erwachsenen<br />

und Kindern als gegenwärtige Beziehung<br />

gestaltet und geregelt werden, wenn sie von wechselseitigem<br />

Respekt getragen werden soll? Diese<br />

Fragen zielen auf Anforderungen an Schule als <strong>aktuell</strong>en<br />

demokratischen Lebensraum.<br />

Die Beiträge zu dieser Tagung sind anlässlich der<br />

Ehrenpromotion von Horst Bartnitzky, des Vorsitzenden<br />

des Grundschulverbands, entstanden (vgl.<br />

»<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>« 100, S. 54) und wurden für<br />

diese Publikation überarbeitet sowie durch weitere<br />

Beiträge ergänzt.<br />

So umfasst der Band ein breites Spektrum an konzeptuellen,<br />

empirischen und unterrichtspraktischen<br />

Themen bzw. Positionen – u. a. von Horst Bartnitzky,<br />

Silvia-Iris Beutel, Erika Brinkmann, Hans<br />

Brügelmann, Manuela du Bois-Reymond, Wolfgang<br />

Harder, Andreas Hartinger, Falko Peschel.<br />

Außerdem stellen sich zehn Schulen vor – von Summerhill<br />

und Sudbury Jerusalem über die Glocksee-<br />

Schule und die <strong>Grundschule</strong> Harmonie (Eitorf) bis<br />

hin zu den <strong>Grundschule</strong>n Christazhofen und Kreuztal-Buschhütten,<br />

die unterschiedliche Facetten und<br />

Grade der Demokratisierung<br />

repräsentieren.<br />

Ein lesenswerter<br />

Band mit einer<br />

Fülle von Anregungen<br />

für<br />

die Schul- und<br />

Unterrichtsgestaltung.<br />

Jetzt schon vormerken<br />

BundesGrundschulKongress<br />

25. – 26. September 2009<br />

Kongresszentrum Fulda (direkt am Hauptbahnhof)<br />

Alle zehn Jahre lädt der Grundschulverband zum großen<br />

BundesGrundschulKongress ein.<br />

2009 ist es wieder so weit: 90 Jahre <strong>Grundschule</strong> in Deutschland,<br />

