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40376_Leseprobe_10_Stunden

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Martin Schnackenberg und Markus Bernhardt<br />

Der „Lange Hunderter“ von 1908 – Geld als Quelle(mit Binnendifferenzierung)<br />

Worum geht es?<br />

Wir streben danach, wir wünschen es uns, wir sammeln es, wir haben es täglich in der Hand und wir geben es aus: Geld.<br />

Selten aber erkennen wir, welchen historischen Erkenntniswert Geld hat. Hier setzt dieser Unterrichtsvorschlag an: Die<br />

Schülerinnen und Schüler werden einen Geldschein analysieren, der allein aufgrund seiner Größe und seiner ungewöhnlichen<br />

Gestaltung geeignet ist, ihr Interesse zu wecken, der aber darüber hinaus so voller Symbole ist, dass man damit<br />

das Selbstverständnis der gesellschaftlichen und politischen Eliten des wilhelminischen Deutschlands demonstrieren und<br />

erklären kann. Ein Effekt der Stunde könnte darin liegen, dass sich der Blick der Lernenden auf das eigene Geld verändert:<br />

Sie werden unter Umständen ihr eigenes Geld betrachten und sich fragen, was die Abbildungen, die dort zu sehen<br />

sind, zu bedeuten haben, was dort von wem propagiert wird und wie sie dazu stehen. Sie werden vielleicht im Urlaub<br />

das „fremde“ Geld betrachten und sich die gleichen Fragen stellen und sie werden am Ende möglicherweise feststellen,<br />

dass zwischen dem Selbstbild der staatlichen Institutionen und dem Bild, welches die Bürger von ihrem Staat<br />

haben, eine breite Kluft liegen kann und dass Geld sogar ein Mittel der Propaganda sein kann.<br />

Sachanalyse des historischen Gegenstandes<br />

Der „Lange Hunderter“ von 1908, der Nachfolger des bis dahin<br />

verwendeten „Blauen Hunderters“, ist eine Quelle, mit deren<br />

Hilfe sich das Bild, welches der wilhelminische Staat und<br />

seine Eliten von sich selbst hatten und welches auch nach außen<br />

transportiert werden sollte, erforschen lässt. Was wissen<br />

wir über die Entstehung dieses Scheines?<br />

Die Konzeption dieses Zahlungsmittels, welches bereits<br />

1908 gedruckt wurde, aber erst ab 1911 in den Umlauf kam,<br />

lag dem Reichsbankdirektorium schon im Jahre 1903 vor. Es<br />

ist noch nicht vollkommen geklärt, warum der Schein erst einige<br />

Jahre später, nur leicht verändert, in den Umlauf gebracht<br />

wurde. Hans Grabowski vermutet, dass die konservativen<br />

politischen Kräfte, allen voran das Zentrum, den „Langen<br />

Hunderter“ 1903 zu den Reichstagswahlen als Propagandamittel<br />

gegen die zunehmend an Macht gewinnende Sozialdemokratie<br />

einsetzen wollten, was aus Zeitgründen aber scheiterte.<br />

Erst acht Jahre später gelangte der Geldschein in den<br />

Umlauf. Er war graphisch unverändert, gegenüber der Vorlage<br />

nur noch einmal leicht verlängert, was ihn bei den „Kunden“<br />

nicht eben beliebt machte, da er sehr unhandlich war.<br />

Der „Lange Hunderter“ wurde von dem Graphiker Friedrich<br />

Wilhelm Wanderer konzipiert, er unterscheidet sich deutlich<br />

von dem bis dahin gängigen „Blauen Hunderter“. Er ist, besonders<br />

aufgrund der Gestaltung der Rückseite, ein Geldschein,<br />

der „Geschichte machte und erzählt“ (Grabowski).<br />

Vor allem die Abbildung der gerüsteten Germania und die<br />

Kriegsschiffe in voller Fahrt auf dem „Langen Hunderter“ (daher<br />

im Volksmund auch „Flottenhunderter“) können als ein<br />

mehr oder weniger deutliches Abbild der imperialistischen<br />

Denkweise der konservativen Kräfte des Reiches in der Entstehungszeit<br />

dieses Geldscheines betrachtet werden. Das Reichsbankdirektorium,<br />

politisch konservativ und kaisertreu, wollte<br />

mit diesem Geldschein Deutschlands wirtschaftliche Macht<br />

und den Anspruch auf das zum Ausdruck bringen, was Reichskanzler<br />

von Bülow später „Platz an der Sonne“ nannte. Die<br />

Entstehungsgeschichte dieses Geldscheins, die Veränderungen<br />

gegenüber seinem „Vorgänger“ in Format und Gestaltung<br />

sowie die Proteste vor allem aus der Sozialdemokratie<br />

zeigen deutlich, dass hier ein neuer, imperialer Machtanspruch<br />

von Seiten des Adels und großer Teile des Bürgertums<br />

formuliert wurde.<br />

Diese Entstehungsgeschichte des „Langen Hunderters“<br />

ist eingebettet in die imperiale Flottenbaupolitik des Wilhelminischen<br />

Reiches. In den 1890er Jahren war dieses Reich von<br />

schweren innenpolitischen Konflikten gekennzeichnet. Die<br />

ostelbischen Großagrarier, eine der Stützen der starken Monarchie,<br />

litten unter billigen Agrarimporten, während Industrielle<br />

und Arbeiter stärker an einem politischen System partizipieren<br />

wollten, das sie bislang benachteiligte. Eine Parlamentarisierung<br />

dieses Systems stand unmittelbar bevor, das Ende<br />

der autokratischen Monarchie war in greifbare Nähe gerückt.<br />

In dieser Situation sahen die rechtskonservativen Eliten im<br />

Flottenbau eine Möglichkeit, die politischen Verhältnisse in ihrem<br />

Sinn zu stabilisieren. Es kam zu einer Übereinkunft zwischen<br />

den Ostelbiern und den Industriellen. Während das industrielle<br />

Bürgertum die Einführung von Schutzzöllen für<br />

landwirtschaftliche Produkte billigte, stimmten die Ostelbier<br />

für den Flottenbau. Beide Gruppen profitierten von diesem<br />

Geschäft. Sowohl die Agrarier als auch die Industriellen hofften,<br />

die Arbeiterschaft mit einer erwarteten Vollbeschäftigung<br />

und Lohnsteigerungen zufriedenstellen zu können. Die<br />

Flottenrüstung wurde mit erheblichem Propaganda-Aufwand<br />

begleitet, unter anderem durch die Herausgabe des „Flottenhunderters“.<br />

Durch seine Symbolik (ausführliche Erklärung der Symbole<br />

im Anhang), welche das propagandistisch überhöhte Gesellschaftsbild<br />

der Eliten des Kaiserreiches spiegelt, gaukelt<br />

der Geldschein eine soziale Harmonie vor, die der realen Gesellschaft<br />

des Kaiserreiches, welche tief gespalten war, nicht<br />

entsprach. Der Schein visualisiert gewissermaßen die „nationale<br />

Allegorie“ einer angeblich konfliktfrei organisierten Gemeinschaft.<br />

Tatsächlich sah die Situation anders aus: Der<br />

© Wochenschau Verlag, Schwalbach/Ts.

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