Teil 12/12: Landwirtschaft
Anthroposophische Perspektiven - In dieser Aufsatzreihe stellen Autoren beispielhaft Perspektiven der Anthroposophie auf das Lebensgebiet ihrer Berufspraxis vor.
Anthroposophische Perspektiven - In dieser Aufsatzreihe stellen Autoren beispielhaft Perspektiven der Anthroposophie auf das Lebensgebiet ihrer Berufspraxis vor.
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ANTHROPOSOPHISCHE PERSPEKTIVEN<br />
LANDWIRTSCHAFT<br />
SERIE: TEIL <strong>12</strong> / <strong>12</strong><br />
LANDWIRTSCHAFT<br />
1
EINFÜHRUNG<br />
Nur noch ein Prozent der deutschen Erwerbsbevölkerung arbeitet in der <strong>Landwirtschaft</strong><br />
(zu Rudolf Steiners Zeiten Anfang des 20. Jahrhunderts waren es knapp 40 Prozent). Zu<br />
unserer gesamtwirtschaftlichen Leistung trägt die heimische <strong>Landwirtschaft</strong> noch zwei Prozent<br />
bei. 17 Millionen Hektar Land werden in Deutschland landwirtschaftlich genutzt, eine Million<br />
davon (sechs Prozent) wird biologisch bewirtschaftet, von 22 000 Bauern oder 7,3 Prozent der<br />
deutschen Landwirte. Der Anteil der Bio-Produkte am Lebensmittelmarkt in Deutschland<br />
umfasst rund vier Prozent. Von den deutschen Bio-Bauern wirtschaften 1 400 auf 50 000<br />
Hektar Land biologisch-dynamisch. Sie sowie 330 zertifizierte Verarbeiter vermarkten ihre<br />
Produkte unter dem Markenzeichen »Demeter«. Die Regeln für ihre Arbeit haben sich die<br />
Bio-Bauern zunächst selbst gegeben. Seit 1991 regelt ein Gesetz der Europäischen Union<br />
Erzeugung, Verarbeitung und unabhängige Drittkontrolle in der Bio-<strong>Landwirtschaft</strong>, das die<br />
Einhaltung entsprechender Vorschriften auch für Importprodukte verlangt.<br />
Der biologisch-dynamische Landbau stand 1924 am Beginn der bewusst gestalteten<br />
ökologischen <strong>Landwirtschaft</strong>. Er ist heute in 38 Ländern, auf allen Kontinenten präsent, wird<br />
aber nur von einer eher kleinen Anzahl Bauern praktiziert (3 500 Landwirte und 100 000<br />
Hektar Fläche weltweit). Das ganzheitliche Konzept der biologisch-dynamischen <strong>Landwirtschaft</strong><br />
ist komplex und nicht einfach zu vermitteln. Am besten gelingt dies durch das Beispiel<br />
gut geführter Praxisbetriebe, auf denen die Vielfalt der Pflanzenbestände und Tiere den<br />
Fachmann (oder die Fachfrau) unmittelbar anspricht. Auch einen Laien kann diese lebendige<br />
Vielfalt spontan berühren. Interessierte seien ausdrücklich ermuntert, die Gelegenheit zum<br />
Besuch eines biologisch-dynamisch bewirtschafteten Hofes zu nutzen.<br />
››› Manon Haccius<br />
I M P R E S S U M<br />
Anthroposophische Perspektiven / Zwölfteilige Serie<br />
<strong>Teil</strong> <strong>12</strong>: <strong>Landwirtschaft</strong> biologisch-dynamisch<br />
Autorin: Manon Haccius<br />
Herausgegeben von: Manon Haccius, Alnatura Produktions- und Handels GmbH,<br />
Darmstädter Straße 63, DE-64404 Bickenbach, www.alnatura.de<br />
Copyright © 2011 by Alnatura Produktions- und Handels GmbH, Bickenbach<br />
Gestaltung: usus.kommunikation, Berlin<br />
Abbildungen: Rudolf Steiner Archiv, Dornach<br />
Verlag: mfk corporate publishing GmbH, Prinz-Christians-Weg 1, DE-64287 Darmstadt<br />
Druck: alpha print medien AG, Darmstadt<br />
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, verboten. Kein <strong>Teil</strong> des Werks darf<br />
ohne schriftliche Genehmigung in irgendeiner Form reproduziert oder unter Verwendung<br />
