Die Kunst des Liebens - Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden
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Aktiv <strong>für</strong> <strong>den</strong> Frie<strong>den</strong><br />
52 Wochen im Jahr
2 l<br />
Al final del camino me dirán:<br />
-- ¿Has vivido? ¿Has amado?<br />
Y yo, sin decir nada,<br />
abriré el carazón lleno de nombres.<br />
Am Ende <strong>des</strong> Weges wird man mich fragen:<br />
„Wie hast du gelebt? Hast du geliebt?<br />
Und ich werde, ohne etwas zu sagen,<br />
mein Herz öffnen – voller Namen.<br />
Pedro Casaldáliga<br />
<strong>für</strong> Michael Mil<strong>den</strong>berger<br />
in Dankbarkeit<br />
<strong>für</strong> seinen Einsatz <strong>für</strong> <strong>den</strong> Frie<strong>den</strong>,<br />
<strong>für</strong> das offene Herz,<br />
<strong>für</strong> die ansteckende Wärme und Begeisterung,<br />
<strong>für</strong> die Fähigkeit,<br />
in und hinter allen Streiten<br />
immer <strong>den</strong> Menschen zu sehen.<br />
Imshausen, <strong>den</strong> 28. September 2007
Stephan Langenberg<br />
Verwendungzweck <strong>für</strong> Waffen!<br />
Foto aus Mapto, Mosambik (16 Jahre Bürgerkrieg)<br />
Wo Krieg beginnt, das wissen wir,<br />
aber wo beginnt der Vorkrieg?<br />
Christa Wolf<br />
1. WOCHE l 3
4 l<br />
Bürgermut<br />
Solidarität ist eine gute Sache, wenn sie in Hilfsbereitschaft<br />
<strong>für</strong> diejenigen geübt wird, die selber nicht mithalten können.<br />
Solidarität ist eine schlechte Sache, wo sie als ein<br />
gemeinsames Schweigen geübt wird, anstatt beim Namen<br />
zu nennen, was man <strong>für</strong> schlecht oder gefährlich hält.<br />
Nur wer bekennt, findet <strong>den</strong>, der mit ihm bekennt.<br />
Nur wer Bürgermut lebt, macht andere Bürger lebendig.<br />
Sprechen wir also das, was wir <strong>den</strong>ken oder meinen,<br />
auch dann aus, wenn es unserer Umgebung nicht gefällt?<br />
Wir wollen eine Gemeinschaft der Vielfalt sein.<br />
Wo aber alle dasselbe <strong>den</strong>ken, <strong>den</strong>kt wahrscheinlich<br />
niemand sehr viel.<br />
Wo einer sich <strong>den</strong> Bürgermut nehmen läßt, etwas Gebotenes<br />
trotz möglicher Schwierigkeiten zu tun, trägt er dazu bei,<br />
dass unsere Freiheiten in Gefahr geraten. Das tut auch,<br />
wer unnötig nach dem Staat ruft, der ja bei uns so eilig alles und<br />
jenes tun soll.<br />
Das tut auch, wer als Vorgesetzter, als Behör<strong>den</strong>vertreter<br />
oder als Politiker seine Macht einsetzt gegen diejenigen,<br />
die Mißstände oder Ungerechtigkeiten aufdecken.<br />
Wir gefähr<strong>den</strong> unsere eigene Freiheit auch dann, wenn<br />
nicht ebenfalls jeder andere sagen kann, was ihn bewegt.<br />
Jeder von uns ist nur so lange ein freier Bürger,<br />
als wir alle es sind.<br />
2. WOCHE<br />
Gustav Heinemann, 1971<br />
Mira Lorent
Ende der Wolfszeit:<br />
Überlegungen zu Jesaja 11, 1–9<br />
„Der Mensch ist <strong>des</strong> Menschen Wolf“. Thomas Hobbes will damit<br />
sagen: Einer frisst <strong>den</strong> Anderen auf, einer bringt <strong>den</strong> Anderen um.<br />
<strong>Die</strong> Geschichte liefert unzählige Beispiele da<strong>für</strong>: Auschwitz,<br />
Hiroshima und Archipel Gulag, Ruanda, Afghanistan, Irak, Darfur ...<br />
Ein beklemmender Film unserer Tage trägt <strong>den</strong> Titel „Tal der Wölfe“.<br />
Der Mensch? Des Menschen Wolf. Ist das im Sinne Gottes?<br />
Der Prophet Jesaja war vor rund 2800 Jahren anderer Meinung.<br />
Er setzt dem Tal der Wölfe eine Frie<strong>den</strong>svision entgegen. Er stellt<br />
sich einen König vor, <strong>den</strong> Messias, der Weisheit und Verstand,<br />
Rat und Stärke sowie Erkenntnis und Furcht <strong>des</strong> Herrn verkörpert.<br />
Einen ganz und gar vom Geist Gottes geführten Menschen.<br />
Als Frie<strong>den</strong>skönig wird er <strong>für</strong> Recht und Gerechtigkeit sorgen.<br />
„Mit Gerechtigkeit [wird er] richten die Armen und rechtes Urteil<br />
sprechen <strong>den</strong> Elen<strong>den</strong> im Lande“. Wer so handelt, zähmt die<br />
Wölfe dieser Welt.<br />
Christen haben Jesajas Worte immer schon auf Jesus von Nazareth<br />
bezogen. Zwischen Jesaja und Jesus gibt es viele Übereinstimmungen.<br />
Sie stehen <strong>für</strong> die gleichen Werte. Sie glauben an die Untrennbarkeit<br />
von Recht, Gerechtigkeit und Frie<strong>den</strong>. Beide sind davon überzeugt,<br />
dass am Ende der Zeiten eine neue, von Frie<strong>den</strong> und Gerechtigkeit<br />
gekennzeichnete Wirklichkeit sichtbar wer<strong>den</strong> wird. Eine neue<br />
Schöpfung. Ende der Wolfszeit.<br />
Eberhard Martin Pausch<br />
3. WOCHE l 5
6 l<br />
4. WOCHE<br />
Uwe Kraeusel
Sprachmissbrauch<br />
als Unfrie<strong>den</strong>sstifter<br />
George Orwells Roman 1984 ist hochaktuell – und weniger fiktiv, als wir es uns<br />
wünschen sollten. <strong>Die</strong> Propagandaformeln <strong>des</strong> Neusprech regieren Medien<br />
und Politik. Da ist von „Frie<strong>den</strong>(smission)“ die Rede, wenn „Krieg“ gemeint ist.<br />
Von „Nato-geführten Isaf-Truppen“, wenn „Soldaten“ kaschiert wer<strong>den</strong> sollen.<br />
Ein „Kulturkampf“ wird beschworen, um vom unlauteren Ressourcenklau<br />
abzulenken. „Verantwortung“ bedeutet zunehmend „militärische Einmischung“<br />
und die „Besetzung“ von strategisch wichtigen Ländern wird als<br />
„humanitäre Hilfe“ schön geredet. Das Messen mit zweierlei Maß wird als<br />
„höherer zivilisatorischer Standard“ oder gar als alles legitimierende „demokratische<br />
Werte“ schmackhaft gemacht. Völker- und Menschenrecht gelten<br />
nur noch <strong>für</strong> die, die es „verdienen“ (entsprechend dem Weißbuch der Bun<strong>des</strong>„wehr“)<br />
– ganz im marktwirtschaftlichen Sinne.<br />
Überhaupt klingt alles so schön menschenfreundlich und die Tastatur der<br />
Moral wird angeschlagen – von „nicht im Stich lassen“ ist die Rede und ähnlichen<br />
Fallstricken <strong>für</strong> gutmeinende Menschen. Auf dem Balkan wurde mit<br />
der Warnung „Nie wieder Auschwitz“ <strong>für</strong> <strong>den</strong> Krieg geworben. Wessen Interessen<br />
sich da durchgesetzt haben, ist inzwischen bekannt. Das Wohl der Menschen<br />
war weder Ziel noch Weg – ein Missbrauchsobjekt, wie viele moralische<br />
Werte im aktuellen politischen Jargon.<br />
„Neue soziale Marktwirtschaft“ klingt es von der Kanzlerinnenkanzel und<br />
gemeint ist Privatisierung und globalisiertes Profitstreben. Dem Profitgott<br />
wird auch der einst gebildete Bürger geopfert. Hinter „Eliteförderung“ verbirgt<br />
sich „Bildungsabbau“, „mehr Eigenverantwortung“ <strong>für</strong> die Schulen,<br />
bedeutet schlicht „weniger Geldmittel“ – so ist es leichter, eine große Zahl<br />
mit<strong>den</strong>kender und verantwortlicher Bürger auf ein abhängiges Kun<strong>den</strong>- und<br />
Lieferantenverhältnis zu reduzieren.<br />
Dr. Sabine Schiffer<br />
5. WOCHE l 7
8 l<br />
Religion wird von verschie<strong>den</strong>en Seiten gezielt als Missbrauchsobjekt eingesetzt<br />
– als Frie<strong>den</strong>sstifter missachtet, als Unruhestifter beschworen, zur<br />
Machtlegitimation umgedeutet. Der einst religiös besetzte Begriff der „Mission“<br />
dient inzwischen im doppelten Sinne der Werbung <strong>für</strong> Beteiligung –<br />
Beteiligung an Ungleichheit, Ausbeute und kurzfristigem Gewinn <strong>für</strong> wenige.<br />
<strong>Die</strong> Börsennachrichten sind Teil der Gewöhnung an dieses Denken. Dahinter<br />
steckt ein Menschenbild, dass auf Differenz und Hierarchie begründet ist –<br />
also der menschlichen Natur zuwider, wenn wir Joachim Bauers „Prinzip<br />
Menschlichkeit“ ernst nehmen.<br />
All dies ist menschengemacht und menschenverachtend – und Gott sei Dank<br />
gibt es Menschen, die sich <strong>für</strong> eine menschenwürdige Welt einsetzen. Da führen<br />
uns hoch-ein-gebildeten Europäern Menschen in Lateinamerika vor, wie<br />
man sich erfolgreich gegen die Privatisierung <strong>des</strong> Wassers durch einen US-<br />
Konzern wehrt. Da zeigen uns die Menschen im Kongo, wie eine moderne<br />
demokratische Verfassung auszusehen hat. Eine Verfassung, die nur dem<br />
gegeneinander Ausspielen einzelner Bevölkerungsgruppen durch Kräfte von<br />
außen nicht Vorschub zu leisten vermag. Da sind es arme Frauen in Burkina-<br />
Faso, die versuchen, sich unabhängig von Monsanto & Co. zu machen und mit<br />
wiederaussähbarem Saatgut ihre Felder in gemeinsamer Arbeit bestellen. Da<br />
gibt es Rabbiner und Imame und <strong>für</strong> <strong>den</strong> Frie<strong>den</strong>, die sich gegen die Hardliner<br />
in Israel und Palästina stellen und <strong>für</strong> einen Frie<strong>den</strong> <strong>für</strong> alle eintreten.<br />
Einige Pflänzchen der Hoffnung, die gehegt und gepflegt wer<strong>den</strong> müssen<br />
und wovon es noch viele mehr gibt. Wie die noch zarte Arbeitsgemeinschaft<br />
<strong>für</strong> <strong>den</strong> Frie<strong>den</strong> in Deutschland, damit es auch hier weniger gelingt, die Menschen<br />
gegeneinander auszuspielen, sondern gelingt, dem modernen Opium<br />
<strong>des</strong> Volkes „Kulturkampf“ <strong>den</strong> Nährbo<strong>den</strong> aus Misstrauen und Unkenntnis zu<br />
entziehen.<br />
5. WOCHE<br />
Dr. Sabine Schiffer
Reinhard J. Voß<br />
<strong>Die</strong>se Orchidee blüht im Februar 2007 an der Mauer<br />
<strong>des</strong> Trappistenklosters in Goma, Nord-Kivu (RD Kongo).<br />
Meine Blume aus Goma.<br />
Sie ist betörend schön.<br />
Sie blüht in einer gemarterten Stadt als Blume der Hoffnung.<br />
Goma wurde in <strong>den</strong> letzten 10 Jahren doppelt überflutet<br />
Von Flüchtlingsströmen im Krieg (da<strong>für</strong> steht der Stacheldraht)<br />
Von Lavaströmen <strong>des</strong> Vulkans Nyira Gongo<br />
