Leseprobe DankeFremder
Geschichte meiner Lebertransplantation
Geschichte meiner Lebertransplantation
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Danke Fremder für mein Leben<br />
Meine Lebertransplantation<br />
Kathrin Schröder<br />
<strong>Leseprobe</strong><br />
Auswahl typischer Kapitel<br />
Vorher<br />
Bis gut über meinen 50sten Geburtstag hinaus dachte ich, ich<br />
hätte meinen fairen Anteil an Krankheiten und Wehwehchen<br />
schon erhalten. Da ich immer wieder auch körperlich schwer<br />
gearbeitet hatte, waren es überwiegend Verschleißbeschwerden.<br />
Handgelenk, Mikrorisse im Ellenbogengelenk, die mich<br />
vor die Wahl stellten entweder in der Freizeit zu handarbeiten<br />
oder bei der Arbeit am Computer eine Maus zu nutzen;<br />
Probleme mit der Halswirbelsäule mit nachfolgendem Dauerkopfschmerz,<br />
Rückenprobleme und der leidige OP-Fehler<br />
in meiner Jugend, durch den ich den rechten Fuß nicht komplett<br />
bewegen kann. Damit sollte es reichen und ich war<br />
noch dankbar, erlebte ich bei meinem Mann doch das anstrengende<br />
Leben mit zahllosen Allergien, die zum Teil bis<br />
zur Notaufnahme führten.<br />
Kathrin Schröder, Velberter Str. 11, 40227 Düsseldorf, 0177-7881632 info@fraukain.de<br />
1
Danke Fremde/r für mein Leben<br />
Wir arbeiteten dabei fleißig in unseren eigenen Firmen, eine<br />
Salzgrotte mit 66 Stunden Öffnungszeit je Woche und ein<br />
Internetversand wollten betreut werden. Mittelfristig sollte<br />
der Versand kleiner und der Grottenumsatz zu unserem Lebensunterhalt<br />
werden, damit unsere Arbeit mit den Jahren<br />
leichter würde.<br />
Ich habe hierbei mehr Stunden und die ganze EDV-Arbeit,<br />
mein Mann immer stärker die körperlich anstrengenden Arbeiten<br />
geleistet. Solange beide einigermaßen einsetzbar waren,<br />
klappte das gut und mit nur einer zusätzlichen Halbtagskraft<br />
im Verkauf.<br />
So verging das Jahr nach meinem 50sten, geprägt von viel<br />
Arbeit, neuen Freunden, denen ich online und später real<br />
begegnete und einem Schicksalsschlag, der unerwartet im<br />
Herbst eintraf. Meine Mutter, sportlich, aktiv, mit großem<br />
Freundeskreis, die sich immer gesund ernährte und sehr auf<br />
sich achtete, verstarb plötzlich im Krankenhaus an unbekannter<br />
Ursache. Am Abend vorher hatten wir noch Zukunftspläne<br />
gemacht, am folgenden Morgen lag sie auf einmal<br />
tot im Bett, so plötzlich, dass neben ihr das Handy mit<br />
www.kathrin-schroeder.com<br />
2
Danke Fremde/r für mein Leben<br />
einer angefangenen SMS an eine Freundin lag. Sie schrieb,<br />
wie gut es ihr ginge, und starb, bevor sie auf Senden drücken<br />
konnte.<br />
Einerseits ein schwerer Schlag, andererseits hatte sie sich<br />
immer gewünscht nie ein Pflegefall zu werden. Eine einzige<br />
Sache bedaure ich versäumt zu haben, denn vor meinem<br />
letzten Besuch im Krankenhaus hatte ich kurz überlegt das<br />
geplante Weihnachtsgeschenk schon mitzunehmen mich<br />
aber dagegen entschieden. Ich hatte endlich mein seit Jahrzehnten<br />
geplantes Buchprojekt fertig geschrieben und die<br />
Geschichten aus meinem Buch biblischer Erzählungen für<br />
meine Mutter als Hörbuch aufgenommen. Leider hat sie so<br />
nie von diesem Buch erfahren und konnte sich nicht mit mir<br />
freuen. Eine harte Lektion gegen Aufschieberitis…<br />
Von allen Sterbefällen in meiner Familie war dies der, den<br />
ich trotz Abschied am Totenbett und in der Kapelle am wenigsten<br />
glauben konnte. Heute noch ertappe ich mich dabei,<br />
meine Mutter anrufen zu wollen um ihr eine Neuigkeit mitzuteilen.<br />
Nach dem Abschied im Krankenhaus funktionierten<br />
mein Mann und ich gut. Wir fuhren in ihre Wohnung,<br />
www.kathrin-schroeder.com<br />
3
Danke Fremde/r für mein Leben<br />
benachrichtigten das Beerdigungsinstitut und suchten die<br />
notwendigen Unterlagen zusammen. Nebenher rief ich noch<br />
alle Freunde und Verwandte aus ihrem Adressbuch an, um<br />
die traurige Nachricht weiterzugeben.<br />
Gemäß ihrem Wunsch hielten mein Mann und ich den Gottesdienst<br />
zur Trauerfeier und später im kleinen Kreis die Urnenbeisetzung,<br />
die wir in ihrer Wohnung mit von ihr gebackenem<br />
Kuchen aus der Tiefkühltruhe abschlossen. Die allgemeine<br />
Anteilnahme tat mir gut, aber Zeit blieb nicht, sich<br />
