Achtsames Leben Winter 2017
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Das grüne Dilemma oder:<br />
Warum wir das Richtige im Falschen tun müssen<br />
nachhaltigkeit & ethik<br />
Autor: Stefan Brunnhuber<br />
Stefan Brunnhuber hat kürzlich in Oldenburg einen vielbeachteten Vortrag zum Thema<br />
gehalten. - Textauszug mit freundlicher Genehmigung des Herder-Verlages aus<br />
„Die Kunst der Transformation - Wie wir lernen, die Welt zu verändern“.<br />
Eine zentrale Aussage dieses Buches ist, dass<br />
menschliches Verhalten und Erleben einer Entwicklung<br />
unterliegen, dass diese Entwicklung<br />
einer inneren Regelmäßigkeit folgt und dass<br />
die Entwicklung mit der Ich-Entwicklung nicht<br />
endet. Diese Entwicklungslogik hat an mehreren<br />
Stellen eine zentrale Beziehung zu unserem<br />
Thema. Eine der Herausforderungen, die<br />
auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit immer<br />
wieder auftaucht, ist das sogenannte grüne Dilemma<br />
oder die Frage: Was passiert, wenn wir<br />
das Richtige im Falschen tun?<br />
Die Frage begegnet uns regelmäßig in der Diskussion<br />
um sinnvolle <strong>Leben</strong>sstile: Etwa bei alternativen<br />
Formen der Mobilität, bei der Einschränkung<br />
unseres Fleischkonsums bei der<br />
Nutzung von erneuerbaren Energiequellen oder<br />
auch bei Vorschlägen für eine intelligente Regionalisierung<br />
von Wirtschaftskreisläufen. Wir<br />
können einen Wandel hin zu einem richtigen,<br />
also bezogen auf die Nachhaltigkeit ethisch guten<br />
Handeln sehen. So gibt es etwa in Italien<br />
mehr Fahrrad- als Autokäufe, in Deutschland<br />
sind über 51 Prozent der Solarzellen in privater<br />
Hand, circa ein Drittel der Bevölkerung gärtnert,<br />
und in den Städten werden weltweit bereits<br />
bis zu 20 Prozent der <strong>Leben</strong>smittel durch Urban<br />
Gardening hergestellt.<br />
Das ist alles richtig. Potenziell falsch wird es, weil<br />
hier eine Minderheit auf eine Mehrheit trifft, die<br />
etwas ganz anderes will. Die globale Mehrheit<br />
will mehr Mobilität, mehr Fleischkonsum, mehr<br />
fossile Brennstoffe und mehr globale Vernetzung<br />
– und konterkariert damit das Anliegen<br />
der Minderheit. Denn wenn die Minderheit ihren<br />
<strong>Leben</strong>sstil an ihre Überzeugungen anpasst,<br />
provoziert sie gleichzeitig einen Nachfragerück-<br />
gang bei den jeweiligen Gütern (Autos, Fleisch,<br />
Öl). In der Folge kommt es zu einem Preisverfall,<br />
von dem die Mehrheit profitiert und noch<br />
mehr konsumiert, sodass sich die Gesamtsituation<br />
weiter verschlechtert. Es entsteht ein Dilemma,<br />
das auf dieser Ebene nicht lösbar ist,<br />
denn die Mehrheit folgt dem Grundsatz: Je weiter<br />
weg (zeitlich und emotional) die Konsequenzen<br />
eines <strong>Leben</strong>sstils sind und je schleichender<br />
der Prozess ist, umso geringer ist die Motivation,<br />
sich gegenwärtig zu ändern. Wir verhalten uns<br />
stattdessen wie der Frosch im Warmwasserbad,<br />
der der Legende nach im eigenen Saft verkocht,<br />
weil ihm der lebensrettende Sprung aus dem<br />
immer heißer werdenden Wasser nicht gelingt.<br />
Der Unterschied zwischen Mensch und Frosch<br />
ist, dass wir uns zumindest dann ändern, wenn<br />
es beginnt wehzutun.<br />
Aber es tut noch nicht hinreichend weh. Jede<br />
heute akzeptierte Einschränkung zugunsten einer<br />
Reduktion der globalen Erwärmung wird<br />
11