40 Jahre Grundschulverband – das ist der äußere Anlass, um über<br />

Situation und Perspektiven der <strong>Grundschule</strong> nachzudenken.<br />

Die bundesweiten Vergleichs arbeiten<br />

werden vermutlich ebenso ein Thema<br />

sein wie der Umgang mit schwierigen<br />

Kindern, die Gestaltung des Ganztages<br />

ebenso wie die Schulstruktur,<br />

die Lehrerbildung ebenso wie die<br />

Schulqualität.<br />

Freuen können sich die Teilnehmer<br />

und Teilnehmerinnen auf vielfältige<br />

Anregungen für die Praxis: für eine<br />

kindgerechte Lernkultur mit kreativem<br />

Arbeiten und mit Experimenten,<br />

mit Werkstatt-Arbeit und mit sinnenreichen<br />

Angeboten.<br />

Dazu jede Menge Erfahrungsaustausch<br />

mit Gleichgesinnten bei Imbiss<br />

und Getränken.<br />

Mitglieder des Grundschulverbandes<br />

sollten teilnehmen. Nicht-Mitglieder<br />

sind ebenso willkommen. Je mehr<br />

Kolleginnen und Kollegen dabei sind,<br />

umso deutlicher ist die Botschaft<br />

auch für die Öffentlichkeit:<br />

Für eine <strong>Grundschule</strong>, die allen Kindern gerecht wird.<br />

Nachlese zum Thema »Kopfnoten«<br />

»Soziale Kompetenzen und die Kopfnoten«<br />

war der Titel unseres letzten Heftes. Das<br />

Thema steht in engem Zusammenhang mit<br />

»selbstständigem Lernen«. In einem Interview<br />

mit dem Bonner »General-Anzeiger«<br />

(18.01.08) antwortete der Siegener Erziehungswissenschaftler<br />

Prof. Dr. Hans Brügelmann<br />

zur Frage, was Kopfnoten aussagen<br />

können:<br />

»Das frage ich mich auch. Schon Fachnoten<br />

sagen so wenig über eine Leistung wie die Zahlen<br />

des Fieberthermometers über die Art einer<br />

Krankheit. Besonderheiten von sozialem Verhalten<br />

und Arbeitshaltung sind nicht mit Ziffern<br />

oder sprachlichen Etiketten zu fassen. (…)<br />

Für die Förderung braucht man konkrete Hinweise,<br />

welcher Art die Schwierigkeiten und was<br />

ihre vermutlichen Ursachen sind – vor allem<br />

aber: in welcher Richtung etwas zu tun ist.<br />

Das geht alles am besten im Gespräch, persönlich<br />

oder im Klassenrat. Und nicht als Urteil<br />

›von oben‹, sondern als gemeinsame Klärung<br />

und Absprache.«<br />

www.grundschulverband.de<br />

Die Zugriffszahlen auf unsere Homepage<br />

sind in den letzten Monaten enorm angestiegen.<br />

Bevorzugt werden die Informationen<br />

über unsere Veröffentlichungen aufgerufen.<br />

Der Band umfasst 464 S., gegen eine Schutzgebühr von 15 € (inkl. Versand)<br />

zu bestellen bei: Gisela Rosenthal, FB 2 / Arbeitsgruppe Primarstufe,<br />

Universität Siegen, Adolf-Reichwein-Str. 2, 57068 Siegen –<br />

oder online unter www.demokratische-grundschule.de<br />

Es hat sich eine Menge getan, um unsere<br />

Seiten leser/innenfreundlicher und noch<br />

informativer zu gestalten. Letztes Beispiel:<br />

Die Gestaltung eines interessanten<br />

Mitgliederbereichs. Hineinklicken lohnt<br />

sich.<br />

Sinkende Mitgliederzahlen<br />

Ein Trend konnte – trotz erhöhter<br />

Medien präsenz und Öffentlichkeitsarbeit,<br />

trotz starker und positiver Resonanz<br />

auf unsere Positionen und Publikationen<br />

– noch nicht gestoppt werden:<br />

Wie alle Lehrerverbände und viele vergleichbare<br />

Organisationen hat auch der<br />

Grundschulverband mit sinkenden Mitgliederzahlen<br />

zu kämpfen.<br />

Zu einer Trendwende kann jedes einzelne<br />

Mitglied beitragen. Im März schrieb das<br />

Team unserer Geschäftsstelle in Frankfurt<br />

in einem Brief an alle Mitglieder:<br />

»Wenn Sie mit uns der Meinung sind, dass<br />

der Grundschulverband als pädagogischer<br />

Fachverband durch seine bildungspolitische<br />

Arbeit und auch durch seine Veröffentlichungen<br />

eine wichtige Funktion<br />

erfüllt, (…) dann empfehlen Sie auch Ihren<br />

Kommilitoninnen und Kommilitonen,<br />

Ihren Kolleginnen und Kollegen sowie Ihrer<br />

Schulleitung die Mitgliedschaft im Grundschulverband!<br />

Unser Einfluss und unsere<br />

Wirkung hängen auch von der Anzahl<br />

unserer Mitglieder ab.«<br />

Diesem Appell ist nichts hinzuzufügen.<br />

Bitte helfen Sie mit.<br />

28 GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008


Grundschulverband <strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />

Baden–Württemberg<br />

Anschrift: Dipl.–Päd. Adolf Messer, Stockacker 15, 79252 Stegen,;<br />

www.gsv–bw.de<br />

Umwälzung der Elementarpädagogik<br />

in Baden-Württemberg<br />

Derzeit gibt es in Baden-Wür t-<br />

temberg eine rasante Entwicklung,<br />

die das Verhältnis von<br />

Kindergarten und <strong>Grundschule</strong><br />

langfristig auf eine neue Grundlage<br />

stellen wird. Dazu gehört<br />

sicher auch, dass die Vorschulzeit<br />

wieder stärker als Bildungszeit<br />

begriffen wird. Deshalb wurde<br />

der Kindergarten unter die Obhut<br />

des Kultusministeriums gestellt<br />

und – wie auch in anderen Bundesländern<br />

– für ihn eine Art von<br />

Bildungsplan entwickelt. An allen<br />

Pädagogischen Hochschulen des<br />

Landes gibt es inzwischen BA-<br />

Studiengänge für künftige ErzieherInnen,<br />

die gleichwertig neben<br />

denen der Lehrämter stehen<br />

und auch mit diesen vernetzt<br />

sind und überlappend studiert<br />

werden. Bildungshäuser versuchen<br />

erstmalig, Kindergarten<br />

und <strong>Grundschule</strong> pädagogischkonzeptionell<br />

und institutionell<br />

näher aneinander zu rücken. Wie<br />

nie zuvor sind wir derzeit dabei,<br />

die Fundamente zu verändern,<br />

auf denen das Verhältnis von<br />

Kindergarten und <strong>Grundschule</strong><br />

beruht.<br />

Auf unserem Grundschultag<br />

»Kindergarten und <strong>Grundschule</strong><br />

begegnen einander. Auf dem<br />

Weg zu einer gemeinsamen Bildungsverantwortung?«<br />

werden<br />

wir die Perspektiven ausleuchten,<br />

die sich aus der Aufgabe ergeben,<br />

gemeinsame Bildungsverantwortung<br />

von Kindergarten und<br />

<strong>Grundschule</strong> zu begründen und<br />