(gefährlicher Berg; da<strong>für</strong> stehen die Vulkansteine).<br />
<strong>Die</strong>ses Bild berührt und spricht:<br />
von der Überwindung <strong>des</strong> Bösen durch das Gute,<br />
von Schönheit und Würde inmitten allen Leide(n)s,<br />
von der Hoffnung wider alle Hoffnung,<br />
von der Auferstehung vom Tod,<br />
von der Kraft der Natur und Gottes.<br />
6. WOCHE l 9
10 l<br />
7. WOCHE<br />
<strong>Die</strong> Gabe<br />
Eines Tages<br />
Flügel erfin<strong>den</strong><br />
wegfliegen -<br />
morgens enteilen<br />
Oder einfach<br />
an Flügellose<br />
je<br />
eine Feder<br />
verteilen<br />
Wjatscheslaw Kuprijanow, nachgedichtet von Heinz Kahlau<br />
Ruben Kurschat
Es war ein kalter, bewölkter Tag, als der Reiter <strong>den</strong> kleinen Spatz<br />
in der Mitte <strong>des</strong> Weges sah, auf dem Rücken liegend. Im Sattel sitzen<br />
bleibend, sah er auf die zerbrechliche Kreatur herunter und fragte:<br />
„Was liegst du hier auf deinem Rücken auf der Straße herum?“<br />
„Ich habe gehört, dass heute der Himmel herab fallen soll.“<br />
Der Reiter lachte:<br />
„Und deine spindeldürren Beine sollen ihn aufhalten?“<br />
„Man tut, was man kann“, sagte der kleine Spatz.<br />
Verfasser unbekannt<br />
Wer sich <strong>für</strong> <strong>den</strong> Frie<strong>den</strong> einsetzt, kann mitunter wie dieser kleine Spatz<br />
belächelt wer<strong>den</strong>. Und doch: wenn wir tun, was wir können, wird das seine<br />
Wirkung nicht verfehlen, <strong>den</strong>n es ist unser christlicher Auftrag.<br />
Barbara Hege-Galle<br />
8. WOCHE l 11
12 l<br />
KINDERKONFLIKTFORSCHUNG<br />
„Mini-München“ ist eine Spielstadt <strong>für</strong> Kinder, in der sie studieren, arbeiten,<br />
(Spiel-)Geld verdienen und wieder ausgeben und politisch aktiv wer<strong>den</strong> können.<br />
Es gibt einen Handwerkerhof, ein Rathaus, eine Schreinerei, das Wirthaus<br />
„Zur fetten Sau“ – und eine Zoffakademie.<br />
Dort lernen die Kinder richtig streiten und sie fin<strong>den</strong> Arbeitsplätze als KonfliktforscherInnen,<br />
die nach <strong>den</strong> Einstellungen und Erfahrungen ihrer jungen<br />
MitbürgerInnen mit Streit, Konflikt, Frie<strong>den</strong> und Versöhnung fragen.<br />
Ein Forschungsthema war: Welche Ratschläge geben die Erwachsenen <strong>den</strong><br />
Kindern zum Thema Streit? Besonders häufig hören die Kinder folgende Empfehlungen:<br />
■ Hör einfach nicht zu.<br />
■ Geh dem anderen aus dem Weg.<br />
■ Der Klügere gibt nach.<br />
■ Sei doch vernünftig.<br />
Und diesen letzten Ratschlag fin<strong>den</strong> die Kinder richtig schlimm.<br />
Auch eine interessante Frage: Warum wollen die Erwachsenen, dass Kinder<br />
aufhören zu streiten? <strong>Die</strong> häufigste Antwort:„Sie wollen ihre Ruhe haben“.<br />
Und trotzdem wünschen sich nur ein Fünftel der Kinder, dass ihre Eltern sich<br />
raushalten, wenn sie mit ihren Geschwistern streiten. <strong>Die</strong> meisten möchten,<br />
dass die Eltern helfen, eine gerechte Lösung zu fin<strong>den</strong> – und sie trauen ihnen<br />
das auch zu.<br />
Frie<strong>den</strong> in Gerechtigkeit – das wünschen sich die Kinder von uns Erwachsenen.<br />
Ein Ansporn!<br />
9. WOCHE<br />
Renate Grasse
Wir dürfen uns keine Illusionen machen.<br />
Wir dürfen nicht naiv sein. Wenn wir auf die Stimme Gottes hören,<br />
treffen wir unsere Wahl, wir gehen über uns selbst hinaus und<br />
kämpfen gewaltfrei <strong>für</strong> eine bessere Welt.<br />
Wir dürfen nicht erwarten, dass es einfach wird.<br />
Wir wer<strong>den</strong> nicht auf Rosen gehen.<br />
<strong>Die</strong> Leute wer<strong>den</strong> nicht herbei strömen, um uns zu hören und zu applaudieren.<br />
Und wir wer<strong>den</strong> Gottes Schutz nicht immer wahrnehmen.<br />
Als Pilger der Gerechtigkeit und <strong>des</strong> Frie<strong>den</strong>s müssen wir die Wüste erwarten.<br />
Dom Helder Camara<br />
10. WOCHE l 13
14 l<br />
<strong>Die</strong> Kieselsteine <strong>des</strong> Lebens<br />
Eines Tages wurde ein alter Professor der französischen nationalen Schule <strong>für</strong><br />
Verwaltung gebeten, <strong>für</strong> eine Gruppe von etwa 15 Chefs großer nordamerikanischer<br />
Unternehmen eine Vorlesung über sinnvolle Zeitplanung zu halten.<br />
<strong>Die</strong>ser Kurs war einer von fünf Stationen ihres eintägigen Lehrgangs. Der Professor<br />
hatte daher nur eine Stunde Zeit, sein Wissen zu vermitteln.<br />
Zuerst betrachtete der Professor in aller Ruhe einen nach dem anderen dieser<br />
Elitegruppe (sie waren bereit, alles was der Fachmann ihnen beibringen wollte,<br />
gewissenhaft zu notieren). Danach verkündete er:„Wir wer<strong>den</strong> ein kleines<br />
Experiment durchführen.“ Der Professor zog einen riesigen Glaskrug unter<br />
seinem Pult hervor, das ihn von seinen Schülern trennte und stellte ihn vorsichtig<br />
vor sich. Dann holte er etwa ein Dutzend Kieselsteine, etwa so groß wie<br />
Tennisbälle, hervor und legte sie sorgfältig, einen nach dem anderen, in <strong>den</strong><br />
großen Krug. Als der Krug bis an <strong>den</strong> Rand voll war und kein weiterer Kieselstein<br />
mehr darin Platz hatte, blickte er langsam auf und fragte seine Schüler:<br />
„Ist der Krug voll?“ Und alle antworteten:„Ja“.<br />
Er wartete ein paar Sekun<strong>den</strong> ab und fragte einen Schüler: „Wirklich?“ Dann<br />
verschwand er erneut unter dem Tisch und holte einen mit Kies gefüllten<br />
Becher hervor. Sorgfältig verteilte er <strong>den</strong> Kies über <strong>den</strong> großen Kieselsteinen<br />
und rührte dann leicht <strong>den</strong> Topf um. Der Kies verteilte sich zwischen <strong>den</strong> großen<br />
Kieselsteinen bis auf <strong>den</strong> Bo<strong>den</strong> <strong>des</strong> Krugs. Der Professor blickte erneut<br />
auf und fragte sein Publikum:„Ist dieser Krug voll?“<br />
<strong>Die</strong>ses Mal begannen seine schlauen Schüler, seine Darbietung zu verstehen.<br />
Einer von ihnen antwortete: „Wahr-scheinlich nicht!“ „Gut“ antwortete der<br />
Professor. Er verschwand wieder unter seinem Pult und diesmal holte er einen<br />
Eimer Sand hervor. Vorsichtig kippte er <strong>den</strong> Sand in <strong>den</strong> Krug. Der Sand füllte<br />
die Räume zwischen <strong>den</strong> großen Kieselsteinen und dem Kies auf.Wieder fragte<br />
er: „Ist dieses Gefäß voll?“ <strong>Die</strong>ses Mal antworteten seine schlauen Schüler<br />
11. WOCHE<br />
Wolfgang Geffe
ohne zu zögern im Chor: „Nein!“ „Gut“ antwortete der Professor. Und als hätten<br />
seine wunderbaren Schüler nur darauf gewartet, nahm er die Wasserkanne,<br />
die unter seinem Pult stand, und füllte <strong>den</strong> Krug bis an <strong>den</strong> Rand. Dann<br />
blickte er auf und fragte seine Schüler:„Was können wir Wichtiges aus diesem<br />
Experiment lernen?“<br />
Der Kühnste unter seinen Schülern dachte an das Thema der Vorlesung und<br />
antwortete:„Daraus lernen wir, dass selbst wenn wir <strong>den</strong>ken, dass unser Zeitplan<br />
schon bis an <strong>den</strong> Rand voll ist, wir, wenn wir es wirklich wollen, immer<br />
noch einen Termin oder andere Dinge, die zu erledigen sind, einschieben können.“<br />
„Nein“, antwortete der Professor,„darum geht es nicht.Was wir wirklich<br />
aus diesem Experiment lernen können ist folgen<strong>des</strong>: Wenn man die großen<br />
Kieselsteine nicht als erstes in <strong>den</strong> Krug legt, wer<strong>den</strong> sie später niemals alle<br />
hineinpassen.“ Es folgte ein Moment <strong>des</strong> Schweigens. Jedem wurde bewusst,<br />
wie sehr der Professor Recht hatte. Dann fragte er: „Was sind in eurem Leben<br />
die großen Kieselsteine? Eure Gesundheit? Eure Familie? Eure Freunde? <strong>Die</strong><br />
Realisierung eurer Träume? Das zu tun, was euch Spaß macht? Dazuzulernen?<br />
Eine Sache verteidigen? Entspannung? Sich Zeit nehmen? Oder etwas ganz<br />
anderes?<br />
Was wirklich wichtig ist, ist dass man die großen Kieselsteine in seinem Leben<br />
an die erste Stelle setzt. Wenn nicht, läuft man Gefahr, es nicht zu<br />
meistern…sein Leben. Wenn man zuerst auf Kleinigkeiten achtet, verbringt<br />
man sein Leben mit Kleinigkeiten und hat nicht mehr genug Zeit <strong>für</strong> die wichtigen<br />
Dinge in seinem Leben. Deshalb vergesst nicht, euch selbst die Frage zu<br />
stellen:„Was sind die großen Kieselsteine in meinem Leben?“ Dann legt diese<br />
zuerst in euren Krug <strong>des</strong> Lebens.“<br />
Mit einem freundlichen Gruß verabschiedete sich der Professor von seinem<br />
Publikum und verließ langsam <strong>den</strong> Saal.<br />
Wolfgang Geffe<br />
11. WOCHE l 15
16 l<br />
Frie<strong>den</strong> stiften<br />
Ein „Frie<strong>den</strong>stifter“ ist ein Mensch, der „Gutes tut an jederman“, wo immer<br />
sich eine Gelegenheit bietet. Er ist ein Mensch, der von der Liebe zu Gott und<br />
der ganzen Menschheit erfüllt ist und seine Bemühungen um Frie<strong>den</strong> nicht<br />
auf seine eigene Familie, seine Freunde und Bekannten oder seine Gruppe<br />
beschränkt.<br />
Er kann sie auch nicht nur <strong>den</strong>en zuwen<strong>den</strong>, die mit ihm gleicher Meinung<br />
sind – oder sogar <strong>den</strong> gleichen kostbaren Glauben teilen.<br />
Vielmehr überschreitet er all diese engen Grenzen, sodass er jedermann<br />
Gutes tun und in vielfältiger Weise seine Liebe gegenüber Nächsten und<br />
Frem<strong>den</strong>, Freun<strong>den</strong> und Fein<strong>den</strong> erweisen kann.<br />
Er tut ihnen alles er<strong>den</strong>klich Gute, sobald sich eine Gelegenheit dazu bietet,<br />
bei jedem nur möglichen Anlass. Zu diesem Zweck „kauft er die Zeit aus“. Er<br />
nimmt jede Gelegenheit wahr, nützt jede Stunde, versäumt keinen Augenblick,<br />
