WIRTSCHAFT+MARKT 2/17
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POLITIK | 47<br />
RAGNITZ ANALYSIERT<br />
Die Linke als Regierungspartei<br />
Zwischen Pragmatismus<br />
und Ideologie<br />
Fotos: OFC Pictures/fotolia.com (oben), ifo Dresden (unten)<br />
Einigermaßen geräuschlos liefen die<br />
Koalitionsverhandlungen zwischen<br />
SPD, Die Linke und Bündnis '90/Die<br />
Grünen in Berlin ab. Auch wenn man so<br />
manches Vorhaben des neugewählten Senats<br />
für die kommende Legislaturperiode<br />
eher dem politischen Kabarett zuordnen<br />
möchte – Regierungskoalitionen unter Beteiligung<br />
der Linkspartei haben zumindest<br />
auf Länderebene in Ostdeutschland ihren<br />
Schrecken verloren: So war die Linkspartei<br />
(vormals: PDS) als Juniorpartner schon in<br />
Mecklenburg-Vorpommern (1998–2006),<br />
in Berlin (2002–2011) und in Brandenburg<br />
(seit 2009) an der Regierung beteiligt; in<br />
Thüringen stellt die Partei seit 2014 sogar<br />
den Ministerpräsidenten in einer rotrot-grünen<br />
Koalition. Aktuell nicht auszuschließen<br />
ist es, dass es ab Herbst 20<strong>17</strong><br />
auch im Bund zu einem rot-rot-grünen Regierungsbündnis<br />
(unter Führung der SPD)<br />
kommen könnte.<br />
Entgegen mancher Befürchtung hat eine<br />
Regierungsbeteiligung der Linkspartei<br />
noch in keinem Land zu politischen oder<br />
gesellschaftlichen Verwerfungen geführt.<br />
Konfrontiert mit den vielfältigen sachpolitischen<br />
Herausforderungen, hat Die Linke<br />
bisher noch überall einen erheblichen<br />
Pragmatismus entwickelt, der sich deutlich<br />
von den häufig realitätsfernen Forderungen<br />
abhebt, die die Partei dort formuliert,<br />
wo sie die parlamentarische Opposition<br />
bildet. Insbesondere ihre verteilungspolitischen<br />
Ambitionen konnte sie<br />
nirgends in der Form umsetzen, wie es<br />
der öffentlich vorgetragenen Programmatik<br />
der Partei entsprochen hätte. In gewisser<br />
Weise hat das zu einer „Entzauberung“<br />
der Linken beigetragen – erkennbar<br />
an einem teilweise deutlichen Verlust<br />
an Wählerzustimmung in jenen Ländern,<br />
in denen sie bisher schon an der Regierung<br />
beteiligt war. Ihre Rolle als<br />
Protestpartei, die ihr zumindest<br />
in den 1990er- und<br />
frühen 2000er-Jahren<br />
noch vergleichsweise<br />
hohe Stimmenanteile<br />
insbesondere<br />
in Ostdeutschland<br />
gesichert hatte, hat<br />
die Linkspartei inzwischen<br />
an die AfD abgeben<br />
müssen.<br />
Dass die Linkspartei<br />
sich dort, wo sie<br />
auch an der Regierung<br />
beteiligt war<br />
oder ist, als verlässlicher Koalitionspartner<br />
bewährt hat, hat vor allem damit zu<br />
tun, dass eine Landesregierung ohnehin<br />
nur beschränkte Kompetenzen aufweist<br />
– in den meisten Politikfeldern geht es<br />
im Wesentlichen ja nur darum, bundeseinheitliche<br />
Vorgaben (auch wenn diese<br />
im Regelfall unter Beteiligung der Länder<br />
über den Bundesrat beschlossen wurden)<br />
„in Auftragsverwaltung“ in landespolitisches<br />
Handeln umzusetzen. Zudem<br />
können politische Entscheidungen in einem<br />
Land nicht ohne Berücksichtigung<br />
der Situation in anderen Ländern getroffen<br />
werden, da die einzelnen Länder in<br />
Konkurrenz um Einwohner, Arbeitskräfte<br />
und Unternehmen stehen – was im Zweifel<br />
zu ähnlicher Ausgestaltung politisch<br />
beeinflussbarer Rahmenbedingungen<br />
führt. Und schließlich sorgt auch die Zusammenarbeit<br />
mit anderen Parteien (die<br />
Prof. Dr. Joachim Ragnitz<br />
ist Stellvertretender Leiter<br />
des ifo-Instituts Dresden.<br />
anderswo möglicherweise in anderer Konstellation<br />
mitregieren) im Rahmen einer<br />
Koalitionsregierung dafür, dass parteipolitisch<br />
geprägte Sonderwege in<br />
einem einzelnen Land weitgehend<br />
ausgeschlossen<br />
sind. All das führt dazu,<br />
dass sich die Politiken<br />
der einzelnen Bundesländer<br />
im Ganzen<br />
wenig unterscheiden,<br />
unabhängig<br />
davon, wer denn<br />
nun die jeweilige Regierung<br />
bildet.<br />
Freilich: Noch ist<br />
nicht gewiss, in welche<br />
Richtung sich<br />
die Partei in Zukunft<br />
bewegen wird und ob sie auch auf Dauer<br />
als Regierungspartei (zumindest auf Landesebene)<br />
in Frage kommt. Die inhaltlichen<br />
Positionen der „Realos“, die vor allem<br />
in den ostdeutschen Ländern die öffentliche<br />
Wahrnehmung der Linken bestimmen,<br />
sind weit entfernt von jenen,<br />
die die „Fundis“ auf Bundesebene formulieren.<br />
Wenn Die Linke auch längerfristig<br />
(und vor allem auch im Bund) koalitionsfähig<br />
sein will, muss sie deshalb vermutlich<br />
von vielen ihrer radikalen ideologischen<br />
Vorstellungen Abstand und die<br />
Restriktionen in Kauf nehmen, die jeder<br />
Regierungspartei durch das Geflecht tatsächlicher<br />
Kompetenzbeschränkungen im<br />
föderalen Staat einerseits und Rücksichtnahme<br />
auf potenzielle Koalitionspartner<br />
andererseits auferlegt werden. Derzeit ist<br />
noch nicht absehbar, welchen Weg die<br />
Partei einschlagen wird. W+M<br />
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