nicht länger Getrenntes zu überbrücken.<br />

Diese Aufgabe wird uns<br />

sicher noch lange und in wachsendem<br />

Maße beschäftigen.<br />

Nachdem wir auf mehreren<br />

Fachtagungen fachdidaktische<br />

Aspekte dieser Aufgabe behandelt<br />

haben, wollen wir nun stärker<br />

ihre pädagogische Dimension<br />

diskutieren. Zu diesem Zweck<br />

haben wir Frau Prof. Dr. Edeltraud<br />

Röbe (Pädagogische Hochschule<br />

Ludwigsburg) als Vertreterin<br />

der Grundschulpädagogik und<br />

Prof. Dr. Gerd E. Schäfer als Vertreter<br />

der Elementarpädagogik<br />

zu einem Vortrag mit Diskussion<br />

eingeladen.<br />

Wir werden über die Ergebnisse<br />

berichten.<br />

(für die Landesgruppe:<br />

Hans–Joachim Fischer)<br />

Bayern<br />

Vorsitzende: Dr. Gudrun Schönknecht, Pfirsichweg 37b, 86169 Augsburg<br />

Treffen der Regionalgruppe<br />

Unterfranken<br />

am Freitag,<br />

4. Juli 2008, 15 Uhr,<br />

Mönchbergschule,<br />

Richard–Wagner–Str. 62,<br />

97074 Würzburg.<br />

Alle Mitglieder und Interessierte<br />

sind herzlich willkommen.<br />

Anmeldung bitte an Fred Völker:<br />

fred.voelker@arcor.de<br />

Treffen der Regionalgruppe<br />

Zukunftswerkstatt Oberpfalz<br />

am Donnerstag,<br />

8. Mai 2008, 14.30Uhr,<br />

Volksschule Rötz,<br />

Pfarrer–Schreiner–Str. 6,<br />

92444 Rötz.<br />

Alle interessierten Lehrerinnen<br />

und Lehrer sind herzlich einge-<br />

laden. Thema: Praktische Arbeit<br />

an einer Werkstatt zum Rechnen<br />

mit Geld.<br />

Anmeldung bitte an Bianca<br />

Ederer: biancaederer@web.de<br />

Mitgliederversammlung<br />

mit Neuwahlen<br />

Freitag, 20. Juni 2008,<br />

15 bis 18 Uhr,<br />

im Ulrichshaus,<br />

Kappelberg 1, 86150 Augsburg<br />

Geplant ist ein Vortrag von<br />

Gabriele Klenk und Katja Entfellner<br />

zur Thematik »Lerngespräche<br />

in einer pädagogischen<br />

Leistungskultur« und ein Bericht<br />

über die Tätigkeiten der Landesgruppe.<br />

(für die Landesgruppe: Bianca Ederer)<br />

Berlin<br />

Kontakt: Ing rid Kornmesser, Kohlfurter Str. 4, 10999 Berlin;<br />

www.gsv–berlin.de<br />

Kürzungsmaßnahme konterkariert<br />

Schulgesetz<br />

Die Lehrerstunden für den<br />

gemeinsamen Unterricht behinderter<br />

und nicht behinderter Kinder<br />

sollen im kommenden Schuljahr<br />

weiter gekürzt werden. Nach<br />

den derzeitigen Planungen der<br />

Senatsbildungsverwaltung soll<br />

künftig eine <strong>Grundschule</strong> für ein<br />

lernbehindertes Kind und für ein<br />

Kind mit anerkanntem Förderbedarf<br />

wegen besonderer Verhaltensprobleme<br />

nur noch jeweils<br />

2,5 zusätzliche Lehrerstunden pro<br />

Woche erhalten. Ursprünglich<br />

wurden hierfür 5,5 zusätzliche<br />

Lehrerstunden zur Verfügung<br />

gestellt, dann 2,5 bis 4,5 Lehrerstunden.<br />

In vielen <strong>Grundschule</strong>n<br />

werden auch Kinder mit einer<br />

geistigen Behinderung gemein -<br />

sam mit den anderen<br />

Schüler(inne)n unterrichtet.<br />

Diese anspruchsvolle pädagogische<br />

Aufgabe wurde noch vor<br />

drei Jahren mit 10 zusätzlichen<br />

Lehrerstunden pro Woche unterstützt.<br />

Vor einem Jahr wurde<br />

diese Anzahl auf 8 Lehrerstunden<br />

reduziert. Vom neuen Schuljahr<br />

an sollen hierfür nur noch<br />

5 zusätzliche Lehrerstunden<br />

bereit gestellt werden. Mit<br />

5 zusätzlichen Lehrerstunden pro<br />

Woche kann die Bildung von Kindern<br />

mit einer geistigen Behinderung<br />

gemeinsam mit anderen<br />

Brandenburg<br />

Vorsitzende: Denise Sommer, Weinbergweg 21, 15834 Rangsdorf<br />

Individuelles Lernen fördern –<br />

Individuelles Fördern lernen<br />

Unter dieser Thematik steht der<br />

diesjährige Grundschultag, den<br />

der Grundschulverband Brandenburg<br />

in Zusammenarbeit mit<br />

dem Landesinstitut für Schule<br />

und Medien Berlin-Brandenburg<br />

(LISUM) am 23. Mai 2008 in Ludwigsfelde<br />

durchführt. Die Ergebnisse<br />

der landesweiten Schulvisitationen<br />

machen deutlich,<br />

dass die Förderung des einzelnen<br />

Kindes noch nicht gut genug<br />

gelingt. Wir möchten mit diesem<br />

Fortbildungsangebot Lehrerinnen<br />

und Lehrer bei dieser schwierigen<br />

Aufgabe in ihrem Schulalltag<br />

unterstützen. Besonders freuen<br />

wir uns auf den Einführungsvortrag<br />

von Heide Bambach,<br />

der die Eigenheiten der Kinder<br />

beim Lernen und Möglichkeiten<br />

der Individualisierung unter die<br />

Lupe nimmt. In 7 Arbeitsgruppen<br />

geben Kolleginnen aus Berlin und<br />

Brandenburg Anregungen aus<br />

den Bereichen Schriftspracherwerb,<br />

Freies Schreiben, Leseförderung,<br />

Mathemathik und<br />

Fremdspachen. Darüber hinaus<br />

stehen die Entwicklung individueller<br />

Förderpläne, selbstgesteuertes<br />

Lernen mit Lernplänen in<br />

Fortsetzung auf Seite 30<br />

den Klassen 5/6 und förderdiagnostische<br />

Instrumente im Fokus<br />

der Angebote. Verlage präsentieren<br />

ihre Materialien, so dass sich<br />

die Teilnehmerinnen einen Überblick<br />

über die vielfältigen Angebote<br />

verschaffen können. Wir<br />

hoffen auf eine gute Resonanz<br />

und freuen uns auf den gemeinsamen<br />

Grundschultag mit dem<br />

LISUM. Den genauen Tagungsablauf,<br />

weitere Informationen und<br />

Anmeldungen können auf der<br />

Homepage des Brandenburger<br />

Grundschulverbandes und des<br />

LISUM abgerufen werden:<br />

www.gsv-brandenburg.de<br />

www.lisum.berlin-brandenburg.<br />

de<br />

(für die Landesgruppe: Denise Sommer)<br />

Im Herbst werden wir die Thematik<br />

der Individualisierung mit<br />

einer Fachtagung, für die Roland<br />

Bauer bereits zugesagt hat, fortsetzen.<br />

Donnerstag,<br />

16. Oktober 2008,<br />

11.30 bis 17.00 Uhr,<br />

<strong>Grundschule</strong> Mittenwalde<br />

Arbeitstitel: Neues aus der Lerntheorie<br />

und Konsequenzen für<br />

Schule und Unterricht<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008<br />