um seinen Mitmenschen zu nützen. Er kennt nicht nur eine Art Gutes zu<br />
tun, sondern er tut es grundsätzlich, auf jede mögliche Weise. Dabei setzte er<br />
alle seine Gaben ein, alle seine Kräfte und Fähigkeiten <strong>des</strong> Leibes und der<br />
Seele, sein ganzes Vermögen, seinen Einfluss, sein Ansehen. Sein einziger<br />
Wunsch ist, dass sein Herr bei seinem Kommen zu ihm sagen möchte:„Recht<br />
so, du tüchtiger und treuer Knecht!“<br />
12. WOCHE<br />
John Wesley (1703 –1791),<br />
Begründer der methodistischen Bewegung<br />
Christine Bündjen
Lieber Herr Mil<strong>den</strong>berger,<br />
<strong>für</strong> unsere gemeinsamen Begegnungen möchte ich Ihnen ganz herzlich<br />
danken mit einigen mir wichtigen Grundlagen der Frie<strong>den</strong>sarbeit, die ich<br />
Marshall Rosenberg, Rumi und anderen spirituellen Lehrer/innen verdanke.<br />
1. Das Gegenteil von Liebe ist in <strong>den</strong> meisten Fällen nicht Hass,<br />
sondern Gleichgültigkeit.<br />
2. Wenn jemand anderer Meinung ist als ich, kann ich von ihr oder ihm lernen.<br />
3. Jenseits von richtig und falsch gibt es einen Ort, dort treffen wir uns.<br />
4. Ein Feind ist ein Mensch, <strong>des</strong>sen Geschichte noch nicht gehört wurde.<br />
5. Jeder Angriff ist ein Schrei nach Liebe.<br />
6. Zwischen einem Reiz und meiner Reaktion gibt es einen kostbaren<br />
Moment, <strong>des</strong>sen Bewusstwerdung mir mehr als nur<br />
eine Handlungsmöglichkeit schenkt.<br />
7. Wenn ich meinen inneren Frie<strong>den</strong> verliere, kann ich <strong>für</strong> <strong>den</strong><br />
äußeren Frie<strong>den</strong> nichts Positives mehr beitragen.<br />
8. <strong>Die</strong> Integration meiner Schattenseiten ist die Grundlage aller Frie<strong>den</strong>sarbeit.<br />
9. Wenn ich weiß, wer ich bin, fällt die Entscheidung leichter,<br />
was ich als Nächstes anpacke.<br />
10. Wenn ich „sollen“ und „müssen“ aus meinem Sprachschatz streiche,<br />
lebe ich glücklicher und zufrie<strong>den</strong>er.<br />
11. Hoffnung heißt: Lei<strong>den</strong> am Wirklichen und Lei<strong>den</strong>schaft <strong>für</strong> das Mögliche.<br />
12. Humor und Über mich selbst lachen können ist ein guter Schutz<br />
gegen burning out.<br />
Clemens Ronnefeldt<br />
13. WOCHE l 17
18 l<br />
Es bedarf vieler Gedanken, um einen festzuhalten<br />
Stanislaw Jerzy Lec,<br />
Aphorismus aus „Das große Buch der unfrisierten Gedanken“<br />
Lieber Herr Mil<strong>den</strong>berger – viele Gedanken haben wir in der Beratungsgruppe<br />
geteilt. Einige haben wir mit vereinten Kräften festgehalten. Sie haben<br />
sie dann zu Papier gebracht und wieder zur Diskussion gestellt – bis sie wohl<br />
notiert waren.<br />
So konnten wir sie mit anderen teilen und können sie immer noch weitergeben.<br />
Vielleicht gewinnen sie auf diesem Wege nach und nach Bedeutung:<br />
setzen sich in dem einen oder anderen Kopf fest, verbin<strong>den</strong> sich mit anderen<br />
Gedanken, wer<strong>den</strong> wieder in die Welt entlassen und in die Tat umgesetzt!<br />
Herzlichen Dank <strong>für</strong> das getreue und kreative Festhalten von Gedanken,<br />
<strong>für</strong> das Aufnehmen anderer Gedanken, das Hinzufügen, Weglassen,<br />
neu Kombinieren. Hinhorchend, fragend, andere Gedanken inspirierend,<br />
herausfordernd, verwerfend, neu aufwerfend!<br />
In lebhafter Erinnerung an diese gemeinsamen Gedankenprozesse und<br />
mit allen guten Wünschen <strong>für</strong> unbeschwerten Gedankenaustausch mit jenen,<br />
die ihnen lieb und teuer sind.<br />
14. WOCHE<br />
Sylvia Servaes
Uwe Kraeusel<br />
15. WOCHE l 19
20 l<br />
<strong>Die</strong> schwäbischen Wurzeln<br />
<strong>des</strong> AGDF-Vorsitzen<strong>den</strong> M M<br />
M M wurde am 11. 8. 1934 als Sohn eines<br />
Pfarrers der Bekennen<strong>den</strong> Kirche in Kohlstetten<br />
geboren. Im August 1982 fand nahe<br />
bei diesem Albdorf ein einwöchiger<br />
Sitzstreik der Frie<strong>den</strong>sbewegung statt.<br />
Der Protest galt <strong>den</strong> atomaren Sprengköpfen<br />
der amerikanischer Lance-Raketen,<br />
Engstingen –Kohlstetten<br />
die in der Engstinger L.-Finckh-Kaserne<br />
lagerten. 750 Personen nahmen an der auch von ORL getragenen gewaltfreien<br />
Aktion teil. Über 300 Strafbefehle ergingen, die das BVG jedoch 1995<br />
<strong>für</strong> verfassungswidrig erklärte. Der Bun<strong>des</strong>wehrstandort Engstingen<br />
wurde 1993 aufgelöst.<br />
MM wuchs auf im proletarischen Osten Stuttgarts und<br />
besuchte bis 1949 das Eberhard-Ludwigs-Gymnasium,<br />
das berühmte GYMNASIUM ILLUSTRE,<br />
<strong>des</strong>sen Schüler einst auch G.W. F. Hegel war.<br />
1949–51 war MM Seminarist im Kloster Maulbronn –<br />
58 Jahre nach H. Hesse.<br />
Danach besuchte er bis zum<br />
Abitur 1953 das Seminar<br />
Blaubeuren in <strong>den</strong> Räumen <strong>des</strong> ehemaligen<br />
Benediktinerklosters am Blautopf.<br />
16. WOCHE<br />
Ostheim – Lukaskirche<br />
Ohne Rüstung Leben
Nach dem Theologiestudium<br />
war MM von 1962 –1965<br />
Repetent (Tutor und Dozent)<br />
am Tübinger Ev. Stift, in dem<br />
einst Kepler, Hölderlin und<br />
Hegel studierten.<br />
1965–1970 wirkte er<br />
als Dorfpfarrer in Seißen<br />
bei Blaubeuren.<br />
Bevor MM 1981 als Oberkirchenrat zum Kirchenamt der EKD wechselte,<br />
war er elf Jahre in der Ev. Zentrale <strong>für</strong> Weltanschauungsfragen (EZW)<br />
am Hölderlinsplatz in Stuttgart tätig.<br />
Aus Stuttgart grüßt mit allen guten Wünschen<br />
<strong>für</strong> <strong>den</strong> schei<strong>den</strong><strong>den</strong> AGDF-Vorsitzen<strong>den</strong> herzlich<br />
OHNE RÜSTUNG LEBEN (ORL)<br />
Ohne Rüstung Leben<br />
Kirchturm Seißen<br />
16. WOCHE l 21
22 l<br />
Lieber Herr Mil<strong>den</strong>berger,<br />
<strong>für</strong> die sechs Jahre Ihres Engagements mit Ihrem umfassen<strong>den</strong><br />
Wissen und Ihre Kompetenz als Vorstandsvorsitzender der<br />
AGDF möchten wir uns von der Arbeitsstelle kokon ganz<br />
herzlich bedanken!<br />
Sie haben Ihre Meinung, Ihre Erfahrung und Ihre Erkenntnisse<br />
durch die AGDF leuchten lassen. Ihre Äußerungen, persönlich<br />
oder schriftlich waren immer mit großer Sachkenntnis<br />
und vollem inneren Engagement gekennzeichnet. Mit Energie<br />
und Glaubenskraft haben Sie dazu beigetragen, dass in der<br />
Welt und in der Kirche sichtbarer wird, dass Frie<strong>den</strong> die einzige<br />
Alternative ist.<br />
Wir wünschen Ihnen nun eine ruhigere Zeit, in der Sie mehr<br />
Raum <strong>für</strong> sich und Ihre persönlichen Interessen und Vorlieben<br />
genießen können. Uns wünschen wir aber auch, dass der<br />
engagierte Kenner der Frie<strong>den</strong>stheologie und -arbeit sein<br />
Licht immer wieder einmal, in diesem Bereich scheinen lässt.<br />
Wir brauchen die Verbindung zu <strong>den</strong> erfahrenen Vätern der<br />
Frie<strong>den</strong>sarbeit.<br />
Gott segne Sie in allem Tun und Lassen. Sein Licht erhelle<br />
Ihren Weg, wohin er auch führt. Sein Licht scheine weiter<br />
durch Sie und gebe anderen Mut, <strong>für</strong> die Sache <strong>des</strong> Frie<strong>den</strong>s<br />
einzustehen.<br />
Mit herzlichen Grüßen aus Bayern<br />
17. WOCHE<br />
Claudia Kuchenbauer / Elisabeth Peterhoff
Claudia Kuchenbauer / Elisabeth Peterhoff<br />
17. WOCHE l 23
24 l<br />
Bruder Mil<strong>den</strong>berger<br />
Wann wir uns zum ersten Mal begegneten, Bruder Mil<strong>den</strong>berger<br />
und ich, kann ich so genau nicht mehr feststellen. Wahrscheinlich<br />
bei einem der renommierten dialog-orientierten Hauptseminare<br />
Marguls, die er damals in der Missions Akademie der evangelischen<br />
Theologie unter der gemeinsamen Verantwortung der Kirche und<br />
der Wissenschaft hielt. Wir beide kamen mit interreligiösen Erfahrungen,<br />
die uns irgendwie tief geprägt hatten.<br />
Deswegen empfan<strong>den</strong> wir es umso schöner, dass wir uns wieder<br />
bei dem islamisch christlichen Arbeitskreis <strong>für</strong> Ausländerträger<br />
(so ungefähr hieß er damals) trafen, <strong>den</strong> einige der weitsichtigen<br />
Theologen der evangelischen und katholischen Kirche in Zusammenarbeit<br />
mit einigen muslimischen Gelehrten ins Leben<br />
gerufen hatten. Niemand konnte es damals ahnen, wie viel dieser<br />
beschei<strong>den</strong>e, informelle und unauffällige Kreis der engagierten<br />
Christen und Muslime <strong>für</strong> die geschwisterlichen Beziehungen<br />
zwischen unserer bei<strong>den</strong> Gemeinschaften in der Bun<strong>des</strong>republik<br />
Deutschland beitragen würde.<br />
So fingen wir an, uns immer häufiger zu begegnen, bei Sitzungen,<br />
wo wir alle möglichen Projekte vorbereiteten und ausführten,<br />
z.B. um die islamische Scharia hierzulande besser bekannt zu<br />
machen, oder christlich-islamische Gespräche bei dem Kirchentag<br />
einzuleiten. Über die zahlreichen Vorträge, Seminare, Tagungen<br />
und andere Dialogaktivitäten, bei <strong>den</strong>en wir gemeinsam teilgenommen<br />
hatten, kann ich leider nicht ausführlich berichten.<br />
Ich war immer sehr beglückt an seiner Seite mitzuwirken.<br />
18. WOCHE<br />
Medhi Imam Razvi
Was brachte uns beide so nahe zueinander, dass wir, ohne es zu<br />
merken, uns gegenseitig als Bruder ansprachen und auch so<br />
empfin<strong>den</strong>? Wir mit unseren unterschiedlichen Biographien,<br />
Hintergrund und Wurzeln. Er, eine sehr wichtige Amtsperson<br />
seiner Kirche, aus einem tief schwäbischen Luthertum, und ich, ein<br />
schiitisch gefärbter Muslim aus Pakistan mit indischem Hintergrund.<br />
Vielleicht war es unsere persönliche Religiosität, die es uns<br />
ermöglicht, in dem anderen seinen unbekannten und doch irgendwie<br />
sehr vertrauten Bruder zu entdecken. Vielleicht war es auch<br />