elektronischer Systeme oder Datenträger verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.<br />
Jede Verwertung ist ohne die Zustimmung des Herausgebers und des Autors unzulässig.<br />
2
LANDWIRTSCHAFT<br />
BIOLOGISCH-DYNAMISCH<br />
MANON HACCIUS<br />
DIE SITUATION MITTE DER<br />
1920ER-JAHRE<br />
Die biologisch-dynamische <strong>Landwirtschaft</strong> – zunächst<br />
als anthroposophische <strong>Landwirtschaft</strong> bezeichnet – ist<br />
zu Pfingsten 1924 entstanden. Rudolf Steiner gab damals<br />
für Landwirte – ausdrücklich Personen mit einem<br />
Grundverständnis der Anthroposophie – einen acht Vorträge<br />
umfassenden Kurs auf Gut Koberwitz in der Nähe<br />
von Breslau. Dies tat er auf intensives Drängen von Landwirten,<br />
die Steiner um Hinweise zur Verbesserung der<br />
Fruchtbarkeit von Pflanzen und Tieren und zur Steigerung<br />
der Qualität der erzeugten Nahrungsmittel baten.<br />
Mitte der 1920er-Jahre befasste sich Sir Albert Howard<br />
in Indien intensiv mit der Kompostwirtschaft, um der<br />
armen Landbevölkerung zu helfen, mit den ihr zur Verfügung<br />
stehenden Mitteln mehr Nahrung auf ihren kargen,<br />
knappen Äckern zu erzeugen. Und Lady Eve Balfour<br />
suchte auf ihrem Gut in Großbritannien die Zusammenarbeit<br />
mit Medizinern und Naturwissenschaftlern<br />
aus ähnlichen Fragen heraus, wie sie die deutschen Landwirte<br />
zu ihren Bitten an Steiner veranlasst hatten: Die<br />
Qualität der Nahrung, so hatten diese aufmerksamen<br />
Beobachter damals festgestellt, sank. Ihre Fähigkeit zu<br />
gesunder Ernährung von Mensch und Tier nahm ebenso<br />
ab wie die Fruchtbarkeit, Gesundheit und Ertragsfähigkeit<br />
von Böden, Pflanzen und Tieren. Das Thema einer<br />
lebensgemäßen Weiterentwicklung der <strong>Landwirtschaft</strong><br />
lag in jener Zeit in der Luft.<br />
Nur wenige Jahre vorher, 1916, mitten im Ersten<br />
Weltkrieg, war in Deutschland das Haber-Bosch-Verfahren<br />
entwickelt worden. Unter Einwirkung hoher Drücke<br />
und Temperaturen gewinnt man dadurch mit Stickstoff<br />
aus der Luft mineralische Stickstoffverbindungen. Dies<br />
zum einen für die Rüstungsindustrie, zum anderen als<br />
Mineraldünger für die <strong>Landwirtschaft</strong>. Stickstoffsalze<br />
fördern die pflanzliche Masseentwicklung besonders<br />
eindrücklich; sie ändern jedoch zugleich umfassend die<br />
Zusammensetzung und Qualität der erzeugten Produkte.<br />
Bis zu Haber-Bosch war Stickstoffdünger ein äußerst<br />
knappes Gut in der <strong>Landwirtschaft</strong>. Er stand über den<br />
Mist der landwirtschaftlichen Tiere und aus Ernterückständen<br />
der Pflanzen nur sehr begrenzt zur Verfügung.<br />
Oder er wurde von weither eingeführt, entweder in Form<br />
bergmännisch in Südamerika gewonnener Salpetersalze<br />
oder als Guano (Vogelkot). Nun gab es Stickstoffdünger<br />
günstig und reichlich (heute gilt unter Wissenschaftlern<br />
das weltweite Stickstoffgleichgewicht als völlig aus dem<br />
Programmheft des landwirtschaftlichen<br />
Kursus von Rudolf Steiner auf Gut Koberwitz<br />
im Juni 1924<br />
Lot gebracht). Gleichzeitig stellte die chemische Industrie<br />
damals mehr und mehr Substanzen (Giftstoffe) zur<br />
Verfügung, die man zur Unterdrückung unerwünschter<br />
Pflanzen (»Unkräuter«), Insekten oder Mikroorganismen<br />
(»Schädlinge«) einsetzen konnte. Erste ungute Folgen<br />
des Umgangs mit Agrarchemie führten die Landwirte<br />
