Teil 12/12: Landwirtschaft
Anthroposophische Perspektiven - In dieser Aufsatzreihe stellen Autoren beispielhaft Perspektiven der Anthroposophie auf das Lebensgebiet ihrer Berufspraxis vor.
Anthroposophische Perspektiven - In dieser Aufsatzreihe stellen Autoren beispielhaft Perspektiven der Anthroposophie auf das Lebensgebiet ihrer Berufspraxis vor.
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LANDWIRTSCHAFT<br />
BIOLOGISCH-DYNAMISCH<br />
MANON HACCIUS<br />
DIE SITUATION MITTE DER<br />
1920ER-JAHRE<br />
Die biologisch-dynamische <strong>Landwirtschaft</strong> – zunächst<br />
als anthroposophische <strong>Landwirtschaft</strong> bezeichnet – ist<br />
zu Pfingsten 1924 entstanden. Rudolf Steiner gab damals<br />
für Landwirte – ausdrücklich Personen mit einem<br />
Grundverständnis der Anthroposophie – einen acht Vorträge<br />
umfassenden Kurs auf Gut Koberwitz in der Nähe<br />
von Breslau. Dies tat er auf intensives Drängen von Landwirten,<br />
die Steiner um Hinweise zur Verbesserung der<br />
Fruchtbarkeit von Pflanzen und Tieren und zur Steigerung<br />
der Qualität der erzeugten Nahrungsmittel baten.<br />
Mitte der 1920er-Jahre befasste sich Sir Albert Howard<br />
in Indien intensiv mit der Kompostwirtschaft, um der<br />
armen Landbevölkerung zu helfen, mit den ihr zur Verfügung<br />
stehenden Mitteln mehr Nahrung auf ihren kargen,<br />
knappen Äckern zu erzeugen. Und Lady Eve Balfour<br />
suchte auf ihrem Gut in Großbritannien die Zusammenarbeit<br />
mit Medizinern und Naturwissenschaftlern<br />
aus ähnlichen Fragen heraus, wie sie die deutschen Landwirte<br />
zu ihren Bitten an Steiner veranlasst hatten: Die<br />
Qualität der Nahrung, so hatten diese aufmerksamen<br />
Beobachter damals festgestellt, sank. Ihre Fähigkeit zu<br />
gesunder Ernährung von Mensch und Tier nahm ebenso<br />
ab wie die Fruchtbarkeit, Gesundheit und Ertragsfähigkeit<br />
von Böden, Pflanzen und Tieren. Das Thema einer<br />
lebensgemäßen Weiterentwicklung der <strong>Landwirtschaft</strong><br />
lag in jener Zeit in der Luft.<br />
Nur wenige Jahre vorher, 1916, mitten im Ersten<br />
Weltkrieg, war in Deutschland das Haber-Bosch-Verfahren<br />
entwickelt worden. Unter Einwirkung hoher Drücke<br />
und Temperaturen gewinnt man dadurch mit Stickstoff<br />
aus der Luft mineralische Stickstoffverbindungen. Dies<br />
zum einen für die Rüstungsindustrie, zum anderen als<br />
Mineraldünger für die <strong>Landwirtschaft</strong>. Stickstoffsalze<br />
fördern die pflanzliche Masseentwicklung besonders<br />
eindrücklich; sie ändern jedoch zugleich umfassend die<br />
Zusammensetzung und Qualität der erzeugten Produkte.<br />
Bis zu Haber-Bosch war Stickstoffdünger ein äußerst<br />
knappes Gut in der <strong>Landwirtschaft</strong>. Er stand über den<br />
Mist der landwirtschaftlichen Tiere und aus Ernterückständen<br />
der Pflanzen nur sehr begrenzt zur Verfügung.<br />
Oder er wurde von weither eingeführt, entweder in Form<br />
bergmännisch in Südamerika gewonnener Salpetersalze<br />
oder als Guano (Vogelkot). Nun gab es Stickstoffdünger<br />
günstig und reichlich (heute gilt unter Wissenschaftlern<br />
das weltweite Stickstoffgleichgewicht als völlig aus dem<br />
Programmheft des landwirtschaftlichen<br />
Kursus von Rudolf Steiner auf Gut Koberwitz<br />
im Juni 1924<br />
Lot gebracht). Gleichzeitig stellte die chemische Industrie<br />
damals mehr und mehr Substanzen (Giftstoffe) zur<br />
Verfügung, die man zur Unterdrückung unerwünschter<br />
Pflanzen (»Unkräuter«), Insekten oder Mikroorganismen<br />
(»Schädlinge«) einsetzen konnte. Erste ungute Folgen<br />
des Umgangs mit Agrarchemie führten die Landwirte<br />
zu ihren grundsätzlichen Fragen nach einer zukunftsfähigen<br />
und menschengemäßen Weiterentwicklung der<br />
<strong>Landwirtschaft</strong>. *<br />
LANDWIRTSCHAFT GESTALTET<br />
LANDSCHAFT<br />
Uns umgibt praktisch eine reine Kulturlandschaft. Nicht<br />
vom Menschen beeinflusste oder geformte Natur gibt es<br />
in Deutschland so gut wie gar nicht mehr. Durch landwirtschaftliche<br />
Aktivitäten wird der größte <strong>Teil</strong> unserer<br />
* Hinweis: Viele Aspekte der folgenden Ausführungen (Fruchtfolge,<br />
organische Düngung, Verzicht auf Agrarchemie) gelten für alle Formen<br />
der biologischen oder gleichsinnig ökologisch genannten <strong>Landwirtschaft</strong>,<br />
auch wenn die Autorin nur den biologisch-dynamischen Landbau<br />
ausdrücklich nennt.<br />
LANDWIRTSCHAFT<br />
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