Mehr als drei Dekaden lang war AIDS tödlich und hat viele schwule Männer nachhaltig traumatisiert. Die Generation AIDS erinnert sich noch gut an die damaligen Bilder – und fast jeder hat damals gute Freunde an die Krankheit verloren. Schnell wurde vor etwas mehr als 30 Jahren klar: Es muss etwas geschehen - das Massensterben in den Metropolen muss unter Kontrolle gebracht werden. Roger Staub war Mitbegründer der AIDS-Hilfe Schweiz und erinnert sich exklusiv in dieser Ausgabe an die Anfangszeiten der Epidemie.
Ausserdem: Wie politisch ist eigentlich der kommende ESC wirklich? Unsere Autorin Yvonne Beck wagt einen etwas anderen Blick auf die Veranstaltung.
cruiser
DAS
April 2017 CHF 7.50
GRÖSSTE
SCHWEIZER
GAY-MAGAZIN
Aids-Hilfe Schweiz
Wie alles begann
Song Contest
Wer mit wem am ESC
ANGELS-Partys
(Fast) alles neu
Die besten Filme
Pink Apple Festival
Tripper
Syphilis
Chlamydien
Mach im Mai den Gratis-Test auf die drei
häufigsten Geschlechtskrankheiten. Auch wenn
du dich rundum gesund fühlst. drgay.ch
3
Editorial
Liebe Leser
Vor etwas mehr als dreissig Jahren wurde die Aids-Hilfe Schweiz gegründet. Also quasi zeitgleich
mit dem Erscheinen des ersten Cruisers. Cruiser war (und ist!) ein wichtiges Publikationsorgan für
die Präventionskampagnen der AHS und Aids-Hilfe Mitbegründer Roger Staub publizierte seinerzeit
regelmässig die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse rund um das Aids-Drama. Roger gilt
auch als einer der Mitbegründer des Cruiser. Diese Synergie machte Sinn, denn damals war die Welt offline und die einzige
Möglichkeit, die Szene direkt zu erreichen, war der Cruiser. Abgesehen von der damaligen Konkurrenz, einem Inserateblatt,
gab es keine Alternativen. Roger Staub hat sich für diese Ausgabe des Cruiser nochmals an die Zeiten von damals erinnert.
Wir verzichten bewusst auf die Phrase «an die gute alte Zeit». Denn das war sie nicht. Ich wünsche spannende Lesemomente
mit der neuen Ausgabe.
Herzlich, Haymo Empl
inhalt
4 Thema Aidshilfe –
wie alles begann
11 Kolumne Michi Rüegg
12 ESC 2017 Trash trifft auf Politik
15 News Update
16 Buchkritik Simone Meier
18 Interview Die neuen Angels
21 Kultur Pink Apple
24 Fingerfertig Nihat kocht
25 Kultur Hommage an Elton John
27 Info Geschlechtskrankheiten
28 Kolumne Mirko!
29 Politik Nico Planzer im Interview
31 Warmer Mai Er kommt!
32 Ratgeber Dr. Gay
33 Kolumne Thommen meint
34 Flashback Cruiser vor 30 Jahren
impressum
CRUISER MAGAZIN PRINT
ISSN 1420-214x (1986 – 1998) | ISSN 1422-9269 (1998 – 2000) | ISSN 2235-7203 (Ab 2000)
Herausgeber & Verleger Haymo Empl, empl.media
Infos an die Redaktion redaktion@cruisermagazin.ch
Chefredaktor Haymo Empl | Stv. Chefredaktorin Birgit Kawohl
Bildredaktion Haymo Empl, Nicole Senn. Alle Bilder mit Genehmigung der Urheber.
Art Direktion Nicole Senn | www.nicolesenn.ch
Agenturen SDA, DPA, Keystone
Redaktion Print Vinicio Albani, Anne Andresen, Yvonne Beck, Bruno Bötschi,
Andreas Faessler, Mirko, Moel Maphy, Michi Rüegg, Alain Sorel, Peter Thommen, Nihat.
Korrektorat | Lektorat Birgit Kawohl
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WEMF beglaubigte Auflage 11 539 Exemplare
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Der nächste Cruiser erscheint am 6. Mai 2017
CRUISER April 2017
4
Thema
Aidshilfe – wie alles begann
Aids-Hilfe Schweiz
Wie alles begann
Dies ist die Geschichte, wie Roger Staub vor über 30 Jahren zusammen
mit weiteren engagierten Männern die Aids-Hilfe Schweiz als «Antwort
auf die Schwulen-Seuche AIDS» gegründet hat. Und was Fidel Castro,
Bertino Somaini und André Ratti damit zu tun haben.
©Bilder: Schweizerisches Sozialarchiv
CRUISER April 2017
Thema
Aidshilfe – wie alles begann
5
Von Roger Staub
A
m 18. März 1985 trafen sich Vertreter
von verschiedenen lokalen
Schwulengruppen im Centro der
HAZ am Sihlquai in Zürich, weil die
Aids-Gruppe der HAZ eine Safer Sex-Broschüre
für Schwule nach kalifornischer
Vorlage für die ganze Schweiz herstellen
wollte. Der Enthusiasmus der Delegierten
war ungleich verteilt, viel Skepsis war zu
spüren. Aber einer redete Klartext: Herbert
Riedener, Präsident der Loge70. «Wer
nicht mitmachen will, kann jetzt gehen.
Die Loge70 ist dabei. Wir fangen gleich
mit der Arbeit an.» Für die SOH (Schweizerische
Organisation der Homophilen)
blieb Marcel Ulmann im Raum und ich
für die HAZ.
Die drei «Gründerväter» der AHS
konnten verschiedener nicht sein: Marcel
verkörperte den homosexuellen Mann der
vergangenen «Kreis-Zeit» und vertrat die
Männer, die vom Sex mit einem Mann eher
träumten. Ich die HAZ, die eher linke
Emanzipationsbewegung – und Männer, die
viel über Sex mit Männern diskutierten.
Und Herbert die Ledermänner, die Sex mit
Männern einfach hatten. Weil sich mit uns
drei Männern drei Welten der Schwulen trafen
und kooperierten, schafften wir es, die
AHS am 2. Juni 1985 mit 14 schwulen Organisationen
der Schweiz plus dem VSD (Verein
Schweizer Drogenfachleute) im «au premier»
im Zürcher Hauptbahnhof zu
gründen. So erhielt die Schweiz als eines der
letzten Länder Westeuropas eine nationale
Aids-Organisation.
Der 1. Götti: Fidel Castro, Cuba
Ich habe 1982 mein Studium als Sekundarlehrer
mathematisch-naturwissenschaftlicher
Richtung abgeschlossen, fand wegen
des Lehrerüberflusses keine Stelle, konnte
mich aber mit Vertretungen über Wasser
halten. Schon seit der Pubertät fühlte ich
mich sowohl von hübschen, eher femininen
jungen Männern als auch von grossen,
schlanken und eher knabenhaften jungen
Frauen angezogen. Über viele Jahre lebte ich
eine Fernbeziehung mit einer fast gleichaltrigen
Frau, die in Eindhoven lebte und später
in Utrecht studierte. Kurz nach dem Studium
ging die Beziehung in die Brüche und ich
begann zaghaft, die schwule Welt zu erkunden,
ohne aber bald auf Mr. Right zu treffen.
ich begann zaghaft, die
schwule Welt zu erkunden,
ohne aber bald auf
Mr. Right zu treffen.
Als Student war ich 1979 an den Protesten
gegen Erziehungsdirektor Gilgen und
am Rand an den 80er-Unruhen beteiligt und
sympathisierte mit der POCH, einer Partei
links der SP. Weil ich als Lehrer nicht in die
Partei eintreten konnte ohne den Job zu verlieren
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AMAG Horgen, 8810 Horgen Tel. 044 727 40 40, www.horgen.amag.ch
AMAG Utoquai, 8008 Zürich, Tel. 044 269 51 51, www.utoquai.amag.ch
AMAG Winterthur, 8406 Winterthur, Tel. 052 208 32 00, www.winterthur.amag.ch
CRUISER April 2017
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Thema
Aidshilfe – wie alles begann
Die ersten Werbe-Sujets sind mittlerweile legendär. Der Brand «Hot Rubber» wurde explizit für die Gay-Szene geschaffen, das «Stop AIDS»
Logo war auch den anderen «Risikogruppen» und biederen Heteros ein Begriff.
der Freundschaftsvereinigung Schweiz-Cuba.
Im Herbst 1983 war ich mit der Brigade
«José Martí» einen Monat im Arbeitseinsatz
in Kuba. In der deutschen Delegation gab es
einen hübschen jungen Mann und in der Delegation
aus West-Berlin eine Ärztin. Mit
beiden habe ich mich angefreundet, war aber
zu schüchtern … Die Ärztin aus Berlin hat
mich ein paar Monate später auf dem Weg
zum Wintersport in Zürich besucht und ich
sie dann in Berlin im November 1984.
1983 habe ich zum ersten
Mal von der neuen
Schwulenseuche in den
USA gelesen.
1983 habe ich zum ersten Mal von der
neuen Schwulenseuche in den USA gelesen
und Schlagzeilen wahrgenommen. Ich hatte
in diesem Jahr aber überhaupt nicht das Gefühl,
dass mich das etwas angehen könnte –
im Rückblick sehr zurecht, ich war ja nicht
besonders mutig. Im Herbst 1984 war AIDS 1
wieder über Wochen Titelthema im «Spiegel».
Auch am Esstisch der Berliner Gross-
WG der Ärztin wurde fast jeden Abend darüber
diskutiert, wohnten doch auch zwei
Schwule in der WG. Sie bot mir an, einen
Test auf das Aids-verursachende Virus, das
damals noch HTLV-III/LAV hiess, zu machen,
nahm am Küchentisch Blut und
schickte es in die USA. Ich habe damals meinen
Arm hingehalten weil ich dachte, es ist
gut zu wissen, dass man DAS nicht hat. Sie
versprach, mich in einigen Wochen telefonisch
über das Resultat zu informieren.
Donnerstag, der 13. Dezember 1984
Wieder zurück in Zürich und sensibilisiert
fürs Thema AIDS fielen mir in der Szene –
ich verkehrte damals vor allem im ZABI –
rosa Flugblätter der SOH und HAZ auf, die
für einen AIDS-Informationsabend für
schwule Männer im Unispital «mit dem besten
AIDS-Spezialisten der Schweiz» warben.
Ich war da, zusammen mit über 300 Männern
aus Zürich, der Grosse Hörsaal West
war bis auf den letzten Platz besetzt. An jenem
Abend begriff ich, worum es bei AIDS
wirklich geht und wie mann sich schützen
kann. Am Abend danach sagte ich im ZABI
zu Remo P. von der HAZ, mann müsse was
tun. Er sagte mir dass ich in die Kerngruppen-Sitzung
vom kommenden Mittwoch
kommen müsse, nur die Kerngruppe könne
die Einrichtung einer AIDS-Arbeitsgruppe
der HAZ beschliessen. Seit dem Vortrag – es
war Ruedi Lüthy persönlich, der uns informierte
– schlief ich schlecht, weil ich mich
an alle sexuellen Begegnungen mit Männern
der letzten Jahre zu erinnern versuchte. Ich
schätzte mein Risiko zwar als gering ein,
aber Null war es sicher nicht. Das motivierte
mich dazu, tatsächlich an der Kerngruppensitzung
vom Mittwoch, 19. Dezember teilzunehmen
und den Antrag zu stellen, es sei
eine AIDS-Arbeitgruppe der HAZ einzurichten
und es seien ihr 2000 Franken für die
Produktion eines Flugblattes über AIDS und
die Einrichtung eines Beratungstelefons zur
Verfügung zu stellen. Es wurde stundenlang
diskutiert. Gegen Mitternacht erfolgte endlich
die Abstimmung und mit knapper
Mehrheit wurde die AIDS-Arbeitsgruppe
der HAZ beschlossen. Müde kam ich spät
nachts nach Hause und fand auf meinem
Pult eine Notiz meiner Mitbewohner: «Gruss
aus Berlin – alles in Ordung!»
Der 2. Götti: Bertino Somaini, BAG
Bern
Im Januar 1985 schrieben wir in der AG
AIDS den Text eines ersten Flugblattes basierend
auf den Ausführungen von Dr. R.
Lüthy. Layout mit Schere und Leim und Abreibbuchstaben
für die Titel, Text aus meiner
elektrischen Schreibmaschine mit Korrekturtaste,
Illustration eigenhändig. Wir
druckten 5000 Exemplare und verteilten sie
in der Szene – gleichzeitig richteten wir ein
Beratungstelefon ein und versuchten, mehr
Informationen zusammenzutragen. Kollegen
brachten uns aus San Franzisco einen
1
AIDS wurde erst 1986 als Wort eingedeutscht
und wurde zu Aids (Duden, 1986).