zu ihren grundsätzlichen Fragen nach einer zukunftsfähigen<br />
und menschengemäßen Weiterentwicklung der<br />
<strong>Landwirtschaft</strong>. *<br />
LANDWIRTSCHAFT GESTALTET<br />
LANDSCHAFT<br />
Uns umgibt praktisch eine reine Kulturlandschaft. Nicht<br />
vom Menschen beeinflusste oder geformte Natur gibt es<br />
in Deutschland so gut wie gar nicht mehr. Durch landwirtschaftliche<br />
Aktivitäten wird der größte <strong>Teil</strong> unserer<br />
* Hinweis: Viele Aspekte der folgenden Ausführungen (Fruchtfolge,<br />
organische Düngung, Verzicht auf Agrarchemie) gelten für alle Formen<br />
der biologischen oder gleichsinnig ökologisch genannten <strong>Landwirtschaft</strong>,<br />
auch wenn die Autorin nur den biologisch-dynamischen Landbau<br />
ausdrücklich nennt.<br />
LANDWIRTSCHAFT<br />
3
Lebensumgebung außerhalb der Ortschaften geprägt.<br />
Das gilt zum einen für die sichtbare Seite unserer Naturumgebung.<br />
Als schön und ansprechend empfinden wir<br />
vielfältig gegliederte und abwechslungsreich bewachsene<br />
Felder, Wiesen und Weiden, zu denen auch die Bereiche<br />
zwischen diesen Flächen, zum Beispiel Gehölzraine oder<br />
-inseln und Wälder, kleinere und größere fließende oder<br />
stehende Gewässer gehören. Wir erleben sie als schöner,<br />
sie geben uns eher ein Gefühl von Heimat als ausgeräum te<br />
Landschaften mit riesigen Feldern oder eintönigen Kulturen.<br />
Zum anderen betrifft die Beeinflussung unserer natürlichen<br />
Lebensumgebung durch die <strong>Landwirtschaft</strong> die<br />
eher »unsichtbare« Seite der Natur: Boden, Wasser und<br />
Luft. Vielleicht sollte man diese nicht als unsichtbar, sondern<br />
stattdessen als die unbeachtete, die als selbst verständlich<br />
genommene Seite der Naturumgebung ansprechen.<br />
Schon die Bezeichnung ökologische <strong>Landwirtschaft</strong><br />
drückt ihren engen Bezug zur umgebenden Natur<br />
aus. Ökologie ist die Wissenschaft vom Naturhaushalt.<br />
Dass eine <strong>Landwirtschaft</strong> erst dann ein harmonisches<br />
Ganzes ist, wenn auch die zu ihren Flächen gehörenden<br />
unbewirtschafteten Areale und die nicht direkt<br />
genutzte Tierwelt, wie Insekten und Vögel, ihren Raum<br />
haben und Beachtung finden, beschreibt Rudolf Steiner<br />
im zweiten Vortrag seines landwirtschaftlichen Kurses.<br />
Die Schädigungen, die von einer chemisch-technisch geprägten<br />
<strong>Landwirtschaft</strong> auf die für unser Überleben<br />
wichtigen Ressourcen Boden, Wasser und Luft ausgehen,<br />
kannten die frühen Ökologen noch nicht. Auch nicht<br />
das Phänomen der ausgeräumten Landschaft durch umfangreiche<br />
Flurbereinigungsmaßnahmen. Das vielfältige<br />
Schädigungspotenzial der modernen, konventionellen<br />
<strong>Landwirtschaft</strong> und ihrer politischen Gestalter zeigte sich<br />
erst Mitte des 20. Jahrhunderts in voller Deutlichkeit und<br />
seither immer ausgeprägter. Durch Verzicht auf Agrarchemikalien<br />
und durch eine ganzheitliche Gestaltung der<br />
<strong>Landwirtschaft</strong> mittels vielgliedriger Fruchtfolgen, mit<br />
einem an die Flächen angepassten Viehbesatz und örtlich<br />
oder regional erzeugtem Futter für diese Tiere bietet die<br />
biologisch-dynamische <strong>Landwirtschaft</strong> Heilungschancen<br />
für zerstörte Landschaften. Und sie hilft durch ihr Beispiel<br />
beziehungsweise durch ihre Forderungen verhindern,<br />
dass es zu weiteren Zerstörungen kommt.<br />
