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s'Positive Magazin 03.2017

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EINKAUFS-PSYCHOLOGIE<br />

«Nicht übersichtlich soll unser<br />

Supermarkt sein, sondern ein<br />

wahrer Hindernisparcours. Unser<br />

Laden wird zur Bremszone. Dies<br />

beginnt bereits beim Eingang.»<br />

suchen. Unser Supermarkt geniesst deshalb<br />

einen guten Ruf und die Kunden kommen<br />

gern. Aber nochmal: Sie kaufen zu wenig.<br />

Nehmen wir an, wir lassen uns beraten.<br />

Aber wen ziehen wir da bei? Bei grossen<br />

Warenhausketten sorgen Psychologen, Verhaltensforscher,<br />

Neurowissenschafter und<br />

Marketingexperten dafür, dass in den Filialen<br />

eine Einkaufsumgebung herrscht, die das<br />

Kaufverhalten der Kundinnen und Kunden<br />

begünstigt. Denn sie wissen: Mit geschickten<br />

Massnahmen kann man Menschen dazu<br />

bringen, bis zu drei Mal so viel einzukaufen,<br />

wie geplant. Bis zu zwei Drittel aller Waren,<br />

die im Einkaufswagen landen, sollten nicht<br />

auf dem Einkaufszettel stehen. Wie bringen<br />

wir die Menschen in unserem Laden dazu,<br />

mehr zu kaufen, als sie brauchen?<br />

Das Beraterteam macht sich ans Werk<br />

und was es uns präsentiert, haut uns aus den<br />

Socken. Nicht übersichtlich soll unser Supermarkt<br />

sein, sondern ein wahrer Hindernisparcours.<br />

Nix da mit schnellem Einkauf.<br />

Unser Laden wird zur «Bremszone». Dies<br />

beginnt bereits beim Eingang. Die Schiebetüren<br />

werden auf langsam gestellt. Wer eintreten<br />

will, soll ein erstes Mal gebremst werden<br />

und innehalten. Es ist also kein Defekt,<br />

wenn sich die automatischen Schiebetüren<br />

quälend langsam öffnen. Das ist gewollt!<br />

Unsere Berater schlagen vor, im Eingangsbereich<br />

eine Bäckerei zu installieren<br />

und die Kunden mit frischen Backwaren zu<br />

empfangen. Die Empfehlung geht sogar noch<br />

weiter: Die Abluft aus dem Backofen sollen<br />

wir gekühlt wieder in den Laden blasen, um<br />

mit dem angenehmen Geruch gute Laune zu<br />

verbreiten und den Menschen Appetit zu<br />

machen. Wer gut gelaunt ist und Appetit hat,<br />

kauft mehr. Der Backshop verführt mit Brötchenduft<br />

zum ersten Extrakauf. Kinder wollen<br />

einen Nussgipfel und eine Butterbrezel.<br />

Warum fallen Menschen auf solch simple<br />

Tricks so bereitwillig herein? Was Verhaltensökonomen<br />

herausfinden, macht viele Wirtschaftswissenschaftler<br />

nervös. Die gehen<br />

nämlich davon aus, dass sich Menschen im<br />

Wirtschaftsleben vorhersehbar rational verhalten<br />

und nennen den perfekten Geschäftsmenschen<br />

«Homo oeconomicus». Bevor<br />

dieser ein Geschäft tätige, sammle und analysiere<br />

er alle wichtigen Daten, um anschliessend<br />

eine vernünftige Entscheidung zu<br />

treffen, die für ihn selbst oder seine Firma<br />

optimal sei. Doch dies ist Theorie. Mit der<br />

Praxis hat dies nichts zu tun. Im Privatleben<br />

handeln Menschen eher unvernünftig. Sie<br />

kaufen Sachen, die sie nicht brauchen und<br />

machen Geschäfte, die ihnen schaden. Unser<br />

Gehirn sorgt dafür, dass wir irrational handeln<br />

und leicht zu manipulieren sind.<br />