auf sich selbst zurückzuziehen und Trauer zu leben. Schon<br />
am Tag nach der Urnenbeisetzung fing unsere Hauptgeschäftszeit<br />
an, der Weihnachtsmarkt musste aufgebaut werden<br />
und bis Weihnachten arbeiteten wir beide fast rund um<br />
die Uhr. Nur die nötigste Zeit zum Schlafen oder Essen wurde<br />
als Freizeit eingeplant und zum Glück entdeckten wir auf<br />
dem Heimweg ein reizendes Bistro, das uns an Tagen mit<br />
langer Marktöffnungszeit gut über das Problem ausgewogener<br />
Ernährung half. So wurde es dann Weihnachten und ich<br />
wunderte mich nicht, dass ich gegen Marktende mit Rückenschmerzen<br />
zu kämpfen hatte.<br />
www.kathrin-schroeder.com<br />
4
Danke Fremde/r für mein Leben<br />
Aber die Tage zwischen den Jahren gingen ruhig vorbei, ein<br />
Notarzt war nicht erforderlich und am ersten Montag in 2015<br />
vereinbarte ich gleich für den Folgetag einen Termin beim<br />
Chiropraktiker.<br />
Mir ging es nicht gut, aber den einen Tag würde ich wohl<br />
noch schaffen, dachte ich mir. Nicht so mein Mann, der als er<br />
am späten Vormittag in die Grotte kam, sichtlich erschrak:<br />
Ich hatte seit dem Frühstück erkennbar an Umfang zugelegt,<br />
es selbst aber nicht bemerkt.<br />
So wurde ich dann ins Taxi gesetzt und zu meinem neuen<br />
Hausarzt gescheucht. Dort gab ein Ultraschall erste Informationen<br />
über eine große Menge Bauchwasser und ich wurde<br />
per Rettungswagen zur nächsten Notaufnahme gebracht.<br />
Das Marienhospital<br />
Gegen halb vier traf ich in der zugigen Notaufnahme ein. Zu<br />
diesem Zeitpunkt konnte ich weder sitzen noch stehen, sondern<br />
nur noch in ganz langsamen Schritten gehen. Zum<br />
Glück hatte ich ein Hörbuch dabei und lief mit diesem auf<br />
den Ohren über eine Stunde durch die Notaufnahme, bis ich<br />
www.kathrin-schroeder.com<br />
5
Danke Fremde/r für mein Leben<br />
endlich drankam. Der Blutdruck war extrem, der Bauch eindeutig,<br />
also wurden Blut entnommen und per Infusion<br />
Schmerzmittel und Blutdrucksenker verabreicht. Nach 1 ½<br />
Stunden ging es zurück in die Notaufnahme um auf die Ergebnisse<br />
zu warten. Laut Arzt stand fest, dass ich aufgenommen<br />
würde, Zugang war im Arm gelegt worden, so dass<br />
ich in der zugigen Atmosphäre ohne Jacke und Pullover nur<br />
im Shirt sitzen sollte. Nach Rückfrage erhielt ich eine Papierdecke<br />
und gab meinem Mann telefonisch durch, was ich für<br />
den geplanten kurzen Krankenhausaufenthalt von zu Hause<br />
brauchen würde.<br />
Als er nach dem Feierabend der Grotte eintraf, wartete ich<br />
noch immer. Mehrere Erinnerungen brachten nichts, gegen<br />
Mitternacht störte ich dann die Ärzte in ihrem Pausenzimmer<br />
mit meinem nicht ganz so freundlichen Hinweis, entweder<br />
solle mich jetzt ein Arzt einweisen oder der Zugang gezogen<br />
werden, damit ich wenigstens in mein Bett zu Hause<br />
könne. Ein Arzt erbarmte sich, zog den Zugang und als ich<br />
gerade gehen wollte, erfuhr ich, dass ein Bett gefunden sei<br />
und ich bleiben müsse.<br />
www.kathrin-schroeder.com<br />
6
Danke Fremde/r für mein Leben<br />
Glücklich gegen 2 Uhr lag ich darin, erhielt Schmerz- und<br />
Schlafmittel und schlief schnell ein. Das Notbett war in der<br />
Augenabteilung und die ersten 1 ½ Tage passierte nichts.<br />
Ultraschall und Blutbild waren nicht eindeutig und das CT<br />
war erst am 7. frei. Ich fühlte mich unsicher und ängstlich<br />
und suchte Zuwendung. Gerne hätte ich auch mit dem<br />
Krankenhausseelsorger gesprochen, aber die Schwestern in<br />
der Augenstation konnten mir die Durchwahlnummer nicht<br />
geben. So hängte ich mich in der Besuchszeit an meinen<br />
Mann um ein wenig Kraft und Zuversicht zu bekommen und<br />
außerhalb der Besuchszeit chattete ich mit allen engen<br />
Freunden um mich abzulenken und auch hier Zuwendung<br />
zu bekommen.<br />
Am 6. Januar wurde ich noch zu allen Untersuchungen auf<br />
meinen eigenen Beinen geschickt, am 7. dann ins CT geschoben<br />
und danach war ich auf einmal ein besonderer Patient.<br />
Der Professor verlegte mich auf die Innere, schön im 7. Stock<br />
über den Dächern von Düsseldorf gelegen, ein Zweibettzimmer<br />
mit einer reizenden Zimmergenossin. Er warf mir<br />
ein paar Fachbegriffe um die Ohren, die ich mangels Erklä-<br />