29


Grundschulverband <strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />

Berlin<br />

Fortsetzung von Seite 29<br />

Hamburg<br />

Vorsitzende: Susanne Peters, Güntherstraße 10, 22087 Hamburg;<br />

susanne.peters@gsvhh.de, www.gsvhh.de<br />

Integrationskongress<br />

Als Kooperationsveranstaltung<br />

verschiedener Verbände fand<br />

vom 7. bis 9. Februar in Hamburg<br />

der Kongress »Gemeinsam<br />

lernen – Prävention – Integration<br />

– Inklusion« statt. In Vorträgen,<br />

Workshops, Diskussionen<br />

und vor allem bei den Hospitationen<br />

an vielen integrativen<br />

Schulen gab es Gelegenheit<br />

zu intensivem Erfahrungsaustausch.<br />

Wir hoffen, dass der neu<br />

gewählte Hamburger Senat den<br />

Wert integrativer pädagogischer<br />

Förderung erkennt und an dem<br />

Konzept der integrativen Regelschulen<br />

nicht nur festhält, sondern<br />

für alle Schulen einführt.<br />

Bündnis innovative Zeugnisse<br />

(BIZ)<br />

Ein Bündnis hatte sich im Herbst<br />

zusammengefunden, um die<br />

drohende Notengebung in Integrationsklassen<br />

zu verhindern.<br />

Nachdem nun ein Schulversuch<br />

»Innovative Kompetenzmessung«<br />

eingerichtet worden ist,<br />

unterstützen die beteiligten Verbände<br />

– unsere Landesgruppe,<br />

die Elternkammer, der Verband<br />

Integration an Hamburger Schulen,<br />

Leben mit Behinderung<br />

Hamburg und Eltern für Integration<br />

– die Schulen bei der<br />

Planung und Umsetzung des<br />

Schulversuchs. Bei einer Diskussionsveranstaltung<br />

mit dem<br />

Kindern ohne Behinderung nicht<br />

verantwortungsvoll verwirklicht<br />

werden.<br />

Diese beabsichtigten Kürzungsmaßnahmen<br />

würden unweigerlich<br />

dazu führen, dass Kinder mit<br />

Behinderungen wieder zunehmend<br />

mehr auf Spezialschulen<br />

unterrichtet werden, ohne den<br />

für ihre Entwicklung wichtigen<br />

Kontakt zu nicht behinderten<br />

Kindern. Dies würde außerdem<br />

im eklatanten Widerspruch zur<br />

Festlegung des Berliner Schulgesetzes<br />

stehen, nach der die<br />

»Förderung von Schülerinnen<br />

und Schülern mit sonderpädagogischem<br />

Förderbedarf vorrangig<br />

im gemeinsamen Unterricht<br />

erfolgen soll.« Die Landesgruppe<br />

des Grundschulverbandes hat<br />

den Bildungssenator aufgefordert,<br />

keine Kürzungen zulasten<br />

des gemeinsamen Unterrichts<br />

von behinderten und nicht<br />

behinderten Kindern zuzulassen,<br />

um weiteren Schaden von den<br />

Berliner <strong>Grundschule</strong>n und von<br />

den Kindern, für deren Bildung<br />

sie verantwortlich sind, abzuwenden.<br />

(für die Landesgruppe: Peter Heyer;<br />

peterheyer@snafu.de<br />

Amtsleiter Norbert Rosenboom<br />

wurden am 4. März die<br />

Chancen des Schulversuchs erörtert<br />

und Probleme aufgezeigt.<br />

Wir begrüßen ausdrücklich den<br />

eingerich teten Schulversuch, der<br />

es zunächst 50 Schulen ermöglicht,<br />

individuelle Formen der<br />

Leis tungsrückmeldung zu entwickeln<br />

und zu erproben und auf<br />

Notenzeugnisse zu verzichten.<br />

Wir hoffen, dass mit der Ausdehnung<br />

des Schulversuchs auf weitere<br />

Schulen am Sommer ernst<br />

gemacht wird.<br />

»Frühbeete der Gegenwart«<br />

Unter diesem Motto setzen wir<br />

unsere Veranstaltungsreihe fort,<br />

in der wir Beispiele guter pädagogischer<br />

Praxis interessierten<br />

Mitgliedern (auch denen unserer<br />

benachbarten Landesgruppen!)<br />

zugänglich machen möchten.<br />

Interessenten, die nicht in<br />

unserem E-Mail-Verteiler sind,<br />

wenden sich an die Landesgruppe.<br />

(für die Landesgruppe: Susanne Peters)<br />

»Frühbeete der Gegenwart«<br />

Hospitation zum Thema<br />

Leistungskultur<br />

Donnerstag,<br />

24. April 2008, 8 Uhr<br />

Gesamtschule<br />

Am Heidberg<br />

Abteilung <strong>Grundschule</strong><br />

Ansprechpartnerin:<br />

Elisabeth Prosotowitz<br />

Hessen<br />

Anschrift: Ilse Marie Krauth, Steigerwaldweg 3, 63456 Hanau<br />

Wann, wenn nicht jetzt?<br />

Hessen hat gewählt. Das Ergebnis<br />

ist hinreichend bekannt. Einen<br />

Regierungswechsel gibt es zwar<br />

vorerst nicht, dennoch zeichnen<br />

sich Veränderungen für Schule<br />

ab. Der weit verbreitete Unmut<br />

über G 8, U plus, Zementierung<br />

des dreigliedrigen Schulsystems,<br />

von der bisherigen Regierung bis<br />

zur Wahl nicht ernst genommen,<br />

hat wesentlich zum Wahlergebnis<br />

beigetragen. Die bisherige Kultusministerin,<br />

die ihre Politik bis<br />

zuletzt als Erfolg verkauft hat, ist<br />

zurückgetreten. Ihre Aufgaben<br />

übernimmt der Justizminister.<br />

In Hessen hat sich ein »Bündnis<br />

für bessere Bildung für alle« gebildet.<br />

Diesem Bündnis gehören die<br />

GEW, der ebh (Elternbund Hessen),<br />

die Landesastenkonferenz,<br />

die LandesschülerInnenvertretung,<br />

der Verband allein erziehender<br />

Mütter und Väter und wir, die<br />

Landesgruppe Hessen, an. Unser<br />

gemeinsames Ziel ist eine Veränderung<br />

der Schul- und Bildungspolitik,<br />

und wir wollen sie jetzt.<br />

Die »Bad Wildunger Erklärung« der<br />

CDU, die Vorschläge zu Sofortmaßnahmen<br />

von Bündnis 90/Die<br />

Grünen, das »Haus der Bildung«<br />

der SPD sind nicht konkret genug.<br />

Portfolio<br />

Leistungsfeststellung und<br />

Leistungsbewertung sind zentrale<br />

Aufgaben der <strong>Grundschule</strong>.<br />

Hierbei fällt häufig der Begriff<br />

»Portfolio«. Auch in den niedersächsischen<br />

Kerncurricula wird<br />

auf diese Form der Leistungsbeurteilung<br />

explizit verwiesen.<br />

Was verbirgt sich hinter diesem<br />

Begriff? Wenig bekannt sind für<br />

viele Lehrende die unterschiedlichen<br />

Ideen, die hinter diesem<br />

Begriff stehen und die vielfältigen<br />

Möglichkeiten, die Portfolios<br />

bieten. In der Veranstaltung<br />

werden von der Referentin<br />

Christiane Schicke konkrete<br />

Beispiele vorgestellt, die praktische<br />

Anregungen für die eigene<br />

unterrichtliche Umsetzung<br />

geben. Ebenso wird aufzeigt, auf<br />

welchen Ebenen die Portfolioarbeit<br />

auf den Unterricht zurück-<br />

Wir fordern alle Parteien, die im<br />

Augenblick Mehrheiten zur Verwirklichung<br />

ihrer politischen Vorhaben<br />

und zum Einhalten ihrer<br />

Wahlversprechen suchen, auf,<br />

klare Aussagen zu treffen.<br />

Die Positionen des Bündnisses<br />

sind eindeutig.<br />

Wir fordern:<br />

■ Längeres gemeinsames Lernen<br />

für alle Schülerinnen und<br />

Schüler,<br />

■ keine frühe Selektion nach<br />

Klasse 4 und auch kein zweigliedriges<br />

System, bei dem<br />

das Gymnasium unangetastet<br />

bleibt<br />

■ Diskussion über Leistungsbewertung,<br />

■ keine Noten am Ende des<br />

2. Schuljahres<br />

■ Eine ausreichende Lehrerversorgung,<br />

keine unprofessionelle<br />

Betreuung im Rahmen<br />

der »Unterrichtsgarantie plus«<br />

Ganztagsschule<br />

■ Abschaffung von G 8<br />

■ Rücknahme der Studiengebühren<br />

In Hessen ist die Zeit reif für Veränderungen.<br />

Wann, wenn nicht<br />

jetzt?<br />

(für die Landesgruppe:<br />

Ilse Marie Krauth )<br />

Niedersachsen<br />

Kontakt: Dr. Eva Gläser, Fasanenstr. 1, 38<strong>102</strong> Braunschweig; www.gsv–nds.de<br />