verbun<strong>den</strong> mit unserer theologischen Neugier, die uns immer<br />
wieder anspornte uns mit <strong>den</strong> Glaubenswelten <strong>des</strong> Anderen zu<br />
beschäftigen und neues zu entdecken. Auch unsere Liebe zum<br />
Frie<strong>den</strong> hat uns stets begleitet und erfreut.<br />
Ich bin sehr dankbar, dass ich Bruder Mil<strong>den</strong>berger<br />
begegnen durfte.<br />
Medhi Imam Razvi<br />
Christlich-islamischer Workshop<br />
18. WOCHE l 25
26 l<br />
■<br />
Der auferweckte Jesus fragt Petrus,<br />
Liebst du mich mehr als diese?<br />
Das ist ja schon eine Zumutung. Schon die Frage: liebst du mich? löst ja doch Grummeln<br />
aus. Kann er/sie nicht warten bis ich es ihr/ihm sage? Zeige ich es nicht? Habe<br />
ich es nicht mein ganzes Leben, seitdem wir uns kennen, gezeigt?<br />
Aber die Antwort scheint Jesus zu genügen, <strong>den</strong>n er beauftragt Petrus: Weide mein<br />
Lämmer!<br />
Jetzt könnte die Szene en<strong>den</strong> und wir könnten erwarten, dass Petrus sagt: Ja gerne<br />
oder Ähnliches.<br />
Petrus aber schweigt und Jesus fragt noch ein zweites und ein drittes Mal. Nun<br />
ahnen wir, worauf hier angespielt wird: Dreimal hat Petrus Jesus verleugnet, bevor<br />
der Hahn gekräht hat, dreimal muss er nun bestätigen, dass er Jesus liebt. Petrus<br />
erschließt sich das wohl auch, dass hier ein Zusammenhang besteht, er wird traurig.<br />
Normalerweise würde ein mensch wohl bei der dritten gleichen Nachfrage eher zornig,<br />
aber Petrus wird traurig, weil ihn die dreifache Frage eben an sein eigenes Versagen<br />
erinnert, seine Verleugnung Jesu. Dreimal bekannt er sich nicht zu ihm, dreimal<br />
fragt Jesus ihn: Liebst du mich?<br />
„Du weißt alles, du weißt dass ich dich liebe“ Welch eine Antwort! Ohne es wirklich<br />
zu sagen, zeigt Petrus an, Jetzt verstehe ich, warum du so fragst und doch binde ich<br />
mein Leben an dich, obwohl ich weiß, dass ich versagt habe. Und wieder antwortet<br />
Jesus:Weide meine Schafe.<br />
Jesus vertraut gerade ihm, dem, der als es ernst wurde, versagte, sich nicht bekannte<br />
zu seiner Liebe zu dem Aufrührer Jesus. <strong>Die</strong> Aufforderung Jesu „Hirte“ zu wer<strong>den</strong>, will<br />
er nicht ohne die Erinnerung an seine sehr menschliche Schwachheit aussprechen.<br />
Das Einge<strong>den</strong>k sein der eigenen Verfehlung ist Teil <strong>des</strong> Wei<strong>den</strong>s. Und als sei das noch<br />
nicht genug der Eingrenzung gegen eine Überhebung <strong>des</strong> Hirtenamtes fügt Jesus<br />
hinzu: auch du wirst einmal geleitet wer<strong>den</strong> müssen, die Hände bittend und blind<br />
dich ausstrecken und geführt wer<strong>den</strong>.<br />
Solche Hirten könnten wir wohl brauchen, Männer und Frauen, die nicht nur wissen,<br />
dass sie sterben können, sondern auch dass sie an entschei<strong>den</strong><strong>den</strong> Stellen sich und<br />
Gott verfehlt haben. Das könnte dann wohl eine Gemeinde aus Schwestern und Brüdern<br />
wer<strong>den</strong>.<br />
19. WOCHE<br />
Meditation von Joh 21, 15–19<br />
Christian Staffa
Monika Volte<br />
Am Wegesrand<br />
Auf der Terrasse sitze ich,<br />
mit Blick in unseren Garten.<br />
Sehr darauf gefreut habe ich mich<br />
und konnte es kaum erwarten.<br />
Ich will sie spüren, die warme Luft;<br />
weit öffne ich Fenster und Tür.<br />
Der Garten hängt voll mit blumigem Duft,<br />
und ich bin dankbar da<strong>für</strong>.<br />
Bin dankbar <strong>für</strong> Blumen, Wiesen und Bäume,<br />
<strong>für</strong> Tiere aller Arten,<br />
<strong>für</strong> die Erfüllung mancher Träume.<br />
Was darf ich vom Leben mehr erwarten?<br />
Wir sollten öfter ruhig stehen,<br />
um links und rechts zu schauen.<br />
Zeit haben, aufeinander zuzugehen<br />
und einfach mal vertrauen.<br />
Ich glaube, es ist nicht richtig,<br />
wenn alle Wünsche in Erfüllung gehen.<br />
Der Weg zum Ziel ist wichtig,<br />
am Wegesrand gibt’s viel zu sehen!<br />
Edith Tries<br />
20. WOCHE l 27
28 l<br />
21. WOCHE<br />
Wer sich <strong>für</strong> einen Weg entschie<strong>den</strong> hat,<br />
ist schon ein Stück von ihm.<br />
Er geht in sich.<br />
(Elazar Benyoëtz, 1992)<br />
Wenn jemand einem Menschen das Leben erhält,<br />
so soll es sein, als hätte er<br />
der ganzen Menschheit das Leben erhalten<br />
Sure 5.32 (Koran)<br />
Wenn jemand eine Seele vernichtet, ist es,<br />
als hätte er eine ganze Welt vernichtet.<br />
Und wenn jemand eine Seele erhält, ist es,<br />
als hätte er eine ganze Welt erhalten.<br />
Mischna Sanhedrin 4,5 (Talmud)<br />
Ulrich Frey
Alf Seippel<br />
Gesehen in der evangelischen Bergmannskirche<br />
zu Lutherstadt Eisleben im Mansfelder Land<br />
Der Bibeltext veranschaulicht in Stein und Holz (an der Kanzel)<br />
<strong>Die</strong> älteste Eheschließung der Welt: Gott traut<br />
das erste Menschenpaar Adam und Eva.<br />
Das erste Menschenpaar Adam und Eva (Erdbo<strong>den</strong> und Leben) wird von<br />
Gott höchstpersönlich in einem Trauakt zupackend zusammengefügt<br />
(Mt 19,6 ganz wörtlich). Irdisches Stellvertreter-Personal gab es ja noch nicht.<br />
22. WOCHE l 29
30 l<br />
Gleichgewicht<br />
Ich habe mir gestern eine Eisenstange gekauft. Weil mein Nachbar zur Rechten<br />
auch eine Eisenstange gekauft hat. Und manchmal damit meiner Tochter<br />
nachstellt. Jetzt fuchtele ich mit meiner Eisenstange immer seinem Sohn vor<br />
der Nase herum. Schlimmeres kann also gar nicht passieren. gut, seine Eisenstange<br />
ist zwar etwas schwerer, da<strong>für</strong> ist meine etwas größer. Aber das<br />
Gleichgewicht <strong>des</strong> Schreckens ist gewahrt. Wir grüßen uns jetzt auch immer<br />
freundlich mit Grüß Gott und geballter Faust natürlich. Aber friedlich.<br />
Wir haben übrigens auf dem Speicher gut versteckt 20 hautscharfe Rasiermesser<br />
bereitliegen. Mein Nachbar sagte, er habe nur 19. Für mich heißt das,<br />
dass er 21 hat. wir lassen uns nicht übers Ohr barbieren.<br />
Mein Sohn bringt jetzt aus der Schweiz zwei nagelneue Rasiermesser mit.<br />
Denn keiner soll mehr haben als der andere. Nur immer ein bisschen. <strong>Die</strong><br />
Leute über uns arbeiten mit heißem Teer. Und horten Federn, von wegen teeren<br />
und federn. Was ja in Amerika schon lange sehr beliebt ist. sie haben<br />
schon die ganze Wohnung voll mit kochend heißem teer. Weil direkt gegenüber<br />
von ihnen wer<strong>den</strong> auch laufend Teer und Federn angeliefert.<br />
Nicht, dass alles zur Anwendung kommt, beileibe mitnichten. Nur damit alle<br />
ungefähr das Gleiche haben und unsere alten Aggressionen im Zaum gehalten<br />
wer<strong>den</strong>.<br />
23. WOCHE<br />
Internationaler Versöhnungsbund
Ich habe zwar neun Jahr humanistische Bildung und Erziehung genossen. <strong>Die</strong><br />
zehn Gebote schon immer auswendig gelernt und immer schön behalten,<br />
und ich bin ja auch konfirmiert wor<strong>den</strong> und mit abendländischer Kultur vertraut.<br />
Aber in Wirklichkeit bin ich immer noch ein regelrechter Barbar. Stehe ganz<br />
am Anfang und muss also dankbar sein, <strong>für</strong> das Gleichgewicht <strong>des</strong> Schrekkens,<br />
<strong>den</strong>n wer weiß, was <strong>für</strong> ein Mörder in mir und dir steckt.<br />
Mein Untermieter nennt seit 2 Wochen ein paar Daumenschrauben sein<br />
eigen. Hat er aus dem Foltermuseum in Rothenburg ob der Tauber mitgehen<br />
lassen. weil der Untermieter im Haus gegenüber hat auch zwei Daumenschrauben.<br />
Seit der Zeit gibt’s dort keine Schlägerei mehr.<br />
Ich will mit meiner Tochter im Frühjahr eine Do it yourself Guillotine basteln,<br />
weil ein Nachbar zur Linken schon seit längerer zeit mit seiner Frau an einem<br />
elektronischen Stuhl bastelt.<br />
Aber wir sind alle friedliebende Menschen, und so kann gar nichts passieren.<br />
Und wenn, dann wäre schon längst was passiert. Nur Pazifisten, die sollte<br />
man jetzt genauer beobachten und gleich kasernieren, die wollen doch tatsächlich<br />
Frie<strong>den</strong> ohne Waffen machen. Einfach so. Als wenn das so ginge.<br />
Schwache Menschen sind das. Muttersöhnchen. Wir müssen uns doch heute<br />
alle dazu bekennen, dass wir eigentlich alle Mörder sind. Aber es nicht dazu<br />
kommen lassen müssen, brauchen, sollen dürfen, weil wir gottseidank das<br />
schöne Gleichgewicht <strong>des</strong> Schreckens erfun<strong>den</strong> haben.<br />
Internationaler Versöhnungsbund<br />
Hans-<strong>Die</strong>ter Hüsch<br />
23. WOCHE l 31
32 l<br />
24. WOCHE<br />
Oekumenischer <strong>Die</strong>nst Schalomdiakonat
Mittendrin – nicht draußen<br />
Der islamische Theologe aus Teheran war aufgebracht: „Wir Muslime,<br />
Christen und Buddhisten müssen doch die Ideologie der zerstörerischen<br />
Globalisierung als Materialismus und Konsumkultur ablehnen und überwin<strong>den</strong>!“<br />
Der Mahayana-Buddhist aus Taipei antwortete ihm: „<strong>Die</strong> Globalisierung<br />
müssen wir niemandem vorwerfen. Es ist nicht nützlich, mit Fingern<br />
zu deuten – Du warst es! Sondern – es erst einmal so annehmen wie es ist,<br />
und dann eine pragmatische und heilsame Methode in unserer Religion<br />
fin<strong>den</strong>, um das Problem zu lösen.“ Gegenfrage einer Tamilin aus Sri Lanka:<br />
„Aber muss dazu nicht erst Religion gereinigt wer<strong>den</strong> von ihrem Gewaltpotential“?<br />
Darauf wieder der taiwanesische Mönch: „Nein. Wir müssen<br />
nicht warten, bis wir die Originalwerte unserer eigenen Religion darstellen<br />
können, sondern wir brauchen Dialog darüber, wie wir unser gemeinsames<br />
Leben künftig verstehen wollen.“<br />
Ich habe diese dreihundert Christen, Buddhisten und Muslime aus allen<br />
Kontinenten bei ihrer Dialogkonferenz „Religion und Globalisierung“ im<br />
thailändischen Chiangmai im August 2003 gespannt miterlebt. Immer<br />