www.kathrin-schroeder.com<br />
7
Danke Fremde/r für mein Leben<br />
rung dann selbst googelte. Ich hatte Budd Chiari, eine seltene<br />
Erkrankung, die eine teilweise oder wie bei mir vollständige<br />
Leberthrombose der kleinen Lebervenen bedeutet. Diese<br />
Krankheit führt laut Internet in unterschiedlicher Geschwindigkeit<br />
zur Leberzirrhose und damit zur notwendigen<br />
Transplantation. Laut Erfahrungsberichten zwischen 1-2<br />
Monaten und 20 Jahren…. Der Arzt redete von akuter Lebensgefahr,<br />
da unklar war inwieweit die Herzvene auch betroffen<br />
war und merkwürdigerweise wurde ich in dem Moment<br />
ruhiger.<br />
Als mir bewusst wurde, wie ernst meine Krankheit war,<br />
konnte ich sie abgeben. Ich war zwar gläubig, aber eine echte<br />
persönliche Beziehung zu Gott war für mich eher fremd und<br />
ungewohnt. Jetzt in der Krankheit schaffte ich es von einem<br />
zum anderen Moment nicht nur mit Worten zu beten, sondern<br />
wirklich zu denken, dass mein Weiterleben nicht mehr<br />
in meiner Entscheidung und meiner Hand liegen sollte. Aus<br />
vollem Herzen dachte und sagte ich: Es war ein gutes Leben<br />
und ob es jetzt endet oder weitergeht, es ist gut wie es ist.<br />
www.kathrin-schroeder.com<br />
8
Danke Fremde/r für mein Leben<br />
Leider zählte mein Arzt nicht zur erklärenden Sorte, jedes<br />
Wort musste ich ihm aus der Nase ziehen und Trost und<br />
Aufbau der Patienten gehörte auch nicht zu seinem Repertoire.<br />
Hilfreich für mein Wohlbefinden ist es nicht, wenn er<br />
ständig nur erzählt wie lebensbedrohend die Krankheit ist,<br />
wenn nicht dies oder jenes von ihm gelöst wird. Notwendige<br />
Untersuchungen oder auch solche, die einzelne Aspekte der<br />
Krankheit prüfen sollten, delegierte er gern und legte die<br />
Ergebnisse dann aufs Schärfste aus, so dass kleine Verzögerungen<br />
in Reaktionstests gleich zu Hirnproblemen mutierten.<br />
Ärzte anderer Fachrichtungen, die in das Ursachenforschungsverfahren<br />
oder in Detaildiagnosen mit hereingezogen<br />
werden mussten, waren in seinen Augen lästig oder nahezu<br />
überflüssig. Der Hämatologe, der zur Ursachenforschung<br />
mein Knochenmark untersuchen ließ, bekam z.B. im<br />
Labor zunächst eine Analyse mit den Worten gestrichen: Das<br />
kann es sowieso nicht sein.<br />
So lernte ich viele schöne Fremdwörter, die ich nie kennen<br />
wollte:<br />
www.kathrin-schroeder.com<br />
9
Danke Fremde/r für mein Leben<br />
Aszites (Bauchwasser), Budd Chiari (Lebervenenthrombose),<br />
Vena Cava (große Vene zwischen Herz und Leber, die offen<br />
bleiben muss), Faktor V Leiden (Blutkrankheit, die Thrombosen<br />
wahrscheinlicher macht), Jak2 (weitere Blutkrankheit mit<br />
denselben Folgen).<br />
Viele Dinge sind viel weniger schlimm als befürchtet, z.B.<br />
Knochenmarksbiopsie – bis auf die schöne Geschwulst, die<br />
mich 2 Wochen lang erfreute; Spiegelung von Speiseröhre<br />
und Magen – bei beiden schlief ich gut und fest. Natürlich ist<br />
auch ein Opiumpflaster hilfreich alles entspannt zu sehen.<br />
Ich durfte zwar die Station nicht verlassen, konnte aber zum<br />
Glück auf dem Flur spazieren gehen, so dass meine Muskulatur<br />
unbeeinträchtigt blieb.<br />
Es ging mir eigentlich recht gut – ich ging einfach davon aus,<br />
mein Verlauf würde eher zu den besonders Positiven gehören<br />
und körperlich war alles dann doch erträglich, nachdem<br />
man mich um einiges Wasser erleichtert hatte.<br />
Nach knapp 3 Wochen wurde ich entlassen und schlug zum<br />
großen Leidwesen des Professors die Folgebehandlung<br />
durch ihn aus. Medizinisch war er sicher gut, menschlich<br />
www.kathrin-schroeder.com<br />
10
Danke Fremde/r für mein Leben<br />
konnte ich mit ihm nicht warm werden. Der Hämatologe<br />
hingegen gefiel mir und hier machte ich auch gleich den Folgetermin<br />
aus. Zum Glück hatte ich auch schon den richtigen<br />
Leberspezialisten durch meinen Mann und seinen Lieblingsarzt<br />
finden lassen und war auch mit der Wahl zufrieden. Ein<br />
Arzt, dem man Fragen stellen und Probleme erzählen kann<br />
und der sich so viel Zeit nimmt wie tatsächlich für mich<br />
notwendig ist.<br />
1.Mittwoch im März<br />
Nach allgemeiner Planung sollte der Tag wie folgt verlaufen:<br />