<strong>Landwirtschaft</strong> lässt sich nicht standardisieren; sie<br />
muss je nach den örtlichen Gegebenheiten bei Böden<br />
und Gelände, Wasserverfügbarkeit, Temperaturen sowie<br />
Ausprägung der Jahreszeiten immer wieder anders gestaltet<br />
werden.<br />
»[…] Sie […] können […] die Vorstellung haben, dass<br />
allem Lebendigen ein […] mehr oder weniger festes<br />
oder mehr oder weniger fluktuierendes kohlenstoffartiges<br />
Gerüst zugrunde liegt, auf dessen<br />
Bahnen sich das Geistige bewegt durch die Welt.«<br />
Rudolf Steiner im Vortrag am 11. Juni 1924<br />
4
STANDORTGEBUNDENHEIT<br />
DER LANDWIRTSCHAFT<br />
Die Standortgebundenheit der <strong>Landwirtschaft</strong> ist ihr immanenter<br />
Widerspruch gegen eine globalisierte Einheitsbewirtschaftung<br />
mit nur wenigen Kulturpflanzen, immer<br />
den gleichen technischen und chemischen Hilfsmitteln<br />
und den geballten Tierhaltungsformen der konventionellen<br />
<strong>Landwirtschaft</strong>. Letztere bringen den Tieren unendliches<br />
Leid und zeigen schädliche Auswirkungen auf Boden,<br />
Grundwasser und Luft. Denn die Ausscheidungen<br />
der Tiere stellen in dieser Masse ein gewaltiges Entsorgungsproblem<br />
und Schädigungsmittel dar, während sie<br />
bei der flächengebundenen Tierhaltung des biologischdynamischen<br />
Landbaus wertvoller Dünger und wesentlich<br />
für die Bodenfruchtbarkeit sind. Die biologisch-dynamische<br />
<strong>Landwirtschaft</strong> sieht landwirtschaftliche Viehhaltung<br />
nicht nur nicht als ein schädliches Element der<br />
<strong>Landwirtschaft</strong> an; sie verlangt vielmehr sogar, dass stets<br />
Tiere auf einem Betrieb (oder auf dem Partnerbetrieb<br />
einer Kooperation) gehalten werden. Nur dann läuft ein<br />
solcher Betrieb nachhaltig rund.<br />
<strong>Landwirtschaft</strong> arbeitet mit dem natürlichen Rhythmus<br />
des Werdens und Vergehens im Jahreslauf. Dem Beschleunigen,<br />
Vereinfachen, Normieren der Abläufe durch<br />
technische oder chemische Mittel sind enge Grenzen gesetzt.<br />
Wo man doch versucht, diese zu durchbrechen, mehren<br />
sich die Probleme durch Abfall oder Rückstände,<br />
und es entstehen Gesundheits- oder Qualitätsprobleme.<br />
Dem biologisch-dynamischen Landbau ist ein wesensgemäßer<br />
Umgang mit den Lebewesen ein zentrales Anliegen.<br />
Dazu passt nicht, was Konzept der konventionellen<br />
<strong>Landwirtschaft</strong> geworden ist: die Pflanzen mit in die Bodenlösung<br />
gegebenen Salzen zu ernähren, die Tiere, die<br />
sich ja durch Bewegungsvermögen und -drang sowie<br />
durch Empfindungsfähigkeit auszeichnen, auf engem<br />
Raum in großer Zahl in Ställen zusammenzusperren und<br />
sie durch Hormongaben und bestandsweite Medika mentierung<br />
»fit« für diese Haltungsformen zu machen.<br />
DIE PRODUZENTEN SIND BODEN,<br />
PFLANZEN UND TIERE<br />
Unser Essen setzt sich zum größten <strong>Teil</strong> aus landwirtschaftlichen<br />
Erzeugnissen zusammen. Die eigentlichen<br />
Produzenten sind jedoch nicht die Bauern, sondern die<br />
Böden, die Pflanzen und die Tiere. Ihrem Wachstum, ihrer<br />
Fortpflanzung, ihrer Fruchtbarkeit und Lebendigkeit<br />
verdanken wir letztlich, dass wir Essen haben. Früchte,<br />
Samen, Milch und Eier – all diese Produkte entstehen<br />
natürlicherweise im Rahmen der Fortpflanzung von<br />
Pflanzen und Tieren. Der <strong>Landwirtschaft</strong> treibende<br />
