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Journalistenpreis Bürgerschaftliches Engagement Marion-Dönhoff ...

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Ausgezeichnete Beiträge<br />

denn viele Paare sind nach einer solchen<br />

Erfahrung traumatisiert und tun sich<br />

schwer damit, sich für ein weiteres Kind zu<br />

entscheiden“, weiß Bruder Bonifatius.<br />

Trauer um das tote Kind kennt<br />

keinen Richtwert<br />

„Jetzt erst recht!“ – Teil 5 des Reigens:<br />

Eine junge Mutter fand nach einer<br />

Fehlgeburt Trost an der Ruhestätte<br />

für Tot- und Fehlgeburten – Das<br />

Verständnis für ihre Trauer fehlt<br />

Eine Initiative einzelner kann vielen helfen.<br />

Im vorigen Teil unseres Reigens haben wir<br />

Bruder Bonifatius porträtiert. Er und die<br />

junge Frau, die wir heute vorstellen, kennen<br />

sich nicht. Sie sind aber auf besondere<br />

Weise miteinander verbunden. Die Frau<br />

hat ein Kind durch eine Fehlgeburt verloren;<br />

der Bruder ist Initiator einer speziellen<br />

Ruhestätte, an der sie um ihr ungeborenes<br />

Kind trauern kann.<br />

BAD KREUZNACH. Zwei Blätter, bedruckt<br />

mit Versen, liegen auf dem Küchentisch.<br />

„Ich bin eigentlich kein Mensch,<br />

der schreibt oder dichtet, aber im Krankenhaus<br />

kam es einfach von selbst“, sagt<br />

die junge Frau. Es ist ihr unangenehm, jemandem<br />

die Texte zu zeigen, die in den unvergessenen<br />

Momenten entstanden sind,<br />

in denen sie nicht wusste, wohin mit ihren<br />

Gedanken.<br />

Mein Tränenkanal ist leer,<br />

ich habe keine Tränen mehr.<br />

Mein Baby in meinem Bauch gestorben,<br />

das ist – für mich – als gäb’s kein Morgen.<br />

Es sind einfache Verse, nur für sie selbst geschrieben<br />

und Ventil für alle Gefühle, die<br />

sie seit ihrer Fehlgeburt nicht loslassen.<br />

Schon sprudelt die Geschichte um den Verlust<br />

ihres Babys wie von selbst aus ihr heraus,<br />

so, als müsste sie sie wieder und wieder<br />

erzählen.<br />

Es tut so weh, so schrecklich weh.<br />

Ich fühl mich so leer,<br />

als ob ein Teil von mir<br />

zusammen mit meinem Baby gestorben wär.<br />

32<br />

Eine Mutter, deren zu früh geborenes Kind<br />

vor wenigen Wochen auf der von Bruder<br />

Bonifatius eingerichteten Ruhestätte begraben<br />

wurde, stellen wir in der morgigen<br />

Folge unserer Serie vor.<br />

Camilla Ebertshäuser<br />

Auch ihre beiden gesunden Kinder hätten<br />

sich noch einen Bruder oder eine Schwester<br />

gewünscht. Ihr kleiner Sohn kommt in<br />

die Küche. Er versteht nicht, dass seine<br />

Mutter gerade nicht gestört werden<br />

möchte. „Als ich nach der Fehlgeburt oft<br />

geweint habe, hat er sich einfach auf meinen<br />

Schoß gesetzt und mich umarmt“, erzählt<br />

die Frau. Ihre vierjährige Tochter<br />

schimpfte auf den „lieben Gott“, der böse<br />

sei, weil er ihnen ihr Geschwisterchen<br />

weggenommen habe.<br />

Die Mutter erlebte im August schon ihre<br />

zweite Fehlgeburt. Nachdem sie das erste<br />

Mal ein Kind verloren hatte, wurde sie kurz<br />

darauf wieder schwanger mit ihrem Sohn.<br />

„Nach der ersten Fehlgeburt habe ich im<br />

Krankenhaus viel geweint, aber mich nicht<br />

länger damit auseindergesetzt.“ Erst ein<br />

