Ein Gespräch über den Film "Paula"
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Geschichten von unterwegs<br />
<strong>Ein</strong> Gespräch rund um <strong>den</strong> <strong>Film</strong> „Paula – Mein Leben soll ein Fest sein“,<br />
der im Januar 2017 im Reutlinger Kino Kamino gelaufen ist
Geschichten von unterwegs<br />
Geschichten von unterwegs<br />
Harald Sickinger: Franziska, in dem<br />
Video gerade hast Du erwähnt, dass<br />
Dich „Paula“ sehr beschäftigt. Wür-dest<br />
Du bitte kurz erklären, worum<br />
es in dem <strong>Film</strong> geht?<br />
Franziska Schiller: Es geht um eine<br />
wahre Begebenheit, Paula. Sie ist<br />
am Anfang des letzten Jahrhunderts<br />
im Nor<strong>den</strong> von Deutschland aufge-wachsen<br />
und als junge Frau weiß sie<br />
genau, dass ihr das Malen liegt und<br />
dass sie´s kann und sie wollt damit<br />
ihre Stärke zeigen und das einfach<br />
machen. Am Anfang hat Paula einen<br />
Malkurs besucht, wo sie genau nach<br />
Vorschriften malen sollte, wie in der<br />
Fotografie, man sollte in der Malerei<br />
die Natur naturgetreu wiedergeben.<br />
Aber das war der Paula egal. Sie hat<br />
das so gesehen und gut. Sie malte<br />
weiterhin nach ihren Empfindung-en.<br />
Sie hat halt Nasen wie Kartoffeln<br />
gesehen und dann hat sie Nasen<br />
wie Kartoffeln gemalt. Der Freund<br />
von ihrem Mallehrer hat sie gefragt;<br />
Sehen Sie das so? Sie hat dann<br />
gesagt: Ja, das sehe ich so, als<br />
Kartoffel. Dann hat sich irgendwas<br />
gedreht.<br />
HS: Verstehe ich Dich richtig, Du<br />
hast es so wahrgenommen: Der<br />
Künstler und Freund von ihrem<br />
ersten Mallehrer, der ja dann ihr<br />
Ehemann gewor<strong>den</strong> ist, der hat mit<br />
der Zeit seine Ansichten geändert?<br />
Er hat ihre Sichtweise besser<br />
verstan<strong>den</strong>?<br />
FS: Ja, das ging ja bis zu dem Punkt,<br />
dass er gesagt hat: Du bist eine<br />
größere Künstlerin als ich, Du stehst<br />
zu dem, was Du <strong>den</strong>kst und was Du<br />
siehst, was mach ich <strong>den</strong>n schon?<br />
HS: Bei weitem nicht alle Leute<br />
haben ja so viel Verständnis wie ihr<br />
Mann aufgebracht und Paula stand<br />
unter Druck, sich anzupassen. Was<br />
<strong>Ein</strong> Gespräch rund um <strong>den</strong> <strong>Film</strong> „Paula“ – Seite 2 von 7
Geschichten von unterwegs<br />
Geschichten von unterwegs<br />
<strong>den</strong>kst Du, was hat ihr die Kraft<br />
gegeben, dem Anpassungsdruck zu<br />
widerstehen?<br />
FS: Jeder Mensch ist ja ein Individu-um<br />
und die Paula hat halt ihr<br />
Individuum gelebt, indem ihr das,<br />
was andere gesagt haben, in Anfüh-rungszeichen<br />
„scheißegal“ war. Ihr<br />
Mann hat sie gehalten und auch<br />
gehen lassen, sie hat auch<br />
Freundinnen um sich herum gehabt,<br />
die mit ihr revoluzzt haben. Die<br />
haben gesagt: Wir müssen besser<br />
sein wie´s Männervolk und dann ist<br />
da auch ein Prozess gelaufen mit<br />
Frankreich.<br />
HS: Du meinst, als sie nach<br />
Frankreich gegangen ist, um dort zu<br />
malen?<br />
FS: Ja, ich <strong>den</strong>ke, dort waren und<br />
sind die Leute weniger verklemmt<br />
und wenn Du irgendjemand kennst,<br />
der etwas anders guckt, dann<br />
kannst Du eher was erreichen, als<br />
wenn Du ewig im gleichen Sumpf<br />
herumrührst. Das ist das gleiche,<br />
wie mit dem Tellerrand. Wenn Du in<br />
Rappertshofen die ganze Zeit<br />
bleibst, ist es schlechter, als wenn<br />
Du mal riskierst, über <strong>den</strong> Tellerrand<br />
hinauszugucken.<br />
HS: Rappertshofen ist ja die <strong>Ein</strong>rich-tung<br />
für Menschen mit sogenan-nten<br />
Behinderungen, in der Du<br />