Mensch gestaltet die Bedingungen, sodass die gewünschten<br />
Pflanzen gut wachsen, die Tiere mit den bevorzugten<br />
Eigenschaften sich vermehren können und gedeihen.<br />
Den Überschuss entnimmt er zur eigenen Nahrung.<br />
»Düngen heißt den Boden<br />
verlebendigen«, sagt Rudolf<br />
Steiner in seinem landwirtschaftlichen<br />
Kurs. Dies ist das<br />
Düngekonzept des biologischdynamischen<br />
Landbaus: Der<br />
Bauer ernährt das Bo denleben,<br />
nicht die Pflanzen, wie<br />
es die Agrar wissenschaften<br />
seit Jahrzehnten lehren.<br />
Das große Wunder und »perpetuum mobile« jeglicher<br />
Art von <strong>Landwirtschaft</strong> ist die Photosynthese der Pflanzen,<br />
also das Sich-Bilden der pflanzlichen Substanz am<br />
Sonnenlicht aus Wasser und Kohlendioxid. So lange die<br />
Sonne scheint, Wasser da ist, die Temperaturen stimmen<br />
und Kohlendioxid vorhanden ist, wachsen und entwickeln<br />
sich Pflanzen, bilden zunächst grüne Blätter, dann<br />
Blüten und schließlich Früchte beziehungsweise Samen.<br />
Von der grünen Pflanzensubstanz ernähren sich Mensch<br />
und Tier ebenfalls. Grundnahrungsmittel der Menschen<br />
praktisch überall auf der Welt ist Getreide, dessen Samen<br />
gewonnen, aufbereitet und verzehrt werden. In un seren<br />
Breiten sind es in erster Linie Weizen und Roggen, aus<br />
denen wir unser Brotgetreide gewinnen. In anderen<br />
Weltgegenden sind Mais oder Reis die Grundnahrungsmittel,<br />
ebenfalls Getreide, deren Samen verzehrt werden.<br />
Pflanzliche Reste, die auf dem Feld verbleiben, ernähren<br />
das Bodenleben, das heißt Mikroorganismen, Insekten,<br />
Regenwürmer. Auch die Ausscheidungen der<br />
landwirtschaftlichen Tiere, die als Dünger ausgebracht<br />
werden, fördern das Bodenleben und ernähren es. Das<br />
Bodenleben macht die eigentliche Bodenfruchtbarkeit<br />
aus, verstanden als die Fähigkeit eines Bodens, nachhaltig,<br />
das heißt Jahr um Jahr, gute Erträge zu liefern.<br />
Düngen heißt den Boden verlebendigen, sagt Steiner<br />
im vierten Vortrag des landwirtschaftlichen Kurses. In<br />
kürzester Form ausgedrückt ist dies das Düngekonzept<br />
des biologisch-dynamischen Landbaus: Der Bauer ernährt<br />
das Bo denleben, nicht die Pflanzen, wie es die Agrarwissenschaften<br />
seit Jahrzehnten lehren. Der Landwirt<br />
düngt so, dass die düngenden Substanzen über das belebte<br />
Erdige, nicht das tote Mineralische den Pflanzenwurzeln<br />
zur Verfügung stehen. Mineralien, die in die<br />
Bodenlösung ge geben werden, von wo die Pflanzen sie<br />
dann aufnehmen müssen, sind ja nicht lebendig.<br />
LANDWIRTSCHAFT<br />
5
Damit der Boden fruchtbar bleibt, damit unerwünsch te<br />
Pflanzen und Tiere sich nicht überproportional vermehren<br />
und damit genug Futter für die Tiere erzeugt werden<br />
kann, bedarf es einer geeigneten Fruchtfolge, also des<br />
geordneten Nebeneinanders der Feldfrüchte auf einem<br />
Betrieb, das zugleich ihr zeitliches Nacheinander auf den<br />
verschiedenen Flächen ist. Das EU-Bio-Gesetz verlangt<br />
ausdrücklich eine weit gestellte Fruchtfolge. Der Wechsel<br />
von Feldfrüchten, die dem Boden Gutes tun und Futter<br />
für die Tiere sein können, und solchen Kulturen, die<br />
zehren oder als »abtragend« bezeichnet werden, ist zentral<br />
für den biologisch-dynamischen Landbau. Früher war<br />
dieser Wechsel Kernelement des landwirtschaftlichen<br />
Handwerkswissens; heute müssen auf biologisch-dynamische<br />
