Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

Die angestrebte Bestandsaufnahme mußte scheitern: Das Aufspüren der
Einrichtungen war von vielerlei Zufällen und Glücksfällen geprägt, eine
Vollständigkeit ist vorerst nicht zu erreichen. Dagegen spricht inzwischen
schon die große Anzahl, die praktische Beschränkung auf die deutsche und
englische Sprache sowie die Unbezahlbarkeit einer größeren Anzahl von
Auslandsfernleihen.
Eine Bewertung (Evaluation) der (vermuteten besseren) Erziehungsergebnisse
schied sehr schnell aus, da brauchbare Daten 7 weder für Kinderrepubliken
noch für normale Heime zu erhalten waren. Vor allem gibt es keine gemeinsamen
Beurteilungs-Kriterien für Erziehungserfolge: Neill etwa würde es
als Mißerfolg und Versagen seiner Schule werten, wenn ein Summerhill-
Schüler Premierminister würde 8 .
Auch der bescheidenere Versuch, die erzieherische Wirkung der Selbstregierung
einfach nur zu beschreiben, schlug zunächst immer wieder fehl, und
damit beginnt die Beschreibung der Ergebnisse der Arbeit:
Die Beschreibung der erzieherischen Funktionsweise der Selbstregierung
(über die rein politische hinaus) blieb merkwürdig dunkel, kurz und allgemein,
bis ich entdeckte, daß es keine allgemeine, von allen Vertretern akzeptierte
Theorie von Selbstregierung gibt, sondern zumindest drei konkurrierende
und miteinander unvereinbare Auffassungen (von George, Lane
und Foerster), die getrennt beschrieben werden müssen. Dabei ist die Konzeption
von George theoretisch unzureichend, pädagogisch naiv und letztlich
unausführbar. Foerster ist nicht an Selbstbestimmung, sondern an geschickter
Manipulation interessiert. So bleibt für eine zukünftige freiheitliche pädagogische
Praxis nur das psychoanalytisch orientierte, vom Kinde ausgehende
Konzept interessant, das vor allem von Lane und seinen Nachfolgern entwikkelt
wurde und das im 2. Teil des Buches beschrieben wird.
Beim Vergleich der drei Auffassungen fiel auf, daß häufig dieselben Begriffe
benutzt werden, aber die Inhalte der Begriffe jeweils andere sind (siehe
Kapitel 2), und daß dieselben Organisations- und Verfassungsformen zu
ganz unterschiedlichen, sogar entgegengesetzten Zwecken einsetzbar sind.
Eine pure Beschreibung objektiv beobachtbarer, aber allzu vieldeutig interpretierbarer
Fakten erscheint damit als unsinnig.
Die Art der Verfassung und politischen Organisation einer Kinderrepublik
erweist sich als fast völlig unwichtig 9 für die Existenz oder Nichtexistenz
7 Wo Erfolgsdaten genannt werden, wird meist nur sehr guter Erfolg gerühmt oder es wurden
Erfolgszahlen genannt, deren Herkunft völlig dunkel blieb.
8 „I'd be very disappointed if a Summerhill child became Prime Minister. I'd feel I'd failed.“
(Neill in Walmsley 1969, unpaginiert, S. 19).
9 Diese Erkenntnis der Unwichtigkeit von Verfassungsdetails ist an sich nicht neu und
wird auch schon von anderen Autoren erwähnt, allerdings meist als einfache Behauptung
ohne nachvollziehbare Begründung.
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