wohnst, die Du aber ganz oft<br />
verlässt, um in Reutlingen und an<br />
anderen Orten unterwegs zu sein.<br />
Du hast schon gesagt, dass Du Dich<br />
auch nicht unterordnen kannst oder<br />
willst, wie die Paula. Wenn ich Dich<br />
recht verstan<strong>den</strong> hab, <strong>den</strong>kst Du,<br />
dass Paula auf ihrem Weg unter<br />
anderem geholfen hat, dass sie über<br />
<strong>den</strong> Tellerrand rausgeguckt hat und<br />
gleichgesinnte Menschen und Men-schen,<br />
die sie versucht haben zu<br />
verstehen, die haben ihr gut getan.<br />
Dazu gehörte nach Deiner Wahr-nehmung<br />
auch ihr Mann.<br />
FS: Entschuldigung, wenn ich jetzt<br />
gerade Emotionen zeig, ich find´s<br />
für die Zeit wahnsinnig, dass sich<br />
ein Wesen wie Du Zeit nimmt, sich<br />
in mein Wesen hineinzu<strong>den</strong>ken und<br />
<strong>Ein</strong> Gespräch rund um <strong>den</strong> <strong>Film</strong> „Paula“ – Seite 3 von 7
Geschichten von unterwegs<br />
Geschichten von unterwegs<br />
nicht stur sagt: <strong>Ein</strong>e Frau hat das,<br />
das, das zu machen, wenn sie´s<br />
macht, ist es gut und wenn nicht,<br />
dann tschüss oder sonst was.<br />
HS: Dich berührt an dem <strong>Film</strong> also<br />
unter anderem auch, dass sich ein<br />
Mann in eine Frau, hinein zu <strong>den</strong>ken<br />
versucht?<br />
FS: Ja, genau.<br />
HS: Was das Verhältnis zwischen<br />
Paula und ihrem Ehemann betrifft,<br />
ist im <strong>Film</strong> auch das Thema Kinder<br />
sehr wichtig. Die frühere Ehefrau<br />
des Mannes war wegen ihrer<br />
Schwangerschaft gestorben. Vor<br />
diesem Hintergrund sagte er nun<br />
jahrelang zu Paula, dass er keinen<br />
Geschlechtsverkehr wolle, ohne ihr<br />
allerdings <strong>den</strong> Grund dafür zu<br />
nennen. Das hat das Verhältnis der<br />
bei<strong>den</strong> ziemlich belastet.<br />
FS: Mich hat der Mann sehr<br />
beindruckt. Der hat Liebe ein biss-chen<br />
weiter gesehen als nur im<br />
Bett. Ich <strong>den</strong>ke, dass er sie wirklich<br />
geliebt hat und nicht verlieren wollt.<br />
Er hat wahrscheinlich weiter ge-dacht:<br />
Ok, ich kann meinen Ge-fühlen<br />
nachgeben, aber dann hab<br />
ich sie verloren.<br />
HS: Das hat er Paula aber jahrelang<br />
nicht gesagt.<br />
FS: Auch in dieser Hinsicht empfin-de<br />
ich Parallelen zwischen der Ge-schichte<br />
von Paula und mir selbst.<br />
Es gibt Menschen, die mir und Paula<br />
im Namen der Liebe das Thema<br />
Kinder vorenthalten. Der Mann<br />
hatte Angst, dass Paula bei einem<br />
Kind sterben würde, was ja am Ende<br />
dann tatsächlich passiert. Ich bekä-me<br />
in der Schwangerschaft durch<br />
meinen Bewegungsmangel und<br />
vieles Sitzen gesundheitliche Proble-me.<br />
Bis jetzt muss ich das Thema<br />
leider mit mir selber ausmachen.<br />
Die Paula wollt ja auch mit aller<br />
Gewalt eine Familie haben und ihr<br />
Mann hat´s ja lange verweigert, weil<br />
er sie nicht verlieren wollt und dann<br />
hat sie halt in ihrer Traurigkeit<br />
gesagt: Ok, ich darf nicht wie ich<br />
will, dann mal ich halt Schwanger-schaftsbilder.<br />
<strong>Ein</strong> Gespräch rund um <strong>den</strong> <strong>Film</strong> „Paula“ – Seite 4 von 7
Geschichten von unterwegs<br />
Geschichten von unterwegs<br />
HS: Ich verstehe, Du sprichst zum<br />
Beispiel das Bild einer schwangeren<br />
Frau an, bei dessen Anblick ihr<br />
Mann im <strong>Film</strong> erkennt, dass sie eine<br />
größere Künstlerin ist, als er selbst.<br />
Ich verstehe Dich so, dass der<br />
“Paula“-‐<strong>Film</strong> aus Deiner Sicht auch<br />
etwas über Dich selbst erzählt und<br />
eine Anregung für Dich und andere<br />
sein kann, sich mit wichtigen Fragen<br />