<strong>Landwirtschaft</strong> umstellende Bauern »Fruchtfolge«<br />
erst wieder lernen.<br />
Eine Tierhaltung, die dem Flächenumfang des Hofes<br />
angepasst ist, erzeugt nur so viel Dünger, dass er nicht<br />
zum schädlichen Abfall wird. Im Durchschnitt entspricht<br />
dies in unseren Breiten einer sogenannten Großvieheinheit<br />
(etwa einer Milchkuh von 600 Kilogramm Gewicht)<br />
je Hektar. In dieser Menge gehaltene Tiere kann der Bauer<br />
im Wesentlichen von seinen eigenen Flächen ernähren<br />
und muss nicht Futter von anderswo zukaufen. Heute<br />
verlangt auch der EU-Gesetzgeber, dass Bio-Bauern ihre<br />
Tiere überwiegend mit selbst erzeugtem Futter ernähren.<br />
DER LANDWIRTSCHAFTSBETRIEB<br />
ALS LEBENDIGER ORGANISMUS<br />
Für die Gestaltung der Stoffflüsse auf einem Bauernhof<br />
formuliert Steiner das Ideal des möglichst geschlossenen<br />
Betriebskreislaufes. Ein Ideal- und Leitbild, das sich nicht<br />
vollständig realisieren lässt. Denn der Landwirt erzeugt<br />
ja Produkte, die den Betrieb verlassen und verlassen sollen.<br />
Das Leitbild wird aber stets dafür sorgen, dass die<br />
Hereinnahme von Stoffen in den Betrieb von außen mit<br />
Augenmaß geschieht, im Sinne von Stärkungsmaßnahmen<br />
oder als »Arzneimittel«. Ein solches gibt man in möglichst<br />
geringer Dosis und geht sparsam damit um. Anders<br />
die konventionelle <strong>Landwirtschaft</strong> heute, die mit<br />
den chemisch-technischen Mitteln Unerwünschtes unterdrückt<br />
und vermeintlich Fehlendes ergänzt, was fatale<br />
»Neben«wirkungen auf <strong>Landwirtschaft</strong> und Umwelt<br />
entfaltet, denen man mit weiteren Maßnahmen und mit<br />
einer Fülle an Vorschriften zu Leibe rückt, die ihrerseits<br />
Kontrolle und Überwachung nötig machen.<br />
Noch ein weiteres Konzept führt Steiner ein, das<br />
beim Gestalten einer <strong>Landwirtschaft</strong> leiten soll. Sie wird<br />
als Organismus angesprochen. Mit allen ihren Elementen,<br />
auch der nicht wirtschaftlich genutzten Natur entspricht<br />
sie einem komplexen Organismus höherer Ordnung,<br />
dessen einzelne Bereiche als Organe zu verstehen<br />
6<br />
sind, die sich wechselseitig brauchen und fördern. Die<br />
Idee eines Organismus höherer Ordnung war neu zu Beginn<br />
des 20. Jahrhunderts. Erstmals äußerte sie der Gewässerökologe<br />
Thienemann. Der Agrarökonom Theodor<br />
Brinkmann, auch er ein Zeitgenosse Steiners und ein<br />
Pionier der landwirtschaftlichen Betriebslehre, sprach<br />
vom wohlproportionierten organischen Betrieb, den eine<br />
<strong>Landwirtschaft</strong> darstellen solle. Steiner führt seinen Gedanken<br />
jedoch noch einen entscheidenden Schritt weiter<br />
und wählt das Bild der landwirtschaftlichen Individualität.<br />
Jeder landwirtschaftliche Betrieb wird als eine Individualität,<br />
als etwas Einmaliges, Unverwechselbares<br />
verstanden, als solche soll sie entwickelt werden.<br />
Präparate auf der Basis von Heilpflanzen, die Steiner<br />
nennt (zum Beispiel Schafgarbe, Kamille, Brennnessel) und<br />
zu deren Zubereitung er Hinweise gibt, unterstützen die<br />
Düngungsmaßnahmen beziehungsweise die wachsenden<br />
Pflanzen (vierter und fünfter Vortrag des landwirtschaftlichen<br />
Kurses). Die Heilpflanzen, ferner die Substanzen<br />
Kiesel und Rindermist werden in bestimmte tierische<br />
Hüllenorgane gegeben und während einer jeweils spezifischen<br />
Zeit des Jahreslaufes in den Boden ge geben oder<br />