Aufwachen, Frühstück, große Visite mit Diskussion über den<br />
möglichen Stent und Absprache um vor der Messe zur Monatsmitte<br />
noch einmal so viel Wasser abzulassen, dass ich 4<br />
Messetage mit Standdienst und Lesungen gut und glücklich<br />
absolvieren könne.<br />
Meiner Erinnerung nach verlief der Tag so: Ich träumte von<br />
einem Kampf mit meinem Mann, der mich nicht zur Toilette<br />
lassen wollte. Er hielt mich im Bett fest und erklärte mir ich<br />
dürfe nicht aufstehen und das habe alles seine Richtigkeit.<br />
www.kathrin-schroeder.com<br />
11
Danke Fremde/r für mein Leben<br />
Als ich dann die Augen öffnete war ich in einem fremden<br />
Krankenhaus an Geräte angeschlossen und mein Mann saß<br />
an meinem Bett. Die Station war laut, Geräte fiepten, Menschen<br />
schrien, Türen waren offen und mein gemütliches Einbettzimmer<br />
hatte sich in ein Zweibettzimmer mit einem Paravent<br />
dazwischen verwandelt. Statt über die Dächer von<br />
Bilk schaute ich auf einen fremden Krankenhauskomplex in<br />
einen Hinterhof.<br />
Als ich richtig wach war, erzählte mir Christian wie der Tag<br />
verlaufen war:<br />
Morgens hatten mich die Pfleger bewusstlos und nicht ansprechbar<br />
vorgefunden, die Ärzte hatten eine Hirnvergiftung<br />
durch Ammoniak, die sogenannte Enzephalopathie diagnostiziert.<br />
Dies bedeutet, dass ich über Nacht eine Leberzirrhose<br />
bekommen hatte und mein Körper sich jetzt selbst vergiftet.<br />
Umgehend wurde ich in die Intensivstation verlegt, bekam<br />
einen Blasenkatheder und eine Infusion mit Gegenmitteln<br />
gegen die Vergiftung. Mein eilig herbeigerufener Mann half<br />
in den kurzen halbwachen Momenten, in denen ich mir einbildete<br />
zur Toilette zu müssen und das Bett verlassen wollte.<br />
www.kathrin-schroeder.com<br />
12
Danke Fremde/r für mein Leben<br />
Die Information über den Katheder hatte ich weder gehört<br />
noch verstanden.<br />
Als die Ärzte mich stabilisiert hatten, wurde ich mit einem<br />
Krankenwagen, der auch eine Behandlung unterwegs ermöglichte<br />
ins Transplantationszentrum nach Essen gebracht.<br />
Eingeliefert wurde ich in die sogenannte Übergangsstation;<br />
eine Art Vorstufe zur Intensivstation, in der Diagnose und<br />
mögliche Therapie geklärt wurden, eine Überwachung in<br />
Form der Intensivmedizin aber gewährleistet war.<br />
Die Station war laut und distanzlos. Jedes Gerät gab Alarmtöne<br />
von sich, wenn etwas nicht stimmte, unterschiedslos ob<br />
ein Tropf durchgelaufen war oder ein Messwert aus dem<br />
Ruder geriet. Ich teilte mein Zimmer mit einem Mann, der<br />
Dauerinfusionen erhielt und beim Dauerton am Ende der<br />
Infusion nicht nach den Pflegern klingelte. Leider brauchte<br />
ich einige Zeit ehe ich begriff, was den durchdringenden<br />
Pfeifton tags oder nachts verursachte, so dass ich dann für<br />
ihn alarmieren konnte.<br />
Am Mittwoch nervte der Lärm, klar war, dass ich eine Weile<br />
bleiben müsse, weil entweder Stent oder Transplantation<br />
www.kathrin-schroeder.com<br />
13
Danke Fremde/r für mein Leben<br />
jetzt akut würden. Wir versuchten meine Arbeiten in der<br />
Firma so gut wie möglich zu erklären und zu übergeben, ich<br />
hatte nur dieses Mal nicht die Kraft mir Sorgen zu machen.<br />
Ich fragte zwar, ob alles liefe, habe aber innerlich den ganzen<br />
Packen abgegeben und die Verantwortung gemeinerweise<br />
einfach auf Christian allein übertragen.<br />
In meiner Erinnerung schlief ich in jener Nacht nicht, ließ<br />
mich vom Fernseher beschallen und von der kaum geminderten<br />
Lärmkulisse sowie dem Pflegepersonal zwecks Blutabnahme<br />
um den Schlaf bringen.<br />
Nahrung und Medizin<br />
Es gibt keine Erinnerung, wann ich die erste Nahrung, das<br />
erste Wasser bekam. Die Bilder und Erzählungen haben keine<br />
Chronologie und ich kann nicht sagen, was wahr und was<br />
von der Fantasie vorgegaukelt wurde. Irgendwann bot man<br />
mir Minztee im Schnabelbecher an. Wenn ich ihn wollte<br />
stand er ewig, bis irgendjemand entschied, die Temperatur<br />
sei zum Trinken geeignet. Leider war der Tee dann immer so<br />
kalt, dass einfaches Wasser mir doch besser mundete.<br />
www.kathrin-schroeder.com<br />
14
Danke Fremde/r für mein Leben<br />
Ich weiß nicht wie viel Zeit zwischen dem letzten Tag vor<br />
