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Dokumentation über den Neujahrsempfang 2017

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24 Kardinal Walter Kasper<br />

Kardinal Walter Kasper 25<br />

und frommen Muslimen gemeinsame Grundlagen, auf <strong>den</strong>en wir<br />

respektvoll zusammenleben und – wie es das II. Vatikanum forderte<br />

– im Dienst für Gerechtigkeit und Frie<strong>den</strong> in der Welt auch zusammenarbeiten<br />

können. Ökumene hat auch eine politische Dimension.<br />

Die Einheit der Kirchen steht im Dienst der Einheit und des Frie<strong>den</strong>s<br />

der Welt.<br />

II. Luther und die Reformation<br />

Doch nun zurück zu unserer Situation. Ich bin inzwischen alt genug,<br />

um mich mehr als 70 Jahre zurückerinnern zu können. Wie sehr haben<br />

sich in dieser Zeit nicht nur die Welt, sondern auch die Kirchen<br />

und das Verhältnis zwischen <strong>den</strong> Kirchen verändert! Als ich in einem<br />

fast ganz katholischen Dorf am Fuß des Hohenstaufen aufwuchs,<br />

da galt Martin Luther einfach als der Erzketzer, und wir hatten für<br />

die Lutheraner schwäbische Schimpfwörter – die Lutheraner allerdings<br />

auch für uns – die man außerhalb des Gebrauchs der schwäbischen<br />

Mundart nicht erst heute nicht in <strong>den</strong> Mund nehmen kann.<br />

Im Religionsunterricht wurde uns gesagt, man dürfe der kirchlichen<br />

Trauerfeier beim Tod eines Verwandten oder Bekannten in der evangelischen<br />

Kirche zwar physisch anwesend sein, aber kein Gebet,<br />

auch nicht das „Vater unser“ gemeinsam sprechen und bei keinem<br />

Lied mitsingen.<br />

Das hat sich Gott sei Dank gründlich geändert. Heute singen wir in<br />

katholischen Gottesdiensten viele Lieder, die auf Martin Luther zurückgehen.<br />

Als Bischof und Kardinal habe ich rund um die Erdkugelbei<br />

vielen evangelischen Gottesdiensten mitgewirkt und gepredigt.<br />

In der Mitte des letzten Jahrhunderts hat sich in der Wertung des<br />

Bildes von Martin Luther (1483-1546) bei maßgeben<strong>den</strong> katholischen<br />

Kirchenhistorikern ein erstaunlicher Wandel vollzogen. Man<br />

erkannte nicht nur, dass im ausgehen<strong>den</strong> 15. und beginnen<strong>den</strong> 16.<br />

Jahrhundert in der katholischen Kirche dringender Reformbedarf<br />

bestand, man erkannte auch das zutiefst religiöse Anliegen des jungen<br />

Martin Luthers. Er war als junger Mönch mit <strong>den</strong> Erneuerungsbewegungen,<br />

die es auch schon vor ihm in der Kirche gab, vertraut.<br />

Er kannte und schätzte vor allem Augustinus<br />

und Bernhard von Clairvaux, <strong>den</strong> rheinischen Mystiker<br />

Johannes Tauler und die aus <strong>den</strong> Niederlan<strong>den</strong> kommende neue<br />

Laienfrömmigkeit und Laien-bewegung der Devotio moderna. Als<br />

Doktor, d.h. Professor des Neuen Testaments an der neu gegründeten<br />

Universität in Wittenberg, las er die Bibel im Sinn des damaligen<br />

Humanismus nicht durch die Brille der lateinischen Scholastik<br />

sondern in der hebräischen und griechischen Ursprache und <strong>über</strong>setzte<br />

sie wortgewaltig wie er war ins Deutsche. Ihm ging es in <strong>den</strong><br />

95 Ablassthesen, die er 1517 wohl nicht an der Schlosskirche von<br />

Wittenberg angeschlagen, sondern als Einladung zu einer akademischen<br />

Debatte verschickt hat, nicht um die Gründung einer separaten<br />

evangelischen Reform-Kirche, sondern um die Erneuerung der<br />

ganzen Kirche aus dem Evangelium. Er war sozusagen ein Reformkatholik,<br />

aber kein Reformator, und er hat sich auch später selbst nie<br />

so bezeichnet.

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