dem Sonnenlicht ausgesetzt. Zur Anwendung kommen<br />
diese Präparate in geringsten Mengen (in homöopathischen<br />
Dosen) auf dem bearbeiteten Boden vor der Aussaat,<br />
auf dem wachsenden Pflanzenbestand, oder sie werden<br />
dem Dünger zugesetzt. Die auf die Flächen ausgebrachten<br />
Präparate werden vor der Anwendung eine Stunde<br />
lang rhythmisch in Wasser gerührt, ein Prozess, wie er<br />
auch in der Arzneimittelherstellung zur Anwendung<br />
kommt. Die Wirkungsweise der biologisch-dynamischen<br />
Präparate wird als für das Pflanzenwachstum kräftigend<br />
und harmonisierend beschrieben, dies besonders an<br />
Standorten oder in Jahren, an denen die Bedingungen<br />
für das landwirtschaftliche Gedeihen suboptimal sind.<br />
Ein <strong>Landwirtschaft</strong>sbetrieb ist ein Organismus, also<br />
ein lebendiges Ganzes. Er ist nicht, wie es heute konventionell<br />
verstanden wird, eine Art industrieller Produktionsbetrieb,<br />
den man sich linear denkt, mit präzise gesteuertem<br />
Input auf der einen und Output auf der anderen<br />
Ein <strong>Landwirtschaft</strong>sbetrieb ist<br />
ein Organismus, ein lebendiges<br />
Ganzes. Er ist nicht, wie es<br />
heute konventionell verstanden<br />
wird, eine Art industrieller<br />
Produktionsbetrieb, den man<br />
sich linear denkt, mit präzise<br />
gesteuertem Input auf<br />
der einen und Output auf<br />
der anderen Seite.
Seite. In einer <strong>Landwirtschaft</strong> geht es vielmehr darum,<br />
zu verstehen, wie sich die einzelnen <strong>Teil</strong>bereiche gegenseitig<br />
fördern und entstehende Einseitigkeiten ausgleichen<br />
können. Der als Organismus aufgefasste und im<br />
Ideal als geschlossen gedachte Betriebskreislauf führt<br />
auch dazu, dass es, anders als im linear funktionierenden<br />
Betrieb, keinen Abfall, keine zu entsorgenden Schadstoffe<br />
mit Zerstörungspotenzial gibt. Das, was im <strong>Landwirtschaft</strong>sbetrieb<br />
an irgendeiner Stelle »abfällt«, wird gesammelt,<br />
aufbereitet, mit den Präparaten versehen und<br />
dem Kreislauf wieder zugeführt.<br />
Ein <strong>Landwirtschaft</strong>sbetrieb ist durch Vielfalt gekennzeichnet.<br />
Mit landwirtschaftlich genutzten Flächen sind<br />
traditionell und heute vor allem in den Bio-Betrieben<br />
deutlich mehr verschiedene Pflanzen- und Tierarten assoziiert,<br />
als ein gleich großes Stück unbearbeiteter Natur<br />
am gleichen Ort aufweisen würde. Die Produktivität der<br />
kultivierten Natur übersteigt die des natürlichen Standortes<br />
um ein Vielfaches. Diese Biodiversität weiß man<br />
heute als einen Wert an sich zu schätzen; die konventionelle,<br />
industrialisierte <strong>Landwirtschaft</strong> kann mit solcher<br />
Vielfalt nicht aufwarten. Sie trägt stattdessen beträchtlich<br />
»Das Fruchtfleisch eines Apfels oder eines Pfirsiches,<br />
das wir essen, bildet sich unter der Einwirkung von<br />
Planetenkräften. Wenn wir als Gärtner oder Bauer<br />
das Wachstum von Pflanzen beeinflussen wollen,<br />
dann müssen wir Rücksicht nehmen auf diese Kräfte.<br />
Auf eine große Zahl von Pflanzen, und das sind vor<br />
allen Dingen jene, die man gewöhnlich zu den Unkräutern<br />
zählt, obwohl sie manchmal außerordentlich<br />
wirksame Heilkräuter sind, auf diese Pflanzen<br />
haben den größten Einfluss die Mondkräfte.«<br />
Rudolf Steiner im Vortrag am 14. Juni 1924<br />
zum Schwund der Arten bei, die einst durch die landwirtschaftliche<br />