der OP verging, als es hieß: 1 Becher Wasser sei alles, was ich<br />
bis zur OP trinken dürfe – und dem Tag, wo ich das erste<br />
Mal mit Lust ein paar Schlucke zu mir nahm. Ich hatte Durst,<br />
Mund und Hals waren trocken, aber was der Körper brauchte,<br />
erhielt ich als Transfusion. Für den Mund gab es ein<br />
feuchtes Spray und irgendwann dann abgezählt Wasser. Es<br />
gab aber keinen Nachtschrank, keinen Tisch und keine Klingel.<br />
Wenn ich also ein Getränk bekam, hatte ich nur die<br />
Wahl: Trinken, bevor es wieder unerreichbar steht. Zwischen<br />
meinen flatternden Fingern und meinem Körper so fixieren,<br />
dass der Mund irgendwie den Strohhalm erwischt und hoffen,<br />
dass weder der Becher kippt noch ich beim Trinken einschlafe.<br />
Irgendwann fing es mit dem Essen an – allerdings mit dem<br />
Umweg, dass zuerst die Medikamente kamen. Mittel gegen<br />
die mögliche Abstoßung, riesige Tabletten mit einer Schutzschicht,<br />
die mir das Schlucken schwer machte oder widerlich<br />
schmeckende Tropfen, die mit Wasser verdünnt wurden und<br />
immer noch unsäglich schmeckten. Man versuchte mir diese<br />
www.kathrin-schroeder.com<br />
15
Danke Fremde/r für mein Leben<br />
rein zu zwingen, aber nur mit Wasser verweigerte die komplette<br />
Schluckmechanik den Dienst. Ich konnte mich anstrengen<br />
wie ich wollte, ich würgte nur alles wieder heraus.<br />
Einige Ärzte und Pfleger reagierten aggressiv, mehrmals<br />
wurde mir vorgehalten, da habe jemand für mich sein Leben<br />
verloren, sein Organ gegeben, ich hätte jetzt die Verantwortung<br />
dieses Organ zu schützen. Ich kann nicht sagen, wie oft<br />
dieser oder ein ähnlicher Satz fiel oder wie oft ein Arzt sagte,<br />
wenn Sie die Mittel nicht herunterbekommen, müssen wir<br />
wieder eine Magensonde legen. Ich habe mich angestrengt,<br />
aber mein Unterbewusstsein und meine Schluck- und<br />
Würgreflexe waren nicht unter meiner Kontrolle. Ich konnte<br />
auch nichts tun, denn meine Hand konnte weder Tablette<br />
noch Becher halten, verschüttete alles, was sie griff. Mit viel<br />
Mühe kamen wir zu der Lösung Wackelpudding. Jede Tablette<br />
mit einem halben Löffel garniert. Keine Flüssigkeit,<br />
entweder Tablette oder Pulver schlucken und alles schön<br />
kaschiert in dem leicht zu schluckenden süßen Zeug. Kein<br />
Pudding oder Joghurt, der schmeckte nach Milch und in<br />
www.kathrin-schroeder.com<br />
16
Danke Fremde/r für mein Leben<br />
Verbindung mit Medizin für mich nach verdorbener Milch,<br />
das ging nicht.<br />
Das Krankenhaus hatte Wackelpudding aber zwei Becher am<br />
Tag für einen Patienten auf Intensiv waren nicht vorgesehen,<br />
mein Mann brachte Nachschub, man lagerte den ein und hin<br />
und wieder verschwand ein Becher trotz Namensmarkierung.<br />
Kein Pfleger hatte die Zeit mir in meinem Tempo die Medizin<br />
zu geben, auch mit dem Pudding schluckte ich zu langsam<br />
und sollte ja auch langsam feste oder vielmehr halbflüssige<br />
Nahrung zu mir nehmen. Eine Mitarbeiterin aus dem<br />
Balkan, die zur Unterstützung des Pflegepersonals auf der<br />
Station war, hat mir mit einer Engelsgeduld Medizin, Wackelpudding<br />
und Suppe eingeflößt. Es dauerte Stunden und<br />
das nicht nur gefühlt, aber das erste Mal konnten wir mit<br />
Stolz vermelden: Sie hat alle Medizin geschluckt. Ein paar<br />
Tage lang war diese Kraft die Einzige, die mir beim Schlucken<br />
helfen konnte. Sie organisierte mir Suppen und dann<br />
püriertes Essen und half mir dann auch die ersten Essversuche<br />
mit eigenen Händen zu machen. Die Schweinerei war<br />
www.kathrin-schroeder.com<br />
17
Danke Fremde/r für mein Leben<br />
gigantisch, meine Hände zitterten und selbst ein Bissen Kuchen<br />
fiel mit dreimal herunter, ehe ich den Mund fand.<br />
Meinem Mann erzählte jemand diese Mahlzeiten habe es<br />
nicht gegeben, aber meine Erinnerung ist mit so konkreten<br />
Personen und ersten Gesprächen gefüllt, ich schmecke die<br />
Nahrung und das bittere Pulver und ich bin mir sicher, die<br />
Geschichte war real.<br />
Leider gab es wohl nicht eine zentrale Dokumentation, in der<br />
jemand einfach aufschrieb, auf welche Art die Einnahme bei<br />
mir klappte. Trotz meiner zitternden und ungenauen Sprache<br />
musste ich so lange ich in der Klinik war, immer wieder<br />