©Bilder: Schweizerisches Sozialarchiv
CRUISER April 2017
Thema
Aidshilfe – wie alles begann
7
schön gestalteten Leporello «can we talk?»
der Bay Area Physicians for Human Rights
mit. Wir von der HAZ fanden die Broschüre
toll, aber wollten sie wenn schon, dann für
die ganze (Deutsch-)Schweiz produzieren
und das Logo der entsprechenden Schwulengruppe
einstempeln. Deshalb trafen sich am
Sonntag, 18. März 1985 die Vertreter der verschiedenen
HA-Gruppen (siehe oben). Das
Flugblatt «mach’sch au mit?» erschien bald
darauf in 20 000 Exemplaren, finanziert von
den mitmachenden Gruppen und enthielt
zum ersten Mal Werbung für Präservative.
Die Firma Lamprecht in Oerlikon bezahlte
ihr Inserat mit 50 000 Gratis-Präservativen,
die wir mit einem Kleber «HAZ-geprüft, nur
mit wasserlöslichem Gleitmittel verwenden»
zusammen mit der Broschüre in der Zürcher
Szene verteilten.
Wir drei späteren «Gründerväter» der
Aids-Hilfe Schweiz, also Herbert, Marcel
und ich bemühten uns gleichzeitig um einen
Termin beim BAG und wurden von Dr. Bertino
Somaini, damals Sektionschef im Bundesamt
Die Firma Lamprecht in
Oerlikon bezahlte ihr
Inserat mit 50 000
Gratis-Präservativen.
für Gesundheitswesen (BAG), eingeladen. Er
erklärte uns, dass für Aufklärungsmassnahmen
schon Geld vom Bund zu haben wäre,
dass er aber keine Lust habe, mit jeder
Schwulengruppe aus jeder Stadt einzeln zusammenzuarbeiten.
Unser Gesuch, unsere
bereits produzierten und verteilten Broschüren
zu finanzieren, nahm er entgegen.
Herbert, Marcel und ich hatten schon
im März ein Postcheck-Konto und ein Postfach
bei der Schweizerischen Post beantragt
und mussten dafür einen Verein gründen,
denn ohne Verein weder Postfach noch
PC-Konto. Wir gründeten den «Gründerverein
Aids-Hilfe Schweiz» mit dem Ziel, die
Aids-Hilfe Schweiz zu gründen und die Aufklärungsarbeit
fortzuführen und liessen auf
eigene Rechnung Einzahlungsscheine drucken,
die mit der Broschüre und den
HAZ-geprüften Präservativen verteilt wurden.
Schon bald wurde mir der tägliche
Gang zum Postfach im Hauptbahnhof
Grund zur Freude: innert weniger Wochen
wurden über 20 000 Franken einbezahlt, oft
mit aufmunternden Worten in der Rubrik
«Zahlungsgrund». So luden wir drei alle uns
bekannten schwulen Gruppen zur Gründung
der Aids-Hilfe Schweiz nach Zürich
ein. Am 2. Juni 1985 trafen sich Vertreter
von 14 Schwulengruppen.
Der 3. Götti: André Ratti, Basel
Kaum war die Gründung am 2. Juni erfolgt,
rief mich eines Abends André Ratti zu Hause
an: «Do isch Ratti – MTW (Menschen –
Technik – Wissenschaft, eine bekannte Sendung
des Farbfernsehens Beromünster, ➔
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8
Thema
Aidshilfe – wie alles begann
Roger Staub, einer der Gründerväter der Aidshilfe, vor über 30 Jahren.
Eines der ersten Farbinserate im damaligen
Cruiser.
wie Kurth W. Kocher, mein späterer Lebenspartner
zu sagen pflegte) – ig han Aids
und will öppis tue!» Ohne viel zu überlegen
sagte ich zu ihm: «Werden Sie Präsident!»
Das brauchte zwar einiges an Überzeugungsarbeit,
aber dann sagte er zu und wurde
an einer aussserodentlichen Generalversammlung
per Telefonkonferenz gegen den
Willen der HABS (Homosexuelle Arbeitsgruppen
Basel Stadt) zum Präsidenten
gewählt.
Am 2. Juli 1985 lud die AHS zur Pressekonferenz
in den Schweizerhof in Bern ein.
Die Schlagzeile auf dem Blick-Aushang des
nächsten Tages: «André Ratti (50): Ich habe
Aids!» Dass wir gleichzeitig auch die erste
Broschüre der AHS zum Thema «HTLV-III/
LAV-Antikörpertest» veröffentlichten, blieb
wegen der Sensation, dass ein bekannter TV-
Mann sein Coming-out als Schwuler und
Aidskranker hatte, unerwähnt.
Darauf stellten wir beim BAG das Gesuch,
dass uns eine Geschäftstelle in Zürich
finanziert werde. Im Herbst rief eine Frau
Moser vom BAG bei mir in der Schule an
und fragte, ob sie sich als Geschäftsführerin
der AHS bewerben könne, sie sei als Assistentin
von Dr. Somaini gerade dabei, die
Subventionsverfügung für unsere Geschäftsstelle
zu tippen. Herbert und ich trafen
sie an einem Abend in Bern und waren
von ihrer Energie und ihrem Engagement
so überzeugt, dass wir sie grad einstellten.
Wir fanden bald Räume im Kreis 2 und
konnten ab Januar 1986 die Geschäftsstelle
an der Gerechtigkeitsgasse in Zürich einrichten.
Vorher hatten wir im HAZ-Centro
am Sihlquai ein kleines Büro zur Verfügung,
das wir ab Herbst 1985 noch mit der
Zürcher Aids-Hilfe teilten. Endlich hatten
wir genug Platz für …
Mit dem stilisierten
Phallus im Namen gefiel
es dann allen.
The Hot Rubber – the Condom for
gay men
… das Lager der Hot Rubber Company
(HRC). Im Frühling 1985 verteilten wir die
Gratis-Muster der Firma Lamprecht mit
dem Kleber «HAZ-geprüft». Daraus entstand
die Idee, eine eigene Parisermarke zu
kreieren. Herbert machte anlässlich des Europäischen
Pfingsttreffens der Loge70 den
Versuch mit dem Namen «Hot Rubber» und
einem Stiefellogo. Das gefiel wohl in der Lederszene,
ausserhalb fehlte die Akzeptanz.
Mit dem stilisierten Phallus im Namen gefiel
es dann allen. So entstand im Herbst die Hot
Rubber Company als Teil der AHS. Und
Lamprecht lieferte die ersten Hot Rubber,
echte Ceylor-Blauband-Präservative in der
neuen Hot Rubber-Folie verpackt und von
der AHS via Bars und Saunen und im Direktversand
vertrieben. Ab November 1985
erschien fast jeden Monat ein neues Hot
Rubber Plakat, das in den Szenelokalen aufgehängt
wurde und für den Hot Rubber
warb. Im Jahr 1985 verkaufte die HRC 2000
Stück, 1986 125 000, 1987 über 300 000.
Wir lagerten aber nicht nur Broschüren
und Präservative an der Gerechtigkeitsgasse,
sondern auch sterile Einwegspritzen.
Freiwillige Helfer, Silvia Moser und ich verteilten
regelmässig saubere Spritzen auf dem
Platzspitz, dem damaligen Drogenpark
hinter dem Landesmuseum zu einer Zeit, als
der Kantonsarzt des Kantons Zürich den
Schutz vor AIDS bot das Kondom.
Im Direktversand wurden die Präser
für 10 Franken nach Hause geschickt.
©Bilder: Schweizerisches Sozialarchiv
CRUISER April 2017
Thema
Aidshilfe – wie alles begann
9
praktizierenden Ärzten den Entzug der
Praxisbewilligung androhte, sollten sie Drogenabhängigen
Spritzen abgeben. Wie viele
Spritzen die Teams der AHS in den ersten
Monaten des Jahres 1986 verteilten, weiss ich
nicht mehr. Ich weiss aber, dass wir viel
Glück hatten und nie ein Team von der Polizei
verhaftet wurde.
Schule oder BAG?
Seit April 1985 unterrichtete ich in Meilen
am Zürichsee eine 3. Sekundarklasse als
Aushilfe in einem vollen Pensum. Meine
Aids-Hilfe Aktivitäten erfolgen in der Freizeit,
abends und an Wochenenden. Manchmal
auch zulasten der Vorbereitung …
Überraschend für mich bot mir der Schulpräsident
schon im Januar 1986 an, mich zur
Wahl als Sekundarlehrer vorzuschlagen.
Praktisch gleichzeitig fragte mich Bertino
Somaini, ob ich im ersten Aids-Team des
BAG mitarbeiten wolle, als Verbindung zur
Aids-Hilfe Schweiz. Ich wusste lange nicht,
was tun. Bertino sagte mir dann: «Wenn du
deinen Weg als Lehrer in Ruhe weiter gehen
willst, dann akzeptiere die Wahl. Wenn du
dich in eine ungewisse Zukunft aufmachen
willst, komm zu uns ins BAG.» Ich wählte
«Wenn du dich in eine
ungewisse Zukunft
aufmachen willst, komm
zu uns ins BAG.»
dann das BAG und wurde mit einem Expertenvertrag
und einem Pult im BAG und einem
bei der AHS «ausgerüstet» und im April
86 für einen Monat auf Studienreise nach
San Franzisco, Vancouver und New York geschickt.
Im BAG hatte ich es nicht einfach:
Als Experte musste ich nicht stempeln, gehörte
also nicht wirklich dazu. Und als der
Kaffeeautomat meine Münze nicht akzeptierte
drehte sich ein «Kollege» um und rief:
«Hé tir, de nimmt ume ke Zürcher Gäut!»
Bei der AHS war es nicht einfacher – vielfach
bekam ich zu hören, ich habe die Seite gewechselt,
ich gehöre nicht mehr dazu. Mitte
1988 trat ich aus dem Vorstand der AHS zurück.
Im Frühling 1989 wurde ich zum Delegierten
für Aidsfragen des Kantons Zürich
gewählt und beendigte meinen Experten-
Vertrag mit dem BAG.
Highlights der Jahre vor der
Antiretroviralen Therapie (1996)
Auch wenn die AHS «Aids-Hilfe» heisst,
stand schon bei der Gründung das Primat
der Prävention fest: vor allem neue Ansteckungen
verhindern und in zweiter Linie
Betroffenen Hilfe anbieten. Im Wissen um
die Schwierigkeit, dauerhafte Verhaltensänderung
zu erreichen bemühten wir uns von
Anfang an um einfache und lebbare Botschaften.
Und weil der Analverkehr der mit
Abstand effizienteste Übertragungsweg für
das Virus ist, konzentrierten wir uns auf ➔
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CRUISER April 2017
10
Thema
Aidshilfe – wie alles begann
Ein weiteres Inserat
für die Kondomeigenmarke
der Aids-Hilfe.
und 1987 fast 100. An diesen Zahlen lässt
sich ablesen, dass die Zahl der Hilfesuchenden
bei den neu gegründeten Aids-Hilfen in
den grossen Städten rasch zunahm. In den
Anfangsjahren handelte es sich praktisch
überall um Selbsthilfe, später nahm die
«Helfer-Hilfe» überhand indem die
Aids-Hilfen die Beratung, Begleitung und
Unterstützung professionalisierten. Vor
1996 lebte ein Aidskranker nach der Diagnose
im Schnitt noch 2 Jahre und war in dieser
Zeit oft krank, obwohl die Behandlung
der opportunistischen Infekte schnelle Fortschritte
machte. Für aidskranke Schwule
und auch für Drogenabhängige, die zu krank
waren, um zu Hause zu leben, aber nicht
krank genug für Spitalpflege, wurden erste
Angebote im Bereich «Wohnen» und «Hospiz»
geschaffen, z.B. die Wohngruppe «sid-
Accueil» mit Spitex-Unterstützung in Genf
oder das Hospiz «Basel Lighthouse» mit eigenem
Pflegedienst. Die Zeit des Sterbens an
Aids dauerte bis Mitte der 90er Jahre, in diesen
Jahren wurde das Konzept von palliative
Care wegen Aids massgeblich weiter entwickelt
– heute eine Selbstverständlichkeit.
die Botschaft «bumsen immer mit Gummi».
Und entwickelten so das US-amerikanische
Konzept des Safe Sex (Sex OHNE Risiko)
zum europäischen Safer Sex (Sex mit weniger
Risiko) weiter. Und weil die Schwulen
mit Präservativen nicht vertraut waren,
schufen wir den Hot Rubber.
Am 3. Februar 1987 lancierte die AHS
im Auftrag des BAG die STOP AIDS-Kampagne,
um die ganze Bevölkerung über den
Schutz vor HIV aufzuklären, den Informationsstand
zu verbessern und die Solidarität
mit den Betroffenen zu fördern. Ich wurde
im Herbst 1986 mit der Projektleitung der
Kampagne beauftragt. Eine grosse Ehre für
einen damals 29jährigen Mathematiklehrer,
zu einer Zeit, als das «Social-Marketing»
noch nicht erfunden war. Wir lernten es by
doing. Ein früher Meilenstein dabei war der
Mut von BAG und AHS, der Bevölkerung
mittels Plakat und TV-Spot zu verkünden,
dass es beim (Zungen-)Küssen kein Aids-Risiko
gebe, obwohl sich diese Aussage wissenschaftlich
nicht beweisen liess.