Betätigung des Menschen entstanden sind.<br />
Diese Arten aber helfen uns dabei, die Reagibilität unseres<br />
Systems der Nahrungserzeugung gegenüber den sich<br />
immer stärker, rascher und unvorhersehbarer ändernden<br />
Naturgegebenheiten zu erhalten.<br />
LANDWIRTSCHAFT<br />
7
WIR ESSEN DIE PRODUKTE DER<br />
LANDWIRTSCHAFT<br />
Durch Atmung und Ernährung nehmen wir die Stoffe<br />
der Erde in unseren Organismus auf, verbinden uns auf<br />
diese Weise engstens mit ihr. Die Substanzen, die wir in<br />
uns aufnehmen, und die durch sie vermittelten Kräfte<br />
sollen uns nützlich sein und uns fördern, gerade auch<br />
hinsichtlich unserer geistigen Entwicklungs- und Freiheitsfähigkeit.<br />
Das gelingt am besten, wenn unsere Nahrung<br />
einer <strong>Landwirtschaft</strong> entstammt, die als ein Organismus<br />
gedacht und gestaltet wird. Und es gelingt nur<br />
dann richtig, wenn in der landwirtschaftlichen Produktion<br />
keine Giftstoffe oder zum Beispiel gentechnisch veränderten<br />
Organismen verwendet werden, wie sie die<br />
Natur nicht kennt und deren Spuren in der Nahrung<br />
sich nicht verhindern lassen.<br />
Albrecht Daniel Thaer, ein Zeitgenosse Goethes, hat<br />
die <strong>Landwirtschaft</strong> als »ein Gewerbe wie jedes andere<br />
auch« bezeichnet. Zu seiner Zeit wird das richtig gewesen<br />
sein. Heute ist aber klar, dass die <strong>Landwirtschaft</strong><br />
gerade kein Gewerbe wie jedes andere ist, dass sie nicht<br />
allein nach wirtschaftlichen Kriterien betrieben werden<br />
kann und dass sie der Spezialisierung und Arbeitsteiligkeit<br />
enge Grenzen setzt. Denn ein Organismus braucht die<br />
Vielfalt seiner Organe, um sich gesund, fruchtbar und<br />
nachhaltig entfalten zu können, um uns gesunde Nahrung<br />
zu spenden und um seine Leistungen für die Ressourcen<br />
Biodiversität, Boden, Wasser und Luft auch in<br />
der Zukunft erbringen zu können.<br />
»Nun, eine <strong>Landwirtschaft</strong> erfüllt eigentlich ihr Wesen<br />
im besten Sinne des Wortes, wenn sie aufgefasst<br />
werden kann als eine Art Individualität für sich, eine<br />
wirklich in sich geschlossene Individualität […] Das<br />
heisst, es sollte die Möglichkeit herbeigeführt werden,<br />
alles dasjenige, was man braucht zur Hervorbringung,<br />
innerhalb der <strong>Landwirtschaft</strong> selbst zu haben […].«<br />
Rudolf Steiner im Vortrag am 10. Juni 1924<br />
DIE AUTORIN<br />
Dr. Manon Haccius, geboren<br />
1959 in Hamburg, Studium der<br />
Agrarwissenschaften in Göttingen,<br />
Berlin, Fort Collins (Colorado,<br />
USA) und Kiel, Promotion im<br />
Fachgebiet Tierzucht 1986, Arbeit<br />
für die Verbände des ökologischen<br />
Landbaus national und international von 1987 bis<br />
2000; seit April 2000 Mitarbeiterin des Bio-Handelsunternehmens<br />
Alnatura, dort leitend für Qualität, Recht und<br />
Nachhaltigkeit verantwortlich.<br />
LESE-TIPPS<br />
Koepf, Herbert H. / Schaumann, Wolfgang /<br />
Haccius, Manon: »Biologisch-Dynamische <strong>Landwirtschaft</strong>«,<br />
Ulmer Verlag, Stuttgart, 1996.<br />
Schaumann, Wolfgang: »Rudolf Steiners Kurs für<br />
Landwirte – Eine Einführung«, SÖL-Sonderausgabe<br />
Nr. 46, Deukalion Verlag, Holm, 1996.<br />
Ders.: »Das Lebendige in der <strong>Landwirtschaft</strong>«, herausgegeben<br />
vom Forschungsring für Biologisch-<br />
Dynamische Wirtschaftsweise, Darmstadt, 2002.<br />
8 Eine Publikation von