des Lebens zu beschäftigen. So weit<br />
ich weiß, ist Paula Modersohn-‐<br />
Becker nicht die einzige Künstlerin,<br />
die in dieser Hinsicht für Dich<br />
wichtig ist. Da gibt es zum Beispiel<br />
noch Frida Kahlo. Die hast Du ja<br />
auch selbst schon als Darstellerin im<br />
Theater Tonne gespielt, hier sieht<br />
man Dich als Frida links sitzen.<br />
FS: Sie war eine mexikanische<br />
Malerin, die durch einen Unfall<br />
behindert wurde. Sie hat einige<br />
Jahrzehnte später gemalt als Paula.<br />
Wenn ich Verstorbene wieder holen<br />
könnt, wären glaub die Frida und<br />
ich Freundinnen gewor<strong>den</strong>. Mir<br />
gefällt zum Beispiel, dass sie durch-‐<br />
gesetzt hat, was sie wollte.<br />
HS: In jüngster Zeit hast Du auch<br />
noch zwei weitere <strong>Film</strong>e über<br />
Malerinnen im Kino Kamino ange-schaut.<br />
FS: Das waren <strong>Film</strong>e über die<br />
Deutsch-‐Amerikanerin Eva Hesse,<br />
die 1970 gestorben ist und über die<br />
junge Bulgarin Oda Jaune. Sie lebt<br />
noch. Die Eva hat mit Gegenstän<strong>den</strong><br />
verrückte Skulpturen gemalt und<br />
was mich beim Oda-‐<strong>Film</strong> beschäftigt<br />
hat, sie malt auch sehr von sich<br />
raus, von innen raus. Sie hat ein<br />
Atelier und wenn ihr jemand über<br />
die Schulter guckt, kann sie nicht<br />
malen und hat dann zum Beispiel<br />
ein Bild gemalt und am nächsten<br />
<strong>Ein</strong> Gespräch rund um <strong>den</strong> <strong>Film</strong> „Paula“ – Seite 5 von 7
Geschichten von unterwegs<br />
Geschichten von unterwegs<br />
Tag wieder darüber gemalt.<br />
HS: Du hast <strong>den</strong> <strong>Film</strong> über Oda im<br />
Kino Kamino gesehen und die <strong>Film</strong>e<br />
über Eva und Paula auch. Du bist<br />
öfter im Kino Kamino, stimmts?<br />
FS: Bis vor kurzem habe ich Kino-filme<br />
immer vermie<strong>den</strong>, weil die<br />
Besitzer vom Planie -‐ Kino wollen<br />
Leute wie mich nicht haben.<br />
HS: Ah, so nimmst Du das wahr.<br />
FS: Aber das Kamino ist neu und die<br />
haben das extra so gemacht, dass<br />
sie so Leut wie mich im Kino haben<br />
können. Das merk ich auch an der<br />
Gastfreundlichkeit, an dem, wie sie<br />
mit mir umgehen und an dem, was<br />
sie mir anbieten, auch außer der<br />
Paula. Durch das Projekt „Kultur<br />
ohne Ausnahme“ und eine<br />
passende Wegbeschreibung hab ich<br />
das Kamino kennen gelernt und<br />
seither guck ich oft ins Programm<br />
und bei unserem Freitags -‐ Treff<br />
schauen wir auch Trailer an.<br />
HS: Im Kamino wer<strong>den</strong> Barrieren für<br />
Rolli-‐Fahrer und Rolli-‐Fahrerinnen,<br />
wie Dich, ja zum Beispiel dadurch<br />
abgebaut, dass man bei Bedarf Sitze<br />
ausbaut. Der <strong>Ein</strong>tritt kostet für<br />
Menschen mit Handicaps und für<br />
Begleitpersonen je 6 Euro. Falls der<br />
Preis eine Barriere sein sollte ...<br />
FS: ... haben wir dank unserer<br />
Forscherei ja die Kulturpforte ken-nengelernt,<br />
die könnte da helfen.<br />
HS: Auf diese Idee ist auch unser<br />
Kollege Matthias Braun gekommen.<br />
Er will erforschen, ob man<br />
Freikarten für „Paula“ über die<br />
Kulturpforte besorgen kann. Das<br />
sieht man im folgen<strong>den</strong> Video und<br />
davor einen älteren Gesprächs-ausschnitt<br />
mit Dir, Franziska. Da<br />
erklärt uns Rüdiger Weckmann von<br />
der Kulturpforte, was die Kultur-pforte<br />
ist und wie das mit <strong>den</strong><br />
Freikarten funktioniert.<br />
<strong>Ein</strong> Gespräch rund um <strong>den</strong> <strong>Film</strong> „Paula“ – Seite 6 von 7
Geschichten von unterwegs<br />
in Kooperation mit dem Projekt zusammengetragen von der (v.i.S.d.P.)