Die frühen Jahre der AHS waren
geprägt von der Auseinandersetzung –
insbesondere mit dem VPM (Verein zur
Förderung der psychologischen Menschenkenntnis)
und dessen Aids-Organisation
«Aids-Aufklärung Schweiz» (AAS). AHS
und AAS standen sich als Gegenpole in der
Debatte um die richtige Strategie der
Aids-Bekämpfung gegenüber. Doch schlussendlich
«gewann» die Lernstrategie auf der
Grundlage von New Public Health (Wie
1984 erkrankten in der
Schweiz etwa 20 Schwule
an Aids, 1985 über 40, 1986
80 und 1987 fast 100.
können Bevölkerung, Gruppen und Individuen
den Umgang mit einem potentiell tödlichen
Virus lernen und sich selbst schützen?)
über die Seuchenstrategie nach den
Konzepten von Old Public Health (Wie
identifiziert man möglichst viele Träger des
Virus und sorgt dafür, dass sie niemanden
mehr anstecken?).
1984 erkrankten in der Schweiz etwa
20 Schwule an Aids, 1985 über 40, 1986 80
Zum Schluss noch dies:
Wäre ich 1983 nicht in Kuba gewesen, hätte
ich in Berlin keinen Test gemacht, wäre das
Resultat früher gekommen, … – ja, was
dann? Vielleicht wäre ich dann immer noch
Lehrer in Meilen und könnte auf Generationen
von Schülerinnen und Schülern zurückblicken
und hätte nicht «dank Aids Karriere
gemacht» wie ich oft zu hören bekam. Ich
bin im Rückblick vor allem dankbar dafür,
dass ich dabei sein durfte und viele Aufgaben
übertragen bekam, obwohl ich jung und
unerfahren war. Heute ist eine solche «Karriere»
kaum mehr möglich. Dazu gehört
aber auch, dass ich von vielen Freunden Abschied
nehmen musste, ich nenne an dieser
Stelle nur André Ratti (†1986), Beat Rüedi
(†1988) und Herbert Riedener (†1994) stellvertretend
für viele andere. Dass ich selbst
«davon gekommen bin» verdanke ich alleine
meiner späten Geburt und meiner Schüchternheit.
Aber das glaubt mir sowieso keiner.
Roger Staub
1985 Mitbegründer der Aids-Hilfe Schweiz,
Vorstandsmitglied bis 1988
1986–1989 Leiter der STOP AIDS-Kampagne
im Auftrag des BAG
1989–1996 Delegierter für Aidsfragen des
Kantons Zürich
2002–2015 Leiter Nationales Programm
HIV und andere STI im BAG
©Bilder: Schweizerisches Sozialarchiv
CRUISER April 2017
KOLUMNE
MICHI RÜEGG
11
Diese jungen Menschen.
Sie hassen mich.
Michi Rüegg fühlt entweder sich oder
seine Generation durch junge Männer
mit Migrationshintergrund diskriminiert.
VON Michi Rüegg
W
enn diese Zeilen gedruckt sind,
bin ich schon 40. Zumindest im
echten Leben. Auf allen gängigen
Portalen bin ich natürlich jünger. Nicht viel,
nur ein, zwei, drei, vielleicht vier oder fünf
Jahre. Das ist alt genug, schon 35 nehmen
mir die meisten nicht ab, weil ich so schampar
gute Gene habe. Mein Vater ist über 70,
wäre er obendrein noch gesund, könnte er
gut als 60-Jähriger posieren. Ich kenne
Jungs, die sind lange vor mir geboren, mittlerweile
sind sie aber jünger als mein bereits
verjüngtes Gayromeo-Ich. Die Leute leben
heute länger als früher, aber sie sterben
nicht später. Wenn ich einmal eines natürlichen
Todes von dieser Welt gehe, dann so
mit achtzig. Auch wenn ich dann schon
hundert bin.
Älterwerden hat auch seine guten Seiten.
Man muss niemandem mehr in den
Arsch kriechen, sitzt mitunter auf einem
behaglichen finanziellen Polster und muss
nicht permanent einen auf cool machen.
Tatsächlich kann man authentischer sein,
wenn man’s nicht durch jahrelanges Posen
verlernt hat.
Dass ich keine zwanzig mehr bin,
merke ich auch an meiner Sprache. Wir haben
damals in der Schule noch Hochdeutsch
gelernt. Das ist ja heutzutage aus
der Mode gekommen. Die Leute bedienen
sich eines Mischmaschs aus Dialekt und
Standarddeutsch, wahlweise mit Bitz Balkan
drin. So wie Mirko, der ebenfalls in
diesem Heft eine Kolumne hat. Ich muss gestehen,
ich kenne Mirko nicht. Ich gehöre zwar
seit über zehn Jahren der Redaktion dieses
Hefts an, aber ich kenne eigentlich niemanden
mehr. Wir haben keine stundenlangen Sitzungen
oder sowas, wie sich der eine oder andere
Leser das vielleicht vorstellt. Mit Mirko würde
ich aber durchaus mal eine Sitzung abhalten.
Ich weiss nicht sonderlich viel über ihn. Ausser,
dass er irgendwie jung ist, irgendwie Migrationshintergrund
hat und dem Anschein nach
im Limmattal wohnt. Aufgrund der Illustration,
die mutmasslich ihn zeigt, scheint er recht
geil zu sein. Und wie er schreibt, nimmt er sich
die Typen, die er will. Auch vor Heteros macht
er nicht Halt.
«Ich war mal gut in Chemie,
aber den Teil mit dem
Flirten haben wir damals
nicht besprochen.»
Mit solchen Mirkos habe ich ja selten
Glück. Wenn ich einen jungen Mann mit kulturell
vielfältigen Wurzeln in der Leitung habe,
nimmt die Konversation meist ein jähes Ende.
Ich weiss nicht genau, woran das liegt. Vielleicht,
weil ich einen Ton anschlage, wie man
ihn eher für den Nachmittagstee mit Ihrer
Majestät, der Königin, pflegt. Das scheint die
Jungs nicht sonderlich anzuturnen. Wer auch
immer behauptet, dass Humor und Intelligenz
sexy seien, gehört geteert und gefedert. Wenn
ich’s dann mal so krass einfach und direkt probiere,
klappt’s auch nicht. Selbst das Alter in
den Einstellungen noch einmal um ein paar
Jahrzehnte herunterschrauben hilft nicht.
Vielleicht stimmt ganz einfach die
Chemie nicht. Was immer das genau bedeutet.
Ich war mal gut in Chemie, aber den
Teil mit dem Flirten haben wir damals nicht
besprochen. Vielleicht liegt’s auch daran,
dass ich nur alle sieben Wochen zum Coiffeur
gehe. Und wenn ich den dann anflehe,
mir die Seiten zu rasieren und oben lang zu
lassen, droht er mir mit der Gewerkschaft.
Ich trage auch keine Turnhose im Ausgang.
Obwohl mir die vielleicht stehen würde. Und
ich kaufe meine Accessoires bei Bally und
nicht bei Louis Vuitton.
Vielleicht sind wir einfach zu verschieden,
die Mirkos und die Michis. Das wäre an
sich ein Jammer, denn propagiere nicht ich
mehr als jeder andere seit Jahren die Völkerverständigung
– in erster Linie diejenige unter
Männern?
Ja, ich weiss. Ich schreibe Widersprüchliches.
Ein paar Zeilen weiter oben
habe ich den Umstand gelobt, nicht mehr
cool sein zu müssen. Und nun heule ich herum,
dass die jungen Menschen mich doof
finden. Aber Eitelkeit macht nun mal auch
vor dem Herbst des Lebens nicht Halt.
Ob sich Mirko wohl davon überzeugen
lässt, den Blick mal vom Spiegel abzuwenden
und ihn mir vorzuhalten?
Anmerkung der Redaktion: Michi, du
wurdest erhört. So quasi. Auf Seite 28 äussert
sich Mirko zu deiner Kolumne!
CRUISER April 2017
12 ESC 2017
Trash trifft auf Politik
Thank you for
the Music
«Europa erlebt dunkle
Zeiten. Heute Abend
aber spielen alle
Unterschiede, die es
womöglich gibt, keine
Rolle. Uns vereint die
Musik.», mit diesen
Worten begann der
Eurovision Song Contest
im letzten Jahre in
Stockholm. Doch der
ESC ist längst keine
reine musikalische
Abendveranstaltung
mehr.
CRUISER April 2017
ESC 2017
Trash trifft auf Politik
13
«Wir sind nicht zu stoppen»
(Conchita Wurst 2014)
Von Yvonne Beck
M
eine erste ESC Erinnerung ist das
Bild von Nicole, wie sie mit ihrer
weissen Gitarre auf einem Hocker
sitzend «Ein bisschen Frieden» singt. Wochenlang
lief nach ihrem Sieg das Lied im
Radio, so dass wir es bald fröhlich mitträllern
konnten. Den Inhalt des Liedes bzw. das
in ihm versteckte politische Statement verstand
ich damals noch nicht. Aber im Nachhinein
macht es deutlich, dass der Eurovision
Song Contest – der früher noch Grand
Prix Eurovision de la Chanson hiess – schon
immer auch politisch war. 1982 war die Zeit
des Wettrüstens, die Nato wollte Raketen
mit Atomsprengköpfen in Westeuropa stationieren.
Und Deutschland präsentierte sich
mit dem Lied als pazifistisches Land, das
sich vom Nationalsozialismus distanzierte.
Seitdem hatten viele Lieder oder Auftritte
eine politische oder soziale Botschaft. Bereits
acht Jahre vor Nicole schickte Portugal
Paulo de Carvallo mit einem Lied ins Rennen,
das die Diktatur der Salazaristen kritisierte
und später zum Symbol der Nelkenrevolution
wurde.
So ist der ESC viel mehr als eine blosse
musikalische Veranstaltung, er ist ein Spiegelbild
Europas und politischer Gradmesser.
Europas Stimmungsbarometer
Das offizielle Motto und Logo des diesjährigen
ESC lautet: «Celebrate Diversity». Frei
übersetzt «Feiert die Vielfalt». Und damit
setzt die Ukraine als Veranstalterland ihren
Anspruch an den ESC als europäischer
Wertebotschafter weiter fort. Beim ESC 2017
sollen also die Länder Europas zusammenkommen,
um ihre Gemeinsamkeiten sowie
ihre einzigartigen Unterschiede zu feiern.
Alles Weitere ist Interpretationssache, doch
bereits die Claims der letzten Jahre gingen in
eine ähnliche Richtung: «Come Together»
(2016 in Stockholm) oder «Building Bridges»
Der ESC steht für ein tolerantes
Miteinander und wer
da aus der Reihe tanzt wird
abgestraft.
(2015 in Wien). Der ESC steht für ein tolerantes
Miteinander und wer da aus der Reihe
tanzt wird abgestraft. Genau so ist auch das
letztjährige Ergebnis zu werten.
2016 hatte Russland keine Kosten und
Mühen gescheut, um einen bombastischen
Auftritt hinzulegen. Bereits im Vorfeld galt
es als haushoher Favorit. Nie gab es beim
ESC eine teurere Bühnenshow. Dem russischen
Teilnehmer Sergey Lazarev wuchsen
auf den LED-Wänden Flügel, welche ihn jedoch
nicht zum Sieg flogen. Als Siegerin ging
nämlich, recht unerwartet, die Ukrainerin
Jamala hervor. Und das mit dem politischen
Lied «1944», welches vom Schicksal der
Krimtataren im selben Jahr handelte. Ja, der
ESC war schon immer ein Stimmungsbarometer
über die Lage in Europa, sei es anhand
der Punktevergabe (wer stimmt für wen),
des endgültigen Siegers oder der Auswahl
der Lieder. Aber so offensichtlich politisch
wie im letzten Jahr ging es seit langem nicht
mehr zu.
Bunt, laut, schrill, schwul
Jeder ESC hat seine Nonkonformisten und
kreativen Freaks: Spassmacher wie Guildo
Horn und Stefan Raab, schrille Typen wie
Lordi, die Jedward Zwillinge und die serbische
Sängerin Bojana Stamenov oder Paradiesvögel
wie Conchita Wurst. Bereits 1998
sorgte die Teilnahme der transsexuellen
Dana International für Furore. In ihrem
Heimatland Israel kam es zu heftigem Widerstand
und religiöse Kreise forderten, einen
konservativeren Beitrag an den Wettbewerb
zu entsenden. Aber sowohl Dana
International als auch Conchita Wurst
konnten für ihr Land den Sieg mit nach
Hause nehmen und diese Erfolge bewirkten
einiges. Vor Conchitas Sieg hatte Österreich
ein eher konservatives, rechtspopulistisches,
leicht verstaubtes Image. Seit dem Sieg zeigt
sich vor allem Wien als weltoffene und tolerante
Metropole. An rund 50 Standorten
wurden Verkehrsampeln umgestaltet und
zeigen anstatt einer männlichen Figur Pärchen,
und zwar schwule, lesbische und gemischte.