VIELES LÄUFT UNBEWUSST<br />

Nach der Bäckerei geht es in die Obst- und<br />

Gemüseabteilung. Eine spezielle Beleuchtung<br />

und aromatisierte Luft aus unauffälligen<br />

Belüftern sollen für Marktatmosphäre<br />

sorgen und Frische demonstrieren. Die Shopper,<br />

wie die Kunden im Fachjargon heissen,<br />

halten sich in dieser Abteilung im Schnitt<br />

fast zwei Minuten lang auf, sechs mal länger<br />

als vor dem Kühlregal.<br />

Um Überlastungen zu vermeiden, weigert<br />

sich unser Gehirn, jede einzelne Entscheidung,<br />

die wir treffen, vollständig zu<br />

durchdenken. Es entwickelt Abkürzungen<br />

(Shortcuts). In der Forschung<br />

wird dies Heuristik<br />

genannt, ein grobes<br />

Verfahren, um Entscheidungen<br />

zu treffen. Ähnlich<br />

wie bei einer Überschlagsrechnung.<br />

Forschungen des Psychologen<br />

und Wirtschaftsnobelpreisträgers<br />

Daniel<br />

Kahnemann ergaben, dass<br />

Menschen oft nahezu vollautomatisch<br />

handeln, Gegenstände erkennen,<br />

Auto fahren, Texte in Grossbuchstaben<br />

auf Werbeplakaten lesen, und dabei nicht<br />

nachdenken. Das menschliche Gehirn erledigt<br />

dies sozusagen mit links.<br />

Auch sonst versucht es, sich das Leben<br />

leicht zu machen. Neue Eindrücke im Supermarkt<br />

vergleicht es einfach mit ähnlichen<br />

Erinnerungen: rote Preis-Sticker zeigen Sonderangebote<br />

an, grosse Stapel von Waren auf<br />

einer Palette sind günstiger als Einzelstücke.<br />

Oder: Teurer Whisky ist besser als billiger<br />

(gutes hat seinen Preis).<br />

Jeder Mensch speichert hunderte solcher<br />

Informationen und Binsenwahrheiten. Oft<br />

machen wir uns gar nicht die Mühe, im Einzelfall<br />

zu prüfen, ob sie noch stimmen. Der<br />

Handel macht sich diese Lässigkeit zunutze.<br />

So soll ein Schmuckhändler in New York<br />

einige Ladenhüter erst verkauft haben, nachdem<br />

er deren Preise deutlich erhöht hatte.<br />

Besser belegt ist das Beispiel der Whiskymarke<br />

Chivas Regal. Diese wurde in den<br />

1950er-Jahren nachgewiesenermassen erst<br />

dann zum Renner, als ihr Preis deutlich<br />

herauf gesetzt wurde.<br />

Offenbar entscheidet eine bestimmte Region<br />

im Gehirn, ob wir zugreifen oder nicht. Sie<br />

wirkt als Belohnungszentrum und heisst Nucleus<br />

accumbens. Löst ein Schnäppchen oder<br />

der Kauf von Schokolade bei uns ein gutes<br />

Gefühl aus, sorgt dieser Bereich dafür, dass<br />

wir uns dies merken. Bei der nächsten Gelegenheit,<br />

Schokolade oder ein Schnäppchen<br />

zu kaufen, setzt sofort der «Haben-wollen-<br />

Effekt» ein. Wissenschaftler haben nachgewiesen,<br />

dass der Nucleus accumbens in<br />

Aktion tritt, wenn es um die Befriedigung<br />

materieller Wünsche geht.<br />

SCHNELLDREHER SIND BÜCKWARE<br />

Von der Gemüseabteilung geht es auf die<br />

«Rennstrecke», wo die wichtigen Waren<br />

präsentiert werden. Teure Markenprodukte<br />

und Waren mit hoher Gewinnmarge befinden<br />

sich auf Sichthöhe (140 – 180 cm). Für<br />

günstige Produkte oder für Schnelldreher<br />

Fotos: shutterstock.com/Thaiview, Sorbis<br />

12 s’Positive 3 / 2017

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