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40376_Leseprobe_10_Stunden
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Der „Lange Hunderter“ von 1908 – Geld als Quelle 47<br />
deutliche Spalt zwischen der Arbeiterschaft auf der einen und<br />
dem Bürgertum und dem Adel auf der anderen, wurde in den<br />
Jahren nach 1900 eher größer als kleiner. Die Sozialdemokratie,<br />
als wichtigster Repräsentant des politischen Umgestaltungswillens,<br />
gewann von Jahr zu Jahr an Stimmen und war<br />
zu Beginn des Ersten Weltkrieges die stärkste politische Kraft<br />
im Reichstag. Während auf der anderen Seite große Teile des<br />
Bürgertums und des Adels nicht an einer Demokratisierung<br />
des politischen Systems und einer gerechteren Verteilung der<br />
gesellschaftlichen Einkünfte interessiert waren. Der Geldschein<br />
konnte die gesellschaftlichen Gegensätze langfristig<br />
nicht verdecken.<br />
Geschichtsdidaktische Überlegungen<br />
Möglichkeiten des Historischen Lernens am<br />
Gegenstand<br />
Die Problemfragen der Stunde lauten: Wer gestaltet mit welchem<br />
Ziel das Aussehen von Zahlungsmitteln? Welches<br />
Staats- und Gesellschaftsbild wird durch einen Geldschein vermittelt<br />
und inwiefern entspricht dieses Bild der Realität?<br />
Die vorliegende Quelle (Q1) bietet die Möglichkeit, das<br />
Selbstverständnis der Eliten des Kaiserreichs in komprimierter<br />
und kompakter Form zu erarbeiten. Es findet sich vieles, was<br />
für das wilhelminische Deutschland typisch war (vgl. Sachanalyse).<br />
Hinzu kommt, dass die Schülerinnen und Schüler durch<br />
die ungewohnte Form der Quelle einen Zugang zu einer Zeit<br />
bekommen, die ihnen erfahrungsgemäß zunächst fremd ist,<br />
weil sie sich z. B. durch die Überbetonung des Militärischen<br />
deutlich von der heutigen Erfahrungswelt unterscheidet.<br />
Durch die schriftlichen Quellen (Q2, Q3) können die Schülerinnen<br />
und Schüler den ideologischen Gehalt der Darstellung erkennen.<br />
Die Fragestellung gilt zunächst für die Vergangenheit<br />
(„Langer Hunderter“), kann dann aber auch auf die Lebenswelt<br />
der Schülerinnen und Schüler (Euro) bezogen werden.<br />
Das soll sie dafür sensibilisieren, solche offiziellen Präsentationen<br />
kritisch zu hinterfragen. Beim Euro ergibt sich das zusätzliche<br />
Problem der Gemeinschaftswährung. Hier waren im Gegensatz<br />
zur Reichsbankentscheidung die nationalen Interessen<br />
aller Mitgliedstaaten des künftigen Euro-Raumes zu<br />
beachten, die dann zu der Brückensymbolik geführt haben.<br />
Das ändert jedoch nichts an dem Grundprinzip, dass sich bestimmte<br />
Gruppen bemühen, mit den Scheinen idealisierte<br />
Vorstellungen des Gemeinwesens, in dem die Banknoten gültig<br />
sind, zu verbreiten. Der Wert der Quelle „Banknote“ liegt<br />
darin begründet, dass mit dem „Langen Hunderter“ zum einen<br />
ein Dokument im Mittelpunkt steht, an dem die Schülerinnen<br />
und Schüler gewissermaßen schon ein „natürliches“ Interesse<br />
haben. Sie erfahren, dass der Geldschein von großem<br />
Wert war, sie sehen seinen enormen Umfang, sie vergleichen<br />
mit ihrer Lebenswelt – es gibt kaum jemanden, der davon unbeeindruckt<br />
bleibt.<br />
Kompetenzerwerb<br />
Mit Hilfe der vorliegenden Quelle ist Kompetenzerwerb in verschiedenen<br />
Bereichen möglich. Die Wahrnehmungskompetenz<br />
wird geschult, indem die Schülerinnen und Schüler diesen<br />
Geldschein als „historisch“ erkennen, weil er sich doch<br />
deutlich von modernen Scheinen unterscheidet. Hier können<br />
Vermutungen und Fragen formuliert werden, die in die Vergangenheit<br />
führen.<br />
Der zweite Schritt ist die Erkenntnis, dass es sich auch bei<br />
Geldscheinen um eine Quelle, einen Überrest aus der Vergangenheit<br />
handelt, eine Quelle allerdings, die man lesen lernen<br />
muss (Erschließungskompetenz).<br />
Die Quelle verlangt vor allem nach Interpretationskompetenz.<br />
An dieser Stelle werden die größten Schwierigkeiten zu<br />
erwarten sein, und hier muss die Lehrkraft mit ihrem Fachwissen<br />
am stärksten helfen. Die Schülerinnen und Schüler werden<br />
den Geldschein in der Regel gut beschreiben können. Zur<br />
Entschlüsselung der Symbolik werden besonders die jüngeren<br />
Klassen an Grenzen stoßen, die sie mit Zusatzinformationen<br />
durch das Arbeitsblatt im oder Materialteil durch die Lehrkraft<br />
überwinden können. Mit Hilfe der schriftlichen Quelle<br />
können die Schülerinnen und Schüler (egal welcher Klassenstufe<br />
und Schulform) die groben Zielrichtungen, welche der<br />
Geldschein erkennen lässt, deuten. Außerdem wird den Schülerinnen<br />
und Schülern mit Hilfe einer ungewöhnlichen Quelle<br />
verdeutlicht, wie wichtig es ist, über Hintergrundinformationen<br />
(Kontextualisierung) zu verfügen, um eine Quelle überhaupt<br />
verstehen zu können.<br />
Der Gegenwartsbezug ist von Bedeutung, wenn die Schülerinnen<br />
und Schüler im letzten Unterrichtsschritt ihre Orientierungskompetenz<br />
unter Beweis stellen sollen. Naturgemäß<br />
kann die Abgabe eines Werturteils nicht „gelehrt“ werden.<br />
Dennoch fordert die Anlage der Stunde dazu heraus, Stellung<br />
zu beziehen.<br />
Tipp: Historisches Lernen – Wie funktioniert das hier?<br />
Im Grunde geht es in der Stunde um die Durchführung einer Bildinterpretation. Der springende Punkt ist dabei, dass diese<br />
Interpretation aufgrund des Aufforderungscharakters des Geldscheins in der Regel gelingt. Das dreistufige Analyseschema<br />
„Beschreibung – Deutung – Interpretation“ ist hier leicht zu durchschreiten, weil die Symbolik des Scheines einfach<br />
und plakativ ist. Der ideologische Gehalt der Darstellung ist leicht zu durchschauen, wenn man die Quelle zu Rate<br />
zieht.<br />
© Wochenschau Verlag, Schwalbach/Ts.