Der Wurst-Sieg war somit nicht nur
ein musikalischer Erfolg, sondern ein Sieg
für mehr Toleranz und ein Signal gegen
die Diskriminierung Homosexueller. Und
schon damals eine deutliche Botschaft in
Richtung Putin. Die Beleidigungen und Anfeindungen,
denen sie sich im Vorfeld des
Song Contest aus homophoben Kreisen – gerade
aus Russland, Weissrussland und Armenien
– gegenübersah, dürften ihr letztlich
sogar zum Sieg verholfen haben. Ihr Sieg
wurde somit als Zeichen eines liberalen und
freien Europas gewertet, ein Europa, in dem
Toleranz und Menschenrechte oberste Priorität
haben.
In diesem Jahr wird Slavko Kalezić aus
Montenegro den ESC ein bisschen bunter machen,
denn die selbsternannte Drag-Queen
und Kunst-Bestie liebt es, sich in engen Netzoberteilen,
mit Engelsflügeln und High Heels
auf der Bühne zu zeigen. Als echter Hin-➔
CRUISER April 2017
14 ESC 2017
Trash trifft auf Politik
gucker steht er bei den schwulen Zuschauern
längst hoch im Kurs. Beim ganzen Wirbel um
die russische Teilnehmerin geht der Montenegriner
jedoch fast ein bisschen verloren.
Provokation und Instrumentalisierung
Russland schickt Julia Samoylova mit dem
Titel «Flame is Burning» ins Rennen. Der im
Rollstuhl sitzenden Sängerin drohte jedoch
Auftrittsverbot in der Ukraine, da sie im
Jahre 2015 auf der annektierten Krim auftrat.
So ist die Auswahl der Kandidatin eine
ganz klare Provokation für die Ukraine. Zudem
scheint Russland die gehandicapte Sängerin
zu instrumentalisieren, um seine
Chancen auf einen Sieg zu erhöhen und
gleichzeitig der Ukraine eins auszuwischen.
Man sinnt nach Revanche. Für Russland war
der Ausgang des letzten ESC ein Skandal.
Man war so siegessicher und verlor ausgerechnet
gegen die Ukraine. Die russischen
Staatsmedien sprachen von unsichtbaren
Mächten, die sich gegen Russland verschworen
hätten. Nun schlägt man geschickt zurück.
Wird Samoilowa die Einreise verweigert
steht die Ukraine als herzlos da. Lässt
man sie antreten, kann Russland dieses als
kleinen politischen Sieg werten, denn so
würde die Ukraine von ihrem eisernen Prinzip,
dass Kiew das Hoheitsrecht über die
Krim besitzt, abweichen.
«Finally I can say: Yes,
I’m different, but it’s okay»
(Bojana Stamenov 2015)
Mehr als nur ein Pardiesvogel: Bojana Stamenov will etwas bewegen. Aber ist der ESC der
richtige Event dafür?
Falls Russland mit Julia Samoylova
teilnimmt, bleibt jedoch immer noch abzuwarten,
wie sie abschneiden wird, denn zu
offenkundig ist das strategische Vorgehen
Russlands in dieser Sache. Während die Regierung
in Moskau die Daumenschrauben
für Homosexuelle und Andersdenkende im
eigenen Land immer weiter anzieht, will
man gleichzeitig eine junge Frau im Rollstuhl
auf die Bühne setzten, um der Welt ein
anderes Russland zu präsentieren. Eins, das
es so in Wahrheit leider nicht gibt.
Der ESC zeigt den
Zuschauern seit Jahren,
dass Homosexualität
selbstverständlich ist.
Die LGBTIQ*-Community freut es
daher umso mehr, wenn ESC-Teilnehmer
Menschen wie Putin ein «Wir sind nicht zu
stoppen» oder «Finally I can say: Yes, I’m
different, but it’s okay» entgegenschleudern
und dieses von weltweit 200 Millionen
Menschen verfolgt wird. Der ESC
zeigt den Zuschauern seit Jahren, dass
Homosexualität selbstverständlich ist, ob
2013 durch den finnischen lesbischen Kuss
oder den Sieg einer Conchita Wurst.
Der steinige Weg zur
Gleichberechtigung
Getreu des diesjährigen ESC-Mottos soll die
Vielfalt gefeiert werden. Dies ist gerade in
einem Land wie der Ukraine noch sehr
wichtig. Homosexualität ist hier zwar legal,
stösst aber in der Gesellschaft weitgehend
auf Ablehnung, auch wenn seit drei Jahren
ein gesetzlicher Diskriminierungsschutz
besteht. Trotz Bestrebungen, die sexuelle
Orientierung und die Geschlechtsidentität
explizit einzuschliessen, nennt der definitive
Gesetzestext diese Begriffe nicht im Diskriminierungsverbot.
Erst im November 2015
haben die ukrainischen Abgeordneten eine
Anpassung des Arbeitsrechts beschlossen,
welche die Diskriminierung aufgrund von
Rasse, Behinderung und vieler weiterer
Merkmale verbietet – darunter die sexuelle
Orientierung und die Geschlechtsidentität.
Doch immer wieder versuchen Abgeordnete
bestehende Gesetzte zum angeblichen
«Schutz der Moral» zu ändern. So sollte
bspw. jegliche Verbreitung von Informationen
über Homo- und Bisexualität unter
Strafe gestellt werden. Doch die prowestliche
Führung in Kiew verbot im Zuge der Annäherung
an die EU die Diskriminierung sexueller
Minderheiten.
Laut Studien lag die Ukraine hinsichtlich
der Toleranz gegenüber Homosexualität
lange Zeit sogar knapp hinter Russland. Erst
im Jahre 2013 konnte die erste «Gay Parade»
des Landes unter starkem Polizeischutz
stattfinden. Im letzten Jahr trafen sich zum
ersten Mal in der Geschichte der Ukraine
2000 Menschen im Herzen der Hauptstadt
und marschierten für die Rechte von Lesben,
Schwulen, Bi- und Transgender. Die Teilnehmer
der Pride mussten jedoch von fast
6500 Polizisten gegen Ultranationalisten
und Rechtsextremisten geschützt werden.
Für die Teilnehmer war es trotzdem ein historisches
Erlebnis, denn die Ukraine, die
sich für den Weg nach Europa entschieden
hat, bewies, dass sie die Rechte von Minderheiten
verteidigen und schützen kann. Noch
sind viele ukrainische Schwule und Lesben
aus Angst vor Diskriminierungen im Alltag
nicht geoutet. Der Kampf geht also weiter.
Und gerade in der Auseinandersetzung mit
Russland werden die Rechte Homosexueller
zum bedeutenden Distinktionsmerkmal für
die Ukraine.
Welchen Weg das Land einschlägt,
wird sich vielleicht auch einmal mehr am
diesjährigen ESC zeigen. Denn der ESC ist
viel mehr als eine bunte, schrille, musikalische
Kostümparty.
CRUISER April 2017
News
Update
15
NEWS
13 Jahre Boyahkasha!
Dieses stolze Jubiläum feiert die beliebteste
Zürcher Gayparty am Ostersonntag und
zwar wie gewohnt in ihrem Lieblingslokal,
dem Plaza Klub in Zürich.
Wenn bei Boyahkasha ein Geburtstag
ansteht, werden bekanntermassen die Gäste
für ihre jahrelange Treue mit einem besonderen
Stargast beschenkt. Die Zahl 13 wird in
dem Fall für die Boyahkasha-Fans ganz klar
eine Glückszahl sein, denn die Veranstalter
haben für die wichtigste Nacht des Jahres keinen
Geringeren als Superstar Conchita Wurst
gebucht. Die Wiener Sängerin wird der Fete
ihre Ehre erweisen und zur Maintime auf der
Bühne stehen, um dieses Jubiläum einmalig
und unvergesslich zu machen.
Auch die bekannten Boyahkasha-DJs
dürfen beim Geburtstag nicht fehlen. Gloria
Viagra und Vicky Goldfinger werden auf dem
Pop Floor das Kontrastprogramm gestalten,
während Melli Magic und Zör Gollin auf dem
Mainfloor für das Tanzvolk alles geben.
Ein besonderes Wiedersehen gibt es in
der Plaza Bar. Dort steht Angel O an den Decks
und spielt seine feinsten Deep House-Platten.
Wer an Ostern also nicht in Zürich ist, wird
wohl mit hoher Wahrscheinlichkeit eine der
abwechslungsreichsten und starträchtigsten
Partynächte des Jahres verpassen.
Die Afterparty steigt ab 4 Uhr im Club Heaven
im Zürcher Niederdorf.
16. April (Ostersonntag 22.00 Uhr bis ca.
05.00 Uhr), Plaza Zürich (Badenerstrasse 109,
8004 Zürich)
Vorverkauf: www.boyahkasha.ch
Musical-Erfolg EVITA gastiert in Zürich und Basel
Ein einfaches Mädchen vom Lande mausert
sich zur Ikone einer ganzen Nation. Gibt es
eine bessere Vorlage für ein packendes Musical?
Der beispiellose Werdegang der argentinischen
Präsidenten-Gattin Eva Perón inspirierte
Andrew Lloyd Webber und Tim Rice
in den siebziger Jahren zu ihrem Musical-
Erfolg EVITA. Das Werk, das heute zu den
bekanntesten der Musical-Geschichte zählt,
begeistert neben seiner mitreissenden Handlung
durch Webbers unnachahmliche Kompositionen,
allen voran die Ballade «Don’t
Cry for Me Argentina», einer der wohl grössten
Musical-Hits aller Zeiten.
Andrew Lloyd Webber und Tim Rice
hatten sich bereits mit Jesus Christ Superstar
als kompromisslose Erneuerer des Musicals
bewiesen, die einen verwegenen Umgang
mit geschichtsträchtigen Stoffen nicht scheuten.
Bei ihrem nächsten gemeinsamen Projekt
bot ihnen das Leben der umstrittenen
Präsidentengattin Eva María Duarte de
Perón die Folie für ein Parade-Stück um
Gier, Macht, Einfluss und Prestige. Der unheimliche
Aufstieg eines jungen, ehrgeizigen
Mädchens aus der argentinischen Provinz,
die in den 1930- und 40er Jahren zunächst
zur Schauspielerin und dann zur Präsidentengattin
emporsteigt – geliebt vom Volk,
gehasst von ihren politischen Gegnern – bot
als reale Aschenputtel-Geschichte alles, was
ein spannendes Musical braucht.
Als dann schliesslich seinerzeit Madonna
für die Filmadaption als Evita zusagte, eroberte
der Soundtrack die Herzen der Gays
und stürmte die Hitparaden. Evita kommt
nun nach Zürich und Basel, ohne Madonna,
dafür mit einem Top-Cast und im Original.
Theater 11 Zürich, 25. bis 30. April 2017,
Termine in Basel unter www.musical.ch/evita
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CRUISER April 2017
16
Kultur
Buchtipp
Simone Meier: «Fleisch»
oder fleischlos?
Simone Meier thematisiert in ihrem Roman die grossen Themen der Zeit:
Liebe, Arbeit, Lebenssinn und pendelt dabei zwischen Stadt und Land.
Die Story pendelt ebenfalls.
Von Birgit Kawohl
A
ls eifriger Leser kennt der Zürcher
Simone Meier mit ihren Artikeln –
früher beim Tages-Anzeiger, aktuell
auf Watson. Nach «Mein Lieb, mein Lieb,
mein Leben» aus dem Jahr 2000 hat sie nun
«Fleisch» bei Kein & Aber veröffentlicht.
Der Inhalt ist schnell wiedergegeben:
Ein «Begleitpaar», Anna und Max, beide
Mitte vierzig, trennen sich, da sie beide vom
Leben etwas mehr erwarten als den anderen.
Die Unzufriedenheit bezieht sich dabei vor
allem auf unerfüllte sexuelle Fantasien,
Träume, bisher nicht vollzogene Wagnisse.
Bei Anna ist dies die Liebe zu einer Frau, die
fast zwanzig Jahre jüngere Lilly, die sie in einem
Bistroladen kennenlernt. Bei Max der
Hang und Wille sich käuflichem Sex hinzugeben,
was ihm im Bordell nicht gelingt,
funktioniert schliesslich bei der eigentlich
lesbischen, aber finanziell klammen Sue.
Frauen sind für Geld eben zu allem bereit.
Und nun, der Leser hat es kaum zu
denken gewagt, kommt die für die Autorin
scheinbar logischste Konsequenz: Sue und
Lilly leben in einer gemeinsamen WG! Was
ja in einer Stadt wie Zürich nahezu unumgänglich
ist. Man fühlt sich ein wenig an
die Screwball-Komödien der 50er- und
60er-Jahre erinnert. Dies ist nur einer von
zahlreicheren Zufällen, die zum einen unnötig,
zum anderen aber auch unglaubwürdig
sind. Ebenso unglaubwürdig wie der Umstand,
dass Anna plötzlich in der Mitte des
Romans den Namen ihrer seit ca. 100 Seiten
Angebeteten vergessen hat.
