Festspielzeit Frühling 2017
Das Magazin der Bregenzer Festspiele
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VORARLBERGER LANDESTHEATER<br />
Aus dieser Situation wurde –<br />
ermutigt von Shermin Langhoff<br />
und Jens Hillje und ausgestattet<br />
mit einer Förderung des Hauptstadtkulturfonds<br />
– The Situation:<br />
eine Recherche über die Begegnung<br />
von in Berlin neu angekommenen<br />
Menschen aus dem Nahen Osten.<br />
Viel mehr als eine derartige Konstellation<br />
gibt es, wie gesagt, selten<br />
zu Probenbeginn von Yael Ronens<br />
Stückentwicklungen. Erst durch<br />
das Aufeinandertreffen der Schauspieler<br />
und Schauspielerinnen<br />
wird klar, welche Themen wirklich<br />
ein Thema sind.<br />
Deshalb ist das Ensemble bei<br />
jedem Projekt das Wichtigste:<br />
Neben Yousef Sweid gehören zum<br />
Situation-Ensemble Orit Nahmias,<br />
langjährige Muse von Yael Ronen<br />
und manchmal auch ihr Alter Ego<br />
auf der Bühne. Orit Nahmias hat<br />
Berlin zum ersten Mal bei den Proben<br />
zu Dritte Generation besucht<br />
und ist fünf Jahre später in die<br />
deutsche Hauptstadt gezogen.<br />
Ayham Majid Agha war 2013 mit<br />
einem syrischen Theaterprojekt auf<br />
Gastspiel beim Festival Theaterformen<br />
in Hannover. Als er in den<br />
Libanon zurückreisen wollte, ließ<br />
ihn die Fluggesellschaft in Berlin<br />
nicht an Bord, weil sich mittlerweile<br />
die Visabestimmungen für Syrer<br />
im Libanon geändert hatten. Wäre<br />
ihm die Einreise in den Libanon<br />
verwehrt worden, hätte die Fluggesellschaft<br />
ihn zurücktransportieren<br />
müssen. Dieses Risiko<br />
wollte sie nicht eingehen, Ayham<br />
strandete in Berlin. Wir lernten<br />
ihn und seine unglaubliche Gabe,<br />
unglaubliche Geschichten zu<br />
erzählen, auf einer Party kennen.<br />
Maryam Abu Khaled, die talentierteste<br />
junge Schauspielerin aus dem<br />
Westjordanland, wollte unbedingt<br />
als Schauspielerin arbeiten. Die<br />
Möglichkeiten dazu sind im Westjordanland<br />
im wahrsten Sinne des<br />
Wortes äußerst begrenzt. Also kam<br />
sie nach Berlin, um am Gorki ihren<br />
Beruf auszuüben. Dimitrij Schaad<br />
sollte »den Deutschen« spielen, der<br />
auf der Bühne alles fragen kann, was<br />
für die anderen Schauspieler und<br />
Schauspielerinnen vielleicht durch<br />
die eigene Biografie selbstverständlich<br />
ist. Er ist aber eben nicht nur<br />
Deutscher, sondern kommt zudem<br />
aus Kasachstan, wo er ebenso das<br />
Chaos nach dem Zusammenbruch<br />
eines politischen Systems erlebt<br />
hat. So hat er auch mal in Deutschland<br />
neu anfangen müssen. Er<br />
hat das Projekt in einen größeren<br />
Kontext von Einwanderung gestellt,<br />
der schon immer Teil deutscher<br />
Geschichte war. Und dann kam ein<br />
paar Wochen nach Probenbeginn<br />
noch Karim. Karim Daoud wollte<br />
raus aus Palästina. Zum Glück<br />
bekam er ein Touristenvisum.<br />
Viele Kollegen sagten uns, wie<br />
talentiert er sei, sie hatten recht.<br />
Nun brauchte er eine Aufenthaltsund<br />
Arbeitserlaubnis, was für<br />
18-jährige Männer aus Qalqilya<br />
entweder unmöglich ist oder<br />
mindestens drei Monate dauert.<br />
Das wäre zwei Monate nach unserer<br />
Premiere gewesen. Er bekam die<br />
Papiere innerhalb von drei Wochen<br />
und war rechtzeitig zu den Endproben<br />
unter Vertrag. Mir ist seitdem<br />
klar, dass man als Mitarbeiterin<br />
einer öffentlichen Institution in<br />
Deutschland die Macht hat, legale<br />
Fluchthilfe zu leisten.<br />
Der Probenprozess sah lange nicht<br />
nach Arbeit aus, außer vielleicht der<br />
Deutschkurs, den ich den Schauspielern<br />
und Schauspielerinnen<br />
und vor allem Yael Ronen untergejubelt<br />
habe. Ansonsten saßen wir<br />
im Gorki-Garten, redeten über das<br />
Leben dort und das Leben hier,<br />
warum man gegangen ist, wie man<br />
dort gesehen wurde, wie man nach<br />
Im Kurs von<br />
Deutschlehrer Stefan<br />
ist richtige Grammatik<br />
das kleinste Problem.<br />
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