erklären, dass ich zur Einnahme Wackelpudding und die<br />
Medizin keinesfalls in Form von Tropfen brauchte.<br />
In jener Zeit hatte ich schwere Träume, die sich fast real anfühlten.<br />
Merkwürdige Ärzte, die ich nur dort traf, erklärten<br />
mir Wirkweise und Vorgehen der Immunsuppressiva. In den<br />
Träumen gab es auch den aggressiven Tonfall der überarbeiteten<br />
Mitarbeiter, die zwischen Verweigerung und Unfähigkeit<br />
nicht unterscheiden konnten. Aber in den Träumen gab<br />
es entschieden mehr Zeit. Mir wurden Zusammenhänge er-<br />
www.kathrin-schroeder.com<br />
18
Danke Fremde/r für mein Leben<br />
klärt, zwar in haarsträubenden Erklärungen aber doch so,<br />
dass ich mich damit zufrieden gab. Erst Tage und zum Teil<br />
Wochen später verstand ich, dass alle Erklärungen Blödsinn<br />
meiner benebelten Fantasie gewesen waren. Genauso wie ich<br />
verstand, dass manche Ärzte und Pfleger zwar am Anfang<br />
etwas ungeschickt auf meine Schluckbeschwerden reagiert<br />
hatten, jetzt aber in der Visite nicht genug betonen konnten,<br />
wie gut ich mich zwischenzeitlich gemacht hatte.<br />
<strong>Leseprobe</strong> aus dem zweiten Teil von Christian Schröder<br />
Die Transplantation<br />
Mittwochmorgen kurz nach 7, das Telefon klingelt. Kathrin<br />
war an der Leitung: „Ich werde heute transplantiert.“ Halleluja,<br />
es ist soweit! Ich machte mich gleich auf den Weg, aber<br />
ein bisschen dauerte es doch und der Morgenverkehr raubte<br />
die letzte Chance Kathrin noch zu sehen.<br />
Um kurz nach 9 erfuhr ich auf der Medicare-Station nur<br />
noch, dass Kathrin schon in der Operationsvorbereitung war<br />
und dass ich sie nicht mehr sehen konnte. Ich erhielt noch<br />
einen Beutel mit Kathrins Sachen und wurde mit den besten<br />
www.kathrin-schroeder.com<br />
19
Danke Fremde/r für mein Leben<br />
Wünschen herauskomplementiert. Gut, man bot mir noch<br />
an, dass ich um kurz nach 15 Uhr auf der Station nachfragen<br />
könne, wie es stehe.<br />
Da steh ich nun ich armer Tor, was mach ich nun? An sich<br />
war das eine blödsinnige Frage, die ich mir stellte, denn für<br />
mich war schon lange vor diesem Moment klar, dass ich am<br />
Tag der Operation Kathrin nahe sein wollte. Also war klar,<br />
dass ich auf dem Klinikgelände blieb. So telefonierte ich mit<br />
der Familie und meine Nichte Tina versprach mir, sich einige<br />
Zeit freizuschaufeln um mich zu unterstützen. Nun hieß es<br />
warten, warten, hoffen und beten. Dabei erkundete ich das<br />
Unigelände und kam im Operationszentrum II in die Cafeteria<br />
und frühstückte dort in dem Wissen, dass zwei Stockwerke<br />
unter mir, wie Reinhard Mey es mal beschrieben hat<br />
„Ärzte mit all ihrer Kunst und Meisterschaft um ein Leben<br />
ringen“. Diesmal war es aber nicht irgendein Leben, sondern<br />
es war Kathrins Leben und ich wollte sie nicht verlieren.<br />
Meine Gedanken kreisten aber nicht nur um Kathrin, sondern<br />
ich musste genauso oft an den Menschen denken, dessen<br />
Tod nun Kathrins Leben bedeuten sollte. Ich betete für<br />
www.kathrin-schroeder.com<br />
20
Danke Fremde/r für mein Leben<br />
Kathrin, für den verstorbenen Spender und für dessen Familie.<br />
Ich konnte es intensiv spüren, wie es dieser Familie gehen<br />
musste. Sie hatte nicht mehr wie ich eine Hoffnung, sondern<br />
für sie war der Abschied unumstößlich. Ich betete, dass<br />
diese Familie Menschen finden würde, die ihr beistehen, so<br />
wie ich auch Menschen hatte, die mit mir alles durchstanden.<br />
Ich betete aber auch für den Spender, dass dieser heim zu<br />
Gott käme und dort mit offenen Armen empfangen würde.<br />
So verbrachte ich die nächste Zeit auf dem Gelände und genoss<br />
auch den schönen sonnigen Tag, der mir auch Mut<br />
machte. Überhaupt, ich spürte keine Unruhe. Ich wurde getragen<br />
von den Gebeten von all den Menschen, die jetzt bei<br />
mir und Kathrin waren und durch ihr Gebet mir Kraft<br />
schenkten. Manfred Siebald schrieb einmal in einem Lied:<br />
„Beten ist reden mit Gott und Hören, Beten kann Sorgen in<br />
Freuden kehren. Gott hat versprochen Gebet zu hören; bete<br />
und nimm ihn beim Wort.“ Mir war dies lange nicht mehr so<br />
bewusst gewesen und ich hatte es lange nicht mehr so intensiv<br />