Apropos Zürich: Meier spricht immer
nur von «grosser Stadt», schnell fragt sich
der Leser, da Zürich an allen Ecken zu erkennen
ist, was damit bezweckt wird. Soll
hier eine scheinbare Anonymität geschaffen
werden, die den – armen, armen – Gross-
CRUISER April 2017
stadtmenschen ja ewig umgibt? Dieses spätestens
seit dem Expressionismus immer
wieder benutzte Motiv wirkt allerdings aufgesetzt,
da sich andererseits durch die sich
durch den ganzen Roman ziehenden «Zufälle»
eben alle in Zürich und der benachbarten
Kleinstadt lebenden Personen zu kennen
scheinen. Hier wäre der Mut zur Entscheidung
wünschenswert gewesen.
In Bezug auf andere Themen lässt sich
einiges an Klischeehaftigkeit feststellen: Die
Mittvierzigerin hadert natürlich mit ihrem
Körper (der Roman beginnt mit einer seitenlangen
Lamentiererei Annas über selbigen,
bei dem sich sicherlich in einigen Lesern
spontan der Drang zum Beiseitelegen des
Buches breitmacht), Anna hat selbstverständlich
einen schwulen Freund, Cédric,
der mit ihr Rosamunde Pilcher-Filme
schaut, während sich der Hetero Max nur
für Spionagefilme begeistern liess. Da hätte
man doch eine etwas intelligentere und differenzierte
Sicht erwartet.
Die Figuren selbst sind wenig plastisch,
auch sie bleiben weitgehend im Anonymen,
so wie die immer wieder unerwartet auftauchende
«Frau Blume», eigentlich Annas Sekretärin,
aber dann doch eine Person, die
mehr Fäden in den Händen zu halten
scheint. In Bezug auf die Fäden hat sich die
Autorin für eine Mehrsträngigkeit entschieden,
dies ist ja momentan ziemlich en vogue,
warum auch immer, vor allem, wenn die einzelnen
Stränge sich selbst nicht zu tragen im
Stande sind.
Insgesamt unterhält der Roman seinen
Leser mässig, lässt ihn aber mit vielen Ungereimtheiten
alleine – wieso um Himmels
Willen knallt Max letztendlich so durch und
warum werden immer wieder zwanghaft
Fleischwaren erwähnt, hätte sich der Titel
des Buches nicht subtiler rechtfertigen lassen?
– und schafft es kaum, einen Wunsch
zur Diskussion über eben die oben genannten
grossen Themen zu erzeugen.
Buchtipp
Simone Meier
Fleisch. Verlag Kein & Aber.
Preis CHF 27.90
ISBN 9783036957548
XXX
XXX
17
CRUISER April 2017
18
Die neuen Angels
Interview
Angels: Die Partys bleiben
spektakulär
Vom 5. bis 7. Mai wird Zürich beben. Dann nämlich gibt’s das Party-Highlight
des Jahres: Die «White Party 2017». Neu stecken Alex und Fortunat hinter
den Megapartys.
Von Haymo Empl
A
lex, Du siehst erstaunlich frisch aus …
Noch ist es ruhig an der Front. Die
Vorbereitungen für die Party laufen
aber natürlich schon lange auf Hochtouren.
Daher ist auch Fortunat nicht bei diesem Interview
mit dabei.
Also bist du der Frontmann und Fortunat
eher im Hintergrund?
Ich mache schon seit Jahren Partys, vor allem
im Ausland. Ich kenne die DJs, die Vermieter
der Locations und ich weiss auch, was
in welcher Stadt funktionieren kann. Fortunat
ist eher im Hintergrund, weil sich ja auch
jemand um die ganze Administration kümmern
muss.
Du bist auch nicht mehr zwanzig Jahre alt,
hast du persönlich immer noch Spass an
Partys?
Ich denke, das hat nichts mit dem Alter zu
tun, sondern mit der eigenen Einstellung.
Daher: Ganz klar ja. Und das wird wohl auch
so bleiben.
Alex ist das neue «Gesicht» der Angels und steckt sein
ganzes Herzblut in die Organisation der Mega-Partys.
Was macht denn eine «Angels-Party» aus?
Die waren früher ja immer der absolute
Hammer.
Ich bin ja nicht seit Anfang mit dabei, das
ist niemand aus dem aktuellen Team. Die
Angels starteten 1994 als Verein mit dem
Ziel, grosse Partys nach Zürich zu holen
und der Limmatstadt das zu bieten, was
gerade auch in anderen grösseren Städten
angesagt war. Ein Top DJ-Set und eine lange
Nacht mit allem Drum und Dran. Vielleicht
wurde man dann irgendwann mal
etwas bequem und hat die ganze Sache
schleifen lassen. Ich weiss einfach, dass ich
die «Angels-Partys» wieder zu dem machen
will, was sie einst waren: Zu absoluten
Highlights.
CRUISER April 2017
XXX
XXX
19
Das klingt einfach. Aber wie wollt ihr das
umsetzen?
Ich denke, man spürt auch bei grossen Events,
wie viel Herzblut dahintersteckt. Oder eben
nicht. In meinem Fall ist es effektiv so, dass ich
alles gebe, ich bin in vielen Bereichen ziemlich
perfektionistisch. Das beginnt bei den
Flyern – da bin ich beispielsweise bei den Fotoshootings
immer mit dabei – dann weiter
über die Deko, DJs, Auswahl der Tänzer.
Kurzum, ich bin bei jedem Event der Angels
komplett involviert. Diese Leidenschaft spürt
man dann auch am Event, da bin ich mir sicher.
Zudem bin ich international sehr gut
vernetzt, ich weiss, was in anderen Städten gerade
abgeht und kann die Essenz davon nach
Zürich bringen. Man kann sich die Party wie
ein Uhrwerk vorstellen – jedes Rädchen muss
an diesem Abend funktionieren, fällt jemand
aus, kann das eine Katastrophe bedeuten.
Dass das nicht geschieht, liegt in meiner Verantwortung,
das bin ich mir bewusst.
Bei den Angels-Partys setzt man gerne auch
auf Tänzer …
Das gehört zu unserem Konzept. Und die
meisten kenne ich persönlich. Es sind übrigens
beinahe nie Schweizer.
Warum nicht?
Die Schweizer sehen sich lieber als «Künstler»
und nicht als «Go-Go-Boys». Wir haben
aber in anderen Bereichen sehr viele Schweizer
engagiert und arbeiten hervorragend mit
ihnen zusammen. Übrigens sind die Models
auf unseren Flyern beinahe immer auch an
der jeweiligen Party anwesend. Man darf
sich also freuen!
Eure Partys sind ziemlich teuer.
Wir bieten aber auch viel. Die Besucher
würden schon lange nicht mehr kommen,
wenn wir einfach nur aufs schnelle Geld
aus wären. Wir bieten Top-DJs, Tänzer,
Lightshows, Pyro, Deko. Kurzum: internationales
Flair, aufwändig und liebevoll inszeniert.
Man darf auch nicht vergessen, dass
die Mieten für die grossen Veranstaltungsorte
einfach exorbitant sind.
Ist denn das Projekt «Angels» ein Fulltime-
Job?
Bei unseren Vorgängern hat sich der Aufwand
auf mehrere Personen verteilt und alle
hatten noch einen anderen Job. Ich konzentriere
mich mit meiner ganzen Kraft auf die
nächsten Veranstaltungen und daher ist
es derzeit gar nicht möglich, noch etwas Anderes
zu arbeiten. Das möchte ich auch
gar nicht, denn ich will erreichen, dass die
«Angels-Partys» wieder das werden, was sie
einmal waren: umwerfend. ➔
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CRUISER April 2017
20
Die neuen Angels
Interview
Die Angels haben auch vor 10 Jahren schon Wert auf ansprechende Flyer gelegt: Hier die beiden grössten Partys «White» und «Black» aus dem
Cruiser von 2007.
«Angels»: Push-Ups, Porno
und Powerpartys
Vor 23 Jahren fand die erste White
Party statt. Die Ur-Angels lernten sich damals
in einem angesagten Fitnessclub in
Zürich kennen und konzipierten die allererste
White-Party zwischen Laufband,
Hanteln, Push-Ups und Dampfbad. Kopf
und Drahtzieher der Chose war Olivier Reveillon,
ein migrierter Franzose mit gewinnender
Ausstrahlung, genügend Biss, tollen
Ideen, wenig Kapital, aber dafür einem
grossen Freundeskreis.
Die erste Hürde stellte die Location
dar: Gross sollte sie sein. Also wurde kurzerhand
das Volkshaus gemietet – niemand der
Angels hatte eine Ahnung, ob 20 oder 2000
Gäste kommen würden. Das Volkshaus wiederum
hatte keine Ahnung, dass es sich um
eine Gay-Party handeln sollte. Der Rest ist
Geschichte: Bereits die erste Party war ein
CRUISER April 2017
voller Erfolg. Olivier und seine Mannen
(und eine Frau) überraschten mit einem Party-Konzept,
auf welches Zürich gewartet zu
haben schien. Bald folgten weitere Events:
Kitsch, Black und Folies au Lac. Man experimentierte,
provozierte und schockierte,
beispielsweise, als die Black Party im Kanzlei
stattfand – und mittendrin ein Schwulenporno
gedreht wurde. Alle Besucher mussten
seinerzeit beim Einlass an der Türe unterschreiben,
um ihre Bildrechte an die Porno-Produktionsfirma
abzutreten. Als die
Darsteller auf einer improvisierten Bühne
zum Höhepunkt kamen, applaudierte das
anwesende Partypublikum frenetisch.
Mehr Partys, mehr Gäste und mehr
Geld: Dieses wurde in den frühen Nullerjahren
in eine eigene Bar investiert. Die
Angels-Bar im Kreis vier mit lauschigem Innenhof
war aber nur kurz erfolgreich, denn
die Angels hatten sehr viele Freunde und
tranken selbst auch gerne. Entsprechend war
die Bar wohl gut besucht – aber nicht von
zahlenden Gästen.
Nach zehn Jahren stellte sich in Zürich
eine gewisse Partymüdigkeit ein – einige der
Ur-Angels (auch Olivier) verliessen den Verein,
neue kamen hinzu und gingen wieder.
Vor gut sechs Jahren haben Stephan Willi,
Erich Schlumpf, Jvan Paszti und Chris Eckstein
übernommen und das Konzept weitergeführt.
Ivan und Stephan sind im ersten
Halbjahr 2016 ausgestiegen und an ihre Stelle
sind Alex und sein Partner eingestiegen. Im
neuen Team war Alex schon für die Produktion
der Flash Party 2016 und der Black Party
2016 verantwortlich. Ende 2016 haben sich
auch Erik und Chris zurückgezogen. Seit dem
Beginn dieses Jahres organisieren Alex und
sein Partner nun die «Angels-Partys» alleine.
Die White Party 2017 findet am 7. Mai im X-tra
Zürich statt. Weitere Infos auf Seite 17.
Kultur
Pink Apple 2017
21
Es ist besser geworden.
Alles.
Das Pink Apple Film-Festival zelebriert zum 20. Mal das schwule und
lesbische Filmschaffen. Mittlerweile sind einige der Streifen so richtig gut.
VON Michi Rüegg
«
Ein Blitzeinschlag ist nichts dagegen»,
findet die renommierte Deutsche Wochenzeitung
«Die Zeit» über ihn. Und
fügt an: «So luftig-leicht wie in dem Film ‚Die
Mitte der Welt’ wurde eine schwule Jugendliebe
noch nie erzählt.» Wir schreiben das Jahr
2016, ein neuer Streifen mit schwuler Handlung,
finanziert aus allen möglichen öffentlichen
Fördertöpfen, erscheint am Kinohimmel.
Und selbst die «Die Welt» – prononciert
konservativer als die erwähnte «Zeit» – meint
dazu: «So entspannt war noch nie ein Coming-Out
im Kino.» Première feiert «Die Mitte
der Welt» Werk simultan an zwei Filmfestivals,
in München und Moskau. Ja, Moskau.
Verlassen wir die Blitzlichter der grossen
Festivals. Drehen wir das Rad zurück von
2016 auf … 1998. Damals gingen die meisten
Coming-Outs weniger entspannt über die
Bühne – egal ob im richtigen Leben oder im
Kino. Begeben wir uns in den Thurgau. Ausgerechnet
den Thurgau, wo Steinobst das
höchste der Gefühle ist. Hier gründen Homosexuelle
(das Wort war damals bestimmt
noch in Gebrauch), einige Männer und eine
Frau, ein schwullesbisches Filmfestival unter
dem Namen «Pink Apple». Im Cinema
Luna. Kein Traditionsbetrieb, sondern Spielstätte
eines lokalen Vereins, der sich zehn
Jahre zuvor die Filmförderung auf die Fahne
«So entspannt war ein
Coming-out im Kino noch nie.»
geschrieben hatte. Frischer Wind traf auf frischen
Wind, und bereits kam es zum ersten
Sturm der Entrüstung. Denn kaum lief in
Frauenfeld der erste Dokfilm über Homosexualität
auf der Leinwand, konglomierierten
vor der Türe bereits beherzte Christenmenschen,
um gegen die Sünde zu protestieren. ➔
CRUISER April 2017
22 xxx
xxx
gaycity.ch
Where to go in the little big city
2
1
MOUSTACHE
Die Sauna für Männer
Engelstrasse 4
www.moustache.ch
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6
7
BEAUTY LOUNGE
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Haarentfernung, Kosmetik,
Anti-Aging und Bodyforming
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15
CRANBERRY
Bar
Metzgergasse 3
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3
LES GARÇONS
Bar/Tanzbar
Kernstrasse 60
www.garcons.ch
Täglich geöffnet ab 18.30 Uhr
8
DANIEL H.
