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3/2012 - Psychotherapeutenjournal

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Anomalie im Wissenschaftsbetrieb<br />

„Es besteht – durchaus im Sinne Kuhns<br />

(1991) – eine ‚Anomalie‘ im Wissenschaftsbetrieb“<br />

(Padberg, S. 11): Hingegen<br />

beklagt Padberg wohl zu Recht, dass<br />

sich die Psychotherapieforschung bezogen<br />

auf Inhalte, Methoden, aber auch bezogen<br />

auf die Kommunikation ihrer Ergebnisse<br />

in Zeitschriftenartikel ausschließlich<br />

an den Naturwissenschaften orientiert,<br />

eine Orientierung, die bekanntlich seit jeher<br />

Anlass zu heftigen wissenschaftstheoretischen<br />

und ­soziologischen Kontroversen<br />

war. Interessant ist seine Feststellung,<br />

dass sich der Stil der wissenschaftlichen<br />

Artikel sehr an jene naturwissenschaftlicher<br />

Berichte angepasst hat und als „objektivistisch“,<br />

knapp, auf Methoden und<br />

Zahlen ausgerichtet und ausgesprochen<br />

wenig narrativ – und daher als für Kliniker<br />

langweilig und uninteressant – charakterisiert<br />

werden können. Daher haben wir in<br />

vielen unser Arbeiten dafür plädiert, dass<br />

die Psychoanalyse (und die vergleichende<br />

Psychotherapieforschung) in Zeiten<br />

der wissenschaftlichen Pluralität und dem<br />

Abrücken von einem überholten einheitswissenschaftlichen<br />

Verständnis (vgl. dazu<br />

u. a. Hampe, 2003) ihr spezifisches Wissenschaftsverständnis,<br />

ihre spezifische<br />

Forschungsmethode, ihre spezifischen<br />

Qualitätskriterien, aber auch ihre spezifischen<br />

Kommunikationsformen klinischer<br />

und extraklinischer Erkenntnisse in der<br />

wissenschaftlichen Community offensiv<br />

vertritt. So gehört die von Padberg erläuterte<br />

Spannung zwischen generalisierbaren<br />

und idiosynkratischen Erkenntnissen<br />

zu einem der Spezifika von Psychotherapie<br />

und kann nie negiert oder vernachlässigt<br />

werden. In verschiedenen Arbeiten<br />

haben wir daher verschiedene Formen der<br />

klinischen und extraklinischen Forschung<br />

in der Psychoanalyse einander gegenübergestellt.<br />

Wie die folgende Abbildung<br />

illustrieren soll, wurde psychoanalytische<br />

Forschung als spiralförmiger Erkenntnisprozess<br />

beschrieben, in dem individuelle<br />

und unverwechselbare Beobachtungen in<br />

einer therapeutischen Dyade oder Gruppe<br />

auf verschiedenen Abstraktionsstufen<br />

sukzessiv mit generalisierbarem Wissen<br />

– wie es z. B. in theoretischen Modellen<br />

zu therapeutischen Veränderungen bei<br />

<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 3/<strong>2012</strong><br />

Konzeptforschung<br />

Private Theorien<br />

ubw vbw bw<br />

Psychoanalytische Forschung als spiralförmiger Erkenntnisprozess<br />

bestimmten Störungsbildern enthalten<br />

ist – kritisch in Beziehung gesetzt werden.<br />

Anschließend mündet der Erkenntnisprozess<br />

wiederum in eine offene, auf neue<br />

Erkenntnisse ausgerichtete psychoanalytische<br />

Grundhaltung in weitere klinische<br />

Situationen mit dem jeweiligen Patienten<br />

(vgl. dazu u. a. Leuzinger­Bohleber,<br />

2007).<br />

Daher kann es in der psychoanalytischen<br />

Therapie nie um die von Grawe beschriebenen<br />

Top­Down­Anwendungen von empirisch<br />

überprüftem Wissen im Sinne von<br />

„Anwendungsregeln“ gehen, sondern um<br />

einen tastenden Erkenntnisversuch komplexer<br />

klinischer Phänomene.<br />

Anhand dieser Graphik kann u. a. das von<br />

Padberg beschriebene Phänomen diskutiert<br />

werden, warum Psychotherapeuten<br />

am besten in sogenannten Qualitätszirkeln<br />

bzw. Supervisions­ und Intervisionsgruppen<br />

lernen: Mit klinisch erfahrenen Kollegen<br />

werden konkrete klinische Situationen<br />

kritisch reflektiert, wobei durchaus die in<br />

der Graphik beschriebenen zirkulär­spiralförmigen<br />

Erkenntnisprozesse (z. B. der<br />

Versuch der Anwendung neuer Theorien<br />

wie der Mentalisierungstheorie oder auch<br />

Ergebnisse aus der Psychotherapieforschung)<br />

in den Versuch einbezogen werden<br />

können, die klinischen Beobachtungen<br />

möglichst differenziert zu verstehen<br />

M. Leuzinger­Bohleber<br />

(vgl. dazu u. a. Leuzinger­Bohleber, 2007,<br />

2010).<br />

„Scientist-Practitioners“ –<br />

wünschenswert aber<br />

illusionär?<br />

Einer weiteren These von Padberg kann<br />

ich nur voll zustimmen: Viele der von ihm<br />

erwähnten Probleme sind der hermetischen<br />

Trennung von psychotherapeutischer<br />

(Labor­)Forschung und psychotherapeutischer<br />

Praxis zuzuschreiben. Padberg<br />

stellt daher fest, dass sich der Wunsch<br />

nach „Scientist-Practitioners“ als illusionär<br />

herausgestellt hat. Dieser Aussage möchte<br />

ich hingegen z. T. widersprechen: Sowohl<br />

in der Ergebnisstudie zu Psychoanalysen<br />

und psychoanalytischen Langzeittherapien<br />

der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung<br />

(DPV) (der als „Katamnesestudie“<br />

bekannt gewordenen, repräsentativen<br />

Nachuntersuchung von 407 ehemaligen<br />

Patienten dieser Langzeitverfahren) als<br />

auch in der zurzeit laufenden, prospektiven<br />

und randomisierten Therapievergleichsstudie<br />

von Ergebnissen psychoanalytischer<br />

und kognitiv­behavioraler Langzeittherapien<br />

chronisch Depressiver (der sogenannten<br />

LAC­Studie) arbeiten erfahrene<br />

Kliniker direkt in der Forschung in interdisziplinären<br />

Teams mit. Dadurch können viele<br />

der von Padberg diskutierten Kommuni­<br />

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