gespürt wie an diesem Morgen. Am späten Vormittag<br />
kam dann auch noch die persönliche Unterstützung. Tina<br />
www.kathrin-schroeder.com<br />
21
Danke Fremde/r für mein Leben<br />
hatte ich zwei Stunden frei schaufeln können und das gab<br />
mir zusätzlich Kraft. Überhaupt Tina und ich haben uns immer<br />
eher wie Bruder und Schwester gefühlt, als wie Onkel<br />
und Nichte.<br />
Jetzt in der Zeit rund um die Transplantation war mir das<br />
noch einmal richtig bewusst geworden und ich war dankbar<br />
für meine kleine Schwester. Auch die Zeit mit Tina ging vorbei<br />
und ich beschloss den Tag zu genießen so gut es ging.<br />
Also wanderte ich auf das Grugagelände. Hier war so richtig<br />
das Aufbrechen der Natur zu spüren und ich konnte auch<br />
daraus Hoffnung schöpfen. Kraft gaben mir auch die Anrufe,<br />
die ich zwischendurch erhielt wie z.B. von meinem Neffen<br />
Bastian und meiner Schwester Ingrid, die intensiv für mich<br />
und Kathrin betete. Leider musste ich meinen Aufenthalt in<br />
der Gruga schneller abbrechen als geplant, weil zwischenzeitlich<br />
anscheinend ein Funkloch auf dem Gelände war und<br />
ich in jedem Fall erreichbar bleiben musste, falls irgendetwas<br />
mit Kathrin war.<br />
So ging ich in ein Bistro an der Klinik und beantwortete das<br />
erste Mal in meinem Leben die Anfragemails unserer Ama-<br />
www.kathrin-schroeder.com<br />
22
Danke Fremde/r für mein Leben<br />
zon-Kunden selbst. Kathrin hatte mir noch gesagt, dass da<br />
einiges aufgelaufen sei und dass sich jemand darum kümmern<br />
müsste. Das war jetzt wichtig, da Kathrin nicht ansprechbar<br />
war, mussten wir neue Lösungen finden. Wir hatten<br />
am Wochenende damit angefangen den Versand zu organisieren.<br />
Zum Glück waren Freunde dabei, die Ahnung<br />
von EDV hatten und die mir geholfen haben Lösungen zu<br />
finden. Ein seltsames Gefühl, dass jetzt ich, der sein Leben<br />
lang Schreibmaschine gehasst hat und auch einen Computer<br />
nur als Schreibmaschine sieht jetzt schreiben musste. Lieber<br />
30 LKWs entladen, als 3 Stunden am Schreibtisch sitzen.<br />
Andererseits machte ich es jetzt auch ganz gern, denn es<br />
lenkte ab. Am Ende kam dann doch eine gewisse Unruhe,<br />
die auch noch verstärkt werden sollte. Als ich um kurz nach<br />
3 bei der Station anfragte hieß es: Nein, wir haben noch<br />
nichts gehört, gehen Sie schon mal zur Intensivstation und<br />
fragen Sie dort nach.<br />
Auf der Intensivstation sprach ich mit einem Arzt, der mir<br />
sagte: Es tut mir leid, sie ist noch nicht angemeldet, d.h. die<br />
Operation läuft noch. Ehe sie nicht angemeldet ist, erfahren<br />
www.kathrin-schroeder.com<br />
23
Danke Fremde/r für mein Leben<br />
wir nichts. Fragen Sie noch einmal in zwei Stunden nach. Oh,<br />
der Dienst nach Vorschrift. Natürlich steht der Patient im<br />
Mittelpunkt. Das ist auch ganz in meinem Interesse, aber es<br />
wäre gut, für die Angehörigen, die mitzittern einen Anlaufpunkt<br />
zu haben, wo sie Informationen bekommen und nicht<br />
gezwungen zu sein alles selbst zu recherchieren und quasi<br />
um jede Information zu betteln. Bei Operationen, bei denen<br />
es um Leben und Tod geht würde keiner Klinik ein Zacken<br />
aus der Krone fallen, wenn ein Raum existieren würde, in<br />
dem Angehörige, die warten möchten, zur Ruhe kommen<br />
können und ab und zu eine Information bekommen, wie es<br />
steht. Das könnte viel Nervosität und Angst vermeiden. Der<br />
Patient ist die Hauptperson, aber es gibt auch uns Partner<br />
und wir sind keine Roboter.<br />
Die Operation, von der sie mir morgens gesagt hatten, dass<br />
sie bis etwa 3 Uhr gehen würde und dass Kathrin etwa viertel<br />
nach drei auf der Intensivstation sein würde, lief noch.<br />
In diesem Moment kam ich doch ins Grübeln: Gab es Komplikationen,<br />
ist doch etwas schiefgelaufen. Sehen Sie liebe<br />
Ärzte, da wäre Information hilfreich. Da es keine Informati-<br />
www.kathrin-schroeder.com<br />
24
Danke Fremde/r für mein Leben<br />
on gab, ging ich die letzten zwei Stunden dann noch einmal<br />
ins Bistro, trank einen Kaffee, schrieb noch ein paar Mails,<br />
hatte Ruhe und Unruhe, es war eine Berg- und Talfahrt.<br />
Um kurz nach halb sechs war ich wieder an der Intensivstation.<br />
Es hieß dort: Nur einmal klingeln. Es kam noch ein anderer<br />