Bar-Restaurant
Müllerstrasse 51
8004 Zürich
044 241 41 78
www.danielh.ch
12
PARAGONYA
Wellness Club
Mühlegasse 11
www.paragonya.ch
4
MÄNNERZONE
Shop & Bar
Kernstrasse 57
www.maennerzone.ch
MAENNERZONE.CH
9
PARACELSUS
Apotheke & Drogerie
Langstrasse 122
paracelsus@bluewin.ch
044 240 24 05
13
PREDIGERHOF
bistro – bar
Mühlegasse 15
www.predigerhof.ch
5
MED. DENT.
KLAAS FRIEDEL
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Mit Tram ab 4/13/17 bis Escher-Wyss-Platz
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043 444 74 00
14
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Die Schlager Bar
Seilergraben 13
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Interesse in diesem
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CRUISER April 2017
Kultur
Pink Apple 2017
23
Wie der junge Schwule, den es vom
Land in die Stadt zieht, erkannte auch Pink
Apple im Laufe der Zeit, dass die Musik in
Zürich spielt. Seither ist der Hauptteil des
Festivals an die Limmatstadt migriert, als
Wurmfortsatz, quasi, lebt es während dreier
Tage in Frauenfeld weiter. Und heuer jährt
sich das mittlerweile auf vernünftige Grösse
angewachsene Festival zum zwanzigsten Mal.
Und zeigt unter anderem «Die Mitte
der Welt». Die Vorlage zu diesem Film liefert
ein Roman von Andreas Steinhöfel. Der
Zufall will es, dass er 1998 erschien, im
Geburtsjahr von Pink Apple. Es ist eine
Geschichte über die Probleme des Erwachsenwerdens.
Über Pubertät, Neid und Eifersucht.
Über Freundschaft und Liebe. Und
eine – gelinde gesagt – unkonventionelle
Mutter. Man ist fast versucht, dem Schicksal
für die zwei Jahrzehnte zu danken, die bis
zur Verfilmung der Buchvorlage verstrichen
sind. Denn eines ist sicher: Der schwule Film
ist über die Jahre besser geworden. Zwar gab
es schon immer Geniestreiche, auch bei kleinen
Budgets. Aber die Wahrscheinlichkeit,
dass ein Gaymovie gut herauskommt, war
schon deutlich geringer als heute.
Wenn also Pink Apple im Rahmen seines
Schwerpunktthemas «Time Machine»
auf die vergangenen zwei Jahrzehnte zurückblickt,
so wird ihm Fortschritt auch
beim Thema Produktionsqualität der Filme
begegnen. Doch das ist ein Nebengleis. Bedeutender
ist, welche Schritte die Gesellschaft
genommen hat. In den Neunzigern
waren anerkannte Partnerschaften in den
meisten westlichen Ländern noch eine Utopie.
Nicht selten versteckten sich schwule
Männer und lesbische Frauen in Heterobeziehungen
– oder sonst wo. Homosexualität
galt noch immer als Makel, egal ob im Beruf,
in der Familie, im Militär oder ganz einfach
im Leben.
Hier gehört «Esteros» erwähnt, ein argentinischer
Film, den Pink Apple zeigt. Er
handelt von Matias und Jeronimo, die sich
als pubertierende Jungs näher kommen. Bis
Matias mit seiner Familie nach Brasilien
zieht. Jahre später kehrt er in seine alte Heimat
zurück. Dort trifft er wieder auf seinen
Freund aus Kindertagen – der mittlerweile
offen schwul ist. Als die beiden an den Ort
zurückkehren, wo die Erotik bereits ein
Jahrzehnt zuvor knisterte, nehmen die Dinge
ihren Lauf. Die Geschichte steht exemplarisch
für das, was noch immer gilt: Wer
Männer liebt, kann sein Leben heute in einer
aufgeklärten Gesellschaft meist offen führen,
ohne Opfer von Diskriminierung zu
werden. Doch dies bedeutet noch lange
nicht, dass jeder das auch tut.
Pink Apple findet praktisch
ausschliesslich in der
Community statt.
Und hier sind wir wieder bei einer Parallele
zu Pink Apple. Das Festival ist gewachsen,
die Filme sind häufig ausverkauft, eine
Grossbank und eine nationale Airline sind
die beiden Hauptsponsorinnen. Die lesbische
Stadtpräsidentin hält eine Eröffnungsrede.
Und der bürgerlich regierte Kanton
Thurgau finanziert seinen Teil des Festivals
mit. Doch trotz alledem ignoriert das nichtschwule
und nichtlesbische Zürich die über
hundert teils grossartigen Filme aus aller
Welt. Pink Apple findet praktisch ausschliesslich
in der Community statt. Eigentlich
schade. Das ist etwa so, wie wenn alle
Besucher eines Trickfilmfestivals nur Trickfilmfiguren
wären.
20. Pink Apple
Grosse Themen und Vorstellung für die
Kleinsten
Nachdem die 18. Ausgabe ihre Volljährigkeit
feierte, spürt man zum runden Geburtstag von
Pink Apple bereits so etwas wie Reife: Musik,
Literatur, Sexualität, Religion – zum Jubiläum
knöpft sich das Festival dieses Jahr wieder
einmal umfassende Schwerpunktthemen vor.
Innerhalb dieser Schwerpunkte werden nicht
nur Filme gezeigt, auch Talks, Podien und
andere Darbietungen sind in Planung. Zu
den krassesten Neuerungen der diesjährigen
Ausgabe gehören die Closing-Night in Zürich,
die im Stil des Eröffnungsfilm im Kino Le Paris
stattfindet – und eine Kindervorstellung. Sie
ist die Antwort auf die wachsende Zahl von
Regenbogenfamilien. Pink Apple zeigt genderstereotypfreie
Animationsfilme in Zusammenarbeit
mit dem Trickfilmfestival «Fantoche».
Den Pink Apple Award erhalten dieses Jahr die
beiden Amerikaner Rob Epstein und Jeffrey
Friedman. Ihr Film «The Celluloid Closet»
eröffnete 1998 das allererste Pink Apple in
Frauenfeld.
www.pinkapple.ch
Das schwullesbische Filmfestival findet vom
26. April bis 4. Mai in Zürich und vom 5. bis
7. Mai in Frauenfeld statt.
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24
Fingerfertig
Nihat kocht
Ein Plädoyer
für Süsses
Ein türkisches Sprichwort besagt frei übersetzt «Lasst uns Süsses essen,
um über süsse Dinge zu sprechen».
VON Nihat
«
Tatlı yiyelim tatlı konuşalım.» Das
würde mir gefallen, die Welt mit Süssem
zu retten. Das dazu wohl geeignetste
türkische Dessert sind selbstgemachte
Baklava. Kein Vergleich zur pampigen Masse,
die kommerziell hergestellt wird. Doch
Baklava sind hohe kulinarische Kunst. Und
diese findet auf zwei Seiten keinen Platz. Ein
Geheimnis sei an dieser Stelle verraten: Die
besten Baklava gelingen meiner Meinung
nach mit frischen, gerösteten Haselnüssen
von der türkischen Schwarzmeerküste.
Und auch das folgende Rezept
schmeckt am besten mit eben diesen Nüssen.
Letzten Sommer war ich in der Türkei
und habe meiner Familie bei der Ernte geholfen.
Knochenarbeit. Die mir aber auch
den inneren Frieden gebracht hat. Und so
sind wir wieder beim Sprichwort: Lasst uns
doch mehr Süsses essen und dabei über süsse
Dinge diskutieren.
Zutaten
6 EL Vanillejoghurt
3 EL Zucker
300 g Mascarpone
2 dl Rahm, geschlagen
CRUISER April 2017
1 Bio-Orange, gerieben (Schale) und
gepresst
30 g geröstete Haselnüsse, grob zerbröckelt
5 frische oder getrocknete Feigen, in
Stücke geschnitten
150 g Löffelbiscuit, zerkleinert
2 EL Kakaopulver
Zubereitung
Rahm, Zucker, Orangenschale, Mascarpone
und Vanillejoghurt mischen.
Löffelbiscuit in ein hohes Glas verteilen,
zuerst Creme und dann Feigenstücke
darüberschichten. Das Ganze wiederholen.
Zuoberst Feigen-, Haselnussstücke und
Kakoapulver streuen.
Im Kühlschrank mindestens eine Stunde
ruhen lassen.
Mit Salz abschmecken und am Tisch
mit frischem Fladenbrot geniessen.
Beim Servieren mit Granatapfelkernen
und einzelnen Kichererbsen verziehen
und mit Olivenöl beträufeln.
Info
Nihat organisiert seit gut vier Jahren Kochkurse
für einen guten Zweck, u.a. für Schulkinder
in der Türkei. Und er ist als Störkoch oder
als Caterer an privaten und geschäftlichen
Anlässen unterwegs. «Daneben» drückt er
als angehender Gymnasiallehrer wieder die
Schulbank.
Die nächsten Kochkurse
– Sonntag, 7. Mai Co-Kochkurs
peruanisch-türkisch
Kultur
Theatertipp
25
KULTUR
Hommage an Elton John
70 Jahre verrückte Brillen und Kostüme, herzerweichende
Songs und wilde Bettgeschichten:
Sir Elton Hercules John ist immer für
Überraschungen gut. Mit drei Jahren spielt
Reginald Kenneth Dwight bereits Klavier,
nach einer klassischen Ausbildung entscheidet
er sich, ein Star zu werden. Und was für
einer er wird! Mit über 300 Millionen verkauften
Tonträgern ist er einer der erfolgreichsten
Musiker der Welt.
Während seiner immer noch andauernden
Karriere hat er oft mit seiner Homosexualität
kokettiert und lebt wie ein Paradiesvogel
in der Öffentlichkeit. Seine Songs begeistern
Jung und Alt gleichermassen. Eine Hommage
an einen Mann mit vielen Facetten.
Walter Andreas Müller erzählt aus seinem
Leben. Rolf Sommer, Eric Hättenschwiler
und Romeo Meyer singen, begleitet von
Anisa Djojoatmodjo, Leonie-Afra Bradatsch
und Hannah Bissegger.
Musikalische Leitung: Chrigi Roffler.
Vorstellungen: Sonntag, 16. April und 27. Mai.
Im Theater Rigiblick in Zürich. Tickets und
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26 xxx
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Demonstration 10. Juni 2017
Pride Week 2.–11. Juni 2017
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CRUISER April 2017
Info
STD
27
Geschlechtskrankheiten
Reloaded!
Sexuell übertragbare Infektionen (STI) wie Syphilis,
Tripper, Chlamydien oder Hepatitis sind einfacher
übertragbar als HIV.
VON Dr. Gay
M
it Ausnahme von HIV ist ein zuverlässiger
Schutz nicht möglich.
Eine ST-Infektion kann Symptome
wie Juckreiz, Ausfluss oder Brennen im
Anal- oder Genitalbereich auslösen. Diese
Symptome können stark sein, so dass sich
ein Arztbesuch aufdrängt. Sie können aber
auch kaum auftreten oder so gering sein,
dass sie nicht bemerkt werden. Für sexuell
aktive Menschen ist es daher ratsam, sich
regelmässig auf die wichtigsten STI testen zu
lassen. Ab einem Sexualpartner pro Jahr
macht für Syphilis, Chlamydien und Tripper
ein Screening pro Jahr Sinn, bei mehr als
zehn Sexualpartner werden zwei Screenings
pro Jahr empfohlen. Je höher die Zahl der
Sexualpartner, desto grösser das Risiko
einer ST-Infektion. Für Hepatitis A und
B empfiehlt sich eine Impfung. Die Geschlechtskrankheiten
Syphilis, Tripper,
Chlamydien, Hepatitis und HIV gehören zu
den sogenannten «Big 5».
Die «Big 5»
Schwule und andere Männer, die Sex mit
Männern haben (MSM), sind nach wie vor
die am stärksten von Geschlechtskrankheiten
betroffene Gruppe in der Schweiz.
Die neue Kampagne will die Männer auf die
«Big 5» der sexuell übertragbaren Infektionen
– namentlich Syphilis, Tripper, Chlamydien,
Hepatitis und HIV – sensibilisieren.
Mit regelmässigen Tests und wichtigen Informationen
können sie sich Klarheit über
ihre sexuelle Gesundheit verschaffen. Im
Mai bieten die Aids-Hilfe Schweiz und die
Checkpoints Tests für Syphilis, Tripper, und
Chlamydien kostenlos an. Alleine diese
Tests kosten im Normalfall mehrere hundert
Franken. Zudem erhalten die Interessenten
nützliche Informationen über die Impfung
gegen Hepatitis A und B sowie über Schutzmassnahmen
bezüglich Hepatitis C.