wirkt. Frau Schicke setzt sich<br />

seit vielen Jahren sowohl theoretisch<br />

als auch praktisch mit dem<br />

Thema Portfolio auseinander.<br />

Herzlich eingeladen sind nicht<br />

nur Mitglieder des Grundschulverbandes,<br />

sondern alle am<br />

Thema Interessierten.<br />

Portfolios in der <strong>Grundschule</strong><br />

und Austausch über <strong>aktuell</strong>e<br />

Themen des Grundschulverbandes<br />

Donnerstag,<br />

12.Juni 2008<br />

von 16 bis 18 Uhr<br />

Referentin:<br />

Christiane Schicke<br />

Ort: <strong>Grundschule</strong> Klint 26,<br />

38100 Braunschweig<br />

Eingeladen sind Mitglieder des<br />

Grundschulverbandes und Interessierte<br />

30 GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008


Grundschulverband <strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />

Rheinland–Pfalz<br />

Anschrift: Werner Lang, Am Wingertsberg 8, 67756 Hinzweiler<br />

Grundschultag 2008<br />

Unter dem Motto »<strong>Grundschule</strong><br />

auf dem Weg zur neuen Lernkultur«<br />

fand am 26. Februar 2008<br />

mit großem Erfolg der Grundschultag<br />

der Landesgruppe RLP<br />

an der Universität Koblenz-<br />

Landau (Campus Koblenz) in<br />

Zusammenarbeit mit dem Institut<br />

für Grundschulpädagogik<br />

statt. Rund 400 Teilnehmende<br />

fanden den Weg nach Koblenz<br />

und wurden mit den einführenden<br />

Worten des Landesvorsitzenden,<br />

Werner Lang, und der<br />

Ministerin für Bildung, Wissenschaft,<br />

Jugend und Kultur, Doris<br />

Ahnen, begrüßt. In ihren Ausführungen<br />

bezog sich Frau Ahnen<br />

insbesondere auf die individuelle<br />

Förderung von Schülerinnen und<br />

Schülern als Aufgabe aller Schularten,<br />

insbesondere aber der<br />

<strong>Grundschule</strong>. Durch die neuen<br />

Teilrahmenpläne und den Orientierungsrahmen<br />

Schulqualität<br />

(ORS) sei individuelles Lernen mit<br />

der Zielsetzung des Förderns und<br />

Forderns fundiert. Des Weiteren<br />

hob Frau Ahnen die Bedeutung<br />

des vorschulischen Lernens und<br />

die Notwendigkeit einer engen<br />

Kooperation zwischen Kindertagesstätte<br />

und <strong>Grundschule</strong><br />

hervor.<br />

Zum Schwerpunktthema »Gute<br />

Schule – guter Unterricht« leitete<br />

dann Ulrich Hecker mit seinem<br />

Eröffnungsreferat über.<br />

Er schilderte zunächst den Stand<br />

der »Baustelle <strong>Grundschule</strong>«<br />

nach PISA und IGLU und stellte<br />

kritisch in Frage, wie klausurartige<br />

Prüfungen mit einer positiv<br />

besetzten und sich an einem<br />

umfassenden Bildungsauftrag<br />

orientierenden Leistungskultur<br />

zusammenpassen sollen.<br />

Anhand des Leitkonzepts zeitgemäßer<br />

Grundschularbeit zeigte<br />

er auf, was als »ermutigende<br />

Pädagogik« verstanden werden<br />

will. Mit den Ausführungen<br />

zum Projekt »pädagogische<br />

Leistungskultur«legte er dabei<br />

die Grundgedanken des Grundschulverbands<br />

dar.<br />

(Der Vortrag befindet sich als<br />

Download auf der Homepage der<br />

Landesgruppe: www.wl-lang.de)<br />

Nach diesem gemeinsamen<br />

Anfang besuchten die Teilnehmer<br />

einen von 15 interessanten Workshops<br />

sowie einen weiteren Vortrag<br />

(»Unterricht ohne zu unterrichten<br />

– ein radikales Konzept<br />

Offenen Unterrichts«, Referent:<br />

Falco Peschel / »Die UN-Kinderrechtskonvention<br />

als Grundlage<br />

für eine demokratische Schulund<br />

Unterrichtskultur«, Referentin:<br />

Sonja Student, DeGeDe).<br />

Neben den vielfältigen Angeboten<br />

blieb den Teilnehmern ausreichend<br />

Zeit zum zwanglosen<br />

Austausch und zum Stöbern und<br />

Informieren an den verlags-/<br />

verbandseigenen Ausstellungstischen.<br />

Nach den Veranstaltungen trafen<br />

sich die Mitglieder der Landesgruppe<br />

RLP zur Mitgliederversammlung.<br />

Zur neu gewählten und erweiterten<br />

Vorstandschaft der<br />

Landesgruppe gehören:<br />

Werner Lang (Vorsitzender),<br />

Ulrich Dittrich (Kassenführer),<br />

Konstanze Rosinus<br />

(Pressearbeit), Martina Lummel-<br />