Mann, der erzählte, er besuche hier seine Lebensgefährtin,<br />
ob ich schon geklingelt habe. Es verging die Zeit und<br />
verging die Zeit, der eine oder andere kam heraus, es dauerte<br />
und dauerte und niemand ließ uns rein. Nach 25 Minuten<br />
fragte jemand, ob wir geklingelt hatten, sie hätten nichts gehört,<br />
egal jetzt durften wir rein in Allerheiligste.<br />
Kurz nach halb 6 war ich auf der Intensivstation und hatte<br />
darum gebeten, dass ich zuerst mit einem Arzt sprechen<br />
könnte. Das war ein Oberarzt, der sich als erster Arzt in Essen<br />
die Zeit nahm mich ausführlich zu informieren. Schön,<br />
dass es auch solche Ärzte gibt. Er erklärte, dass bei der<br />
Schwere der Operation es nicht selten vorkommt, dass es zu<br />
Nierenversagen kommt und dass ich nicht erschrecken sollte,<br />
falls in den nächsten Tagen vielleicht eine Dialyse hinzukommt.<br />
Vielleicht könne es zwei oder drei Tage dauern, bis<br />
www.kathrin-schroeder.com<br />
25
Danke Fremde/r für mein Leben<br />
Kathrin aus der Narkose vollständig erwach. Das soll mich<br />
nicht beunruhigen, aber es sei enge, es stehe auf Messers<br />
Schneide. Damit der Kreislauf weiter arbeiten kann, bekomme<br />
sie eine so hohe Dosis Medikamente, wie sonst nur bei<br />
der Reanimation eingesetzt würden. Ok, das musste ich irgendwie<br />
verdauen. Ein Stoßgebet, dann stand ich das erste<br />
Mal in der Intensivstation an Kathrins Bett. Eine Stunde Zeit<br />
hatten sie mir gegeben. Diese Stunde wollte ich nutzen für<br />
das, über das die Psychologen und die Ärzte sich schon lange<br />
streiten. Kann man, wenn man in der Narkose ist, wenn<br />
man im Koma ist, etwas mitbekommen oder auch nicht. Ich<br />
gehe noch immer davon aus, dass Menschen im Unterbewusstsein<br />
immer etwas mitbekommen. Deshalb war es einfach<br />
wichtig, dass ich Kathrin gestreichelt habe, dass ich ihr<br />
gesagt habe, dass ich sie liebe, dass ich mit ihr kämpfe und<br />
dass es weiter gehen wird.<br />
Hoffen – beten – kämpfen – glauben – Kathrin stärken. Das<br />
konnte und das musste ich jetzt tun Nicht nur in der einen<br />
Stunde, sondern die nächste Zeit bis sich zeigen würde, wohin<br />
die Reise geht. Eine Stunde ist rasend schnell vorbei,<br />
www.kathrin-schroeder.com<br />
26
Danke Fremde/r für mein Leben<br />
wenn du am Bett deines Schatzes stehst. Wenn du sehen<br />
musst, wie Schläuche sie beatmen und mit allem lebenswichtigem<br />
versorgen und du nicht weißt, ob du sie noch einmal<br />
ohne all diese Hilfsmittel erleben wirst. Angst – Hoffnung –<br />
Gottvertrauen. Ich glaube, das beschreibt am besten mein<br />
Innenleben als ich an diesem Abend die Intensivstation verließ.<br />
Ich wusste da noch nicht, dass mich dieses Gefühl noch<br />
lange Tage begleiten sollte bis es das Signal zur Entwarnung<br />
geben würde. An diesem Abend konnte ich allen nur sagen:<br />
„Sie lebt, alles andere müssen wir abwarten.“ Trotzdem kam<br />
immer wieder die Dankbarkeit durch. Dankbarkeit für Gottes<br />
Führung bis zu diesem Moment. Dankbarkeit für und<br />
gegenüber dem Spender. Dankbarkeit für all die Hilfe, die<br />
mich erreichte und stärkte. Ich weiß nicht, wie ich ohne meinen<br />
Glauben diesen Tag durchgestanden hätte. Ich weiß nur,<br />
dass ein Halt in der Ewigkeit unendlich viel Kraft gibt und<br />
dass diese Kraft durch all die Beter, die hinter Kathrin und<br />
mir standen alles andere möglich machten.<br />
Ich hoffe und bete, dass die Familie des Spenders genauso<br />
getragen wird und dass sie einen guten Weg in die Zukunft<br />
www.kathrin-schroeder.com<br />
27
Danke Fremde/r für mein Leben<br />
ohne den geliebten Menschen finden werden. Ich bitte Gott,<br />
dass er den Spender segnet und heim in sein Reich nimmt.<br />
Ende der <strong>Leseprobe</strong><br />
Alle fachspezifischen Begriffe sind in einem abschließenden<br />
Glossar erklärt<br />
2 Beispiele:<br />
Medicare-Station<br />
"kleine" Intensivstation, auch hier mit kompletter<br />
Überwachung der Körperfunktionen aber noch mit<br />
teilmobilen Patienten - gern als Vorstufe vor schweren<br />
Operationen<br />
MELD-Score<br />
gibt den Schweregrad einer Lebererkrankung für die Listung<br />
für eine Transplantation an ·<br />
www.kathrin-schroeder.com<br />
28