kamen Be<strong>den</strong>ken zum Vorschein. Muss nicht jeder seine religiöse I<strong>den</strong>tität<br />
schützen? Sind nicht doch religiöse Theorien vom gerechten Krieg legitim?<br />
(„War die militärische Befreiung Deutschlands 1945 nicht gut?“ „Darf ein<br />
Bodhisattva Karma und Gewalt ausweichen, weil er sich doch bewusst der<br />
unerlösten Welt zuwendet?“)<br />
Es meldete sich ein Christ aus Thailand zu Wort: Weder Gott noch das<br />
Dharma müssen von uns beschützt wer<strong>den</strong>. Und ein anglikanischer Bischof<br />
pflichtete bei: Es ist das Leben selbst, das unser letztgültiger Lehrer ist, <strong>den</strong>n<br />
Gott durchdringt das Leben; er ist nicht „da draußen“. Man muss Gott nicht<br />
verteidigen, auch nicht mit Gewalt!<br />
Ein amerikanischer Buddhist ging noch weiter: Im Ernstfall <strong>des</strong> Frie<strong>den</strong>machens<br />
bleibt der eigene schutzlose Körper am Schluss das einzige Argument,<br />
Oekumenischer <strong>Die</strong>nst Schalomdiakonat<br />
24. WOCHE l 33
34 l<br />
die einzige I<strong>den</strong>tität, die wir auf <strong>den</strong> Platz <strong>des</strong> Konfliktes stellen; wir riskieren<br />
uns selbst. Taten dies nicht Frie<strong>den</strong>sbriga<strong>den</strong> in Nicaragua oder Aung<br />
San Suu Kyi vor der burmesischen Militärjunta?<br />
Wie ist eine solche furchtlose I<strong>den</strong>tität möglich?<br />
Ich hörte kraftvolle Botschaften der Schutzlosigkeit. Ich hörte mutige Fragen<br />
an die eigene Tradition. Wie oft schützt sich meine eigene Religion, baut<br />
sich damit ein Gefängnis und wird zu einer Quelle von Gewalt oder sitzt im<br />
Gefängnis ihrer Kultur?<br />
Und ich hörte sagen<br />
– von einem Christen: Anders sein heißt nicht „falsch“, sondern „anders“<br />
sein. Also müssen wir vorsichtig sein mit der Rede von der Einheit aller.<br />
Sie ist imperial. Eines sei besser als vieles. Nein, vieles ist besser als<br />
eines, <strong>den</strong>n von Pluralität kann in einer Sprache der Harmonie gesprochen<br />
wer<strong>den</strong>.<br />
– von einem Buddhisten: Religion trage ich nicht vor mir her wie einen<br />
I<strong>den</strong>titätsausweis. Wir haben Unterschiede nicht zu vereinen, sondern<br />
mit ihnen zu leben – das ist die Lösung.<br />
– von einem Muslim: Und wenn Muslime mit Umstän<strong>den</strong> konfrontiert<br />
sind, die nicht mehr rückgängig gemacht wer<strong>den</strong> können, dann gibt es<br />
Vergebung als Möglichkeit <strong>für</strong> einen Neuanfang.<br />
– von einem weiteren Muslim, dass Religionen zur Zeit ihre entschei<strong>den</strong>de<br />
Kraft dabei entwickeln, die persönliche I<strong>den</strong>tität zu stärken und zu<br />
schützen. „Aber glücklicherweise gibt es in allen Religionen auch die<br />
Kraft zur Inklusivität. Unsere religiöse I<strong>den</strong>tität brauchen wir nicht zu<br />
vergessen, aber wir müssen sie transzendieren – <strong>den</strong>n Gott ist doch<br />
längst da, in unseren Herzen.“<br />
Schließlich fragte ein Buddhist: Hat nicht Paulus gesagt, er dürfe nicht an<br />
seiner I<strong>den</strong>tität hängen, sondern wolle allen alles wer<strong>den</strong>?<br />
Seit dem 11. September 2001 bete er nicht nur <strong>für</strong> die Opfer, sondern ebenso<br />
<strong>für</strong> die Terroristen, um ihnen zu vergeben, bekannte ein langjähriger Freund<br />
von Thomas Merton in diesem Dialog. Es gibt kein Draußen <strong>für</strong> sie.<br />
24. WOCHE<br />
Oekumenischer <strong>Die</strong>nst Schalomdiakonat
„Gott ist Freund – wir sind fremd“,<br />
so schreibt Meister Eckehart.<br />
Eine tiefe Einsicht, mehr als Alltagsklugheit und Lebensweisheit. Ich danke<br />
Michael Mil<strong>den</strong>berger <strong>für</strong> gemeinsame Schritte auf diesem Weg, in <strong>den</strong> verschie<strong>den</strong>en<br />
Religionen und Konfessionen diese Nähe Gottes zu suchen und<br />
die Fremdheit der Menschen zu überwin<strong>den</strong> um damit als Menschen <strong>des</strong><br />
Glaubens einen <strong>Die</strong>nst am Frie<strong>den</strong> zu leisten.<br />
Dankbar <strong>für</strong> die gemeinsame Arbeit<br />
im Projekt christlich-muslimische Frie<strong>den</strong>sarbeit in Deutschland<br />
Georg Hörnschemeyer<br />
25. WOCHE l 35
36 l<br />
„Wachstum an Menschlichkeit –<br />
Humanismus als Grundlage“<br />
Es hat <strong>den</strong> Anschein, als würde Menschlichkeit erst dann bewusst wahrgenommen,<br />
wenn sie akut abhan<strong>den</strong> zu kommen droht oder bereits verloren<br />
gegangen ist. Menschlichkeit wird meist erst in Form von humanitärer Hilfe<br />
zur Behandlung der Symptome eines bereits vorhan<strong>den</strong>en Mangels an<br />
Menschlichkeit ausgelöst. (…)<br />
Wenn ich von Menschlichkeit spreche, entsteht sogleich die Frage, wie weit<br />
ich selbst in meinem Verhalten diesem Wert entspreche. Auf diese Weise fordert<br />
Menschlichkeit Mündigkeit, und Mündigkeit bedeutet eine kritische<br />
Distanz nicht nur zur Mitwelt, sondern vor allem auch zu sich selbst.<br />
Deshalb wer<strong>den</strong> <strong>für</strong> Menschlichkeit auch gern Synonyme verwendet wie beispielsweise<br />
Christlichkeit oder Menschenrechte. Damit wird das als zu subjektiv<br />
empfun<strong>den</strong>e Wort Menschlichkeit vermie<strong>den</strong> und auf mehr objektivierbare<br />
Begriffe wie christliche oder christlich-abendländische Werte ausgewichen.<br />
<strong>Die</strong>s gilt je<strong>den</strong>falls <strong>für</strong> entsprechend gläubige Menschen. Nicht oder<br />
weniger gläubige Menschen verwen<strong>den</strong> gern das Wort Menschenrechte,<br />
wenn es um Menschlichkeit geht. (...)<br />
Wenn jedoch die derzeitigen Zustände in unserer Gesellschaft und in der<br />
Menschheit insgesamt verbessert wer<strong>den</strong> sollen, dann wird das erst möglich<br />
sein, wenn sich möglichst viele Menschen in <strong>den</strong> Veränderungsprozess mit<br />
einbeziehen und auch sich selbst fordern und fordern lassen. Wie heißt es<br />
doch:„Wir selbst müssen die Veränderung sein, die wir in der Welt sehen wollen.“<br />
(Mahatma Gandhi)<br />
26. WOCHE<br />
Kurve Wustrow
Wenn es um <strong>den</strong> Frie<strong>den</strong> geht, dann ist oft zu hören, dass dieser in jedem<br />
selbst beginnt. In der Praxis aber sind nur sehr wenige bereit zu überprüfen,<br />
wie weit sie in sich selbst Frie<strong>den</strong> haben und, sofern es noch daran mangelt,<br />
die im ‚eigenen Ich‘ liegen<strong>den</strong> Ursachen zu ergrün<strong>den</strong>. – Interessant und<br />
bezeichnend <strong>für</strong> einen Mangel an innerer Logik ist auch die Tatsache, dass<br />
kaum jemand gerne als Weltverbesserer gelten möchte. Man <strong>für</strong>chtet, Spott<br />
auf sich zu ziehen, obwohl ja eine Veränderung ohne Verbesserung wenig<br />
Sinn hat. Darum begnügt man sich lieber in aller Beschei<strong>den</strong>heit damit, überhaupt<br />
etwas getan zu haben. Aber genügt es, ohne übergreifende Zielvorstellung<br />
sich damit zu begnügen, irgendetwas bewegt zu haben?<br />
Kurve Wustrow<br />
Rudolf Kuhr<br />
26. WOCHE l 37
38 l<br />
27. WOCHE<br />
Fünf Vorsätze <strong>für</strong> <strong>den</strong> Tag:<br />
Ich will bei der Wahrheit bleiben.<br />
Ich will mich keiner Ungerechtigkeit beugen.<br />
Ich will frei sein von Furcht.<br />
Ich will keine Gewalt anwen<strong>den</strong>.<br />
Ich will in jedem zuerst das Gute sehen.<br />
Mahatma Gandhi
Uwe Kraeusel<br />
28. WOCHE l 39
40 l<br />
Große Aufruhr im Wald! Es geht das Gerücht um, der Bär habe eine To<strong>des</strong>liste.<br />
Alle fragen sich, wer <strong>den</strong>n nun da drauf steht.<br />
Als erster nimmt der Hirsch allen Mut zusammen. Er geht zum Bären und<br />
fragt ihn:„Sag mal Bär, steh ich auch auf deiner Liste?“<br />
„Ja“, sagt der Bär „auch dein Name steht auf der Liste.“<br />
Voller Angst dreht sich der Hirsch um und geht. Und wirklich, nach zwei Tagen<br />
wird er tot aufgefun<strong>den</strong>.<br />
<strong>Die</strong> Angst bei <strong>den</strong> Waldbewohnern steigt immer mehr und die Gerüchteküche<br />
um die Frage, wer <strong>den</strong>n nun auf der Liste stehe, brodelt. Der Keiler ist der<br />
nächste, dem der Geduldsfa<strong>den</strong> reißt und der <strong>den</strong> Bär aufsucht, um ihn zu fragen,<br />
ob er auch auf der Liste stehe.<br />
„Ja“, antwortet der Bär,„auch du stehst auf der Liste.“<br />
Verängstigt verabschiedet sich der Keiler vom Bären. Und auch ihn findet man<br />
nach zwei Tagen tot auf.<br />
Nun bricht die Panik bei <strong>den</strong> Waldbewohnern vollends aus. Nur der Hase traut<br />
sich noch, <strong>den</strong> Bären aufzusuchen.<br />
„Bär, steh ich auch auf der Liste?“<br />
„Ja, auch du stehst auf der Liste.“<br />
„Kannst du mich da streichen?“<br />
„Na klar, kein Problem!“<br />
Kommunikation ist eben alles!<br />
Kalenderanekdote<br />
29. WOCHE<br />
Britt Schülke
Frage alle Menschen:<br />
„Willst du Frie<strong>den</strong>?“<br />
Einstimmig wer<strong>den</strong> alle antworten:<br />
„Wir wünschen ihn, ersehnen ihn, wollen ihn, lieben ihn.“<br />
Liebe also auch die Gerechtigkeit,<br />
<strong>den</strong>n Frie<strong>den</strong> und Gerechtigkeit sind Freunde;<br />
sie halten sich eng umschlungen.<br />
Hl. Augustinus<br />
30. WOCHE l 41
42 l<br />
31. WOCHE<br />
Uwe Kraeusel
Ungerechtigkeit an irgendeinem Ort ist eine Gefahr<br />
<strong>für</strong> die Gerechtigkeit überall auf der Welt.<br />
Wir sind eingeschlossen in einem<br />
unentrinnbaren Netzwerk der Gegenseitigkeit,<br />
sind gekleidet in ein Gewand der gemeinsamen Zukunft.<br />
Martin Luther King<br />
32. WOCHE l 43
44 l<br />
Gerecht Handeln<br />
„Das Heil kommt von <strong>den</strong> Ju<strong>den</strong>“, so sagt es der johanneische Jesus zu<br />