Deutschle, Carmen Lang, Heike<br />

Markens, Rainer Mies, Sabina<br />

Stommel, Julia Treiber, Monika<br />

Bäumer-Spahl, Mandy Höh<br />

(für die Landesgruppe:<br />

Konstanze Rosinus)<br />

Saarland<br />

Vorsitzende: Lilo Groll, Holbeinstr. 11, 66128 Saarbrücken<br />

Zusammenarbeit<br />

Kindergarten – <strong>Grundschule</strong><br />

Portfolio für Kindergärten<br />

Im Bereich der frühen Bildung<br />

liegt zurzeit bundesweit ein<br />

Augenmerk auf der besseren<br />

Verzahnung des vorschulischen<br />

Bereichs mit dem der <strong>Grundschule</strong>.<br />

In den letzten Jahren<br />

haben alle Länder eine Vielfalt an<br />

Maßnahmen entwickelt mit dem<br />

Ziel, den Übergang vom Elementarbereich<br />

in den Primarbereich<br />

kontinuierlich zu verbessern.<br />

Zu Maßnahmen, die eine bessere<br />

Zusammenarbeit zwischen<br />

den beiden Bildungsbereichen<br />

ermöglichen gehören:<br />

■ Bildungspläne für den Kinder-<br />

gartenbereich,<br />

■ rechtzeitige intensive Sprach-<br />

förderung,<br />

■ gegenseitige Hospitationen,<br />

gemeinsame Einschulungskonferenzen<br />

■ u. v. m.<br />

In vielen Einrichtungen gehört<br />

dies bereits zum Alltag. Aus Sicht<br />

der Landesgruppe ist jedoch die<br />

Institutionalisierung der Kooperation<br />

zwischen Elementar- und<br />

Primarbereich von besonderer<br />

Bedeutung. Ziel muss es sein,<br />

sich an gemeinsamen Grundsätzen<br />

für die pädagogische Arbeit<br />

zu orientieren. In diesem Zusammenhang<br />

scheint es den Mitgliedern<br />

der Landesgruppe von<br />

besonderer Bedeutung, den Bildungsprozess<br />

bei Kindern möglichst<br />

kontinuierlich zu beobachten<br />

und zu dokumentieren.<br />

Als ersten Schritt in diese Richtung<br />

wertet die Landesgruppe<br />

das saarländische Portfolio für<br />

den Kindergarten, das am<br />

29. 2. 2008 in Saarbrücken vorgestellt<br />

wurde. Etwa 1 000 Erzieherinnen<br />

und Erzieher waren der<br />

Einladung des Ministeriums für<br />

Bildung, Familie, Frauen und Kultur<br />

gefolgt und bekamen neben<br />

der Information über das Portfolio<br />

interessante Vorträge von<br />

Dr. Donata Elschenbroich und<br />

weiteren Portfolio-Spezialisten<br />

geboten. Das Portfolio ist in<br />

Anlehnung an das Bildungsprogramm<br />

für saarländische Kindergärten<br />

entwickelt worden und<br />

legt ein besonderes Augenmerk<br />

auf das letzte Kindergartenjahr<br />

und den Übergang Kindergarten–<br />

<strong>Grundschule</strong>.<br />

Besonders hervorzuheben ist,<br />

dass zur Einführung des Portfolios<br />

im Saarland neue Wege<br />

beschritten wurden: Ein begleitender<br />

Dokumentarfilm veranschaulicht,<br />

wie mit dem<br />

Portfoliomaterial erfolgreich<br />

gearbeitet werden kann. Der Film<br />

unterstützt damit die Implementierung<br />

und die praxisnahe Fortbildung.<br />

Das Portfolio besteht<br />

aus fünf Komponenten:<br />

■ einem Begleitheft,<br />

■ dem Portfolio des Kindes,<br />

■ der Portfolio-Arbeit der Erzie-<br />

herinnen,<br />

■ den »Elternhaus-Aufgaben«,<br />

■ dem dazugehörigen Doku-<br />

mentarfilm.<br />

Nach Auffassung der Landesgruppe<br />

sollte auch über ein<br />

Modell nachgedacht werden,<br />

dass das letzte Kindergartenjahr<br />

der <strong>Grundschule</strong> angliedert.<br />

In dieser sog. Vorschule, die für<br />

alle Fünfjährige verpflichtend ist,<br />

sollen Pädagogen des Elementarund<br />

Primarbereiches sowohl Elemente<br />

der vorschulischen Erziehung<br />

als auch der <strong>Grundschule</strong><br />

anbieten. In dieser Vorschule sind<br />

Kinder mit Entwicklungsverzögerungen<br />

oder Sprachdefiziten<br />

durch Sonderschulpädagogen<br />

zu fördern, so dass die Schulkindergärten<br />

aufgelöst werden<br />

könnten.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008<br />

31


Grundschulverband <strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />

Schleswig-Holstein<br />

Vorsitzende: Beate Blaseio, Am Binnenhafen 52, 25813 Husum; www. grundschulverband–sh.de<br />