Jahr später, nachdem der Alltag mit den beiden<br />

Kindern eingekehrt war, wurde sie depressiv.<br />

„Ich wäre morgens gar nicht mehr<br />

aufgestanden und hätte mir die Decke über<br />

den Kopf gezogen, wenn die Kinder nicht<br />

gewesen wären“, sagt sie. Zusammen mit<br />

einer Psychologin fand sie schließlich heraus,<br />

dass ihre unverarbeitete Trauer um das<br />

verlorene Kind die Ursache war.<br />

Ich bin allein, allein mit meiner Trauer,<br />

um mich herum ist eine hohe Mauer<br />

von Unverständnis und Ignoranz<br />

anstatt Zuspruch, Mitgefühl und Akzeptanz.<br />

Als sie zum zweiten Mal ein Kind verlor,<br />

nahm sie sich das Recht zu trauern. Wie<br />

ist die Beziehung zu einem ungeborenen<br />

Kind, das man noch nicht kennt? In dieser<br />

Frage liegt vermutlich die Ursache für<br />

das Unverständnis vieler Menschen im<br />

Umgang mit trauernden Müttern. Die Reaktion<br />

der jungen Frau auf meine Frage<br />

hilft beim Verstehen. Sie wirkt gekränkt,<br />

beginnt zu weinen und wischt sich vergeblich<br />

die nicht enden wollenden Tränen<br />

aus dem Gesicht. Doch sie will weitersprechen,<br />

gerade jetzt, an diesem entscheidenden<br />

Punkt. „Es war ein fertiges<br />

E-Mail an die Autorin dieser Folge:<br />

camilla.ebertshaeuser@rhein-zeitung.net<br />

Baby, und ich habe es beim Ultraschall gesehen“,<br />

sagt sie mit Nachdruck. Sie weiß<br />

gar nicht mehr, wie oft sie diesen Satz<br />

schon gesagt hat. Für das Verhalten ihrer<br />

Verwandten, die mit Unverständnis auf<br />

ihre Trauer reagiert hatten, hat sie nur<br />

noch bittere Worte übrig.<br />

Reiß Dich zusammen, schließlich hast Du ja<br />

zwei gesunde Kinder, für die Du da sein<br />

musst, die Dich brauchen: Wie können mich<br />

meine Kinder über den Verlust meines Babys<br />

hinwegsehen lassen, wo ich doch gerade an ihnen<br />

jede Sekunde sehe, was ich mit meinem<br />

Baby nie erleben werde?<br />

„Als ich beim zweiten Mal im Krankenhaus<br />

war, wollte ich mir von niemandem<br />

mehr diese Sprüche anhören. Also hat<br />

mich niemand besucht“, erzählt sie. Die<br />

fehlende Anteilnahme an dem Verlust ihres<br />

Kindes spürt sie bis heute. „Das passiert<br />

eben, und es geht weiter“, umschreibt sie<br />

die Haltung vieler. Ein Satz einer Angehörigen<br />

hat sich ihr besonders ins Gedächtnis<br />

eingebrannt: „Es ist nichts so schlimm,<br />

dass es nicht für was gut sei.“ Beim Trauern<br />

helfen Kalendersprüche wenig.<br />

Ich will den falschen Trost nicht hören, er soll<br />

meine Trauer nur stören. Er hilft nicht und ist<br />

auch nicht so gedacht, er ist nur für die Unsicherheit<br />

der anderen erbracht.<br />

Nach der zweiten Fehlgeburt wollte die<br />

Mutter keinen Kompromiss eingehen. Ihr<br />

Kind sollte wie jeder Mensch beerdigt<br />

werden. Von anderen Frauen erfuhr sie,<br />

dass es auf dem Stadtfriedhof eine Ruhestätte<br />

für Fehlgeburten und totgeborene<br />

Kinder gibt.<br />

Auch die Trauer kennt in Deutschland<br />

Richtwerte. Bei Ungeborenen liegt er bei<br />

500 Gramm – darüber ist der Leichnam<br />

ein Kind, darunter ist er Sondermüll und<br />

wird mit dem Krankenhausabfall entsorgt.<br />

Für die junge Mutter eine unerträgliche<br />

Vorstellung.

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