der Samaritanerin. (Joh 4,22) Das war nicht nur <strong>für</strong> die Samaritanerin eine<br />
Provokation, es ist es auch heute noch <strong>für</strong> viele Christen. <strong>Die</strong> Ju<strong>den</strong> sind doch<br />
verworfen und sind verlassen von Gott, wir Christen haben nun <strong>den</strong> neuen<br />
Bund mit Gott, dem die Ju<strong>den</strong> sich verweigert haben.<br />
Säkular hörte sich das aus der Feder <strong>des</strong> Historikers Treitschke so an: „<strong>Die</strong><br />
Ju<strong>den</strong> sind unser Unglück!“ Leider haben viele Christenmenschen im letzten<br />
und vorletzten Jahrhundert dem lauthals zugestimmt.<br />
Gott sei Dank hat es aber auch immer wieder Christenmenschen gegeben,<br />
die um die Bedeutung Israels <strong>für</strong> <strong>den</strong> christlichen Glauben wussten: so argumentiert<br />
Philipp Jacob Spener (1635-1705), ein wichtiger pietistischer Reformer:<br />
Wenn das Versprechen Gottes an die Ju<strong>den</strong> nicht mehr gilt, sein Volk zu sein,<br />
woher wissen wir <strong>den</strong>n dann, dass uns Christen sein Versprechen <strong>des</strong> kommen<strong>den</strong><br />
Reiches noch gilt oder je gegolten hat. <strong>Die</strong> Verlässlichkeit Gottes zeigt sich<br />
an Israel.<br />
In anderer Weise jener Leibarzt von Friedrich dem Großen, der auf Friedrichs<br />
Frage, ob es <strong>den</strong>n einen Gottesbeweis gebe, nur antwortete, „Majestät, die<br />
Ju<strong>den</strong>!“ Einfach, weil es sie trotz großer Anfechtungen und mörderischen<br />
Anschlägen noch gibt.<br />
Eine Wirklichkeit im christlichen Gottesdienst bekommt dieser „Gottesbeweis“<br />
durch die Psalm-Lesungen – auch wenn sie oft verkürzt und nicht als Beitrag<br />
<strong>des</strong> lebendigen Israel gelesen wer<strong>den</strong>.<br />
„Hier schaust du <strong>den</strong> Heiligen ins Herz“, hat Martin Luther das Psalmenbuch<br />
gerühmt, der sonst nicht <strong>für</strong> Freundlichkeit gegenüber <strong>den</strong> Ju<strong>den</strong> bekannt ist.<br />
Aber wir können mit <strong>den</strong> Psalmen verstehen, was da von <strong>den</strong> Ju<strong>den</strong> kommt,<br />
bleibend und unverbrüchlich, was dann so weit weg von der Struktur der<br />
33. WOCHE<br />
Christian Staffa
lutherschen Rechtfertigungslehre gar nicht so weit weg ist und doch das Handeln<br />
in keiner Weise <strong>den</strong>unziert. Deshalb will ich einen kleinen Abschnitt <strong>des</strong> Psalms<br />
33 als Teil dieser nun auch auf uns gekommenen Wirklichkeit lesen.<br />
Jubelt, die ihr gerecht handelt, über Adonaj!<br />
Schön ist’s <strong>für</strong> die Aufrichtigen, Gott zu preisen.<br />
Lobt Adonaj mit der Leier,<br />
auf zehnseitiger Harfe spielt Gott!<br />
Singt Gott das neue Lied,<br />
lasst schön die Saiten klingen, singt laut!<br />
Gerecht Handeln, loben, musizieren und Singen gehören zusammen. Der<br />
Zusammenhang von Glaube und Musik ist nicht nur durch Paul Gerhardt ein<br />
protestantisches Kernstück.<br />
<strong>Die</strong> Anrede an die, die gerecht handeln und aufrichtig sind, könnte uns schon<br />
mehr Mühe machen: Wer vermag das schon von sich zu sagen? Sind wir nicht<br />
allzumal Sünder, verfehlen also uns, unsere Freunde, Eltern, ArbeitskollegInnen,<br />
Partner und so eben auch Gott, öfter als wir ihnen gerecht wer<strong>den</strong>? Der<br />
Jude und Christ Paulus wusste, dass wir nicht einfach gerecht handeln können,<br />
sondern dass wir dazu die Gnade Gottes brauchen, die uns Orientierung gibt<br />
und unser Handeln stützt, er nannte dies, von Gott gerechtfertigt sein, als<br />
Voraussetzung überhaupt gerecht und aufrichtig handeln zu können. Ohne diese<br />
Intervention Gottes, wür<strong>den</strong> wir genau immer das tun, was wir nicht wollen.<br />
Luther nannte diesen Zustand „in sich verkrümmt sein“, also nur das Eigene<br />
zu spüren und sich um sich selbst zu drehen.<br />
Auch dieser Psalm weiß davon, <strong>den</strong>n sonst würde ja nicht Gott gelobt. <strong>Die</strong><br />
gerecht handeln, loben Gott da<strong>für</strong>, dass sie gerecht handeln und aufrecht gehen<br />
können.<br />
Christian Staffa<br />
33. WOCHE l 45
46 l<br />
34. WOCHE<br />
aus Johannesburg, Südafrika<br />
Ian Gildemeister
Ian Gildemeister<br />
Herr, Gott der Schöpfung,<br />
wir sagen Dir Dank <strong>für</strong> Deine Welt,<br />
die Du so vielfältig, voll Wunder und Herrlichkeit<br />
geschaffen hast.<br />
Wir loben Dich, Ursprung alles Seins,<br />
und danken Dir <strong>für</strong> diese Welt,<br />
die Deine Hand ins Leben rief:<br />
<strong>für</strong> die Tiere, die Vögel und alle Blumen,<br />
<strong>für</strong> die Berge und Ebenen, die Meere und Wälder,<br />
<strong>für</strong> die Schätze der Natur, die Du reichlich schenkst.<br />
Wir danken Dir <strong>für</strong> das Leben,<br />
das du uns und unseren Lieben<br />
gegeben hast.<br />
Wir danken Dir <strong>für</strong> die Vielzahl der Menschen<br />
und Kulturen in unserem Land.<br />
34. WOCHE l 47
48 l<br />
35. WOCHE<br />
EIRENE
Ein Freiwilligendienst öffnet Welten –<br />
und manchmal auch Kirchentüren<br />
Sibiu/Hermannstadt in Rumänien ist nicht nur 2007 europäische Kulturhauptstadt,<br />
sondern auch Ausrichter der europäischen ökumenischen Versammlung<br />
der Kirchen. Man hätte keinen passenderen Ort da<strong>für</strong> fin<strong>den</strong> können,<br />
davon bin ich überzeugt. Ich kenne keine andere Stadt, in der die christlichen<br />
Konfessionen so gleichmäßig stark vertreten sind und wo alle diese<br />
Gemein<strong>den</strong> auch wirklich aktiv sind. Für mich ist es immer wieder faszinierend,<br />
Sonntag früh mit dem Fahrrad zur evangelischen Kirche zu fahren und<br />
dabei an der großen orthodoxen Kathedrale vorbeizukommen, aus der die<br />
liturgischen Gesänge mit Lautsprechern auf die Straße übertragen wer<strong>den</strong>.<br />
Im unmittelbaren Zentrum befin<strong>den</strong> sich außerdem noch die reformierte, die<br />
griechisch-katholische, zwei römisch-katholische und verschie<strong>den</strong>e Freikirchen.<br />
Leider leben diese Konfessionen eher nebeneinander her als miteinander in<br />
befruchtender Ökumene. Man kennt die anderen Kirchen oft gar nicht oder<br />
weiß nicht, wo sich ihre Gotteshäuser befin<strong>den</strong>. Das ist schade. Doch es gibt<br />
auch hier, oder gerade hier, Menschen, <strong>den</strong>en die Ökumene am Herzen liegt.<br />
Ein Hoffungszeichen war der „Calea crucii ecumenica de tineri“ (ökumenischer<br />
Jugendkreuzweg) in der Passionszeit.Wir sind (in strömendem Regen …)<br />
mit dem Kreuz durch die ganze Innenstadt gezogen und haben in sechs verschie<strong>den</strong>en<br />
Kirchen gebetet und über ein Passionsgemälde meditiert. Das<br />
war ein beeindrucken<strong>des</strong> Ereignis, weil wirklich Jugendliche aller Konfessionen<br />
zusammen unterwegs waren. Erst durch <strong>den</strong> direkten zeitnahen Vergleich<br />
habe ich gemerkt, wie absolut verschie<strong>den</strong> die unterschiedlichen Konfessionen<br />
sind! Am Ende sind wir von <strong>den</strong> Baptisten zur reformierten Kirche<br />
und danach in die orthodoxe Fakultätskapelle gegangen. Das waren schon<br />
ganz schöne Gegensätze …<br />
EIRENE<br />
35. WOCHE l 49
50 l<br />
Mein Ostern habe ich, die Gelegenheit nutzend, auch ökumenisch begangen.<br />
Am Karsamstag nahm ich an der katholischen Mitternachtsmesse teil. Das<br />
war interessant, weil die Auferstehung sehr rituell und dadurch erlebbarer<br />
begangen wurde. Und das in der meiner Ansicht nach schönsten Kirche Sibius!<br />
Nur leider ein wenig lang <strong>für</strong> mein Gefühl …<br />
Den Ostersonntag beging ich wie gewohnt mit Auferstehungsfeier, Osterfrühstück<br />
und Festgottesdienst in der evangelischen Kirche.<br />
Eine Woche später (mein Glück!) feierten die Orthodoxen Ostern Ich war<br />
natürlich in „meiner“ Kirche in Valea Aurie. <strong>Die</strong> „inviere“ (Auferstehungsgottesdienst)<br />
beginnt Mitternacht mit einer wunderschönen Lichterprozession<br />
um die Kirche. Der erste Teil wird draußen begangen, wobei die Gottesdienstbesucher<br />
auf der Straße und zwischen <strong>den</strong> Blöcken stehen, so viele sind es.<br />
Der zweite Teil, die eigentliche Liturgie, findet danach drinnen statt. Ich habe<br />
die 3 ? Stun<strong>den</strong> durchgehalten und habe es nicht bereut, <strong>den</strong>n so etwas werde<br />
ich sicherlich so schnell nicht wieder erleben …<br />
Vor meinem Rumänienaufenthalt war ich bezogen auf die Ökumene eher der<br />
Meinung, dass die Kirche wieder eins wer<strong>den</strong> sollte und das echte Ökumene<br />
als erstes Ziel das Zusammenwachsen der verschie<strong>den</strong>en Konfessionen<br />
haben sollte. Inzwischen kann ich mir aufgrund der Unterschiede zwischen<br />
<strong>den</strong> christlichen Kirchen, die ich hier erlebe, das gar nicht mehr vorstellen.<br />
Allein zwischen der orthodoxen und der evangelischen Kirche liegen Welten,<br />
was die Lithurgie, die Spiritualiät, die Glaubenspraxis und das religiöse Selbstverständnis<br />
angeht. Außerdem wäre es ein riesiger Verlust, alle gleich zu<br />
machen (was sowieso nicht funktionieren würde).<br />
<strong>Die</strong> Vielfalt der Arten zu Gott zu beten ist ein riesiger Schatz <strong>des</strong> Christentums.<br />
(Sarah Münch absolvierte 2005/2006<br />
einen Freiwilligendienst mit EIRENE in einer orthodoxen Gemeinde in Sibiu)<br />
35. WOCHE<br />
EIRENE
Uwe Kraeusel<br />
36. WOCHE l 51
52 l<br />
Wenn wir uns selbst gegenüber ehrlich sind,<br />
müssen wir zugeben, dass unser Leben<br />
das einzige ist, das uns wirklich gehört.<br />
Welche Art von Mensch wir sind, wird <strong>des</strong>halb<br />
dadurch bestimmt, wie wir unser Leben<br />