Die Eingangsphase soll sich<br />

weiter entwickeln<br />

Laut neuer Grundschulverordnung<br />

sollen in der Eingangsphase<br />

vorrangig jahrgangsübergreifende<br />

Lerngruppen gebildet<br />

werden. Die Möglichkeiten der<br />

damit entstehenden Flexibilisierung<br />

sind für viele Kinder wichtig<br />

und wertvoll. Dabei geht es nicht<br />

nur um ein reichliches Maß an<br />

Zeit, nämlich innerhalb von 1 bis<br />

3 Jahren z. B. Lesen, Schreiben,<br />

Rechnen zu lernen. Die Umsetzung<br />

des individuellen Lernweges<br />

kann für schwächere Kinder<br />

in bekannter Gruppe und mit<br />

meist einer bekannten Lehrkraft<br />

fortgesetzt werden. Dort, wo in<br />

jahrgangsübergreifenden Klassen<br />

gelernt wird, treten unter anderem<br />

folgende Vorteile auf:<br />

■ die Unterrichtskultur muss<br />

sich hin zu eigenverantwort-<br />

lichem Lernen entwickeln,<br />

■ die Kooperation zwischen<br />

»Profis« aus Klasse 2 und<br />

»Anfängern« aus Klasse 1 führt<br />

zu intensivem sozialem und<br />

nachhaltigem Lernen,<br />

■ die Differenzierungsmöglich-<br />

keiten im Alltag ergeben sich<br />

vor Ort, wenn handlungsorientiertes<br />

Lernmaterial in Frei-<br />

arbeitsphasen zur Verfügung<br />

steht,<br />

■ Förderung und Forderung<br />

lassen sich täglich flexibler<br />

umsetzen.<br />

Die nicht überraschende Unerfahrenheit<br />

vieler KollegInnen in<br />

der Umstellung von Unterricht<br />

macht einen Weg der kleinen<br />

Schritte notwendig. Aber Schritte<br />

müssen getan werden, besonders<br />

in der eigenen Flexibilisierung<br />

des Denkens.<br />

Veränderungen im Vorstand<br />

Aufgrund des Rücktrittes von<br />

Bent Hirschelmann als Vorstandsvorsitzenden<br />

hat sich<br />

Dr. Beate Blaseio für dieses Amt<br />

zur Verfügung gestellt. Beiden<br />

Personen danken wir herzlich für<br />

ihren Einsatz. Auf der spärlich<br />

besuchten Mitgliederversammlung<br />

hat sich der Gesamtvorstand<br />

neu formiert.<br />

Die Verteilung der Aufgabenbereiche<br />

findet beim nächsten Vorstandstreffen<br />

statt und wird den<br />

Mitgliedern der Landesgruppe<br />

anschließend mitgeteilt.<br />

Schulanfangstagung am<br />

Donnerstag,<br />

28. August 2008<br />

in der Universität<br />

Flensburg<br />

Thüringen<br />

Vorsitzende: Steffi Jünemann, Hauptstr. 7, 99734 Nordhausen<br />

Schulentwicklung an Thüringer<br />

<strong>Grundschule</strong>n<br />

»Faustlos« – ein Gewaltpräventionsprogramm<br />

im Primarbereich<br />

»Faustlos«, ein Kooperationsprojekt<br />

des Thüringer Ministeriums<br />

für Soziales, Familie und<br />

Gesundheit, der Landesstelle<br />

Gewaltprävention und dem Thüringer<br />

Kultusministerium, wurde<br />

im Oktober 2005 mit dem Ziel<br />

der frühzeitigen Gewaltprävention<br />

in öffentlichkeitswirksamen<br />

Regionalkonferenzen vorgestellt.<br />

Gleichzeitig erfolgte damit der<br />

»Startschuss«.<br />

lungsadäquate prosoziale Kenntnisse<br />

und Fähigkeiten. Die Kinder<br />

lernen das Anwenden friedlicher<br />

Konfliktlösestrategien.<br />

Die 3 Bereiche »Empathie«,<br />

»Impulskontrolle« sowie<br />

»Umgang mit Wut und Ärger«<br />

bauen aufeinander auf.<br />

Das Programm wird über ein<br />

Patenschaftsprinzip von der<br />

Stiftung »Bündnis für Kinder –<br />

gegen Gewalt« gefördert. Das<br />

Basistraining erfolgt durch das<br />

Heidelberger Präventionszentrum.<br />

Darauf aufbauend entwickelte<br />

das Land Thüringen<br />

ein landeseigenes Ergänzungsprogramm,<br />

welches der Sicherung<br />

der Nachhaltigkeit dienen<br />

soll. Die Umsetzung geschieht<br />

in enger Zusammenarbeit mit<br />

dem ThILLM und den Staatlichen<br />

Schulämtern. Schulen, deren<br />

Schulkonzept »Faustlos« entspricht,<br />

konnten sich bewerben<br />

und so wurden ca. 100 Schulen<br />

vom Thüringer Kultusministerium<br />

ausgewählt. Diese Schulen<br />

bringen sich derzeit aktiv und<br />

kritisch in den Umsetzungs- und<br />

Entwicklungsprozess ein und<br />

beteiligen sich an der Dokumentation,<br />

Präsentation und Evaluation.<br />

Fortgebildete Lehrkräfte sind für<br />

die Umsetzung verantwortlich.<br />

Problemlos werden die Lektio-<br />

Was verbirgt sich dahinter?<br />

»Faustlos« ist ein Curriculum,<br />

das impulsives und aggressives<br />

Verhalten von Kindern vermindern<br />

und ihre soziale Kompetenz<br />

erhöhen soll und es basiert<br />

auf dem erfolgreichen amerikanischen<br />

Programm »Second<br />

step«. »Faustlos« ist kein Streitschlichter-Programm,<br />

sondern<br />

ein altersgerechtes Präventionsprogramm,<br />

welches in hohem<br />

Maße der Umsetzung des Thüringer<br />

Kompetenzmodells, in<br />

dem der Erwerb der Sozial- und<br />

Selbstkompetenz eine wesentliche<br />

Rolle einnimmt, dient. Das<br />

Curriculum umfasst 51 Lektionen<br />

und wird auf 3 Schuljahre verteilt.<br />

Es vermittelt alters- und entwicknen<br />

in verschiedene Stunden des<br />

Regelunterrichts integriert. Zur<br />

Unterstützung dient dabei der<br />

»Faustlos-Koffer« mit sehr hilfreichen<br />

und didaktisch hervorragend<br />

aufbereiteten Lehrmitteln.<br />

Dieser wurde über Sponsoren in<br />

den Schulen angeschafft.<br />

In Thüringen bestehen 4 Regionalteams<br />

zur Koordinierung der<br />

Aufgaben und inhaltlichen Unterstützung<br />

der Schulen. Jährlich<br />

findet eine Regionalkonferenz<br />

unter einem bestimmten Motto<br />

statt. Bisher standen folgende<br />

