46 <strong>Bremen</strong> Kochkurs bei Madame Hô`
Gerald Sammet Da stehe ich also, immer noch in dem Glauben, ich hätte schon mal ganz passabel gekocht, für meine Verhältnisse jedenfalls, und liege, wie ich soeben lerne, damit nicht einmal falsch. Die Kochschürze, noch schneeweiß, binde ich mir jetzt um, der Begrüßungsdrink, Champagner, das vermute ich jedenfalls, schimmert für das, was ich auch vermute, eine Spur <strong>zu</strong> gedämpft rot in unseren Gläsern, wir haben uns eben erst unserer Mäntel entledigt, wurden per Handschlag begrüßt, ziehen, so fängt ein Kochkurs an, bei dem nichts dem Zufall überlassen bleibt, alle ein Los. Meines ist unmissverständlich: Rehkeule, von einem Seckenhausener Reh, und was es gleich <strong>zu</strong> begreifen gibt, ist genau das, was mir noch fehlte: Wie löst man dieses Stück Fleisch und Knochen so aus, dass man alles präsent hat für ein perfektes Gericht. Bisher hatte das für mich der Metzger meines Vertrauens erledigt. Das darf, erfahren wir, auch so bleiben, vorausgesetzt, der weiß, woher das Stück stammt. Regionale Produkte, wie in diesem Fall, das ist keine Glaubensfrage, sondern Teil der Küchenpraxis, für die Luka Lübke steht. Kurze Wege, der Frische wegen. Wo lebte, wie lebte das Tier? Keine Abhängigkeit von anonymen Lieferanten, persönliche Kontakte, Einkauf von Ware nur nach saisonalen Kriterien. Eigentlich selbstverständlich, letzteres vor allem, aber auch auf dem Markt für Wildprodukte wird mittlerweile jede Art von Gefrierfleisch verschoben. Ein Weihnachtsmenü soll an diesem Novembertag entstehen, in fünf Gängen, die Küche wirkt noch sehr aufgeräumt, das wird sich schnell ändern. Ein paar Minuten parlieren wir noch, nippen von dem rötlich schimmernden Apéritif, der seine warm nachklingende Schärfe karamellisierten Habaneros verdankt, Früchten mexikanischer Herkunft, die man für gewöhnlich nur mit einem Warnhinweis auf der Packung erhält. Die Zunge bleibt in diesem Fall jedoch heil; das Getränk ist auf eine regelrecht verzaubernde Weise auskomponiert, nahe<strong>zu</strong> im Gleichgewicht, was die Bestandteile angeht, aber eben doch mit dieser winzigen, den entscheidenden Akzent setzenden Verschiebung <strong>zu</strong>r Schärfe. Einiges von der Art, wie man bei Madame Hô` die Kochkunst angeht, ist damit schon gesagt: asiatisch inspiriert, aber geradlinig beim Umgang mit den Grundsubstanzen, ohne große Effekthascherei. Nicht überrumpelt, überrascht soll man werden. Was folgt, darf in aller Unschuld Küchenschlacht genannt werden. Die Beteiligten: 12 Schüler, für ein paar Stunden in diesen Status <strong>zu</strong>rückgekehrt, weil sie das wollten, da<strong>zu</strong> drei vom Lehrpersonal aus der Küche des Hauses, die, <strong>zu</strong>m Glück für uns alle, deutlich mehr vom Handwerk verstehen, ohne sich das anmerken <strong>zu</strong> lassen, und eine Kraft an der Bar, für den Fall, dass wir zwischendurch mal ein Glas Wein brauchen sollten, für uns. Dass der Wein für den Topf, lernen wir dabei, exakt der sein muss, den man sich auch sonst gönnt, gehört ins Reich der Legenden. Ein billiger tut es auch, einfach, weil die individuellen Geschmacksnoten beim Einkochen verfliegen. Wir legen los, ich mit meinem Reh und mit der Entdeckung, dass das Entbeinen der Keule eigentlich meiner Frau <strong>zu</strong>gedacht war. Eine kleine Schummelei; ihr Los wurde mein Los; sie zieht ab ins Dessert. Einen halben Sack Orangen darf sie dort abreiben und die Zesten später in Honig erwärmen. Man darf das als Teil eines insgesamt äußerst vergnüglichen Spiels sehen, kann sich, wenn man an seiner Tauglichkeit für die gestellte Aufgabe zweifelt, für die Kür entscheiden, hat allerdings auch dort sein Pflichtenheft, den Rezeptblock, vor sich. Rezeptblock, das heißt hier DIN A 4-Seiten, auf Augenhöhe an den Küchenregalen befestigt. Lesen, bevor man loslegt, sollte man sie allerdings schon. Wolfgang von Rohden, mein Mitstreiter, eher ich ihm als er mir <strong>zu</strong>geteilt, hat erst mal das eindeutig bessere Händchen. In aller Ruhe hat uns Luka Lübke erklärt, was es auf sich hat mit den Bestandteilen einer solchen Keule, mit schierem Fleisch ohne Bindegewebe fürs Kurzgebratene, mit den Elementen, die sich für die Zubereitung von Schmorfleisch eignen und die man, für