gestalten. Es ist mein tiefster Glaube, dass wir<br />
nur Leben fin<strong>den</strong>, indem wir unser Leben geben.<br />
Ich bin überzeugt, dass die wahrhaft mutigste<br />
Tat, das tiefste Werk der Menschlichkeit,<br />
darin besteht, unser eigenes Leben <strong>für</strong> andere<br />
einzusetzen in einem absolut gewaltfreien<br />
Streben nach Gerechtigkeit. Wahrhaft<br />
menschlich zu sein, heißt, <strong>für</strong> andere zu lei<strong>den</strong>.<br />
Möge Gott uns helfen, menschlich zu sein.<br />
Cesar Chavez<br />
37. WOCHE
Das Sakrament <strong>des</strong> Teilen<br />
<strong>Die</strong> Speisung der Fünftausend (Lk 9,10–17)… Eine wunderbare Fähigkeit!<br />
Den sollten wir gleich unter Vertrag nehmen und die Sache patentieren<br />
lassen, dann haben wir ausgesorgt!<br />
So würde es vielleicht heute klingen in einer Welt, in der Menschen weniger<br />
bedeuten als Marktanteile. Aber auch <strong>den</strong> damaligen Zeitgenossen<br />
entzieht sich Jesus, flieht in die Berge. <strong>Die</strong> Menschen habe sein Zeichen<br />
nicht verstan<strong>den</strong>.<br />
<strong>Die</strong> Leute folgen Jesus, er spricht zu ihnen über das Reich Gottes und<br />
heilt alle, die Hilfe brauchen. Der Tag geht zur Neige, alle haben Hunger.<br />
Was machen? Ein kleiner Junge ist am unvorsichtigsten und zeigt seinen<br />
Proviant: fünf Brote, zwei Fische. Jesus lässt sich die Menschen in Gruppen<br />
von je 50 Personen setzen. Essen ist eine gemeinschaftliche Sache,<br />
nicht Nahrungsaufnahme im Vorübergehen. Jesus betet über <strong>den</strong> Broten<br />
und Fischen, damit macht er deutlich, dass die Lebensmittel nicht individueller<br />
Besitz <strong>des</strong> Einzelnen sind, sondern geschenkt von Gott, der<br />
Leben <strong>für</strong> alle ist. Er verteilt die Brote und Fische und siehe, es öffnen<br />
sich Herzen und Tragebeutel. Es reicht nicht nur <strong>für</strong> alle, es ist im Überfluss<br />
da. Das Wunder <strong>des</strong> Teilens.<br />
Im Abendmahl teilt Jesus Brot und Wein mit seinen Jüngern. Wissend<br />
um seinen nahen Tod, teilt er mit ihnen sein Leben. Alles was ihm wichtig<br />
war, legt er in ihre Hände. Als Vermächtnis trägt er ihnen auf, Brot<br />
und Wein weiter zu teilen. Über das, was im Abendmahl geschieht, ist<br />
viel zwischen <strong>den</strong> Konfessionen gestritten wor<strong>den</strong>: Ist das Abendmahl<br />
ein Zeichen? Ist Gott im Brot leibhaftig anwesend?<br />
Gisela Kurth<br />
38. WOCHE l 53
54 l<br />
In der Geschichte der Brotvermehrung wird <strong>für</strong> mich deutlich, was das<br />
Abendmahl bedeutet: Es geht nicht um das exklusive Verhältnis von<br />
Gott zu mir, um eine Erfahrung, die nur intim zwischen ihm und mir<br />
stattfindet („Ich bin klein, mein Herz ist rein, dort kann nur wohnen<br />
Jesus allein“, <strong>den</strong> man dann im Abendmahl aufnimmt). Gottes Bund mit<br />
<strong>den</strong> Menschen zeigt sich, wo Brot gebrochen und geteilt wird. Gott ist<br />
anwesend im Teilen, nicht nur zeichenhaft, er ist wirklich anwesend, er<br />
ist real präsent.<br />
<strong>Die</strong>se Anwesenheit haben die ersten Christen gespürt und in ihrer<br />
Gemeinde gelebt, wie die Apostelgeschichte erzählt: „Und alle, die gläubig<br />
gewor<strong>den</strong> waren, hielten zusammen und hatten alles gemeinsam. Sie<br />
verkauften Hab und Gut und teilten davon allen mit, jedem wie er es<br />
nötig hatte“ (Apg 2, 44–45). Im Teilen spürten sie Gottes Anwesenheit.<br />
Teilen gelingt nicht immer. Oft teilen wir halbherzig oder gar nicht.<br />
Petrus ist <strong>für</strong> mich ein tröstliches Beispiel: <strong>Die</strong> Bibel berichtet von seinen<br />
Stärken, aber auch vom Scheitern. Schon einen Tag nach dem intensiven<br />
Abschied beim letzten Abendmahl hält Petrus es nicht aus, zu <strong>den</strong><br />
gemeinsamen Erfahrungen und Hoffnungen zu stehen und die Bedrohung<br />
zu teilen. Er verrät Jesus. Aber er bereut und beginnt wieder neu.<br />
In unserer menschlichen Erfahrung macht das Teilen nicht immer satt.<br />
Ich <strong>den</strong>ke an Momente während meiner Zeit in Chile, wo es manchmal<br />
nur möglich war, die Ohnmacht zu teilen. Auch das ist nicht einfach:<br />
nicht wegzulaufen, auszuhalten, dass man nichts mehr machen kann,<br />
dabei zubleiben … Auch das ist Teilen. Haben wir das Zeichen verstan<strong>den</strong>?<br />
38. WOCHE<br />
Gisela Kurth
Uwe Kraeusel<br />
38. WOCHE l 55
56 l<br />
40. WOCHE<br />
Mitgliederversammlung in Göhrde 2005<br />
Kurve Wustrow
<strong>Die</strong> <strong>Kunst</strong> <strong>des</strong> <strong>Liebens</strong><br />
Der wirklich religiöse Mensch bittet, wenn er dem Wesen der monotheistischen<br />
Idee folgt, nicht um irgend etwas und erwartet nichts von Gott<br />
er liebt Gott auch nicht so, wie ein Kind seinen Vater oder seine Mutter<br />
liebt. Er hat vielmehr jene Demut erreicht, in der er weiß, dass er nichts<br />
von Gott weiß. „Gott“ wird <strong>für</strong> ihn ein Symbol, in welchem der Mensch in<br />
einem früheren Stadium seiner Evolution das Höchste ausgedrückt hat,<br />
was er anstrebt: Liebe, Wahrheit und Gerechtigkeit. Er hat Vertrauen in<br />
die Prinzipien, die „Gott“ verkörpert er <strong>den</strong>kt wahr, lebt in Liebe und<br />
Gerechtigkeit und empfindet sein Leben nur insofern als wertvoll, als es<br />
ihm die Möglichkeit gibt, zu einer vollen Entfaltung seiner menschlichen<br />
Kräfte zu gelangen – als die einzige Realität, die zählt, als das einzige<br />
Objekt „letzter Erkenntnis“.<br />
Und schließlich spricht er nicht über Gott, erwähnt nicht einmal seinen<br />
Namen. Gott zu lieben, wenn wir das Wort hier gebrauchen wollen, würde<br />
bedeuten, nach der Erreichung der vollen Fähigkeiten <strong>des</strong> <strong>Liebens</strong><br />
zu streben, nach der Verwirklichung Gottes in uns selbst.<br />
Von diesem Gesichtspunkt aus ist die logische Konsequenz <strong>des</strong><br />
monotheistischen Gedankens die Negation der gesamten „Theo-logie“,<br />
<strong>des</strong> gesamten „Wissens über Gott“.<br />
Kurve Wustrow<br />
Erich Fromm<br />
40. WOCHE l 57
58 l<br />
<strong>Die</strong> Feigheit fragt: „Ist es sicher?“<br />
<strong>Die</strong> Erfahrung fragt: „Scheint es politisch sinnvoll?“<br />
<strong>Die</strong> Eitelkeit fragt: „Ist es beliebt?“<br />
Das Gewissen aber muß fragen: „<strong>Die</strong>nt es der Gerechtigkeit?“<br />
Und hier kommt die Situation, wo wir Stellung beziehen müssen<br />
41. WOCHE<br />
und handeln, obwohl unser Handeln nicht sicher,<br />
politisch sinnvoll scheint oder populär ist,<br />
einfach weil es der Gerechtigkeit dient.<br />
Martin Luther King
Gisela Kurth<br />
Niemals hat Christus Unrecht schweigend gelten lassen,<br />
nie darf der Christ Unrecht schweigend gelten lassen –<br />
aber er bekämpft es mit neuen, revolutionären Waffen,<br />
die Christus ihm anbietet,<br />
um das Unrecht zu überwin<strong>den</strong>.<br />
Hildegard Goss-Mayr<br />
Quelle: Pedro Casaldáliga: del pueblo vengo, al reino voy<br />
42. WOCHE l 59
60 l<br />
43. WOCHE<br />
Uwe Kraeusel
Pragmatiker<br />
Ein Benediktiner, ein Dominikaner, ein Franziskaner und ein Jesuit<br />
betreten zusammen einen Dom, als plötzlich die Lichter erloschen.<br />
Der Benediktiner wollte mit dem Gebet fortfahren,<br />
<strong>den</strong>n er kannte es auswendig. Der Dominikaner regte ein Streitgespräch<br />
über »Licht und Dunkel in der Bibel« an.<br />
Der Franziskaner kniete nieder und schlug vor,<br />
daß alle dem Herrn <strong>für</strong> das Licht danken sollten,<br />
das ihnen so sehr fehlte.<br />
In diesem Augenblick wurde es wieder hell.<br />
Der Jesuit hatte die Sicherung ausgewechselt.<br />
Gero Ziegler<br />
Kalenderanekdote<br />
44. WOCHE l 61
62 l<br />
Zum 9. 11.<br />
(oder: Meditation zur Reichspogromnacht)<br />
Es gibt eine Geschichte aus dem Talmud, die sich mit der Frage<br />
der Sinnhaftigkeit menschlichen Lebens angesichts der vielen gewaltförmigen<br />
Verfehlungen beschäftigt:<br />
Zwei und ein halbes Jahr stritten die vom Lehrhaus Schammais mit<br />
<strong>den</strong>en <strong>des</strong> Lehrhauses Hillel über die Konsequenzen <strong>des</strong> bösen Tuns<br />
der Menschen. <strong>Die</strong> einen sagten: Es wäre dem Menschen dienlicher,<br />
wenn er nicht erschaffen wor<strong>den</strong> wäre. <strong>Die</strong> Anderen sagten, es ist dem<br />
Menschen dienlicher, dass er erschaffen wor<strong>den</strong> ist. Sie stimmten ab<br />
und kamen zu dem Schluss: Es wäre dem Menschen zwar dienlicher,<br />
er wäre nicht erschaffen wor<strong>den</strong>, da er nun aber erschaffen sei, soll er<br />
seine Geschichte be<strong>den</strong>ken und sein Tun in der Zukunft.<br />
Seine Geschichte und sein Tun in der Zukunft be<strong>den</strong>ken. <strong>Die</strong>se Verbindung<br />
scheint <strong>den</strong> bei<strong>den</strong> Lehrhäusern <strong>des</strong> Hillel und <strong>des</strong> Schamais<br />
nicht nur ein Daseinszweck, sondern ein Weg, das böse Tun in <strong>den</strong><br />
Griff zu bekommen.<br />
Zunächst scheint es zunächst etwas abstrakt: Einge<strong>den</strong>k zu sein, dass<br />
wir menschheitsgeschichtlich unsere Berufung verfehlt haben und<br />
viel Unheil angerichtet haben auf dieser Welt und daraus Demut und<br />
besseres, menschenfreundlicheres Tun gewinnen sollen; das ist ein<br />
weiter Bezugsrahmen, und in der jeweiligen Gegenwart vielleicht<br />
schwer zu begreifen.<br />
Aber gerade am heutigen Tag über unsere Geschichte nachzu<strong>den</strong>ken,<br />
also <strong>den</strong> Beginn <strong>des</strong> Mor<strong>den</strong>s und <strong>den</strong> christlichen Anteil daran wahrzunehmen<br />
und daraus unser Tun <strong>für</strong> die Zukunft inspirieren zu lassen,<br />
das ist konkreter und fassbarer. So ist diese Geschichte auch eine<br />