Themen im Mittelpunkt: »Faustlos<br />

lernt laufen«, »Faustlos fasst<br />

Fuß« und geplant ist »Faustlos<br />

bewegt«.<br />

Bundesweite Evaluationsergebnisse<br />

bestätigen, dass sich<br />

die sozialen Kompetenzen der<br />

Kinder verbesserten, aggressive<br />

Verhaltensweisen als Mittel<br />

der Konfliktlösung zunehmend<br />

abgelehnt werden, friedliche<br />

Konfliktlösungsstrategien als<br />

Ziel des Programms immer besser<br />

zur Anwendung kommen<br />

und auch Transfereffekte für den<br />

außerschulischen Bereich erzielt<br />

werden, was wiederum oftmals<br />

von den Eltern bestätigt wird.<br />

Da »Faustlos« auch ein Sozialisationsansatz<br />

auf klarer, emotionaler<br />

Basis ist, konnte z. B. die<br />

Ängstlichkeit der beteiligten<br />

Grundschulkinder deutlich reduziert<br />

werden. Viele Lehrer berichten<br />

von positiven Nebeneffekten<br />

des Programms, wie einer Verbesserung<br />

des Klassen- und Lernklimas<br />

sowie einem erheblichen<br />

Zuwachs an verbalen Kompetenzen<br />

oder der Anwendung des<br />

Gelernten im Alltag.<br />

Auch Mitglieder des Landesvorstandes<br />

Thüringen sind in diesem<br />

Projekt involviert.<br />

(für die Landesgruppe: Beate Albrecht<br />

und Steffi Jünemann)<br />

Samstag,<br />

27. September 2008<br />

Auftaktveranstaltung<br />

zur Implementierung<br />

des Thüringer Bildungsplanes<br />

für Kinder bis 10 Jahre<br />

Die Einladung aller Mitglieder<br />

der Landesgruppe des Grundschulverbandes<br />

AK <strong>Grundschule</strong><br />

erfolgt über den Postweg.<br />

32 GS <strong>aktuell</strong> <strong>102</strong> • Mai 2008


An den<br />

Grundschulverband · Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V.<br />

Niddastraße 52 · 60329 Frankfurt/Main · Fax 0 69 / 7 07 47 80<br />

oder per Internet: www.grundschulverband.de<br />

Beitrittserklärung<br />

Für Ihren Beitritt zum Grundschulverband ·<br />

Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V. halten wir<br />

folgendes Werbeangebot für Sie bereit:<br />

(Bitte nur eine der beiden Möglichkeiten ankreuzen!)<br />

Name<br />

Als neues Mitglied im Grundschulverband ·<br />

Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V. wünsche ich mir<br />

den Band<br />

als Aufnahmegeschenk.<br />

Nebenstehend genanntes Mitglied habe<br />

ich für den Grundschulverband · Arbeitskreis<br />

<strong>Grundschule</strong> e. V. geworben. Als Werbe prämie<br />

senden Sie mir bitte den Band<br />

an folgende Anschrift:<br />

Ich beantrage die Mitgliedschaft im Grundschulverband · Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V.<br />

Als Mitglied erhalte ich jährlich zwei neue Mitgliedsbände aus der Reihe »Beiträge zur Reform der<br />

<strong>Grundschule</strong>« sowie die 32-seitige Vierteljahreszeitschrift »Grundschulverband <strong>aktuell</strong>« jeweils<br />

nach Fertigstellung kostenfrei zugesandt.<br />

Den angekreuzten Betrag<br />

Mitgliedsbeitrag 55,– €<br />

Ermäßigter Beitrag (bitte belegen!) 33,– €<br />

(für Studierende, Arbeitslose, Lehramts anwärter/innen<br />

sowie für Teilzeitbeschäftigte in den neuen Ländern)<br />

Förderbeitrag, mindestens 33,– €<br />

(keine Mitgliedsbände, nur Zeitschrift – für Pensionäre, die weiterhin <strong>aktuell</strong> informiert werden<br />

wollen und andere Förderer, die die Arbeit des Grundschulverbandes unterstützen möchten)<br />

zahle ich nach Erhalt der Jahresrechnung zahle ich per Bankeinzug vom<br />

Konto Nr.<br />

Bankleitzahl<br />

Name<br />

Straße und Hausnummer<br />

bei<br />

Straße und Hausnummer<br />

PLZ und Ort<br />

PLZ und Ort<br />

E-Mail<br />

Datum und Unterschrift<br />

Tel.


VERA im Mai – jetzt deutschlandweit:<br />

Ihre Erfahrungen und Meinungen sind gefragt!<br />

In diesem Jahr werden die Vergleichsarbeiten (VERA) in allen Bundesländern durchgeführt.<br />

Unser nächstes Heft (Sept. '08) wird sich wieder kritisch mit VERA auseinandersetzen.<br />

Dabei sind Ihre Erfahrungen und Meinungen gefragt:<br />

?<br />

Wie kamen die Kinder mit den Aufgaben zurecht?<br />

Trafen die Aufgaben wichtige Ziele des Faches?<br />

Wie sind Ihre Erfahrungen mit der Arbeitsbelastung durch VERA?<br />

Helfen Ihnen die VERA-Ergebnisse bei der Einschätzung Ihrer eigenen Arbeit?<br />

Wie reagieren Kinder und Eltern auf diese Art von Leistungsüberprüfung?<br />

Diese Fragen sind nur Anregungen. Schreiben Sie uns »frei von der Leber weg« –<br />

auch nur zu einzelnen Fragen, die Sie bewegen.<br />

Gerne können Sie uns auch Glossen, Geschichten, Gedichte oder Zeichnungen senden.<br />

Vor einer möglichen Veröffentlichung werden wir in jedem Fall Kontakt mit Ihnen aufnehmen.<br />

Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldungen – bitte bis zum 30. Juni 2008!!<br />

Horst Bartnitzky<br />

Vorsitzender des Grundschulverbandes<br />

Ulrich Hecker<br />

Redaktion »<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>«<br />

Pädagogische<br />

Leistungskultur<br />

Band 121<br />

ISBN 3-930024-94-2<br />

Best.-Nr. 1079<br />

17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />

Band 118<br />

ISBN 3-930024-87-X<br />

Best.-Nr. 1076<br />

17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />

Band 119<br />

ISBN 3-930024-88-8<br />

Best.-Nr. 1077<br />

17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />

Band 124<br />

ISBN 3-930024-96-9<br />

Best.-Nr. 1082<br />

17,– € / f. Mitgl. 13,– €

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