2017-02 Pfarrblatt Freiburg
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Aus dem Pfarreileben<br />
Der lange Weg<br />
zum Frieden<br />
Mit einem Kleinbus schlängeln wir<br />
uns durch verwinkelte Strassen, bis<br />
wir die „Sede”, das Gebäude von<br />
Casitas Bíblicas im Quartier Palermo<br />
Sur in Bogotá erreichen. Seit<br />
sechs Jahren ist es der Treffpunkt<br />
für viele Menschen, die sich dort<br />
weiterbilden, sich austauschen,<br />
Gemeinschaft erleben und ihr Leben<br />
im Licht des Evangelium reflektieren.<br />
Das Projekt wird von unserer<br />
Pfarreiseelsorge unterstützt.<br />
Casitas Bíblicas ist mehr als nur eine<br />
Arbeit für die Koordinatoren des Projekts<br />
– diesen Eindruck können wir<br />
schon beim ersten Besuch gewinnen.<br />
Es ist Januar und noch sind Ferien,<br />
aber trotzdem warten schon einige<br />
Mitarbeiter und Freunde des Projekts<br />
auf unseren Besuch. Leonardo ist<br />
schon seit 17 Jahren für Casitas Bíblicas<br />
tätig und hat das Projekt noch<br />
kennengelernt, als es vornehmlich in<br />
den Häusern von Menschen vor Ort<br />
stattfand. Noch wie am Anfang des<br />
Projekts ziehen auch heute die TeilnehmerInnen<br />
aus der gemeinsamen<br />
Bibellektüre, dem Austausch und<br />
dem Gebet geistige Nahrung, Trost,<br />
Zuspruch, Hoffnung und Impulse<br />
zum Handeln. Durch den Bau der<br />
„Sede” eröffneten sich Möglichkeiten<br />
für weitere Aktivitäten: Kinderund<br />
Jugendgruppen, Gartenprojekte,<br />
Männer- und Frauengruppen<br />
etc. Seit dem Bau eines zusätzlichen<br />
Stockwerks im letzten Jahr gibt es<br />
nun auch Übernachtungsmöglichkeiten<br />
im Haus. „Das Projekt hat immer<br />
das Potential, sich zu verändern<br />
und sich den Bedürfnissen der Menschen<br />
anzupassen”, sagt Leonardo.<br />
„Es ist nicht nur ein Arbeitsort, sondern<br />
eine Familie. Hier kann jeder<br />
seine Lebensprojekte realisieren und<br />
Gemeinschaft erleben.”<br />
Ein besonderer Ansatz<br />
Seine Kollegin Astrid sieht das ähnlich.<br />
Sie schätzt die flexiblen Strukturen<br />
und die Möglichkeit, sich mit anderen<br />
Menschen auszutauschen, z.B.<br />
darüber, was einen an der oft harten<br />
Lebensrealität im Quartier belastet<br />
und wie man sein Leben verändern<br />
kann. Alle Menschen sind im Projekt<br />
Foto: Christina Mönkehues_Lau<br />
v.l.n.r. Leonardo, Astrid und Flavio auf dem Dach der „Sede”, des Gebäudes von<br />
Casitas Biblicas in Bogotá<br />
willkommen und für alle Generationen<br />
gibt es Angebote und Gruppen,<br />
die ohne Zugangsbedingungen offen<br />
stehen. „Das haben die Leute von<br />
Anfang an wahrgenommen – bei uns<br />
passiert etwas Ungewöhnliches”, so<br />
Leonardo. „Casitas Bíblicas ist keine<br />
Sozialarbeit, es werden keine Geschenke<br />
oder Geld an Leute verteilt.<br />
Wir entdecken einfach nur die Talente<br />
der Leute und fördern sie, damit<br />
sie ihr Leben verbessern können.”<br />
Kommunikation ist wichtig<br />
Damit bei so vielen unterschiedlichen<br />
Gruppen und Angeboten ein<br />
Gemeinschaftsgefühl und eine gemeinsame<br />
Identität entsteht, gibt<br />
es regelmässig grosse Anlässe mit<br />
Strahlkraft in die Nachbarschaft, z.B.<br />
die Novenen, die vor Weihnachten<br />
gemeinsam gebetet und gefeiert<br />
werden, oder der grosse Karneval im<br />
Frühjahr. Ausserdem ist die ständige<br />
Kommunikation entscheidend. „Am<br />
Anfang, als die Sede geöffnet wurde,<br />
musste man sich erst einmal kennenlernen.<br />
Plötzlich gab es Jugendliche<br />
im Haus, die laute Musik hören<br />
wollten oder die sich noch nie mit<br />
der Bibel beschäftigt hatten. Da gab<br />
es dann manchmal Vorurteile. Aber<br />
wichtig ist, dass sich die Leute austauschen<br />
und miteinander sprechen,<br />
damit Gemeinschaft entsteht”, stellt<br />
Leonardo fest.<br />
Neu hinzugewachsen zum Angebot<br />
ist im letzten Jahr auch eine psychosoziale<br />
Beratung, weil man gemerkt<br />
hat, dass es viele Menschen gibt, die<br />
das Bedürfnis haben, ihre Probleme<br />
in einem geschützten Raum zu besprechen.<br />
„Die Familien verändern<br />
sich und manchmal sind Grossmütter,<br />
Väter oder Mütter allein mit den<br />
Kindern. Viele Probleme und Fragen<br />
ergeben sich und Schritte müssen<br />
geplant werden”, so Astrid. Dabei<br />
hilft diese Beratung.<br />
Friedensprozess in Kolumbien<br />
Ein weiteres Thema, welches das letzte<br />
Jahr bestimmt hat, war natürlich<br />
der Friedensprozess. Obwohl es nun<br />
nach 50 Jahren bewaffnetem Konflikt<br />
einen Friedensvertrag gibt, ist<br />
es schwierig, diesen Frieden auch erfahrbar<br />
zu machen. Viele Menschen<br />
haben Verluste und Enttäuschungen<br />
erlebt. Was passiert, wenn sich ehemalige<br />
Kämpferinnen und Kämpfer<br />
in den Städten niederlassen und<br />
Täter und Opfer plötzlich Tür an Tür<br />
wohnen? Um diesen Frieden zu ermöglichen,<br />
muss die Gemeinschaft<br />
sensibilisiert und gestärkt werden.<br />
Aus diesem Grund hat Casitas Bíblicas<br />
ihr Dreijahresprogramm 2016-<br />
2018 unter folgendes Motto gestellt:<br />
„Fortalecer comunidad para aportar<br />
a la paz” (Gemeinschaft stärken, um<br />
zum Frieden beizutragen).<br />
Frieden, Vergebung und Versöhnung<br />
sind in diesem Kontext keine leeren<br />
Floskeln, sondern wirkliche Herausforderungen,<br />
die dank Casitas Bíblicas<br />
aktiv angegangen werden.<br />
Christina Mönkehues-Lau<br />
Februar <strong>2017</strong> | Kath. Pfarreiseelsorge <strong>Freiburg</strong> Stadt und Umgebung 7