45. WOCHE<br />
Christian Staffa
Gegenerzählung gegen das, was seit 1945 gesagt wird, dass doch<br />
endlich mal Schluss sein muss mit der Geschichtsbearbeitung.<br />
Martin Niemöller hat einmal gesagt, dass gerade die Kirche einen<br />
Anteil am Aufkommen <strong>des</strong> Nationalsozialismus hatte, weil sie es besser<br />
wusste. Besser als jene, die dem Hitler folgten. „<strong>Die</strong> Kirche wusste, dass<br />
der Weg ins Verderben führte“, der Weg einer besonderen Sendung <strong>des</strong><br />
deutschen Volkes. Wir, so führt er aus, sind die, die Schuld haben, weil<br />
wir das Volk nicht gewarnt haben, weil wir uns vor <strong>den</strong> Menschen mehr<br />
<strong>für</strong>chteten als vor Gott. So haben wir nicht diese oder jene Verfehlung<br />
begangen, sondern wir haben unseren Auftrag verraten.<br />
Mit Paulus gesagt, sie haben sich nicht mit Wahrheit gegürtet und nicht<br />
<strong>den</strong> Panzer der Gerechtigkeit angelegt.<br />
<strong>Die</strong>se Geschichte <strong>des</strong> Versagens der christlichen Kirchen sollen wir<br />
be<strong>den</strong>ken und wir dürfen sie nur be<strong>den</strong>ken, weil es Menschen wie<br />
Martin Niemöller, die Poelchaus und Lothar Kreyssig, Brigitte und<br />
Helmut Gollwitzer gegeben hat, sonst hätten wir wahrscheinlich alles<br />
Recht verloren, zu sprechen und zu predigen. Wir sollen diese<br />
Geschichte der eigenen Furcht, <strong>des</strong> auf der falschen Seite vollmundig<br />
die falsche Sache mitgetragen zu haben, be<strong>den</strong>ken und mit unsrem Tun<br />
in der Zukunft verbin<strong>den</strong>.<br />
Das bedeutet: Geh <strong>den</strong>ken! Es ist ein Versuch, sich <strong>den</strong> Opfern der<br />
Geschichte anzunehmen, und damit das Heute kritisch zu be<strong>den</strong>ken<br />
und zu verändern suchen – wie auch das Morgen.<br />
Christian Staffa<br />
45. WOCHE l 63
64 l<br />
In Erinnerung<br />
an Christian Garve<br />
Aus der Einladung<br />
zu seinem 50. Geburtstag<br />
am 18. 6. 2003<br />
„Ich wünsche mir dein Kommen und dass du einen Betrag<br />
zum Thema Ost-West- / West-Ost-Erfahrung einbringst, es muss<br />
nicht aus unserer gemeinsamen Zeit sein. Immerhin bin ich einen Tag<br />
nach dem traurig bekannten 17. Juni geboren. Zeitlebens wurde<br />
mein Geburtstag von Erinnerungen und Erzählungen über <strong>den</strong><br />
17. Juni 1953 begleitet, z.B.: ,Könnt ihr euch vorstellen: Wenn dieses<br />
Kind 18 Jahre alt ist, wird B.M. aus dem Gefängnis entlassen!‘<br />
Nun leben wir alle im 14. Jahr der Wiedervereinigung und ich wohne<br />
im ,Westen‘, was ich mir zu DDR-Zeiten nie hätte vorstellen können.<br />
Ich würde mich freuen, wenn unser Zusammensein etwas von<br />
einer fröhlichen Ost-West- / West-Ost-Begegnung hat, die sowohl<br />
Erinnerung an die Zeit der Teilung als auch Perspektiven <strong>für</strong> unsere<br />
Gemeinsame Gegenwart und Zukunft zum Inhalt hat.“<br />
46. WOCHE
Aus der Anzeige <strong>des</strong> To<strong>des</strong> von Christian Garve<br />
am 18. 12. 2004<br />
Das Volk, das noch im Finstern wandelt -<br />
bald sieht es Licht, ein großes Licht.<br />
Heb in <strong>den</strong> Himmel dein Gesicht<br />
und steh und lausche, weil Gott handelt.<br />
<strong>Die</strong> ihr noch wohnt im Tal der Tränen,<br />
wo Tod <strong>den</strong> schwarzen Schatten wirft:<br />
Schon hört ihr Gottes Schritt, ihr dürft<br />
euch jetzt nicht mehr verlassen wähnen.<br />
Er kommt mit Frie<strong>den</strong>. Nie mehr Klagen<br />
nie Krieg, Verrat und bittre Zeit!<br />
Kein Kind, das nachts erschrocken schreit,<br />
weil Stiefel auf das Pflaster schlagen.<br />
<strong>Die</strong> Liebe geht nicht mehr verloren.<br />
Das Unrecht stürzt im vollen Lauf.<br />
Der Tod ist tot. Das Volk jauchzt auf<br />
und ruft: „Uns ist ein Kind geboren“!<br />
Dann stehen Mensch und Mensch zusammen<br />
vor eines Herren Angesicht,<br />
und alle, alle schauen ins Licht,<br />
und er kennt jedermann mit Namen.<br />
Jürgen Henkys nach Jesaja 9, 1-6<br />
47. WOCHE l 65
66 l<br />
Definitionen <strong>des</strong> erwachsensseins<br />
Gott fluchen am morgen<br />
ihn loben am abend<br />
Kluge zehen haben<br />
das tanzen anfangen<br />
die finger spitzen<br />
Ein lehrer wer<strong>den</strong><br />
die lei<strong>den</strong>schaft <strong>für</strong> die ungeschickten<br />
genausein <strong>für</strong> die<br />
die sprachlos gemacht wor<strong>den</strong> sind<br />
genauwer<strong>den</strong> mit ihnen<br />
Arbeiten so<br />
daß das ergebnis jederzeit im prozeß aufscheint<br />
lieben so<br />
daß das ergebnis jederzeit<br />
auch im schmerz<br />
leuchtet<br />
<strong>den</strong> morgenstern sehen er<br />
bleibt nicht ewig aus<br />
das glück nicht nur vom hörensagen kennen<br />
es anfassen<br />
mit verbrannten hän<strong>den</strong><br />
Dorothee Sölle<br />
48. WOCHE
Gespräch zwischen<br />
Zündholz und Kerze<br />
Es kam der Tag, da sagte das Zündholz zur Kerze: „Ich habe <strong>den</strong><br />
Auftrag, dich anzuzün<strong>den</strong>.“ –<br />
„Oh nein“, erschrak die Kerze, „nur das nicht. Wenn ich brenne,<br />
sind meine Tage gezählt. Niemand mehr wird meine Schönheit<br />
bewundern.“<br />
Das Zündholz fragte: „Aber willst du <strong>den</strong>n ein Leben lang kalt<br />
und hart bleiben, ohne zuvor gelebt zu haben?“ – „Aber brennen<br />
tut doch weh und zehrt an meinen Kräften“, flüstert die Kerze<br />
unsicher und voller Angst.<br />
„Es ist wahr“, entgegnete das Zündholz. „Aber das ist doch das<br />
Geheimnis unserer Berufung: Wir sind berufen, Licht zu sein.<br />
Was ich tun kann, ist wenig.<br />
Zünde ich dich nicht an, so verpasse ich <strong>den</strong> Sinn meines Lebens.<br />
Ich bin da<strong>für</strong> da, Feuer zu entfachen.<br />
Du bist eine Kerze. Du sollst <strong>für</strong> andere leuchten und Wärme<br />
schenken. Alles, was du an Schmerz und Leid und Kraft hingibst,<br />
wird verwandelt in Licht. Du gehst nicht verloren, wenn du dich<br />
verzehrst. Andere wer<strong>den</strong> dein Feuer weitertragen. Nur wenn du<br />
dich versagst, wirst du sterben …“<br />
Da spitzte die Kerze ihren Docht und sprach voller Erwartung:<br />
„Ich bitte dich, zünde mich an …“<br />
Unbekannt<br />
49. WOCHE l 67
68 l<br />
Im normalen Leben wird es einem oft<br />
gar nicht bewußt, daß der Mensch<br />
überhaupt unheimlich viel mehr empfängt,<br />
als er gibt,<br />
und daß Dankbarkeit das Leben erst reich macht.<br />
50. WOCHE<br />
<strong>Die</strong>trich Bonhoeffer<br />
Dagmar Leibner
Es hilft, dann und wann zurückzutreten und die Dinge aus der Entfernung<br />
zu betrachten.<br />
Das Reich Gottes ist nicht nur jenseits unserer Bemühungen. Es ist auch<br />
jenseits unseres Sehvermögens.<br />
Wir vollbringen in unserer Lebenszeit lediglich einen Bruchteil jenes<br />
großartigen Unternehmens, das Gottes Werk ist. <strong>Die</strong>s ist eine andere<br />
Weise zu sagen, dass das Reich Gottes über uns hinausgeht.<br />
Kein Statement sagt alles, was gesagt wer<strong>den</strong> könnte. Kein Gebet drückt<br />
vollständig unseren Glauben aus. Kein Schuldbekenntnis bringt Vollkommenheit.<br />
Kein Pastoralbesuch bringt Ganzheit. Kein Programm<br />
führt die Sendung der Kirche zu Ende. Keine Zielsetzung beinhaltet alles<br />
und jenes.<br />
Das ist unsere Situation.<br />
Wir bringen das Saatgut in die Erde, das eines Tages aufbrechen und<br />
wachsen wird. Wir begießen die Keime, die schon gepflanzt sind in der<br />
Gewissheit, dass sie eine weitere Verheißung in sich bergen. Wir bauen<br />
Fundamente, die auf Weiterentwicklung angewiesen sind. Wir geben die<br />
Hefe zu, die Wirkungen hervorbringt, weit über unsere Möglichkeiten<br />
hinaus.<br />
Wir können nicht alles tun.<br />
Es ist ein befreien<strong>des</strong> Gefühl, wenn uns dies zu Bewusstsein kommt. Es<br />
macht uns fähig, ETWAS zu tun und es sehr gut zu tun.<br />
Es mag unvollkommen sein, aber es ist ein Beginn, ein Schritt auf dem<br />
Weg, eine Gelegenheit <strong>für</strong> Gottes Gnade, ins Spiel zu kommen und <strong>den</strong><br />
Rest zu tun. Wir mögen nie das Endergebnis zu sehen bekommen, doch<br />
das ist der Unterschied zwischen Baumeister und Arbeiter.<br />
Wir sind Arbeiter, keine Baumeister. Wir sind <strong>Die</strong>ner, keine Erlöser. Wir<br />
sind Propheten einer Zukunft, die nicht die unsere ist.<br />
Oscar Arnulfo Romero<br />
Erzbischof von San Salvador, ermordet am 24.3.1980<br />
51. WOCHE l 69
70 l<br />
Der Esel an der Krippe läßt<br />
an <strong>den</strong> Propheten Bileam <strong>den</strong>ken.<br />
<strong>Die</strong> Isrealiten haben ihr Lager<br />
in <strong>den</strong> Steppen von Moab aufgeschlagen.<br />
König Balak von Moab ruft Bileam zu sich,<br />
damit er die Isrealiten verfluche.<br />
Bileam reitet auf seinem Esel nach Moab.<br />
Da stellt sich ein Engel in <strong>den</strong> Weg,<br />
<strong>den</strong>n der Weg ist falsch.<br />
Der Esel sieht <strong>den</strong> Engel, der Prophet nicht.<br />
Der Esel weicht dem Engel aus,<br />
Bileam schlägt ihn … drei Mal,<br />
bis auch Bileam <strong>des</strong> Engels gewahr wird.<br />
Ich wünsche uns Esel,<br />
die <strong>für</strong> uns die Augen offen halten<br />
auf dem scheinbar richtigen Weg,<br />
Esel, die uns warnen,<br />
damit wir nicht gegen <strong>den</strong> Engel laufen,<br />
Esel, die uns staunen lassen<br />
angesichts <strong>des</strong> Frie<strong>den</strong>s<strong>für</strong>sten in der Krippe.<br />
nach Num 22,22–34<br />
52. WOCHE<br />
Gisela Kurth
<strong>Aktionsgemeinschaft</strong> <strong>Die</strong>nst <strong>für</strong> <strong>den</strong> Frie<strong>den</strong> e.V. (AGDF)<br />
Blücherstr. 14 · 53115 Bonn<br />
Tel. 02 28/2 49 99-0 · Fax 02 28/2 49 99-20<br />
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