Warum testen?
Geschlechtskrankheiten sind mit Ausnahme
von HIV gut heilbar, wenn sie frühzeitig diagnostiziert
und behandelt werden. Unbehandelt
können sie zu schwerwiegenden Komplikationen
führen. Es ist darum wichtig, dass
sich sexuell aktive Männer mit wechselnden
Partnern und ihre Sexpartner mindestens
einmal pro Jahr testen lassen, selbst wenn sie
keine Symptome zeigen. Diese Massnahme
verhindert gesundheitliche Komplikationen,
eine Weiterverbreitung oder eine sich
wiederholende, gegenseitige Ansteckung unter
den Sexpartnern (den sogenannten Ping-
Pong-Effekt). Mit der neuen Kampagne haben
schwule Männer nun die Möglichkeit,
die teuren Tests gratis zu erhalten.
Lass dich gratis testen!
Vom 1. bis zum 31. Mai 2017 finden im
Rahmen der neuen Kampagne die nationalen
STI-Testwochen statt. STI steht für sexuell
übertragbare Infektionen, namentlich
Syphilis, Tripper, Chlamydien und Hepatitis.
Checkpoints und ausgewählte Teststellen
bieten Schwulen und andere Männern, die
Sex mit Männern haben, kostenlos Tests
mit entsprechender Beratung an. Detaillierte
Informationen zur Kampagne und die
Adressen der Teststellen findest du auf
drgay.ch.
Noch nie war Klarheit über deine sexuelle
Gesundheit so günstig – mach auch du mit!
CRUISER April 2017
28
KOLUMNE
Mirko!
Mirko freut sich auf die
Midlife-Crisis
Das schnelle Leben als junger Schwuler ist
auch anstrengend.
VON Mirko
S
cho gläse, was de Michi gschriibe
het? Uaaauh. De Schef hat mir seinen
Text gegeben und es hat mich
umghaue. Was kann ich anders? Der Mann
hät scho im Cruiser gschriibe, da war ich
noch nicht mal geboren. Isch e Joke, Michi.
Nei, ich habe kein Problem mit deiner Midlife-
Crisis. Chunnt bi mir au no, weiss i. Ich
habe auch schon geschrieben, dass ich kein
Problem damit habe, wenn andere aus der
Form geraten und dann doch mehr Sex haben
als ich, nur weil ich meine Zeit vor dem
Spiegel verbringe oder mit meinen Bros
beim Frizer sitze und mir die Haar fürs
Weekend stylen lasse. No prob. Jeder
macht, was er will. Aber was isch los? I ha e
grossi Schnurre gha letscht Johr a de Pride
und zack han i die Kolumne übercho im
Cruiser. Han i chönne wüsse, dass so vil
Lüt sich plötzlich für mich interessieren?
Also ok, Michi, du bist scharf auf
mich. Hä, bisch nöd de einzig. Aber Jungs
wie n ich chönnd nüd mit dir aafange,
schriibsch. Wie gseit, ich habe kein Problem
mit deiner Midlife-Crisis. Ich habe
genug am Grind mit meinen eigenen
Tröbels. Da devo schriib i jo meischtens.
Sicher ist vieles anders bei uns. Meine
Eltern sind in die Schweiz gekommen, wo
ihri Heimat plötzlich eifach weg gsi isch.
Wir haben Glück gehabt und mir hend üs
CRUISER April 2017
in der Schweiz einen guten Platz gschaffe.
Aber Studieren lag dann nicht drin. Brötli
müend zahlt werde, weisch Mann. Wäre
mir auch zu viel gewesen. Und Paps und
Mams hätten auch nicht gewusst, wie das
genau möglich wäre, ich und studiere. Ja,
du hast recht, mir ist das Aussehen wichtig.
Aber ich habe damit kein Problem.
Doch ich schriibe nur, was ich so gseh und
wie ich so bin. Weisch, der andere Kumpel,
wo n i letscht Monet gschriibe ha, der
Ja Michi, du hast recht, mir
ist das Aussehen wichtig.
seiner Freundin erzählt, dass er die Bohrmaschine
beim Nachbar ausleihen will,
aber denn öppis ganz anders bohret und
ganz ohni Maschine, LOL, der Nachbar,
der hat die Midlife-Crisis scho lang hinder
sich und isch Schwiizer. D’Völkerverständigung
funktioniert perfekt bi dene
zwei. Isch halt jeder anders, denke ich
dann. Aber was sicher bi allne gliich isch,
isch d’Angscht, dass di niemet liebt. Das
verstehe ich. Mängisch dänk i, möched
schon alle komischi Sache, nur weil wir
Angst haben, vergessen zu werden oder
nicht geliebt zu werden. Aber äbe, au das
gseht jede anders. De anderi dumm aamache,
nur dass er dir nöd weh cha tue und
so Sache. Uuui, werd ich jetzt philosophisch
oder so? Shit. Oder andersch gseit:
mir ficken, damit mir nöd gfickt werden,
wörtlich oder au andersch. Wörtlich isch’s
mir lieber. Obwohl da musste ich grad
kürzlich per Whatsapp eine tröste. Riiiiiesepanik,
säg dir. D’Wält goht under. Es
Date hat ihm mitgeteilt, er habe Syphilis.
Hei Alte, sonst bist du auch nicht so
schwer von Begriff und googlisch alles.
Aber nei, er stirbt grad jetzt und so.
Schlechtes Gewissen und «hätte ich nur
nie mit Männern» und so wiiter. Fuck.
Denn hani halt selber mal googlet und siehe
da: Nei, Syphilis ist gar nicht so
schlimm, en Spritze in Arsch und ab zum
nächste Date, würd ich sagen.
Lueg, Michi, in der Midlife-Crisis
musst du dich nicht mehr mit solchen Hysterieanfällen
rumschlagen. Ich scho. Wenn
ich so vor dem Spiegel stehe und meine
Bartkante nachziehe, dann denk ich ganz
kurz: Wäre schön, wenn alles etwas ruhiger
wäre. Aber das denke ich nur kurz.
Dann geht’s wieder ab. Mir sind äbe die
vom Multitasking, uvijek sve i odmah.
Politik
Interview
29
Nico Planzer Kandidat als Präsident
der JBDP Schweiz
Die Bürgerlich Demokratische Partei Luzern (BDP) Kanton Luzern schlägt
Nico Planzer als neuen Präsidenten der JBDP Schweiz vor. Die Wahlen sind
am 6. Mai. Cruiser hat sich mit Nico unterhalten.
Von Haymo Empl
N
ico, du kandidierst für das Amt des
Präsidenten der Jungen BDP Schweiz.
Aktiv bist du bei der BDP Luzern. Warum
nun dieser Schritt?
Seit einigen Jahren engagiere ich mich nun
bereits in der Jugendpartizipation und der
Jugendpolitik. Bereits seit längerer Zeit
habe ich das Gefühl, dass bei der Jungen
BDP Schweiz viel Potential vorhanden ist,
welches die letzten Jahre nur unzureichend
genutzt wurde. Nun stehen wir vor
den entscheidenden Schritten, welche uns
ermöglichen, die Junge BDP wieder auf
Kurs zu bringen und national in der Jugendpolitik
Einfluss zu nehmen. Diese
Chance möchte ich nicht ungenutzt lassen.
Daher strebe ich die Übernahme dieses
Amtes an.
Die Jungen von heute
sind meines Erachtens
tatsächlich sehr
politisch interessiert.
«Für mehr jugendliche Frische in der
Politik – weil die Zukunft in unserer Hand
liegt», ist einer deiner Slogans. Denkst du,
die «Jugend» interessiert sich für Politik?
Das hat sie seit den 1980er-Unruhen
eigentlich nicht mehr getan …
Die Jungen von heute sind meines Erachtens
tatsächlich sehr politisch interessiert. Viele
junge Menschen in meinem Alter beteiligen
sich aktiv in Jugendparlamenten, Jungparteien
oder politischen Vereinen. Immer ➔
CRUISER April 2017
30
Politik
Interview
wieder wird in dieser Diskussion, leider
fälschlicherweise, auf die niedrige Wahlbeteiligung
der Jungen bei kantonalen und
nationalen Abstimmungen hingewiesen. Ich
werde oft mit dem Argument konfrontiert,
die Jungen beteiligten sich nicht am politischen
Prozess oder seien nicht interessiert.
Diesen Ball muss ich jedoch der älteren Generation,
unseren Politikern in Bundesbern,
zuspielen, denn oft fehlt es schlichtweg
an der Verständlichkeit einer komplexen
Vorlage oder Abstimmung. Wären Abstimmungsunterlagen
frischer und weniger komplex
aufgebaut und geschrieben, so hätte die
Jugend auch einfacher Zugang. Wäre der
politische Betrieb zeitgemässer gestaltet, z.B.
mit Online-Teilnahme an nationalen Abstimmungen,
so bin ich überzeugt, wäre die
Beteiligung der Jungen grösser am politischen
Prozess der Schweiz.
Was persönlich fasziniert dich an der Politik?
In der Schweiz haben wir das grosse Glück
uns am demokratischen Prozess aktiv beteiligen
zu können und Einfluss zu nehmen. Es
ist jedoch nicht einfach nur Glück, dass wir
dies hier so haben, denn viele Generationen
vor uns haben dies aufgebaut und erst möglich
gemacht. In der Schweiz kann jeder
Schweizer Bürger Einfluss nehmen und ändern,
was ihn stört, dies ist beinahe einzigartig
auf der Welt und fasziniert mich sehr.
In der Schweiz haben wir
das grosse Glück uns am
demokratischen Prozess
aktiv beteiligen zu können
und Einfluss zu nehmen.
Die BDP Luzern ist nicht gerade erfolgreich.
Bei ihrem ersten Antreten bei den Kantonsratswahlen
2011 in Luzern erreichte die
Partei 1,66 Prozent der Stimmen. 2015, beim
zweiten Anlauf, waren es nur noch 0,88
Prozent. Wo klemmt es bei der Partei? Und
was macht die JBDP besser?
Nicht nur die BDP hat in den letzten Jahren
einen schwierigen Stand bei Wählerinnen
und Wählern, sämtliche Mitteparteien müssen
sich neu orientieren und gegenüber den
etablierten Parteien behaupten. Es ist aber
richtig, dass für die BDP in den nächsten
Jahren viel auf dem Spiel steht. Gerade deshalb
ist es wichtig, dass wir die jungen Kräfte
mobilisieren und sichtbar machen. Die Junge
BDP kann zudem die Mutterpartei weiter
CRUISER April 2017
mitgestalten. Wir Jungen denken oft etwas
anders, wir haben andere Lösungsansätze
für Probleme, davon kann unsere Mutterpartei
nur profitieren.
Die Junge BDP muss endlich
wieder sichtbarer und
hörbarer gemacht werden.
Was würde sich in der Partei ändern, wenn
du Präsident würdest?
Eines habe ich mir auf die Kappe geschrieben,
welches ich unbedingt vorantreiben
muss: Die Junge BDP muss
endlich wieder sichtbarer und hörbarer
gemacht werden. Wir müssen national
mehr an Bekanntheit gewinnen,
im jugendpolitischen Prozess
mehr wahrgenommen werden.
Zudem ist es wichtig, dass sich
die Jungen wieder mehr mit
uns identifizieren können.
Warum thematisierst du
deine sexuelle Ausrichtung?
In der heutigen Gesellschaft
ist es wichtig,
dass man sich selbst
sein kann. Alle predigen
Vielfalt, welche bei manchem
Bürger jedoch bei der sexuellen Ausrichtung
aufhört. Schwule und Lesben sollten
sich nicht länger verstecken müssen. Es macht
mir Sorgen, wenn ich sehe, wie viele Freunde
von mir ihre Sexualität verbergen müssen aus
Angst, diskriminiert werden zu können. Ich
möchte mit gutem Beispiel vorangehen und all
jenen Mut machen, die noch nicht den Weg
gefunden haben, zu sich zu stehen.
Da gab es mal eine Geschichte in diversen
Medien: «Zwei Nationalratskandidaten outen
sich». Da sah man euch etwas schlecht
ausgeleuchtet vor Palmen auf einem Schiffsteg.
Warum hast du dich mit deinem Partner
Denis Kläfiger seinerzeit zu diesem
Schritt entschlossen?
Wir haben uns damals gut überlegt, ob wir
diesen Schritt tatsächlich gehen sollten. Wir
haben uns dann klar dafür entschieden, weil
wir davon überzeugt sind, dass dies ein starkes
Zeichen für die Gay-Community ist. Das
Resümee unserer Aktion war übrigens über
die Landesgrenze hinaus durchweg positiv.
Nico Planzer
am 08. August 1995 in Luzern geboren, in
Ausbildung zum Fachmann Gesundheit
EFZ, engagiert sich seit gut sechs Jahren
in der Jugendpolitik.
