Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

8.7. Persönlichkeit und pädagogische Tätigkeit des
Erziehers
Man kann vor allem bei Neill (aber auch bei Lane und Wills) sehr leicht zum
Eindruck gelangen, daß hier ein singuläres pädagogisches Genie vermittels
persönlicher magischer Kräfte durch bloße untätige Anwesenheit pädagogische
Wunder zu wirken pflegt. Dieser Eindruck ließe sich durchaus mit Aussagen
von Summerhill-Schülern stützen 106 , ist jedoch aus erziehungswissenschaftlicher
Sicht eine durchaus unbefriedigende Erklärung 107 .
Vor allem am Beispiel Neills soll daher in diesem Kapitel versucht werden,
dieses (tatsächlich stattfindende!) Wunder zu beschreiben, zu erklären und es
damit (zumindest prinzipiell) aus dem Bereich der Magie in den der
(zumindest prinzipiell) erlernbaren Methode oder Technik zu versetzen.
Zwei Dinge haben mich zu diesem Versuch bewogen. Zunächst die allzuhäufige
und allzuvage Erklärung unerklärter Wirkungen mit der Floskel große
Erzieherpersönlichkeit, die von eben diesen Erzieherpersönlichkeiten dann
aber vehement bestritten wird. Der zweite Grund waren die sehr deutlichen
Probleme, die Schmidt-Herrmann (1987: 151 - 181 - bislang das mit Abstand
kenntnisreichste deutschsprachige Werk über Neill!) bei der Beschreibung
der pädagogischen Tätigkeit (im Gegensatz zu Untätigkeit) Neills hatte: Sie
bleibt konsequent auf der Ebene des abstrakten theoretischen Konzeptes, ohne
konkrete Handlungen des Erziehers deutlich werden zu lassen, 108 und
106 Diese sprechen tatsächlich von magischen (bzw. beinahe magischen Fähigkeiten, ohne
die Einschränkung beinahe zu erklären (vgl. Kapitel 8.7.2.5.).
107 Von Zauberei und Magie wird dann gesprochen werden, wenn deutlich ist, daß eine Person
über Wirkkräfte verfügt, deren Wirkung ein Beobachter zwar deutlich wahrnimmt,
aber mit seinen Ursache-Wirkungs-Modellen nicht zu erklären vermag. Er schreibt darum
hilfsweise der Person persönliche Fähigkeiten einer ganz besonderen und außergewöhnlichen
Art zu.
Konzepte wie Genie und Charisma scheint mir nicht allzuweit von einer so verstandenen
Magie entfernt zu liegen. Insofern bezeichnen die Konzepte Genie und Magie vor allem
das grundlegende Unverständnis der Vorgänge.
Sobald eine hinreichende Beschreibung der Ursache-Wirkungs-Beziehung gefunden ist,
verschwindet die unerklärliche Magie und wird zu einer prinzipiell lehr- und erlernbaren
erklärbaren Technik oder Methode.
108 Sie weist dort ihre zentrale These detailliert und überzeugend nach, „dass die antiautoritäre
Erziehung Neills keinesfalls als ein Verzicht auf erzieherische Einflussnahme zu verstehen
ist“ (Schmidt-Herrmann 1987: V), sondern daß der zentrale Fehler der Rezeption
Neills gerade dieser Irrtum ist. Neills Konzept besteht, im Gegensatz zu landläufigen Behauptungen,
keineswegs im Gewährenlassen und in bloßer Untätigkeit. Neill lehnt das
Gewährenlassen (laissez faire) ausdrücklich als Zügellosigkeit (license) ab, verurteilt es
als kinderverderbend und fordert selbst eine aktive (wenngleich indirekte) Erziehung.
153