2011 trat Nico Planzer dem Luzerner Kinderparlament
bei. Dort machte er erste Gehversuche
und Polit-Erfahrungen. Einige Zeit später
durfte er ins städtische Jugendparlament
emigrieren, welches er dann nach einem Jahr
Kommissionsarbeit als Co-Präsident präsidieren
durfte. 2014 gründete Nico Planzer mit
einem jungen und engagierten Team den
Verein Jugendparlament Kanton Luzern und
durfte als Co-Präsident die erste kantonale
Jugendsession im Kantonsratssaal erfolgreich
abhalten. Seit gut zwei Jahren ist Nico Planzer
aktives Mitglied der BDP Kanton Luzern.
Kultur
Warmer Mai 2017
31
Er kommt:
Der Warme Mai 2017
Von den Eurogames 2000 bis zur Europride
2009 dauerte die erste Blütezeit des
Kulturmonats «warmer mai». Die zweite ist
nun in vollem Gange.
Von Samuel Zinsli & Oliver Fritz
W
as mit einem kulturellen Rahmenprogramm
zum sportlichen
Grossanlass begann, entwickelte
sich zu einem jährlichen Hort von hochklassiger
und zugleich alternativer und
innovativer Kunst und Kultur, in der sich
die LGBT*-Gemeinschaft finden und begegnen
konnte.
Seit gut vier Jahren lebt nun der «warme
mai» mit vereinfachter Trägerschaft unter
dem Dach der HAZ wieder auf, bleibt
aber seinem Ursprungsprogramm treu: Vielfalt,
Nischen, Unbekanntes, aber auch
Mainstream, Tradition und Qualität. Neu ist
vor allem, dass Events aus anderen Städten
der (Deutsch-)Schweiz mit ins Programm
genommen wurden und entsprechen beworben
werden können. Es gibt sogar
«schweizweite» Anlässe im Programm wie
das Konzert von Olga Tucek unter dem Namen
«Flut», welches sowohl im Castillo del
Vino in Bern als auch im Keller 62 in Zürich
stattfindet.
Highlights aus den über 40 verschiedenen
Events auszusuchen, fällt nicht leicht.
Dennoch: für die Kennerinnen und Kenner
sind sowohl Kamillas Literaturklub als auch
«Auftritt bitte!» und diverse Schnuppertage
bei etablierten Chören und Kursveranstaltern
(von Discofox bis Kajakfahren) dabei.
Von Chor- und Solokonzerten bis zu sehr
unterschiedlichen Lesungen (ob Lovis
Cassaris mit Kurzgeschichten, Bennet Bialojahn
mit einem Krimi, die Zürcher Ikonen
Röbi und Ernst oder Kamilla von Arx)
spannt sich der Regenbogen der Vielfalt des
«warmen mai» 2017.
Besonders hervorzuheben ist der gestiegene
Einbezug von Veranstaltungen mit
Bezug zu Transmenschen und ihren spezifischen
künstlerischen Ausdrucksformen.
Auch der alle klassischen Kategorien negierende
Begriff «queer» taucht häufiger auf als
früher. So sollen ein breites Publikum erreicht,
durch Vielfalt Vorurteile abgebaut
und alle Offenen und Interessierten zu spannenden
und gehaltvollen Kulturevents eingeladen
werden.
Der «warme mai» ist nun wieder ein
Sammelbecken für Veranstaltungen aller
Art mit Bezug zur grossen und immer breiter
werdenden «Community». Kunst und
Kultur als nachhaltige Vermittler der Wirklichkeit
sind und bleiben aktuell; alle sind
willkommen, sich auf die Reise in neue Welten,
zu neuen Ideen, aber auch gern zu Altbekanntem
einzulassen.
Alle Informationen und Details auf
www.warmermai.ch
CRUISER April 2017
32
RATGEBER
Dr. Gay
Dr. Gay
Geht mein Freund auf einem
Hetero-Portal fremd?
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Dr. Gay ist eine Dienstleistung der Aids-Hilfe
Schweiz. Die Fragen werden online auf
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Beratern beantwortet dort deine Fragen,
welche in Auszügen und anonymisiert im
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CRUISER April 2017
VON Vinicio Albani
Welche Geschlechtskrankheiten
werden durch Blasen
übertragen?
Mit welchen Geschlechtskrankheiten
kann man sich beim Blasen
anstecken, wenn nicht in den
Mund abgespritzt wird? Und was
spielt der Lusttropfen dabei für
eine Rolle?
Rico (23)
Hallo Rico
Beim Blasen ist eine Infektion mit den meisten
sexuell übertragbaren Infektionen (STI)
möglich, auch wenn kein Sperma in den
Mund gelangt. Dabei geht es in erster Linie
um STI wie Syphilis, Chlamydien, Tripper
sowie Hepatitis A und B. Für Hepatitis A
und B gibt es eine Impfung. Diese ist für
sexuell aktive Menschen mit wechselnden
Partnern empfehlenswert. Ebenso macht regelmässiges
Testen (zirka 1 – 2 Mal pro Jahr)
Sinn, weil STI auch symptomlos auftreten
können. Auf meiner Webseite drgay.ch findest
du unter DEINE GESUNDHEIT detaillierte
Testempfehlungen und weitere Informationen
zu den verschiedenen STI. Auf der
Seite findest du auch Informationen zur
aktuellen STI-Kampagne der Aids-Hilfe
Schweiz. Du hast dort die Möglichkeit, im
Mai bei gewissen Teststellen STI-Tests gratis
oder sehr günstig machen zu lassen. Eine
Ansteckung mit HIV ist beim Blasen übrigens
nicht möglich, solange kein Sperma in
Kontakt mit den Mundschleimhäuten
kommt. Der Lusttropfen ist diesbezüglich
unbedenklich.
Alles Gute, Dr. Gay
Mein Freund hat heimlich ein
Fake-Profil auf einem Hetero-
Datingportal und gibt sich dort
als Frau aus, um Nacktbilder von
Jungs zu kriegen. Im Gegenzug
schickt er Bilder von «ihr». Ich
habe per Zufall davon erfahren,
als ich eine Push-Nachricht auf
seinem Handy sah. Darauf angesprochen
sagte er, dass das ein
Ersatz für Pornoschauen sei.
Jetzt bin ich verunsichert, denn
in unserer Beziehung spielt Treue
und Vertrauen eine grosse Rolle.
Kann das unsere Beziehung
gefährden? Sucht er etwas
Bestimmtes?
Markus (30)
Hallo Markus
Ob dein Freund etwas Bestimmtes sucht,
kann nur er selber beantworten. Es ist gut
möglich, dass es ihn einfach nur anmacht,
sich als Frau auszugeben, um Nacktfotos
von Heteros zu kriegen. Das kann tatsächlich
ein Ersatz für Pornokonsum sein. Die
dadurch entstehende Authentizität kann
reizvoll sein. Ich sehe das Ganze nicht unbedingt
als Gefahr für eure Beziehung. Es
kommt aber auch darauf an, was deine Einstellung
dazu ist. Am besten, du redest noch
einmal mit ihm. Bevor du das tust, mache
dir klar, was du selber willst und ob es dich
stört. Wenn ihr offen und ehrlich miteinander
kommuniziert, könnt ihr einen gemeinsamen
Weg finden, der für beide stimmt.
Gerade in einer Beziehung, wo Treue und
Vertrauen eine grosse Rolle spielen, ist eine
offene Kommunikation wichtig.
Alles Gute, Dr. Gay
KOLUMNE
Thommen meint
33
Rosa Pussyhat
für Schwule?
Einige «Falschsexuelle» und Schwule haben
sich dieses Jahr begeistert im letzten Monat
am Weltfrauentag der «Pussyhat-Aktion»
angeschlossen: Strickmütze mit zwei Ecken.
Eine gute Idee?
VON PETER THOMMEN
H
omosexuelle Frauen haben sich immer
wieder an Aktionen ihrer heterosexuellen
Schwestern beteiligt,
obwohl sie bei denen nicht immer so willkommen
waren. Lesben haben damals in
den 1970ern die Konferenz der Schwulengruppen
verlassen und haben eine eigene
Organisation gegründet. Auch kürzlich sind
sie aus gemeinsamen Räumlichkeiten mit
Pink Cross wieder ausgezogen. Aber sie haben
die Schwulen nie zu Frauenaktionen
«mitgenommen», denn letztlich sind wir ja
doch «nur Männer».
Rosa war die Farbe der Kennzeichen
für Schwule im Konzentrationslager der Nationalsozialisten.
Junghomos wissen das
wohl nicht mehr so genau. Aber wollten das
die Frauen und ihre Organisationen je wissen?
Am Anfang der Schwulenbewegung sahen
wir sie als «Partner» und quasi gesellschaftliche
Vorläuferinnen und «Verbündete
im Kampf», aber das hat sich im Laufe der
Jahre für mich persönlich wieder relativiert.
Logisch ist es vernünftig, «das Weibliche»
in der Gesellschaft vor Diskriminierung
und Abwertung zu verteidigen. Aber
bekamen und bekommen wir von dort je
etwas zurück? Nach meiner begrenzten Erfahrung
entziehen sich Frauen gerne der
Diskussion um Parallelen der Diskriminierung.
Schliesslich lernen sie, dass Männer
ihren Sex bei ihnen zu holen haben. (Wie
bitte? Hahaha.) Irgendwann in den 1970ern
lernte ich von andern Schwulen auch, dass
Väter weniger bedrohlich seien, aber die
Mütter viel schneller eifersüchtig auf ihre
Söhne sind.
Nach der Frauenbewegung
kam also die Schwulenbewegung.
Nach der Frauenbewegung kam also
die Schwulenbewegung. Und zur Schwulenbewegung
stiessen dann auch die Bisexuellen
und die Transmenschen sowie weitere
Minderheiten, die sich heute nur noch an
Buchstaben in einer Reihe ablesen lassen.
Alle suchten und suchen sie die Solidarität
von Schwulen. Und jetzt sollen wir Schwulen,
mit dem ganzen Anhang, die wir ja alle
von Frauen geboren worden sind und dann
von den Hetero/as weggeschoben wurden,
retour-solidarisch mit den Frauen sein?
Wollen das alle Frauen wirklich? Und
unter welchen Bedingungen? Akzeptieren
sie auch Transgender oder gar auch homosexuelle
Männer?
Der bekämpfteste Bock in der aktuellen
Gender-Diskussion ist der «weisse Cis-Mann».
Aber es gibt auch noch farbige Cis-Männer, die
dort jeweils die gleichen Probleme machen.
Und in der ganzen Solidar-Aktion gehen die
Cis-Frauen völlig unter …
Ich will unter keinen Umständen irgendeine
Entsolidarisierung bewirken. Aber
ich beziehe mich hiermit auf James Baldwin,
in einem neuen Filmporträt über ihn, und
sage euch: Ich bin nicht Euer Schwulo!*
P. S. «Wenn es etwas gibt, was Heteros
stört, dann ist es vielleicht nicht so sehr der
Akt, sondern dass sie darüber nachdenken
sollen.» Egbert Hörmann: Hurra ein Junge!
Gmènder 1997, Seite 14
* «I Am Not Your Negro!»
CRUISER April 2017
34
Flashback
Cruiser vor 30 Jahren
Flashback
Cruiser feiert sein 30jähriges Bestehen. Daher blicken wir während
des ganzen Jahres an dieser Stelle auf die alten Ausgaben zurück.
Von Team Cruiser
1 Beginnen wir mit dem Cover: Cruiser
versuchte immer irgendwie einen Züri-
Bezug zu haben. Bildagenturen waren
damals noch nicht üblich, als guckte
man was sich so ergibt. 6i Lüüten ist
nun alles andere als schwul. Aber man
fand es wohl doch passend.
2 Die Idee war einst: Wer Safer Sex
praktiziert, der soll sich eine Schliessnadel
ans Revers heften. Das war dann
sozusagen das Erkennungszeichen für
«safe». Funktionierte aber nie wirklich.
1 2
3 Mit Klatsch hielt man sich (unüblich
für den damaligen Cruiser) in dieser
Ausgabe zurück. Dafür gab es mehr
oder minder wertvolle Infos. Beispielsweise,
dass man im Sec 52 schwule
Bücher kaufen kann. Man bedenke:
Wir sind hier in der Vor-Internet-Zeites
war also wichtig, dass man sich
irgendwo mit Literatur eindecken
konnte. Sec 52 existiert heute noch,
das «babalu» (leider) schon lange
nicht mehr in der damaligen Form.
4 Diese Collage zeigt offenbar das
damalige «Who is Who». Leider fehlt
im Original-Cruiser die Bildlegende.
Und in unserer Repro-Version ist auch
nicht mehr viel zu erkennen. Zusammenfassend
kann gesagt werden:
Trullas everywhere.
3 4
CRUISER April 2017
XXX
XXX
35
CRUISER April 2017
36 xxx
xxx
26.4. — 4.5.17
Zürich
5.5. — 7.5.17
Frauenfeld
VORVERKAUF
AB 18. APRIL
20. PinkAPPLE
schwullesbisches Filmfestival
Wir leben Diversity.
Auch als Hauptpartnerin von Pink Apple. Selbstverständlich
seit 2010 dabei.
Besuchen Sie uns auf zkb.ch/pinkapple
CRUISER April 2017